Können internationale mergers eine eigene Identität ausbilden? Unternehmensfusionen aus der Perspektive der interkulturellen Wirtschaftskommunikationsforschung (Jürgen Bolten, Jena) erscheint in: Schriftenreihe des IIK Bayreuth, 2000 Nachrichten über internationale Unternehmensübernahmen und –fusionen zählen seit der Übernahme Rovers durch BMW, spätestens aber seit der Fusion von Daimler und Chrysler zur Normalität des Wirtschaftsalltags. Daß dies geschieht, ist im Zeitalter zunehmender ökonomischer Vernetzung und Globalisierung unausweichlich; ob es funktioniert, muß im Einzelfall unter Beweis gestellt werden. Sehr unwahrscheinlich weil zu verlustreich sind zumindest langfristige Letalzustände derartiger mergers. Die Alternative spielt sich dann im Sinne eines Entweder – Oder ab: “Wenn es keinen Deal gibt, gibt es ein Major Desaster”, wie Daimler-Manager Cordes einmal formulierte (Appel/ Hein 1998, 9). Ohne den zahlreichen Spekulationen folgen zu wollen, wieviele internationale Unternehmenskooperationen und –zusammenschlüsse in den vergangenen zehn Jahren in einem “Major Desaster” geendet sind: unumstritten ist die Tatsache, daß heute neben den sich weltweit immer stärker angleichenden “harten” Wettbewerbsfaktoren “weiche” Faktoren wie etwa die interne und externe Kommunikation eines Unternehmens eine zunehmend gewichtigere Rolle spielen (vgl. u.a. Mohr 1997, 20ff). Für die Wirtschaft gilt hierbei das gleiche, was Gerhard Schröder kurz nach seinem Amtsantritt als Bundeskanzler in bezug auf die Politik bemerkte: Sie “ist sehr viel mehr als in der Vergangenheit Kommunikation. Erfolgreich ist, wer kommunikativer ist als andere” (Die Woche 40/1998, 3). Unternehmenskulturen sind, wie zu zeigen sein wird, gerade bei Organisationen, die sich selbst als “lernende” verstehen, temporäres Produkt kommunikativer Handlungsprozesse. Vermittelt über Unternehmensleitbilder, Symbole, Bräuche etc. erlauben und ermöglichen sie eine Identifikation der einzelnen Mitarbeiter mit ihrer Organisation. Daß sich Unternehmenskulturen dabei nicht abgelöst, sondern stets in Interdependenz mit der sie jeweils umgebenden Landeskultur entwickeln, ist von der Organisationslehre in den vergangenen Jahren zu Recht zunehmend betont und nachgewiesen worden (u.a. Schein 1995, Bleher/ Götz 1999, 69f). Wenig Beachtung geschenkt worden ist bislang allerdings der Frage, wie sich Unternehmenskulturen in internationalen Fusionsszenarien entwickeln können; also dann, wenn sie nicht mehr auf eine, sondern auf mehrere spezifische Landeskulturen bezogen sind. Daß dies “sehr viel problematischer” ist als in intrakulturellen Kontexten (Schein 1995, 325), hängt wesentlich mit den vollkommen anders gearteten Kommunikationsbedingungen zusammen, unter denen sich interkulturelles Handeln vollzieht. Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, zunächst in grundsätzlicher Weise die Spezifik interkultureller gegenüber derjenigen intrakultureller Kommunikationsprozesse zu skizzieren (I). Dabei wird deutlich werden, daß selbst bei maximalem Konsensstreben keine Identität in dem Sinne ausgebildet werden kann, wie es bei nationalen Unternehmen möglich ist: Corporate Identity impliziert bei internationalen mergers die bewußte Anerkennung ihrer Nichtidentität. Die permanente Verständigung hierüber ist gleichzeitig Voraussetzung dafür, daß sich die Interkultur als “Deal” und nicht als “Desaster” realisiert (II). I. Kommunikatives Handeln ist soziokulturell verankert Betriebswirtschaftliche Definitionen von “Kommunikation” unterschlagen gerne die etymologische Doppelbedeutung des Begriffs: Wie das lateinische Ursprungswort “communicare” nicht nur mit “mitteilen”, sondern auch mit “etwas gemeinschaftlich machen” zu übersetzen ist, so darf auch der Bedeutungsgehalt von “Kommunikation” nicht allein unter informatorischen Aspekten betrachtet werden. ”Kommunikation” erschöpft sich eben nicht nur in der Übermittlung einer Information von einem Sender A zu einem Empfänger B und umgekehrt; ”Kommunikation” bezeichnet im Sinne des ”etwas-gemeinschaftlich-machen” vielmehr Prozesse gemeinschaftlichen Handelns, Prozesse auch des Aushandelns gemeinsamer Standpunkte. Watzlawick (1990, 55) hat in diesem Sinne Kommunikation als wechselseitiges Zusammenspiel von Inhalts- und Beziehungsaspekten beschrieben: Mit jedem Was das ich äußere, definiere ich auch das Wie, die Kommunikationsbeziehung, neu. So kann das berühmte “falsche Wort” oder der “falsche Ton” eines Kommunikationsinhaltes die Beziehung zwischen den Kommunikationspartnern plötzlich verändern, wodurch alle nachfolgenden Kommunikationsinhalte beeinflußt sind. Wird Kommunikation in diesem Sinne nicht als Interaktionsbegriff, sondern weitgehend entpersonalisiert als Transmissionsbegriff i.S. von “Datenübertragung” verstanden, bleibt die Beziehungsebene unberücksichtigt. Daß die damit verbundene Ausklammerung der wechselseitigen Akzeptanzgenerierung leicht in ein “Desaster” abgleitet, belegen nicht zuletzt viele der unter schocktherapeutischen Vorzeichen vollzogenen ökonomischen Transformationsprozesse in Osteuropa (Bolten/ Dathe 1995). Versteht man hingegen Kommunikation nicht im Sinne einer einseitigen Informationsübertragung, sondern als Zusammenspiel von Kommunikationsinhalt und –beziehung, dann mußfreilich auch berücksichtigt werden, daß jeder Kommunizierende einen spezifisch individuellen Kommunikationsstil praktiziert, der zu großen Teilen durch die Kontexte der jeweiligen Sozialisation geprägt ist. Denn das, worauf wir in unserer Kommunikation unweigerlich zurückgreifen müssen, ist nichts anderes als das Produkt vorangegangener Kommunikations- (und damit Sozialisations-) prozesse: Es sind Wissensbestände, die sich in jahrhundertelanger Tradierung sukzessive erweitert, vernetzt und modifiziert haben. Sie bilden gleichsam das potentielle Archiv, aus dem sich unser individuelles und soziales Handeln rekrutiert (Habermas 1981, Assmann 1988). Medien der Wissensorganisation und Kommunikationsgeschichte Welche dieser Wissensbestände für uns bis heute eine besonders hohen Aktualitätsgrad besitzen und dementsprechend auch unser Handeln bestimmen, hängt in nicht zu unterschätzendem Ausmaß davon ab, wie Kommunikationsprozesse und damit auch die Produktion von Wissen über Jahrhunderte hinweg organisiert und kanalisiert worden ist (Assmann 1994). So ist es naheliegend, daß im “teutonischen” Kulturraum (vgl. Galtung 1985) z.B. die christliche Lehre deshalb einen noch heute so nachhaltigen Einfluß auf unsere Denk- und Handlungsweisen ausübt, weil es Klöster und Kirchen waren, die seit dem Beginn von Schriftlichkeit für den immerhin längsten Zeitraum der deutschen Geschichte mehr oder minder monopolistisch Wissen gespeichert und organisiert haben. Spätere Steuerungszentren von Kommunikation, zu denen bei uns beispielsweise Institutionen politischer Herrschaft, bürgerliche Wissenschaft, Kunst oder gegenwärtig die Medien selbst zu rechnen sind, haben diese Traditionen notwendigerweise fortgeschrieben. Auf diese Weise ist ein sehr komplexer, zugleich aber auch konsistenter und spezifisch deutscher Kommunikationszusammenhang entstanden. Während die deutsche Kommunikationsgeschichte wesentlich durch eine über lange Zeit antagonistische Polung zwischen katholischer Lehre einerseits und reformatorischen Ansätzen andererseits geprägt ist, haben wir es beispielsweise in der frankophonen und in der angelsächsischen Tradition mit Entwicklungen zu tun, die erheblich weniger durch derartige Widersprüche charakterisiert sind: So ist die französische Situation entscheidend durch das mittelalterliche und neuzeitliche Kommunikationsmonopol des Katholizismus geprägt worden. Es hat die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß sich Denk- und Handlungsstrukturen wie Rationalismus und Zentralismus etablieren konnten. Ähnliches gilt zweifellos in bezug auf die alltägliche Ästhetik des savoir vivre, deren Bedeutung sich ohne Berücksichtigung des Einflusses der katholischen Kirche nicht erschließen ließe. Anders die angelsächsischen Regionen: Hier bot die im weitesten Sinne protestantische Prägung des Wissensvorrats eher eine Basis für erfahrungsorientierte, pluralistische, individualistische, aber auch puritanischere Formen der Selbstverständigung. Das unter diesen Vorzeichen vernetzte ”Archiv” kommunikativen Handelns unterscheidet sich dementsprechend maßgeblich von demjenigen frankophoner oder deutscher Prägung. Es ist weniger hierarchisch strukturiert, dafür aber empirischer und personenbezogener ausgerichtet. Daß diese Merkmale noch heute stilbildend wirken, drückt sich nicht nur in der open door policy, den flachen Hierarchien in der Unternehmensorganisation oder der spezifischen Art angelsächsischer Rechtsprechung aus. Es wird bereits auf den ersten Blick deutlich, wenn man sich angelsächsische Homepages, Geschäftsberichte oder Verkaufsprospekte ansieht: Nicht der Autor steht im Vordergrund, sondern der Rezipient. Und der wird nicht mit einer ausschweifenden Philosphie, sondern mit knappen Daten und Fakten zu überzeugen versucht (Bolten 1999). Nicht zuletzt verdanken sich auch aktuelle makroökonomische und ordnungspolitische Strukturkonzepte wie etwa das der Marktwirtschaft spezifischen Formungen kultureller Wissensvorräte. Dies wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, wie unterschiedlich die drei Säulen marktwirtschaftlichen Denkens, nämlich Personalität, Solidarität und Subsidiarität, in marktwirtschaftlich organisierten Staaten gewichtet werden: So spielt das Prinzip der Personalität in denjenigen Marktwirtschaften eine dominierende Rolle, die sich primär unter dem Einfluß der protestantischen Wirtschaftsethik entwickelt haben: Das Individuum ist frei für seine eigene ökonomische Entfaltung, es ist aber auch im wesentlichen frei von der Absicherung durch die Solidargemeinschaft – ein Tatbestand, der mit der katholischen Soziallehre nicht vereinbar wäre. Aus diesem Grund konnte sich eine ”freie” Marktwirtschaft im Gegensatz zu einer ”sozialen” folglich auch primär in den USA und nicht in Deutschland oder Frankreich etablieren. Kommunikation und kulturelles Selbstverständnis Wenn nun, wie diese wenigen Beispiele zumindest andeutungsweise zu erkennen geben, unser Handeln und Wissen unverbrüchlich mit jahrhundertelang vorangegangenen Prozessen kommunikativer Selbstverständigung verknüpft ist, und wir selbst durch unser kommunikatives Handeln und unsere Auslegungsprozesse diesen Wissensvorrat und damit die Sozialisationskontexte der nachfolgenden Generationen modifizieren, folgt hieraus für die Definition von ”Kultur” eine relativ einfache Formel: Kultur ist Produkt kommunikativer Prozesse. Vor diesem Hintergrund erklärt sich fast schon selbstredend, warum einerseits eine so große Anzahl unterschiedlicher Kulturen existiert, warum andererseits aber auch viele Kulturen zumindest partiell Gemeinsamkeiten aufweisen. Wie Kulturen in der uns heute bekannten Form entstanden sind, wird wiederum deutlich, wenn man ”communicare” in der zitierten Bedeutung von ”etwas gemeinschaftlich machen” versteht. Denn Gemeinschaft konstituiert sich in Selbstverständigungsprozessen, die –bezogen auf das Alltagshandeln- eine gemeinsame Sprache, räumliche Nähe und zeitlich eine weitgehende Synchronie voraussetzen. Auch wenn sich aufgrund technologischer Entwicklungen im Laufe der Jahrhunderte die Definitionen von Nähe und Gleichzeitigkeit radikal verändert haben: Kollektive Selbstverständigungsprozesse haben sich historisch gesehen die mit Abstand längste Zeit auf räumlich relativ eng begrenztem Gebiet in sog. Sprachgemeinschaften abgespielt. Diese Sprachgemeinschaften boten die Voraussetzung für die Entwicklung von Kommunikations- bzw. Handlungsroutinen, die den Mitgliedern einerseits eine größtmögliche Effizienz ihres Alltagshandelns sicherten, die andererseits aber auch festlegten, was als Eigenes und was als Fremdes zu deklarieren war. Kreuzzüge, Migrationen, politisch und ökonomisch motivierte Okkupationen waren in der Geschichte immer wieder Anlaß für jahrhundertelange Assimilations- und Dissimilationsprozesse, in deren Rahmen sich die Grenzverläufe zwischen Eigenem und Fremdem sukzessive verschoben, Sprachen und kulturelle Wissensvorräte sich vermischt haben. Daß hierbei vollständige kulturelle Integrationen eher die Ausnahme als die Regel dargestellt haben und auch heute noch darstellen, belegen die unzähligen politischen Dauerkonflikte, die uns umgeben. Daß die Integration unterschiedlicher kultureller Gemeinschaften so problematisch ist, daß wir trotz Internet und Englisch als lingua franca weit entfernt von einer ”Weltkultur” im Sinne einer integrierten Weltgemeinschaft sind, läßt sich in erster Linie mit der Resistenz kultureller Wissensvorräte erklären. Obwohl ihr Bestand unendliche Verknüpfungs- und Auslegungsmöglichkeiten bietet und damit auch die Einzigartigkeit von Individualität sichert, ist ein Handeln ohne Bezugnahme auf den ”eigenen” kulturellen Wissensvorrat nicht möglich. Als gemeinsamer Bezugsrahmen und als Steuerungsinstrument sozialen Handelns ermöglicht der kulturelle Wissensvorrat nicht nur Routinehandeln, sondern bietet auch eine Letztverständigung hinsichtlich dessen, was im Kontext des Alltagshandelns von den Mitgliedern einer Ethnie noch unter ”Normalität” verbucht werden kann und was nicht. Intrakulturelles Alltagshandeln setzt derartige Normalitätserwartungen fraglos voraus. Es tradiert sie weitgehend unreflektiert und trägt gleichzeitig zu ihrer weiteren Konventionalisierung und Verfestigung bei (Schütz/ Luckmann 1979 (1), 30ff). Betont werden muß aber, daß dieser gemeinsame Wissensvorrat der Ethniemitglieder zwar eine Basis der fraglos gegebenen intrakulturellen Letztverständigung darstellt, daß er aber gleichzeitig eine unendliche Vielfalt individuellen Handelns ermöglicht. Intrakulturelle vs. interkulturelle Kommunikation Folglich ist es keineswegs paradox, wenn sich beispielsweise ein deutscher Manager in der Kommunikation mit einem fremdkulturellen Berufskollegen erheblich wohler fühlt als es in der Kommunikation mit einem Mitglied der eignen Kultur, einem “kulturellen Kollegen” (Patzelt 1987, 59), je der Fall sein würde. Dies gilt vor allem dann, wenn sich die Sozialisationskontexte der kulturellen (aber nicht beruflichen) Kollegen sehr unterschiedlich darstellen. ”Gemeinschaftlich etwas machen”, also kommunikativ interagieren, werden die beiden kulturellen Kollegen in der Regel nicht. Sie werden sich, sofern sie Nachbarn sind, zwar grüßen und dann und wann ein unverbindliches Gespräch anknüpfen. Überwiegend wird ihre Kommunikation jedoch nicht in direkter, sondern in indirekter Form verlaufen; nämlich über gemeinsam genutzte Medien, über soziale Ereignisse und über Feste, die zur gemeinsamen Zeit am gemeinsamen Ort stattfinden. Die beiden Berufskollegen hingegen werden überwiegend in direkter Weise kommunizieren. Sie werden dabei unbeschadet ihrer unterschiedlichen sprachlichen und kulturellen Herkunft produktiv und erfolgreich sein müssen. Dies wird ihnen auch gelingen, sofern sie sich der Tatsache bewußt sind und bleiben, daß ihre Handlungsvoraussetzungen letztlich nicht die gleichen sind, daß die Routinen ihres gemeinsamen Alltags nicht fraglos gegeben sind und daß eine Letztverständigung über einen gemeinsamen kulturellen Wissensvorrat nicht möglich ist. Genau das unterscheidet interkulturelle Kommunikation von intrakultureller Kommunikation: Interkulturelle Kommunikation kann nicht auf einem über Jahrhunderte gewachsenen und immer schon fraglos vorhandenen Netzwerk kollektiver Selbstverständigung aufbauen. Sie vollzieht sich vielmehr im Sinne eines permanenten Aushandlungsprozesses von Handlungsspielräumen, die seitens der Beteiligten jeweils akzeptiert werden können. Was resultiert, läßt sich auch als Interkultur bezeichnen (Bolten 1993, Mauritz 1996). Wie sich eine solche Interkultur realisiert, welche Handlungsroutinen von ihren Mitgliedern als normal angesehen werden und welche nicht, läßt sich freilich in keinem Fall voraussagen. Dies ist einzig und allein von den Beteiligten und der Art und Weise, wie sie ”etwas gemeinschaftlich machen”, abhängig. Ebensowenig wie es den Deutschen oder den Amerikaner gibt, wird es auch nicht die deutsch-amerikanische Interkultur geben. Mit Sicherheit kann lediglich gesagt werden, daß diese Interkultur keiner der Ausgangskulturen entspricht und daß sie auch nicht deren Synthese darstellt. II. Internationale mergers als Interkulturen In diesem Sinne sind Interkulturen Synergieprodukte, die im Kontext des kommunikativen Handelns ihrer Beteiligten durchaus eine eigene Normalität, eigene Handlungsschemata und damit auch eigene, spezifisch interkulturelle, Wissensvorräte entwickeln können. Diese im Prozeß der Interkultur erzeugten Wissensvorräte werden allerdings im Gegensatz zu den ausgangskulturellen Wissensvorräten den Erfahrungen ihrer Subjekte historisch nie vorgelagert sein können. Das bedeutet, es konkurrieren bei den Mitgliedern einer solchen Interkultur – und nichts anderes ist ein internationaler merger - zwei Handlungsschemata: Eines, das auf die aktuelle interkulturelle Realität qua merger bezogen ist sowie eines, das dieser Realität vorgelagert und durch den Wissensvorrat der jeweiligen unterschiedlichen Landes- und Unternehmenskulturen determiniert ist. Insofern spielen die Agenten einer Interkultur stets eine Doppelrolle. Entsprechend dem BMW-Rover-Motto „Wir verändern uns gemeinsam“ (BMW 1996) werden sie dabei im Idealfall bemüht sein, Handlungsspielräume nicht nach Maßgabe der jeweils eigenen Kultur zu definieren, sondern so, daß für alle Beteiligten eine größtmögliche Akzeptanz erzielt wird. Je stärker sich die Mitglieder eines internationalen Teams in bezug auf ihre kulturelle Herkunft unterscheiden, desto bewußter werden sie bemüht sein, gegenseitige Akzeptanzgrenzen zu erkennen und zu wahren. Vertrautheit und Routine werden sich zwar einstellen; sie werden aber zunächst noch von dem Bewußtsein der Differenz der jeweiligen kulturellen Handlungsvoraussetzungen begleitet sein. Erst wenn das Alltagshandeln in der Interkultur einen Grad an Normalität erreicht hat, der demjenigen eigenkulturellen Handelns zu entsprechen scheint, wird auch das Fremdheitsempfinden auf ein Minimum reduziert werden. Dies kann dann der Fall sein, wenn eine Interkultur über einen längeren Zeitraum hinweg existiert, eigene Konventionen und Riten ausgebildet hat und für ihre Mitglieder den Status fragloser Plausibilität erlangt hat. Der gleiche Effekt wird allerdings auch –und oft vergleichsweise schnell- erreicht, wenn Mitglieder geographisch benachbarter oder sprachlich verwandter Kulturen interagieren. In beiden Fällen ist die vermeintliche Normalität allerdings trügerisch. Sie kann dazu führen, daß interkulturelle und eigenkulturelle Handlungsschemata reflexiv nicht mehr auseinandergehalten werden, daß interkulturelles Handeln auf der Folie des eigenkulturellen Wissensvorrats gedeutet wird. Gerade weil dies nicht bewußt verläuft, sind Mißverständnisse vorprogrammiert, die sich im Rahmen der erwähnten intrakulturellen Letztverständigung nicht mehr lösen lassen. Sofern diese Mißverständnisse nicht rechtzeitig bemerkt und thematisiert werden, können sie durchaus irreparabel sein, weil unter Umständen den Beteiligten noch nicht einmal deutlich ist, worin das Mißverständnis besteht und zu welchem Zeitpunkt es ursprünglich aufgetreten ist. Aus diesem Grund sind internationale Kooperationen oder mergers mit Partnern benachbarter Kulturen auch keineswegs weniger krisenanfällig als solche mit Partnern aus sehr unterschiedlichen Kulturen. Der wesentliche Unterschied dürfte vor allem in dem Zeitpunkt der Krisenanfälligkeit liegen: Je größer die kulturelle Nähe, desto eher neigt man dazu, aus der oberflächenstrukturellen „Normalität“ der Interkultur auf eine Gemeinsamkeit auch des tiefenstrukturell verankerten und fraglos gegebenen kulturellen Wissensvorrats zu schließen. Je größer die kulturelle Differenz hingegen, desto länger wird man sich sehr bewußt mit den unterschiedlichen Strukturen des gemeinsamen Handelns innerhalb der Interkultur auseinandersetzen und „Xenotoleranz“ (Nicklas 1999, 21) üben (müssen). Mergerkultur: Die Nichtidentität des Identischen Bei der Realisierung internationaler mergers wird heute in der Regel berücksichtigt, „daß die lokale Unternehmenskultur, eingebunden in die nationale Gesellschaftskultur, weitestmöglich ihre Identität wahren kann“ (Bleher/ Götz 1999, 74). Darüber hinaus bemüht man sich freilich auch, globale Mergerkulturen im Sinne einer übergreifenden „Corporate Identity“ zu formulieren. Daß diese merger-Identität eine vollkommen andere Qualität besitzt und besitzen muß, als es bei der Corporate Identity eines nationalen Unternehmens der Fall ist, liegt auf der Hand: Während sich die Selbstverständigungsprozesse innerhalb eines nationalen Unternehmens im Rekurs auf das fraglos Gegebene der gemeinsamen Lebenswelt ihrer Mitglieder vollziehen und damit tiefenstrukturell eine Basis gemeinsamer Letztverständigung besitzen, ist dies bei internationalen mergers gerade nicht der Fall. Ihre Identität ist temporäres Produkt eines Aushandlungsprozesses; hinsichtlich der Handlungsvoraussetzungen ihrer Agenten ist sie wesensmäßig durch Nichtidentität charakterisiert. Ob sich ein merger im eingangs genannten Sinn als „deal“ oder als „desaster“ erweist, hängt nicht zuletzt damit zusammen, inwieweit seine Akteure in der Lage sind, diese prinzipielle Nichtidentität des (oberflächenstrukturell) Identischen bewußt zu leben und metakommunikativ zu thematisieren. Daß dies häufig zu mißlingen scheint, liegt nicht nur an der mangelnden Reflexivität, mit der interkulturelle Prozesse vollzogen werden, sondern auch in der nahezu zwanghaften Neigung vieler Kulturen, Konsens um jeden Preis zu suchen. Konsens erscheint „angesichts des immer dagewesenen und nie enden wollenden Dissenses“ zwar „als etwas Wertvolles und Beruhigendes, weil dessen Abwesenheit einen reibungslosen Verlauf der menschlichen Handlungen beeinträchtigt“ (Mall 2000, 3); er impliziert aber auch Idealzustände, Strukturen, Ordnungen und eine Statik, die der permanenten Prozessualität von Interkulturen widersprechen. 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