19 Interview 38 Bauhistorie der HFT Stuttgart: eine Reminiszenz auf dem Hofdienergelände statt. In dieser Phase des Wiederaufbaus halfen Studierende beim Schutträumen, bei der Holzbeschaffung im Wald und bei der Ziegelherstellung mit. Es musste jeder 360 Arbeitsstunden nachweisen, um dann ab 1948/49 an der Staatsbauschule studieren zu dürfen. Interview mit Prof. Dr.-Ing. Walter Kieß, ehemaliger Professor für Baugeschichte, Stadtbaugeschichte und Denkmalpflege an der HFT Stuttgart Prof. Dr.-Ing. Walter Kieß im Gespräch mit Michaela Leipersberger-Linder. Foto: Sandra Wrage Leipersberger (L): Herr Kieß, Sie sind Jahrgang 1928 und waren von 1962/63 bis 1993 Professor für Baugeschichte, Stadtbaugeschichte und Denkmalpflege an der heutigen HFT Stuttgart. Sie sind ein wahrer Zeitzeuge. Kieß (K): (lacht) Stimmt. Aber Sie wissen ja: Zeitzeugen muss man mit Vorsicht genießen. L: Das tue ich, wobei die Betonung auf »genießen« liegt. Herr Kieß, baugeschichtlich hat die heutige HFT Stuttgart eine bewegte Vergangenheit hinter sich. Beginnen wir mit Joseph von Egle. Er war für die heutige HFT Stuttgart ein wichtiger Mann. K: Man könnte sagen, Joseph von Egle war der Schulheilige dieser Hochschule. Den historischen Bau am Stadtgarten könnte man auch Egle-Bau nennen. Egle hat die Grundrissdisposition für diesen Bau, den heutigen Bau 1, einem Franzosen nachempfunden, dem französischen Architekturtheoretiker Jean-Nicolas-Louis Durand. Die Anordnung der zwei Lichthöfe folgte den Ideen Durands, ihre Ausformung dem Vorbild der florentinischen Renaissance-Palazzi, beispielsweise dem Palazzo Medici-Ricardi oder Palazzo Strozzi. Egle war ein belesener Mann. Als Korrespondent für Försters Bau 1: historisie- ‚Wiener Allgemeine Bauzeirende Architektur tung‘ kannte er die Vertreter der französischen École polytechnique, die damals für die ganze Welt maßgebend waren. Sein Entwurf für den Bau hat jedoch einen dramatischen Verlauf genommen, als sich nämlich mitten im Bauvorhaben herausstellte, dass die geplanten Hörsäle nicht ausreichen werden. In seiner Not hat er dann seine Pläne kurzfristig geändert und anstatt, wie geplant, dem Gebäude einen antikisierenden Attika-Dachabschluss zu geben, setzte er den drei Hauptgeschossen ein französisches Mansarddach auf, in das er die fehlenden Zeichensäle und Sammlungsräume legte. L: Der alte Egle-Bau wies also keine einheitliche Architekturform auf? K: Nein. Durch diese formalen Veränderungen hat der EgleBau eine Stilvermischung erhalten, bei der das rustizierte Erdgeschoss dem italienischen Renaissance-Muster folgte und die Obergeschosse und das Dachgeschoss sich nach dem Formenkanon der französischen Renaissance-Schlösser richteten. Man muss bedenken, 1850 bis 1880 war die hohe Zeit des Eklektizismus, das bedeutet »auswählen«. Egle hat diesen Bau, der Mode gehorchend, aus verschiedenen Stilstufen und Motivkreisen der historischen Architektur ausgewählt. L: Wie wurde das in dieser Zeit bewertet? K: Nun, wer dieses Vorgehen am besten verstanden hat, war der Beste. Doch es gab mit Blick auf unsere Hochschule noch ein anderes Problem. Egle hatte in der Zeit von 1861 bis 1864 die Polytechnische Schule auf der anderen Seite des Stadtgartens gebaut und zwar in italienischer Hochrenaissance. Für die Abgeordneten der Württembergischen Kammer war es unvorstellbar, dass eine Baugewerkeschule für Bauführer auch in diesem noblen Baustil gebaut wird. Am liebsten wäre ihnen gewesen, die Schule wäre in Backstein gebaut worden. L: Das ist uns erspart geblieben. Egle hat seine Ideen dann doch umsetzen können? K: Ja, aber er hat die Lust an diesem Bau, obwohl er Vorstand dieser Schule war, noch vor der Fertigstellung verloren, denn zu dieser Zeit hat er bereits die neogotische Marienkirche an der Tübinger Straße gebaut. L: Aber schön ist diese Architektur immer noch, oder? K: Sicherlich, nach ihrer Textur und Plastizität wird sie immer noch als schön empfunden. Doch der Hauptvorwurf gegen diese historisierende Architektur besteht eben darin, dass sie keine schöpferischen Potentiale aufweist. L: Es sich also um eine Reproduktion handelt? K: Ja, es steckt keine Originalität, keine Potenz darin. Es ist alles nachgemacht, man könnte auch sagen, nach Vorlagen »abgekupfert«. Ein Architekt will beim Entwerfen erfinden und neu gestalten. Doch trotz diesen Einwänden: Was war Ihr Eindruck, als Sie das erste Mal in das Gebäude kamen? L: »Hier will ich arbeiten!« Es hat mir sehr gut gefallen und das tut es heute noch. K: Natürlich, diese zwei Lichthöfe, die man zuerst wahrnimmt, sind etwas ganz Besonderes, eine architektonische Rarität. L: Im Krieg wurde das Gebäude zerstört. Eine Chance, den Bau zu verändern? K: Richtig. Brand- und Sprengbomben haben in den Luftangriffen am 15. und am 26.7. 1944 sowie am 12. und 13.9.1944 dem Schulgebäude schweren Schaden zugefügt. Zur selben Zeit war ich auf dem Birkenkopf bei einer schweren Flakbatterie. Ich habe diese Luftangriffe mitgemacht und die enstandenen Schäden gesehen. L: 1938 wurde der Name der Hochschule in Staatsbauschule geändert? K: Ja. Zur Reichsvereinheitlichung wurden in dieser Zeit im ganzen Deutschen Reich Höhere Bauschulen in Staatsbauschulen umbenannt. L: Wurde der Name »Staatsbauschule«, der eindeutig auf das Dritte Reich verweist, nicht zwingend mit etwas Negativem verbunden? K: Das scheint mir nicht der Fall gewesen zu sein. Wir hatten an diesem Namen nichts auszusetzen. Er hatte etwas Bodenständiges, Solides – natürlich auch durch die Lehrenden, die den Ruf und Namen der Schule bestimmten. L: Nach dem Krieg halfen Studierende mit, die Staatsbauschule wieder aufzubauen? K: In der Zeit von 1946 bis 1947 fand eine behelfsmäßige Lehrtätigkeit in der Degerlocher Filderschule und in Baracken L: Eine ganz andere Art von Vorpraktikum, als es heute gefordert ist … Wollen wir uns mit Blick auf die weitere baugeschichtliche Situation der HFT Stuttgart an den Direktoren und Rektoren orientieren, die diese Hochschule geleitet haben? K: Wenn man bauhistorische Betrachtungen zur HFT StuttZerstörung von gart anstellt, sollte man vom WieBau 1 – deraufbau der Staatsbauschule nach dem Krieg ausgehen. Dem Studierende eigentlichen Wiederaufbau der helfen beim Schule ging 1947 die Berufung von Professor Rudolf Lempp als Wiederaufbau Direktor der Staatsbauschule voraus. Lempp war seit 1929 Ordinarius für Baukonstruktion und Hochbaukunde an der Bauingenieurabteilung der TH Stuttgart. Er wurde nun von der Regierung gebeten, der darniederliegenden Staatsbauschule aufzuhelfen und sein Ordinariat mit deren Direktorat zu vertauschen. L: Wird er das als Abstieg empfunden haben? K: Nun, es war zwar außergewöhnlich, dass ein Lehrstuhlinhaber einer Technischen Hochschule an eine Staatliche Ingenieurschule – hier die Staatsbauschule ­überwechselte. Lempp hat diese Entscheidung jedoch, der Baukultur wegen, sehr überlegt getroffen. Und der allseits bekannte Architekturprofessor Paul Bonatz hat dies von Istanbul aus mit den Worten kommentiert: »Endlich der richtige Mann auf dem richtigen Platz«. L: Sollte Lempp, Schüler von Bonatz, auch den Wiederaufbau des in Trümmern daliegenden Egle-Baus übernehmen? K: Genau das war beabsichtigt. Nach den Plänen von Lempp erfolgte von 1948 bis 1951 der Wiederaufbau der Staatsbauschule und zwar zuerst die südliche Gebäudehälfte entlang der Kanzleistraße und der Schellingstraße. Lempps Aufbauplan hielt sich weitgehend an Egles alte Pläne. Der Grundriss wurde kaum verändert, die beiden stark beschädigten Lichthöfe wurden in ihrer historischen Form wieder aufgebaut. Neu eingebaut wurde ein größerer Hörsaal als Aula im zweiten Stock. Anstelle der schlecht belichteten früheren Räume im Mansarddach, die vollständig zerstört waren, entstand als Dachabschluss ein voll ausgebautes Attikageschoss, ein bisschen zurückgesetzt, mit einer durchgehenden Befensterung. Es wies dann die lichtesten Räume des ganzen Baus auf. L: Der Wiederaufbau erfolgte demnach in zwei Bauabschnitten, ist das richtig? K: Ja. Die Finanzierung des 2. Bauabschnitts von 1951 bis 1953 gestaltete sich aus finanziellen Gründen sehr schwierig. Es war, wie heute auch, kein Geld da. Immerhin konnte der nördliche Bauteil entlang der Breitscheidstraße 1951 im Rohbau fertig gestellt werden. Eingeweiht wurde er bei der Amtseinführung des neuen Direktors Karl Gonser am 17. Oktober 1953, aber die Arbeiten an der Bibliothek, dem Lesesaal und der Kantine zogen sich bis in das Jahr 1955 hin. Am 11. November 1955 überreichte der Leiter des Staatlichen Hochbauamtes I der Schule symbolisch einen goldenen Schlüssel. Das war wohl als Abschluss der Wiederaufbauarbeiten zu verstehen. L: In welchen Bereichen kamen die Absolventen damals unter? K: Nach den Studienprogrammen von 1960 war die Ingenieurschule eine Höhere Technische Lehranstalt für Bauwesen, Wasserbau und Vermessung. Das muss man vielleicht deshalb ein wenig betonen, weil durch den Übergang zur Fachhochschule für Technik 1971 aus dieser spezifischen Bauschule eine technikorientierte Hochschule geworden ist, wenn auch schon damals ein Wasserbaukurs und eine Vermessungsabteilung vorhanden waren. Diese staatliche Bauschule hat Architekten und Bauingenieure in einem Einheitsstudium für die Privatbautätigkeit sowie Beamte für den gehobenen bautechnischen Verwaltungsdienst in der Bundes-, Länder- und Gemeindeverwaltung ausgebildet. L: Wie sah die Lehre an dieser damaligen Staatsbauschule nach dem Wiederaufbau von 1953 bis zu den Studentenunruhen von 1968/69 aus? K: Aufschlussreich für die Lehre war die Besetzung des Lehrkörpers, also die Zusammensetzung der hauptamtlichen Dozenten, der Bauräte und Professoren. Die meisten dieser Lehrkräfte waren noch unter Rudolf Lempp in der Zeit von 1947 bis 1953 in den Dienst der Schule getreten. Hochschule für Technik Stuttgart Stallgeflüster 38 Oktober 2012 20 Interview 38 Man könnte deshalb mit einigen Vorbehalten von einem »Kreis um Lempp« sprechen, der von der Architektur her gesehen der sogenannten »Stuttgarter Schule« angehörte. Stuttgarter Aber auch die im weiteren VerSchule: lauf der 1950er Jahre hinzuge»Schönheit ruht kommenen Architekturdozenten – Karl Gonsor, Ludwig Schweiin der Ordnung« zer, Ludwig H. Kresse – zählten nach ihrem Architekturstudium an der TH Stuttgart unter Paul Bonatz, Paul Schmitthenner, Heinz Wetzel, Ernst Fiechter und Wilhelm Tiedje zur »Stuttgarter Schule«. Das bedeutet: Sie vertraten eine gemeinsame Bauauffassung und hatten ein relativ einheitliches Lehrkonzept. L: Da war also fast kein Platz für Neues? K: Wenig. Allerdings war dieser Lehrkörper dann doch nicht so homogen, wie es auf den ersten Blick scheinen mochte. Prof. Paul Stohrer, der an der Höheren Bauschule und vor und während des Krieges an der TH Stuttgart ausgebildet worden war, hob sich von den Kollegen dadurch ab, dass er gleich in den ersten Nachkriegsjahren konsequent modern baute, was seine Wohnbauten und vor allem das Stuttgarter Rathaus, ein Gemeinschaftswerk mit Hans Paul Schmohl, beweisen. Stohrer ermöglichte in seinen Fächern »Entwerfen« und »Innenraumgestaltung« vielen Studierenden, sich in modernen Entwürfen zu üben. So verschaffte er auch nach außen hin der Staatsbauschule neben ihrem konservativen Ruf ein Image der Fortschrittlichkeit und des Aufbruchs. L: Das Image der Hochschule war aber vorrangig geprägt von den Vertretern der Stuttgarter Schule. Was waren die Prinzipien der »Stuttgarter Schule«? K: Dazu möchte ich gerne eine Zitat aus dem Gedenkbuch zum einhundertsten Geburtstag von Paul Schmitthenner aufführen: »Schönheit ruht in der Ordnung.« Merkmal der Stuttgarter Schule war das Bestreben nach Erneuerung der Die StaatsbauArchitektur vom Handwerk her, schule hatte von der sorgfältigen Fügung der einen guten Ruf Baustoffe sowie der Auffassung, ein Bauwerk durch Erleben der geschichtlichen, geographischen, klimatischen und wirtschaftlichen Bedingungen des Ortes und seiner Landschaft zu gestalten. Die Anliegen der Stuttgarter Schule waren der Schutz der Landschaft und die Anpassung an das Gelände. Dinge, die beim Entwerfen zum Tragen kommen. Weiterhin wichtig waren Einpassung und Einbindung in die vorhandene Stadtstruktur, einfaches handwerkliches und materialgerechtes Bauen, Verwendung traditioneller und ortstypischer Materialien, also Natursteine, Holz, Fachwerkbau usw. und der Bezug zum menschlichen Maßstab. L: Wie kam diese Lehre auf dem freien Markt an? K: Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Stuttgarter Staatsbauschule mit dieser Bauauffassung und dieser Lehre nach dem Krieg den Studierenden zwar eine konservative, aber für die Baupraxis solide und praktische Ausbildung vermittelt hat. Aufgrund ihrer Kenntnisse in den Fächern Baukonstruktion, Statik, Grundbau, Bauorganisation und Verdingungswesen, waren die Absolventen der Staatsbauschule als Baufachleute gesucht und anerkannt. Und die in ihr ausgebildeten Stadtbaumeister haben in den Gemeinden und die Kreisbaumeister in den ländlichen Bezirken ganz wesentlich das Bauwesen bestimmt. Die Staatsbauschule hatte einen guten Ruf. L: War diese Konzeption der Lehre mit Blick auf die Entwicklung der Architektur in den 1950er und 1960er Jahren zeitgemäß? Nach der Zeit der Entbehrungen und Verluste stellte sie vermutlich eine Sicherheit dar, aber neue Impulse haben gefehlt, oder? K: Das stimmt. In diesen Jahren galt es, sich mit neuen Baustoffen und neuen Konstruktionsmöglichkeiten – industrielle Vorfertigung, Schalenbau, Spannbetontechnik, Leimbinder usw., auseinanderzusetzen. Tatsächlich geriet die Staatsbauschule – das habe ich selbst miterlebt – mit diesen Dozenten in ein gewisses Dilemma. Es blieb ihr gar nichts anderes übrig, als sich den Anforderungen der neuen Zeit zu stellen, zumal die Architekturabteilung der TH Stuttgart unter der Leitung von Richard Döcker seit Kriegsende im Sinne der modernen Sachlichkeit wirkte. Döcker war extrem modern. Mit ihm lehrten an der TH Stuttgart die Architekten Rolf Gutbier, Günter Wilhelm, Rolf Gutbrod – alles bekannte Namen in der Architekturszene –, die zwar auch bei Bonatz, Schmitthenner und Wetzel studiert hatten, sich aber nach dem Krieg einer neuen Formensprache bedienten und die moderne Architektur voll und ganz bejahten. L: Wie hat sich der Gegensatz von »Stuttgarter Schule« und »Moderne« in Bauten ausgewirkt? K: Inbegriff der Moderne war in Stuttgart die 1927 erbaute Weißenhofsiedlung. Die Kochenhofsiedlung von 1933 dagegen war als ein Lehrstück der Stuttgarter Schule gegen die moderne Architektur gedacht. Einige Häuser der Kochenhofsiedlung wurden von Dozenten der Staatsbauschule gebaut. Damit war die Staatsbauschule als konservativ einsortiert und positioniert. Und es war für jeden nach außen hin sichtbar. L: Ist konservativ gleichzusetzen mit rückständig? K: Ich möchte bei dem Begriff »konservativ«, also »bewahrend« bleiben. Aber wenn die fortschrittlichen Vertreter der Stuttgarter Schule jenseits des Stadtgartens, also an der Architekturabteilung der TH Stuttgart, mit Flachdächern operierten und die Schmitthenner-Anhänger der Staatsbauschule auf der anderen Seite des Stadtgartens mit Steildächern hantierten, dann war natürlich der Gegensatz zwischen dem einen Lager »modern« und dem anderen Lager »konservativ« augenscheinlich und für alle sichtbar. L: Wann setzte der Wandel ein? K: In den 1960er Jahren, unter Direktor Karl Gonser, und dann, ab 1967 unter Direktor Ludwig H. Kresse, begann mit der Berufung neuer und jüngerer Dozenten an die StaatsErsatzlösungen bauschule die Wende. Als statt Lehrkräfte berufen wurden Gerhard Greif, Theophil Seemüller, EweiterungsWerner Schulze-Ardey, Hansbauten Dieter Lutz, Rolf Schmalor, der später ebenfalls Direktor unserer Hochschule wurde, und ich. Wir brachten frischen Wind an die Hochschule. Der Übergang zu einer neuen, modernen Architekturlehre wurde dadurch mit in die Wege geleitet. Unterstützt wurde diese Tendenz dann aber noch durch die Studentenunruhen von 1968/69 bis 1971. Mit der Einführung eines Hochschulzuges mit Abiturienten im SS 1970 in der Fachrichtung Hochbau wurde die Entwicklung zur Fachhochschule eingeleitet. Offiziell wurde diese Bezeichnung ab 1971 benutzt. Die Architekturlehre der »Stuttgarter Schule« spielte ab diesem Zeitpunkt keine wesentliche Rolle mehr. L: Die räumliche Situation unserer Hochschule war aber immer – durch alle Zeiten hinweg – angespannt, nicht wahr? K: Richtig. Vor allem bei der Entwicklung von der Staatsbauschule zur Fachhochschule und dem damit verbundenen Anstieg der Studierendenzahlen, trat die schwierige räumliche Situation der Hochschule immer deutlicher in den Vordergrund. Neue Studiengänge brachten immer mehr Studierende an unsere Hochschule, die nicht mehr alle in dem alten Egle-­Bau unterrichtet werden konnten. L: Sprich: Die Hochschule platzte aus allen Nähten? K: Ja. Bereits Ende der 1950er Jahre war klar, dass der wiederaufgebaute Egle-Bau für die stark gestiegene Studierendenzahl nicht mehr ausreichte. Unter Direktor Gonser begann das zähe Ringen um einen Erweiterungsbau. Doch die Pläne und Vorschläge, die bis zur Verlegung der Schule nach Degerloch und in den Pfaffenwald reichten, führten nicht weiter. Auch Gutachten von 1963 und 1966, in denen die Überbauung der Kienestraße und des Hofdienergeländes untersucht worden sind, blieben ohne Konsequenzen. Die Zeit verging, ohne dass etwas passierte. 1967 stellt der Finanzminister fest, dass wegen der Finanznot die Mittel für ein entsprechendes Bauvorhaben nicht zur Verfügung stehen. Da somit kein Neubau als Erweiterung möglich war, suchte man nach einer Ersatzlösung. Von da an ging es immer nur um Ersatzlösungen. L: Viele Studierende – kein Platz … K: Es waren keine finanziellen Mittel da. Wir wollten einen Erweiterungsbau und was haben wir bekommen? Alte Kästen! Als das neben dem Egle-Bau gelegene Gebäude »Schlossstraße 26« der Württembergischen Landessparkasse (LASPA), der heutige Bau 2, 1969 durch einen Übereignungsvertrag an das Land Baden-Württemberg überging, kam das Finanzministerium auf die Idee, diesen Sparkassenbau – einen Wiederaufbau der frühen 1950er Jahre mit verwinkeltem Grundriss – zur Nutzung durch die Fachhochschule und die Universität Stuttgart umzubauen. K: Als ein Sammelsurium ohnegleichen: halb Uni, halb FH und der Rest für die Bank. Die große Schalterhalle der Bank wurde zur Bibliothek der Universitätslehrstühle umgewandelt. Die Baufreigabe erfolgte am 26.6.1970, die Übergabe des umgebauten Teilgebäudes war am 13.10.1970, doch zogen sich die Restarbeiten noch bis Ende 1971 hin. Man kann also sagen, es gab einen ersten Umbau der LASPA zusammen mit der Universität 1970/1971. Aber zufriedengestellt war die Fachhochschule damit natürlich nicht. Dann kam der zweite Schlag: der provisorische Umbau des Anorganisch-Chemischen Instituts der Universität – der Bauteil an der Schellingstraße des heutigen Baus 3 der HFT Stuttgart. Auch mit diesem Umbau mit knappsten Mitteln und in kürzester Zeit wurde ich beauftragt. L: War damit mehr gewonnen als verloren? K: Nun, mit dem ersten LASPA-Umbau war eine Entwicklung eingeleitet worden, die die weitere bauliche Behandlung der Fachhochschule für längere Zeit bestimmte. Alte, für die Lehre wenig geeignete Bauten sollten die dringende Raumnot der Hochschule beheben und waren als Ersatz für notwendige Neubauten gedacht. Wir wurden mit alten Kästen abgespeist. Wieder musste ich mit den geringsten Mitteln und in kürzester Zeit diesen düsteren Kasten auf der Rückseite des Egle-Baus umbauen. Die Abbrucharbeiten begannen im April 1973, die Räume konnten am 1.10.1973 bezogen werden. Immerhin brachte der Umbau dieses Gebäudes 2.200 qm Nutzfläche und für die Bauingenieure ein neues Erdbaulabor. L: Wie ging es baulich mit der Hochschule weiter? K: Dann kam, nachdem die LASPA ausgezogen war, der zweite Umbauabschnitt »Schossstraße 26«. Aber die Universität war immer noch mit im dem Gebäude. Nach längerem Prozedere und Verhandlungen mit der Oberfinanzdirektion, Abklärung mit dem Baurechtsamt sowie einer Abstimmung mit der Universität über deren Raumbedürfnisse, richtete ich in einem zweiten Umbauabschnitt vom 5.5.1975 bis zum 30.1.1976 das LASPA-Gebäude zur weiteren Nutzung durch die Fachhochschule und die Universität her. Die Fachhochschule gewann bei diesem zweiten Umbau 2.400 qm neue Nutzfläche, litt aber weiterhin unter Raumnot. So erhielt sie zum SS 1978 Räume im im Kollegiengebäude K2 der Universität mit 1.800 qm Nutzfläche zugewiesen. Und dann kam der dritte Bauabschnitt der LASPA. L: Nun ohne die Universität? K: Ein Hoffnungsschimmer kam auf, als sich Ende 1977 abzeichnete, dass die sprachwissenschaftlichen Lehrstühle der Universität in das Kollegiengebäude K2 umziehen würden. Wir dachten, die Fachhochschule könnte in kürzester Zeit über den ganzen Altbau der LASPA verfügen. Denkste! Noch einmal zogen fast fünf Jahre ins Land, bis der Umbau zustande kam. Immer wieder hat Finanznot den Umbau gestoppt. Vom Universitätsbauamt habe ich 1978 die Nachricht bekommen, der Weg zum Umbau sei frei. Trotzdem konnte ich mit dem Umbau erst 1982/83 beginnen. Was ist in der Zeit geschehen? Nichts als Amtsbesprechungen und Verzögerungen! L: Das heißt, es standen Räume eine Zeit lang leer, die nicht genutzt werden konnten? K: So war es. Es gab neue Belegungsplanungen, klar. Indes kamen an der Fachhochschule neue Studiengänge hinzu: Innenarchitektur im SS 1978, Bauphysik im WS 1978/79, mit jeweils 100 Studienplätzen. Dazu kam der Ausbau der vorhandenen Studiengänge Mathematik und Vermessungswesen. Es ergab sich ein immer größerer Raumbedarf. Im Mai 1982 war es schließlich soweit: Der Weg war frei für den dritten Umbauabschnitt des Gebäudes Schlossstraße 26. Die Bauarbeiten begannen 1983 und zogen sich bis 1987 hin. Ganze fünf Jahre! L: Zwei weitere Rektoren waren dann noch an der Fachhochschule: Prof. Dr. Klaus-Jürgen Zabel, ebenfalls ein Architekt, und Prof. Dr. Martin Stohrer, ein Bauphysiker. Auch die hatten in Hinblick auf einen Erweiterungsbau keinen Erfolg? K: Nein. Beide Rektoren haben vor allem die Modernisierung der vorhandenen Bauten vorangetrieben. L: Das heißt, beide Hochschulen mussten sich den neu gewonnenen Platz teilen? K: Ja. Auf Vorschlag von Rektor Kresse und mit Zustimmung des Finanzministeriums hatte ich in meiner Eigenschaft als Freier Architekt in einem ersten Umbauabschnitt das noch zur Hälfte von der LASPA zu Bankgeschäften genutzte Gebäude für uns und für die Universitätslehrstühle der Germanistik, Romanistik und Anglistik umzubauen. L: Modern, aber nicht neu. Doch es besteht Hoffnung, dass sich das bald ändern wird. K: Die Hoffnung sollte man nie aufgeben. Für den oben erwähnten Zeitabschnitt lässt sich jedoch abschließend sagen, dass die Fachhochschule durch diesen größeren Umbau der LASPA, der sich über mehrere Jahre hinzog, zwar 2.750 neue Quadratmeter Nutzfläche in einem alten Gebäude hinzugewann, ihr doch der seit 1956 angemahnte, erhoffte und für das Image einer Architekturschule eigentlich unverzichtbare Erweiterungsneubau vorerst versagt blieb. L: Das heißt, die Bank war in diesem Gebäude auch noch mit drin? Wie muss man sich das vorstellen? L: Herr Professor Dr. Kieß, ich danke Ihnen für das Gespräch. Hochschule für Technik Stuttgart Stallgeflüster 38 Oktober 2012