Seitlicher Aufbiss 170 ■ Seitlicher Aufbiss Seitliche Aufbisse können an herausnehmbaren Geräten, aktiven Platten oder funktionskieferorthopädischen Apparaturen, wie der Sander-II-Apparatur (Abb. 426), eingesetzt werden. Seitliche Aufbisse an herausnehmbaren Geräten haben 3 wichtige Funktionen: • Sperren des Bisses bei lateralem oder frontalem Kreuzbiss • Halten der Seitenzähne in ihrer vertikalen Position und Freigabe der Eruption der Inzisivi bei offenem Biss • Skelettal vertikale Beeinflussung des Oberkiefers bei skelettal offenem Biss Seitlicher Aufbiss Platten: Ak­ tive Platten, funktionskiefer­ orthopädische Apparaturen Laterale Aufbisse an Platten und/ oder der Sander­II­Apparatur dienen der Kreuzbissüberstellung und verti­ kalen Beeinflussung der Oberkieferinklination und Okklusionsebene. Die Höhe des Aufbisses beträgt 2 mm (Mitte). Rechts: Laterale Aufbisse mit Head­ gear können zur sagittalen Wachs­ tumshemmung bei Klasse­II­Anoma­ lien und offenem Biss eingesetzt werden (oben), oder die transversale Dehnung erleichtern (unten). 427 Seitlicher Aufbiss: Einzelzahnaufbiss Mitte und rechts: Einzelzahnaufbisse können direkt im Lateralsegment in Form von Glasionomerzement (Mit­ te) oder Compomer (rechts) aufge­ bracht werden. Aufgrund des höhe­ ren Abriebs des Glasionomers und einer ungenauen Okklusionjustage sollten diese Aufbisse nur begrenzt eingesetzt werden. Links: Bei längerfristigen Aufbissen bei einer Bukkalapparatur sind labor­ gefertigte Aufbisse aus Acryl oder Palavit 55 anzuwenden. 428 Seitlicher Aufbiss: Mehrzahnaufbiss Oberkiefer Festsitzende Aufbisse über mehrere Zähne oder Zahnsegmente sollten im Labor gefertigt werden. Im Mund muss dann, in Abhängigkeit von den Zahnbewegungen, der Aufbiss ein­ geschliffen werden. Neben der Biss­ sperrung bei Patienten mit Tiefbiss kann der Aufbiss als Verankerung ge­ nutzt werden. Die Nebeneffekte der Tip­back­Mechanik am Molaren wer­ den hier abgefangen. Die Anwen­ dung eines TPA entfällt dadurch. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 426 Seitlicher Aufbiss • Platten • funktionskieferorthopädische Geräte • Einzelzahnaufbisse – direkt (Glasionomer, Compomer) – Lingualapparatur (tripodale Abstützung, Compomer) • Zahnsegmentaufbisse – direkt (Glasionomer) – indirekt im Labor (Palavit 55, Acryl) Seitlicher Aufbiss Festsitzende Aufbisse im Seitenzahnbereich sind während der orthodontischen Therapie zu bevorzugen, da ein Jiggling vermieden wird. Festsitzende seitliche Aufbisse werden für folgende orthodontische Behandlungen eingesetzt: • Kreuzbiss • Tiefbiss • Verankerung • Mesial-/Distalbewegung von Zähnen Festsitzende Aufbisse im Seitenzahnbereich können an Einzelzähnen oder Zahngruppen angewendet werden (Abb. 431– Abb. 435). An Einzelzähnen sind Aufbisse an den Molaren im Oberkiefer bei der Lingualtechnik obligat – zur Sicherung einer tripodalen Abstützung aufgrund des Kontakts auf die Oberkieferbrackets in der Front (Abb. 427). Zur Sicherung der Vertikalen sind bei der Lingualtechnik Compomere gegenüber den Glasionomerzementen zu bevorzugen. Einzelzahnaufbisse an den 1. Molaren mit Glasionomerzement können temporär begrenzt eingesetzt werden. Es ist dabei jedoch darauf zu achten, dass der 2. Molar nicht unkontrolliert eruptiert. Bei Bisssperrrungen von 3 Monaten oder länger sind zementierte Aufbisse über mehrere Zähne zu bevorzugen. Diese können im Mund des Patienten direkt oder indirekt im Labor gefertigt werden (Abb. 428–Abb. 430). 429 Seitlicher Aufbiss: Mehrzahnaufbiss Unterkiefer Festsitzende Aufbisse im Unterkiefer über das gesamte Lateralsegment werden bei einer Distraktion oder GNE erforderlich. Aufgrund der Sta­ bilisierungsphase nach GNE von ei­ nem halben Jahr ist aus funktionellen Gründen bei Erwachsenen der okklu­ sal gestaltete, feste, im Labor herge­ stellte Aufbiss indiziert. Feste Aufbis­ se im Ober­ und Unterkiefer sind außerdem eine gute Verankerungs­ möglichkeit im parodontal vorge­ schädigten Gebiss. 430 Seitlicher Aufbiss: Herstellung Die Herstellung festsitzender Aufbis­ se sollte, um Einschleifmaßnahmen am Patienten zu vermeiden, im Fixa­ tor mit Konstruktionsbiss erfolgen. Der Aufbiss ist bevorzugt aus Acryl herzustellen. Links: Alternativ kann für festsitzen­ de Aufbiss auch Palavit 55 (Heraeus Kulzer) genutzt werden. Diese kön­ nen auch direkt am Patienten erstellt werden. Beide Aufbisse sind am Patienten mit Glasionomerzement einzusetzen. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Aufbisse bei bimaxillären Geräten setzen wir zur Eruptionssteuerung und Elongation der Seitenzähne und nicht mit vertikalen durchbruchshemmenden Aufbissen ein, da wir beim offenen Biss keine bimaxillären Geräte mit vertikaler Abstützung der Seitenzähne anwenden. Plattenapparaturen mit seitlichen Aufbissen werden für folgende Behandlungen eingesetzt: • Eruptionssteuerung bei offenem Biss. Fixieren der Seitenzähne in der Vertikalen und Freigabe der Eruption der Inzisivi. Erzeugen einer Counter-Clockwise-Rotation des Unterkiefers. • Offener Biss mit skelettal vertikaler Komponente. Die Plattenapparatur wird mit einem Highpull-Headgear kombiniert (Abb. 426). Inklination des Oberkiefers und Okklusionsebene können so in der Vertikalen beeinflusst werden. • Klasse-II-Anomalien mit prognathem Oberkiefer. Auch hier wird zusätzlich der High-Pull-Headgear zur sagittalen Wachstumskontrolle des Oberkiefers eingesetzt. • Kreuzbiss. Die Aufbisse ermöglichen ein freies Gleiten der Lateralsegmente nach bukkal, ohne dass der Gegenkiefer mitgedehnt wird. • Bisssperung in der orthodontischen Behandlung, wenn durch Scherkräfte ein festsitzender Aufbiss nicht möglich ist (Abb. 418). 171 Seitlicher Aufbiss 172 431 Seitlicher Aufbiss, Mehrzahn­ aufbiss Unterkiefer: Anfangsbefund Der Patient zeigt eine Angle­Klasse II/2 mit vergrößertem Overbite. Zu einem früheren Zeitpunkt wurde be­ reits eine orthodontische Therapie mit Extraktion von 4 Prämolaren durchgeführt. Es besteht gleichzeitig ein Engstand im Ober­ und Unterkie­ fer. Nivellierung Oberkiefer, 2. Phase Nach der initialen NiTi­Tip­back­Me­ chanik zur Intrusion der zentralen In­ zisivi von 2 mm (1. Phase) und Dista­ lisation der Molaren in Kombination mit asymmetrischem Headgear er­ folgt die Nivellierung im Oberkiefer mit einer NiTi­Overlay­Technik. Da­ durch kann die in der 1. Phase erziel­ te vertikale Korrektur der Oberkiefer­ inzisivi auch während der Nivellierung gehalten werden. 433 Nivellierung segmentiert im Unterkiefer, 3. Phase Für die Nivellierung des Unterkiefers muss aufgrund des Tiefbisses eine vertikale Sperrung erfolgen. Da der Patient bereits orthodontisch behan­ delt wurde und erwachsen ist, wer­ den seitliche Aufbisse eingesetzt. Im Unterkiefer wird zur Platzbeschaf­ fung minimal im Seitenzahnbereich gesliced. 434 Compound­Intrusionsmecha­ nik: Segmentierte Intrusions­ mechanik im Unterkiefer, 4. Phase Nach der Nivellierung erfolgt die Int­ rusion und zeitgleiche Retrusion der Unterkieferinzisivi. Die Kraft der seg­ mentierten Intrusionsmechanik wird hierfür posterior des vermuteten Wi­ derstandszentrums der Inzisivi einge­ leitet. 435 Abschlussbefund Der Patient zeigt nach der orthodon­ tischen Behandlung einen korrekten Overbite. Der Haupteffekt wurde über die Intrusion der Inzisivi im Unterkiefer erzielt. Trotz bereits extrahierter Prämolaren konnte eine Klasse­I­Okklusion durch NiTi­Tip­ back­Mechanik in Kombination mit asymmetrischem Headgear erzielt werden. Im Ober­ und Unterkiefer ist ein fixer Retainer eingegliedert. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 432 Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Seitlicher Aufbiss 173