BODO VITUS / PHOTO SELECTION Starsopranistin Schäfer: Frisch aus dem Fleischerladen SÄNGER Mit dem Luder Lulu fing es an Sie mag Mozart und Madonna, Zwölfton und HipHop: Jetzt ist die Berliner Starsopranistin Christine Schäfer mit einer Boulez-CD für den begehrten Grammy nominiert worden. 152 REX FEATURES / ACTION PRESS C remeschnitte. Das ist das Passwort. Nur wer von dem süßen Geheimnis weiß, findet Einlass. Aber nicht mal auf ihrer Türklingel steht der seltsame Code; das Namensschild ist leer. Bloß auf einem der Hausbriefkästen ist das Naschwerk vermerkt. Der Postbote weiß Bescheid: Hier kommen Sendungen rein für Christine Schäfer, 10115 Berlin-Mitte. Bulette oder Hackepeter würden, als verschlüsselte Adressaten, eigentlich besser passen. Denn als Backfisch hatte Christine, die Metzgerstochter, durchaus daran gedacht, die elterliche Fleischerei zu übernehmen oder dort zumindest eine Lehre zu machen, „ich bin halt ein handwerklicher Typ“. Dann würde sie jetzt, familientreu in der fünften Generation, in Frankfurt am Main hinter der Theke stehen und, „da ich sie immer noch wahnsinnig gern mag“, ein Loblied auf die Fleischwurst singen. Stattdessen steht sie auf der Bühne der New Yorker Met, der Berliner Philharmonie oder des Salzburger Festspielhauses und singt Bach, Berg, Boulez. Popstar Madonna Aufgefrischt und aufgemischt d e r s p i e g e l 8 / 2 0 0 3 Ein Sopran; lyrisch, aber nicht kuschlig; manchmal zerbrechlich zart, nie aber dünn. Keine Röhre, kein vokales Triebwerk; selbst bei vollem Schub kultiviert und noch in waghalsigen Koloraturen flexibel. Perfekt in der Führung, cool in der Intonation, leuchtend auch in artistischen Hochlagen. So könnte das Hosianna der Branche schon stimmen, Schäfer sei Deutschlands erste Operndiva des 21. Jahrhunderts. Stimmt aber nicht: Christine Schäfer, 37, ist nicht die Spur Primadonna. Sie sonnt sich nicht im Chichi der philharmonischen Liebediener, und sie rauscht auch nicht – küss die Hand, Frau Kammersängerin – mit theatralisch wehenden Schals herein, herum und heraus. Vor allem aber trägt sie nie die Gloriole einer Begnadeten vor sich her, sondern – seit letztem Dezember – allenfalls ein stoßsicher geschnürtes Bündel namens Alva, ihre zweite Tochter. Die geburtsbedingte Auszeit ist jetzt abgefeiert, Schäfers gehen wieder auf Tour. Vorletztes Wochenende, für die „Vier letzten Lieder“ von Richard Strauss, reisten Christine und Alva nach Luxemburg, und wenn die Sängerin zur kommenden Wochenwende, was noch nicht feststeht, nach New York abheben sollte, dann wird auch die zweieinhalbjährige Helena zur Crew gehören. Das Trio soll komplett sein, falls Mama das blaue Stimmband holt. Wenn. In Sicht ist die Trophäe durchaus, sicher ist sie nicht. Am kommenden Sonntag wird die Recording Academy zum 45. Mal ihre Grammy Awards verleihen, denen der internationale Musikbetrieb genauso hysterisch entgegenfiebert wie die Filmbranche den Oscars: Die Veranstalter rechnen mit fast zwei Milliarden Fernsehzuschauern, ein globales Glitzerding wird erwartet, eine knallige Werbetrommel. 104 Grammys werden in diesem Jahr vergeben, für Rock, Rap, Reggae und alle möglichen modischen Verlautbarungen des Pop-Gewerbes; aber mit immerhin einem Dutzend Prämien wird auch klassisches Tongut und damit ein Geschäftszweig bedacht, der abzusterben droht und schon deshalb für jeden Kick dankbar ist. Im E-Gewerbe sind diesmal unter anderen der Dirigent Nikolaus Harnoncourt und der Musik-Multi Daniel Barenboim nominiert, Hilary Hahn, die schöne Geigenvirtuosin, die amerikanische Sopranistin Renée Fleming und, als einzige deutsche Solistin, Christine Schäfer. „Klar doch“, sie hat sich „wahnsinnig gefreut“, bei dieser großen Konkurrenz schon mal unter die Preiswürdigen befördert worden zu sein, „vor allem mit einer Produktion“, die sich, da hat sie Recht, „nun wirklich nicht als süffiger Ohrwurm anbietet“: Spezereien von Pierre Boulez, dem Nestor der Neutönerei, haben für das Musikestablishment immer noch den Hautgout anämischer Kopfgeburten, und auch die Recording Academy verschließt vor derlei meist die Ohren. Kultur Mozart-Interpretin, Schubert-Sängerin Schäfer*: Selbst bei vollem Schub kultiviert Zuerst spürte die Vokalistin denn auch „furchtbaren Bammel“ vor dem vertrackten Notenbild, „die Lernarbeit war heftig“. Aber dann hatte sie das Stück drauf und erledigte ihren Job wie eine perfekte Sachbearbeiterin für zeitgenössischen Tonsatz. Aber Schäfer kann auch ganz anders: verrucht sein, Flittchen, Männer mordendes Frauenzimmer. Doch auch wenn sie Alban Bergs Lulu singt und unter Kanzonetten, Kavatinen und Koloraturen wollüstig zu Grunde geht, dann nicht als mondäne Konkubine, sondern als ein Häufchen Elend zwischen Sex und Crime. Und genau mit diesem kaputten Rollenbild lieferte sie 1995 den Salzburger Festspielen ein Glanzstück. * Als Cherubino in „Figaros Hochzeit“ bei den Salzburger Festspielen 2001; beim Vortrag der „Winterreise“ während der RuhrTriennale 2002 mit Irvin Gage. unter der Dusche. Brava, Christine Schäfer hat es gepackt. Sie könnte zufrieden sein. Ist sie aber nicht. Das klassische Ritual stinkt ihr, das philharmonische Establishment sei „scheinbar rettungslos verkrustet“, die Vergreisung der Klientel „nicht aufzuhalten“: „Bei meinen Liederabenden sind die meisten Zuhörer über 60.“ Das aber sei „das Schlimmste“: dass das gängige Repertoire „wie eine heilige Kuh“ behandelt werde, „nur ja nichts Neues probieren“. Das Konzertleben erstarre in züchtiger Langeweile. Und deshalb büxt sie immer häufiger aus – und immer kesser. Für eine Videoproduktion von Robert Schumanns „Dichterliebe“, die ihr Lebenspartner Oliver Herrmann inszenierte, verkroch sie sich, nur in Federboa und Spitzenfummel gehüllt, in eine rauchige Berliner Kaschemme und besang dort, eine filterlose Zigarette zwischen den Lippen, den „wunderschönen Monat Mai“. Bei der ersten RuhrTriennale im vergangenen Herbst trat sie – hochschwanger – Schuberts „Winterreise“ in einem Boxring an und reichte während der Darbietung ihrem Klavierbegleiter Irvin Gage saure Gurken. Und wenn sie im Radio Plattentipps gibt, legt sie immer nur Pop-Titel auf: „Wir müssen nicht die Jungen zu Beethoven führen, sondern die Alten auf Pop einstimmen.“ Sie selbst kennt keine Gütertrennung. Madonna, sagt die Schubert-Interpretin Schäfer, sei „einfach Spitzenklasse“, Whitney Houston glänze mit „geradezu phänomenalen Koloraturen“, bei HipHop und TripHop passierten heute „sehr viel aufregendere Dinge“ als beim steifleinenen Zeremoniell klassischer Soireen. „Warum nicht mittels Modem und Mischpult auch mal in die Substanz und die Strukturen altehrwürdiger Partituren eingreifen?“ Ehrenwort, da wäre sie dabei. Durch technisch manipulierte und verfremdete Klassik-Produktionen, glaubt sie, könnte das Repertoire „in unglaublich vielen Variationen“ aufgefrischt werden; auch ließen sich tönende Altwaren durch zeitgenössischen Tonsatz aktualisieren: „Warum zum Beispiel nicht Heinrich Schütz à la Christine Schäfer?“ Sollte sich für derlei unerhörte Paarungen keine der etablierten CD-Gesellschaften erwärmen, will sie die Novitäten selbst in Umlauf bringen. Einen Namen für ihr Label hätte sie schon: Cremeschnitte. K LAUS U MBACH DAVID BALTZER / ZENIT Das Luder Lulu hatte es Christine Schäfer schon angetan, als sie noch bei den Ursulinen in die Penne ging. Wenn seinerzeit das Zwölfton-Stück auf dem Programm der Frankfurter Oper stand, rannte der Teenager hin, „ich konnte einfach nicht genug davon kriegen“: „‚Lulu‘ ist schuld, dass ich Sängerin werden wollte.“ Fast genauso vernarrt war das Mädchen in Strawinskis Jahrhundert-Schocker „Sacre du printemps“. „Wenigstens einmal am Tag“ ließ sie sich vom Wumm der berüchtigten Nummer besoffen dröhnen. Und selbst komponiert hat sie damals auch, „lauter wahnsinnig laute Sachen“, unter deren brachialen Akkorden die Wände im Fleischerladen wackelten. „Meine Eltern RUTH WALZ Und nun liegt Schäfer ausgerechnet mit einem echten Außenseiter im Rennen. Boulez’ Komposition „Pli selon pli“ (Falte auf Falte), eine Hommage an den französischen Symbolisten-Dichter Stéphane Mallarmé (1842 bis 1898), gehört zu den diffizilsten und faszinierendsten Partituren der musikalischen Neuzeit. Tatsächlich scheint der fünfteilige Sonette-Zyklus für Schäfer wie gemacht: ein Fest der Nuancen zwischen fahlen Klangschleiern und polierter Brillanz, lyrisch in der Stimmung, kristallklar in der Diktion, mit Sopranspitzen von gestichelter Präzision und mit Halbtönen von narkotischem Reiz. Kurzum, ein Glasperlenspiel der Gurgel – und ein belkantistischer Härtetest. haben mich für bekloppt erklärt“ – und ihr nach dem vorzeitigen Abgang vom Lyzeum ein Musikstudium in Berlin spendiert. Bei den dortigen Festwochen debütierte sie 1988 in der Uraufführung von Aribert Reimanns „Nachtträumen“. Damit war sie auf der Szene, aber noch längst nicht oben. Ihre Stimme sei zu klein für die Oper, kritisierten Gesangspädagogen. Sie wirke blass, nörgelten Kritiker, fast unnahbar. Schäfer sei ein flippiger Twen mit ein bisschen Soubretten-Charme in der Kehle, mehr nicht. Inzwischen hat Schäfer jede Menge Mozart (Cherubino, Pamina, Zerlina, Constanze) gesungen, die Gilda in „Rigoletto“, die Sophie im „Rosenkavalier“, Donizettis übergeschnappte Lucia di Lammermoor. Bach singt sie, Schubert, Johann Strauß. Unter Abbado, Rattle, Harnoncourt und d e r s p i e g e l 8 / 2 0 0 3 153