059-069 FORSCHUNG UND TECHNIK 9JfUf-3iittfifr3rituiifl Mittwoch, 12. März 1997 Nr. 59 69 Mit falschem Mass gemessen Neuer Sternenkatalog rückt kosmische Distanzen zurecht Spe. Entfernungen bestimmt man mit Hilfe Massstabes. Das gilt für astronomische Distanzen so gut wie für irdische. Als Meilensteine im Kosmos dienen die sogenannten Cepheiden. Das sind Sterne, deren Helligkeit sich periodisch ändert. Man findet sie sowohl in unserer Milchstrasse als auch in entlegenen Galaxien. Bisher glaubte man, die Entfernungen zu den Cepheiden genau zu kennen. Doch ein neu erstellter Sternenkatalog deutet darauf hin, dass die kosmischen Grössenverhältnisse bislang unterschätzt wurden. Dies hätte drastische Folgen für das vermutete Alter unseres Universums. eines Dem blossen Auge präsentiert sich der Komet Hale-Bopp derzeit als verwaschener, heller Lichtfleck. Aber schon mit einem Fernglas erkennt man die den Kometenkern verdeckende Staub- und Gashülle (Bild H. Tomsik) oder den sich langsam ausbildenden Kometenschweif. Ein neuer Star am Himmel Komet Hale-Bopp erfüllt Hoffnungen der Astronomen Frühmorgens und abends nach der Dämmerung ist Komet Hale-Bopp jetzt mit blossem Auge gut zu sehen. Profi- und Amateurastronomen überall auf der Nordhalbkugel beobachten die seltene Himmelserscheinung seit Wochen. Ihre Bilder und Messungen zeigen, wie komplex Kometen aufgebaut sind. Kurz nach Mitternacht, am 23. Juli 1995, richtete Alan Haie sein Teleskop auf einen bekannten Steinhaufen im Sternbild Schütze zum Zeitvertreib. Eigentlich wartete der Astronom im USStaat New Mexico auf den Aufgang eines bestimmten Kometen, den er in dieser Nacht beobachten wollte. Kometen faszinierten ihn seit 25 Jahren; er hatte bereits etwa 200 beobachtet und stets von der Entdeckung eines neuen geträumt bisher vergeblich. Doch als er den Sternhaufen M70 beobachtete, fiel ihm daneben ein verschwommenes Objekt auf, das er nie zuvor gesehen hatte; er hatte einen Kometen aufgespürt. - - Sofort teilte Alan Haie seine Entdeckung dem dafür zuständigen Zentralbüro für astronomische Telegramme in Massachusetts mit. Etwas später ging dort auch die Meldung von Amateurastronom Thomas Bopp ein. Er war zusammen mit Kollegen zu einer «Star Party» in die Wüste Arizonas gefahren. Fast gleichzeitig wie Haie beobachtete auch Bopp den Sternhaufen M70 und entdeckte dabei ebenfalls den ungewöhnlichen Fleck. Diese Geschichte, von mehreren Autoren detailgetreu erzählt, kann man zurzeit auf dem Internet nachlesen. Daneben finden sich weit über 1000 Bilder des Kometen Hale-Bopp, aufgenommen von Profi- und Amateurastronomen, Sternkarten mit der Bahn des seltenen Himmelskörpers, neueste Schätzungen seiner Helligkeit, erste Ergebnisse von Messungen seiner Zusammensetzung und Angaben zu laufenden Beobachtungsprogrammen. Kein gewöhnlicher Komet Die Informationsflut macht deutlich: HaleBopp ist kein gewöhnlicher Komet wie das Dutzend anderer Schweifsterne, das im Durchschnitt jährlich entdeckt wird. Als Haie und Bopp den Kometen erstmals sichteten, war er eine Milliarde Kilometer von der Erde entfernt und damit weiter weg als der Planet Jupiter und die bisherigen neuentdeckten Kometen. Das heisst, Hale-Bopp war bereits damals heller als andere Kometen. Auf seiner Bahn ins innere Sonnensystem hat seine Helligkeit seither ständig zugenommen. Grosse Kometen können die Astronomen im Durchschnitt nur alle 20 Jahre beobachten. Zurzeit haben sie jedoch besonders Glück. Bereits im vergangenen Frühling tauchte unvermittelt ein heller Schweifstern am Nachthimmel auf, Komet Hyakutake. Ein noch eindrücklicheres Himmelsschauspiel soll Hale-Bopp in den kommenden Wochen bieten. Schon heute ist er heller als die Fixsterne in seiner Nähe; und die Fachleute Neue Antimaterie-Experimente bei Cern geplant Spe. Trotz Sparzwängen plant das Europäische Laboratorium für Teilchenphysik (Cem) in Genf, auch weiterhin mit Antimaterie zu experimentieren. Hierzu wird eine bereits existierende Maschine so umgerüstet, dass sie Antiprotonen speichern, kühlen und abbremsen kann. Finanziert wird der sieben Millionen Schweizerfranken kostende Umbau durch zusätzliche Aufwendungen einiger Länder. Vor etwa zwei Jahren war es am Cern gelungen, Antiprotonen und Antielektronen zu Antiwasserstoffatomen zu verschmelzen. Allerdings zerfielen die Antiatome fast augenblicklich. In Zukunft möchte man sie längere Zeit in einer magnetischen Falle einsperren. Unter anderem möchte man herausfinden, ob Atome und Antiatome exakt die gleichen Eigenschaften aufweisen. schätzen, dass er Ende März so hell wie Sirius leuchten wird, der hellste Fixstern am Himmel. Am 1. April wird der Komet den sonnennächsten Punkt seiner Bahn passieren. Seine Distanz zur Sonne wird dann rund 140 Millionen Kilometer betragen, fast gleich viel wie die Entfernung von der Erde zur Sonne. Seine Geschwindigkeit: 44 Kilometer pro Sekunde. Gegen Ende April, wenn sich der Komet wieder von der Sonne entfernt, dürfte er deutlich schwächer werden. Mit ihren Beobachtungen hoffen Profi- und Amateurastronomen, viele noch offene Fragen auf dem Gebiet der Kometenforschung beantworten zu können. Man nimmt heute an, dass die meisten Kometen aus einer riesigen Wolke am Rand des Sonnensystems stammen. In dieser Wolke, benannt nach dem Niederländer Jan Hendrik Oort, soll es Millionen von Kometen geben. Durch Störungen, die von den grossen Planeten und Nachbarsternen ausgehen, werden einige Brocken aus der Oort-Wolke ins Innere des Sonnensystems gelenkt. Auf stark exzentrischen Bahnen umlaufen sie die Sonne und werden dabei in Sonnennähe rf ü kurze Zeit sichtbar. Hale-Bopp war bereits mehrmals im Inneren des Sonnensystems, das letzte Mal vor 4200 Jahren. Da die Planeten seine Bahn beim jetzigen Umlauf storen, wird er das nächstemal schon in 2300 Jahren wiederkehren. Dass er ursprünglich tatsächlich aus der Oort-Wolke stammt, vermuten die Fachleute auf Grund der Neigung seiner Bahn. Sie steht fast rechtwinklig zur Ebene der Ekliptik, in der sich die Erde und die übrigen Planeten um die Sonne bewegen. Hale-Bopp hat damit starke Ähnlichkeiten mit einem Kometen, der im Jahr 1811 am Himmel auftauchte und viel beachtet wurde. Im Guinness-Buch der Rekorde ist der Komet von 1811 als grösster bisher beobachteter Schweifstern verzeichnet. Schmutzige Schneebälle Kometen sind Überbleibsel aus den Anfängen des Sonnensystems. Mit ihrer Hilfe konnten die Forscher Aufschluss über das Material gewinnen, aus dem unser Sonnensystem gebildet wurde, sagt Richard West von der Europäischen Südsternwarte ESO in Garching bei München. West ist selbst Kometenentdecker und Koordinator eines europäischen Forscherteams, gross. Genaueres wissen die Astronomen nicht, denn wenn sich ein Komet der Sonne nähert, beginnt Material aus seinem Kern auszudünsten. Es entsteht eine Hülle, die den Kern umgibt und überstrahlt, die Kometenkoma. Bereits bei der Entdeckung von Hale-Bopp war seine Koma ausserordentlich gross. Obwohl der Komet damals noch weit von der Sonne entfernt war, e h a t t seine Koma einen Durchmesser von über einer Million Kilometer. Neuere Beobachtungen zeigen zudem, dass die Koma eine äusserst komplexe Struktur hat. Die Astronomen registrierten in der Kometenhülle sogenannte Jets, gerade und gebogene Staubstrahlen, sowie schalenförmige Strukturen, die sich im Laufe der Zeit änderten. Diese Phänomene hängen wahrscheinlich mit der Rotation des Kometenkerns zusammen. Das europäische Forscherteam hat die Bewegungen in Hale-Bopps Koma verfolgt. Vom Observatorium auf der Kanarischen Insel La Palma aus beobachteten die Astronomen die Koma während zehn Nächten im Februar und stellten die gemachten Aufnahmen zu einem Film zusammen. Die Bildersequenz zeigt, wie sich ein heller Jet vom Kometenkern entfernt. Während sich der Jet ausbreitet, wird er durch die Rotation des Kometenkerns von diesem abgetrennt. Es bildet sich eine schalenförmige Schicht, die sich ausbreitet und langsam Nacht für Nacht vom Kern wegbewegt. Ein neuer Jet ersetzt den abgetrennten und wächst an, bis auch dieser sich vom Kern löst und eine Schale formt, deren Gestalt an eine fliegende Möwe erinnert. Auf Grund ihrer Beobachtungen vermuten die Forscher, dass sich der Komet möglicherweise in weniger als zwölf Stunden um seine Achse dreht. Der Schweif eines Kometen entsteht wie die Koma durch die Wirkung der Sonnenstrahlung. Staubpartikel, die der Komet auf seiner Bahn zurücklässt, werden vom Strahlungsdruck weiter ins das Hale-Bopp zurzeit mit verschiedenen Instrumenten beobachtet. Vor fünf Milliarden Jahren formten sich aus Gas und Staub die Sonne und ihre Planeten, so auch die Erde. Aus dem Restmaterial entstanden lose Gebilde eine Mischung aus Eis, Staub und Gas: Kometenkerne. Man spricht anschaulich von schmutzigen Schneebällen. Ihre Hauptbestandteile sind Wasser, Ammoniak, Methan, Kohlenmonoxid und Kohlendioxid. Ihr Durchmesser liegt noiTnalerweise zwischen einem und zehn Kilometern. HaleBopps Kern ist möglicherweise 40 Kilometer - Hipparcos nimmt Mass Astronomen schätzen die Cepheiden, weil sie aus der Periode der Helligkeitsschwankungen auf die absolute Leuchtkraft dieser Sterne zurückschliessen können. Sie müssen dann nur noch messen, wieviel Licht auf der Erde ankommt, um daraus die Entfernung eines Sterns zu berechnen. Mit dem Satelliten Hipparcos der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) bot sich nun die Gelegenheit, diese weithin gebräuchliche Methode der Entfernungsbestimmung zu überprüfen. Drei Jahre lang durchmusterte der Satellit das nähere Umfeld unseres Sonnensystems. Mit einer bisher unerreichten Genauigkeit bestimmte er die Position von mehr als einer Million Sternen, darunter etlichen Cepheiden. Da sich Hipparcos mit der Erde um die Sonne dreht, kann man den gleichen Stern im Abstand von einem halben Jahr von zwei weit auseinanderliegenden Punkten aus beobachten. Gegen das starre Firmament betrachtet, scheint sich seine Position verschoben zu haben. Nachvollziehen kann man diesen Effekt, wenn man einen Finger vor die Nase hält und ihn einmal mit dem linken und einmal mit dem rechten Auge fixiert. Diese sogenannte Parallaxe ist ebenfalls ein Mass für die Entfernung eines Sterns, denn sie ist um so ausgeprägter, je näher ein Stern zur Erde steht. Eine Überraschung erlebte man, als man anhand der Parallaxen von Cepheiden feststellte, dass der Abstand zur Grossen Magellanschen Älteres Universum Manchen Forschern käme das sehr gelegen. Seit Jahren wird in Fachkreisen um das Alter des Universums gestritten. Die Auseinandersetzung dreht sich um die Frage, welchen Wert die Hubble-Konstante hat. Diese Konstante gibt ,a n wie schnell sich das Universum ausdehnt. Erfolgte die Expansion langsam, hat das Universum entsprechend länger gebraucht, um seine jetzige Grösse zu erreichen. Jüngste Messungen der Hubble-Konstanten wiesen auf einen jungen Kosmos von 9 bis 12 Milliarden Jahren hin. Dies führte allerdings zu der paradoxen Situation, dass das Universum jünger als seine ältesten Sterne zu sein schien. Bei dieser Altersbestimmung wurde die Perioden-Leuchtkraft-Beziehung herangezogen, um die Entfernung entlegener Galaxien abzuschätzen. Mit dem neu geeichten Massstab kommt man auf ein Alter von 13 Milliarden Jahren. Gleichzeitig ergibt sich auch eine neue Schatzung für das Alter der ältesten Sterne. Vermutlich entstanden sie vor und nicht vor 15 Milliarden Jahren. Das würde die auf den Kopf gestellten Verhältnisse wieder geraderücken. Allerdings fehlt es nicht an Stimmen, die davor warnen, voreilige Schlussfolgerungen zu ziehen. Möglicherweise sind die Verhältnisse in der Grossen Magellanschen Wolke nicht exemplarisch. Auf Grund chemischer Besonderheiten konnte hier eine andere Beziehung zwischen Periode und Leuchtkraft der Cepheiden gelten als in anderen Galaxien. In diesem Fall müsste nicht jeder Meilenstein im Universum versetzt werden. 1 1 Quelle: Science 275. 1064/65 (1997). All befördert und reflektieren das Sonnenlicht. Es bildet sich ein Staubschweif. Daneben kann ein Ionenschweif entstehen, wenn der Sonnenwind geladene Atome oder Moleküle aus dem Kometen wegbläst und dabei zum Leuchten anregt. Hale-Bopps Schweif erstreckt sich derzeit über mehr als 30 Millionen Kilometer und enthält beide Komponenten: einen diffusen, gebogenen, rötlichen Staubschweif sowie einen geraden, bläulichen Ionenschweif. Brachten Kometen Leben? Bereits haben die Astronomen auch erste Erkenntnisse über die chemische Zusammensetzung von Hale-Bopp gewonnen. Sie interessieren sich dabei vor allem für organische Moleküle. Denn eine umstrittene These besagt, dass die Kometen die Bausteine für das Leben auf die Erde brachten. Bei Kometeneinstürzen oder durch das sanfte Herabregnen von interplanetarem Kometenstaub gelangte viel Kometenmaterial auf die Erde, darunter organische Verbindungen, die dann unter den günstigen Bedingungen auf der Oberfläche des Planeten die ersten Keime für Leben entwikkelten: So lautet die Theorie. Tatsächlich entdeckte die Raumsonde Giotto beim Vorbeiflug des Kometen Halley 1986 viele Kohlenstoffverbindungen. Diese organischen Moleküle wurden jetzt auch bei Hale-Bopp gefunden. Die Fachleute erhoffen sich aber, dass man auf Hale-Bopp auch auf bisher unbekannte Moleküle stösst. Die ungewöhnliche Helligkeit des Kometen soll genauere spektroskopische Untersuchungen ermöglichen als bei bisherigen Schweifsternen. In regelmässigen Zusammenfassungen informiert West via Internet Kollegen und kometeninteressierte Laien über die Entwicklungen von Hale-Bopp und die neuesten Erkenntnisse. Neben den neuesten Forschungsresultaten der Profis finden sich im weltweiten Netz aber auch viele Falschinformationen. So sorgte Ende vergangenen Jahres ein Beobachter für Aufsehen, der angeblich in der Nähe von Hale-Bopp ein saturnähnliches Objekt ausgemacht hatte und seine Entdeckung im Internet kundtat eine Täuschung, wie sich schon bald herausstellte, die aber trotzdem Anlass bot zu wilden Spekulationen über ausserirdische Begleiter von Hale-Bopp. Kein Wunder, galten Kometen doch seit je als mysteriöse Himmelserscheinungen, die Unheil ankündigten. In vergangenen Jahrhunderten galten sie als Auslöser von Hungersnöten, Seuchen oder Kriegen. - 40° r And 35- 30°25 Wolke 10 Prozent grösser ist, als man bisher vermutet hatte. Vertraut man dieser Messung, so muss das auf der Perioden-Leuchtkraft-Beziehung beruhende Entfernungsmass offensichtlich falsch geeicht sein. Nicht nur die nahe gelegene Grosse Magellansche Wolke wäre hiervon betroffen. Durch eine Rekalibrierung dieser Beziehung rückten mit einem Mal auch entlegene Galaxien weiter von der Erde ab. Andromeda Tatsächlich können Kometen in Ausnahmefäl- 20°- len gefährlich werden. So nimmt man heute an, dass die Dinosaurier vor 65 Millionen Jahren als Folge eines Kometenabsturzes auf die Erde aus- 15e 10°- 5.3. 0°-l Nordwest Knapp über dem Nordwesthorizont erscheint Hale-Bopp Anfang März am Abendhimmel. Im Laufe des Monats gewinnt er schnell an Höhe. Seine grösste Helligkeit erreicht er über die Ostertage. (Bild T. Baer) Neue Zürcher Zeitung vom 12.03.1997 gestorben sind. Welche Energie bei einer derartigen Katastrophe freigesetzt wird, konnten Wissenschafter 1994 beim Crash des Kometen Shoemaker-Levy-9 auf den Jupiter beobachten. HaleBopp bedeutet aber keinerlei Gefahr für die Erde. Seine grösste Annäherung an unseren Planeten wird am 23. März etwa 200 Millionen Kilometer betragen; damit ist er immer noch weiter von der Erde entfernt als die Sonne. Barbara Vonarburg www-Adressen zu Hale-Bopp: http://www.eso.org/comet- hale-bopp/http://ne» products.jpl.nasa.gov /comet/