Evangelium Johannes 8

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Joh. E. Keller
Bibliothek
Buch
Das Johannes-Evangelium
Teil 8
Aus dem Nachlaß herausgegeben von
Karl Rein
Vorwort
Diese Ausführungen über das Johannes-Evangelium sind eine Sammlung von
Predigten, die von Joh. E. Keller an verschiedenen Plätzen gehalten wurden. - Durch die
Zeit- und Ortsunterschiede mußte sich ergeben, daß für die jeweiligen Zuhörer manche
Gedanken wiederholt wurden. Wir haben um des Zusammenhanges der einzelnen
Abschnitte willen solche Wiederholungen nicht weggelassen; sie wirken dann nicht
ermüdend, wenn man den jeweiligen Zusammenhang beachtet, der jedes Schriftzeugnis
in immer neuem Licht aufleuchten läßt. Auch dienen die Wiederholungen zur Befestigung
in der Erkenntnis des Wortes Gottes.
Bei aufmerksamem und gründlichem Betrachten dieser tiefschürfenden Auslegungen
ist eine Parallele zu dem endzeitlichen Heilswalten Gottes in seiner Gemeinde
unverkennbar.
Die Bibelzitate und Bibelstellen in diesen Broschüren sind der Schlachter-Übersetzung entnommen.
Mögen diese Broschüren allen denen zum Segen gereichen, die die Wahrheit
liebhaben.
Berlin, im Januar 1972
Der Herausgeber
Inhaltsverzeichnis
Die für Jesum gekommene Stunde, diese Welt zu verlassen und zu seinem Vater
zu gehen
Die Bedeutung der für Jesum gekommenen Stunde
Die ungefärbte, ungeheuchelte, echte Liebe, mit der Jesus die Seinen, auch
seinen Verräter Judas Ischariot, bis ans Ende liebte
Die Fußwaschung
Die Fußwaschung
Die Fußwaschung im Lichte des neuen Gebotes der Liebe
Jesus und Petrus in ihrer Verschiedenheit als göttliche Werkzeug
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13.Kapitel
In den folgenden Betrachtungen über Johannes 13 ist die Liebe Jesu zu den Seinen,
die er bis ans Ende liebte, insbesondere auch zu seinem Verräter Judas Ischariot, von
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Johannes-Evangelium Teil 8
mehreren Seiten her beleuchtet. Zum Vergleich und zur Ergänzung der Beurteilung der
Liebe Jesu zu seinem Verräter zitieren wir vorweg einige Sätze aus der Predigt über
Offenbarung 15, gehalten in Berlin am 8.Februar 1942, vervielfältigt als KB-179.
Dort heißt es:
„Die Worte Jesu, die er zu ihnen geredet hatte, reinigten einen Teil der Jünger; doch bei
Judas Ischariot blieb diese Wirkung aus. Das Letzte im Bemühen des Meisters diesem
Judas gegenüber stellt die Fußwaschung dar. Als Jesus dann mit seinen Jüngern zu
Tische saß und er das Abendmahl einführte, sagte er, daß einer aus ihrer Mitte ihn
verraten würde. Und als Judas direkt die Frage stellte: „Rabbi, doch nicht ich?“
antwortete Jesus: „Du hast es gesagt“ (Matth.26,25). Dann sagte er ihm noch die Worte:
„Was du tun willst, das tue bald.“ Auf diese Worte hin verließ Judas den Jüngerkreis
endgültig, um in innerer und äußerer Nacht der Verfinsterung hinzugehen und sein
Vorhaben auszuführen. Dieser Abschluß der Reden Jesu - wie auch die späteren Worte
an Judas, als er ihn im Garten Gethsemane mit einem Kuß verriet: „Judas, verrätst du
des Menschen Sohn mit einem Kuß?“ - haben wohl nicht den Sinn, als hätte Jesus die
Erwartung und Absicht, noch nach der erfolgten Fußwaschung auf diesen Jünger
reinigend einzuwirken. Die Reinigung blieb bei ihm so völlig aus, daß er ein unfruchtbares
Schoß am Weinstock war und die Worte Jesu buchstäblich erfüllt wurden, daß Schosse,
die keine Frucht bringen, weggeworfen werden als Rebschosse, um zu verdorren, daß
sie gesammelt und ins Feuer geworfen werden.“
Die für Jesum gekommene Stunde, diese Welt
zu verlassen und zu seinem Vater zu gehen
„Vor dem Passafeste aber, da Jesus wußte, daß seine Stunde gekommen sei,
daß er aus dieser Welt zu dem Vater ginge; wie er geliebt hatte die Seinen, die in
der Welt waren, so liebte er sie bis ans Ende. Und als die Mahlzeit gekommen
war, da schon der Teufel dem Judas, Simons Sohn, dem Ischariot, ins Herz
gegeben, daß er ihn verriete, als Jesus wußte, daß ihm der Vater alles in die
Hände gegeben, und daß er von Gott ausgegangen sei und zu Gott hingehe.“
(Joh.13,1-3)
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Jesus erkannte, der Zeit entsprechend, seine Stunde
In diesem Zeugnis ist es klar zum Ausdruck gebracht, daß Jesus, ehe er mit seinen
Jüngern das Passamahl feierte, wußte, daß seine Stunde gekommen sei, daß er aus
dieser Welt zum Vater ginge. Nun fragt es sich, ob ihm diese Erkenntnis, die er in dieser
Stunde hatte, erst zu dieser Zeit vermittelt wurde, oder ob er sie immer gehabt hat.
Können wir annehmen, daß er aufgrund göttlicher Vollkommenheit und Allwissenheit
diese für ihn gekommene Stunde nicht nur zu der Zeit des Passafestes kannte, sondern
schon von jeher gekannt hat? Wenn das nicht der Fall ist, wenn man diese göttliche
Vollkommenheit und Allwissenheit, wie sie Gott, dem Vater, eigen ist, bei Jesu zur Zeit
seines Erdenwandels nicht annehmen kann, dann haben die Worte des Apostels eine
besondere Bedeutung:
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Johannes-Evangelium Teil 8
„Vor dem Passafeste aber, da Jesus wußte, daß seine Stunde gekommen sei,
daß er aus dieser Welt zu dem Vater ginge.“ (Vers 1)
Die Worte, daß ihm der Vater alles in die Hände gegeben habe, daß er von Gott ausgegangen sei und zu Gott hingehen werde, hängen nicht unmittelbar mit dem zusammen,
was ihm der Vater zu dieser Zeit offenbarte, über diese Tatsache hat Jesus schon früher
Zeugnis abgelegt. Besonders klar hat er es Nikodemus und auch seinen Feinden, den
Obersten des Volkes, den Schriftgelehrten und Pharisäern, gesagt. Das war der Grund
ihrer Feindschaft gegen Jesum; sie beanstandeten nicht nur, daß er nach ihrer Meinung
den Sabbat übertreten hatte, sondern auch, daß er sagte, er sei der Sohn Gottes und von
Gott gekommen. Das rechneten sie ihm nach ihrer Gesetzesauslegung als
Gotteslästerung an, und weil auf Gotteslästerung die Todesstrafe steht, muß nach dem
Gesetz jeder Mensch, der sich als Gott erklärt, getötet werden (3.Mos.24,16; vgl.Matth.26,6366). Schon das Zeugnis, er komme von Gott, Gott habe ihn gesandt, er habe als Gottes
Sohn die Verbindung mit Gott, seinem Vater, beurteilen sie als Gesetzesübertretung bzw.
als Gotteslästerung. Nun fügt Jesus aber zu diesem Zeugnis, daß er von Gott
ausgegangen sei und zu Gott hingehe, noch hinzu, daß ihm der Vater alles in die Hände
gegeben habe. Hätte er diese Erkenntnis, daß der Vater ihm alles übergeben hat, bereits
aufgrund der Tatsache gehabt, daß er von Gott kam, dann wäre er als Sohn Gottes
allwissend und nach jeder Seite hin vollkommen gewesen. Dann wäre die hier zum
Ausdruck gebrachte Überzeugung ganz selbstverständlich. Anders ist es aber, wenn
dieses Bekenntnis nicht in Jesu Vollkommenheit oder Allwissenheit begründet ist. Dann
liegt in dem Zeugnis, das Jesus vor dem Passa darüber abgelegt hat, daß seine Stunde
gekommen sei und ihm der Vater alles in die Hände gegeben habe, eine Überzeugung,
die er erst in dieser Stunde hatte und nicht früher. Diese Gewißheit
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ist demnach kein Beweis dafür, daß er zur Zeit seines Dienstes auf Erden ebenso wie
Gott, der Vater, vollkommen und allwissend gewesen ist. Wenn Jesus jetzt aber, in dieser
Zeit, diese Klarheit hatte, dann muß er sie erst zu der vom Vater bestimmten Stunde
erlangt haben. Im Leben Jesu kommt immer wieder zum Ausdruck, daß er Zukünftiges
erkannt hat. Nur ist damit nicht gesagt, daß er die Einsicht in die zukünftigen Dinge
aufgrund der Vollkommenheit und Allwissenheit des Vaters hatte. Im Leben Jesu haben
wir keinen Beweis dafür, daß er allwissend war. Vielmehr hat er in dem, was er erkannte,
immer, der Zeit entsprechend, den Willen Gottes verstanden. Er konnte sagen:
„Siehe, ich treibe Dämonen aus und vollbringe Heilungen heut und morgen, und
am dritten Tag bin ich am Ziel.“ (Luk.13,32)
So weit hat er in die Zukunft geschaut. Aber er hat nicht zu allen Zeiten die Stunde
bezeichnet, in der er aus dieser Welt zum Vater gehen konnte. Tatsache ist, daß Jesus
nie mehr gesagt hat, als es der Zeit entsprach, in der er lebte.
Jesus war nicht in göttlicher Vollkommenheit und Allwissenheit unter den Jüngern
Wir wissen nicht, ob Jesus oftmals mehr hätte aussprechen können, als er es getan
hat. Daß er manchmal hätte mehr sagen können, als es der Fall war, beweisen seine
Worte zu den Jüngern, daß er ihnen noch viel zu sagen hätte, er es ihnen aber aus dem
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Johannes-Evangelium Teil 8
Grunde nicht sagen könne, weil sie es nicht verstehen könnten (Joh.16,12-15). Wenn Jesus
auch hätte mehr sagen können, als er da und dort gesagt hat, können wir dennoch nicht
annehmen, daß er mit göttlicher Allwissenheit ausgerüstet war. Wäre er allwissend
gewesen, dann wäre sein Zeugnis jederzeit der Ausdruck seiner göttlichen
Vollkommenheit. Anders ist es aber, wenn er in der Zeit seiner Erniedrigung im
menschlichen Leibe die göttliche Vollkommenheit nicht hatte. Dann hat das Zeugnis Jesu
vor dem Passafest darüber, daß seine Stunde gekommen sei, daß er aus dieser Welt
zum Vater ginge, und daß der Vater ihm alles in die Hände gegeben habe, die
Bedeutung, daß er diese Erkenntnis erst zu dieser Zeit bekam und sie zuvor nicht hatte.
Das zeigt, daß Jesus die nötige Ausrüstung jeweils zur rechten Zeit bekommen hat, und
diese war dann auch immer die Grundlage für sein Handeln. Entsprechend der
Ausrüstung, die ihm zuteil geworden war, handelte er auch. Wenn wir von diesem
Zeugnis, das uns aus dem Leben Jesu übermittelt ist, nur diese eine Tatsache erkennen,
daß er als Menschensohn - im menschlichen Gewand - keine göttliche
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Vollkommenheit besaß, so dürfte uns das genügend Ansporn sein, ihm in ganzer Treue
auf dem Weg zum ewigen Leben nachzufolgen. Daran können wir alles lernen, was für
unsre Rettung, unser Heil notwendig ist. Wenn Jesus allwissend und göttlich vollkommen
gewesen wäre, dann hätte die Fußwaschung kein Vorbild für seine Jünger sein können,
das sie nachahmen sollten. Denn wie könnten Menschen dann der göttlichen
Vollkommenheit Jesu nacheifern! Anders ist es aber, wenn Jesus inmitten seiner Jünger
so natürlich gehandelt hat, wie sie es nach seinem Vorbild auch tun konnten. Wenn
Jesus diese Treue von seinen Jüngern verlangt hat, mußte auch die Möglichkeit für sie
bestehen, daß sie ihm in allem nachfolgen konnten. Hätte Jesus in göttlicher
Vollkommenheit und Allwissenheit unter seinen Jüngern gewandelt, dann wäre solche
Forderung unmöglich gewesen. Göttliche Vollkommenheit hätte ihn von seinen Jüngern
so völlig getrennt, daß er für keinen von ihnen hätte Vorbild werden können.
Oder wenn wir es so sehen würden, daß er in seinen Erdentagen zwar nicht die
Vollkommenheit und Allwissenheit Gottes, des Vaters, hatte, daß er aber die nötige
Erkenntnis über den göttlichen Willen jeweils vom Vater bekam, weil er als sein Sohn von
ihm ausgegangen war, dann hätte das für seine Jünger die gleiche Wirkung, wie wenn
Jesus von vornherein göttliche Vollkommenheit und Allwissenheit zuerkannt würde. Auch
nach dieser Auffassung bestünde ein grundlegender Unterschied zwischen ihm und
seinen Jüngern. Dem Sohn Gottes würde dann im Verhältnis zu seinem Vater eine
Stellung zuerkannt, wie sie ein Mensch nicht haben könnte.
Auch unter solchen Umständen hätte Jesus von den Menschen keine treue
Nachfolge fordern können. Als Mensch muß er deshalb so veranlagt gewesen sein, wie
es seine Jünger auch waren, damit sie bei treuer Nachfolge in späterer Zeit, ihrem
Wachstum entsprechend, dasselbe wie er erreichen konnten. Deshalb muß es uns
klarwerden, wie Jesus jeweils die Erkenntnis des göttlichen Willens erlangt hat.
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Johannes-Evangelium Teil 8
So wie Jesus in allem den Brüdern gleich geworden ist, müssen die
Kinder Gottes auch ihm gleich werden
In Hebr.2,17 steht das Zeugnis:
„Daher mußte er in allem den Brüdern gleich werden, damit er barmherzig würde
und ein treuer Hoherpriester vor Gott, die Sünden des Volkes zu sühnen.“
Damit ist klar gezeigt, daß Jesus sich als Sohn Gottes auf der Erde von seinen Jüngern
nicht durch göttliche Vollkommenheit und Allwissenheit
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unterschieden hat. Wäre ein solcher Unterschied vorhanden
Zeugnis, daß er in allem den Brüdern gleich werden mußte,
allem den Brüdern gleich werden mußte und geworden ist,
sehen, wie es gewöhnlich dargestellt wird, daß er in sich
gewesen, dann wäre dieses
nicht wahr. Wenn er aber in
dann dürfen wir es nicht so
zwei Naturen vereinigt hat:
nebst der göttlichen Vollkommenheit und Allwissenheit auch die menschliche
Schwachheit und Unvollkommenheit. Dadurch wäre er nicht in allem den Brüdern gleich
geworden. Hier haben die Gläubigen meistens eine dem Schriftzeugnis
entgegenstehende Auffassung. Entweder sehen sie die beiden Naturen im Leben Jesu
vereint, oder sie halten es für selbstverständlich, daß sich Jesus als Sohn Gottes in
seiner Machtvollkommenheit und Allwissenheit von ihnen völlig unterscheidet. In dieser
Auffassung weichen sie aber von Gottes Wort ab und vertreten das Gegenteil von dem,
was die Schrift sagt.
Nach der Schrift ist Jesus in allem den Brüdern gleich geworden, deshalb müssen
auch die Kinder Gottes ihm gleich werden (Röm.8,29).
Wenn wir es nicht so sehen, dann machen wir einen Trennungsstrich zwischen Jesu
und den Kindern Gottes. Wir sehen dann Jesum in der göttlichen Vollkommenheit und
das Kind Gottes in der menschlichen Schwachheit und Unvollkommenheit. Dann können
wir es aber nicht für möglich halten, daß wir als Kinder Gottes Jesu gleich werden. Das
bedeutet im tieferen Sinn, daß wir die Treue zu Jesu nicht aufbringen wollen, weil wir von
vornherein denken, daß wir es nicht können. Solange wir die Überzeugung haben, daß
Jesus die von Menschen abgesonderte göttliche Vollkommenheit darstellt, ist für uns als
Kinder Gottes die ganze Treue der Nachfolge unmöglich gemacht. Wir werden uns auch
gar nicht erst anstrengen, durch treue Nachfolge im Glauben ihm gleich zu werden. Wir
werden uns damit begnügen, das Bestmögliche in dieser Nachfolge aufzubringen, aber
nicht danach streben, ihm vollkommen gleich zu werden. Solange wir den Menschen
Jesum von allen andern Menschen unterscheiden, werden wir die ganze Treue in der
Nachfolge nicht aufbringen können. Wenn wir aber anerkennen, daß er in allem den
Brüdern gleich war, muß auch sein erlangtes Ziel für uns erreichbar sein. Es muß durch
Glauben an die volle Erlösung, die Christus vollbracht hat, und durch treue Nachfolge in
diesem Glauben möglich sein, dem Ebenbild des Sohnes Gottes gleichgestaltet zu
werden. Deshalb muß man, wenn man diesen Punkt für sich persönlich klären will, mit
der falschen Ansicht aufräumen, daß nur Jesus als Sohn Gottes so leben und handeln
konnte, wie es uns bekannt ist. Jesus hat nicht anders gelebt und gehandelt, als es den
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Johannes-Evangelium Teil 8
Jüngern Jesu auch möglich ist, wenn sie seinem Glaubensgehorsam nachstreben. Er hat
ihnen sogar gesagt, daß sie die Zeichen auch tun
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werden wie er, ja, noch größere, als er sie getan hat (Joh.14,12). Deshalb hat Jesus von
ihnen auch eine vollkommene Nachfolge gefordert. Und Paulus sagt diesbezüglich:
„Werdet meine Nachahmer!“ (1.Kor.4,16)
Das bedeutet im Zusammenhang des Schriftzeugnisses: „Folgt mir so, wie ich Jesus
Christus folge!“ Mit den Worten:
„ … zu erkennen ihn und die Kraft seiner Auferstehung und die Gemeinschaft
seiner Leiden, daß ich seinem Tode ähnlich werde, ob ich vielleicht zur Auferstehung aus den Toten gelangen möchte.“ (Phil.3,10-11),
sagt Paulus, daß er Jesu in ganzer Treue nachzufolgen bestrebt ist. Wohl war Jesus mit
mehr Freudenöl gesalbt als seine Genossen (Ps.45,2-8; Hebr.1,8-9); d.h. er hatte eine
größere Geistesausrüstung als seine Jünger, aber als Mensch im irdischen Gewand
unterschied er sich nicht von allen andern Menschen (vgl.Phil.2,5-8). Sind wir uns darüber
gründlich klar, dann klärt sich alles weitere im Leben Jesu von selbst. Deshalb ist seine
Erkenntnis über die für ihn gekommene Stunde dieselbe Gewißheit, die jedes Kind
Gottes auch erlangen kann, wenn es durch treue Nachfolge in die rechte Verbindung mit
Jesu kommt.
Um dem Vorbild Jesu gleich sein zu können, müssen die Kinder Gottes die
gleiche Reife erlangen, die Jesus auf seinem Gehorsamsweg erlangt hat
Das dürfen wir natürlich nicht so verstehen, als ob die Jünger, die ihn umgaben,
schon zu der Zeit auch hätten die gleichen Erfahrungen machen können wie er. Bei
solcher Deutung würden wir die Ordnung der Entwicklung der Kinder Gottes: „Kindlein,
Jünglinge und Väter“ (1.Joh.2,12-13) nicht beachten. Es ist unmöglich, daß Kindlein,
Jünglinge und Väter in Christo gleichzeitig dieselben Erfahrungen machen können. Aber
jedes Kind Gottes kann der Reife nachstreben, die zu einer bestimmten Zeit andre Kinder
Gottes bereits erlangt haben. Hat es aber in seinem Geiste die entsprechende Reife
erlangt, dann kann es die gleichen Erfahrungen machen, die andre Kinder Gottes auch
machen. In diesem Sinn handelt es sich deshalb bei Jesu und seinen Jüngern nur um
den Unterschied in der Reife. In treuer Nachfolge muß diese Reife, die Jesus gehabt hat,
von den Kindern Gottes auch erlangt werden. Deshalb muß es möglich sein, daß ein
Kind Gottes, wenn es die nötige Reife erlangt hat, die gleichen Erfahrungen machen
kann wie Jesus. Aber falsch ist es zu denken, daß die Reife, die Jesus hatte, von einem
Kinde Gottes aus dem Grunde nicht
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erlangt werden könne, weil er der Sohn Gottes war. Das ist dem Zeugnis, daß er in allem
den Brüdern gleich werden mußte, entgegen. Weil er den Brüdern gleich werden mußte,
sind die Brüder auch ihm gleich. Das bestätigen die Worte in Röm.8,29:
„Denn welche er zuvor erkannte, die hat er auch vorherbestimmt, gleichgestaltet
zu werden dem Ebenbild seines Sohnes, auf daß derselbe der Erstgeborene sei
unter vielen Brüdern.“
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Johannes-Evangelium Teil 8
Nach diesen Worten müssen die Kinder Gottes dem Ebenbilde des Sohnes Gottes
gleichgestaltet werden, dann sind sie nach Röm.8,17 Erben Gottes und Miterben Christi.
Wer mit Christo erben soll, muß ihm gleichgestaltet werden. Wer ihm vollkommen gleich
wird, ist sein Miterbe; er hat die gleiche Reife in der Sohnesstellung erlangt, die Jesus
hatte. Wenn Jesus vor dem Passafest wußte, daß seine Stunde gekommen war, war das
keine Erfahrung, die ihn als Sohn Gottes von den Menschen unterschied. Es muß
vielmehr eine Erfahrung sein, die jedes Kind Gottes in der gleichen Reife genauso
machen kann wie er. Alle seine Erfahrungen waren die Folge seiner Reife, die er
aufgrund seiner Entwicklung in seinem Leben erlangt hat. Dasselbe Wachstum muß
jedes Kind Gottes aufweisen, das Jesu treu nachfolgt. Das Wachstum im Glauben muß
sich vom Anfang bis zum Ende ausgestalten. Manche Kinder Gottes unterbrechen ihr
Wachstum wie etwa Johannes der Täufer. Johannes der Täufer ist altersmäßig sechs
Monate voraus gewesen. Er war eher im Dienst seines Gottes als Jesus und hat doch
seine Glaubensentwicklung nicht so vollendet wie Jesus. Im Gefängnis ist sein
Glaubenswachstum zum Stillstand gekommen. Auch die Mutter Jesu und seine leiblichen
Brüder waren an diesem Passafest nicht unter seinen Jüngern. Unterschiede im Glauben
und in der Erkenntnis finden wir im besonderen zwischen Jesu und seinen Jüngern,
ähnlich wie sie Lazarus und seine beiden Schwestern Maria und Martha aufgewiesen
haben; auch werden Unterschiede offenbar zwischen den gläubigen Juden, z.B.
zwischen Nikodemus und denen, die als seine direkten Feinde ihn töten wollten.
Wir müssen im Auge behalten, daß Jesus das Zeugnis darüber, daß seine Stunde
gekommen sei, an diesem Passafest nur im engsten Kreise seiner Jünger abgelegt hat.
Die Geburt aus dem Geblüt, dem Willen des Mannes und dem Willen des Fleisches muß
von dem, was aus Gott geboren ist, unterschieden werden. Auf der einen Seite wirkt sich
die Geburt nach dem Fleische, auf der andern Seite die Geburt nach dem Geiste völlig
aus. Jesus weist bei seinen Jüngern auf die geistige Entwicklung des Judas Ischariot hin,
der zuletzt aus dem engsten Kreis der Zwölfe ausgeschieden wird. Jesus wußte vor dem
Passafest, daß seine Stunde gekommen sei, und Judas wußte es ebenfalls. Der
Unterschied zwischen Jesu und Judas bestand darin,
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daß Jesus wußte, daß er aus der Welt zu seinem Vater ging. Auch Judas ging aus der
Welt zu seinem Vater. So gingen beide, Jesus und Judas, jeder zu seinem Vater. Jesus
hatte seinen Vater oben, und Judas hatte ihn unten. Die Stunde war für beide dieselbe, in
der sie ihren Weg gingen und gehen mußten. Jesus ging seinen Weg, weil er ihn nach
dem Willen seines himmlischen Vaters gehen wollte, so wie ihm der Wille dieses Vaters
gezeigt wurde. Judas ging auch seinen Weg, weil er ihn gehen mußte, nachdem er es
verachtet hatte, in die treue Nachfolge seines Herrn und Meisters zu treten und den
Willen Gottes zu erkennen. In diesen zwei Persönlichkeiten stehen das Leben und der
Tod einander gegenüber. Jesus bekam die Erleuchtung über sein Hingelangen zum
Vater von seinem himmlischen Vater, während Judas von seinem Vater, dem Teufel, die
Finsternis der Lüge für seine Untreue erntete. So zeigt das die Reife auf beiden Seiten:
die Reife, die Jesus und die, die Judas erlangt hat. Das ist ernst genug! Es ist kein
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Johannes-Evangelium Teil 8
geheimnisvolles Wunder des Sohnes Gottes, daß Jesus wußte, daß seine Stunde
gekommen sei, sondern diese Erkenntnis war bei ihm das Ergebnis seiner Reife, die er
durch seine Treue Gott, seinem Vater, gegenüber erlangte. Diese vollkommene Treue
hat er in dem, was er gelebt und gelitten hat, bewiesen.
Das Erkennen der gekommenen Stunde ist die göttliche Bestätigung der Reife,
die auf dem Gehorsamsweg erlangt worden ist
In seinen Leiden mußte Jesus, wiewohl er Sohn war, den Gehorsam seinem Vater
gegenüber lernen (Hebr.5,8). Daraus ergibt sich, daß auch jedes treue Kind Gottes das tun
muß. Als ihm die Gewißheit, daß seine Stunde gekommen sei, zuteil wurde, war das das
normale Ergebnis davon, daß er in seinem Gehorsam vollendet war. Es wäre ein Fehler,
wenn wir der Meinung wären, daß, weil Jesus dieses Licht zur bestimmten Zeit bekam,
auch jedes Kind Gottes jederzeit das gleiche Licht haben müßte. Der Unterschied
zwischen Jesu und dem Kinde Gottes liegt in der Reife. Wenn ein Kind Gottes etwas
nicht bekommen kann, dann entspricht das dem Grad seiner Reife. Wenn Jesus vor dem
Passafest wußte, daß seine Stunde gekommen sei, und daß ihm der Vater alles in seine
Hände gegeben hatte, dann verlangte er nicht mehr nach dieser Erkenntnis. Er war mit
der Erkenntnis, wie Gott sie ihm jederzeit gab, zufrieden. Deshalb war die Gewißheit, die
er über die jetzt gekommene Stunde erlangt hatte, die göttliche Bestätigung seiner Reife.
Er hat immer zur bestimmten Zeit und Stunde die Erkenntnis, die er für sein Handeln
brauchte, bekommen.
Seite
Wenn Jesus in seinem Gehorsam die Vollkommenheit erreichte, dann muß das
seinen Jüngern auch möglich sein. Dieses Heranreifen in Jesu Leben geschah nicht
dadurch, daß er in göttlicher Vollkommenheit besondere Taten vollbrachte; vielmehr
erlangte er die Reife, in der Gott ihm die nötige Erkenntnis zur bestimmten Stunde geben
konnte, in dem Maß, wie er den Gehorsam in den Leiden lernte. Es wäre interessant, zu
überlegen und zu erfahren, wer damals mehr gelitten hat, als Lazarus, der von Jesu
geliebte Jünger, sterben mußte: Lazarus selbst, seine beiden Schwestern Martha und
Maria oder Jesus, bis bei ihnen alle Hindernisse überwunden waren, und der Vater durch
seinen Sohn in der Auferweckung des Lazarus aus den Toten geehrt werden konnte.
Lazarus mußte sterben. Martha wollte in ihrer Sicherheit alle damit verbundenen
Erfahrungen beherrschen. Maria wurde aufs tiefste erschüttert darüber, daß Jesus nicht
kam. Jesus aber war es im Kreise seiner geliebten Jünger einzig nur darum zu tun, daß
sein Vater geehrt wurde und der Wille Gottes geschehen konnte, sowie darum, daß das
Volk glauben sollte, daß Jesus vom Vater gesandt war. Lazarus hat auch in seinem
Leiden den vorbildlichen Gehorsam gelernt, sonst hätte er nicht aus den Toten
auferweckt werden können. Wie seine beiden Schwestern gelitten haben, zeigt der
Bericht. Daß Jesus aber an allem, was er gelitten hat, den Gehorsam gelernt hat, so daß
zuletzt, zur bestimmten Stunde in seinem Leben der Wille Gottes geschehen konnte, sagt
uns das Wort Gottes.
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Johannes-Evangelium Teil 8
Als Jesus wußte, daß seine Stunde gekommen war, daß er aus dieser Welt zu dem
Vater ginge, bekamen die an dem Erleben in dieser Stunde beteiligten Jünger von Jesu
eine Glaubensstärkung und Wegleitung, wie sie eine solche bis dahin nie bekommen
hatten. Denn für sie alle war die Stunde gekommen, in der Jesus seinen Weg gehen
mußte nach der Leitung seines Vaters, die er nun vollkommen verstehen und der er sich
im völligen Gehorsam fügen konnte.
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Die Bedeutung der für Jesum gekommenen
Stunde
„Vor dem Passafeste aber, da Jesus wußte, daß seine Stunde gekommen sei,
daß er aus dieser Welt zu dem Vater ginge; wie er geliebt hatte die Seinen, die in
der Welt waren, so liebte er sie bis ans Ende. Und als die Mahlzeit gekommen
war, da schon der Teufel dem Judas, Simons Sohn, dem Ischariot, ins Herz
gegeben, daß er ihn verriete, als Jesus wußte, daß ihm der Vater alles in seine
Hände gegeben, und daß er von Gott ausgegangen sei und zu Gott hingehe;
steht er vom Mahle auf, legt seine Kleider ab, nimmt einen Schurz und umgürtet
sich; darauf gießt er Wasser in das Becken und fängt an, den Jüngern die Füße
zu waschen und sie mit dem Schurz zu trocknen, mit dem er umgürtet war. Da
kommt er zu Simon Petrus, und dieser spricht zu ihm: Herr, solltest du mir die
Füße waschen? Jesus antwortete und sprach zu ihm: Was ich tue, weißt du jetzt
nicht, du wirst es aber hernach erfahren. Petrus spricht zu ihm: Nimmermehr
sollst du mir die Füße waschen! Jesus antwortete ihm: Werde ich dich nicht
waschen, so hast du keine Gemeinschaft mit mir.“ (Vers 1-8)
Die für Jesum gekommene Stunde macht das Verhältnis offenbar, in dem er zu
seinen Jüngern steht, aber auch das Verhältnis, in dem sie zu ihm stehen
Die für Jesum gekommene Stunde bewirkte Scheidung zwischen ihm und
seinen Jüngern und auch unter den Jüngern
Mit der Auferweckung des Lazarus vom Tode war Jesu Dienst auf Erden beendet
Was Jesus bis dahin verkündigt und getan hatte, sollte das Volk davon überzeugen,
daß das, was sein Wegbereiter Johannes verkündigt hatte: daß das Lamm Gottes
gekommen sei, um der Welt Sünde wegzunehmen, wirklich geschehen war. (Joh.1,29).
Die einen folgten Jesu nach und wurden seine Jünger, andere sahen in ihm den
Gotteslästerer, haßten und verfolgten ihn, während viele andere aus dem Volke zwischen
diesen beiden Richtungen - den Jüngern einerseits und seinen Feinden anderseits - in
ihrer Stellung hin- und herschwankten. Manche standen ihm näher, andere wieder nicht
so nahe; aber in allem, was ihnen Jesus durch seine Wunder und Zeichen
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kundtat, offenbarte er sich als der, den der Vater gesandt hatte, der vom Vater
gekommen war.
Anläßlich der Auferweckung des Lazarus beschränkte sich Jesus zuletzt darauf,
seine Jünger, die er berufen hatte und die ihm treu nachgefolgt waren, im Glauben
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Johannes-Evangelium Teil 8
dadurch zu stärken, daß er ihnen den Unterschied zwischen der Naturordnung des
Fleisches und der ewigen göttlichen Geistes- und Gemeindeordnung in der Auferstehung
des Lazarus zeigte. Daraus ergab sich die vorbildliche Einheit der Gemeinde Gottes, die
hauptsächlich dargestellt wurde durch die im Evangeliumsbericht besonders erwähnten
vier Personen: Jesus, Lazarus, dem aus den Toten Auferweckten, Maria, die das Haus
mit dem Wohlgeruch ihrer Salbe erfüllte, und Martha, die bei Tische diente. Nun mußte
sich alles, was bis dahin zum größten Teil vorbildlich, erzieherisch von Jesu gebraucht
worden war, in dem Folgenden praktisch erfüllen. Damit, daß Jesus Lazarus aus den
Toten auferweckte, war sein Dienst hier auf Erden sozusagen vollendet.
Nun kam das Passafest. Mit dem Genießen des Passalammes fing für Jesum auch
die Leidenszeit an. Seine Zeit war jetzt nicht mehr, wie bisher, dem Dienst an seinem
Volk und an seinen Jüngern gewidmet. Dieser Dienst war beendet. Das Lehr- und
Prophetenamt Jesu war erfüllt. Auch die göttlichen Offenbarungen in den Wundern und
Zeichen, die sein Zeugnis für das Volk und für seine Jünger begleiteten, waren
abgeschlossen.
Mit den Leiden, die für Jesum mit dem Passafest einsetzen, beginnt die Zeit,
in der jeder einzelne, dem Wesen seiner Gesinnung entsprechend,
offenbar werden mußte
So ist zunächst die Stellung Jesu klar gezeigt. Er wußte, daß seine Stunde
gekommen war, daß er aus dieser Welt zum Vater gehen sollte. Er hatte die Seinen
geliebt, die in der Welt waren, und liebte sie bis zum Ende. Er wußte, daß ihm der Vater
alles in seine Hände gegeben hatte und er vom Vater ausgegangen war und zum Vater
hingehen würde. Nachher sagt er zu seinen Jüngern:
„Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater, denn
durch mich.“ (Joh.14,6)
Wir machen leicht darin einen Fehler, daß wir das, was im Wort Gottes von Jesu bezeugt
ist, so ansehen, als ob es ihm allein gelte. Und doch will Jesus seinen Jüngern in seiner
Stellung den Weg, die Wahrheit und das Leben zeigen. Der Weg ist ihr Weg, den sie
gehen müssen, und die Wahrheit ist die Wahrheit, deren Träger sie werden sollen, und
zwar auf dem Weg, den Jesus ihnen zeigt, den er ihnen vorangeht. Dieser Weg und
diese Wahrheit führen auch
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sie zum ewigen Leben. Dieses Ziel können sie dadurch erreichen, daß sie in Jesu den
Weg und die Wahrheit sehen und nun auch in ihrem Verhältnis zu Jesu diesen Weg der
Wahrheit gehen, bis sie zum Vater gekommen sind. Wenn sie dann zum Vater
gekommen sind, war es dieser Weg der Wahrheit, der sie zum Vater geführt und ihnen
zum ewigen Leben verholfen hat.
Wir haben in den verschiedenen Richtungen, die in Jesu und seiner Umgebung von
den einzelnen Menschen dargestellt sind, ihr unterschiedliches Verhalten zu Jesu
studieren können. Dieses unterschiedliche Verhalten der Jünger zu ihrem Meister ist
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Johannes-Evangelium Teil 8
ganz besonders anläßlich der Krankheit des Lazarus, seines Sterbens und seiner
Auferweckung aus den Toten offenbar geworden.
Wenn Jesus in Verbindung mit seiner Leidenszeit als erstes seine Treue zum Willen
Gottes bezeugt, dann muß zugleich auch die Stellung beachtet werden, die von seiten
seiner Jünger offenbar wird. Da ist nun zuerst von Judas, Simons Sohn, dem Ischariot,
gesagt, daß der Teufel ihm schon ins Herz gegeben hatte, Jesum zu verraten. So steht
Jesus in seinem Gehorsam zu seinem Vater dem Judas, der mit dem Teufel im Bunde
war, gegenüber. Die Unklarheit der übrigen Jünger kommt dann durch Petrus in der
Fußwaschung zum Ausdruck. Auch Thomas offenbart seine Unkenntnis dem Willen
Gottes gegenüber mit der Frage:
„Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater,
denn durch mich!“ (Joh.14,5),
ebenso Philippus, der zur gleichen Zeit sagt:
„Herr, zeige uns den Vater!“ (Joh.14,8)
In solchen Aussprüchen der Jünger wird ihre derzeitige Geisteshaltung offenbar. Daraus
ist ganz deutlich zu erkennen, was für ein Unterschied besteht z.B. zwischen Jesu und
Judas Ischariot. Für Jesum war seine Stunde gekommen, um aus der Welt zum Vater zu
gehen und zugleich seinen Jüngern seine Liebe bis ans Ende zu beweisen; er wußte,
daß ihm der Vater alles in die Hände gegeben hatte und daß er von Gott ausgegangen
sei und zu Gott hingehe. Für Judas dagegen war die Stunde gekommen, das, was der
Teufel ihm ins Herz gegeben hatte, auszuführen. Jesus sagt nachher zu seinen Jüngern:
„Ihr heißt mich Meister und Herr, und mit Recht, denn ich bin es auch.“ (Vers 13)
Von Judas Ischariot heißt es, daß er der Wegweiser und Anführer der Feinde Jesu wurde
(Apg.1,16; Joh.18,3).
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Jesus war der Anführer für seine Jünger, indem er sie zum Vater führte,
während Judas der Anführer der Feinde Jesu wurde
So brachte die für Jesum gekommene Stunde Scheidung, und zwar dadurch, daß
alles in dem Licht offenbar wurde, in dem Gott es sieht. Niemand hat die Stunde, die für
Jesum gekommen war, gekannt - außer Maria, indem sie Jesu auf sein Begräbnis hin
die Füße salbte (Joh.12,7). Niemand unter seinen Jüngern konnte die Schwere des
Weges, den Jesus bis zum Gottverlassensein gehen mußte, auch nur ahnen, obwohl er
wiederholt darauf hingewiesen hatte, daß er den Weg der Leiden gehen müsse. Niemand
von ihnen konnte die Liebe ermessen, mit der er seine Jünger bis ans Ende liebte, noch
weniger wußten sie davon, daß der Vater ihm alles in die Hände gegeben hatte. Als dann
während des Passamahls die Entscheidung für Judas gefallen war und nach dem Bissen,
den Jesus ihm reichte, der Satan in ihn fuhr und Jesus zu ihm sagte:
„Was du tun willst, das tue bald!“ (Vers 27),
da wußte auch niemand von den Jüngern, was das zu bedeuten habe. Als Judas in die
finstere Nacht hinausging, meinten sie, Jesus habe ihm einen Auftrag gegeben, oder er
habe sonst etwas zu besorgen. Niemand von den Jüngern wußte, was vorging, und doch
wurde in dieser Stunde alles offenbar (Vers 27-30).
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Johannes-Evangelium Teil 8
Jesus bezeugte in seinem Gebet sein Verhältnis zu seinem Vater mit den Worten:
„Ich habe dich verherrlicht auf Erden, das Werk vollendet, das du mir gegeben
hast, daß ich es tun sollte.“ (Joh.17,4)
Somit war für Jesum die Stunde gekommen, in der sein Dienst ausgerichtet war
Aber auch für Judas war die Stunde gekommen, in der er sein Vorhaben ausführte.
Auf beiden Seiten war in der vorausgegangenen Zeit ein Werk getan worden. Jesus hatte
sein Werk vollbracht; als Folge davon konnte er den Weg der Leiden antreten. Aber auch
Judas hatte sein Werk getan. Die Entwicklung, in der er bis dahin stand, war nun
beendet. Er konnte jetzt an eine andere Arbeit herantreten. Seine Entwicklung hatte ihn
dahin gebracht, daß er das, was ihm der Teufel ins Herz gegeben hatte, nämlich Jesum
zu verraten, bald ausführen konnte. Er konnte nun den vorgefaßten Plan, Verräter seines
Meisters zu werden, ausführen. So machte die gekommene Stunde alles offenbar.
Man könnte sagen, daß diese Stunde, die den Anfang der Leiden Jesu bedeutete,
die Offenbarungsstunde für die innere Haltung seines Jüngerkreises wurde
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In einer solchen Offenbarungsstunde bringt das Kind Gottes endgültig zum Ausdruck,
welchen Weg es zu gehen gewillt ist. In dieser Stunde fällt die Entscheidung darüber, ob
man in Jesu wirklich den Weg sieht, der die Wahrheit und das Leben ist, und ob man
entschlossen ist, diesen Weg zu gehen, bis man auf ihm zum Vater gelangt ist, oder ob
man von Jesu weggeht, um sich auf die Seite der Feinde Jesu oder gar an ihre Spitze zu
stellen. In der für Jesum gekommenen Stunde wurde es offenbar, welcher Teil der
Jünger sich von Jesu wegwandte, um ihn - und damit den Weg, den er ihnen gezeigt
hatte - endgültig zu verlassen, ja noch mehr, ihn als das Leben zu bekämpfen, und
welcher Teil seiner Jünger entschlossen war, rückhaltlos den Weg mit Jesu zu gehen,
auch wenn er durch Leiden führte.
Die Aufgabe dieser Stunde bestand darin, diese Scheidung zu verursachen und
zur Auswirkung zu bringen
Deshalb ist der Unterschied zwischen dem, was sich bis dahin im Leben Jesu im
Verhältnis zu seinen Jüngern gestaltet hatte, und dem, was diese Stunde bringt, darin zu
sehen, daß Jesus bis dahin die Jünger belehrt und unterwiesen hat, während er jetzt
anfängt, sie auf den Boden der Erfahrung zu stellen. Solange er sie bewahrt hat, hat er
sie trotz der in ihrer Einstellung bestehenden Unterschiede nicht voneinander getrennt.
Aber mit dieser Stunde werden die Jünger von Jesu selbst veranlaßt, praktisch zu
handeln, und das hat nun auch die Trennung unter ihnen zur Folge. Wenn Jesus den
Judas Ischariot nicht weggeschickt hätte, wäre er sicher noch länger unter den Jüngern
geblieben. Äußerlich hätte er, wie bisher, auch weiterhin an allem teilgenommen, das
Abendmahl genossen usw., während er sich innerlich mit dem beschäftigte, was der
Teufel ihm ins Herz gegeben hatte. Nun wurden die Jünger von Jesu auf den Boden des
praktischen Handelns gestellt. Diese Tatsache brachte es mit sich, daß jeder einzelne
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Johannes-Evangelium Teil 8
von ihnen eine bestimmte Stellung zu Jesu einnehmen und demzufolge seinen Weg
gehen mußte. Judas wurde auf diese Weise von den übrigen Jüngern getrennt.
Die Fußwaschung in der Ordnung, wie sie Jesus an seinen Jüngern vollzogen hat,
ist die Vorbedingung dafür, daß die Kinder Gottes in der rechten Gemeinschaft mit
Jesu sein und das Passamahl (Abendmahl) mit ihm halten können, das heißt,
daß sie an der Bedeutung seines Kreuzessterbens Anteil haben können
Wenn wir nach der Ursache dieser Trennung und Scheidung fragen, so finden wir die
Antwort in der Fußwaschung, die Jesus an seinen Jüngern vollzogen hat. Er steht vom
Mahl auf, legt seine
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Kleider ab, nimmt einen Schurz und umgürtet sich. Darauf gießt er Wasser in ein Becken
und fängt an, den Jüngern die Füße zu waschen und sie mit dem Schurz zu trocknen, mit
dem er umgürtet war. Was Jesus damit tat, bewirkte die Scheidung. Hier kam die Einheit
in der gleichen Weise zum Ausdruck wie sechs Tage früher beim Gastmahl in Bethanien.
Hätte Jesus mit seinen Jüngern das Mahl genossen, ohne ihnen vorher die Füße zu
waschen, dann hätten sie diese Einheit nicht dargestellt. Somit kann die Einheit im Essen
des Mahles nur aufgrund der Fußwaschung, die Jesus ausgeführt hat, zur Darstellung
kommen. Zum Mahl trägt er seine Kleider. Um den Jüngern die Füße zu waschen, legt er
seine Kleider ab. Das zeigt, daß die Kleider, die Jesus beim Genuß des Mahles trägt, zur
Darstellung der Einheit mit seinen Jüngern gehören. Ablegen muß er diese Kleider, wenn
er ihnen die Füße waschen will.
Als Jesus nun bei der Fußwaschung zu Simon Petrus kommt, sagt dieser zu ihm:
„Herr, solltest du mir die Füße waschen?“ (Vers 6)
Als Jesus darauf antwortet:
„Was ich tue, weißt du jetzt nicht, du wirst es aber hernach erfahren.“ (Vers 7),
erwidert Petrus:
„Nimmermehr sollst du mir die Füße waschen!“ (Vers 8)
Seine Stellung wird dadurch beleuchtet, daß Jesus ihm antwortet:
„Werde ich dich nicht waschen, so hast du keine Gemeinschaft mit mir.“ (Vers 8)
Das bedeutet, daß Petrus ohne die Fußwaschung das Osterlamm mit Jesu nicht essen
könnte; die Gemeinschaft und Einheit, die Jesus durch das Essen des Mahles mit seinen
Jüngern zur Darstellung bringen will, kann in der Gesinnung des Petrus nicht zum
Ausdruck kommen. So sehen wir, wie die Fußwaschung nach dem Worte Gottes
verstanden werden muß und wie sie demgegenüber von der menschlichen Seite
aufgefaßt wird. Der Unterschied ist bis heute geblieben. Der Unterschied zwischen der in
der Fußwaschung offenbarten Liebe Jesu und der Haltung, die durch Petrus von seiner
Seite aus offenbar wird, hat sich durch die ganze Gemeindezeit hindurchgezogen.
Warum wollte sich Petrus von Jesu die Füße nicht waschen lassen?
„Herr, solltest du mir die Füße waschen?“ (Vers 6)
sprach er zu Jesu. Das sagte er natürlich nicht aus dem Grunde, weil er etwa nicht davon
überzeugt gewesen wäre, daß seine Füße unrein
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Johannes-Evangelium Teil 8
seien und eine Fußwaschung deshalb unnötig sei. Wenn er auf die Worte Jesu hin:
„Was ich tue, weißt du jetzt nicht, du wirst es aber hernach erfahren.“ (Vers 7),
in seiner Stellung beharrt und nur um so kräftiger zum Ausdruck bringt:
„Nimmermehr sollst du mir die Füße waschen!“ (Vers 8),
so will er damit einfach sagen: Du sollst mir keinen Dienst erweisen! Das war sicher von
Petrus gut gemeint. Er hätte lieber seinem Meister die Füße gewaschen; er wollte Jesu
dienen. Jesus sagt nachher:
„Ihr nennt mich Meister und Herr.“ (vgl.Vers 13)
Dieser Meister und Herr sollte nicht die niedrige Arbeit der Fußwaschung tun. Petrus
hätte sehr gern auf Jesu Wort hin seinem Meister die Füße gewaschen. Es wäre ihm viel
lieber gewesen, wenn Jesus gesagt hätte: Petrus, setz dich hin und wasche mir die
Füße! Daß Jesus ihm die Füße waschen wollte, fand er nicht in Ordnung.
Das zeigt, daß Petrus in der Fußwaschung einen Dienst gesehen hat; aber diesen
Dienst wollte er selbst gern ausrichten. Sicher hätte auch jeder einzelne der andern
Jünger diesen Dienst ebenso gern getan; daß nun aber Jesus ihnen die Füße wusch, das
war etwas, was sie nicht verstehen konnten. Die Zeit sollte wohl für sie kommen, daß sie
es verstehen konnten; aber zu jener Stunde konnten sie es noch nicht verstehen. Damit
sich aber Petrus in seiner Gesinnung ändern konnte, mußte ihm Jesus sagen: Werde ich
dich nicht waschen, so hast du keine Gemeinschaft mit mir. Das Unterlassen dieser
Handlung würde zwischen uns beiden eine Trennung herbeiführen; wir können dann
nicht weiter gemeinsam unsern Weg gehen, wenn ich dir nicht die Füße wasche. - Das
erklärt uns die Bedeutung dessen, daß Jesus seine Kleider ablegt, einen Schurz nimmt,
sich umgürtet, Wasser in ein Becken gießt, die Füße der Jünger wäscht und sie mit dem
Schurz, mit dem er umgürtet ist, trocknet. Jesus selbst mußte den Jüngern die Füße
waschen, während diese sicher glaubten, in der rechten Gemeinschaft mit Jesu zu sein.
Damit zeigt ihnen Jesus, daß sie ohne diese Fußwaschung keine Gemeinschaft mit ihm
haben. Somit hatten sie bis dahin die Gemeinschaft mit ihm noch nicht. Das brachten sie
auch in ihrem Verhalten demgegenüber, was Jesus an Lazarus getan hatte, zum
Ausdruck.
„Werde ich dich nicht waschen, so hast du keinen Teil an mir.“ (Vers 8),
sagt Jesus zu Petrus.
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Die Vorbedingung zur Gemeinschaft mit Jesu ist also die, daß man durch
Jesum gewaschen wird
Das Waschen verstehen wir aber nur, wenn es uns klar ist, was die Kleider Jesu, die
er vor dem Waschen ablegte, bedeuten, was der Schurz bedeutet, mit dem er sich
umgürtet hatte, was die Fußwaschung als solche bedeutet, und was es bedeutet, daß er
allen die Füße mit dem Schurz trocknete.
Zu seinen Kleidern gehörte in erster Linie der Rock, der keine Naht hatte. Als die
Kriegsknechte, die ihn kreuzigten, seine Kleider unter sich teilten, wollten sie seinen Rock
nicht zerteilen aus dem Grunde, weil er ohne Naht war (Joh.19,23-24). Dieses eine
zusammenhängende Stück wollten sie nicht durch Zerschneiden wertlos machen. Darum
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Johannes-Evangelium Teil 8
mußten sie um dieses Stück losen, damit einer von ihnen diesen Rock ganz bekommen
konnte.
Der Prophet Jesaja zeigt uns in Kap.61,10, was dieses Kleid bedeutet; da heißt es:
„Ich freue mich am Herrn, und meine Seele frohlockt über meinen Gott; denn er
hat mir Kleider des Heils angezogen, mit dem Rock der Gerechtigkeit mich
bekleidet.“
Und im Propheten Sacharja Kapitel 3 ist berichtet, wie der Hohepriester Josua vor dem
Engel des Herrn steht und Satan ihn verklagen will, weil Josua unreine Kleider anhat. Der
Engel des Herrn tritt aber für Josua ein, weist Satan ab und spricht zu denen, die vor ihm
stehen:
„Nehmt die unreinen Kleider von ihm weg!“
Und dann sagt er zu Josua:
„Siehe, ich habe deine Schuld von dir genommen und lasse dir Feierkleider
anziehen!“
Und er sprach:
„Man setze einen reinen Kopfbund auf sein Haupt!“ (Sach.3,1-5)
Aus dieser Stelle in Verbindung mit dem Wort Jesajas ist zu ersehen, daß die erwähnten
Kleider Heilskleider sind; wenn man sie trägt, bedeutet es, daß die Schuld
weggenommen ist und die Stellung des Bräutigams und der Braut für die Hochzeit des
Lammes in diesem Kleid erlangt ist. Das ist dargestellt in dem Kleid, das Jesus abgelegt
hat, ehe er seinen Jüngern die Füße wusch. Vorher hatte er Lazarus aus den Toten
auferweckt, und als Lazarus mit Jesu und seinen Jüngern zu Tische saß, stellte Lazarus
in dem aus den Toten auferweckten Leib das in Herrlichkeit offenbar gewordene Heil
Gottes
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dar. In dieser Stellung, die der aus den Toten auferweckte Lazarus innehatte, war Jesus
unter seinen Jüngern, als er beim Mahl mit ihnen zu Tische saß. Aber zuerst mußte er
das Kleid ablegen und sich mit einem Schurz umgürten. Dieser Schurz weist auf das
Erdenkleid hin, das Jesus durch sein Fleisch und Blut angenommen hatte.
Das Wasser, mit dem Jesus seinen Jüngern die Füße wusch, ist ein Hinweis auf das
Wasserbad in der Taufe, in dem ihm der Weg der Leiden bis zu seinem Tod gezeigt
worden war. Mit diesem Wasser mußte er seinen Jüngern die vom Alltagsstaub der
Sünde beschmutzten Füße waschen und sie mit dem Schurze trocknen. Das Ablegen
seiner Kleider bedeutet seinen Verzicht auf die Herrlichkeit, die er beim Vater hatte, ehe
die Welt war, es bedeutete sein Herniederkommen in das Fleisch und Blut, das die
Menschen gemeinsam tragen, wodurch sie mit der Unreinheit der Sünde befleckt sind
(Hebr.2,14). Das Wasser soll sie reinigen, aber dazu gehört auch noch, daß er hingehen
muß, um für sie am Kreuz den Willen Gottes zu erfüllen. Darum kann Johannes
bezeugen, daß Jesus nicht mit Wasser allein gekommen ist, sondern mit Wasser und
Blut (1.Joh.5,6-9); indem er zu dem Wasser das Blut hinzubringt, erfüllt er den Willen
Gottes und kann nun durch sein Opfer alle Unreinheit der täglichen Befleckung seiner
Jünger abwaschen und ihre Füße reinigen, daß nichts mehr von Unreinigkeit übrigbleibt.
Das war das größte Ausmaß der Barmherzigkeit und Liebe des Meisters; eine größere
Liebesoffenbarung konnte er den Jüngern, die er bis ans Ende liebte, nicht zuteil werden
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Johannes-Evangelium Teil 8
lassen. Unter diesen Jüngern war auch Judas, der in seinem Herzen den Plan
schmiedete, seinen Meister zu verraten.
Im Hause des Pharisäers Simon kam eine Sünderin zu Jesu, sehr wahrscheinlich
Maria Magdalena, nicht Maria von Bethanien, sondern von Magdala, von der Jesus nach
Mark.16,9 und Lukas 2 sieben Teufel ausgetrieben hatte. Sie brachte eine alabasterne
Flasche voll Salbe und salbte damit die Füße Jesu. Den Pharisäern gefiel es nicht, daß
ein sündiges Weib ein solches Verhältnis zu Jesu haben durfte. Auf die Einwendung von
Simon sagte Jesus:
„Simon, ich habe dir etwas zu sagen. Er sprach: Meister, sage an! Ein Gläubiger
hatte zwei Schuldner. Der eine war fünfhundert Denare schuldig, der andere
fünfzig. Da sie aber nichts hatten zu bezahlen, schenkte er es beiden. Welcher
von ihnen wird ihn nun am meisten lieben? Simon antwortete und sprach: Ich
vermute der, dem er am meisten geschenkt hat. Er sprach zu ihm: Du hast richtig
geurteilt!“
Und zu dem Weibe sprach Jesus:
„Dir sind deine Sünden vergeben!“ (Luk.7,36-50)
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Diese Begegnung Jesu mit der Sünderin im Hause des Pharisäers Simon paßt sinngemäß zu der Fußwaschung und ist ein wunderbarer Anschauungsunterricht für die, die
an der Fußwaschung Anteil hatten. Petrus sagte aus seinem untertänigen Verhältnis
heraus, in dem er sich seinem Herrn und Meister gegenüber befand:
„Nimmermehr sollst du mir die Füße waschen!“ (Vers 8)
Petrus hatte also noch kein Verständnis dafür, daß es jetzt für ihn nicht darauf ankam,
Jesum dadurch zu lieben, daß er ihm die Füße wusch, sondern darauf, daß er sich von
Jesu die Füße waschen ließ, d.h., daß er die vergebende Liebe seines Meisters begehrte
und annahm. Zu dem Pharisäer Simon, in dessen Haus ein sündiges Weib die
vergebende Liebe Jesu begehrt hatte, sagte Jesus:
„ … weil sie viel geliebt hat, sage ich dir: Ihr sind ihre vielen Sünden vergeben;
wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig.“ (Luk.7,47)
Wer also viel liebt, indem er die vergebende Liebe des Herrn begehrt und annimmt, dem
wird viel vergeben. Hat Jesus nicht mit seiner Fußwaschung den Jüngern - von Petrus
an bis zu Judas Ischariot - ein Zeugnis von dem abgelegt, was es heißt: Wer in diesem
Sinn viel liebt, dem wird viel vergeben!? Die größte Schuld jedes einzelnen, die
Unreinheit seines täglichen Wandels kann an dem Verhältnis dem Meister gegenüber
nichts ändern. Wer wenig liebt, bekommt wenig Vergebung. Wer so wenig liebt, daß er
die Fußwaschung gar nicht annehmen will, wer lieber - wie Petrus zuerst - selbst Gott in
seiner Person dienen möchte, als die Reinigung seiner Sünden durch die Fußwaschung
anzunehmen, dem wird wenig vergeben. Hätte Judas einsehen können, daß die Liebe
seines Meisters so groß ist, daß die Fußwaschung auch für ihn die gleiche Bedeutung
hatte wie für jeden andern Jünger, dann hätte er durch Gegenliebe zu Jesu die Liebe
Jesu zu ihm und allen andern Jüngern anerkannt, und dann hätte seine Gemeinschaft mit
dem Meister auch weiterhin bestehen können. Dahin ist es aber nicht gekommen, weil
Judas in seinem Geiste unrein war und blieb.
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Johannes-Evangelium Teil 8
Jesus zeigt den Jüngern im Ablegen seiner Kleider gegenüber dem, was er, einem
Schurze gleich, von Fleisch und Blut angenommen hatte, daß er damit seine Herrlichkeit,
die er beim Vater hatte, ehe die Welt war, gleicherweise abgelegt hatte (Phil.2,5-8). Nun
braucht er das nur auszuführen, was nach dem Wort durch das Wasserbad zur Erlösung
der sündigen Menschen nötig ist, dann kann er für alle Zeiten und in allen Verhältnissen
den Jüngern die Füße waschen und
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sie reinigen. Wenn das, was die Gemeinschaft mit ihm sonst unmöglich gemacht hätte,
beseitigt ist, kann er das Mahl mit ihnen genießen und in dieser Einheit die Erfüllung des
ganzen Willens und Ratschlusses Gottes darstellen.
__________
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Die ungefärbte, ungeheuchelte, echte Liebe,
mit der Jesus die Seinen, auch seinen
Verräter Judas Ischariot, bis ans Ende liebte
„Vor dem Passafeste aber, da Jesus wußte, daß seine Stunde gekommen sei,
daß er aus dieser Welt zu dem Vater ginge; wie er geliebt hatte die Seinen, die in
der Welt waren, so liebte er sie bis ans Ende. Und als die Mahlzeit gekommen
war, da schon der Teufel dem Judas, Simons Sohn, dem Ischariot, ins Herz
gegeben, daß er ihn verriete, als Jesus wußte, daß ihm der Vater alles in seine
Hände gegeben, und daß er von Gott ausgegangen sei und zu Gott hingehe;
steht er vom Mahle auf, legt seine Kleider ab, nimmt einen Schurz und umgürtet
sich; darauf gießt er Wasser in das Becken und fängt an, den Jüngern die Füße
zu waschen und sie mit dem Schurz zu trocknen, mit dem er umgürtet war.“
(Joh.13,1-5)
Das Passafest war für Jesum und seine Jünger eine ganz besonders eindrucksvolle
und segensreiche Stunde. Jesus hat es herzlich verlangt, das Mahl mit seinen Jüngern
zu genießen (Luk.22,15). Es war ja nicht das einzige Passamahl, das er mit ihnen
eingenommen hatte, aber es sollte das letzte Mahl sein, denn seine Stunde war für ihn
gekommen. Er wußte, daß ihm der Vater alles in seine Hände gegeben hatte, daß er von
Gott ausgegangen sei und zu Gott hingehe.
Nun ist im Blick auf diese Stunde gesagt:
„ … wie er geliebt hatte die Seinen, die in der Welt waren, so liebte er sie bis ans
Ende.“ (Vers 1)
Dieses Ende bezeichnet Jesus mit den Worten:
„Jetzt ist des Menschen Sohn verherrlicht, und Gott wurde verherrlicht in ihm!“
(Vers 31)
Daß Jesus die Seinen, die in der Welt waren, bis zuletzt mit derselben ungefärbten und
unwandelbaren Liebe geliebt hat, ist der Grund dafür, daß er in dieser Stunde sagen
konnte:
„Jetzt ist des Menschen Sohn verherrlicht …“ (Vers 31)
Um die nötige Klarheit darüber zu erlangen, was wir darunter verstehen müssen, daß in
dieser Stunde des Menschen Sohn verherrlicht wurde, müssen wir auf das achten, was
sich in dieser Stunde zugetragen
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Johannes-Evangelium Teil 8
gen hat. Denn das ist der Schlüssel zum Verständnis dafür, was es bedeutet, daß des
Menschen Sohn in jener Stunde verherrlicht werden konnte. Um was es bei der
Verherrlichung des Sohnes Gottes geht, wird durch die einleitenden Worte in dem
vorliegenden Kapitel beleuchtet:
„ … wie er geliebt hatte die Seinen, die in der Welt waren, so liebte er sie bis ans
Ende.“ (Vers 1)
Über den tieferen Sinn dieser Worte wollen wir uns nun klarwerden. Als die Mahlzeit
gekommen war, hatte Satan dem Judas Ischariot schon ins Herz gegeben, Jesum zu
verraten. Diese Tatsache steht in engster Verbindung mit dem Zeugnis, daß Jesus zu
dieser Zeit wußte, daß ihm der Vater alles in die Hände gegeben hatte, daß er von Gott
ausgegangen sei und zu Gott hingehe.
Wenn es nun heißt, daß er die Seinen, die in der Welt waren, bis ans Ende liebte,
dann taucht die Frage auf, ob Judas auch zu den Seinen gehört hat, und ob die Liebe
des Meisters sich in ihrer Unwandelbarkeit bis ans Ende auch auf Judas bezieht. Wir
achten darauf, daß es bereits in Joh.6,64 heißt:
„Aber es sind etliche unter euch, die nicht glauben. Denn Jesus wußte von
Anfang, wer die seien, die nicht glaubten, und welcher ihn verraten würde.“
Und wiederum Vers 70 sagt Jesus:
„Habe ich nicht euch Zwölfe erwählt? Und aus euch ist einer ein Teufel! Er redete
aber von Judas, Simons Sohn, dem Ischariot; denn dieser sollte ihn hernach verraten, einer aus den Zwölfen.“ (Joh.6,70-71)
Und weiter sagt er zu seinen Jüngern anläßlich der Fußwaschung:
„ … ihr seid rein, aber nicht alle. Denn er kannte seinen Verräter; darum sagte er:
Ihr seid nicht alle rein.“ (Vers 10-11)
„Ich rede nicht von euch allen, ich weiß, welche ich erwählt habe; doch, auf daß
die Schrift erfüllt werde: ,Der mit mir das Brot ißt, hat seine Ferse wider mich
erhoben'!“ (Ps.41,10; Joh.13,18)
Aus den Worten: „Ich weiß, welche ich erwählt habe“, kann erkannt werden, daß Judas,
der ihn verraten würde, vom Herrn zu den von ihm Erwählten nicht hinzugezählt wurde.
Die Liebe, die der Herr den Seinen bis ans Ende zuteil werden ließ, würde sich dann nur
auf die Seinen beschränken, von denen Judas, der Ischariot, ausgeschlossen wäre. In
diesem Zusammenhang können wir auf das Gleichnis achten, in dem Jesus seinen
Jüngern das Geheimnis vom guten Samen und vom Unkrautsamen im Acker der
Gemeinde des Herrn zu erschließen sucht. In Matth.13,27-28 heißt es darüber:
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„Und die Knechte des Hausherrn traten herzu und sprachen: Herr, hast du nicht
guten Samen in deinen Acker gesät? Woher hat er denn das Unkraut? Er aber
sprach zu ihnen: Das hat der Feind getan!“
In der Erklärung sagt Jesus darüber:
„Der den guten Samen sät, ist des Menschen Sohn. Der Acker ist die Welt; der
gute Same sind die Kinder des Reichs; das Unkraut aber sind die Kinder des
Bösen. Der Feind, der es sät, ist der Teufel; die Ernte ist das Ende der Weltzeit,
die Schnitter sind die Engel. Gleichwie man nun das Unkraut sammelt und mit
Feuer verbrennt, also wird es sein am Ende der Weltzeit …“ (Matth.13,37-40)
Der Herr scheidet in diesem Gleichnis den guten Samen, die Kinder des Reichs, vom
Unkraut, den Kindern des Bösen. Die einen sät des Menschen Sohn, die andern der
Teufel. Wenn wir auf die Berichte der sieben Gemeinden in Offenbarung 2 und 3 achten,
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Johannes-Evangelium Teil 8
dann finden wir auch da eine Bestätigung für diese Vorgänge in der Gemeinde des
Herrn. Im ersten Sendschreiben ist von solchen die Rede, die sich Apostel nennen, es
aber nicht sind, sondern als Lügner erfunden werden. Im zweiten Sendschreiben ist die
Rede von solchen, die sagen, sie seien Juden, es aber nicht sind, die vielmehr eine
Synagoge des Satans darstellen. Dann ist wieder im vierten Sendschreiben die Rede von
der Tiefe des Satans, die in dieser Gemeinde offenbar geworden ist. Und dem Engel der
Gemeinde zu Philadelphia sagt der Herr:
„Siehe, ich gebe dir etliche aus der Synagoge des Satans, die sich Juden nennen
und es nicht sind, sondern lügen ...“ (Offb.3,9)
So sind Lügner in der Gemeinde, eine Synagoge des Satans, und dieser Lügeneinfluß ist
auch zu der Zeit noch vorhanden, wenn der Herr dem Engel der Gemeinde zu
Philadelphia sagt: „Ich komme bald!“ Also durchzieht der Einfluß der Lüge aus der
Synagoge des Satans die ganze Gemeindezeit. Das entspricht dem Zeugnis des Herrn,
das besagt, daß der gute Same vom Menschensohn und das Unkraut vom Satan gesät
wird. Das ist eine Erklärung dafür, daß unter den Jüngern, die der Herr die Seinen nennt
und die er erwählt hatte, auch Judas dabei war. In der Gemeinde sind die Kinder des
Reichs und die Kinder des Bösen voneinander geschieden. Auch unter den Jüngern
besteht diese Scheidung zwischen elf treuen Jüngern und dem Judas Ischariot.
Hat nun der Herr den Judas von den Seinen ausgeschlossen, oder hat er alle, auch
den Judas, bis ans Ende geliebt? Die Antwort auf diese Frage bekommen wir, wenn wir
dem tieferen Sinn der Fußwaschung nachspüren.
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Johannes sagt am Anfang des 13.Kapitels:
„ … als die Mahlzeit gekommen war, da schon der Teufel dem Judas, Simons
Sohn, dem Ischariot, ins Herz gegeben, daß er ihn verriete, als Jesus wußte, daß
ihm der Vater alles in die Hände gegeben und daß er von Gott ausgegangen sei
und zu Gott hingehe - steht er vom Mahl auf, legt seine Kleider ab, nimmt einen
Schurz und umgürtet sich; darauf gießt er Wasser in das Becken und fängt an,
den Jüngern die Füße zu waschen und sie mit dem Schurz zu trocknen, mit dem
er umgürtet war.“ (Vers 2-5)
Diese Worte zeigen das Verhältnis, das in dieser Stunde zwischen Jesu und Judas
bestand. Der Teufel hatte dem Judas ins Herz gegeben, seinen Meister zu verraten. Das
war während der bisherigen Zeit, in der Judas unter den Zwölfen mit Jesu zusammen
war, noch nicht geschehen. Diesen Plan hat Judas nach der Salbung Jesu in Bethanien,
als das „Fest der ungesäuerten Brote“ nahte, gerade auf das Passafest hin gefaßt
(Matth.26,6-16; Luk.22,1-7).
So wurde das Passafest die Stunde der Entscheidung und der Scheidung für Jesum
und seine wahren Jünger einerseits und für Judas anderseits.
Dazu war das Passafest auch angetan. Denn das Essen des Passalammes war ja
ein Hinweis auf den Glauben an das Lamm Gottes, das zur Rettung der Menschen
geschlachtet werden sollte. Und das Verhältnis der Menschen zu diesem Gotteslamm
entscheidet und scheidet (vgl.Offb.14,4).
Der tiefere Sinn des Passafestes wird klar, wenn man aus der Geschichte des Volkes
Israel die Entstehung dieses Festes berücksichtigt.
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Johannes-Evangelium Teil 8
Die Israeliten mußten jedes Jahr ein Lamm schlachten, weil das Blut eines
geschlachteten Lammes einst in Ägypten, als der Würgengel (= Verderber, 2.Mos.12,29) die
Erstgeburt der Ägypter töten sollte, zu der Rettung des Volkes dienen mußte. In jener
Nacht, als die Erstgeburt in Ägypten erschlagen wurde, mußten die Israeliten ein Lamm
schlachten, die Türpfosten und die obere Schwelle mit dem Blut dieses geschlachteten
Lammes besprengen, damit der Würgengel an ihren Häusern vorüberginge. Hätten sie
das unterlassen, dann wäre es ihnen ergangen wie den Ägyptern: der Erstgeborene wäre
auch bei ihnen erschlagen worden. Das Blut war für das Volk Israel der Schutz, daß ihre
Erstgeburt nicht erschlagen wurde. Noch in der folgenden Nacht mußten sie nach der
göttlichen Anordnung das geschlachtete Lamm essen, und nichts davon durfte
übriggelassen werden. In jeder Familie, in der ein solches Lamm zum Schutz der
Erstgeborenen geschlachtet wurde, mußte es auch ganz aufgegessen werden. Falls
etwas übrigblieb bis zum Morgen, mußte es verbrannt werden. Von jener
Seite 33
Zeit an mußten die Israeliten jedes Jahr am Passafest im Gedenken an ihre Rettung aus
Ägypten ein Lamm schlachten (vgl.2.Mos.12). Als das letzte Passafest gekommen war, das
Jesus mit den Seinen feiern durfte, wußte Jesus, daß seine Stunde gekommen sei. Aber
auch Judas kannte die Stunde seines Meisters, denn auf dieses Passafest hin war er
bereit, Jesum zu verraten und seinen Feinden zu überliefern, damit er getötet würde. Der
Bericht sagt nicht, daß Judas ursprünglich diesen Entschluß gefaßt hatte, sondern daß
der Teufel dem Judas, Simons Sohn, dem Ischariot, ins Herz gegeben hatte, Jesum zu
verraten. Judas war ein Dieb, der ihm anvertraute Beutel wurde ihm zum Fall (Joh.12,6;
Joh.13,29).
Er konnte mit dem Geld, das er im Kreis der Jünger zur Verwahrung und
Verwaltung in seine Hände bekam, nicht treu umgehen. Wodurch er etwas von der
Stunde wußte, die in Gottes Ratschluß für den Sohn Gottes, den Menschensohn,
gekommen war, und ob er diese Stunde nur durch seine Verbindung mit den
Hohenpriestern und Schriftgelehrten kannte, ist uns nicht mitgeteilt. Vielleicht hatte sich
Judas an die Worte Jesu aus Matth.26,2 erinnert, als Jesus sagte, daß in 2 Tagen das
Passa sein würde und er dann überantwortet und gekreuzigt würde. Die Feinde Jesu
hatten gewiß nicht in der klaren Erkenntnis des göttlichen Willens und Ratschlusses, der
für den Sohn Gottes von Grundlegung der Welt an gefaßt war, darauf hingestrebt, Jesum
zu töten. Jedenfalls hatte Judas in den Vorgängen jener Zeit, die sich im Volk im
Verhältnis zu Jesu abspielten, eine gute Gelegenheit erkannt, um seine Kasse
aufzufüllen. Zur bestimmten Zeit fand er sich bei den Obersten des Volkes ein, um das
Geschäft mit ihnen abzuschließen.
„Was wollt ihr mir geben, wenn ich ihn euch verrate?“
sagt er zu den Obersten des Volkes (Matth.26,14-16).
Die Schrift sagt weiter, Judas sei der Wegweiser und Anführer der Feinde Jesu
geworden (Apg.1,16; Joh.18,3). So mußte die Entscheidungsstunde zur Scheidungsstunde
zwischen Judas und Jesu werden. Bei der Fußwaschung bestätigte Jesus seinen
Jüngern, daß er ihr Herr und Meister sei, so wie sie ihn auch mit Recht nannten; er war
also ihr Führer (Joh.13,13). Es war anscheinend für Judas nicht genug, daß er für seinen
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Johannes-Evangelium Teil 8
Dienst dreißig Silberlinge bekam, er wollte dazu auch eine Führerstellung bekommen.
Weil Jesus der Führer seiner Jünger war, wollte Judas denselben Rang einnehmen.
Judas muß sich gewiß auch überlegt haben, daß der Schritt, den er zu tun gedachte,
schwerwiegender war als sein Stehlen im Jüngerkreis. Die übrigen Jünger wußten von
der Untreue des Judas nichts. Selbst in dieser letzten Stunde, als Jesus es klar
ausgesprochen hatte, daß Judas ihn verraten würde, und als Jesus zu ihm sagte: „Was
du tun willst, das tue bald!“ vermuteten sie noch, daß er für das Fest einkaufen
Seite 34
oder den Armen etwas geben sollte. Daß es sich um die Auseinandersetzung mit der
Untreue eines Jüngers im engsten Jüngerkreis handeln konnte, davon hatten sie keine
Ahnung. Und der Meister, der von Anfang an alles durchschaute und dem bekannt war,
welche Rolle Judas im Kreis der Seinen spielte, hat es den übrigen Jüngern nicht
mitgeteilt.
Wenn nun Judas im Begriff ist, sich nicht nur, wie bis dahin, Geld aus dem allgemeinen Fonds anzueignen, sondern sich von den Obersten des Volkes als Lohn für den
Verrat seines Meisters dreißig Silberlinge geben zu lassen, dann mußte er sich dessen
bewußt werden, daß er unter solchen Umständen nicht mehr bei dem Meister im Kreise
seiner Jünger bleiben konnte. Darum hatte der Schritt zum Verrat des Meisters zur Folge,
daß Judas auch noch Anführer der Feinde Jesu wurde. Damit schied er aus dem Kreis
der Jünger Jesu endgültig aus. Jesus kannte die Gesinnung dieses Jüngers während der
ganzen Jahre. Er wußte, wie sich eine Bosheit zur andern hinzufügte, bis im Herzen
dieses Mannes durch Satans Inspiration der Entschluß gereift war, Jesum zu verraten.
Nun war in dieser Stunde für Judas, sowie für Jesum, durch das Essen des letzten
Passamahles die Entscheidungsstunde gekommen. Bei dieser Mahlzeit mußte es
offenbar werden, wer Gemeinschaft mit Jesu hatte und wer mit ihm keine Gemeinschaft
haben konnte.
Aus diesem Grunde gibt es eine Unterbrechung der Mahlzeit. Vorher hatte Jesus
seinen Jüngern die Füße nie gewaschen. Hätte er ihnen nur ein Vorbild in der Gesinnung
der Demut und Niedrigkeit geben wollen, wie es Petrus beurteilt hat, dann hätte er das zu
irgendeiner andern Zeit schon zuvor tun können. Es hätte nicht in Verbindung mit diesem
Passafest geschehen müssen. Nun ergibt es sich aber aus dem Zusammenhang, daß
die Fußwaschung anders gedeutet werden muß. Es hat nicht den Anschein, daß Jesus
bei dieser Fußwaschung Petrus den andern vorangestellt hätte, wie er es oft getan hat.
Der Bericht sagt, daß Jesus anfing, den Jüngern die Füße zu waschen und sie mit dem
Schurz zu trocknen, mit dem er umgürtet war, daß er dabei zu Simon Petrus kam und
sich dann das uns bekannte Gespräch mit ihm ergab. Das läßt erkennen, daß Jesus die
Fußwaschung nicht bei Simon Petrus begonnen hat.
Für Jesum war die Fußwaschung der Ausdruck seiner ungefärbten, unveränderlichen
Liebe. Johannes drückt das mit den Worten aus:
„ … wie er geliebt hatte die Seinen, die in der Welt waren, so liebte er sie bis ans
Ende.“ (Vers 1)
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Johannes-Evangelium Teil 8
Wenn wir aber diese Liebe, die Jesus seinen Jüngern bis zum Ende bewiesen hat,
studieren, dann kann Judas Ischariot in diesem Vorgang
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der Fußwaschung keinen untergeordneten Platz eingenommen haben. Ja, Jesu Liebe
muß sich dann in erster Linie auf diesen Judas beziehen, dem der Teufel den Gedanken,
seinen Meister zu verraten, ins Herz gegeben hatte. Auch dieser teuflische Plan konnte
nicht bewirken, daß die Liebe des Meisters den Seinen gegenüber auch nur die geringste
Trübung erfahren hätte. Es dürfte uns nicht schwerfallen, die Frage zu beantworten, wie
wir in einer solchen Stunde handeln würden. Wenn wir es auch nicht aussprechen
würden, so würden wir doch sicher unsre Zuneigung gegenüber den einen bekunden,
während wir für Judas gemischte Gefühle hätten. Äußerlich könnten wir unter Umständen
ganz gut den Schein der Korrektheit wahren, indem wir keinen Unterschied machten.
Aber Paulus sagt einmal: „Die Liebe soll ungefärbt bzw. ungeheuchelt, echt sein“
(Röm.12,9; 2.Kor.6,6). Es gibt also verschiedene „Farbtöne“, d.h. es gibt Unterschiede in der
Liebe. Sie kann in verschiedenen Farben in Erscheinung treten. Wenn eine solche
Färbung in der Liebe Jesu Gott gegenüber vorhanden gewesen wäre, hätte Jesus
unmöglich sagen können:
„Jetzt ist des Menschen Sohn verherrlicht …“ (Vers 31)
Nun hat Jesus durch die Fußwaschung seinen Jüngern ein Vorbild in der Liebe gegeben,
damit sie dieselbe Liebe, wie er sie ihnen erwies, auch einander erweisen sollen. Es
würde uns gewiß nicht schwerfallen, die Liebe, die Jesus geübt hat, zu würdigen. Aber es
fällt uns schwer zu begreifen, daß Jesus sein Verhalten in vollem Umfang seinen Jüngern
zum Vorbild gesetzt hat. Wir sind auch geneigt, soweit wie es uns möglich ist, dem
nachzustreben, was er in Vollkommenheit getan hat. Nur können wir nicht fassen, daß es
den Jüngern Jesu möglich sein sollte, so zu handeln, wie Jesus gehandelt hat. Wir
würden zwar vielleicht auch noch einem Judas die Füße waschen in der Absicht, unter
den Jüngern nach außen hin zu demonstrieren, daß wir auch unserem Feind und
Verräter dieselbe Liebe erweisen wie den mit uns in Aufrichtigkeit verbundenen Gliedern
des Leibes Christi. Wir würden ihm ganz gelassen und unauffällig begegnen, und im
Herzen würden wir vielleicht so denken wie Mose. Mose sollte mit dem Felsen reden,
damit er wieder Wasser gebe, da sagte er zum Volk: „Ist es auch recht, euch Wasser zu
geben?“ Und Mose schlug den Felsen zweimal (4.Mos.20,1-13). Gott hat sich zwar seines
Volkes in jener Stunde wieder erbarmt, aber für Mose bewirkte der Mangel an
Ausrüstung, das Volk in seiner Widerspenstigkeit zu tragen, sein Todesurteil; er mußte
sterben. Obgleich das Volk Gottes immer wieder sündigte, verdammte Gott es doch
nicht. Aber der Führer des Volkes dagegen durfte es sich nicht leisten, dem beständig
unzufriedenen Volk das ihm von Gott zugedachte
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Wasser und damit die alle Sünden zudeckende Gnade zu entziehen. Als Führer des
Volkes konnte Gott Mose in dieser Gesinnung, auch wenn es sich dabei um eine vorübergehende Aufwallung seines Zornes gehandelt haben sollte, nicht den Jordan, den
Todesstrom, überschreiten lassen und ihn damit nicht in das verheißene Land bringen.
Mose mußte sterben (5.Mos.3,25-27; Kap.32,51-52).
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Johannes-Evangelium Teil 8
Anders als bei Mose wurde die Gesinnung Jesu im Verhältnis zu den Seinen am
Ende seiner Erdenlaufbahn offenbar. Als die Auseinandersetzung mit Judas erfolgt war,
sagte Jesus:
„Jetzt ist des Menschen Sohn verherrlicht …“ (Vers 31)
Das war ungefärbte, ungeheuchelte, echte Liebe. Und diese ungefärbte Liebe brachte
vorbildlich zum Ausdruck, wie die Gesinnung der Jünger Jesu sein muß, wenn sie mit
ihrem Meister Gemeinschaft haben wollen. Daß es Jesu darum ging, daß die Jünger
Gemeinschaft mit ihm haben, geht aus seinen Worten hervor, die er zu Petrus sprach:
„Werde ich dich nicht waschen, so hast du keine Gemeinschaft mit mir.“ (Vers 8)
Ohne die Fußwaschung durch Jesu Hände, d.h. ohne seine vergebende, alle Sündenschuld zudeckende Liebe zu erfahren und anzunehmen, haben die Jünger keine
Gemeinschaft mit ihrem Herrn. Nun sagt Jesus nicht, … so ist deine Gemeinschaft nicht
vollkommen, nicht tief genug, sie wird gelockert. Nein, es gibt nur ein Entweder-Oder,
entweder Gemeinschaft mit dem Herrn haben, oder keine Gemeinschaft mit ihm haben.
Die Gemeinschaft ist nicht Steigerungsgraden unterworfen: innig, inniger, am innigsten,
denn die Gemeinschaft mit Jesu ist nicht das Ergebnis eigener Bemühung, sondern die
Frucht der dienenden Liebe Jesu. Darum kommt es am Ende nur darauf an, ob die
Gemeinschaft mit ihm besteht und gepflegt wird, oder ob sie nicht bestehen kann. Die
Fußwaschung mit dem darauffolgenden Passamahl machte es offenbar, daß elf von den
Jüngern Jesu Gemeinschaft mit ihm hatten, während die Gemeinschaft zwischen Jesu
und Judas, die nur nach außen hin bestand und in Erscheinung getreten war, aufhören
mußte.
Wenn die Gemeinschaft mit Jesu besteht, dann kommt das in der gemeinsamen
Mahlzeit zum Ausdruck. Wenn keine Gemeinschaft mit ihm besteht, dann kann auch die
Mahlzeit mit ihm nicht eingenommen werden.
Wir müssen nach dem Zeugnis, das wir von Jesu über Judas haben, zu dem Schluß
kommen, daß Judas zu den von Jesu Erwählten in
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einem andern Sinn gehörte als die übrigen elf Jünger (vgl.Joh.6,70; 13,18). Judas war unter
diesen Zwölfen ein Same, den der Satan gesät hatte. Er war von Anfang an kein Kind
des Reiches Gottes, sondern ein Kind des Teufels. Der Sohn Gottes aber war willig,
einen von den zwölf Plätzen vom Teufel besetzen zu lassen, wie es nach dem Willen
Gottes geschehen mußte. Judas, der von Anfang an beharrlich auf den Einfluß einging,
den der Teufel auf seinen Geist ausübte, mußte zuletzt selbst als ein solcher Teufel
offenbar werden und zuletzt Verrat am Sohne Gottes üben. Und der Sohn Gottes hat die
Liebe, mit der er bis ans Ende die Seinen liebte, die in der Welt waren, in unveränderter
Herzlichkeit auch dem Judas bewiesen. In dem Verhalten Jesu dem Judas gegenüber
war nichts, was seine Jünger veranlaßt hätte, einen Unterschied zu sehen zwischen dem
einen und dem andern Jünger, und sein Verhalten entsprang, wie schon gesagt, seiner
reinen, ungefärbten, ungeheuchelten Liebe.
Jesus hätte wohl, ohne Unrecht zu tun, die Seinen in andrer Weise lieben können als
Judas, den Teufel. Er hätte Judas während der drei Jahre seiner Zugehörigkeit zum
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Johannes-Evangelium Teil 8
Jüngerkreis seiner Gesinnung entsprechend behandeln können, vielleicht, um ihn zur
Umkehr zu rufen. Wenn er nun die Gesinnung des Judas im Jüngerkreis nicht vorzeitig
offenbar machte, dann unterließ er das aus Rücksicht auf die Schwachheit der übrigen
Jünger, denen noch Verständnis und Ausrüstung fehlten, um die teuflische Bosheit eines
Jüngers Jesu im eigenen Kreis in Liebe zu tragen. Deshalb zählte Jesus den Judas nicht
nur zu den Zwölfen, zu denen er äußerlich ja gehörte, sondern er behandelte ihn im Kreis
der Zwölfe auch gleich wie alle andern. Liebte er die Seinen bis ans Ende, so mußte er
aus Rücksicht auf die Seinen seine Liebe auch dem Judas in der gleichen ungefärbten,
ungeheuchelten Weise zuteil werden lassen, wie er diese Liebe bis zum Ende den
Seinen gegenüber bewiesen hat. Er durfte in seiner Liebe zu ihnen zwischen den Seinen
und dem Judas keinen Unterschied machen. Das hat er auch nicht getan. Wie er das
fertiggebracht hat, das ist uns heute noch ein Geheimnis. Dabei dürfen wir nicht
vergessen, daß er nicht als Gott in Vollkommenheit und Allwissenheit gehandelt hatte,
auch nicht im üben der Liebe, sondern daß er in allem den Brüdern gleich geworden ist.
So mußte er auch in allem, was er unter den Menschen darstellte, als Mensch leben und
nicht in der Vollkommenheit Gottes, und deshalb müssen wir in der Stellung Jesu nur den
Unterschied in der Reife zwischen ihm und seinen Jüngern beachten. Um seiner Reife
willen konnte er so handeln, wie er gehandelt hat, und die Reife, die Jesus erlangt hatte,
liegt nicht außerhalb der Grenzen, die auch seine Jünger erreichen müssen. Sie müssen
dieselbe Reife, die Jesus im Üben des Gehorsams in seinen Leiden erreicht hat, auch
erreichen. Wenn dann die gleiche Reife, die Jesus hatte, erreicht ist, kann ein
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Kind Gottes genauso seine Stunde erkennen und in dieser Stunde genauso handeln, wie
Jesus gehandelt hat, genauso lieben, wie er geliebt hat. Denn es gibt nur eine Liebe,
nämlich die Liebe, die Jesus hatte, und die von Gott auch in die Herzen der Kinder
Gottes ausgegossen wird durch den Geist, der ihnen gegeben ist (Röm.5,5). Wirkt die
Liebe verschieden, so ist das die Färbung, die sie annimmt. Das ergibt sich aus der Reife
bzw. aus der Ausrüstung jedes einzelnen Kindes Gottes. Wenn wir nun bei uns
persönlich den Mangel an Ausrüstung mit der vollkommenen Liebe feststellen müssen,
dann soll uns das anspornen, uns nach dieser Ausrüstung auszustrecken. Dabei gilt es,
gründlich auf die Gesinnung in der ungefärbten, ungeheuchelten, echten Liebe zu
achten, die Jesus in der Fußwaschung seinen Jüngern bewiesen hat, ohne in der
Jüngerschar den Judas von dieser Liebeserweisung auszuschließen. Es muß also ganz
ernst genommen werden, wenn Jesus sagt:
„ … ein Vorbild habe ich euch gegeben, daß auch ihr tut, wie ich euch getan
habe.“ (Vers 15)
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Die Fußwaschung
„Da kommt er zu Simon Petrus, und dieser spricht zu ihm: Herr, solltest du mir
die Füße waschen? Jesus antwortete und sprach zu ihm: Was ich tue, weißt du
jetzt nicht, du wirst es aber hernach erfahren. Petrus spricht zu ihm: Nimmermehr
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Johannes-Evangelium Teil 8
sollst du mir die Füße waschen! Jesus antwortete ihm: Werde ich dich nicht
waschen, so hast du keine Gemeinschaft mit mir. Simon Petrus spricht zu ihm:
Herr, nicht meine Füße nur, sondern auch die Hände und das Haupt! Jesus
spricht zu ihm: Wer gebadet ist, braucht nur die Füße zu waschen, so ist er ganz
rein. Und ihr seid rein, aber nicht alle. Denn er kannte seinen Verräter; darum
sagte er: Ihr seid nicht alle rein.“ (Joh.13,6-11)
Das Reinsein ohne Fußwaschung
Das Reinsein durch die Fußwaschung
Gebadete Kinder Gottes bedürfen noch der Fußwaschung,
um ganz rein zu sein und Gemeinschaft mit Jesu haben zu können
Der Widerstand, den Petrus dagegen hatte, daß Jesus ihm die Füße waschen wollte,
hörte auf, sobald ihm Jesus die Notwendigkeit und die Bedeutung der Fußwaschung
andeutete. Jesus sagte zu ihm:
„Werde ich dich nicht waschen, so hast du keine Gemeinschaft mit mir.“ (Vers 8)
Daraufhin stellt sich Petrus sofort um. Er hat verstanden, daß es sich nicht darum
handelt, daß durch irgend jemand ein Dienst ausgerichtet wird und es dabei gleichgültig
ist, wer diesen Dienst ausrichtet: Jesus oder Petrus. Wohl konnte Petrus das, was der
Herr ihm sagte, auch nicht ganz verstehen, denn Jesus hatte ihm ja schon gesagt:
„Was ich tue, weißt du jetzt nicht, du wirst es aber hernach erfahren.“ (Vers 7)
Aber sobald er hörte, daß von dieser Fußwaschung die Gemeinschaft mit dem Herrn
abhängt, gab er nicht nur seinen Widerstand auf, sondern sprach auch zu Jesu:
„Herr, nicht meine Füße nur, sondern auch die Hände und das Haupt!“ (Vers 9)
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Damit kommt so recht die Stellung des Kindes Gottes zum Ausdruck. Zuerst hatte Petrus
von der Fußwaschung eine ganz andre Auffassung, als sie dem Wesen dieser Handlung
Jesu entspricht. Er sah darin nur einen Dienst, den jeder tun kann, und in seinem
Übereifer wollte er diesen Dienst seinem Meister abnehmen. Ähnlich denken auch heute
noch die Kinder Gottes über die Fußwaschung, wie sie durch Jesum an ihnen vollzogen
werden muß. Sobald sie den Unterschied zwischen ihrer früheren Stellung und der Zeit
erkannt haben, in der sie durch das Wasserbad des Wortes gereinigt bzw. durch das
Wort der Wahrheit erzeugt worden sind, um eine Erstlingsfrucht der Geschöpfe Gottes zu
werden, wollen sie Gott dienen. Sie wissen, daß sie, die früher keine Gotteskinder waren,
sich nun Kinder Gottes nennen dürfen, und zwar aufgrund ihrer Stellung, die sie zum
Wort einnehmen. Wenn sie das Wort der Wahrheit gehört haben und es glauben, wenn
sie sich aufgrund des Wortes zu ihrem Gott und seiner Ordnung der Erlösung stellen,
dann ist ihr nächstes Verlangen, Gott zu dienen; das wird ins Licht gestellt durch die
Frage des Petrus: Herr, willst du mir die Füße waschen? Nimmermehr sollst du mir die
Füße waschen! Petrus sollte nun lernen, daß es bei der Fußwaschung nicht um eine
natürliche Dienstleistung ging, wie er sie in dieser Handlung vermutet hatte. Aber so
schnell begreift er das nicht. Er bringt aufs neue, wenn auch in andrer Form, sein
Eigenes zum Ausdruck. Nun ist ihm das, was Jesus tun wollte, auf einmal nicht genug.
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Johannes-Evangelium Teil 8
Wenn von dieser Waschung die Gemeinschaft mit Jesu abhängt, dann sollen nicht nur
die Füße, sondern auch die Hände und das Haupt Anteil haben! Dann genügt die
Fußwaschung nicht, denn an Petrus ist doch noch mehr schmutzig als bloß die Füße!
Die Antwort Jesu veranlaßt uns, uns mit der Ordnung, die in diesem Zeugnis Jesu
liegt, zu beschäftigen. Sie ist wichtiger als die Worte, die Petrus dem Herrn gesagt hat.
Petrus verlangt nicht umsonst: Nicht nur meine Füße, sondern auch die Hände und das
Haupt! Er will sicher damit sagen: Wenn die Unreinheit des Menschen beseitigt werden
soll, dann ist in den Handlungen ebenso wie auch in dem, was sein ganzes Leben, sein
Denken und Reden ausmacht, genug Grund und Ursache für die Reinigung vorhanden.
Jesus stellt nun dem, was Petrus über das Waschen der Füße, der Hände und des
Hauptes zum Ausdruck bringt, eine andre Ordnung gegenüber. Er sagt zu ihm:
„Wer gebadet ist, braucht nur die Füße zu waschen, so ist er ganz rein.“ (Vers 7)
Wenn er noch hinzufügt: „Ihr seid rein“, so will er damit seinen Jüngern sagen, daß sie
gebadet seien, und wenn er ihnen dazu noch
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die Füße wasche, so umfasse das die ganze Reinigung. Bad und Fußwaschung stellen
also die göttliche Ordnung der Reinigung dar.
Was wir unter diesem Bad zum Unterschied von der Fußwaschung verstehen
müssen, ist damit erklärt, daß der Herr sagt:
„ … ihr seid rein, aber nicht alle.“ (Vers 10)
Denn er kannte seinen Verräter. Dadurch ist die Gesinnung des Judas als Gegensatz zu
dem Bad und der Wirkung desselben ins Licht gestellt. An dieser Stellung, wie sie Judas
einnahm, muß der Sinn und die Bedeutung des Bades erkannt werden. Hätte Judas die
gleiche Reinheit wie die andern Jünger aufweisen können, dann hätte Jesus einfach nur
sagen können: „Ihr seid rein.“ Hätte er durch die Beifügung „aber nicht alle“ Judas, den er
als seinen Verräter kannte, in seiner Gesinnung nicht von den übrigen Jüngern
unterschieden, dann wäre uns die Möglichkeit, die Bedeutung des Bades zu erkennen,
nicht gegeben, und wir wären nicht in die Lage versetzt, die Bedeutung des Bades von
der Bedeutung der Fußwaschung zu unterscheiden. Nun verschafft uns aber gerade das
Verhalten des Petrus diese Möglichkeit, weil Jesus ihm eine Erklärung über diesen
Unterschied abgibt. Er unterscheidet die elf Jünger von Judas in dem Sinn, daß sie durch
ein Bad rein waren, während Judas diese Reinheit nicht erlangt hatte.
Nun müssen wir uns über das Wesen dieser Reinheit klarwerden. Jesus geht auf das
Verlangen des Petrus, ihm und seinen Mitjüngern nebst den Füßen noch die Hände und
das Haupt zu waschen, nicht ein; er bleibt vielmehr bei seinem Entschluß, ihnen allen in
gleicher Weise die Füße zu waschen. Nur weist er jetzt darauf hin, daß zwischen Judas
und den übrigen Jüngern ein Unterschied besteht, und zwar darin, daß die einen rein
sind, weil sie bereits gebadet sind, und wenn ihnen dazu noch die Füße gewaschen
werden, sind sie ganz rein. Judas ist trotz der Fußwaschung, die Jesus auch an ihm
vorgenommen hat, nicht rein.
Er ist deshalb nicht rein, weil er das Bad des Wortes nicht erfahren hatte.
Darum konnte Satan ihm ins Herz geben, Jesum zu verraten
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Johannes-Evangelium Teil 8
Eine solche Gesinnung hatte keiner der andern Jünger. Nun waren sie aber alle in
der gleichen Weise mit Jesu zusammen gewesen. Sie hatten von Anfang an in gleicher
Weise miteinander gelebt, und sie hatten in ihrem Zusammenleben mit Jesu alle die
gleichen Erfahrungen gemacht. Gewiß hat Jesus zwei- bis dreimal einige Jünger, und
zwar immer die gleichen, zu einer bestimmten Zeit um einer bestimmten göttlichen
Offenbarung willen beiseite genommen: einmal bei der Auferweckung der Tochter des
Jairus (Luk.8,51), ein andermal,
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als Jesus mit dreien auf den Berg der Verklärung ging, um ihnen dort seine Herrlichkeit
zu zeigen (Luk.9,28-31), und ein drittes Mal im Garten Gethsemane (Matth.26,37). Sonst ist
uns nicht davon berichtet, daß Jesus unter den Jüngern besondere Unterschiede
gemacht hätte; denn wie er geliebt hatte die Seinen, die in der Welt waren, so liebte er
sie bis ans Ende. Wenn es von einem seiner Jünger heißt, daß Jesus ihn liebte, so ist
das für Johannes, diesen Lieblingsjünger Jesu, ein ganz besonderes Zeugnis; aufgrund
dieser Liebe seines Herrn durfte er auch seinen Platz an seiner Seite haben (Joh.13,23-25).
Aber sonst haben alle Jünger mit Jesu die gleichen Erfahrungen gemacht und sind
deshalb auch nicht unterschieden und geteilt worden in drei Lieblingsjünger und die
übrigen Jünger; ein großer Unterschied aber bestand darin, daß Judas auf der einen und
die übrigen Jünger auf der andern Seite waren. So wird Judas durch seine Gesinnung
von den übrigen Jüngern unterschieden. Diesen Judas hat Jesus schon früher, wie es im
6.Kapitel des Johannesevangeliums berichtet ist, einen Teufel genannt (Joh.6,70-71), und
hier heißt es:
„ … er kannte seinen Verräter.“ (Vers 11)
Noch mehr Licht gibt die Erklärung Jesu:
„Ich rede nicht von euch allen; ich weiß, welche ich erwählt habe. Doch, auf daß
die Schrift erfüllt werde: ,Der mit mir das Brot ißt, hat seine Ferse wider mich
erhoben.'“ (Vers 18; Ps.41,10)
Also ist auch in diesen Worten ein Unterschied ins Licht gestellt zwischen den Jüngern,
die der Herr erwählt hatte, und Judas, den der Herr zwar auch erwählt hatte (Joh.6,70),
aber in einem andern Sinn. Deshalb hat Judas seine Stellung nicht in der Ordnung
eingenommen wie die übrigen Jünger. Diese waren nach dem Zeugnis des Herrn Kinder
des Reiches (Matth.13,38), die als der vom Herrn ausgestreute Same dem Reich Gottes
angehörten. Judas dagegen stellt das Unkraut dar, das der Teufel in der Zeit gesät hatte,
als die Diener des Reiches Gottes schliefen. Nur wenn wir diese beiden Seiten, wie sie
im Wort Gottes klar unterschieden sind, beachten, können wir erkennen, daß das Wort,
das Jesus zu seinen Jüngern redete, bei den elf Jüngern eine Wirkung hatte, die Judas
nicht aufweisen konnte. Diese von Jesu erwählten Jünger waren durch Jesu Wort wirklich
gebadet, Judas dagegen hat ein solches Bad nie in Anspruch genommen, obwohl auch
ihm während der dreijährigen Zeit seiner Zugehörigkeit zu Jesu und seinem Jüngerkreis
dieses Bad angeboten wurde, und er war deshalb nicht wie die andern rein geworden.
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Worin besteht nun das Bad? Paulus hat den Ephesern geschrieben:
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Johannes-Evangelium Teil 8
„Ihr Männer, liebet euere Weiber, gleichwie Christus geliebt hat die Gemeinde
und sich selbst für sie hingegeben, auf daß er sie heilige, nachdem er sie gereiniget durch das Wasserbad im Wort.“ (Eph.5,25-26)
Und im Hebräerbrief heißt es:
„Nachdem Gott vor Zeiten vielfach und auf vielerlei Weise zu den Vätern geredet
hat durch die Propheten, hat er zuletzt in diesen Tagen zu uns geredet durch den
Sohn, welchen er eingesetzt hat zum Erben über alle Dinge, durch welchen er
auch die Welt gemacht hat; welcher, da er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und
das Abbild seines Wesens und alles trägt mit dem Worte seiner Kraft, nachdem
er eine Reinigung von den Sünden vollbracht hat (durch sich selbst), hat er sich
gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe.“ (Hebr.1,1-3)
Aufgrund dieser Reinigung, die Jesus selbst vollbracht hat durch seine Hingabe, heiligt er
sich die Gemeinde Gottes. Er hat sie durch das Wasserbad im Wort gereinigt.
Das ist das Bad, auf das Jesus hinweist, wenn er sagt: Wer gebadet ist, braucht nur
die Füße zu waschen, so ist er ganz rein.
Somit ist das Bad der Vorgang der Reinigung, die das Kind Gottes
durch treue Stellungnahme zum Wort Gottes erlangt
Gebadet wird das Kind Gottes im Wasserbad des Wortes, indem es das Wort, das
die Erlösung bezeugt, aufnimmt und auf sich wirken läßt. In diesem Verhältnis zum Wort
und damit zu Jesu haben sich die elf Jünger Jesu von Judas unterschieden. Sie nahmen
das Wort von Jesu und ihn selbst als den von Gott gesandten Sohn Gottes auf; Judas
aber, der zwar auch zu der Jüngerschar Jesu gehörte und, wie die andern, drei Jahre
lang dem reinigenden Dienst des Wortes Jesu ausgesetzt war, unterschied sich von den
übrigen Jüngern; er war in seiner Zugehörigkeit zu Jesu nicht, wie die andern, ungeteilt
auf Verlassen eingestellt, sein Zusammenleben mit Jesu war für ihn vielmehr ein
nutzbringendes Geschäft. Er suchte dabei seinen Gewinn, seinen Nutzen und Vorteil,
und er konnte somit auch nicht die reinigende Wirkung des Wortes erfahren. Das war bei
den andern Jüngern nicht der Fall, wohl bei keinem. Petrus sprach es einmal mit den
Worten aus:
„Herr, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt.“ (vgl.Matth.19,27-28;
Mark.10,28)
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Dennoch hat den Jüngern im Blick auf ihre natürlichen Bedürfnisse nichts gefehlt. Darauf
weist Jesus sie hin mit der Frage:
„ … hat euch etwas gemangelt?“ (Luk.22,35)
Er hat es auch klar ausgesprochen, daß sie, wenn sie nur Nahrung, Kleidung und
Obdach haben, sich genügen lassen sollen. Somit hätten diese Jünger Jesu, wenn sie an
ihrem bisherigen Platz geblieben wären, vielleicht mehr irdische Güter erlangen können
als in der Nachfolge Jesu. Um ihm nachzufolgen, mußten sie auf überflüssigen Besitz
verzichten, sie mußten sich unbedingt an dem Notwendigsten genügen lassen, an dem,
was sie Tag für Tag zum Leben hatten. Demgegenüber hat Jesus ihnen die Frage
gestellt, ob sie in der Zeit, in der sie mit ihm zusammen waren, je Mangel gehabt hätten.
Das war nicht der Fall, sie hatten also immer genug (Luk.22,35). Aber damit war Judas
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Johannes-Evangelium Teil 8
nicht zufrieden. Er nutzte seinen Platz unter den Jüngern Jesu dazu aus, einen
persönlichen Gewinn zu haben, er wollte aus seiner Jüngerstellung für sich persönlich
einen Nutzen ziehen. So hat er sich von den andern Jüngern unterschieden; seine Sorge
war auf seinen persönlichen Gewinn gerichtet und nicht darauf, das Wort Gottes, wie es
Jesus persönlich darstellte, anzunehmen und aufzunehmen. Als guter Geschäftsmann
und treuer Jünger mußte er gut rechnen können; er mußte überlegen, wieviel sie an
jedem Tag brauchten; bei einem solch unsteten Leben war das fast unberechenbar. Er
mußte sehr auf der Hut sein und überblicken können, wieviel ungefähr von Zeit zu Zeit für
die Armen verausgabt werden durfte. Außerdem mußte er an jedem Tag genau
berechnen, wieviel er in seine eigene Tasche verschwinden lassen konnte, ohne sich
dabei zu verraten. Immer mußte er den Überblick über seine Geldverhältnisse haben, die
Kasse mußte immer stimmen, nach jeder Seite hin mußte es ausreichen. Jesus und
seine Jünger durften nie in eine Not kommen, so daß einer hätte sagen können: Wir
sollten nicht genug zu essen bekommen? Du hast doch so und so viel Geld
eingenommen! - Nun stellt euch einmal vor, was der Mann zu tun hatte!
Jesus sagte einmal, als Maria zu seinen Füßen saß und Martha sich mit den alltäglichen Verpflichtungen beschäftigte, Maria habe das gute Teil erwählt (Luk.10,38-42).
Um recht aufmerksam zu sein, das Wort von Jesu zu hören und aufnehmen zu können,
durfte sie sich nicht im Alltagsbetrieb zerstreuen; sonst hätte sie nicht den vollen Gewinn
durch Jesu Wort haben können. Darin unterschieden sich eben die Jünger; die einen
konnten sich mit dem Wort beschäftigen, sie konnten sich dem, was Jesus ihnen sagte,
völlig hingeben und es auf sich wirken lassen, während Judas immer zerstreut war. Auf
diese Weise wurde das beiderseitige Interesse immer größer: auf der
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einen Seite für das reinigende Wort Gottes, auf der andern Seite für den persönlichen
irdischen Vorteil. Nach beiden Seiten wird dieselbe Treue aufgebracht, nur wird dabei
jeweils ein andres Ziel verfolgt. Den einen kann Jesus sagen: Wer gebadet ist, ist rein;
das Wort Gottes hat euch rein gemacht.
Wie macht das Wort Gottes rein? Jesus hat durch seine Lebenshingabe die Reinigung von den Sünden vollbracht (Hebr.1,3; Joh.1,7). Jesus hat in seiner Opferstellung, in
seiner Lebenshingabe, die Sünden weggenommen; deshalb hat Paulus den Römern
geschrieben:
„Also gibt es nun keine Verdammnis mehr für die, welche in Christo Jesu sind.
Denn das Gesetz des Geistes des Lebens in Christo Jesu hat dich frei gemacht
von dem Gesetz der Sünde und des Todes.“ (Röm.8,1-2)
Jesus, das ins Fleisch gekleidete Wort Gottes, hat das Fleisch und Blut, das die
Menschen gemeinsam tragen, angenommen (Hebr.2,14); weil aber in diesem Fleisch die
Sünde wohnt (Röm.7,14-25), trug er dieses Fleisch ans Kreuz und gab es in den Tod, es
wurde begraben, und Gott hat es aus dem Tod auferweckt, verwandelt und unsterblich zu
seiner Rechten erhöht (Röm.6,4-10). Dadurch hat Jesus die Sünde aufgehoben, er hat am
Kreuz in seinem Leib die Sünde als das von Gott Verfluchte dargestellt. Damit sind nicht
nur die Sünden der Gesetzesübertretung, sondern es ist auch die Sünde als die
weltbeherrschende Macht des Bösen durch das Opfer Jesu beseitigt. Die Sünden als
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Johannes-Evangelium Teil 8
Gesetzesübertretung, wie sie das Leben der Menschen aufweist, sind durch dieses Opfer
vor Gott gesühnt; denn Gott hat im Opfer Jesu alles, was im Himmel und auf Erden ist,
mit sich versöhnt (2.Kor.5,18-21). Darum gibt es nichts mehr in der Schöpfung - auch keine
Gesetzesübertretung -, was als störender Einfluß Gott seinen Geschöpfen gegenüber
bestimmen könnte. Wollen wir uns das gründlich einprägen! - Wohl dem, der zu dieser
Erlösungstat Gottes „ja“ sagt und sie glaubt!
Die Stellung, die Gott zu den Geschöpfen hat, wird nicht durch das Verhalten
der Geschöpfe, sondern durch seinen Sohn bestimmt
Vor Gott kommt nicht in Frage, was die Geschöpfe darstellen, sondern was Jesus,
der Sohn Gottes, zu seiner Rechten darstellt. Das ist aber sein Leben in der Einheit mit
dem Vater, sein Sterben am Kreuz, sein Grab, seine Auferstehung und seine
Himmelfahrt. Das alles stellt er für die Kinder Gottes zur Rechten Gottes als der
Hohepriester vor Gott gegenüber Satan dar, der Tag und Nacht die Kinder Gottes vor
Gott verklagt (Offb.12,10). Aufgrund des Opfers Jesu ist nun Friede zwischen Gott und der
Schöpfung. Alle Geschöpfe im Himmel und auf Erden sind durch Jesu Opfer mit Gott
versöhnt. Wer das Wort Gottes
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aufgenommen hat, ist gebadet, ist rein. Vergeben werden die Sünden nicht deshalb, weil
der Sünder sie bereut, Buße tut und um Vergebung bittet. Das kann Gott noch nicht
veranlassen, Sünden zu vergeben, sondern es bringt nur den Sünder in die
Herzensstellung zu Gott, daß er glauben kann. Ohne Buße, ohne Reue, ohne Beugung,
ohne Aufrichtigkeit kann kein Sünder glauben. Aber der Glaube ist nicht die Ursache
dafür, daß Gott Sünden vergibt. Die Ursache der Sündenvergebung ist vielmehr der Tod
Jesu, der am Kreuz erfolgt ist. Dieser Tod ist in Römer 6 nicht nur als der Tod Jesu
bezeichnet, sondern der alte adamitische Mensch ist mitgekreuzigt erklärt, auf daß der
Sündenleib abgetan sei und man der Sünde nicht mehr diene. Deshalb, weil der Mensch
mit Jesu verwachsen ist zu gleichem Tod und zu gleicher Auferstehung (Röm.6,5-11), sind,
weil einer für alle gestorben ist, alle Menschen mit ihm gestorben (2.Kor.5,14-15). So wie
Jesus am Kreuz gestorben ist, so ist für den Gläubigen sein alter Mensch mitgekreuzigt.
Was am Kreuz gestorben ist, ist das Fleisch und Blut, das alle Menschen gemeinsam
tragen.
Deshalb ist die Sünde aufgehoben, und Gott vergibt die Sünden, weil der Tod des
Sünders am Kreuz erfolgt ist. Einem gerichteten, gestorbenen Menschen,
den Gott dazu noch aus dem Tod auferweckt und zur Herrlichkeit erhöht hat,
rechnet Gott keine Schuld, keine Sünde mehr zu
Verstehen wir das?
Wer gebadet ist, hat das Wort Gottes, das ihm Zeugnis davon gibt, daß er durch das
Opfer Jesu gereinigt ist, aufgenommen; durch das Wasserbad des Wortes ist er
gewaschen, gereinigt. Der Unterschied zwischen den elf Jüngern und Judas war der, daß
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Johannes-Evangelium Teil 8
die Jünger das Wort von Jesu aufgenommen hatten (Joh.15,3), wenn sie auch zu der Zeit
die Erlösung noch nicht in der ganzen Bedeutung sehen konnten. Wenn Petrus nicht nur
die Füße, sondern auch die Hände und das Haupt gewaschen haben wollte, so begehrte
er dies um der Gemeinschaft mit dem Herrn willen. Trotz der Mangelhaftigkeit ihrer
Erkenntnis waren die Jünger doch in ihrer Stellung aufrichtig; sie erkannten Jesum als
den Sohn Gottes, und was er ihnen sagte, das nahmen sie an. Judas dagegen hat seine
Stellung dazu benutzt, um eine beständige Erwerbsquelle zu haben. Das führte im
Endergebnis dazu, daß er den Feinden zum Wegweiser wurde (Apg.1,16). Während das
Wort Gottes die elf Jünger in ihrem Verhältnis zu Jesu bestimmte, war Judas die ganze
Zeit, in der er mit Jesu zusammen war, von seinen eigenen Interessen beherrscht; das
war der Unterschied. Darum konnte Jesus den einen sagen: Wer gebadet ist, ist rein, und
dem Judas mußte er sagen:
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„Was du tun willst, das tue bald!“ (Vers 27)
Das, was er am Ende tun wollte, konnte nur das Ergebnis dessen sein, was er immer
erstrebt hatte.
Nun wissen wir, was das Bad ist. Es ist das Wort Gottes, das den Willen Gottes, wie
Jesus ihn in Gottes Werk vollbracht hat, veranschaulicht. In diesem Wasserbad des
Wortes wird das Kind Gottes gewaschen und dadurch rein - oder es bleibt in der Sphäre
seiner eigenen Interessen und ist zwar ein Hörer, aber kein Täter des Wortes Gottes
(Jak.1,22-25); in dieser Stellung kann aber das Wort Gottes die reinigende Wirkung beim
Kinde Gottes nicht ausüben.
Nun kommt aber zu diesem Bad noch die Fußwaschung. Ganz rein bleibt das Kind
Gottes durch das Bad des Wortes Gottes nicht. Ganz rein ist es nur, wenn beides: das
Wasserbad des Wortes und die Fußwaschung, zusammenwirken. Wer gebadet ist,
braucht Hände und Haupt nicht mehr waschen zu lassen. Wer das Wort aufgenommen
hat, braucht nur noch Reinigung für das, was sich an Unvollkommenheit, Unreinheit und
Mangelhaftigkeit in seinem Alltagswandel immer wieder durchwirkt. Ein solches Kind
Gottes ist in Jesu erlöst, aber es kann aufgrund der Erlösung, die Jesus vollbracht hat,
nicht mit ihm am Tisch sitzen und die Mahlzeit genießen. Um diese wahre und volle
Gemeinschaft mit dem Herrn zu haben, braucht es die Fußwaschung, die der Herr
dadurch ausgeübt hat, daß er seine Kleider ablegte, sich mit dem Schurz umgürtete,
Wasser in die Schüssel goß, seinen Jüngern die Füße wusch und sie mit dem Schurz
trocknete. Indem er die Kleider abgelegt und sich mit dem Schurz umgürtet hatte und den
Jüngern die Füße wusch, machte er ihnen klar, daß er sich auf ihren Boden begab. Nicht
in seiner Gottessohnstellung wollte er ihnen begegnen, sondern mit Rücksicht auf ihre
menschliche Unvollkommenheit diente er ihnen als Menschensohn. Durch das Ablegen
seiner Kleider wies er sie hin auf das Werk, das er in seinem Opfertod, im Ablegen
seines Leibes, für sie vollbringen würde. Mit Wasser mußte er ihre Füße waschen, um
ihnen klarzumachen, daß das, was der tägliche Wandel immer wieder hervorbringt,
gesühnt und getilgt ist. Er wollte dadurch jedem einzelnen seiner Jünger sagen: Ich
vergebe dir, ich rechne dir nichts zu.
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Johannes-Evangelium Teil 8
Diese Waschung mußte aber von Jesu ausgehen und nicht von Petrus. Petrus
konnte sich nicht zu den Füßen Jesu setzen und ihm sagen: Ich rechne dir nichts zu! Das
mußte Jesus dem Petrus sagen und nicht umgekehrt. Das heißt, wenn Jesus ein Vorbild
gegeben hat, und wenn dieses Vorbild von seinen Jüngern genauso nachgelebt werden
soll, wie er es ihnen vorgelebt hat, dann müssen sie sich zuerst von ihm dienen lassen.
Wenn diese Liebe, mit der Jesus die Seinen bis
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ans Ende liebte, auch von ihnen geübt werden soll, so muß diese Liebe darin ihren
Grund haben, daß die Jünger wissen, daß sie gebadet sind; erst dann kann als Weiteres
die Liebe untereinander so geübt werden, wie es Johannes in seinem ersten Brief
ausspricht:
„Wenn jemand seinen Bruder sündigen sieht, eine Sünde nicht zum Tode, so soll
er bitten, und er wird ihm Leben geben …“ (1.Joh.5,16)
Das ist Fußwaschung. Wenn jemand seinen Bruder sündigen sieht, dann soll er ihm
helfen, daß ihm die Sünde vergeben wird, damit ihm Leben, das er durch Sünde eingebüßt hat, von Gott wieder ersetzt wird. Wissen wir, wie man seinem Bruder, der
gesündigt hat, helfen kann? Gewöhnlich machen wir ihm den Standpunkt klar, um ihn
von seinem Unrecht zu überzeugen. Wenn jemand gesündigt hat, dann weiß er meist
schon im voraus: Bei der ersten Gelegenheit bekomme ich es unter die Nase gerieben.
Man bringt es ihm bei, wie er sich vergangen hat. Macht man es nicht direkt, dann tut
man es hinter dem Rücken: Der arme Bruder! Die arme Schwester! Weißt du es schon?
Wir wollen für sie beten, nur deshalb sage ich es dir. Erzähle es aber nicht weiter! Und
das wiederholt sich von einem zum andern, scheinbar in der guten Absicht, ihm zu
helfen, in Wirklichkeit aber nur, um eine Neuigkeit weiterzutragen. Das ist Klatschsucht,
die man mit einem frommen Mäntelchen zudeckt. Auf diese Weise übt man aber die
Fußwaschung nicht. Jesus hat den Jüngern die Füße gewaschen, und dabei wußte
keiner von ihnen, daß Judas, dem Jesus in gleicher Weise die Füße gewaschen hatte,
von Jesu als Verräter erkannt und durchschaut war. Jesus hatte auch schon während der
ganzen Zeit der Nachfolge des Judas gewußt, daß er ein Dieb war (Joh.12,6). Aber von
allem, was Jesus von Judas die ganzen Jahre hindurch gewußt hatte, hat er kein Wort zu
den Jüngern gesagt. Das war die Krönung seiner Liebe, mit der er die Seinen liebte, daß
er auch dem Judas in der gleichen Weise wie allen andern die Füße wusch.
In jener Stunde, nachdem der Teufel schon dem Judas den Gedanken ins Herz
gegeben hatte, Jesum zu verraten, bot ihm sein Meister noch den Dienst der Fußwaschung an. Jetzt wurde es offenbar, daß Judas den Segen dieses Dienstes nicht mehr
empfangen konnte und daß er trotz dem erfahrenen Liebesdienst Jesu in seiner auf das
Sichtbare gerichteten Haltung verharren mußte. Nun war es um ihn geschehen, und es
konnte nicht anders sein, als daß der Satan in ihn fuhr, nachdem er aus der Hand des
Herrn den Bissen genommen hatte. Judas war bis dahin nicht nur die ganze Zeit im
Jüngerkreis geblieben, er ließ sich sogar jetzt noch die Füße waschen, hörte es mit an,
daß er im Kreis der Jünger als unrein bezeichnet wurde, denn daß er gemeint war, wenn
Jesus sagte:
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Johannes-Evangelium Teil 8
„ … ihr seid rein, aber nicht alle.“ (Vers 11),
darüber konnte er sich wohl keiner Täuschung hingeben; aber er blieb ruhig und
scheinbar gelassen auf seinem Platz im Jüngerkreis sitzen.
Jesus nimmt nun seine Kleider, zieht sie wieder an, nachdem er die Fußwaschung
beendet hat, und sagt den Jüngern, daß er das deshalb getan hat, damit sie seinem
Vorbild nachfolgen sollen. Sie müssen diese Liebe, die er ihnen bewiesen hat, jetzt auch
untereinander üben. Er fügt noch hinzu, daß er nicht von allen redet, und daß einer unter
ihnen ihn verraten werde (Joh.13,18. 21). Die Jünger sehen sich untereinander an, und
Johannes, der sich an die Brust Jesu lehnte, fragt: „Wer ist's?“ Jesus antwortet:
„Der ist's, dem ich den Bissen eintauchen und geben werde.“ (Vers 26)
Das war sicher ein Zwiegespräch zwischen Jesu und seinem Lieblingsjünger Johannes.
Jesus hat den andern Jüngern ihre Frage nicht so schnell beantworten können, wie wir
es tun, wenn wir einander durch Winke und Gebärden lautlos telefonieren. Sonst wäre
nicht so klar geschrieben, daß keiner von denen, die zu Tische saßen, wußte, was Jesus
meinte. Zu der Zeit wußten also die Jünger noch nichts von dem, was im Herzen ihres
Mitjüngers aufgestapelt war.
In dieser wichtigen und bedeutungsvollen Stunde fiel also die Entscheidung zwischen
Jesu und Judas. In dieser Stunde ging ihr Weg auseinander; Judas mußte den
Jüngerkreis verlassen und wurde der Anführer der Feinde Jesu, der Verräter seines
Meisters, weil er dessen Verkündigung und Dienst gegenüber ein Scheinleben führte und
nun auch den letzten Liebesdienst Jesu, die Fußwaschung, an sich geschehen ließ,
obwohl er nicht gebadet war. Er hatte es gewagt, sich mit Jesu zu Tisch zu setzen und
dadurch die Gemeinschaft mit Jesu zu bekunden. Denn daß es sich bei der
Fußwaschung um die Herstellung der völligen Gemeinschaft der Jünger mit Jesu
handelte, hatte Jesus in den Worten bezeugt, die er an Petrus gerichtet hatte:
„Werde ich dich nicht waschen, so hast du keine Gemeinschaft mit mir.“ (Vers 8)
Jesu Verhalten zeigt uns den Weg, wie man das Gebot der Liebe, gleichwie er
seine Jünger geliebt hat, erfüllen muß. Wenn man diese Liebe beweisen will,
muß man dem, der fehlt, schwach ist und sündigt, so vergeben, wie Jesus
dem Judas vergeben hat
Jesus hat nicht nur elf Jüngern die Füße gewaschen, sondern auch dem Judas, und
er hat das mit voller, klarer Einsicht in den Zustand dieses Mannes getan. Das war seine
echte und unwandelbare Liebe, und solche Liebe soll in gleicher Weise auch von seinen
Jüngern geübt
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werden. Einem Kinde Gottes, das sich nicht von Jesu die Füße waschen läßt, um dann
auch seinem Bruder die Füße waschen zu können, liegen nicht die Interessen des
Reiches Gottes am Herzen, sondern seine eigenen Interessen, es sucht sein Eigenes,
und es ist in Gefahr, zuletzt selbst ein Judas zu werden. Wenn wir im Beweisen der Liebe
so handeln wollen, wie Jesus gehandelt hat, dürfen wir aber nicht den Fehler machen,
daß wir vergessen, das Kleid abzulegen, um, mit dem Schurz umgürtet, dem andern die
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Johannes-Evangelium Teil 8
Füße zu waschen. Wollen wir dem Schwachen, dem Fehlenden, von oben herunter, von
der Höhe der eigenen Größe herab die Füße waschen, dann werden wir es nicht in der
Gesinnung tun können, die Jesus dem Judas bewiesen hat. Wenn man dem andern
helfen will, muß man sich zu seinem Bruder auf seinen Boden stellen können, d.h. man
muß sich dessen bewußt sein, daß man unter derselben Machtentfaltung der Sünde
steht wie der andere. Jesus hat eben nicht den Judas, sondern, in Judas wirkend, den
Satan gesehen. Er konnte allen Jüngern die Liebe in der gleichen Weise
entgegenbringen, weil er wußte, daß sie alle dem gewaltigen Fürsten dieser Welt
ausgeliefert waren; als solche hat er sie geliebt, und als solchen hat er ihnen gedient und
ihnen - wie verschieden auch ihre Stellung war - seine Liebe bewiesen.
Und wenn wir das erkennen, dann heißt es immer noch: Jetzt kannst du mir nicht
folgen, aber hernach mußt du mir folgen. Zu der Stunde konnte Petrus noch nicht so
handeln wie Jesus, er konnte noch nicht den gleichen Weg gehen wie er; aber die Zeit
kam, in der er den Weg genauso gehen mußte wie Jesus. Der Unterschied zwischen
Jesu und Petrus bestand zu der Zeit in den verschiedenen Stufen ihres Wachstums.
Jesus war im Wachstum weiter ausgereift als Petrus. Darum konnte Jesus anders lieben
und in andrer Gesinnung seinen Jüngern die Füße waschen, als Petrus es gekonnt hätte.
Aber auch für Petrus kam und für jedes durchs Wort gereinigte Kind Gottes kommt die
Stunde, in der es genauso weit ausgereift ist wie Jesus, der seinen Gehorsam in dem,
was er litt, gelernt hat.
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Die Fußwaschung
„ … als Jesus wußte, daß ihm der Vater alles in seine Hände gegeben, und daß
er von Gott ausgegangen sei und zu Gott hingehe; steht er vom Mahle auf, legt
seine Kleider ab, nimmt einen Schurz und umgürtet sich; darauf gießt er Wasser
in das Becken und fängt an, den Jüngern die Füße zu waschen und sie mit dem
Schurz zu trocknen, mit dem er umgürtet war. Da kommt er zu Simon Petrus, und
dieser spricht zu ihm: Herr, solltest du mir die Füße waschen? Jesus antwortete
und sprach zu ihm: Was ich tue, weißt du jetzt nicht, du wirst es aber hernach
erfahren. Petrus spricht zu ihm: Nimmermehr sollst du mir die Füße waschen!
Jesus antwortete ihm: Werde ich dich nicht waschen, so hast du keine
Gemeinschaft mit mir. Simon Petrus spricht zu ihm: Herr, nicht meine Füße nur,
sondern auch die Hände und das Haupt! Jesus spricht zu ihm: Wer gebadet ist,
braucht nur die Füße zu waschen, so ist er ganz rein. Und ihr seid rein, aber nicht
alle. Denn er kannte seinen Verräter; darum sagte er: Ihr seid nicht alle rein.“
(Joh.13,3-11)
Die Fußwaschung ist die Ergänzung zum Bad des Wortes und vermittelt
das Bleiben in der Gemeinschaft mit dem Herrn
Die Fußwaschung weist auf die Reinigung bzw. auf die Vergebung der
täglichen Versündigungen der Kinder Gottes hin
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Johannes-Evangelium Teil 8
Jesus erweist durch die Fußwaschung auch seinem Verräter Judas Ischariot
seine vergebende Liebe
Betrachten wir die Liebe Jesu Judas gegenüber und die vom Satan beeinflußte
Geisteshaltung des Judas Jesu gegenüber, dann gewinnt die Fußwaschung, die Jesus
ausführte, erst die rechte Bedeutung.
Wenn wir den Bericht über die Fußwaschung lesen, dann bewegt uns die Frage,
warum Jesus so handelte, wie es uns durch Johannes überliefert worden ist, obwohl er
alles wußte und ihm die Gesinnung seines Jüngers Judas Ischariot bekannt war. Am
deutlichsten weist Jesus darauf hin, wenn er zu Judas sagt:
„Was du tun willst, das tue bald!“ (Vers 27)
Mit diesen Worten läßt er keinen Zweifel darüber offen, daß nun für Judas die Stunde
gekommen war, wo es kein Zurück mehr für ihn gab.
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Der Plan, den Satan ihm in sein Herz gegeben hatte, Jesum zu verraten, war sein
Willensentschluß geworden. Wir wissen, wie es in einem solchen Fall zugeht, wenn man
durch Einflüsse und Verhältnisse versucht wird, etwas zu tun. Im Anfang stoßen solche
Einflüsse beim Kinde Gottes noch auf Widerstand, es kommt zu einem Kampf zwischen
dem bösen und dem guten Einfluß, der doch, besonders im Leben eines Kindes Gottes,
auch vorhanden ist. Dieses Hin- und Herwogen, dieser Kampf der Gedanken, die
verklagen und entschuldigen, fand natürlich in derselben Weise bei Judas Ischariot statt,
denn auch er war ja einer der Jünger Jesu. Beim Kinde Gottes ist aber nicht das
entscheidend, ob in seinem Leben durch solche Einflüsse Handlungen ausgeführt
werden, sondern es kommt darauf an, ob man im Grunde das Böse oder das Gute will.
So war es auch bei Judas. Einerseits muß ihn fortgesetzt der Gedanke bewegt
haben, durch den Verrat seines Meisters zu Geld und Macht zu kommen, anderseits
konnte es ihn auch nicht unberührt lassen, daß er in der ganzen Zeit seiner Nachfolge,
zusammen mit den andern Jüngern, in Gemeinschaft und Verbindung mit Jesu war.
Zuletzt konnte und mußte ihm Jesus aber sagen: Was du tun willst, das tue bald. Der
Kampf war beendet; denn was der Satan ihm ins Herz gegeben hatte, das wollte Judas
jetzt auch tun.
Demgegenüber steht nun die Liebe des Herrn, die, wie sie bis dahin den Seinen
gegenüber Ausdruck gefunden hatte, bis ans Ende die gleiche blieb und auch bleiben
mußte, wenn in dieser Stunde des Menschen Sohn und Gott in ihm verherrlicht werden
sollten. Wenn nun Jesus, ehe er mit seinen Jüngern die Mahlzeit einnahm, ihnen die
Füße waschen wollte, so steht Judas dieser Handlung gegenüber, die Jesus im
Jüngerkreis ausführen wollte, an einem besonderen Platz. Daß Jesus den andern
Jüngern die Füße waschen wollte und konnte, können wir wohl verstehen. Bei ihnen gab
es ja kein Hindernis, daß es nicht hätte geschehen können. Einzig Petrus hatte da einige
Bedenken. Aber diesen Widerstand konnte Jesus leicht beseitigen. Wenn der Meister zu
ihm sagte:
„Was ich tue, weißt du jetzt nicht, du wirst es aber hernach erfahren.“ (Vers 7),
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Johannes-Evangelium Teil 8
und er noch nicht willig wurde, so brauchte Jesus ihm nur noch ein klares Wort entgegenzuhalten:
„Werde ich dich nicht waschen, so hast du keine Gemeinschaft mit mir.“ (Vers 8)
Das genügte, um seinen Widerstand gänzlich zu beseitigen. Um der Gemeinschaft mit
dem Herrn willen ließ er sich nun auch von ihm die
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Füße waschen. So war denn Judas der einzige unter den Jüngern, mit dem sich Jesus
auseinandersetzen mußte, wie sich auch jedes Kind Gottes, das diesem Vorbild der
Fußwaschung treu sein will, mit einem satanischen Gegeneinfluß, mit einem Judas,
auseinandersetzen muß.
Auf welche Weise ist es Jesu möglich geworden, den Seinen bis ans Ende seine
Liebe zu beweisen, obgleich Judas, sein Verräter, in ihrer Mitte war und Jesus seine
Stellung auch kannte? Für uns liegt darin das Unbegreifliche, daß Jesus Freund und
Feind mit der gleichen, vollkommen ungefärbten, ungeheuchelten Liebe geliebt hat. Wir
sind wohl einverstanden mit der Forderung, die Feinde zu lieben (Matth.5,44-48), die wir
außerhalb des Kreises der Jünger kennen. Ihnen können wir die Liebe Gottes
verhältnismäßig leicht entgegenbringen. Von seiten der Ungläubigen stört uns all das
wenig, was sie in ihrer Feindschaft gegen Gott und alles Göttliche zur Entfaltung bringen.
Das hindert uns nicht, ihnen eine gewisse Liebe entgegenzubringen. Da wissen wir gut,
daß von ihnen nichts anderes als die Machtentfaltung Satans und darum alles, was sich
daraus ergibt, ausgehen kann. Warum sollten wir der Welt, die im Argen liegt, die Liebe
versagen? Versagen würden wir in dieser Liebe meistens erst dann, wenn Jünger aus
dem eigenen Kreis die Anführer jener Feinde außerhalb des Jüngerkreises würden und
das vielleicht noch in dem Gewand der wahren Jüngerschaft. Daß Jesus unter solchen
Umständen dem Judas in gleicher, ungeheuchelter Liebe die Füße waschen konnte wie
den andern Jüngern, das geht über unser Fassungsvermögen. Wir könnten das wohl
kaum tun; daß er es tun konnte, muß also seinen bestimmten Grund haben. Weil er es
konnte, müssen wir für seine Stellung, die er dabei einnahm, das nötige Verständnis
erlangen. Dieses Verständnis wird uns zuteil, wenn wir gründlich studieren, wie, d.h. in
welcher Gesinnung, Jesus seinen Jüngern die Füße gewaschen hat.
Er steht vom Mahl auf und legt seine Kleider ab. Hier liegt das Entscheidende. Das
erklärt gleich von vornherein alles. Gerade dieses Verhalten Jesu in der Fußwaschung
bereitet uns so viele Schwierigkeiten. Warum können wir die Feinde des Reiches Gottes
außerhalb der Gemeinde Gottes besser lieben als die Feinde Gottes in der Gemeinde
Gottes? Aus dem einfachen Grund, weil wir die Stellung derer, die sich außerhalb der
Gemeinde Gottes aufhalten, aus persönlicher Erfahrung kennen und deshalb Verständnis
dafür aufbringen. Auch wir haben ja eine Zeit außerhalb der Gemeinde durchlebt, in der
wir - wenn auch nicht in einer ausgesprochen feindlichen Stellung - gegen Gott und sein
Reich gestanden haben. Wenn dies auch, je länger, um so mehr, viele tun, so vermögen
wir doch als Kinder Gottes die Feindschaft derer, die außerhalb der Gemeinde Gottes
sind, zu beurteilen. Wir wissen, daß sie gar nicht anders können, als das auszuführen,
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Johannes-Evangelium Teil 8
wozu der Satan sie gebraucht; deshalb bringen wir ihnen ein gewisses Mitleid entgegen.
Wir lieben sie als Feinde Gottes, nur ist diese Liebe oft nicht ganz echt; denn wir lieben
eigentlich in diesen Feinden Gottes mehr uns selbst als sie. Wir lieben sie deshalb, weil
sie nach unserer Meinung in der Gottferne sind und wir nicht mehr an ihrem Platz sein
müssen. Wir sind zwar nicht gerade schadenfroh; wir sagen es zwar nicht: „Ihr seid
draußen, und wir sind drin.“ Aber wir empfinden es so, und deshalb haben wir ein
gewisses Verständnis für sie; nur für Feinde Gottes innerhalb der Gemeinde Gottes
bringen wir dieses Verständnis gewöhnlich nicht auf. Warum ist das so? Weil wir uns
ihnen gegenüber auf den Richterstuhl setzen, deshalb können wir auch kein
Mitempfinden mit ihnen haben.
Die andern draußen behandeln wir mitleidig über den Zaun hinweg: Ihr seid draußen,
wir sind drin! Die „drin“ sind, behandeln wir jedoch vom Richterstuhl, von oben herunter,
ihnen gegenüber setzen wir uns zum Richter und verurteilen sie. Deshalb können wir für
sie keine ungeheuchelte Liebestreue aufbringen, wie wir solche Liebe für alle Kinder
Gottes, mit denen wir aufrichtig verbunden sein wollen, recht gut aufbringen. Und doch
besteht ein Unterschied zwischen den Feinden Gottes in der Gemeinde und den übrigen
Kindern Gottes. Wenn die Kinder Gottes vielleicht nicht weniger sündigen als die andern,
wollen die einen doch bei all ihren Schwachheiten und Unvollkommenheiten ihrem Gott
um jeden Preis treu sein; die andern wollen aber, wie Judas, in ihrer Feindschaft gegen
Gott verharren. Das muß nicht unbedingt in der Absicht geschehen, Böses zu tun; es ist
möglich, daß der Satan solchen Kindern Gottes das Böse in einem so täuschenden Licht
erscheinen läßt, daß sie es für gut ansehen.
Was für uns jetzt das Entscheidende sein muß, ist der Unterschied, der besteht
zwischen der Stellung Jesu Judas gegenüber und unsrer Haltung gegenüber solchen
Feinden Gottes, die Feinde des Herrn in der Gemeinde sind. Jesus legt seine Kleider ab,
und wir - ziehen noch ein Kleidungsstück darüber an! Wenn wir uns auf den Richterstuhl
setzen wollen, hüllen wir uns noch in ein Stück Selbstgerechtigkeit mehr, um ihnen
gegenüber möglichst in größerer Treue und Aufrichtigkeit Gott gegenüber zu erscheinen.
In der Beurteilung der Feinde Gottes in der Gemeinde berücksichtigen wir nicht, so wie
wir es den Außenstehenden gegenüber tun, unsre eigene feindselige Haltung Gott
gegenüber, die wir in früheren Zeiten eingenommen haben. Diesen Feinden in der
Gemeinde gegenüber ziehen wir vielmehr nur Vergleiche zwischen unsrem und ihrem
Verhalten, wie es nach unsrer Meinung den gegenwärtigen Zustand der einen und der
andern kennzeichnet, und da ist eben der andre der Judas, und wir sind „die Seinen“.
Den wirklichen Judas können wir vielleicht gar nicht so
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schnell erkennen; aber wenn wir ihn auch nicht gleich durchschauen können, so sind wir
doch sehr schnell geneigt, den einen oder den andern zu einem solchen zu stempeln.
Etwas anderes können wir ihm dann nicht mehr entgegenbringen. Wenn wir da noch
Liebe aufzubringen vermögen, dann ist sie bestimmt nur gefärbt. Wenn Jesus sagen
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Johannes-Evangelium Teil 8
konnte: Ihr seid rein, aber nicht alle, so hatte er damit Judas' Stellung gekennzeichnet,
und er mußte ihn dann selbst auffordern:
„Was du tun willst, das tue bald!“ (Vers 27)
Jesus kannte ihn; er wußte, was Judas tun wollte, und deshalb legte er seine Kleider ab.
Er stand nun, mit einem Schurz umgürtet, mit diesem Judas auf einem Boden, und diese
Tatsache machte es Jesu möglich, auch dem Judas gegenüber in der Liebe seines
himmlischen Vaters zu bleiben. Er mußte ihn nicht als Richter verurteilen, er wollte ihm
und den übrigen Jüngern gegenüber nur zum Ausdruck bringen, daß er, der Gottessohn,
nachdem er sein Kleid abgelegt und sich mit einem Schurz umgürtet hatte, in
menschlicher Niedrigkeit auf ein und demselben Boden mit ihm war. Judas sollte es
wissen, daß Jesus in diese Welt gekommen war, um durch das Ablegen seines Fleisches
am Fluchholz den Willen Gottes zu tun und die von ihm gewollte Rettung zu vollbringen.
Deshalb konnte er mit dem Wasser des Wortes Gottes noch in dieser Stunde dem Judas
dienen. Er konnte ihm noch die Füße waschen, obwohl er überzeugt war, daß dieser
Liebesdienst an ihm wirkungslos bleiben mußte. Er wußte, daß bei der Fußwaschung ein
Gegensatz zwischen ihm und Judas offenbar werden würde; denn er konnte zu Judas
nicht sagen: Wer gebadet ist, braucht nur die Füße zu waschen, um ganz rein zu sein. Er
wußte, daß Judas dieses Bad im Wort Gottes nicht in Anspruch genommen hatte, daß
der Einfluß, den Jesus dem Judas Jahr um Jahr als Wort Gottes entgegenbrachte, sein
Inneres nicht zu reinigen vermochte. Somit war im Grunde auch die Fußwaschung
überflüssig. Was sollte bei Judas die Fußwaschung noch bewirken, wenn eine solche
doch die Ergänzung eines vorangegangenen Bades ist, das Judas aber gar nicht
bekommen hatte?!
Durch das Bad des Wortes wird der Mensch rein, und wenn dazu noch die Füße
gewaschen werden, ist das Kind Gottes ganz rein. Im Haupt und in den Händen findet es
Ausdruck, daß der ganze Mensch unter die Sünde verkauft ist; im wiederholten Waschen
der Füße wird dargestellt, daß das Kind Gottes in Christo bleibt. Das Verkauft-Sein unter
die Sünde wird durch das Bad im Wort Gottes beseitigt; wer gebadet ist, ist also rein und
braucht nur noch die Füße zu waschen. Das, was Gottes Wort als das im Sohn
vollbrachte Werk bezeugt, ist das Bad, aus dem der Sünder gereinigt heraussteigt.
Naemann mußte siebenmal im Jordan untertauchen, und der Aussatz war weg. Man muß
das, was Gott durch Christum vollbracht hat, annehmen, d.h. so lange darin
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untertauchen, bis man mit dem Wasser, also mit dem Zeugnis der Erlösung, völlig eins
geworden ist. Wenn man das Wort so in sich aufgenommen hat, daß man dadurch stark
geworden ist und den Bösewicht überwunden hat (1.Joh.2,13-14), kann man jeden dem
Wort Gottes entgegenwirkenden Einfluß, jeden Gedanken unter den Gehorsam Christi
gefangennehmen (2.Kor.10,5). Dann hat man es verstanden und aufgenommen, wie Gott
durch seinen Sohn den Sünder gerettet hat.
Was den Menschen dann noch von Jesu unterscheidet und trennt, ist der tägliche
Wandel. Nicht zwischen dem wird ein Trennungsstrich gemacht, was Jesus darstellt, und
dem, was der Sünder ist; das hat Gott geeint, indem er seinen Sohn jedem Sünder zur
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Johannes-Evangelium Teil 8
Seite gestellt, jedem Sünder gleichgemacht hat. Jeder Sünder ist nun mit dem Sohn
verwachsen und mit ihm eine Einheit, weil das Fleisch und Blut, das jeder Sünder trägt,
das Fleisch und Blut ist, das der Sohn Gottes angenommen hat. Sie sind eins in diesem
Fleisch am Kreuz, im Grab, in der Auferstehungsherrlichkeit und im Sitzen zur Rechten
Gottes. Diese Wahrheit nimmt das Kind Gottes durch das Bad des Wortes in sich auf, es
wird von ihr erfüllt und gebraucht sie als Schild des Glaubens, als Schwert des Geistes,
als ganze Waffenrüstung allen Einflüssen gegenüber, woher sie auch kommen (Eph.6,1017). Hier ist also kein Unterschied zwischen dem Sünder und Jesu. Der Unterschied
besteht nur im Wandel. Der Wandel Jesu war anders als der Wandel der Kinder Gottes.
Seine Jünger wandelten anders als ihr Meister, ihr Meister wandelte anders als seine
Jünger. Petrus sagte zu Jesu: Du willst mir die Füße waschen? Du willst mir dienen?
Darauf antwortete ihm Jesus: Laß dich von mir waschen, denn von diesem Waschen der
Füße hängt es ab, ob du mit mir das Mahl genießen kannst oder nicht, ob du mit mir
Gemeinschaft haben kannst oder nicht, ob du mit mir eins bleiben kannst oder nicht.
Etwas später sagt Jesus zu den Jüngern:
„Kindlein, nur noch eine kleine Weile bin ich bei euch. Ihr werdet mich suchen,
und wie ich zu den Juden sagte: Wohin ich gehe, dahin könnt ihr nicht kommen;
so sage ich jetzt auch zu euch.“ (Vers 33)
Was sagen uns diese Worte? Beurteilt Jesus jetzt seine Jünger gleich wie die übrigen
Juden? Ja, er muß ihnen in gleicher Weise begegnen, wenn er ihnen sagt, daß sie ihm
jetzt nicht folgen können. Wenn Petrus fragt:
„Herr, wo gehst du hin?“ (Vers 36)
und Jesus antwortet:
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„Wo ich hingehe, dahin kannst du mir nicht folgen, du wirst mir aber später folgen.“ (Vers 36),
so will er ihm damit sagen: Du bist jetzt noch nicht so reif wie ich für den Weg, den ich zu
gehen habe; später wirst du genauso reif sein wie ich, daß du mir folgen kannst und
mußt. Petrus will sich wehren, er ist doch zweifellos älter als Jesus, und er sollte ihm jetzt
nicht folgen können?
„Herr, warum kann ich dir jetzt nicht folgen? Ich will mein Leben für dich lassen!“
(Joh.6,37)
Das ist das Entscheidende: Ich will mein Leben für dich lassen! Ob aber Petrus, wenn er
Judas erkannt hätte, ihm die Füße gewaschen hätte? Vielleicht hätte er ihm die Schüssel
über den Kopf gestülpt! Aber er hätte es sicher nicht fertiggebracht, Judas die Füße zu
waschen. Für Jesum sterben wollte er, dazu glaubte er fähig zu sein. Er meinte, jeden
Weg, den Jesus gehen mußte, auch gehen zu können, er wollte selbst mit ihm sterben,
ja, sein Leben für ihn lassen. Jesus kannte ihn besser:
„Dein Leben willst du für mich lassen? Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, der Hahn
wird nicht krähen, bis du mich dreimal verleugnet hast!“ (Vers 38)
Er meinte, er könnte für ihn sterben, und als eine Magd sagte: Du gehörst auch zu ihnen!
versagte er.
Warum wollte er sich von Jesu nicht die Füße waschen lassen? Weil er nicht einsehen konnte, daß ein Unterschied besteht zwischen dem, was Jesus durch sein Opfer
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für die Sünder tun mußte bzw. was sie durch sein Opfer nötig haben, und der Stellung, in
der die Kinder Gottes selbst etwas darbringen wollen. Diese beiden Gebiete hat Petrus
verwechselt. Er glaubte, er müßte Jesu dienen, und Jesus mußte ihm klarmachen, daß
es für ihn nötig war, sich von Jesu dienen zu lassen. Er hätte auch Jesu die Füße
gewaschen, er wollte mit Jesu gehen und brachte dadurch zum Ausdruck: Das, was du
tust, kann ich auch! Warum soll ich nicht den Weg gehen können, den du gehst? Sicher
kann ich jeden Weg, den du gehst, auch gehen; laß mich nur mitkommen! Wenn es auch
in den Tod geht, ich gehe mit!
Das war der in seinem Herzen so tapfere Petrus, und wenn Jesus in Gethsemane
nicht befohlen hätte: „Stecke dein Schwert an seinen Ort!“ (Matth.26,52), so wären Petrus
und vielleicht auch weitere Jünger, die ebenfalls „mit dem Schwert dreinschlagen“
wollten, schon in Gethsemane Märtyrer geworden! Jedoch der Herr wollte keinen
verlieren von denen, die der Vater ihm gegeben hatte (Joh.18,8). Aber als Petrus nun den
geringsten Anfang von dem auskosten sollte,
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was Jesus für ihn in seiner Lebenshingabe am Fluchholz tun mußte, ist er vor einer Magd
zurückgewichen. Und dabei ging es noch lange nicht um das Leben! Es handelte sich nur
um ein wenig Verachtung, Hohn und Spott, und das war schon zu viel für den im Willen
so tapferen Petrus.
Wenn er glaubte, er könne mit Jesu jeden Weg gehen, so wußte es Jesus besser. Er
mußte seinen Jüngern sagen, daß sie jetzt, auf diesem Weg, keine andre Stellung haben
als die Juden; denn auch diese konnten in dieser Stunde nicht mit ihm gehen. Er mußte
jetzt zuerst für alle Erstling der Schöpfung werden. Er mußte seinen Weg allein gehen.
Keiner konnte mit ihm gehen; aber alle treuen Jünger müssen ihm später folgen und
seinen Weg gehen - später, nicht jetzt. Das Jetzt zeigt den Unterschied in der Reife, in
der Jesus seinen Jüngern voraus ist; das Später weist auf die Reife hin, die dann seine
Jünger in derselben Weise haben müssen, wie er sie hat. Denn wenn sie reif geworden
sind, wenn sie an dem, was sie gelitten haben, auch so den Gehorsam gelernt haben,
wie er an dem, was er gelitten hat, den Gehorsam gelernt hat (Hebr.5,8-10), dann müssen
sie den Weg auch gehen, den er ging. Also Petrus muß sich zuerst, ehe für ihn eine
solche Stellung in Frage kommen kann, von Jesu die Füße waschen lassen.
Dieses Waschen der Füße durch Jesum ist deshalb für die Jünger die noch nötige
Ergänzung ihrer Treue, die sie zum Wort Gottes bisher bewiesen haben. Sie dürfen
im Wort Gottes nicht nur gebadet sein, sondern auch das, was ihr täglicher Wandel
an Schwachheiten, Untreue, Unvollkommenheit aufweist, bedarf der Reinigung,
damit sie nicht von Jesus getrennt werden. Das ist einzig nur dann der Fall,
wenn er ihnen durch Waschen der Füße bezeugen kann, daß auch dieser
Zustand ihres Lebens von ihm beseitigt und weggetan ist
Deshalb muß er vor der Mahlzeit zum Zeichen der Gemeinschaft mit ihnen seine
Kleider ablegen und mit dem Schurz, zusammen mit dem Wasser, die Unreinheit ihres
täglichen Wandels beseitigen. So weilt er unter ihnen und setzt sich ihnen zu Füßen,
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nicht um den geringsten Dienst zu tun, sondern den höchsten, den kein anderer tun kann
als er selbst. Indem er ihnen die Füße wäscht, sagt er damit: Ich trage dir nichts nach,
was immer dein Leben aufweist. Ich bin mit dir in Harmonie. Ich bin mit dir einig. Ich tue
es weg.
Wenn Jesus es anders gemacht hätte, wenn er die Jünger so behandelt hätte, wie
wir uns gegenseitig gern behandeln, dann hätte er nicht seine Kleider wegtun, sich
schürzen, Wasser nehmen und die Füße waschen müssen, dann hätte er gesagt: Kommt
einmal her! Wir wollen miteinander abrechnen! Was habt ihr in eurem Alltagswandel
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aufzuweisen? Legt darüber Rechenschaft ab! Dann hätte er ihnen gesagt: Das paßt mir
nicht! Das wird anders gemacht in meiner Umgebung! Du, Petrus, deine Zunge ist zu
unruhig, du rühmst dich großer Dinge (Jak.3,5.8), dein Mund geht noch zu weit auf. In
meiner Gesellschaft mußt du auf mich Rücksicht nehmen; was du tust, das fällt auf mich!
- Nicht so hat Jesus gehandelt; er hat nur gesagt: Diese Fußwaschung, die ich übe, ist dir
nötig; du brauchst sie, wenn du sie jetzt auch nicht verstehst. Wenn ich dir die Füße
wasche, ist das das Zeichen, daß wir das Mahl zusammen genießen können; wenn ich
dir die Füße nicht waschen kann, gehören wir nicht zusammen. Gebadet seid ihr; zur
göttlichen Ordnung, zu meinem Wort habt ihr euch gestellt, und was euer täglicher
Wandel mit sich bringt, das beseitige ich!
Durch die Fußwaschung hat Jesus seinen noch schwachen Jüngern in ungetrübter
Liebe die Vergebung zugesichert. In derselben Gesinnung sollen sich die Kinder Gottes
auch die Füße waschen, wie Jesus sagt:
„ … ein Vorbild habe ich euch gegeben, daß auch ihr tut, wie ich euch getan
habe.“ (Vers 15),
und:
„Ein neues Gebot gebe ich euch, daß ihr einander liebt, wie ich euch geliebt
habe, daß auch ihr einander liebt. Daran wird jedermann erkennen, daß ihr meine
Jünger seid, so ihr Liebe untereinander habt.“ (Vers 34-35)
Wollen wir diesem Vorbild nachfolgen? Dann müssen wir beachten, daß ein Unterschied
zwischen der Größe der Kinder Gottes im Licht von Jesu Fußwaschung und im Licht
ihres alltäglichen Handelns besteht. Meistens verlangt das „große“ Kind Gottes von dem
„kleinen“, es solle kommen, sich beugen und demütigen, wenn es gefehlt hat. Die Größe
des Kindes Gottes dem schwachen und schwächern gegenüber liegt aber darin, daß es
dem schwächern ohne viele Worte zu verstehen gibt, was es heißt: Ich vergebe dir! Eine
solche Fußwaschung kann Vergebung wirken als Ausdruck ungetrübter Liebe.
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Die Fußwaschung im Lichte des neuen
Gebotes der Liebe
„Nachdem er nun ihre Füße gewaschen und seine Kleider angezogen hatte,
setzte er sich wieder zu Tische und sprach zu ihnen: Wisset ihr, was ich euch
getan habe? Ihr heißet mich Meister und Herr, und mit Recht, denn ich bin es
auch. Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so
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Johannes-Evangelium Teil 8
sollt auch ihr einander die Füße waschen. Denn ein Vorbild habe ich euch gegeben, daß auch ihr tut, wie ich euch getan habe. Wahrlich, wahrlich, ich sage
euch, der Knecht ist nicht größer als sein Herr, noch ein Gesandter größer als der
ihn gesandt hat. Wenn ihr solches wisset, selig seid ihr, so ihr es tut. Ich rede
nicht von euch allen; ich weiß, welche ich erwählet habe. Doch, auf daß die
Schrift erfüllet werde: ‘Der mit mir das Brot ißt, hat seine Ferse wider mich erhoben.’“ (Joh.13,12-18)
„Ein neues Gebot gebe ich euch, daß ihr einander liebt, wie ich euch geliebt
habe, daß auch ihr einander liebt. Daran wird jedermann erkennen, daß ihr meine
Jünger seid, so ihr Liebe untereinander habt.“ (Vers 34-35)
In der Fußwaschung findet die Liebe Jesu zu seinen Jüngern - auch zu Judas
Ischariot - ihre höchste Vollendung und ist Vorbild für die Liebe, mit der die
Jünger Jesu einander lieben sollen
Ein neues Gebot hat Jesus seinen Jüngern gegeben, daß sie einander so lieben
sollen, wie er sie geliebt hat. Von dieser Liebe heißt es, daß sie des Gesetzes Erfüllung
sei (Röm.13,10). Liebe ist es, wenn Paulus den Römern schreibt:
„Darum laßt uns nicht mehr einander richten, sondern das richtet vielmehr, daß
kein Bruder dem andern Anstoß oder Ärgernis gebe!“ (Röm.14,13)
Ein neues Gebot ist diese Forderung der Liebe deshalb, weil es eine Zusammenfassung
aller Gebote ist, die Erfüllung des ganzen Gesetzes (Gal.5,14).
Deshalb ist das Gebot der Liebe eine neu geprägte Formulierung aller Gesetze,
Ordnungen und Verordnungen, die Gott seinem Volke gegeben hatte
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Wer eine dieser vielen Verordnungen des Gesetzes übertritt, ist des ganzen
Gesetzes schuldig (Jak.2,10), sagt das Gesetz. Das neue Gebot setzt an die Stelle dieser
Ordnung, die mit dem Fluch verbunden ist - „Verflucht ist jeder, der nicht bleibt in allem,
was im Buche des Gesetzes geschrieben steht, es zu tun.“ (Gal.3,10), - dieses neue Gebot
der Liebe.
Nicht, daß man es während der ganzen Gemeindezeit versäumt hätte, von der Liebe
zu reden, nicht, daß das neue Gebot diese ganze Zeit hindurch unbekannt geblieben
wäre! Der Formulierung nach ist das neue Gebot wohl bekannt und ist auch immer
bekanntgemacht worden.
Aber die Schrift unterscheidet zwischen dem Hören des Wortes Gottes und dem daraus
hervorgehenden Tun. Jakobus fordert:
„Seid aber Täter des Wortes und nicht Hörer allein, womit ihr euch selbst betrügt.
Denn wer ein Hörer des Wortes ist und kein Täter, der gleicht einem Manne, der
sein leibliches Angesicht im Spiegel beschaut; nachdem er sich betrachtet hat,
geht er davon und hat bald vergessen, wie er gestaltet war. Wer aber hineinschaut in das vollkommene Gesetz der Freiheit und dabei beharrt, nicht als ein
vergeßlicher Hörer, sondern als ein Täter des Werks, der wird selig sein in seinem Tun.“ (Jak.1,22-25)
So besteht ein gewaltiger Unterschied zwischen dem, was man, wie Hiob sagt, durch
Hörensagen von Gott weiß, und dem, was jener Mann zuletzt von Angesicht gesehen
und somit persönlich erlebt hat (Hi.42,5). Jakobus unterscheidet zwischen dem ver-
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Johannes-Evangelium Teil 8
geßlichen Hörer des Wortes und dem Täter des Werkes. Was das Kind Gottes von
Gottes Wort allein durch Hören weiß, vergißt es bald wieder. Wir wissen aus Erfahrung,
daß man jahrelang Gottes Wort hören kann und am Ende gerade so viel weiß wie am
Anfang. Vielleicht ist es manchmal so, daß ein Kind Gottes jahrzehntelang das Wort
Gottes hört und kaum einen einzigen Spruch aus der Schrift wortgetreu wiedergeben
könnte. Zwar könnte das viele Hören und persönliche Lesen des Wortes Gottes dazu
führen, daß ein Kind Gottes nach Jahrzehnten den Inhalt der Bibel kennt - wenn es
nichts vergessen würde! Durch das alleinige Hören ist ein Kind Gottes in Gefahr, das
Gehörte immer wieder zu vergessen. Es hat dann dadurch keinen praktischen Nutzen für
sein Leben. Bleibenden Wert hat es nur, wenn ein „hörendes“ Kind Gottes auch ein Täter
des Wortes ist. Darum ist das neue Gebot ein Tatgebot.
„Ein neues Gebot gebe ich euch, daß ihr einander liebet, wie ich euch geliebet
habe, daß auch ihr einander Iiebet.“ (Vers 34)
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In diesen Worten kommt in der Gemeinde der Unterschied zum Ausdruck, der zwischen
dem Hören dessen, was über die Liebe gesagt wird, und der Tat des Liebens besteht,
über die Liebe zu reden und zu hören, ist nötig, aber was den Kindern Gottes allein
Gewinn bringt, ist die Ausübung des vom Herrn Gebotenen. Einander zu lieben, muß
Erfahrung der Kinder Gottes sein.
Die Liebe nach diesem neuen Gebot muß in der Tat des Kindes Gottes an einem
bestimmten Maßstab gemessen werden, an dem Maßstab, wie der Herr die Seinen,
die in der Welt waren, bis ans Ende geliebt hat
Das ist der Maßstab, an dem das Kind Gottes die Echtheit seiner Liebe, die es den
mit ihm verbundenen Kindern Gottes erweist, prüfen muß. Das ist eine ganz praktische
Sache. Ein Kind Gottes, das diesem neuen Gebot ungehorsam ist, wird früher oder
später wie Judas Ischariot enden. Wer dieses Gebot als Kind Gottes nicht erfüllt, ist ein
Judas. Die Stellung jedes einzelnen Kindes Gottes wird offenbar durch die
Fußwaschung.
Durch die Fußwaschung, die der Herr an seinen Jüngern geübt hat, hat er
bewiesen, daß er die Seinen, die in der Welt waren, bis ans Ende liebte.
In der Fußwaschung hat er die Liebe, auf die er in diesem neuen Gebot hinweist,
praktisch ausgeübt
Darum liegt in dem Verhalten des Kindes Gottes diesem von Jesu gezeigten Vorbild
der Fußwaschung gegenüber das Kennzeichen seiner Gesinnung. Daraus ersehen wir,
daß dieses neue Gebot der Liebe seinen Ausdruck in der Fußwaschung findet, die Jesus
an seinen Jüngern vollzogen hat. Das Vorbild, das Jesus seinen Jüngern in der
Fußwaschung gegeben hat, ist mit dem neuen Gebot der Liebe in Verbindung.
Die vom Herrn an seinen Jüngern geübte Fußwaschung ist die von ihm an ihnen
erwiesene Tat der Liebe, mit der er ihnen den Beweis gab, daß er sie bis ans Ende in der
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Johannes-Evangelium Teil 8
unverändert gleichen Weise liebte, also auch in der Stunde, als Judas unter ihnen den
vom Satan in sein Herz aufgenommenen Plan, seinen Meister zu verraten, bewegte.
Für den Jünger Judas Ischariot blieb die in der Fußwaschung Jesu bezeugte Liebe
wirkungslos, und deshalb galt ihm auch das neue Gebot der Liebe nicht
Diese Liebe Jesu zu den Seinen ist von allem, was ihn in dieser Stunde hätte beeinflussen können, unberührt geblieben. Er hat bei der Fußwaschung weder in seiner
Gesinnung, noch bei der Tat einen Unterschied zwischen den einzelnen Jüngern
gemacht, obwohl er
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wußte, daß einer unter ihnen ein Teufel war (Joh.6,70-71). Judas muß den Gedanken, den
der Satan ihm ins Herz gegeben hatte, fortgesetzt bewegt haben, und dementsprechend
entwickelte er sich in dieser Gedankeneinstellung, bis es bei ihm auch nach außen hin
dazu kam, daß er den Bissen, den der Herr in die Schüssel getaucht hatte, aus seiner
Hand nahm und er damit sein Los besiegelte. Daraufhin, daß er den Bissen genommen
hatte, fuhr der Satan in ihn (Joh.13,27). Damit hörte seine Entwicklung im Stellungnehmen
können gegen den satanischen Einfluß auf. Sein Willensentschluß, Jesum zu verraten,
war mit dem Nehmen des Bissens unabänderlich bestätigt. Nun konnte Jesus sagen:
„Was du tun willst, das tue bald!“ (Vers 27),
denn eine Veränderung, eine Umsinnung und die Möglichkeit, sich noch anders zu
entscheiden, gab es für ihn jetzt nicht mehr. Judas hatte damit, daß er diesen Bissen
nahm, zu der Liebe, die Jesus in der Fußwaschung den Seinen bis ans Ende bewiesen
hatte, endgültig Stellung genommen. Er hat die vom Herrn vollzogene Fußwaschung im
Herzen abgelehnt. Die Folge davon war, daß der Satan in ihn fuhr. Lange genug hatte
die Möglichkeit für ihn bestanden, entweder zu der Beeinflussung Satans oder zu der ihm
vom Herrn erwiesenen Liebe Stellung zu nehmen.
Nachdem er aber die ihm vom Herrn erwiesene letzte Liebestat, die Fußwaschung,
in seinem Herzen abgelehnt hatte, fuhr der Satan in ihn, dadurch konnte Satan den
Geist dieses Mannes und damit seinen Willen endgültig in Besitz nehmen
Deshalb konnte ihm der Herr auch sagen:
„Was du tun willst, das tue bald!“ (Vers 27)
Denn ein weiteres Warten im Ausüben dessen, was er doch zu tun entschlossen war,
wäre zwecklos gewesen. Auf die Vorgänge im Herzen des Judas, wie sie sich bei diesem
Jünger Jesu unter der Geistesbeeinflussung Satans vollzogen, weist Paulus seinen
Mitarbeiter Timotheus im 2.Brief an ihn mit den folgenden Worten hin:
„Ein Knecht des Herrn aber soll nicht streiten, sondern muß milde sein gegen
jedermann, lehrhaft, der die Bösen tragen kann und mit Sanftmut die Widerspenstigen strafend, ob ihnen Gott nicht noch Buße geben möchte, daß sie die
Wahrheit erkennen und sie wieder nüchtern werden, aus der Schlinge des Teufels herauszukommen, der sie in der Knechtschaft seines Willens gefangen hält.“
(2.Tim.2,24-26)
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Johannes-Evangelium Teil 8
In dieser Knechtschaft ist ein Mensch und besonders ein Kind Gottes gefangen, wenn es
von der Schlinge des Teufels festgehalten
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wird. Es wird von dem Willen des gewaltigen Fürsten dieser Welt geknechtet. Der Wille
des Teufels entspricht im Wesen auch dem Willen des widerspenstigen Menschen, der
Gesinnung seines Geistes. Wenn nun Satan seinen Einfluß auch auf das Kind Gottes so
stark ausüben kann, daß es von diesem Willen des Teufels bestimmt wird, so führt dieser
Einfluß, wenn das Kind Gottes in dieser Einstellung beharrlich bleibt, zu dem Abschluß
wie bei Judas Ischariot. Zuerst übt der Teufel seinen Willen im Fleisch aus, und dann
nimmt er den Geist des Menschen, seinen Willen, völlig in Besitz. Diese Erfahrung mußte
Judas machen, als der Satan in ihn fuhr.
Man muß zu unterscheiden wissen zwischen der Tatsache, daß Satan im Fleisch
aller Menschen, auch der Kinder Gottes wohnt und wirkt, und seiner Herrschaft im Geist.
Der Fleischeszustand kann nicht Ursache davon sein, daß Satan in einen Menschen
fährt, denn das Fleisch ist ja das Gebiet, das ihm Gott zur Wohnung und Betätigung
gegeben hat.
Im Fleisch wohnt Satan; da wohnen die Geistgewalten so lange, bis die
Leibesverwandlung bei einem Kinde Gottes erfolgt. Vorher gibt es
keine Wandlung, keine Veränderung
Das zeigt uns nur, wie falsch es ist, wenn Kinder Gottes ihre Gott wohlgefällige
Glaubensstellung darin sehen, daß sie den Kampf mit der im Fleische wohnenden und
wirkenden Sünde führen. Sie wollen die Sündeneinflüsse im Fleisch dadurch überwinden,
daß sie diese zu beseitigen suchen. Diese Bemühungen erfolgen aber auf dem Boden
des Fleisches. Wenn Satan Kinder Gottes zeitlebens in dieser Lüge erhalten kann, kann
er den besten Erfolg für sich buchen. Er schaltet sie für ihr ganzes Leben von jeder
klaren Stellungnahme zum Worte Gottes, zur Erlösung aus. Er hält sie fest in der
Täuschung, daß sie den guten Glaubenskampf kämpfen, der zur Seligkeit, zur Rettung
führt. Und am Ende kommt es ihnen mit Schrecken zum Bewußtsein, daß ihr ganzes
Christenleben eine Täuschung gewesen ist.
Fährt Satan in einen Menschen, wie es bei Judas geschehen ist, dann vollzieht sich
diese Erfahrung des Menschen nicht als Wirkung der in seinem Fleisch wohnenden
Sünde, sie wirkt sich auch nicht in der Seele des Menschen aus, sondern der Mensch
macht diese Erfahrung in seinem Geist. Der Geist des Menschen wird dann durch Satan
in Besitz genommen, und wenn das geschehen ist, ist ein solcher Mensch ein Kind des
Teufels. Deshalb ist Judas von Jesu ein „Teufel“ (Joh.6,70-71) und „Sohn des Verderbens“
(Joh.17,12) genannt. In gleicher Weise bezeichnet auch Paulus den Menschen der Sünde,
den Widersacher, den Gesetzlosen, als den „Sohn des Verderbens“.
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Es ist der Antichrist, auf den Johannes hinweist, und der Engel der Gemeinde zu
Laodicea, den der Herr aus seinem Mund ausspeit. Alles liegt auf einer Linie. In dieser
Gesinnung des Kindes Gottes vermag der Satan den Menschengeist völlig in Besitz zu
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Johannes-Evangelium Teil 8
nehmen. Damit hört für ein Kind Gottes, für einen Jünger Jesu, die Freiheit und
Möglichkeit auf, im Willen noch Entscheidungen zu treffen.
Das Kind Gottes muß dann den Willen des Teufels tun, denn es ist mit seinem
Willen völlig in den Willen des Teufels eingegangen
Zuerst stand Judas in seinem Geist dem Einfluß des Teufels gegenüber, dann ist er
auf diesen Einfluß, den der Teufel auf seinen Geist ausübte, eingegangen, und
zuletzt konnte der Satan in ihn fahren und seinen Geist ganz in Besitz nehmen
Damit hatte Judas von seiner Seite aus dem Herrn Antwort auf die erfolgte Liebestat
der Fußwaschung gegeben. Bei der Fußwaschung selbst ist der Satan noch nicht in
Judas hineingefahren, das ist erst nachher geschehen. Erst nachdem Judas den Bissen
genommen, den der Herr in die Schüssel getaucht hatte, ist der Satan in ihn gefahren.
Folglich hätte Judas zu der Fußwaschung noch irgendwie Stellung nehmen können.
Wenn er aber auch nicht, wie Petrus, die Willigkeit aufbringen konnte, daß er hätte sagen
können: „Ich will mein Leben für dich lassen“, so hätte er wenigstens prüfen können, was
er in seinem Herzen bewegte. Er wollte ja in der allernächsten Zeit diese Füße, die Jesus
ihm wusch, dazu gebrauchen, in Verbindung mit den Feinden Jesu den Tod seines
Meisters herbeizuführen. Hätte er bewußt geprüft, was er in seinem Herzen bewegte,
dann hätte er diese Füße dem Meister nicht so ruhig hingehalten, als Jesus mit der
Schüssel mit Wasser in seine Nähe kam. Wenn er schon im Jüngerkreis nichts merken
lassen und selbst Jesus nichts von seinen Gedanken sagen wollte, hätte er, ehe Jesus
ihm die Füße waschen konnte, aufstehen und hinausgehen können. Er mußte sich doch
sagen, daß sich das, was er im Herzen bewegte, mit der Fußwaschung, die der Herr an
ihm vollziehen wollte, nicht zusammenreimte. Er hätte nicht zu warten brauchen, bis der
Herr ihn hinausschickte. Dann wäre es auch nicht dazu gekommen, daß er aus der Hand
des Herrn den Bissen genommen hätte. Durch solche Stellungnahme hätte er noch die
letzte Auswirkung des satanischen Geistes verhindern können: daß der Teufel in ihn fuhr
und dadurch von ihm in seinem Geiste völlig Besitz ergriff. Weil er es aber nicht tat,
mußte es bei ihm zum Äußersten kommen. Er mußte ganz und gar auf den Willen des
Teufels eingehen, jedoch erst, nachdem er die wirklich ungefärbte, ungeheuchelte, also
wahre Liebe seines Meisters in der
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Fußwaschung noch erfahren und diese seine Liebe mit Füßen getreten hatte. Nachdem
das geschehen war, war er mit dem Teufel völlig einig; nun konnte Satan in ihn fahren
und seinen Geist in Besitz nehmen. Jesus aber hatte den Seinen, die er in immer
gleichbleibender Weise bis ans Ende liebte, als ihr Vorbild einen praktischen Beweis
seiner vollkommenen Liebe gegeben.
Wir müssen uns mit dieser Liebe, die der Herr in der Fußwaschung auf so praktische
Weise an den Seinen, wozu auch Judas gehörte, betätigt hat, noch etwas gründlicher
beschäftigen. Jesus ist es ein Anliegen, daß seine Jünger den wahren Sinn der
Fußwaschung recht verstehen. Darum sagt er zu ihnen:
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Johannes-Evangelium Teil 8
„Wisset ihr, was ich euch getan habe? Ihr heißet mich Meister und Herr, und mit
Recht, denn ich bin es auch. Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße
gewaschen habe, so sollt auch ihr einander die Füße waschen. Denn ein Vorbild
habe ich euch gegeben, daß auch ihr tut, wie ich euch getan habe. Wahrlich,
wahrlich, ich sage euch, der Knecht ist nicht größer als sein Herr, noch ein
Gesandter größer als der ihn gesandt hat. Wenn ihr solches wisset, selig seid ihr,
so ihr es tut. Ich rede nicht von euch allen; ich weiß, welche ich erwählet habe.“
(Vers 12-18)
Es ist also - wie damals, so für alle Zeiten - ein Unterschied zwischen den einzelnen
Kindern Gottes. Es gibt solche, die dem neuen Gebot gehorsam sein wollen und können,
und solche, die von einer bestimmten Zeit an nicht mehr gehorchen können. Jesus hat
seinen Jüngern dieses neue Gebot nicht gegeben, solange Judas noch in ihrer Mitte war.
Solange dieser Jünger noch im Jüngerkreis war, forderte Jesus seine Jünger zwar auf,
die Fußwaschung in der gleichen Weise, wie er sie ihnen erwiesen hatte, untereinander
auszuüben; nur verlangte er das nicht von ihnen allen. Er wußte, daß, wenn Judas in
seiner vom Satan beeinflußten Herzenseinstellung seinen Brüdern die Füße gewaschen
hätte, es im Wesen das Gegenteil von dem gewesen wäre, was Jesus durch die
Fußwaschung zur Darstellung gebracht hat.
Judas, den Jesus in gewissem Sinn auch erwählt hatte, von dem er aber von Anfang
an wußte, daß er ein Teufel war (Joh.6,70), war so lange und so beharrlich auf den Willen
des Teufels eingegangen, bis zuletzt der Satan in ihn fahren und seinen Geist ganz in
Besitz nehmen konnte. Von den Seinen, die Jesus erwählt hatte, hat er keinen verloren;
verloren ging nur der Sohn des Verderbens, auf daß die Schrift erfüllt würde. Es gibt
eben Kinder Gottes, die deshalb Kinder des Reiches sind, weil der Herr sie erwählt hat
und sie sich befleißigen, ihre Berufung und Erwählung festzumachen, und es gibt „Kinder
Gottes“, die in Wirklichkeit des Teufels Kinder sind, die beharrlich auf
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den Willen des Teufels eingehen und zuletzt dem Verderben anheimfallen.
Nun ist man in unsrer gegenwärtigen Zeit wieder auf die Idee gekommen, die
Fußwaschung in derselben praktischen Art und Weise auszuüben, wie Jesus sie damals
an seinen Jüngern vollzogen hat. Ob man aber bei den heutigen modernen
Fußwaschungen einen Judas auch im Kreis der Jünger verbleiben läßt, wie Jesus ihn
gelassen hat, und ob man ihm in der gleichen Gesinnung die Füße wäscht, das müßte
erst noch untersucht werden. Schließt man einen Judas aus, so beweist man damit, daß
die Art der Fußwaschung, die man übt, sinnlos ist, weil sie ihrem Vorbild nicht entspricht.
Jesus hat durch die Fußwaschung, wie er sie an den Jüngern, einschließlich Judas,
vollzogen hat, die vollkommene Liebe betätigt, die er auch von ihnen fordern wollte.
Bei einer solch neuzeitlichen Übung der Fußwaschung müssen wir uns ernstlich
fragen, ob die Jünger Jesu in der Gemeinde diese Fußwaschung, die Jesus im Vorbild
für sie vollzogen hat, in derselben Gesinnung ausüben wie Jesus, oder ob sie ihre Liebe
einander nur deshalb beweisen, weil sie keinen Judas in ihrer Mitte haben. Das gibt es
aber nicht, denn schon Paulus sprach bei vielen Gelegenheiten in bezug auf untreue
Kinder Gottes von Wölfen, von Hunden, von bösen Arbeitern, von Zerschneidung
(Apg.20,29-30; Phil.3,2). Das alles muß schon damals in der Gemeinde vorhanden gewesen
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Johannes-Evangelium Teil 8
sein. Es ist also nicht so, daß heute keine Ursache vorhanden wäre, die Liebe in der
praktischen Fußwaschung so zu beweisen, wie Jesus sie dem Judas bewiesen hat.
Judas hat in der Gemeinde bald wieder Nachfolger gehabt. Wenn aber die Kinder Gottes
die Fußwaschung bis heute nicht so geübt haben wie Jesus, dann haben sie damit den
Beweis geliefert, daß sie dieses ihnen von Jesu vorgehaltene Vorbild, das er ihnen
eindrucksvoll genug praktisch vorgeführt hat, in seiner ganzen Bedeutung nicht erkannt
haben. Wenn sie die Fußwaschung in ihrem wahren Sinn verstanden hätten, dann hätten
sie sie dementsprechend, dem Vorbild Jesu gemäß, ausüben müssen. Sie haben aber
diese Handlung in einem andern Sinn verstanden und geübt. Wir dürfen ja nicht
annehmen, daß dieses den Kindern Gottes eingeprägte Vorbild von ihnen übersehen
wurde und wirkungslos geblieben ist. Sie haben eben die Fußwaschung in erster Linie
geübt in Erinnerung an die stets gleichbleibende Liebe Jesu, die er den Seinen bis zum
Ende und somit auch noch in der gleichnishaften Handlung der Fußwaschung bewiesen
hat, ohne zu bedenken, daß sie diese Handlung nur dann würdig vollziehen können,
wenn auch sie einen in ihrer Mitte weilenden Judas, so wie Jesus, lieben können. Die
Frage ist nun die, ob wir den Sinn der Fußwaschung recht verstehen, damit wir sie
jederzeit auch so ausüben können, wie Jesus es
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getan hat, und damit wir imstande sind, das neue Gebot, einander so zu lieben, wie
Jesus die Seinen geliebt hat, zu erfüllen.
Die Fußwaschung, die Jesus an den Jüngern geübt hat, wird durch das Verhalten
von Petrus und Judas ins Licht gestellt. Dabei müssen wir berücksichtigen, daß Petrus
und Judas in ihrem Verhalten der Fußwaschung gegenüber einen bedeutungsvollen
Unterschied offenbaren.
Während Judas nach außen hin keinen Widerspruch erhob, als ihm Jesus die Füße
wusch, in seinem Herzen aber arge Gedanken hegte, so daß die Fußwaschung für ihn
zum Anlaß wurde, daß Satans Geist ihn ganz erfüllen konnte, offenbarte Petrus durch
seinen Widerspruch der Fußwaschung gegenüber zwar seine noch unreife, fleischliche
Gesinnung, aber in seinem Herzen war er rein, so daß Jesus ihn korrigieren und
zurechtbringen konnte.
Petrus will sich von Jesu die Füße nicht waschen lassen, während Judas dieser
Fußwaschung gegenüber keine Bedenken hat; er äußert dagegen keinen Widerspruch.
Aus der Stellung des Petrus wird der Unterschied offenbar, der zwischen dem wahren
Sinn der Fußwaschung und der allgemeinen Auffassung besteht. Petrus wollte sich von
Jesu unter keinen Umständen die Füße waschen lassen. Selbst die Erklärung Jesu:
„Was ich tue, weißt du jetzt nicht, du wirst es aber hernach erfahren.“ (Vers 7),
genügte ihm nicht.
„Nimmermehr sollst du mir die Füße waschen!“ (Vers 8),
entgegnete er. Damit zeigte Petrus, daß er die Fußwaschung Jesu als einen Dienst nach
der landesüblichen Sitte beurteilte; er konnte darin nichts anderes erkennen, als daß der
geringere Diener dem höheren Vorgesetzten oder Meister die Füße wäscht. Deshalb
wollte er nicht dulden, daß sein Meister diesen niedrigen Dienst an ihm üben sollte.
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Vielleicht hat er eine gewisse Genugtuung darüber empfunden, daß einer nach dem
andern sich die Füße waschen ließ, und im stillen gedacht: Wenn er zu mir kommt, will
ich ihm aber zeigen, daß ich weiß, was sich für einen Jünger dem Meister gegenüber
gehört. Sieh mal, was sich die andern alle gefallen lassen! Mir sollst du die Füße nicht
waschen! Setz dich hübsch hin, ich will sie dir waschen! Ich will dir gern dienen.
Nach der Fußwaschung spricht Jesus zu ihnen:
„Kindlein, nur noch eine kleine Weile bin ich bei euch. Ihr werdet mich suchen,
und wie ich zu den Juden sagte: Wohin ich gehe, dahin könnt ihr nicht kommen;
so sage ich jetzt auch zu euch.“ (Vers 33)
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Und dann fügt er das neue Gebot der Liebe an. Das übergeht aber Petrus, dazu hat er
keine Frage. Nur das bedenkt er jetzt, daß der Herr sagt, wie er auch zu den Juden
sagte:
„Wohin ich gehe, dahin könnt ihr nicht kommen.“ (Vers 33)
Ich muß doch wissen, wohin er geht, denkt Petrus, ich will ihm doch die Füße waschen,
ich will ihm dienen. Simon Petrus spricht zu ihm:
„Herr, wo gehst du hin? Jesus antwortete ihm: Wo ich hingehe, dahin kannst du
mir nicht folgen, du wirst mir aber später folgen.“ (Vers 36)
Warum nicht jetzt? Ich will mein Leben für dich lassen! Ja, das meinte Petrus tun zu
können. Jesus aber wußte, daß weder Petrus noch jemand von den Juden oder von
seinen Jüngern ihm auf diesem Weg in ihrem Lebenseinsatz folgen konnten. Später
würden sie ihm nicht nur folgen, sondern sie müßten ihm folgen; aber ehe sie das tun
konnten, mußten sie sich noch zu der gleichen Reife entwickeln, die Jesus in dem
Gehorsam zu seinem Vater durch willige Stellungnahme in seinen Leiden erlangt hatte.
Darum war jetzt noch zwischen der Reife, die Jesus hatte, und dem Entwicklungsstand
des Petrus ein Unterschied. Diesen Unterschied in der Reife hat Petrus nicht gesehen,
darauf hat er nicht geachtet. So hat er tatsächlich in dem Gedanken gelebt, daß es doch
dasselbe sei, ob Jesus ihm die Füße wäscht, oder ob er Jesu die Füße wäscht. Er
meinte, die Hauptsache sei, daß einer im Verhältnis zum andern bereit sei, diesem die
Füße zu waschen. Daß diese Fußwaschung der Ausdruck der Lebenshingabe war und
zur Reinigung um der Gemeinschaft der Kinder Gottes willen mit ihrem Herrn erfolgen
mußte, das hat Petrus nicht sehen können. Weil er die Fußwaschung fleischlich-irdisch
verstanden hat und nicht göttlich-geistig, mußte er von Jesu gründlich, klar und
entschieden zurechtgewiesen und belehrt werden. Jesus mußte ihm sagen: Wenn ich dir
nicht die Füße wasche, dann hast du keine Gemeinschaft mit mir.
So wird in der Fußwaschung Jesu die Wahrheit veranschaulicht und durch das
Verhalten des Judas einerseits und des Petrus anderseits erhärtet, daß, wer lieben und
dienen will, sich zuerst lieben und dienen lassen muß. Nur so erlangt ein Kind Gottes die
Ausrüstung, um selbst zu lieben und zu dienen, wie Jesus es tat.
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Jesus und Petrus in ihrer Verschiedenheit
als göttliche Werkzeuge
„Als er nun hinausgegangen war, sprach Jesus: Jetzt ist des Menschen Sohn
verherrlichet, und Gott wurde verherrlichet in ihm! Ist Gott verherrlichet in ihm, so
wird Gott auch ihn verherrlichen in sich selbst und wird ihn alsbald verherrlichen.
Kindlein, nur noch eine kleine Weile bin ich bei euch. Ihr werdet mich suchen,
und wie ich zu den Juden sagte: Wohin ich gehe, dahin könnet ihr nicht kommen;
so sage ich jetzt auch zu euch. Ein neues Gebot gebe ich euch, daß ihr einander
liebet, wie ich euch geliebet habe, daß auch ihr einander Iiebet. Daran wird
jedermann erkennen, daß ihr meine Jünger seid, so ihr Liebe untereinander habt.
Simon Petrus spricht zu ihm: Herr, wo gehst du hin? Jesus antwortete ihm: Wo
ich hingehe, dahin kannst du mir nicht folgen, du wirst mir aber später folgen.
Petrus spricht zu ihm: Herr, warum kann ich dir jetzt nicht folgen? Ich will mein
Leben für dich lassen! Jesus antwortete: Dein Leben willst du für mich lassen?
Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, der Hahn wird nicht krähen, bis du mich dreimal
verleugnet hast!“ (Joh.13,31-38)
Weil Jesus mit der Liebe seines himmlischen Vaters ausgerüstet war, kannte er
seinen Weg und konnte ihn im Gehorsam gehen und die Seinen mit der vollkommenen
Liebe lieben
Obwohl Petrus in seiner Liebe zu Jesu treu war, fehlte ihm doch noch die
Ausrüstung mit der Liebe Gottes, die in der Zeit des Wachstums völlig erlangt wird.
Darum konnte er Jesum auf seinem Weg noch nicht nachfolgen und mußte
ihn noch verleugnen
In der Gemeinschaft mit Jesu und seinen Mitjüngern war Petrus ein mutiger
Bekenner Jesu; aber in der Gesellschaft der Häscher Jesu wurde er
ein Verleugner Jesu und ein Verleugner seiner Jüngerstellung
Nachdem Jesus seinen Jüngern die Füße gewaschen, ihnen den tieferen Sinn der
Fußwaschung erklärt hatte, und als er mit ihnen das letzte Passafest feierte, blieben den
Jüngern zwei Möglichkeiten offen: entweder kamen sie mit ihm in die rechte
Gemeinschaft, oder sie wurden von ihm getrennt.
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Jesus stellte seine Jünger durch das neue Gebot, das er ihnen gab, vor eine
bestimmte Aufgabe. Nach diesem neuen Gebot sollten sie einander lieben, wie er sie
geliebt hatte. Üben sie diese Liebe, dann wird jedermann erkennen, daß sie seine Jünger
sind. Wie wenig sie dieses Gebot der Liebe augenblicklich berührt hat, zeigt ihr
Verhalten. Sie sagen von dieser Liebe nichts. Auch von dem, was Jesus zuvor gesagt
hatte, sagen sie nichts. Vorher, als Judas hinausgegangen war, hatte Jesus gesagt:
„Jetzt ist des Menschen Sohn verherrlicht, und Gott wurde verherrlicht in ihm! Ist
Gott verherrlicht in ihm, so wird Gott auch ihn verherrlichen in sich selbst und wird
ihn alsbald verherrlichen.“ (Vers 32)
Auch diese Worte bleiben bei den Jüngern wirkungslos. Sie stellen keine Fragen, um
über diese jetzt erfolgte Verherrlichung ihres Meisters Näheres zu erfahren.
Als er aber noch anfügt:
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„Kindlein, nur noch eine kleine Weile bin ich bei euch. Ihr werdet mich suchen,
und wie ich zu den Juden sagte: Wohin ich gehe, dahin könnt ihr nicht kommen;
so sage ich jetzt auch zu euch.“ (Vers 33),
da horchten sie auf. Im Blick auf diese Worte spricht Petrus:
„Herr, wo gehst du hin?“ (Vers 5)
Als Jesus ihm antwortete:
„Wo ich hingehe, dahin kannst du mir (jetzt) nicht folgen, du wirst mir aber später
folgen.“ (vgl.Vers 36),
war er von dieser Antwort verständlicherweise nicht befriedigt. Denn Petrus sagt weiter:
„Herr, warum kann ich dir jetzt nicht folgen? Ich will mein Leben für dich lassen!“
(Vers 37)
Nach der Klarheit über die Verherrlichung des Menschensohnes und nach dem aufgegebenen neuen Gebot zu lieben fragt Petrus nicht. Aber wissen möchte er, wohin
Jesus geht, und auch das Leben möchte er für ihn einsetzen. Wenn er nur erst weiß,
wohin er geht, damit er mitgehen kann, dann ist er zufrieden. Alles andere würde sich
schon ergeben.
Eigentlich hätte Petrus einsehen müssen, daß er über sich selbst im Irrtum war,
zumal es ihm von Jesu deutlich genug gesagt wurde. Aber eigentümlicherweise brachte
er dafür nicht das nötige Verständnis auf. Jesus sagte zu ihm:
„Dein Leben willst du für mich lassen? Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, der Hahn
wird nicht krähen, bis du mich dreimal verleugnet hast!“ (Vers 38)
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Hätten diese Worte Jesu Petrus nicht veranlassen müssen, gründlich darüber nachzudenken und sich damit auseinanderzusetzen? Hatte doch Jesus mit diesen Worten
bestimmt gesagt, der Morgen würde nicht dämmern, ehe er seinen Meister dreimal
verleugnet hätte. Das war doch der Sinn seiner Worte.
Als Jesus mit seinen Jüngern essen wollte, war es schon Abend geworden. Jesus
hatte seinen Jüngern die Füße gewaschen. Sie saßen bei Tisch. Judas hatte den
Jüngerkreis verlassen. Als nun Petrus meinte, keiner der übrigen Jünger sei so treu wie
er (Matth.26,33), sagte ihm Jesus, er werde seinen Herrn noch in derselben Nacht dreimal
verleugnen. Wir könnten nun der Meinung sein, auf diese Warnung hin hätte es Petrus
nicht schwerfallen müssen, Jesu das Gegenteil zu beweisen. Hätte Jesus im Blick auf die
Verleugnung des Petrus auf eine längere Zeitspanne hingewiesen, dann wäre es
naheliegend gewesen, daß Petrus in der Zwischenzeit Jesu Worte wieder vergessen
hätte. Aber diese Möglichkeit bestand gar nicht, weil nur die unmittelbar folgenden
Stunden dafür in Betracht kamen. Trotzdem geschah das für Petrus gewiß
Unbegreifliche: statt für seinen Meister das Leben zu lassen, wie er das in seinem
Herzen wollte, hat er ihn dreimal verleugnet. Welch gute Gelegenheit hätte er gehabt,
den Beweis zu liefern, Jesum nicht zu verlassen, wie es nach den Berichten der andern
drei Evangelisten sein fester Vorsatz war, auch wenn ihn alle andern Jünger verließen!
Anläßlich der Gerichtsverhandlung, in der Jesus zum Tode verurteilt werden sollte, hätte
er nun gute Gelegenheit gehabt, diesen Beweis zu erbringen, er brauchte ihn nur nicht zu
verleugnen.
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Johannes-Evangelium Teil 8
Es kommt nur darauf an, ob ein Jünger Jesu, seinem Wachstum entsprechend, das
er durchlebt hat, seiner Treue zu Jesu gewiß ist. Petrus hat im Blick auf sein Verhältnis
zu Jesu nicht mit dem nötigen Wachstum gerechnet. Er war der Meinung, daß er das,
was Jesus in dieser Nacht durchleben würde, genauso durchleben könnte wie Jesus. Um
das Verhalten des Petrus recht beurteilen zu können, müssen wir die Ordnung beachten,
die in Eph.4,7 mit den Worten gezeigt ist:
„Einem jeden von uns aber ist gegeben die Gnade nach dem Maß der Gabe
Christi.“
Die in diesen Worten bezeugte Ordnung hat Petrus zu der Zeit noch nicht gekannt.
Er hat mit dem Maß der Gabe Christi und der damit verbundenen Gnade
nicht gerechnet, sondern nur mit sich selbst
Nun kommt es nur darauf an, ob wir unsre Stellung auch so beurteilen, wie Petrus die
seinige beurteilt hat, oder ob wir mit einem
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bestimmten Maß der Gabe Christi rechnen und uns selbst dementsprechend beurteilen
können. Ein solches Maß der Gabe Christi würde sich darin ausweisen, daß das Kind
Gottes nicht nur im Herzen darauf eingestellt wäre, in der Treue zu Jesu zur
Lebenshingabe für ihn bereit zu sein, sondern daß es nach dem Maß der Gabe Christi,
das es besitzt, jederzeit imstande wäre, seinen Blick auf Christum zu richten. Petrus hätte
erkennen sollen, daß sein Herr in jener Abschiedsstunde nach dem Passamahl
verherrlicht worden ist. Dann hätte Petrus, als Jesus seinen Jüngern das neue Gebot der
Liebe gab, in erster Linie Interesse gehabt für die Verherrlichung Jesu wie auch für sein
Gebot der Liebe. Petrus hätte dann nicht gesagt: Ich will mein Leben für dich lassen,
sondern er hätte sich zuerst mit der Verherrlichung des Menschensohnes und mit dem
neuen Gebot der Liebe beschäftigt. Für beides hatte er aber vorläufig kein Interesse.
Damit bewies er, daß er noch kein Maß von der Gabe Christi hatte. Darum hat er auch
seine Stellung überschätzt. Er glaubte, den Mut zu haben, sein Leben für seinen Meister
lassen zu können, und als die Stunde kam, hatte er nicht einmal den Mut, seine
Zugehörigkeit einem Weibe gegenüber zu bekennen. Dieses Weib war doch nicht der
Scharfrichter mit dem Schwert in der Hand! Sie sagte nur zu Petrus, er gehöre zu den
Jüngern Jesu. Aber das konnte der Mann, der einige Stunden früher zu Jesu gesagt
hatte, er wolle sein Leben für ihn lassen, in dieser Stunde nicht ertragen.
Was mag wohl die Ursache dafür gewesen sein, daß Petrus in dieser Stunde
versagte? Es war doch sonst nicht seine Art, sich vor den Frauen zu fürchten? Die
Häscher, die Jesum gefangengenommen hatten, wärmten sich im Hof an einem Feuer.
Mußte Petrus auch dort sein in jener Gesellschaft? Gehörte er in die Mitte dieser Leute?
War es denn so sehr nötig, daß er sich am Feuer wärmte? Das war doch eigentlich die
Veranlassung dafür, daß er jene bittere Erfahrung durch diese Magd machte. Hätte er
sich nicht in jene Gesellschaft begeben, dann hätte die Magd keine Gelegenheit gehabt
zu sagen:
„Auch du warst mit Jesu, dem Galiläer!“ (Matth.26,69.73; Luk.22,56)
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Johannes-Evangelium Teil 8
Er wäre dann dem Einfluß dieser Worte nicht ausgesetzt gewesen und hätte Jesum nicht
verleugnet. In der Gesellschaft seiner Mitjünger, zusammen mit Jesu, hat Petrus sich
nicht geschämt, zu ihnen zu gehören. Da konnte er zu Jesu sagen:
„Ich will mein Leben für dich lassen!“ (Vers 37)
Als Petrus aber in einer andern Gesellschaft war, war er ein andrer Mann. So schnell
kann sich ein Mensch durch die Verhältnisse, durch den Einfluß der Menschen ändern! In
der Gemeinschaft mit Jesu ist
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Petrus ein Held. Was kann von einem Menschen mehr verlangt werden als Treue bis
zum Lebenseinsatz? Diese Treue hat Petrus zu Jesu gehabt. Mehr ist nicht möglich. Er
hat auch den Mut aufgebracht, daß er das Schwert nahm und dem Malchus das Ohr
abschlug (Matth.26,51). Dabei hätte er auch sein Leben verlieren können. Als Petrus aber
nicht mehr mit Jesu und seinen Jüngern zusammen war, als er die Gesellschaft
gewechselt hatte, schlug er nicht mehr mit dem Schwert drein. Als die Magd zu ihm
sagte:
„Auch du warst mit Jesus, dem Nazarener!“ (Mark.14,67),
hat er sehr schnell vergessen, daß Jesus ihm zuvor gesagt hatte, ehe der Hahn kräht,
werde er ihn dreimal verleugnen. An diese Worte Jesu wurde er erst erinnert, als der
Hahn dann tatsächlich krähte (Matth.26,74-75).
Die Gesellschaft ändert also nicht nur den Menschen, sondern ist auch die Ursache
davon, daß ein Mensch das, was er tun müßte, vergißt. Wenn Petrus nicht in jener
Gesellschaft gewesen wäre, wäre er in der Nachtstunde gewiß nicht erfroren, auch wenn
er sich nicht am Feuer der Häscher seines Herrn gewärmt hätte. Aber in jener
Gesellschaft hat er alles, was Jesus gesagt hat, vergessen. Und als nun eine Magd zu
ihm sagte: Du gehörst zu den Jüngern Jesu, leugnete er beharrlich, nicht nur einmal,
sondern, ohne sich zu besinnen, zum zweiten und zum dritten Mal (Matth.26,69-75). Damit
hat er doch klar bewiesen, daß er den Meister genauso entschieden, wie er vorher das
Leben für ihn lassen wollte, auch verleugnen konnte. Aber das war nur der Einfluß der
Gesellschaft. In dieser Gesellschaft brachte er den Mut, als Jünger Jesu zu gelten, nicht
auf. Hätte er die Kälte in jener Nachtstunde in Kauf genommen, dann wäre er nicht in
solche Gesellschaft gekommen, und dann hätte er seinem Herrn treu sein können. Er
hätte dann darüber nachdenken können, welche Gefahr diese Nacht durch die
Versuchung, seinen Meister zu verleugnen, für ihn in sich schließen würde. Aber in jener
Gesellschaft konnte er nicht darüber nachdenken, sondern er mußte sich in seinen
Gedanken mit dem beschäftigen, was ihn umgab. Von dem, was Jesus seinen Jüngern in
seiner Abschiedsstunde gesagt hatte, daß des Menschen Sohn in dieser Stunde
verherrlicht wurde und daß die Jünger Jesu untereinander die gleiche Liebe üben sollten,
die ihnen Jesus bewiesen hatte, war bei Petrus in der fremden Gesellschaft nichts mehr
vorhanden. Und wenn er sich in jener Stunde in der Liebe zu seinen Mitjüngern hätte
auszeichnen sollen, hätte er es ebensowenig gekonnt, wie sich als Jünger Jesu zu
bekennen. Er hat gerade in dieser Stunde den Beweis dafür geliefert, wie wenig ein Kind
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Johannes-Evangelium Teil 8
Gottes das Geheimnis von dem verherrlichten Menschensohn erfassen und das neue
Gebot der Liebe üben kann, wenn es nicht das entsprechende
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Maß der Gabe Christi hat. Petrus hat trotz seines vorausgehenden Treuebekenntnisses
zu Jesu in dieser Stunde tatsächlich genauso versagt, wie es Jesus vorausgesagt hatte.
Worin bestand nun in dieser Stunde der Unterschied zwischen Petrus und Jesu? In
der Willenseinstellung waren sich beide gleich. Jesus sagte:
„Kindlein, nur noch eine kleine Weile bin ich bei euch. Ihr werdet mich suchen,
und wie ich zu den Juden sagte: Wohin ich gehe, dahin könnet ihr nicht kommen;
so sage ich jetzt auch zu euch. Ein neues Gebot gebe ich euch, daß ihr einander
liebet, wie ich euch geliebet habe, daß auch ihr einander Iiebet.“ (Vers 33-34)
Das sagte er zweimal (Joh.7,33-36; Joh.13,33-34); denn Jesus wußte seinen Weg, den er zu
gehen hatte, genau. Petrus fragte ihn nicht umsonst:
„ … wo gehst du hin?“ (Vers 36)
Er hatte den Willen, den Weg zu gehen, den Jesus ging, und den Mut dazu meinte er
auch zu haben, sonst hätte er nicht sagen können:
„Ich will mein Leben für dich lassen!“ (Vers 37)
Also darin waren sich Jesus und Petrus gleich. Der Unterschied zwischen ihnen bestand
aber darin, daß Jesus den Weg kannte, Petrus dagegen zu jener Zeit noch nicht. Jesus
hätte Petrus nur zu sagen brauchen, daß er auf dem Weg, den er ihn führen wollte,
später sein Leben für Jesum lassen könne. Aber Petrus wollte nicht so lange warten, er
wollte dem Herrn gleich folgen, selbst wenn er schon in jener Stunde hätte sein Leben für
ihn lassen müssen. Und doch wurde er, kurz nachdem er sein Treuebekenntnis zu Jesu
abgelegt hatte, als ein Versager offenbar. Wenn Jesus und Petrus in jener Nacht
verschieden und geschieden waren, hatte das seine Ursache in der Gesellschaft, in der
sie waren. Jesus war in der Gesellschaft, in der er nach dem Willen Gottes sein mußte.
Es war auch eine ihm feindlich gesonnene Gesellschaft. Aber es war die Gesellschaft,
die der Vater für ihn bestimmt hatte. Petrus dagegen war im Hof des Hohenpriesters in
einer Gesellschaft, die ihm in dieser Stunde von Gott nicht bestimmt war. Er brauchte
nicht dort zu sein, wenn er sich danach gerichtet hätte, was Jesus mit den Worten
(Matth.26,31) gesagt hatte:
„Da spricht Jesus zu ihnen: Ihr werdet euch in dieser Nacht alle an mir ärgern;
denn es steht geschrieben: ‘Ich werde den Hirten schlagen, und die Schafe der
Herde werden sich zerstreuen.’“
Weil er aber diese Gesellschaft erwählt hatte, gewiß nicht nur, um sich zu wärmen,
sondern in erster Linie, um so lange wie möglich in
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der Nähe seines Meisters zu sein und um das Ende der Angelegenheit zu erfahren,
mußte in seinem Leben in dieser Stunde auch das offenbar werden, was sich aufgrund
der ihm noch mangelnden Ausrüstung unter dem Einfluß dieser Gesellschaft für ihn
ergeben sollte.
Derselbe Petrus hat später, als er in einer Gesellschaft gesetzestreuer Judenchristen
war, sein Verhältnis zu der in Jesu offenbarten Gnadenrechtfertigung durch eine
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Johannes-Evangelium Teil 8
Heuchelei einmal verleugnet; allerdings ließ er sich auch ohne Widerstand von Paulus
korrigieren (Gal.2,11-21).
Wenn wir dem ein wenig nachdenken, wird es uns klarwerden, daß auch unsre
Erfahrungen meist von dem Einfluß der Gesellschaft bestimmt werden, in der wir uns
befinden.
Und Jesus? Er konnte in jener Stunde nach der Fußwaschung von sich sagen, daß
des Menschen Sohn verherrlicht worden ist. Was heißt das?
Aus dem Zusammenhang geht hervor, daß die Verherrlichung Jesu darin bestand,
daß er Judas, so wie er ihn kannte, und den Einfluß, der von ihm ausging,
bis ans Ende tragen konnte
Jesus kannte Judas. Er hat den Jüngern gesagt:
„Habe ich nicht euch Zwölfe erwählt? Und aus euch ist einer ein Teufel!“
(Joh.6,70)
Er wußte, welche seine Jünger waren, und welche er erwählt hatte und was durch Judas
geschehen würde. Er wußte in jener Stunde auch, was Satan dem Judas ins Herz
gegeben hatte, und daß dieser das, was er im Herzen hatte, auch ausführen würde. Er
wußte, daß bei Judas die Zuneigung zum Geld größer war als die Treue zu seinem
Meister. Deshalb konnte er zu ihm sagen: „Was du tun willst, das tue bald!“ Die
Gesinnung dieses „Teufels“ hat Jesus zuletzt sogar seinen Jüngern offenbart. Und doch
hat er Judas die Füße gewaschen, und zwar nicht etwa zum Schein, während innerlich
seine Liebe zu Judas erloschen gewesen wäre. Er war in der Liebe, in der er seine
Jünger, auch den Judas, liebte, treu bis ans Ende und konnte seine Gesinnung bis zu der
Stunde bewahren, in der er wußte, daß Judas von ihm weg zu seinen Feinden ging, um
ihr Anführer zu werden. Daß Jesus in seiner Liebe treu war, das war der Grund, daß er in
dieser Stunde verherrlicht wurde und Gott in ihm verherrlicht werden konnte. Denn Gott
ist Liebe, und Jesus konnte sagen, daß in Wirklichkeit der Vater, der in ihm ist, die Werke
tut, die er als sein Sohn vollbrachte. Daß aber Jesus, in der völligen Einheit mit dem
Vater, in der Liebe zu seinen Jüngern ausgereift war und ihnen deshalb diese Liebe in
der Vollkommenheit offenbaren konnte, war der Beweis für seine Bewährung in dieser
Stunde, aber zugleich für Jesum auch der Beweis
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dafür, daß der Vater nun durch ihn seinen Willen ganz zur Vollendung bringen würde. Die
ihm zuteilgewordene Gnade, daß er in der Liebe zu seinem Verräter Judas nicht
wankend geworden war, konnte er als Garantie dafür sehen, daß Gott sich alsbald in ihm
verherrlichen würde. Er wußte, daß nun die Zeit gekommen war, daß Gott sein Werk, das
er durch ihn ausführen wollte, zur Vollendung führen konnte. Die bis zur letzten Stunde
gleichbleibende Liebe Jesu seinem Verräter gegenüber war der vollkommene Beweis der
Treue des Sohnes Gottes seinem himmlischen Vater gegenüber.
Wir sehen also, daß sich Jesus in diesem seinem Verhältnis zum Willen seines
himmlischen Vaters von Petrus wesentlich unterschieden hat. Jesus hatte für seinen
Weg, den er gehen mußte, die erforderliche Ausrüstung. Aufgrund dieser Ausrüstung mit
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Johannes-Evangelium Teil 8
der Liebe Gottes konnte er sich bewähren, auch dem gewaltigen Einfluß Satans
gegenüber, der diese Liebe erschüttern wollte. Er kannte in dieser Stunde den Weg, den
er gehen mußte, und konnte ihn kraft der ihm gegebenen Ausrüstung auch gehen. Petrus
hatte diese Ausrüstung nicht. Er kannte auch den Weg nicht. Und während Jesus,
ausgerüstet mit der vollkommenen Liebe Gottes, seinen Weg ging und dadurch in die
Gesellschaft kam, in der er nach dem Willen Gottes sein mußte, fehlte Petrus diese
Ausrüstung und auch die Klarheit über den Weg, den er gehen mußte. Als es dann in der
Nacht kalt war, suchte er einen angenehmen Ausgleich für die unangenehmen
Frostempfindungen, selbst auf die Gefahr hin, daß er dadurch in eine Gesellschaft
geraten mußte, die für ihn Veranlassung wurde, anders zu handeln, als er in der
Verbindung mit Jesu gehandelt hätte. Wenn Petrus, anstatt im Hof in jener Gesellschaft
am Feuer zu bleiben, näher an der Seite Jesu gewesen wäre, dann wäre er zwar bei
größeren Feinden des Meisters gewesen als beim Feuer im Hof, aber er wäre nicht in die
Gefahr gekommen zu leugnen, daß er zu Jesu gehöre. An Jesu Seite hätte er bezeugt,
daß er zu ihm gehört und die Folgen davon auf sich nimmt.
Das zeigt uns nur, wie wichtig es ist, daß wir für den Weg, den wir als Kinder Gottes
gehen müssen, die nötige Ausrüstung haben. Nicht dafür müssen wir sorgen, daß wir
den Weg gehen, sondern für die Ausrüstung müssen wir sorgen, die wir brauchen, und
dafür, daß uns die Stunde, in der wir unsern Weg nach Gottes Willen und Ratschluß
gehen müssen, bekannt ist. Das, was Petrus mit Jesu im Kleinen durchlebt hat, ist ein
Vorbild für das, was die Kinder Gottes im Großen wieder durchleben müssen, wenn es
sich endgültig darum handelt, ob sie Jesum bekennen oder verleugnen. Das ist dann der
Fall, wenn die Stunde der Gerichtsnot und Verfolgung gekommen ist. Schon der
Gedanke an diese kommende Zeit macht den Kindern
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Gottes gewöhnlich Not, und Zweifel steigen auf, ob sie auch treu sein können. Diese Not
entspringt der mangelnden Ausrüstung. Jesus hat für diese notwendige Ausrüstung
gesorgt. Für mehr brauchte er nicht zu sorgen. Weil er die erforderliche Ausrüstung hatte,
erkannte er seine Stunde, und für diese Stunde kannte er auch seinen Weg. Er wußte
auch, wohin ihn dieser Weg führen würde.
Seine Jünger sollen aber dieselbe Ausrüstung bekommen, die er hatte.
Es ist die Ausrüstung mit der Liebe Gottes
Deshalb hat ihnen Jesus das neue Gebot der Liebe gegeben. Nur durch die Liebe
wurde er, des Menschen Sohn, verherrlicht. Der Apostel Johannes weist auf diese Liebe
hin, indem er sagt:
„Darin ist die Liebe bei uns vollkommen geworden, daß wir Freudigkeit haben am
Tage des Gerichts, denn gleichwie er ist, so sind auch wir in dieser Welt.“
(1.Joh.4,17)
Größere Liebe hat niemand als die, daß er sein Leben hingibt für seine Freunde
(Joh.15,13; 1.Joh.3,16). Größere Liebe konnte Jesus in der für ihn gekommenen Stunde
nicht haben als die, von der Johannes bezeugt, daß sie im Verhältnis zu seinen Jüngern
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Johannes-Evangelium Teil 8
vollkommen geworden sei. Nun vergleicht Jesus in dieser Stunde seine Jünger mit sich
selbst. Er weist darauf hin, daß so, wie er in der Welt war, auch sie in der gleichen Weise
in der Welt sind. Inmitten dieser Welt waren die Jünger in der für Jesum gekommenen
Stunde in derselben Lage wie Jesus. Nur hatte Jesus die Ausrüstung mit der
vollkommenen Gottesliebe, während Petrus sie noch nicht hatte. Darum sagt Jesus zu
ihm: „Du kannst mir jetzt nicht nachfolgen.“ Aber Jesus fügte hinzu, daß Petrus ihm
später folgen würde, wenn er die Ausrüstung in der göttlichen Liebe so hätte, wie sie
Jesus gehabt hat. Dann erst kann er den gleichen Weg gehen, den Jesus ging, dann
kann und muß er ihm nachfolgen. Petrus aber überschätzte sich, indem er in der für
Jesum gekommenen Stunde für seinen Meister sein Leben einsetzen wollte. Dazu hatte
er aber die Ausrüstung mit der Liebe Gottes noch nicht; deshalb konnte er in jener Nacht
nicht anders handeln, als seinen Meister dreimal zu verleugnen, nachdem er um seines
persönlichen Interesses willen eine Gesellschaft aufgesucht hatte, die für ihn
Veranlassung dazu wurde, daß er als einer der treuesten Jünger seinen Meister
verleugnete.
Wenn wir in unserm Geschwisterkreis nicht ähnliche Erfahrungen machen müssen,
dann ist das nur deshalb so, weil das die Gesellschaft, in der wir uns bewegen, nicht
bedingt. Wir machen uns nichts daraus, wenn man uns sagt: „Du bist auch einer von
ihnen“, einfach
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deshalb, weil jedes Glied der „Gesellschaft“, in deren Mitte wir uns aufhalten, auch ein
Jünger Jesu sein will. Aber die Gesellschaft ist nicht notwendigerweise immer dieselbe,
sie kann wechseln. Und das kann von einer Stunde zur andern geschehen, ohne daß
man diesen Wechsel beachtet. Man kann unverhofft und ungewollt von einer
Gesellschaft in die andere kommen und mit einem Mal Einflüssen ausgesetzt sein, die
man zuvor nicht ahnte oder vermutete. Das ist uns nichts Neues. Die Erfahrung, die
Petrus machen mußte, wiederholt sich immer wieder. Man wechselt die Gesellschaft, um
vielleicht seine persönlichen Wünsche besser befriedigen zu können, und denkt sich
nicht viel dabei, bis man die Folgen durchzukosten hat.
In Joh.18,15-16 ist noch von einem Jünger Jesu die Rede, der mit Jesu in den Hof
des Hohenpriesters hineingegangen war, weil er dem Hohenpriester bekannt war. Dieser
redete mit der Türhüterin und führte Petrus hinein. Der Name des Jüngers ist nicht
genannt, es scheint aber, daß es Johannes gewesen ist. (Im Evangelium Joh.20,2.8 und
Kap. 21,7.20.24 ist von „einem andern Jünger“ berichtet, den Jesus liebte). Auch dieser
Jünger wollte zuerst, wie alle Jünger, sein Leben für Jesum einsetzen. Aber alle Jünger
verließen Jesum und flohen. Und als dieser Jüngling, der nur mit Leinwand auf dem
bloßen Leibe bekleidet war, ergriffen wurde, ließ er die Leinwand fahren und entfloh
nackt (Mark14,50-52). Für ihn war jetzt nur noch die Flucht das Beste, um aus dieser
fremden Gesellschaft herauszukommen.
So muß es sich erfüllen, was Jesus seinen Jüngern gesagt hatte und was
geschrieben steht:
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„ … siehe, es kommt die Stunde und ist schon da, wo ihr euch zerstreuen werdet,
ein jeglicher in das Seine, und mich allein laßt; aber ich bin nicht allein, denn der
Vater ist bei mir.“ (Joh.16,32),
und:
„ … schlage den Hirten, so werden die Schafe sich zerstreuen …“ (Sach.13,7)
Aber Gott läßt auch durch den Propheten sagen:
„ … ich will meine Hand ausstrecken über die Kleinen!“ (Sach.13,7)
Damit bekundet Gott seine große, immerwährende Liebe zu den Seinen, bis auch sie mit
dieser Liebe so ausgerüstet sind, daß sie in der für sie gekommenen Stunde allen
feindlichen Angriffen gegenüber sieghaft bestehen können.
_______________

N01.03.07
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