Strauss hört zu

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Musikfreunde | Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien
Mai/Juni 2017
Strauss hört zu
Thielemann und die Sächsische Staatskapelle
Dresden und Christian Thielemann – das passt. Hier ist der Dirigent Nachfolger von Richard Wagner. Aber das ist
längst nicht alles: Gemeinsam mit der Staatskapelle hat er in den letzten Jahren die Klassikzone strategisch
ausgeweitet.
„Angekommen!“ – das stand auf den Bushaltestellen und Litfaßsäulen in Dresden, als Christian Thielemann 2012 das
Amt des Chefdirigenten der Staatskapelle annahm. Der Dirigent war vor einem Regal mit Partituren zu sehen,
offensichtlich zufrieden mit sich und dem Lauf der Welt. Klar, denn damals bedeutete „Angekommen!“ auch, dass
einer der wohl besten Wagner-Dirigenten zum Nachfolger jenes Komponisten wurde, der in Dresden seine frühen
Opern uraufgeführt hatte, bevor er hier für die schwarz-rot-goldene Revolution auf die Barrikaden stieg. Als
Musikdirektor sorgte Wagner für eine bessere Ausstattung des Orchesters, gewann großartige Musiker und nannte
die Kapelle seine „Wunderharfe“. „Angekommen!“ – heute könnte das auch bedeuten, dass Christian Thielemann
nicht nur den richtigen Ort für seine Kunst gefunden hat, sondern auch auf andere Weise angekommen ist – bei sich
selber.
Der eigene Weg
Wer den Dirigenten in den letzten 15 Jahre verfolgt hat, konnte beobachten, wie aus der musikalischen Berliner
Schnauze eine Künstlerpersönlichkeit gewachsen ist. Früher liebte Thielemann es, zu poltern, die Grenzen auszuloten
– und gern auch mal zu provozieren. Seine Kritiker nahmen schnell jeden Anlass auf, um ihn in Frage zu stellen: das
Porträt von Friedrich dem Großen, das er in seinem Büro der Deutschen Oper aufgehängt hatte, seine lustvollen
Tiraden gegen die Alt-68er, manche witzelten über seine Ringelpullis, andere über seine Frisur. Inzwischen ist das
Enfant terrible längst zum Staatsmann der Musik gewachsen: ausgeglichener, entspannter und stets dabei, noch
besser zu werden, noch ernster zu musizieren und noch tiefer in die Partituren, die ihn interessieren, vorzudringen.
„Das Geklapper da draußen interessiert mich nicht mehr wirklich“, sagt er, „es ist die Musik, die mich begeistert – in
ihr finde ich, was ich suche.“ Thielemann ist ein Mann des eigenen Weges. Das ist nicht immer leicht – besonders
dann nicht, wenn man, wie Thielemann, konsequent bleibt, auf grundlegende Dinge besteht und immer wieder
optimale Arbeitsbedingungen einklagt. Aber der Dirigent beweist seit Jahren, dass er den nötigen Atem dafür hat.
Das Direkte der Romantik
In seinem Büro in der Semperoper macht Thielemann es sich gern bequem. Mit dunklem Holz getäfelte Wände, ein
moderner Schreibtisch, Ledersessel, gedimmtes Licht. Er trägt T-Shirt und Gummi-Schlapfen. „Wissen Sie“, sagt er,
„man entdeckt ja immer wieder etwas Neues. Mir wird oft vorgeworfen, mich zu sehr auf Wagner zu konzentrieren,
aber erstens: Es ist einfach großartig, wenn man in gewissen Abständen immer tiefer in diese unglaublichen Welten
abtaucht. Und zweitens: Der Vorwurf stimmt so gar nicht.“
Natürlich fühlt er sich der Tradition seines Orchesters verpflichtet, die von Richard Wagner und von Richard Strauss
geprägt wurde. Und ja, Thielemann glaubt – wie wohl kaum ein anderer Dirigent unserer Zeit – fast bedingungslos an
das Pathos in der Musik, an das Rauschhafte und Direkte der Romantik. „Musik ist eine Droge“, sagt er, weiß aber
auch: „Deshalb muss man vorsichtig mit ihr umgehen, darf sich nicht vollkommen von ihr berauschen lassen, muss
den Tiger, den man da zuweilen loslässt, auch reiten und bändigen können.“ Und dann sagt er einen dieser typischen
Thielemann-Sätze: „Inzwischen stört mich das mit dem Wagner-Klischee gar nicht mehr so. Ist doch gut, wenn die
Presse etwas hat, das sie schreiben kann. Und es ist ja auch nicht schlimm, mit einer Sache assoziiert zu werden, bei
der die Leute finden, dass man sie wirklich gut kann.“
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Thielemanns Wunderharfe
Schon vor seinem offiziellen Amtsantritt in Dresden hat Thielemann gemeinsam mit dem Orchester auch mit neuem,
spannendem Repertoire experimentiert: Liszt, Lehár und Bach, später Puccini, Mozart, Henze und Rihm – dazu der
Brahms-Zyklus. Und selbst bei Komponisten, mit denen Thielemann einst für Skandale sorgte, etwa mit
Aufführungen von Hans Pfitzner, ist heute jedem Kritiker klar, dass es ihm nicht um Politik, nicht um die Polemik,
sondern um die Wertigkeit der Komposition an sich geht. „Ich bin vollkommen unideologisch“, sagt Thielemann, „ein
C-Dur hat keine Bedeutung außer C-Dur. Ich führe Musik auf, die ich spannend finde, die mich herausfordert.“
Die Dresdner Staatskapelle ist heute zu Christian Thielemanns ureigener Wunderharfe geworden. Er genießt die
kontinuierliche Arbeit, die Konzentra-tion, das regelmäßige Wiedersehen und Weitermachen – auch deshalb geht er
nur selten fremd. „Mich reizt es nicht, überall in der Welt herumzuspringen und Orchester wie Schmetterlinge zu
sammeln“, sagt er, „mir ist die langfristige Arbeit wichtig.“
Deshalb ist Dresden sein Standbein geworden, mit dem Spielbein bedient Thielemann lediglich die Wiener
Philharmoniker, die Berliner Philharmoniker und das Orchester der Bayreuther Festspiele. „Viel mehr brauche ich
nicht, um glücklich zu sein“, sagt er. Gleichzeitig findet er fremde Inspiration für sein Orchester wichtig. Regelmäßig
werden die Dresdner von Christoph Eschenbach, von Franz Welser-Möst oder Myung-Whun Chung geleitet – das
Ensemble profitiert von seinem Chef, aber es entwickelt sich auch unabhängig von ihm.
Ausgeweitete Klangzone
Wer Thielemann bei den Proben zuschaut, weiß, was die Musiker an ihm lieben: Er kommt gleich zur Sache, redet
nicht um den heißen Brei, erzählt keine epischen Geschichten. Er horcht, steigt in den Klang, der ihm
entgegenkommt. Wenn sich etwas anders anhört, als er es sich vorstellt, kann er durchaus streng werden. Für ihn ist
die Arbeit an der Musik die gemeinsame Arbeit an den Noten. Ganz unspektakulär. Ganz sachlich. Schritt für Schritt.
Erst das Ergebnis dieses Aufwandes entfaltet seine emotionale Wirkung. Er selber nennt sich gern „Kapellmeister“ –
und so einer passt perfekt zur „Kapelle“ aus Dresden.
Tatsächlich sind Orchester und Dirigent in den letzten fünf Jahren einen weiten Weg gegangen und haben dabei
vollkommen neue Felder beackert. Sie haben ihre Klangzone nicht nur musikalisch, sondern auch strategisch
ausgeweitet.
Gegen die Schnell-schnell-Klassik
Auch in der Wahl ihrer Auftrittsorte haben sich der Kapellmeister und seine Kapelle in den letzten Jahren neu
aufgestellt. Es ist wohl kein Zufall, dass Thielemann und Kapell-Direktor Jan Nast mit der Staatskapelle stets in jene
Lücken gesprungen sind, die von den Berliner Philharmonikern gerissen wurden. Als sich die Berliner von den
Salzburger Osterfestspielen in das lukrativere Baden-Baden verabschiedeten, galt es als Scoop, dass die Sächsische
Staatskapelle mit Thielemann zum neuen Residenz-orchester an der Salzach wurde. Inzwischen sind die Dresdner
selbstverständlicher Teil der Mozart-Stadt, aufgrund ihrer Programme, ihrer Gäste, weil die Oper für sie ein
Heimspiel ist und weil sie in den „Konzerten für Salzburg“ eine enge Bande zu den Einwohnern knüpfen.
Ähnlich war es mit der großen Silvester-Gala im ZDF: Als die Berliner zur ARD abwanderten, waren die Dresdner
sofort zur Stelle und laden seither das deutsche Fernsehpublikum zum Jahresendtanz in die Wohnzimmer: mal mit
Operette, mal mit durchaus ambitioniertem Klassikprogramm. An Christian Thielemann und seinen Dresdnern lässt
sich ablesen, dass die Langfristigkeit in der Musik tatsächlich ein erfolgreiches Geschäftsmodell ist, das die Schnellschnell-Klassik längst überflügelt hat.
Strauss auf der Galerie
Natürlich wissen Orchester und Dirigent, dass im Zentrum der Neuorientierung stets die eigene, große Tradition
steht. Wie das Alte und das Andere zusammen schwingen, lässt die Staatskapelle nun an zwei Abenden in Wien
hören. Einen Abend widmet sie Richard Strauss. „Wenn man Strauss-Opern in Dresden aufführt“, sagt Thielemann in
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seinem Semperopern-Büro, „dann spürt man, dass er noch immer da ist.“ Acht Opern des Komponisten wurden in
Dresden uraufgeführt. „Und manchmal denkt man, dass er irgendwo auf der Galerie steht und uns zuhört. Ganz zu
schweigen davon, dass sein Geist bis in die Gegenwart im Kapell-Klang zu hören ist.“ Das Besondere des Dresdner
Strauss-Tons beschreibt er so: „Wir denken Strauss nicht vom ‚Zarathustra‘ her, sondern eher von der ‚Daphne‘, weil
man dann das Leise hört, das Zerbrechliche, das Amalgam dieses Genies.“ Und das bringt er nun mit seinem
Orchester und der langjährigen Solopartnerin René Fleming in den „Vier letzten Liedern“ und in der
„Alpensymphonie“ zur Geltung.
Die Brücke zu Wien
Für Thielemann stellt dieses Programm auch eine natürliche Brücke zu Wien dar, der Heimat seines HerzblutOrchesters, der Wiener Philharmoniker: „Es gab zwei große Orchester für Strauss“, sagt er, „Dresden und Wien. Und
in beiden hört man den Strauss-Klang in unverwechselbarer Eigenart. Ebenso wie ich mich auf jedes Konzert mit den
Wienern freue, freue ich mich, mit der Kapelle in Wien zu sein. Und ich bin sicher, dass der alte Meister auch hier
wieder auf der Galerie im Musikverein stehen und zuhören wird.“
Am Vorabend zeigen Thielemann und seine Kapelle ihre andere Seite, wenn Ravel, Schönberg und Sofia Gubaidulina
auf dem Programm stehen. „Dieser Abend ist für mich besonders spannend“, sagt Thielemann, „weil es da zum einen
um den Weg des Neuen geht, aber auch weil mich Daniil Trifonov, der Ravels G-Dur-Konzert spielen wird,
begeistert.“ Gubaidulina ist bereits zum zweiten Mal Capell-Compositrice. Ihre sphärischen Klangwelten, in denen sie
Glaube, Liebe und Hoffnung zu sinnlichen Erfahrungen transzendiert, gehören schon so gut wie zur Tradition der
Kapelle. „Die Inspirationen in derart enger Zusammenarbeit sind vielleicht das Schönste an unserer Arbeit“, sagt
Thielemann, „denn wenn man Musik gemeinsam gestalten will, ist es unerlässlich, zusammen zu arbeiten, Wege
gemeinsam zu gehen und immer wieder Neues zu entdecken.“
Angekommen!
Die Lautsprecher auf den Gängen der Semperoper rufen zur nächsten Probe. Christian Thielemann steht auf und
schlendert zur Bühne. Die Tür seines Büros schließt sich. Auf ihr hängt noch immer das alte Poster aus seinem ersten
Jahr an der Elbe: „Angekommen!“ Heute, fünf Jahre später, gilt das noch immer – nur irgendwie ganz anders.
Axel Brüggemann
Axel Brüggemann ist Autor, Moderator und Filmemacher. Er schreibt für verschiedene Zeitungen, moderiert u. a. die
Übertragungen der Bayreuther Festspiele auf Sky und in den Kinos, ist als Moderator und Drehbuchautor von
Klassikfilmen für Arte und 3Sat tätig und hat zahlreiche Bücher veröffentlicht. Gemeinsam mit Christian Thielemann
hat er die CD „Der kleine Hörsaal“ aufgenommen.
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