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CONSTANT / DEBORD
SITUATIONISTISCHE DEFINITIONEN
1958
Aus dem Zusammenschluss der »Lettristischen Internationale« und der »Internationalen Vereinigung für ein Bild-Bauhaus« bildet sich 1957 die »Internationale Situationniste«, die den Begriff »Unitärer Urbanismus« als Kennwort für ihre Aktionen benutzt. Die
»Internationale Vereinigung für ein Bild-Bauhaus« wiederum ist eine Protestaktion gegen das von Max Bill formulierte erste Programm der Hochschule für Gestaltung in Ulm.
(Gropius hatte Bill legitimiert, den Namen »Bauhaus« in Verbindung mit der Neugründung weiterzuführen. Bill verzichtete schließlich darauf). Der Maler Asger Jorn hat die
Einwände gegen Ulm in seinem Buch »Bild und Form« (Mailand 1951) formuliert.
Die elf nachstehend aufgeführten Punkte, die eine kurzgefaßte Definition der Situationisten-Aktion vermitteln, sind als vorbereitendes Thema für die dritte Konferenz der Internationalen Situationisten (I.S.) zu erörtern.
1. Die Situationisten müssen bei jeder Gelegenheit rückschrittliche Ideologien und Kräfte bekämpfen, und zwar sowohl auf dem Gebiet der Kultur als auch insbesondere überall dort, wo es um die Frage nach dem Sinn des Lebens geht.
2. Niemand darf seine Zugehörigkeit zur I.S. nur als Ausdruck prinzipieller Zustimmung
betrachten; es ist erforderlich, daß die Tätigkeit aller Mitglieder im wesentlichen den
gemeinsam ausgearbeiteten Zielen und den Notwendigkeiten einer disziplinierten Aktion entspricht, und dies sowohl in der Praxis als auch bei öffentlichen Stellungnahmen.
3. Die Möglichkeit einheitlichen und kollektiven Schaffens kündigt sich bereits durch die
Zersetzung der einzelnen Künste an. Die I.S. kann einen Versuch zur Erneuerung dieser Künste nicht unterstützen.
4. Das Mindestprogramm der I.S. umfaßt den Versuch einer vollkommenen Raumkunst,
der sich auf einen einheitlichen Städtebau ausdehnen muß, sowie die Suche nach neuen Verhaltensweisen in Verbindung mit dieser Raumkunst.
5. Der einheitliche Städtebau wird bestimmt durch die ununterbrochene komplexe Aktivität, durch die die Umwelt des Menschen nach fortschrittlichsten Plänen auf allen Gebieten bewußt neu erschaffen wird.
6. Die Probleme des Wohnens, des Verkehrs und der Erholung können nur im Zusammenhang mit sozialen, psychologischen und künstlerischen Aspekten gelöst werden,
was mit der Hypothese über die Ganzheit des Lebensstils übereinstimmt.
7. Der einheitliche Städtebau ist - unabhängig von jeder ästhetischen Betrachtung - das
Ergebnis einer neuen Art kollektiven Schaffens; und die Entwicklung dieses schöpferischen Geistes ist die Voraussetzung für einen einheitlichen Städtebau.
8. Es ist die unmittelbare Aufgabe der schöpferisch Tätigen von heute, die für diese
Entwicklung günstigen Verhältnisse zu schaffen.
9. Alle Mittel dürfen angewandt werden unter der Bedingung, daß sie einer einheitlichen
Aktion dienen. Die Koordinierung künstlerischer und wissenschaftlicher Mittel muß zur
vollständigen Fusion führen.
10. Die Schaffung einer Situation bedeutet die Schaffung einer transitorischen MikroWelt und - für einen einzigen Augenblick im Leben einiger - eines Spiels von Ereignissen. Sie ist nicht zu trennen von der Schaffung einer allgemeinen, verhältnismäßig dauerhafteren Umwelt durch einheitlichen Städtebau.
11. Eine geschaffene Situation ist ein Mittel zur Annäherung an den einheitlichen Städtebau, und der einheitliche Städtebau ist die unerläßliche Grundlage für die - als Spiel
und ernsthafte Aufgabe anzusehende - Schaffung der Situation einer freieren Gesellschaft.
Constant, Debord., Amsterdam, 10. November 1958
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