Können internationale mergers eine eigene Identität ausbilden

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Können internationale mergers eine eigene Identität ausbilden?
Unternehmensfusionen aus der Perspektive der interkulturellen
Wirtschaftskommunikationsforschung
(Jürgen Bolten, Jena)
erscheint in: Schriftenreihe des IIK Bayreuth, 2000
Nachrichten über internationale Unternehmensübernahmen und –fusionen zählen
seit der Übernahme Rovers durch BMW, spätestens aber seit der Fusion von Daimler
und Chrysler zur Normalität des Wirtschaftsalltags. Daß dies geschieht, ist im
Zeitalter zunehmender ökonomischer Vernetzung und Globalisierung
unausweichlich; ob es funktioniert, muß im Einzelfall unter Beweis gestellt werden.
Sehr unwahrscheinlich weil zu verlustreich sind zumindest langfristige Letalzustände
derartiger mergers. Die Alternative spielt sich dann im Sinne eines Entweder – Oder
ab: “Wenn es keinen Deal gibt, gibt es ein Major Desaster”, wie Daimler-Manager
Cordes einmal formulierte (Appel/ Hein 1998, 9).
Ohne den zahlreichen Spekulationen folgen zu wollen, wieviele internationale
Unternehmenskooperationen und –zusammenschlüsse in den vergangenen zehn
Jahren in einem “Major Desaster” geendet sind: unumstritten ist die Tatsache, daß
heute neben den sich weltweit immer stärker angleichenden “harten”
Wettbewerbsfaktoren “weiche” Faktoren wie etwa die interne und externe
Kommunikation eines Unternehmens eine zunehmend gewichtigere Rolle spielen
(vgl. u.a. Mohr 1997, 20ff). Für die Wirtschaft gilt hierbei das gleiche, was Gerhard
Schröder kurz nach seinem Amtsantritt als Bundeskanzler in bezug auf die Politik
bemerkte: Sie “ist sehr viel mehr als in der Vergangenheit Kommunikation.
Erfolgreich ist, wer kommunikativer ist als andere” (Die Woche 40/1998, 3).
Unternehmenskulturen sind, wie zu zeigen sein wird, gerade bei Organisationen, die
sich selbst als “lernende” verstehen, temporäres Produkt kommunikativer
Handlungsprozesse. Vermittelt über Unternehmensleitbilder, Symbole, Bräuche etc.
erlauben und ermöglichen sie eine Identifikation der einzelnen Mitarbeiter mit ihrer
Organisation. Daß sich Unternehmenskulturen dabei nicht abgelöst, sondern stets in
Interdependenz mit der sie jeweils umgebenden Landeskultur entwickeln, ist von der
Organisationslehre in den vergangenen Jahren zu Recht zunehmend betont und
nachgewiesen worden (u.a. Schein 1995, Bleher/ Götz 1999, 69f).
Wenig Beachtung geschenkt worden ist bislang allerdings der Frage, wie sich
Unternehmenskulturen in internationalen Fusionsszenarien entwickeln können; also
dann, wenn sie nicht mehr auf eine, sondern auf mehrere spezifische Landeskulturen
bezogen sind. Daß dies “sehr viel problematischer” ist als in intrakulturellen
Kontexten (Schein 1995, 325), hängt wesentlich mit den vollkommen anders
gearteten Kommunikationsbedingungen zusammen, unter denen sich interkulturelles
Handeln vollzieht.
Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, zunächst in grundsätzlicher Weise die
Spezifik interkultureller gegenüber derjenigen intrakultureller
Kommunikationsprozesse zu skizzieren (I). Dabei wird deutlich werden, daß selbst
bei maximalem Konsensstreben keine Identität in dem Sinne ausgebildet werden
kann, wie es bei nationalen Unternehmen möglich ist: Corporate Identity impliziert
bei internationalen mergers die bewußte Anerkennung ihrer Nichtidentität. Die
permanente Verständigung hierüber ist gleichzeitig Voraussetzung dafür, daß sich die
Interkultur als “Deal” und nicht als “Desaster” realisiert (II).
I.
Kommunikatives Handeln ist soziokulturell verankert
Betriebswirtschaftliche Definitionen von “Kommunikation” unterschlagen gerne die
etymologische Doppelbedeutung des Begriffs: Wie das lateinische Ursprungswort
“communicare” nicht nur mit “mitteilen”, sondern auch mit “etwas gemeinschaftlich
machen” zu übersetzen ist, so darf auch der Bedeutungsgehalt von “Kommunikation”
nicht allein unter informatorischen Aspekten betrachtet werden. ”Kommunikation”
erschöpft sich eben nicht nur in der Übermittlung einer Information von einem
Sender A zu einem Empfänger B und umgekehrt; ”Kommunikation” bezeichnet im
Sinne des ”etwas-gemeinschaftlich-machen” vielmehr Prozesse gemeinschaftlichen
Handelns, Prozesse auch des Aushandelns gemeinsamer Standpunkte. Watzlawick
(1990, 55) hat in diesem Sinne Kommunikation als wechselseitiges Zusammenspiel
von Inhalts- und Beziehungsaspekten beschrieben: Mit jedem Was das ich äußere,
definiere ich auch das Wie, die Kommunikationsbeziehung, neu. So kann das
berühmte “falsche Wort” oder der “falsche Ton” eines Kommunikationsinhaltes die
Beziehung zwischen den Kommunikationspartnern plötzlich verändern, wodurch alle
nachfolgenden Kommunikationsinhalte beeinflußt sind.
Wird Kommunikation in diesem Sinne nicht als Interaktionsbegriff, sondern
weitgehend entpersonalisiert als Transmissionsbegriff i.S. von “Datenübertragung”
verstanden, bleibt die Beziehungsebene unberücksichtigt. Daß die damit verbundene
Ausklammerung der wechselseitigen Akzeptanzgenerierung leicht in ein “Desaster”
abgleitet, belegen nicht zuletzt viele der unter schocktherapeutischen Vorzeichen
vollzogenen ökonomischen Transformationsprozesse in Osteuropa (Bolten/ Dathe
1995).
Versteht man hingegen Kommunikation nicht im Sinne einer einseitigen
Informationsübertragung, sondern als Zusammenspiel von Kommunikationsinhalt
und –beziehung, dann mußfreilich auch berücksichtigt werden, daß jeder
Kommunizierende einen spezifisch individuellen Kommunikationsstil praktiziert, der
zu großen Teilen durch die Kontexte der jeweiligen Sozialisation geprägt ist. Denn
das, worauf wir in unserer Kommunikation unweigerlich zurückgreifen müssen, ist
nichts anderes als das Produkt vorangegangener Kommunikations- (und damit
Sozialisations-) prozesse: Es sind Wissensbestände, die sich in jahrhundertelanger
Tradierung sukzessive erweitert, vernetzt und modifiziert haben. Sie bilden
gleichsam das potentielle Archiv, aus dem sich unser individuelles und soziales
Handeln rekrutiert (Habermas 1981, Assmann 1988).
Medien der Wissensorganisation und Kommunikationsgeschichte
Welche dieser Wissensbestände für uns bis heute eine besonders hohen
Aktualitätsgrad besitzen und dementsprechend auch unser Handeln bestimmen, hängt
in nicht zu unterschätzendem Ausmaß davon ab, wie Kommunikationsprozesse und
damit auch die Produktion von Wissen über Jahrhunderte hinweg organisiert und
kanalisiert worden ist (Assmann 1994). So ist es naheliegend, daß im “teutonischen”
Kulturraum (vgl. Galtung 1985) z.B. die christliche Lehre deshalb einen noch heute
so nachhaltigen Einfluß auf unsere Denk- und Handlungsweisen ausübt, weil es
Klöster und Kirchen waren, die seit dem Beginn von Schriftlichkeit für den immerhin
längsten Zeitraum der deutschen Geschichte mehr oder minder monopolistisch
Wissen gespeichert und organisiert haben. Spätere Steuerungszentren von
Kommunikation, zu denen bei uns beispielsweise Institutionen politischer Herrschaft,
bürgerliche Wissenschaft, Kunst oder gegenwärtig die Medien selbst zu rechnen sind,
haben diese Traditionen notwendigerweise fortgeschrieben. Auf diese Weise ist ein
sehr komplexer, zugleich aber auch konsistenter und spezifisch deutscher
Kommunikationszusammenhang entstanden.
Während die deutsche Kommunikationsgeschichte wesentlich durch eine über lange
Zeit antagonistische Polung zwischen katholischer Lehre einerseits und
reformatorischen Ansätzen andererseits geprägt ist, haben wir es beispielsweise in
der frankophonen und in der angelsächsischen Tradition mit Entwicklungen zu tun,
die erheblich weniger durch derartige Widersprüche charakterisiert sind:
So ist die französische Situation entscheidend durch das mittelalterliche und
neuzeitliche Kommunikationsmonopol des Katholizismus geprägt worden. Es hat die
Voraussetzungen dafür geschaffen, daß sich Denk- und Handlungsstrukturen wie
Rationalismus und Zentralismus etablieren konnten. Ähnliches gilt zweifellos in
bezug auf die alltägliche Ästhetik des savoir vivre, deren Bedeutung sich ohne
Berücksichtigung des Einflusses der katholischen Kirche nicht erschließen ließe.
Anders die angelsächsischen Regionen: Hier bot die im weitesten Sinne
protestantische Prägung des Wissensvorrats eher eine Basis für erfahrungsorientierte,
pluralistische, individualistische, aber auch puritanischere Formen der
Selbstverständigung. Das unter diesen Vorzeichen vernetzte ”Archiv”
kommunikativen Handelns unterscheidet sich dementsprechend maßgeblich von
demjenigen frankophoner oder deutscher Prägung. Es ist weniger hierarchisch
strukturiert, dafür aber empirischer und personenbezogener ausgerichtet. Daß diese
Merkmale noch heute stilbildend wirken, drückt sich nicht nur in der open door
policy, den flachen Hierarchien in der Unternehmensorganisation oder der
spezifischen Art angelsächsischer Rechtsprechung aus. Es wird bereits auf den ersten
Blick deutlich, wenn man sich angelsächsische Homepages, Geschäftsberichte oder
Verkaufsprospekte ansieht: Nicht der Autor steht im Vordergrund, sondern der
Rezipient. Und der wird nicht mit einer ausschweifenden Philosphie, sondern mit
knappen Daten und Fakten zu überzeugen versucht (Bolten 1999).
Nicht zuletzt verdanken sich auch aktuelle makroökonomische und
ordnungspolitische Strukturkonzepte wie etwa das der Marktwirtschaft spezifischen
Formungen kultureller Wissensvorräte. Dies wird deutlich, wenn man sich vor
Augen führt, wie unterschiedlich die drei Säulen marktwirtschaftlichen Denkens,
nämlich Personalität, Solidarität und Subsidiarität, in marktwirtschaftlich
organisierten Staaten gewichtet werden: So spielt das Prinzip der Personalität in
denjenigen Marktwirtschaften eine dominierende Rolle, die sich primär unter dem
Einfluß der protestantischen Wirtschaftsethik entwickelt haben: Das Individuum ist
frei für seine eigene ökonomische Entfaltung, es ist aber auch im wesentlichen frei
von der Absicherung durch die Solidargemeinschaft – ein Tatbestand, der mit der
katholischen Soziallehre nicht vereinbar wäre. Aus diesem Grund konnte sich eine
”freie” Marktwirtschaft im Gegensatz zu einer ”sozialen” folglich auch primär in den
USA und nicht in Deutschland oder Frankreich etablieren.
Kommunikation und kulturelles Selbstverständnis
Wenn nun, wie diese wenigen Beispiele zumindest andeutungsweise zu erkennen
geben, unser Handeln und Wissen unverbrüchlich mit jahrhundertelang
vorangegangenen Prozessen kommunikativer Selbstverständigung verknüpft ist, und
wir selbst durch unser kommunikatives Handeln und unsere Auslegungsprozesse
diesen Wissensvorrat und damit die Sozialisationskontexte der nachfolgenden
Generationen modifizieren, folgt hieraus für die Definition von ”Kultur” eine relativ
einfache Formel: Kultur ist Produkt kommunikativer Prozesse.
Vor diesem Hintergrund erklärt sich fast schon selbstredend, warum einerseits eine
so große Anzahl unterschiedlicher Kulturen existiert, warum andererseits aber auch
viele Kulturen zumindest partiell Gemeinsamkeiten aufweisen.
Wie Kulturen in der uns heute bekannten Form entstanden sind, wird wiederum
deutlich, wenn man ”communicare” in der zitierten Bedeutung von ”etwas
gemeinschaftlich machen” versteht. Denn Gemeinschaft konstituiert sich in
Selbstverständigungsprozessen, die –bezogen auf das Alltagshandeln- eine
gemeinsame Sprache, räumliche Nähe und zeitlich eine weitgehende Synchronie
voraussetzen.
Auch wenn sich aufgrund technologischer Entwicklungen im Laufe der Jahrhunderte
die Definitionen von Nähe und Gleichzeitigkeit radikal verändert haben: Kollektive
Selbstverständigungsprozesse haben sich historisch gesehen die mit Abstand längste
Zeit auf räumlich relativ eng begrenztem Gebiet in sog. Sprachgemeinschaften
abgespielt. Diese Sprachgemeinschaften boten die Voraussetzung für die
Entwicklung von Kommunikations- bzw. Handlungsroutinen, die den Mitgliedern
einerseits eine größtmögliche Effizienz ihres Alltagshandelns sicherten, die
andererseits aber auch festlegten, was als Eigenes und was als Fremdes zu
deklarieren war.
Kreuzzüge, Migrationen, politisch und ökonomisch motivierte Okkupationen waren
in der Geschichte immer wieder Anlaß für jahrhundertelange Assimilations- und
Dissimilationsprozesse, in deren Rahmen sich die Grenzverläufe zwischen Eigenem
und Fremdem sukzessive verschoben, Sprachen und kulturelle Wissensvorräte sich
vermischt haben. Daß hierbei vollständige kulturelle Integrationen eher die
Ausnahme als die Regel dargestellt haben und auch heute noch darstellen, belegen
die unzähligen politischen Dauerkonflikte, die uns umgeben.
Daß die Integration unterschiedlicher kultureller Gemeinschaften so problematisch
ist, daß wir trotz Internet und Englisch als lingua franca weit entfernt von einer
”Weltkultur” im Sinne einer integrierten Weltgemeinschaft sind, läßt sich in erster
Linie mit der Resistenz kultureller Wissensvorräte erklären. Obwohl ihr Bestand
unendliche Verknüpfungs- und Auslegungsmöglichkeiten bietet und damit auch die
Einzigartigkeit von Individualität sichert, ist ein Handeln ohne Bezugnahme auf den
”eigenen” kulturellen Wissensvorrat nicht möglich.
Als gemeinsamer Bezugsrahmen und als Steuerungsinstrument sozialen Handelns
ermöglicht der kulturelle Wissensvorrat nicht nur Routinehandeln, sondern bietet
auch eine Letztverständigung hinsichtlich dessen, was im Kontext des
Alltagshandelns von den Mitgliedern einer Ethnie noch unter ”Normalität” verbucht
werden kann und was nicht.
Intrakulturelles Alltagshandeln setzt derartige Normalitätserwartungen fraglos
voraus. Es tradiert sie weitgehend unreflektiert und trägt gleichzeitig zu ihrer
weiteren Konventionalisierung und Verfestigung bei (Schütz/ Luckmann 1979 (1),
30ff). Betont werden muß aber, daß dieser gemeinsame Wissensvorrat der
Ethniemitglieder zwar eine Basis der fraglos gegebenen intrakulturellen
Letztverständigung darstellt, daß er aber gleichzeitig eine unendliche Vielfalt
individuellen Handelns ermöglicht.
Intrakulturelle vs. interkulturelle Kommunikation
Folglich ist es keineswegs paradox, wenn sich beispielsweise ein deutscher Manager
in der Kommunikation mit einem fremdkulturellen Berufskollegen erheblich wohler
fühlt als es in der Kommunikation mit einem Mitglied der eignen Kultur, einem
“kulturellen Kollegen” (Patzelt 1987, 59), je der Fall sein würde. Dies gilt vor allem
dann, wenn sich die Sozialisationskontexte der kulturellen (aber nicht beruflichen)
Kollegen sehr unterschiedlich darstellen. ”Gemeinschaftlich etwas machen”, also
kommunikativ interagieren, werden die beiden kulturellen Kollegen in der Regel
nicht. Sie werden sich, sofern sie Nachbarn sind, zwar grüßen und dann und wann ein
unverbindliches Gespräch anknüpfen. Überwiegend wird ihre Kommunikation
jedoch nicht in direkter, sondern in indirekter Form verlaufen; nämlich über
gemeinsam genutzte Medien, über soziale Ereignisse und über Feste, die zur
gemeinsamen Zeit am gemeinsamen Ort stattfinden.
Die beiden Berufskollegen hingegen werden überwiegend in direkter Weise
kommunizieren. Sie werden dabei unbeschadet ihrer unterschiedlichen sprachlichen
und kulturellen Herkunft produktiv und erfolgreich sein müssen. Dies wird ihnen
auch gelingen, sofern sie sich der Tatsache bewußt sind und bleiben, daß ihre
Handlungsvoraussetzungen letztlich nicht die gleichen sind, daß die Routinen ihres
gemeinsamen Alltags nicht fraglos gegeben sind und daß eine Letztverständigung
über einen gemeinsamen kulturellen Wissensvorrat nicht möglich ist.
Genau das unterscheidet interkulturelle Kommunikation von intrakultureller
Kommunikation: Interkulturelle Kommunikation kann nicht auf einem über
Jahrhunderte gewachsenen und immer schon fraglos vorhandenen Netzwerk
kollektiver Selbstverständigung aufbauen. Sie vollzieht sich vielmehr im Sinne eines
permanenten Aushandlungsprozesses von Handlungsspielräumen, die seitens der
Beteiligten jeweils akzeptiert werden können. Was resultiert, läßt sich auch als
Interkultur bezeichnen (Bolten 1993, Mauritz 1996). Wie sich eine solche Interkultur
realisiert, welche Handlungsroutinen von ihren Mitgliedern als normal angesehen
werden und welche nicht, läßt sich freilich in keinem Fall voraussagen. Dies ist
einzig und allein von den Beteiligten und der Art und Weise, wie sie ”etwas
gemeinschaftlich machen”, abhängig. Ebensowenig wie es den Deutschen oder den
Amerikaner gibt, wird es auch nicht die deutsch-amerikanische Interkultur geben.
Mit Sicherheit kann lediglich gesagt werden, daß diese Interkultur keiner der
Ausgangskulturen entspricht und daß sie auch nicht deren Synthese darstellt.
II.
Internationale mergers als Interkulturen
In diesem Sinne sind Interkulturen Synergieprodukte, die im Kontext des
kommunikativen Handelns ihrer Beteiligten durchaus eine eigene Normalität, eigene
Handlungsschemata und damit auch eigene, spezifisch interkulturelle,
Wissensvorräte entwickeln können. Diese im Prozeß der Interkultur erzeugten
Wissensvorräte werden allerdings im Gegensatz zu den ausgangskulturellen
Wissensvorräten den Erfahrungen ihrer Subjekte historisch nie vorgelagert sein
können.
Das bedeutet, es konkurrieren bei den Mitgliedern einer solchen Interkultur – und
nichts anderes ist ein internationaler merger - zwei Handlungsschemata: Eines, das
auf die aktuelle interkulturelle Realität qua merger bezogen ist sowie eines, das
dieser Realität vorgelagert und durch den Wissensvorrat der jeweiligen
unterschiedlichen Landes- und Unternehmenskulturen determiniert ist. Insofern
spielen die Agenten einer Interkultur stets eine Doppelrolle.
Entsprechend dem BMW-Rover-Motto „Wir verändern uns gemeinsam“ (BMW
1996) werden sie dabei im Idealfall bemüht sein, Handlungsspielräume nicht nach
Maßgabe der jeweils eigenen Kultur zu definieren, sondern so, daß für alle
Beteiligten eine größtmögliche Akzeptanz erzielt wird. Je stärker sich die Mitglieder
eines internationalen Teams in bezug auf ihre kulturelle Herkunft unterscheiden,
desto bewußter werden sie bemüht sein, gegenseitige Akzeptanzgrenzen zu erkennen
und zu wahren. Vertrautheit und Routine werden sich zwar einstellen; sie werden
aber zunächst noch von dem Bewußtsein der Differenz der jeweiligen kulturellen
Handlungsvoraussetzungen begleitet sein.
Erst wenn das Alltagshandeln in der Interkultur einen Grad an Normalität erreicht
hat, der demjenigen eigenkulturellen Handelns zu entsprechen scheint, wird auch das
Fremdheitsempfinden auf ein Minimum reduziert werden. Dies kann dann der Fall
sein, wenn eine Interkultur über einen längeren Zeitraum hinweg existiert, eigene
Konventionen und Riten ausgebildet hat und für ihre Mitglieder den Status fragloser
Plausibilität erlangt hat. Der gleiche Effekt wird allerdings auch –und oft
vergleichsweise schnell- erreicht, wenn Mitglieder geographisch benachbarter oder
sprachlich verwandter Kulturen interagieren.
In beiden Fällen ist die vermeintliche Normalität allerdings trügerisch. Sie kann dazu
führen, daß interkulturelle und eigenkulturelle Handlungsschemata reflexiv nicht
mehr auseinandergehalten werden, daß interkulturelles Handeln auf der Folie des
eigenkulturellen Wissensvorrats gedeutet wird. Gerade weil dies nicht bewußt
verläuft, sind Mißverständnisse vorprogrammiert, die sich im Rahmen der erwähnten
intrakulturellen Letztverständigung nicht mehr lösen lassen. Sofern diese
Mißverständnisse nicht rechtzeitig bemerkt und thematisiert werden, können sie
durchaus irreparabel sein, weil unter Umständen den Beteiligten noch nicht einmal
deutlich ist, worin das Mißverständnis besteht und zu welchem Zeitpunkt es
ursprünglich aufgetreten ist.
Aus diesem Grund sind internationale Kooperationen oder mergers mit Partnern
benachbarter Kulturen auch keineswegs weniger krisenanfällig als solche mit
Partnern aus sehr unterschiedlichen Kulturen. Der wesentliche Unterschied dürfte vor
allem in dem Zeitpunkt der Krisenanfälligkeit liegen: Je größer die kulturelle Nähe,
desto eher neigt man dazu, aus der oberflächenstrukturellen „Normalität“ der
Interkultur auf eine Gemeinsamkeit auch des tiefenstrukturell verankerten und fraglos
gegebenen kulturellen Wissensvorrats zu schließen. Je größer die kulturelle
Differenz hingegen, desto länger wird man sich sehr bewußt mit den
unterschiedlichen Strukturen des gemeinsamen Handelns innerhalb der Interkultur
auseinandersetzen und „Xenotoleranz“ (Nicklas 1999, 21) üben (müssen).
Mergerkultur: Die Nichtidentität des Identischen
Bei der Realisierung internationaler mergers wird heute in der Regel berücksichtigt,
„daß die lokale Unternehmenskultur, eingebunden in die nationale
Gesellschaftskultur, weitestmöglich ihre Identität wahren kann“ (Bleher/ Götz 1999,
74). Darüber hinaus bemüht man sich freilich auch, globale Mergerkulturen im Sinne
einer übergreifenden „Corporate Identity“ zu formulieren. Daß diese merger-Identität
eine vollkommen andere Qualität besitzt und besitzen muß, als es bei der Corporate
Identity eines nationalen Unternehmens der Fall ist, liegt auf der Hand: Während sich
die Selbstverständigungsprozesse innerhalb eines nationalen Unternehmens im
Rekurs auf das fraglos Gegebene der gemeinsamen Lebenswelt ihrer Mitglieder
vollziehen und damit tiefenstrukturell eine Basis gemeinsamer Letztverständigung
besitzen, ist dies bei internationalen mergers gerade nicht der Fall. Ihre Identität ist
temporäres Produkt eines Aushandlungsprozesses; hinsichtlich der
Handlungsvoraussetzungen ihrer Agenten ist sie wesensmäßig durch Nichtidentität
charakterisiert.
Ob sich ein merger im eingangs genannten Sinn als „deal“ oder als „desaster“
erweist, hängt nicht zuletzt damit zusammen, inwieweit seine Akteure in der Lage
sind, diese prinzipielle Nichtidentität des (oberflächenstrukturell) Identischen bewußt
zu leben und metakommunikativ zu thematisieren. Daß dies häufig zu mißlingen
scheint, liegt nicht nur an der mangelnden Reflexivität, mit der interkulturelle
Prozesse vollzogen werden, sondern auch in der nahezu zwanghaften Neigung vieler
Kulturen, Konsens um jeden Preis zu suchen. Konsens erscheint „angesichts des
immer dagewesenen und nie enden wollenden Dissenses“ zwar „als etwas Wertvolles
und Beruhigendes, weil dessen Abwesenheit einen reibungslosen Verlauf der
menschlichen Handlungen beeinträchtigt“ (Mall 2000, 3); er impliziert aber auch
Idealzustände, Strukturen, Ordnungen und eine Statik, die der permanenten
Prozessualität von Interkulturen widersprechen.
Literatur:
Appel/ Hein 1998 = Holger Appel/ Christoph Hein: Der DaimlerChrysler Deal.
Stuttgart 1998
Assmann 1988 = Kultur und Gedächtnis. Hrsg. v. Jan Assmann, Tonio Hölscher.
Ffm. 1988.
Assmann 1994 = Assmann, Aleida und Jan: Das Gestern im Heute. Medien und soziales Gedächtnis, in:K.Merten u.a. (Hg.), Die Wirklichkeit der Medien, Bonn
1994, S.114-140.
Bleher/ Götz 1999 = Nadine Bleher/ Klaus Götz: Managementkonzepte in
europäischen Automobilunternehmen. In: Klaus Götz (Hg.), Führungskultur.
Die organisationale Perspektive. München/ Mering 1999, 67-89
BMW 1996 = BMW AG, AK-4, Die langfristige Personalpolitik im BMW Konzern.
Alex - Aktuelles Lexikon. München 1996 (Broschüre)
Bolten 1993 = Jürgen Bolten: Grenzziehungen als interaktionaler Prozeß. In:
Jahrbuch DaF 19. 1993, 255-276.
Bolten 1999 = Jürgen Bolten: Sharan, Galaxy oder Alhambra: „Kommunikation“ und
„Kultur“ als Differenzierungsmerkmale im internationalen Wettbewerb.
Erscheint in: J.Bolten (Hg.), Studien zur internationalen
Unternehmenskommunikation. Leipzig 1999
Bolten/ Dathe 1995 = Transformation und Integration. Aktuelle Probleme und
Perspektiven west-/ osteuropäischer Wirtschaftsbeziehungen. Hrsg. v. Jürgen
Bolten, Marion Dathe. Sternenfels/ Berlin 1995.
Galtung 1985 = Johan Galtung: Struktur, Kultur und intellektueller Stil. In: Das
Fremde und das Eigene. Hrsg. v. A. Wierlacher. München 1985, 151-193.
Habermas 1981 = Jürgen Habermas: Theorie des kommunikativen Handelns. Bd. 2.
Frankfurt/Main 1981.
Habermas 1974 = Jürgen Habermas: Können komplexe Gesellschaften eine
vernünftige Identität ausbilden? In: J.Habermas/ D.Henrich: Zwei Reden.
Fft./M. 1974, 23-75
Mall 2000 = Ram Adhar Mall: Interkulturelle Verständigung - Primat der
Kommunikation vor dem Konsens? Erscheint in: EuS 11(2000)
Mauritz 1996 = Helmut Mauritz: Interkulturelle Geschäftsbeziehungen. Wiesbaden
1996.
Mohr 1997 = Nico Mohr: Kommunikation und organisatorischer Wandel. Wiesbaden
1997
Münch 1991 = Richard Münch: Dialektik der Kommunikationsgesellschaft.
Frankfurt/M. 1991.
Nicklas 1999 = Hans Nicklas: Vom kommunikativen Handeln zum Diskurs: Zur
Struktur interkulturellen Lernens. In: C.Wulf (Hg.), Vom Verstehen des
Nichtverstehens. Ethnosoziologie interkultureller Beziehungen. Frankfurt/
New York 1999, 19-28.
Schein 1995 = Edgar H.Schein: Unternehmenskultur. Frankfurt/ New York 1995.
Schütz/ Luckmann 1979 = Alfred Schütz / Thomas Luckman: Strukturen der
Lebenswelt. 2 Bände. Frankfurt/ Main 1979
Watzlawick 1990 = Menschliche Kommunikation. Hrsg. v. P. Watzlawick u. a. Bern,
8.Auflage 1990.
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