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HAMB
Hamburger Abendblatt
Die Stadt der
Dichter und
Dämmer
Viele Wohnhäuser in
Deutschland sollen
in den nächsten Jahren
energetisch saniert
werden. Das kostet
Milliarden. Inzwischen
zweifeln selbst Befürworter
an der Notwendigkeit.
Wo liegen die Chancen?
Wo die Risiken? Und wer
profitiert wirklich?
E
M AT THI AS I K E N
O L I VE R S C HI R G
s begann mit einer Lampe
im Keller. Plötzlich hatte
sie
einen
grünlichen
Schimmer
auf
dem
Schirm. Dann fand sich der
verdächtige grüne Film
auch auf Schuhen und dem ausrangierte Kinderspielzeug im Regal.
Wann immer die Roths in ihren
Keller gingen, wunderten sie sich über
einen moderigen Geruch – und das in
dem Neubau, den sie erst ein Jahr zuvor
bezogen hatten. Das ungute Gefühl trog
nicht. Binnen weniger Wochen verwandelte sich das Traumhaus im Hamburger Norden in einen Albtraum. Der
Schimmel wucherte nicht nur im Keller,
sondern überall.
Eine baubiologische Untersuchung
erschütterte die Familie: Im Wohnzimmer, im Esszimmer, selbst im Kinderzimmer lagen die Messungen der Sporen zum Teil deutlich über zulässigen
Grenzwerten. Der Baubiologe antwortete auf die Frage, was zu tun sei, mit
drei Worten: „Ich würde ausziehen.“
Der lang gesuchte und lieb gewonnene Heimathafen entpuppte sich als
Gefahrengebiet. Die Familie war plötzlich wohnungslos und musste zu den Eltern flüchten. Binnen weniger Tage
brauchten die Roths nicht nur eine
neue Bleibe. Zugleich mussten sie den
Ursachen des Schimmelbefalls auf den
Grund gehen und nachweisen, dass
nicht ihr Lüftungsverhalten, sondern
Pfusch am Bau für das Desaster im
Niedrigenergiehaus verantwortlich ist.
Trotz modernster Bautechnologien
ist Schimmelpilz ein bleibendes Problem in deutschen Wohnungen. Waren
es früher vorzugsweise in die Jahre gekommene Altbauten, in dem der Schädling siedelte, findet er nun eine neue
Heimat in voll gedämmten, hermetisch
durch Wärmeverbundsysteme abgeriegelten Wohnkästen.
„Durch die Vorgaben der Energieeinsparverordnung werden die Häuser
so luftdicht gedämmt, dass die Feuchtigkeit in den Räumen gefangen bleibt
und das Schimmelpilzwachstum gefördert wird“, sagt der Architekt und Baubiologe Klaus Aggen. Früher beispielsweise waren die Fugen an Fensterrah-
men oft so undicht, dass sie ständig die
Raumluft austauschten und so entfeuchteten – in Zeiten von Dreifachverglasungen ist das Geschichte.
Ein Vierpersonenhaushalt gibt an
einem Tag rund zwölf bis 14 Liter an die
Luft ab – durch Atmen und Schwitzen,
Waschen und Kochen, Duschen und
Zimmerpflanzen. Problematisch wird
es, wenn dieser Wasserdampf im Haus
verbleibt: Dann droht Schimmel. Handwerker erzählen Gruselgeschichten von
Schimmellandschaften hinter Bildern
und Schränken; in Internet-Foren suchen Betroffene nach Leidensgenossen.
Längst beschäftigt der Streit um
den Schimmel die Gerichte. Das Landgericht Konstanz etwa gab vor einigen
Monaten einem Mann recht, der wegen
Feuchtigkeit und Schimmel in einem
neu gebauten Niedrigenergiehaus seine
Miete um 20 Prozent gekürzt hatte.
Auch ein Gutachten des Vermieters,
wonach kein Baumangel vorlag, überzeugte die Richter nicht. Ein übliches
Wohnverhalten dürfe nicht zu Schimmel führen, ein fünfmaliges Lüften sei
Mietern unzumutbar.
Die Fälle von Schimmelbefall lenken das Schlaglicht auf eine schwierige
wie teure Entwicklung – Deutschland
wird mehr und mehr zum Land der
Dichter und Dämmer. Spätestens seit
dem Atom-Ausstieg gilt das Motto, das
jeder Umweltpolitiker mantraartig wiederholt: „Die günstigste Energie ist jene, die gar nicht erst verbraucht wird.“
Zu diesem Zweck werden nicht nur die
energetischen Anforderungen an Neubauten verschärft, sondern auch Altgebäude energetisch ertüchtigt.
Diese führten
zu „unglaublich
hohen Kosten“, während die Einsparungen
bei den Energiekosten diesen
Aufwand nicht ausglichen. Er prophezeit steigende Mieten und Baukosten: „Letztlich müssen die Menschen
mehr Geld fürs Wohnen ausgeben.“
Das steht zwar im Widerspruch zu
der Forderung der Politik, preiswerten
Wohnraum zur Verfügung zu stellen.
Doch Energieeffizienz ist derzeit der
höchste Wert. Massive Kritik übt Stüven an Fehlsteuerungen durch die
Energieeinsparverordnung: Ihm sei ein
Fall bekannt, bei dem in einem Hamburger Neubau eine Holzpelletheizung
eingebaut worden sei, obwohl es auf
dem Grundstück eine Fernwärmeleitung gegeben habe. Der Grund: Für die
Pelletheizung gab es im Energiepass
„mehr Punkte“ als für einen Fernwärmeanschluss.
Kritiker wie Steiner oder Stüven
verweisen darauf, dass die Befürworter
des Dichten und Dämmens sich die
Energieeinsparung schönrechnen. Steiner beruft sich auf Erfahrungen in
Wien. „Passivhäuser und Niedrigenergiehäuser verbrauchen mehr Energie,
weil die Menschen meinen, dass sie für
Energie praktisch nichts bezahlen und
In Deutschland wird derzeit gedämmt, was das Zeug hält. Insgesamt wurden bereits fast 800 Millionen Quadratmeter Dämmplatten verarb
die Heizung aufdrehen.“ Rund zwei
Drittel des Energieverbrauchs hängen
aber direkt vom Verhalten der Bewohner ab: wie sie heizen, lüften, leben.
Und: Gut gedämmte Wohnräume müssen häufiger als weniger gut gedämmte
Räume gelüftet werden, um die Bildung
von Schimmel infolge zu hoher Luftfeuchtigkeit zu verhindern.
Auch der Verband norddeutscher
Wohnungsunternehmen – ihm gehören
312 Wohnungsgenossenschaften an –
ist mit den steigenden Kosten infolge
staatlicher energetischer Vorgaben unglücklich. „Die Energievermeidungskosten, etwa durch Dämmung, können
tatsächlich nur zum Teil auf den Mieter
umgelegt werden, die Kosten bleiben also zum großen Teil beim Vermieter“,
heißt es in einem internen Papier.
Durch die Energieeinsparverordnung
sei der Vermieter allerdings zu den
energetischen Investitionen verpflichtet. Der Verband spricht von einem „Investor-Nutzer-Dilemma“ und fordert
von der Politik, bei den Auflagen für eine energetische Gebäudesanierung die
Sozialverträglichkeit stärker als bisher
zu berücksichtigen.
Die Hamburger Bundestagsabgeordnete und Ex-Senatorin Herlind
Gundelach (CDU) kennt die zunehmende Kritik an der deutschen Energiepolitik und der Effizienz-Ideologie – und
widerspricht. „In gewisser Weise war
ich Pionier“, sagt sie. „Ich habe eines
der ersten Passivhäuser in der Hansestadt bauen lassen. Dabei konnte ich
mir selber das lange gar nicht vorstellen.“ Erstmals kam sie mit Häusern, die
Energetische Anforderungen an
Wohngebäude werden immer höher
Immerhin fast 40 Prozent des
Energieverbrauchs entfallen auf Immobilien. Bis Mitte des Jahrhunderts sollen Gebäude in Deutschland daher
80 Prozent weniger Energie verbrauchen. Den größten Anteil zur Senkung
des Energiebedarfs soll die Sanierung
von bestehenden Gebäuden liefern.
Hinzu kommen höhere Anforderungen an Gebäudequalität und Energieverbrauch. Deshalb werden die Bauten inzwischen technisch hochgerüstet
– für den Luftaustausch bekommen die
meisten Niedrigenergiehäuser etwa
komplexe Belüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung. Mithilfe stromintensiver Haustechnik wird dann herbeigeführt, was in alten Häusern serienmäßig war: die Zugluft.
„Derzeit herrscht ein Dämm- und
Steuerungswahnsinn, der den Interessen der Dämmstoffhersteller und der
Haustechnikfirmen folgt“, kritisiert der
Wiener Architekturexperte Dietmar
Steiner. Nach Zahlen des Fachverbandes
Wärmedämm-Verbundsysteme
wurden hierzulande 769,1 Millionen
Quadratmeter Dämmplatten verarbeitet – das ist eine Fläche, die größer als
das gesamte Stadtgebiet Hamburgs ist.
Und so soll es weitergehen. Der
Vorsitzende des Hamburger Grundeigentümerverbandes, Heinrich Stüven,
schüttelt den Kopf über die staatlichen
Vorgaben zur energetischen Sanierung.
Wärmedämmung an einer Außenwand.
So soll der Energieverbrauch ...
... der Wohnhäuser langfristig um
insgesamt 80 Prozent sinken
Ein großes Problem: Schimmel an einer Wand entsteht, wenn Feuchtigkeit die Wohnung nicht verlassen kann Fotos: dpa (5), Fabricius (1), Joost (1), Getty (2), Alimdi-Net (1)
+
ohne große Heizungen auskommen, bei
der Expo 2000 in Hannover in Kontakt
– und war entsetzt.
„Damals waren die Fenster nicht
einmal zu öffnen; Luftaustausch funktionierte allein über Belüftungssysteme. Das war für mich als Frischluftfanatikerin ein Graus.“ Ihre Vorbehalte fielen, als ein Bauträger für Passivhäuser
sie einlud, und Gundelach entschied
sich, ein Passivhaus in Wilhelmsburg zu
errichten. 2005 ist sie eingezogen. „Ich
bin sehr zufrieden, auch das Lüften ist
kein Problem“.
Obwohl sie eine zusätzliche Heizung eingebaut hat, liegen ihre Heizkosten heute bei rund 500 Euro im Jahr. In
ihrer Wohnung zuvor, die nur halb so
groß war, waren sie fast doppelt so hoch.
Gundelach hat die Umwelt- und Baupolitik der vergangenen Jahrzehnte geprägt, zunächst im Bundesumweltministerium, dann in Hessen und schließlich von 2004 an erst als Staatsrätin der
Hamburger Stadtentwicklungsbehörde, später als Wissenschaftssenatorin.
Hamburg wollte Vorreiter beim
energieeffizienten Bauen werden
„Wir haben in der CDU-Alleinregierung ein Programm beschlossen, um
Hamburg zum Vorreiter beim energieeffizienten Bauen zu machen.“ Gemeinsam mit der Handwerkskammer legte
der Senat Schulungsprogramme auf,
richtete üppige Fördertöpfe ein und
wagte sich an Leuchtturmprojekte: Bei
der Expo in Shanghai präsentierte sich
Hamburg mit einem Passivhaus. „Damals kam richtig was in Bewegung“,
schwärmt die Politikerin noch heute.
„Viele Architekten der Stadt haben sich
unglaublich reingekniet.“
Nicola Beck, Leiterin des EnergieBauZentrums in Harburg, weist darauf
hin, dass der Anteil gedämmter Gebäude in Hamburg doppelt so hoch ist wie
im gesamten Bundesgebiet. „Hamburg
gilt als Vorreiter.“ Die politische Vorgabe lautet, dass jedes Jahr zwei Prozent
des Wohnungsbestandes energetisch
saniert werden. Die Hamburgische
Wohnungsbaukreditanstalt förderte in
den vergangenen vier Jahren die energetische Sanierung von 25.000 Mietund Eigentumswohnungen. In der Hansestadt gelten mehr als 80 Prozent der
rund 900.000 Wohnungen als energe-
tisch sanierungsbedürftig. Allerdings
hat die Stadt das Tempo von einst beträchtlich gedrosselt. Noch 2008 legte
Schwarz-Grün über die Wohnungsbaukreditanstalt ein spezielles Förderprogramm auf, das Öko-Häuser mit insgesamt zehn Millionen Euro förderte.
Niedrigenergie-Häuslebauer bekamen
bis zu 24.700 Euro überwiesen, für Passivhäuser spendierte die Stadt sogar
31.200 Euro.
Investoren können selbst
entscheiden, mit welchem
energetischen Standard sie
bauen wollen.
Senatorin Jutta Blankau (SPD)
Doch seit 2009, als nach Angaben
der Stadtentwicklungsbehörde die
staatliche Förderung energieeffizienter
Neubauwohnungen bei rund 39 Millionen Euro lag, ist sie auf knapp 16 Millionen Euro in diesem Jahr gesunken.
Hinzu kommen rund neun Millionen
Euro für die energetische Modernisierung von Bestandswohnungen.
Stadtentwicklungssenatorin Jutta
Blankau (SPD) spricht von einer Neuausrichtung der Förderung. Es gehe darum, für einkommensschwächere Bürger bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. „Die Mittel haben wir für die Ausweitung von 1200 auf 2000 geförderte
Wohnungen eingesetzt, statt die energetischen Standards von frei finanzierten Wohnungen zu bezuschussen.“ Darüber hinaus setzt die Senatorin auf
Freiwilligkeit. „Investoren können
selbst entscheiden, mit welchem energetischen Standard sie bauen wollen.“
Der sozialdemokratischen Senatorin ist sehr wohl bewusst, dass die
Schaffung von bezahlbarem und energetisch anspruchsvollem Wohnraum ei-
BURG
Donnerstag, 3. April 2014
Vorbehalte gegen das überdimensionierte Dämmprogramm der Politik gibt
es inzwischen auch aus finanziellen
Gründen. Nach Berechnungen des
Prognos-Instituts im Auftrag der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) sind
bis zum Jahr 2050 rund 838 Milliarden
Euro an Investitionen notwendig, um
die klimapolitischen Ziele der Bundesregierung zu erfüllen. Der Pferdefuß daran: Die Wissenschaftler fanden auch
heraus, dass dadurch lediglich Energiekosten in Höhe von 372 Milliarden Euro
gespart werden. Nicht nur der Kreditanstalt kommen angesichts der erheblichen Differenz von 466 Milliarden Euro Zweifel.
Als Faustregel gilt inzwischen: Sind
ohnehin Sanierungsarbeiten am Dach
oder der Fassade nötig, rechnen sich
Energiesparmaßnahmen in den meisten Fällen. Wer allein aus Gründen der
Energieersparnis saniert, für den wird
es zu teuer – im Übrigen auch für die
Gesellschaft. Die milliardenschweren
Fördergelder setzen Fehlanreize. Rainer Scheppelmann, langjähriger stellvertretender Leiter der Leitstelle Klimaschutz bei der Stadtentwicklungsbehörde, hält die gesamte Energieeinsparverordnung daher für wirtschaftlichen
Unsinn.
Milliardenschwere Fördergelder setzen
Fehlanreize, die teuer werden können
Bis zum Jahr 2002 sei ein Ziegelmauerwerk mit 36,5 Zentimetern als
ausreichend wärmedämmend angesehen worden, schreibt er in einem Beitrag. Dann habe die Verordnung festgelegt, dass auch derartige Mauerwerke
einer zusätzlichen Fassadenisolierung
bedürften. „Durch diese Verordnung
wurden per Definition plötzlich ‚gesunde‘ Bestandsgebäude zu ‚kranken‘ Gebäuden“, sagt Scheppelmann. Das Mitglied der Hamburger Grünen macht den
Einfluss der Dämmstofflobby für diese
kostspielige Änderung verantwortlich.
„Nun wurden Fassadendämmstoffe zu
einem der umsatzstärksten Produkte
der Baustoffindustrie.“
Der Markt bietet in der Tat gigantisches Potenzial: In Deutschland stehen
rund 18 Millionen Wohngebäude. Mehr
als zwei Drittel wurden vor 1979 erbaut
- also vor der Einführung der ersten
Wärmeschutzverordnung.
Entsprechend groß sind die Unterscheide beim
Energieverbrauch. Im Durchschnitt
liegt er bei jährlich 177 Kilowattstunden
(kWh) pro Quadratmeter, was in etwa
17,7 Litern Heizöl entspricht.
Während ein Viertel aller Gebäude
sogar mehr als 205 Kilowattstunden
pro Quadratmeter verbraucht, begnügen sich Neubauten mit rund 50 kWh.
Um solche Werte zu erreichen, wird gedichtet und gedämmt: 2010 gaben die
Deutschen 16,2 Milliarden Euro für die
Isolierung von Wohngebäuden aus. Einer Studie der Unternehmensberatung
Roland Berger zufolge sollen sich die
Ausgaben bis zum Jahr 2020 auf mehr
als 32 Milliarden Euro verdoppeln.
Wo so viel Geld zu verteilen ist,
wachsen die Begehrlichkeiten. Gerade
die Chemieindustrie, aber auch viele
Handwerker leben gut vom Dichten
und Dämmen. Bis zu 300.000 Arbeitsplätze, so Prognos, könnten in der Bauwirtschaft und dem Handwerk gesichert werden. Die Kritiker haben es da
nicht leicht, durchzudringen. Zumal es
um ein Ziel geht, das politisch mehr als
korrekt ist: Ressourcen schonen, Energie einsparen, Klima retten.
Zu wenig ist die Rede davon, mit
welchen Alternativen diese Ziele erreichbar sind – abseits von Styropor
und Biozid-Fassaden. „Wir müssen gerade bei der Sanierung von denkmalgeschützten Gebäuden ganzheitlich denken und uns nicht auf Wärmeverbundsysteme fixieren – mit einer neuen Heizung oder neuen Fenstern kann man
auch schon eine Menge machen“, sagt
auch Gundelach. Bei der anstehenden
novellierten Energieeinsparverordnung fordert sie Augenmaß, damit der
Bau von Wohnungen bezahlbar bleibe. Für Familie
Roth geht nichts
mehr. Sie wird aus ihrem
Niedrigenergiehaus ausziehen und sucht schon eine neue
Wohnung, unbedingt ungedämmt.
beitet – eine Fläche, die größer als Hamburg ist
ne Gratwanderung ist. „Wir müssen
Energiewende und Klimaschutz voranbringen, ohne dass zu große finanzielle
Lasten von Modernisierungen auf den
Schultern der Mieter ruhen.“
Gundelach bedauert den Ausstieg
der Hansestadt aus der ehrgeizigen Politik von einst. „Das ist schade. Hier hatte die Stadt ein Alleinstellungsmerkmal
und verspielt nun ihre Führungsrolle.
Städte müssen zeigen, wie man energie-
Die SPD
tut sich mit dem
Umweltschutz
manchmal schwer.
Herlind Gundelach (CDU)
optimiert baut. Aber die SPD tut sich
mit dem Umweltschutz manchmal
schwer.“ Die anschwellende Kritik an
Wärmedämmung und energieeffizientem Bauen hält sie für übertrieben.
„Wenn man das einen Fachmann machen lässt, gibt es kein Problem“, sagt
Gundelach. „Im Land der Baumärkte
bringen auch Laien hochkomplexe Wärmeverbundsysteme in Eigenregie an
den Häusern an. Das ist ein Fehler.“
In der Tat führen viele Experten
wie das Aachener Institut für Bauschadensforschung die großen Probleme
mit Schimmel auf falsche Montage von
Dämmmaterialien und Fehler der Bewohner beim Lüften zurück. Bezogen
auf alle deutschen Wohnungen liegt der
Schimmelbefall bei 9,3 Prozent.
Angesprochen auf fehlerhafte
Dämmarbeiten sagt Nicola Beck vom
EnergieBauZentrum, der Markt sei
durch Herstellerschulungen dominiert.
In vielen Fällen werde der gesamte
Fachbetrieb zertifiziert, aber nicht der
einzelne Mitarbeiter. Wenn der Meister
sein Wissen aber nicht richtig an die
Mitarbeiter weitergebe, könne es zu
Problemen kommen. Die öffentliche
Hand hat inzwischen reagiert. So ist die
Vergabe von staatlichen Fördermitteln
daran gebunden, dass ein zusätzlicher
Qualitätssicherer die Installation der
Dämmplatten begutachtet. Dieser muss
bestätigen, dass alles richtig gemacht
wurde, sonst fließt kein Geld von der
Förderbank.
Doch die Probleme mit den ungeliebten Sporen und der mangelnden
Qualität beim Anbringen von Dämmmaterialien sind nur ein Kritikpunkt.
Umstritten sind die Wärmeverbundsysteme auch, weil sie meist aus leicht
brennbarem Polystyrol bestehen. Dieser Stoff ist um die Hälfte günstiger als
andere Dämmmaterialien wie Steinwolle oder nachwachsende Rohstoffe.
„Es gibt inzwischen genügend Fassadenbrände, die belegen, dass Polystyrol
brennt wie die Pest“, sagt Stüven. „Das
ist ein Erdölprodukt, bei dem letztlich
selbst Brandhemmer nicht helfen.“
Doch damit nicht genug: Der vermeintlich ökologische Dämmstoff von
heute ist das Umweltrisiko von morgen.
Volker Halbach vom Hamburger Bund
der Architekten sagt: Letztlich werde
mit einem nicht abbaubaren Material
ähnlich wie Plastik gedämmt. In 30 bis
50 Jahren müsse man dieses Material
als Sondermüll entsorgen.
Das Dämmmaterial belastet die Umwelt
schon heute und wird zu Sondermüll
Doch gedämmte Fassaden belasten
schon zu ihren „Lebzeiten“ die Umwelt.
Da sie anfällig für Schimmel und Algen
sind, werden die Platten mit biozidhaltigen Farben oder Putz beschichtet.
Diese Chemikalien sollen eigentlich vor
Insekten, Pilzen und Mikroben schützen. Da sie wasserlöslich sind, werden
sie nach und nach vom Regen aus den
Fassaden herausgespült – und gelangen
in die Kanalisation.
Inzwischen schlagen auch Vogelschützer Alarm. Zwar sieht der Gesetzgeber vor, dass der Hauseigentümer vor
einer Sanierung oder Dämmung prüfen
muss, ob an seiner Fassade oder unter
seinem Dach seltene Vögel leben. „Allerdings macht das kaum ein Hausbesitzer, und die Behörde hat zu wenig Personal für die Kontrolle“, beklagt Marco
Sommerfeld vom Naturschutzbund
(Nabu) Hamburg. Der Vogelschützer
hat beobachtet, wie den Vögeln „ganze
Straßenzüge“ verloren gingen. „Wenn
sieben ober acht Gebäude saniert werden, haben die Tiere keine Heimat
mehr.“ Besonders die in Hamburg heimisch gewordenen Mauersegler sind
vom Verlust ihrer angestammten Brutund Nistgebiete betroffen. Marco Sommerfeld schätzt, dass rund 5000 Mauersegler in der Hansestadt leben. Noch.
Doch nicht nur Umweltschützer
haben schwere Bedenken; auch Denkmalschützer winden sich mit Grausen.
In den vergangenen Jahren verschwanden viele typische Rotklinkerbauten in
Hamm, Dulsberg, Barmbek, Winterhude und Altona mehr und mehr hinter
eintönigen Wärmeverbundsystemen.
Simse und filigrane Fassadenelemente
entfielen, Fenster rutschten durch die
überdimensionalen Dämmbauten weiter zurück. Es entstand der berüchtigte
Schießscharteneffekt.
„Wir erleben da einen Wandel von
der roten zur weißen Stadt“, sagte seinerzeit Peter Braun, Professor der HafenCity Universität und Experte für Gebäudetechnik. Hamburg, dem der rote
Backstein Identität stiftet, verändert
sein Gesicht. Die Bedenken des Denkmalschutzes teilt auch Herlind Gundelach. Als Hamburger Wissenschaftssenatorin hat sie diese in der Debatte aktiv vertreten und in den Förderleitfaden
des Bundes hineingetragen.
Damals waren viele Verantwortliche der Stadt bereit, auch denkmalgeschützte Bauten sowie Fassaden mit
Dämmplatten zu versehen und so den
Charakter der Gebäude grundlegend zu
verändern. „Wir müssen mit unseren
Denkmälern vorsichtig umgehen und
auch einmal mit 30 bis 40 Prozent
Energieeinsparung zufrieden sein“, betont Gundelach.
Mehr und mehr Experten raten
längst, sich von der einseitigen Konzentration auf Wärmeverbundsysteme zu
verabschieden. Das Dämmen des Daches und des Übergangs zum Keller ergebe mehr Sinn. Warme Luft steigt nach
oben, weshalb dem Dach besondere Bedeutung zukommt. Zwar sind inzwischen zwei von drei Dächern saniert,
aber nur jede fünfte Kellerdecke. Dabei
gehen sieben Prozent der Heizenergie
durch nicht gedämmte Keller verloren.
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13
„In Geiselhaft der
Styroporindustrie“
Dietmar Steiner vom Architekturzentrum Wien übt scharfe Kritik
:: Er ist einer der größten Kritiker der
Dämmindustrie: Dietmar Steiner, Direktor des Architekturzentrums Wien,
sagt: „Maximale Dämmung und maximale Technisierung sind ein Irrweg.“
Das Abendblatt sprach mit ihm.
Hamburger Abendblatt: Kommen Sie noch
gern nach Hamburg? Die Stadt versteht
sich als ein Vorreiter der energiesparenden Bauweise.
Dietmar Steiner: Hamburg ist die
schönste Stadt Deutschlands, da komme ich immer gern. Nicht nur hier,
deutschlandweit gibt es eine unheilige
Allianz aus Politik und Baustofflobby,
die etwas Gewaltiges verspricht: Energie sparen und Heizkosten senken.
Wer will das nicht?
Steiner: Dämmen gilt als die einfachste
Antwort. Nur hat es weder mit Heizkostenersparnis noch mit Klimaschutz etwas zu tun.
Das ist eine steile These ...
Steiner: Das Dämmen ist eindimensional – es erinnert mich an einen Autofahrer, der aus Angst vor Winterwetter
Wir müssen lernen, dass
24 Grad in allen Jahreszeiten
zu viel sind – wir können
auch bei 19 Grad
im Winter leben.
ständig mit Schneeketten unterwegs ist.
Hauptsächlich handelt es sich ja um das
Dämmen von Außenwänden mit herkömmlichen Wärmeverbundsystemen.
Doch zu welchem Zweck? Will ich CO2
sparen, muss ich auf nachhaltige Energiegewinnung gehen; tue ich das, muss
ich aber nicht mehr dämmen. Möchte
ich Heizkosten senken, bin ich beim
Dämmen. Aber das ist in einer Sackgasse gelandet. Wir haben in Wien eine
Passivhaussiedlung gebaut und stellen
dort nun fest: Passivhäuser und Niedrigenergiehäuser verbrauchen mehr
Energie, weil die Menschen meinen,
dass sie für Energie praktisch nichts bezahlen, und die Heizung aufdrehen.
Sind die Menschen zu dumm für die
„intelligenten Häuser“?
Steiner: Dumm sind vor allem die intelligenten Häuser und die statischen Simulationen. 70 Prozent des Energieverbrauchs hängt von den Bewohnern ab.
Das wird gern übersehen. Die Passivhäuser sind mit ihrer Haustechnik in eine Dimension vorgedrungen, wie man
sie vom Auto her kennt. Häuser sind
doch keine Autos. Das System mit Belüftungsanlagen ist so komplex, dass es
jährlich gewartet werden muss. Diese
langfristigen Kosten fressen jedes Einsparvolumen auf. Hinzu kommt der erhöhte Stromverbrauch.
Was aber ist die Alternative? Der
Heizenergieverbrauch soll bis zum
Jahr 2050 um 80 Prozent sinken.
Steiner: Wir müssen zurück auf Los. Die
Frage ist doch: Wie müssen wir bauen,
damit wir uns in den Häusern wohlfühlen, ohne dass sie technisch extrem
komplex werden? Es gibt Vorbilder wie
das Bürogebäude 2226 in Lustenau, das
ohne Heizung, Lüftung und Kühlung
auskommt – mit einer ausgeklügelten
Architektur, hohen Räumen, wenig
Fensterraum und einer Außenwand aus
Ziegeln. Das ist günstiger als jede technische Aufrüstung. Maximale Dämmung und maximale Technisierung
sind ein Irrweg. Nachhaltigkeit bedeutet, Gebäude zu bauen, in
denen wir noch in 100 Jahren leben wollen. Dabei
sollten wir die alten Werte des Bauens mitdenken.
Rotklinker
verschwindet
hinter Dämmplatten, Jugend-
Dietmar Steiner,
Direktor des Architekturzentrums
Wien Foto: W. Dechau
stilhäuser bekommen neue Einheitsfassaden – verändern sich unsere Städte?
Steiner: Das steht zu befürchten. Dabei
sind gerade Gründerzeitbauten mit ihren dicken Wänden und Speichermassen klimatisch besser aufgestellt als die
Bauten der 70er. Es bedarf einer genauen Analyse – meist genügt eine Dämmung der Decken, die bringt deutlich
mehr als jede Fassadendämmung. Oft
reicht das Anbringen von Fensterläden
– die halten im Sommer die Hitze ab
und im Winter die Kälte. Auch der
Backstein ist ein großartiger Baustoff.
Es ist eine architektonische Katastrophe und kulturelle Sünde, ihn hinter
Wärmeverbundsystemen verschwinden zu lassen. Der Verlust der Klinkerkultur wäre eine so große kulturelle
Entwurzelung, dagegen ist jeder energetische Gewinn zu vernachlässigen.
Warum ist der Denkmalschutz so zahm?
Steiner: Jeder hat Angst, öffentlich gegen das Energiesparen einzutreten. Das
gilt mittlerweile als höheres Ziel als alle
kulturellen Überlegungen. Es gibt eine
regelrechte Dämmungsreligion – die öffentliche Meinung und die Politik sind
in Geiselhaft der Styroporindustrie.
Geiselhaft?
Steiner: Die Förderprogramme sind das
Kernproblem. In der Schweiz, in Österreich und Deutschland fließen reichlich
Fördermittel, um kubikmeterweise Styropor auf die Fassaden zu kleben. Das
ist eine Katastrophe, weil diese Dämmung zu 90 Prozent unsachgemäß aufgetragen wird. Wärmeverbundsysteme
sind der vielleicht gefährlichste Baustoff, betrachtet man die Probleme mit
Algenbildung, Ausschwemmung von
Giften, der Brandgefahr. Und über die
Entsorgung des Sondermülls macht
sich heute auch noch keiner Gedanken.
Diese Ideologie der Dichte
führt dazu, dass wir eigene
Lüftungselemente
in die Fensterrahmen
einbauen. Das ist paradox.
Übrigens sieht man das Dämmen außerhalb des deutschsprachigen Gebiets
viel kritischer, etwa in Skandinavien
oder Frankreich. Die Fenster dort sind
ein Drittel so stark. Ich sitze in Wien im
Beirat für den öffentlich geförderten
Wohnungsbau. 99 Prozent der Wohnungen bekommen Dreifachverglasung
und Wärmedämmung. Diese Ideologie
der Dichte führt dazu, dass wir eigene
Lüftungselemente in die Fensterrahmen einbauen. Das ist paradox.
Ist Schimmel ein typischer Begleiter von
dichten Häusern?
Steiner: Beim Schimmel gibt es mehrere
Probleme. Oft werden die Häuser zu
früh bezogen, wenn sie noch nicht trocken sind, das zweite ist die Dichtheit
und falsches Lüftungsverhalten.
Was raten Sie den Bewohnern? Umziehen?
Steiner: Nein, wie gesagt sind 70 Prozent abhängig vom Verhalten der Bewohner. Da sollten wir ansetzen. Wir
sind eine Heizkörpergeneration, für die
Wärme selbstverständlich ist. Wir müssen lernen, dass 24 Grad in allen Jahreszeiten zu viel sind – wir können auch bei
19 Grad im Winter leben – man muss ja
nicht im T-Shirt durchs Haus laufen.
Wichtiger und richtiger als jede Dämmung wäre eine Verhaltensänderung.
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