Ing. Wolf Reidner 19. Juni 2006 Eröffnungsveranstaltung für

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Ministerialdirigent Dipl.-Ing. Wolf Reidner
19. Juni 2006
Eröffnungsveranstaltung für Sachsen zum Tag der Architektur 2006 am 22. Juni 2006,
11:00 Uhr, Neubau Informatik, TU Dresden
Es war einmal ein Lattenzaun,
mit Zwischenraum, hindurchzuschaun.
Ein Architekt, der dieses sah,
stand eines Abends plötzlich da –
und nahm den Zwischenraum heraus
und baute draus ein großes Haus.
Der Zaun indessen stand ganz dumm,
mit Latten ohne was herum.
Ein Anblick grässlich und gemein.
Drum zog ihn der Senat auch ein.
Der Architekt jedoch entfloh
Nach Afri- od- Ameriko.
Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
verehrte Gäste!
Mit der kleinen lyrischen Groteske des Dichters Christian Morgenstern begrüße ich Sie ganz
herzlich! Vielen Dank für Ihre Einladung, Herr Dr. Benedix, ich freue mich, dass ich zu Ihnen
sprechen darf.
100 Jahre ist das Gedicht alt – für den heutigen Tag der Architektur in Sachsen halte ich es
aber geradezu für tagaktuell.
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„Ein Architekt (…) nahm den Zwischenraum heraus
und baute draus ein großes Haus.“
Ich denke, meine sehr geehrten Damen und Herren Architekten, Sie können sich hier gut
wieder finden: Offensichtlich hat der Architekt in dem Lattenzaun etwas gesehen, was anderen Menschen an dem Zaun nicht aufgefallen ist. Der Zaun hat den Architekten inspiriert. Mit
den Zwischenräumen hat er es - wie auch immer - geschafft, seinen Entwurf zu entwickeln.
Aber das Leben besteht schon seit jeher aus Licht und Schatten:
„Der Zaun indessen stand ganz dumm,
mit Latten ohne was herum.
Ein Anblick grässlich und gemein.
Drum zog ihn der Senat auch ein.“
Die Latten „ohne was herum“ haben die Mitmenschen offenbar so verstört, dass der Zaun
weichen musste. Das Architektenwerk hat sich zu weit von der Konvention der Sehgewohnheiten der Umwelt entfernt. Ein, wie auch immer befugter „Senat“ konnte den Abriss verfügen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren: Heute, zum Tag der Architektur 2006 in Sachsen,
möchte ich Ihnen Mut zusprechen. Ich bin mir sicher, Sie alle haben in Ihrer beruflichen Karriere schon einige „Lattenzäune“ hinter sich gebracht.
Warum aber hat es die Öffentlichkeit so schwer mit den „Lattenzäunen“ der Architekten?
Sind die Architekten mit einem langen Studium, vielen Praktika und Berufserfahrung nicht
bestens dafür ausgebildet, die Bedürfnisse der Menschen zu erspüren? Werden Architekten
überhaupt noch als fachkundige Experten für die Umwelt der Menschen wahrgenommen?
Ein Blick in die Feuilletons der großen Zeitungen lässt mich da manchmal, gelinde gesagt,
zweifeln:
Zitat der „Zeit“ in der aktuellen Ausgabe: „Ein Warnruf: „Ein Bruch mit der Geschichte –
Krampfhaft und banal, Hamburg will seine Innenstadt verschandeln.“ Der Autor des Artikels:
Altbundeskanzler Helmut Schmidt.
Seine Kritik gilt dem von einer fachkundigen Jury ausgewählten Entwurf der Architekten Auer
und Weber für ein Gebäude am Hamburger Domplatz. Der gläserne Solitär sei ein „scheußlicher“ Entwurf, ein Produkt der „globalisierten Allerwelts-Architektur von Bankzentralen“. Herr
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Schmidt erklärt uns auch die aus seiner Sicht passende Architekturhaltung: „Zur Hamburgischen Tradition gehört, dass (…) man seine Beton- oder Stahlbauten solide mit doppelt gebranntem Backstein umkleidet, dass die Dächer der (…) Bauten (…) mit grünspanigem Kupfer gedeckt werden.“
Der Architekt jedoch entfloh
Nach Afri- od- Ameriko.
Die Architekten Auer und Weber gehören zu den großen renommierten Büros, die Gefahr
des Entfliehens nach Afrika schätze ich daher gering ein.
Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sollten als Bauleute und Architekten solche Signale ernst nehmen. Sie sind ein Zeichen dafür, dass zeitgenössische Architektur offensichtlich von der Öffentlichkeit grundlegend anders wahrgenommen wird, als von uns. Ein
Entwurfskonzept, das die hamburgischen Arkadengänge in Form einer Auskragung des Gebäudes weiterentwickelt, das städtebaulich einen Solitär vorsieht und dennoch den städtischen Platz fasst und aufwertet, ist anscheinend für einen „Laien“ nicht unmittelbar verständlich. Es bedarf gewissermaßen eines „Übersetzers“, der im Gespräch die Qualitäten des
Entwurfes verdeutlicht.
Die Veranstaltungen zum Tag der Architektur und zum architektursommer dd, sind solche
„Übersetzungshilfen“, die wir als Bauleute und Architekten offensiv nutzen sollten und zwar
in zweifacher Hinsicht:
Zum einen haben wir die Gelegenheit mit der Öffentlichkeit konkret vor Ort ins Gespräch zu
kommen und den Entwurfsgedanken anhand von Führungen und Ausstellungen zu veranschaulichen.
Auf der anderen Seite sind diese Tage auch Gelegenheit für uns, zu beobachten, wie unsere
Gebäude von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, denn: Bauen ist eine dreidimensionale Angelegenheit - Raum wird gefühlt, erspürt, mit allen Sinnen erfasst.
Baukultur ist daher eine öffentliche Aufgabe: Der erlebbare Raum, die Gesamtheit der Baulichkeiten und die offenen Räume dazwischen prägen uns und unsere Mitmenschen, sie beeinflussen unsere Stimmung und damit unser Verhalten.
Das Foyer der Informatik für die TU Dresden ist, wie ich finde, ein hervorragendes Beispiel
für einen Raum, der den Betrachter „unmittelbar“ ergreift und berührt. Hier wird deutlich, wie
der Architekt Stimmungen schaffen kann. Die grünen Fußböden, die grün bedruckten Gläser
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der Fassade und der Brüstungen erinnern an die Lichtstimmung in der Natur. Ein, wie ich
finde, sehr sympathisches Gegengewicht zu der hoch konzentrierten wissenschaftlichen Arbeit der hier künftig beschäftigten Mitarbeiter.
Solche Qualitäten entstehen aber nicht aus Zufall. Es bedarf einer sehr intensiven Auseinandersetzung mit der Bauaufgabe sowohl seitens des Auftraggebers als auch von Seiten des
Architekten. Wie aber kann der Auftraggeber einen solchen Dialog in Gang setzen?
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Antwort auf diese Frage wird Sie aus meinem
Munde nicht verwundern, sie ist gewissermaßen mein Selbstverständnis zu der Rolle und zu
der Verpflichtung des öffentlichen Bauherrn: Es ist der Architektenwettbewerb, der in einer
äußerst intensiven Art und Weise eine Verständigung darüber erreicht, was der Auftraggeber
mit der Bauaufgabe erreichen will und mit welchen Mitteln man dieses architektonisch lösen
kann. Ich bin der festen Überzeugung, dass bereits die Erarbeitung einer Auslobung den
Bauherren zwingt, sich über die Inhalte seiner Bauaufgabe klar zu werden. Diese Haltung
zur Entwurfsaufgabe bildet dann für alle weiteren Schritte der Planung den notwendigen Hintergrund. Seit der Gründung der Staatlichen Hochbauverwaltung im Jahre 1991 ist die konsequente Auslobung von Wettbewerben bei allen herausragenden Maßnahmen auch in
Sachsen zu einem Erfolgsmodell geworden. Der Wettbewerb ist für uns eine Garantie die
optimale Lösung zu finden, und dieses in jeglicher Hinsicht: Gestalterisch, funktional, wirtschaftlich und nachhaltig.
Was genau ist aber letztendlich bei der gestalterischen Bewertung der Arbeiten entscheidend? Welche Parameter können ein Gradmesser für „gute“ oder „schlechte“ Architektur
sein? Das sind Fragen, denen Sie sich in den nächsten Wochen in den Gesprächen mit der
interessierten Öffentlichkeit stellen werden. Ich bin mir sicher, dass jeder von Ihnen darauf
eine persönliche Antwort bereithalten kann.
Mir will dazu das eingangs erwähnte Hamburgische Beispiel nicht aus den Kopf gehen. Ich
zitiere noch einmal aus dem Feuilleton der Zeit: „Zur Hamburgischen Tradition gehört, dass
man seine Bauten solide mit doppelt gebranntem Backstein umkleidet und mit grünspanigem
Kupfer deckt.“
Tauschen Sie die Materialien aus, nehmen Sie Sandstein statt Backstein, und Sie haben
wahrscheinlich die vorherrschende Meinung eines Teils der Dresdner Öffentlichkeit. Woher
kommt diese Sicherheit, mit der sich die Öffentlichkeit auf Traditionen beruft, wo man doch
auf anderen Gebieten stolz ist, sich von allen Konventionen zu lösen? Ist es eine Sehnsucht
nach der Vergangenheit? Vergangenes muss nicht mehr gemeistert werden, ist also verlässlich und bequem und wird in der Rückschau daher positiv betrachtet? Das Neue dagegen ist
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eher unbequem, da herausfordernd und unwägbar?
Ich bin mir sicher, sehr geehrte Damen und Herren, dass Sie als Architekten gemeinsam mit
dem Freistaat dazu beitragen können, dass die Bevölkerung ein Stück zuversichtlicher in die
Zukunft sehen kann. Unsere gemeinsame Arbeit hat Spuren in den Städten des Freistaates
hinterlassen, die alles andere sind, als rückwärtsgewandt sondern modern und zukunftsoffen. Für das zentrale Depot der Kunstsammlungen wird ein „schwebendes Depot“ oberhalb
des Innenhofes des Albertinums entstehen. In Leipzig ist der erste Bauabschnitt für den
Neubau eines kompletten Universitätscampus mitten in der Innenstadt vor der Fertigstellung,
in Chemnitz haben wir vorletzte Woche den Architektenwettbewerb für einen riesigen Laborund Institutsriegel entschieden, der künftig das Wahrzeichen der Chemnitzer Universität sein
wird. Erwähnen darf ich vor allem auch den sehr gelungenen zeitgenössischen Ausbau des
Grünen Gewölbes im 1. OG des Dresdner Schlosses.
Immer öfter gehen auch sächsische Architekten als Preisträger aus Wettbewerben hervor,
was mich sehr freut und zeigt, dass unser Bekenntnis zum offenen Wettbewerb auch durchaus Früchte trägt. Im letzten Jahr wurden ca. 4.400 Verträge mit einem Honorarvolumen von
52 Mio. Euro mit Architekten und Ingenieuren geschlossen, 88 % davon mit sächsischen
Kollegen.
Gegenüber den alten Bundesländern hatten wir nach der Wiedervereinigung einen immensen Nachholbedarf an Bauleistungen, sowohl an Neubauten als auch an Sanierungen. Seit
1991 hat der Freistaat Sachsen im Schnitt eine halbe Milliarde Euro im Jahr für Bauleistungen verausgabt, insgesamt seit 1991 die stolze Summe von 8.4 Milliarden Euro. Die Hälfte der Wegstrecke bei der Erfüllung des Nachholebedarfs ist nun erreicht. Mittelfristig ist mit
einer Verstetigung des staatlichen Bauvolumens hier in Sachsen auf einem sehr hohen Niveau zu rechnen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
insgesamt 130 Veranstaltungen werden den diesjährigen architektursommer dd zu einem
weit gespannten, facettenreichen und, so hoffe ich, begeisternden Erlebnis machen. Ich
freue mich besonders, dass unsere Staatliche Hochbauverwaltung zu den insgesamt 73 Objektbesichtigungen eine ganze Reihe von bedeutenden Bauvorhaben beisteuert.
Hinter den 12 ehrenamtlichen Mitgliedern des Organisationsteams liegt ein gewaltiges Stück
Arbeit. Ich möchte an dieser Stelle meinen Respekt für Ihr beispielhaftes Engagement zum
Ausdruck bringen. Mit ihrem unermüdlichen Wirken haben Sie sich für die Kultur in dieser
Stadt verdient gemacht, ich danke Ihnen dafür ganz herzlich.
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Architektur hat die Aufgabe, das Leben der Menschen nicht zu verplanen, sondern ihnen
Bedingungen zu schaffen, dass sie ihre eigenen, ganz unverkennbaren und individuellen
Lebensentwürfe selbst bestimmt verwirklichen können. Diesen Gedanken zu transportieren
wird unsere gemeinsame Aufgabe auch in Zukunft sein. Dazu wünsche ich dem Tag der Architektur und dem architektursommer dd viele interessante Entdeckungen und Gespräche.
Herzlichen Dank!
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