4.4 Hermitesche Formen Wie üblich bezeichnen wir das komplex konjugierte Element von ζ = a + bi ∈ C (a, b ∈ R) mit ζ = a − bi. Definition 4.4.1. Sei V ein C-Vektorraum. Eine hermitesche Form (HF) auf V ist eine Abbildung h : V × V → C für die gilt: (HF1) ∀x, y, z ∈ V : h(x + y, z) = h(x, z) + h(y, z); (HF2) ∀x, y ∈ V, ∀λ ∈ C : h(λx, y) = λh(x, y); (HF3) ∀x, y ∈ V : h(x, y) = h(y, x). Das Paar (V, h) bezeichnen wir auch als hermiteschen Raum (HR). Bemerkung 4.4.2. Sei (V, h) ein HR. Dann gilt: (1) ∀x, y, z ∈ V : h(x, y + z) = h(x, y) + h(x, z). (2) ∀x, y ∈ V, ∀λ :∈ C : h(x, λy) = λh(x, y). x1 y1 Beispiel. (1) Seien x = ... , y = ... ∈ Cn . Wir definieren den komxn yn y1 P .. plex konjugierten Vektor y := . und damit h(x, y) := xt y = ni=1 xi yi . yn P P Man beachte, dass dann h(x, x) = ni=1 xi xi = ni=1 |xi |2 ∈ R mit h(x, x) > 0 falls x 6= 0. (Cn , h) ist ein hermitescher Raum und man nennt diese spezielle hermitesche Form h auch das (hermitesche) Standardskalarprodukt auf Cn . (2) Für A = (aij ) ∈ Mn (C) definieren wir die komplex konjugierte Matrix A := (aij ) ∈ Mn (C). Sei nun A ∈ Mn (C) mit A = At . Wir definieren nun hA (x, y) := xt Ay. Dies ist eine HF auf Cn . Beispiel (1) ist ein Spezialfall hiervon für A = In . (3) Sei V = {stetige Funktionen [a, b] → C} wobei [a, b] ⊆ R ein Interval ist. Jedes f : [a, b] → C kann geschrieben werden als f (x) = f1 (x) + if2 (x) mit f1 , f2 : [a, b] → R, und f ist stetig genau dann wenn f1 und f2 stetig sind. Rb Man definiert f (x) := f1 (x) − if2 (x) und für f ∈ V das Integral a f (x)dx := Rb Rb f (x)dx + i a f2 (x)dx. a 1 1 Rb Damit erhält man eine hermitesche Form h auf V mittels h(f, g) := a f (x)g(x)dx. Rb Für f (x) = f1 (x) + if2 (x) bekommt man damit h(f, f ) = a f1 (x)2 + f2 (x)2 dx, insbesondere h(f, f ) ∈ R und wegen Stetigkeit h(f, f ) > 0 falls f 6≡ 0. Bemerkung. Generell gilt in jedem HR (V, h) wegen h(x, x) = h(x, x), dass h(x, x) ∈ R ∀x ∈ V . Definition 4.4.3. Sei A ∈ Mn (C). t (i) Die zu A adjungierte Matrix ist definiert als A∗ := A . (ii) A nennt man eine hermitesche Matrix falls A∗ = A. Bemerkung 4.4.4. Seien A = (aij ), B ∈ Mn (C). (i) A hermitesch ⇐⇒ A = At ⇐⇒ aii ∈ R ∀i und aij = aji ∀i 6= j. 3 1+i Z.B. ist eine hermitesche Matrix. 1−i 4 (ii) (AB)∗ = B ∗ A∗ , (A + B)∗ = A∗ + B ∗ , und für alle λ ∈ C hat man (λA)∗ = λA∗ . Definition 4.4.5. (i) Ein HR (V, h) (bzw. die HF h auf V ) heißt positiv definit falls h(x, x) > 0 für alle x ∈ V \ {0}. Ein unitärer Raum (UR) ist ein positiv definiter HR. (ii) Eine hermitesche Matrix A ∈ Mn (C) heißt positiv definit falls hA : Cn ×Cn → C : (x, y) 7→ xt Ay eine positiv definite HF ist (siehe Bsp. (2) oben). Analog definiert man negativ definit, positiv/negativ semidefinit. Fakten 4.4.6. Alles, was für SBRs über R gesagt und gezeigt wurde, gilt i.W. auch für HRs über C. Sei also (V, h) ein HR. (1) Orthogonalität: x, y ∈ V sind orthogonal zueinander, x ⊥ y, falls h(x, y) = 0 (damit auch h(y, x) = 0, also y ⊥ x). Entsprechend definiert man S ⊥ T für Teilmengen S, T ⊆ V . Für S ⊆ V definiert man den zu S orthogonalen Unterraum S ⊥ = {x ∈ V | x ⊥ S} und das Radikal Rad(V, h) = V ⊥ . (V, h) ist nicht-entartet falls Rad(V, h) = {0}. (2) Angenommen dim V = n < ∞. (i) Falls E : e1 , . . . , en eine Basis von V ist, so erhält man die Grammatrix Gh,E = (h(ei , ej )) ∈ Mn (C), welche notwendigerweise eine hermitesche Matrix ist: G∗h,E = Gh,E . (V, h) ist nicht-entartet falls det Gh,E 6= 0. 2 (ii) Falls F : f1 , . . . , fn eine andere Basis ist, so gibt es ein S ∈ GLn (C) mit S ∗ Gh,E S = Gh,F wobei S = MEF (idV ). (V, h) lässt sich diagonalisieren, d.h. es kann so eine Basis F gefunden wera1 .. den für die Gh,F = , eine Diagonalmatrix ist mit (notwendi. an gerweise) ai ∈ R (∗). So eine Basis heißt dann Orthogonalbasis von (V, h). (iii) (V, h) ist genau dann positiv definit wenn in der Darstellung (∗) in (ii) alle ai > 0. (iv) Es gilt der Trägheitssatz von Sylvester. (v) Falls (V, h) UR ist, so existiert eine Basis F von V mit Gh,F = In . So eine Basis heißt dann Orthonormalbasis (ONB) von (V, h). (3) Sei (V, h) ein UR. Man definiert für alle x ∈ V die Norm ||x|| = Es gilt dann p h(x, x). (i) ||x|| ≥ 0, und ||x|| = 0 genau dann wenn x = 0. (ii) (Cauchy-Schwarzsche Ungleichung) ∀x, y ∈ V : |h(x, x)| ≤ ||x|| · ||y||. (iii) (Dreiecksungleichung) ∀x, y ∈ V : ||x + y|| ≤ ||x|| + ||y||. (iv) (Homogenität) ∀x ∈ V , ∀λ ∈ C: ||λx|| = |λ| · ||x||. Definition 4.4.7. Sei (V, h , i) ein ER (K = R) oder ein UR (K = C), und seien f, g ∈ EndK (V ). (a) g heißt adjungiert zu f falls ∀x, y ∈ V gilt: hf (x), yi = hx, g(y)i. Man schreibt dann g = f ad (diese Notation ist gerechtfertgit, da wir später sehen werden, dass adjungierte Abbildungen eindeutig bestimmt sind). (b) f heißt selbstadjungiert falls f = f ad . (c) f heißt orthogonal (im Fall ER) bzw. unitär (im Fall UR) falls f bijektiv und hf (x), f (y)i = hx, yi ∀x, y ∈ V . Bemerkung 4.4.8. (1) Die Definition von orthogonalem f im Fall ER stimmt überein mit der früheren Definition von orthogonalem f ∈ O(V, b) für einen SBR (V, b) (4.3.3). (2) f adjungiert zu g ⇐⇒ g adjungiert zu f . 3 (3) f orthogonal/unitär ⇐⇒ f ad = f −1 . (4) Verknüpfung und Umkerhabbildungen von orthogonalen/unitären Abbildungen sind wieder orthogonale/unitäre Abbildungen. Definition und Lemma 4.4.9. Sei (V, h) ein HR. Dann ist U(V, h) := {f ∈ EndC (V ) | f unitär} eine Gruppe unter der Verknüpfung von Abbildungen, genannt unitäre Gruppe von (V, h). Satz 4.4.10. Sei (V, h , i) ein ER (K = R) oder ein UR (K = C) mit dim V < ∞. (a) Zu jedem f ∈ EndK (V ) existiert ein eindeutiges g ∈ EndK (V ) mit g = f ad . (b) Seien f, f1 , f2 ∈ EndK (V ) und λ ∈ K. Dann gilt • (f1 ◦ f2 )ad = f2ad ◦ f1ad , • (f1 + f2 )ad = f1ad + f2ad , • (λf )ad = λf ad . s1 Satz 4.4.11. Sei S = (sij ) = (s~1 . . . s~n ) = ... ∈ Mn (C) mit Spalten s~i sn und Zeilen si . Die folgenden Aussagen sind äquivalent: (i) S ∗ S = In ; (ii) SS ∗ = In ; (iii) s~1 , . . . , s~n ∈ Cn bildet eine ONB bzgl. des hermiteschen Standardskalarprodukts h , i auf Cn ; (iv) s1 t , . . . , sn t bildet eine ONB bzgl. des hermiteschen Standardskalarprodukts h , i auf Cn ; (v) Die Abbildung LS : Cn → Cn : x 7→ Sx ist unitär bzgl. des hermiteschen Standardskalarprodukts h , i auf Cn ; (vi) Sei (V,P h) ein UR, dim V = n und e1 , . . . , en eine ONB von (V, h). Sei fj := ni=1 sij ei , 1 ≤ j ≤ n. Dann ist f1 , . . . , fn auch eine ONB von (V, h). 4 Eine Matrix S ∈ Mn (C) mit obigen Eigenschaften heißt unitär. Un (C) = {S ∈ Mn (C) | S unitär} ist eine Gruppe unter der Matrizenmultiplikation, genannt unitäre Gruppe von C in Dimension n oder vom Grad n. Lemma 4.4.12. Sei V ein K-Vektorraum (K beliebig), f ∈ EndK (V ) bijektiv mit Umkehrabbildung f −1 , und sei U ⊆ V ein f -invarianter Untervektorraum mit dim U < ∞. Dann ist U auch f −1 -invariant. Lemma 4.4.13. Sei (V, h , i) ein ER (K = R) oder ein UR (K = C) mit dim V < ∞. Sei U ⊆ V ein f -invarianter Untervektorraum. Dann ist U ⊥ ein f ad -invarianter Untervektorraum. Satz 4.4.14 (Spektralsatz). (a) Seien (V, h , i) ein UR mit dim V < ∞, und f ∈ EndC (V ) selbstadjungiert oder unitär. Dann existiert eine ONB von (V, h , i) bestehend aus Eigenvektoren von f . Insbesondere ist f diagonalisierbar. (b) Die Eigenwerte eines unitären f ∈ EndC (V ) bzgl. (V, h , i) haben Betrag 1. Die Eigenwerte eines selbstadjungierten f ∈ EndC (V ) bzgl. (V, h , i) sind reell. Korollar 4.4.15. Sei A ∈ Mn (C) eine hermitesche Matrix, d.h. A∗ = A. Dann existiert eine unitäre Matrix S ∈ Mn (C) (d.h. S invertierbar und S ∗ = S −1 ) sodass S ∗ AS = S −1 AS diagonal ist. Satz 4.4.16 (Reller Spektralsatz). Sei (V, h , i) ER mit dim V < ∞, und sei f ∈ EndR (V ) selbstadjungiert bzgl. (V, h , i). Dann existiert eine ONB von (V, h , i) bestehend aus Eigenvektoren von f . Insbesondere ist f diagonalisierbar. Damit erhält man wieder Satz 4.3.6: Korollar 4.4.17 (Satz 4.3.6). Sei A ∈ Mn (R) symmetrisch, d.h. A = At . Dann existiert S ∈ On (R) mit S t AS = S −1 AS diagonal. Insbesondere zerfällt das charakteristische Polynom PA (X) ∈ R[X] in Linearfaktoren über R und damit sind alle Eigenwerte reell. Korollar 4.4.18. Sei A ∈ Mn (R) eine symmetrische Matrix, d.h. A = At , und sei bA : Rn × Rn → R : bA (x, y) = xt Ay; oder sei A ∈ Mn (C) eine hermitesche Matrix, d.h. A = A∗ , und sei hA : Cn × Cn → C : hA (x, y) = xt Ay (i) ∃λ1 , . .Q . , λn ∈ R (nicht notwendigerweise verschieden) mit PA (X) = n n (−1) i=1 (X − λi ). (ii) Es existiert eine Orthogonalbasis E vonbA bzw. hA sodass GbA ,E bzw. Ir+ , r+ , r− , r0 ∈ N0 , ist (mit Nullen −Ir− GhA ,E von der Gestalt 0r0 5 außerhalb der Blöcke, wobei 0r0 die r0 × r0 Nullmatrix ist). Das Tripel (r+ , r− , r0 ) (aus dem Sylvesterschen Trägheitssatz) berechnet sich dabei wie folgt: r+ = |{i | λi > 0}| r− = |{i | λi < 0}| r0 = |{i | λi = 0}| 6