LUSTOBJEKT BUCH k o n k u r s b u c h V e r l a g C l a u d i a Ve r l a g s g e s c h i c h t e G e h r k e Der Anfang Angefangen hat alles mit einem Essen. Claudia Gehrke kochte jeden Mittwoch für eine Menge Leute aus der Kulturszene Tübingens, wir diskutierten, lasen uns Texte vor, aßen und tranken – und mehr – bis in den Morgen. Dieser „Salon“ fand statt in Tübingen, Münzgasse 17, in früheren Zeiten eines der Häuser des Cottaschen Verlages – (hier wurde z.B. Kleist verlegt.) Hier entsprang die Idee, eine Zeitschrift zu machen. Es gab damals „Kursbuch“ - die Zeitschrift der Studentenbewegung. Die Küche, Münzgasse 17, 1977 „Kursbuch“ schrieb in seinem ersten Vorwort, 13 Jahre vor Gründung des „Konkursbuch“, dass man in ihm (politische) Kurse ablesen könne, wie im „Kursbuch“ der Bahn: ich will von hier nach dort, wie ich dahin komme, lese ich im Kursbuch. Doch die politischen Ideale und lebenspraktischen Ideen der 68er waren so einfach nicht zu verwirklichen, vieles stand scheinbar unvereinbar nebeneinander... dazu die beginnende neue Frauenbewegung, dazu der „Herbst 1977“, die Frage des Terrorismus. Wir diskutierten in Richtungen, die in keiner Publikation thematisiert wurden, doch an die Möglichkeit der Verwirklichung einer eigenen wollte keine/r so recht glauben, außer Peter Pörtner (jetzt Leiter des Japan-Zentrums der Uni München) und C.G. Bereits früher hatten Pörtner und C.G. zusammen experimentiert (ohne je ein „Paar“ gewesen zu sein...), eine Theatertruppe als WG, die Literaturzeitschrift „Exempla“... So luden wir also ein zu „konkursbuch“ – „Konkurs“ im wirtschaftlichen Sinne heißt seit kurzem „Insolvenz“ und hat andere Wortbedeutungen, die für das Konzept des Verlages von Bedeutung sind: „konkurrieren“ – kommt von lat. zusammenlaufen/-treffen, aufeinander stoßen. Und so läuft bei uns so manches auf den ersten Blick Unvereinbare zusammen... Unser Motto Keine Untergangsphilosophie – sondern aus der Konkurs-Masse der Ideen, Träume, Utopien schöpfen – Keine „Kurse“, sondern Abschweifungen. Theorie neben Sinnlichkeit, schwierige philosophische Texte neben Tagebuchauszügen und Bildern, Auseinandersetzungen mit der Frauenbewegung, Notizen zur psychischen Situation in Protestbewegungen neben surreal anmutenden literarischen Texten... Wir luden ein zur ersten Ausgabe, und erstaunlich viele bekannte und unbekannte AutorInnen reagierten. AutorInnen der ersten Nummern waren u.v.a. Gisela Dischner, Peter Brückner, Marlies Gerhard (einen vielfach nachgedruckten Text über den „weißen Fleck auf der feministischen Landkarte“), Ulrich Sonnemann, Rita Bischoff, Gisela v. Wysocki, Hans-Dieter Bahr, Dietmar Kamper, Berndt Nitzschke, Rita Bischoff, Gerburg Treusch-Dieter, Jean Baudrillard, Marianne Schuller, Lothar Baier, Gerd Bergfleth, Annie Le Brun. Auch Erstübersetzungen von Texten von G. Bataille, M. Blanchot und J. Genet (über Giacometti) erschienen. Und im Band „Frauenmacht“ schrieben u.a. Ulrike Ottinger und Elfriede Jelinek (später schrieb sie noch einmal im Band „Frauen und Pornografie“). 1 Claudia Gehrke, 1978 So gründeten wir den Verlag – bzw. meldeten das „Gewerbe“ als „Aprilscherz“ an – am ersten April 1978 und konkursbuch Eins mit dem Untertitel: „Zeitschrift für Vernunftkritik“ erschien im Mai zum Thema „Vernunft und Emanzipation“. Das erste Bild in diesem Buch ist ein Auge, in dem sich ein Theater spiegelt, darunter steht: „Wohin muss der Blick der Vernunft sich wenden, dass er eines Tages nicht...“ – dann blättert man um, ein zweites Bild folgt und darunter der Text: ... „nur Gefängnisse sieht.“ Die Drucker finanzierten vor. Es gab keinen Pfennig Geld im Hintergrund. Peter Pörtner und C.G. reisten durch Deutschland, exakte 2000 Kilometer, und besuchten vor allem die linken und alternativen Buchläden. Das Buch wurde angenommen und gut verkauft. Engagierte und ausführliche Rezensionen folgten: „Ich wüsste nicht, wo gegenwärtig in deutscher Sprache radikaler, verzweifelter, diabolischer, aufregender im wörtlichen Sinn über Kurse und Konkurse reflektiert würde als in dieser Zeitschrift...“ (WDR) „Die Herausgeber haben erkannt, das lesende Menschen nicht nur Hirn-, sondern auch Augenmenschen sind: Fotografien, Zeichnungen, Stiche stehen gleichberechtigt neben den Texten. Dies ist die Zeitschrift einer neuen Generation. Da kommt der Brief wieder zu seinem Recht, auch das Tagebuch, da stehen Fragmente neben Aphorismen und Gedichten...“ (Die Zeit) „... dann markiert dies ein Denken, das einerseits mit äußerster Radikalität bestehende Zustände verwirft, andererseits in beeindruckender Weise auf letzte Begründungen verzichtet. Was bleibt, ist jene subversive Kraft, die jedem Denken eigen ist, das sich auf keine Grenzziehungen einlässt...“ (FAZ) Peter Pörtner vor dem Haus Münzgasse 17 Peter Pörtner ging 1979 nach Japan, anfangs planten wir den Verlag in Kooperation Tokyo/Tübingen – wir telefonierten auf seltsam rauschenden aber günstigen Leitungen mit Hilfe einer uns bekannten Postbeamtin – doch die Entfernungen waren zu groß – so dass C.G. alleine weitermachte. (Aber wir schickten Pakete mit konkursbüchern nach Japan – und eins kam nie an. Dafür aber, so erzählt Peter Pörtner, hingen irgendwann auf den japanischen Postämtern Plakate mit einem aufgerissenen Überseepaket, aus dem schwarze Bücher quollen – konkursbücher. Darunter stand: So nicht packen! – Und Jahre später kamen aus Japan große Pakete mit unseren Büchern zurück, in allen steckten kleine Klebezettel – nahezu auf jeder zweiten Seite - von Zollbeamten auf all den Seiten angebracht, die in Japan verboten waren (also etwa Bilder mit Schamhaaren) – und das in je zehn gleichen Büchern! Wir hatten keine Verlagsausbildung, keine kauffrauliche/männliche oder kalkulatorische Erfahrung, und so tauchten bald Finanzierungsprobleme auf. Der erste Gerichtsvollzieher, geschickt von einer Reutlinger Druckerei, stand in der Wohnung. Unsere einzige Kalkulationsgrundlage am Anfang war: wir wollten billiger sein als „Kursbuch“, und nahmen darum für die ersten Nummern 7 Mark 50 – bei über 250 Seiten, vielen schwarzweißen und einzelnen Farbbildern, spielerischen Beilagen... Mit einigen Mühen gelang es, ein privates Darlehen aufzunehmen. Gerd Kimmerle gab damit im konkursbuch Verlag die Reihe „edition diskord“ heraus, mit anspruchsvollen philosophischen und psychoanalytischen Büchern. C.G. schätzte mehr und mehr, diese Mischung aus Sinnlichkeit und Theorie, aus Privatem und Politik, aus Literatur und Bildern zu verlegen – und weniger die als „Fachliteratur“ nutzbare wissenschaftliche Literatur. So trennte sich „konkursbuch“ nach einigen Jahren wieder von der „edition diskord“. Zwei im Verlag „geborene“ andere Verlage gibt es bislang: „edition diskord“ und „el!es Verlag“. 2 Verlagsfest 1979, Friederike Kretzen Das konkursbuch gibt es noch, Ort der intellektuellen wie literarischen wie bildnerischen wie politischen assoziativen Auseinandersetzung mit den verschiedensten Themen. Die ersten Themen: Vernunft und Emanzipation – Gesichter der Gewalt – Erfahrung und Erinnerung – Kunst – Abschied von der Politik? – Erotik. Vielschichtige Lesebücher, „ganz angewandte Lebenslust“ ... „freies Denken“ Die zuletzt erschienenen Ausgaben: Nr. 36: Haare – 37: Schuld – 38: Sehnsucht Berlin – 39: gender Game – 40: Alter – 41: Haut – 42: Auto – 43: Scham – 44: Zettelwirtschaft / Schreiben. – 46: Angst – 47: Der erotische Blick – 48: Familien-Bande – 49: Heimat Aus „konkursbuch“ sind die einzelnen Stränge des Verlages langsam herausgewachsen. Schon 1979 kamen Manuskripte, die zu lang waren für die Zeitschrift, 1980 erschienen die ersten Bücher von einzelnen AutorInnen: Romane und Theorie. Unsere ersten drei Bücher zusätzlich zum „konkursbuch“ waren: Das viel beachtete und noch heute immer wieder nachgefragte Buch „Zur Geschichte von Polizei- und Liebeskunst“ von Erik Grawert-May, ein Text über die Einführung des Zwanges zur Wahrheit in der Liebe – parallel zur Entwicklung des Kontrollorgans staatlicher Ordnungshüter, der Polizei und der Zentralperspektive in der Kunst... weitere Bücher „Theatrum Eroticum“ und „Das Drame Krieg“ – das „Tagebuch“ von Gisela Dischner, das von einem Lebensentwurf der 1968er erzählt, von den uneinlösbaren Hoffnungen und Widersprüchen in einer Kommune der 60er/70erJahre. – und der phantastisch-realistische Roman „Mexikanische Reise“ des Stuttgarter Autors Udo O. Rabsch, der inzwischen 6 große immer wieder gut besprochene Romane publizierte, sein siebter Roman, „Maria Rosenfeld. Ein deutsches Wintermärchen“ über ein deutsches Dorf der Nachkriegszeit und die verschwundene schöne Kellnerin aus den „Baracken“ kam in die allerengste Auswahl für den Döblinpreis und ist 2008 erschienen. 3 Verlagsfest 1979 - oben: Carl G. Hegemann, Hans Peter Duerr u.a. - Mitte: Carola Bloch - unten Hermann Bausinger u.v.a. E n t w i c k l u n g der Linien des Verlags Auch das Thema Reisen tauchte in einem Buch auf: Dietmar Kamper, Christoph Wulf, Im Schatten der Milchstraße. Fotos und Gedankensplitter auf dem berühmten Pilgerweg nach Santiago de Compostela. Kurz nach diesen ersten Büchern erschien 1981 die erste Auflage des noch immer dicksten Buchs im Verlag: HansDieter Bahr, Über den Umgang mit Maschinen, 512 Seiten, und mehr als 100 historische Abbildungen Apropos Maschinen, Computersatz wie heute gab es noch nicht, bzw. war unbezahlbar und noch im Experimentierstadium, und Bleisatz war zu teuer. So machten wir Komposersatz: und die Korrekturen wurden in einzelnen ausgeschnittenen Zeilen per Hand auf die Umbruchseiten geklebt (und so manch eine leicht schiefe Zeile, undenkbar im Computersatz, zeugt davon). Von diesen Umbruchseiten und den Bildern wurden per Reprokamera Filme hergestellt, die auf Leuchttischen mühsam montiert wurden. Und davon erst entstanden Druckplatten. Das erste Buch, das im Computer umbrochen wurde, war1985 das La-Palma-Buch: C.G. saß neben dem Gestalter Peter Großhaus vor dem Bildschirm, und bis ein Bild irgendwohin geschoben wurde, dauerte es jeweils Minuten – oder Stunden. Auch Hans-Dieter Bahrs Denken beeinflusste unsere Verlagsphilosophie bis heute, ein Denken, das Zusammenhönge herstellt zwischen Bereichen, die ansonsten in sehr getrennten Schubladen abgehandelt werden, so zum Beispiel Technik, Mechanik und Philosophie. In diesem „Maschinenbuch“, erfährt man viel über die Geschichte der Gesellschaft und des menschlichen Denkens von der Antike bis in die Moderne. Und dazu steigt man ein ins Innere von Mühlen, Automaten und Autos ...1983 gab es eine zweite Auflage des Buchs, später erschienen noch: Sätze ins Nicht. Ein Buch über den Schrecken - und „Machinationen“ ein kleineres Kunst-Buch zu beweglichen mechanischen Kunstobjekten. Der Mensch ist immer Gast, auch „bei sich“– ein Gedanke des Philosphen, in anderen Büchern ausgeführt, der dem Verlag wichtig wurde. Die Fortsetzung des „Mittwochsalons“ waren jährliche Verlagstreffen mit Diskussionen, Verlagskatalog aus dem Jahr 1984, noch als Leporello Hans-Dieter Bahr und Gerburg Treusch-Dieter, im Tübinger-Italienischen Garten von H.D.Bahr, 2002 Entwicklung von Ideen für Bücher, Essen, Tanz – so entstanden nach einer Runde zum Thema „Schrecken“ Udo Rabsch, „Julius“ und H.D.Bahrs „Sätze ins Nichts“... Jetzt finden diese Verlagstreffen unregelmäßig statt. Dazu gibt es Veranstaltungen mit Lesungen, Performances, Chansons. Der direkte Kontakt, das Gespräch der AutorInnen untereinander, mit der Verlegerin und mit dem Publikum ist unverändert wichtig für die Verlagsarbeit. Ideen für Bücher entwickeln sich im Austausch. Beim Feiern und Reden, Reisen, unterwegs, als Gast. 4 EROTIK - Mein heimliches Auge Mein heimliches Auge erschien 1982 in Folge von konkursbuch Sechs zum Thema Erotik, erst drei Jahre später erklärten wir es zur ersten Nummer des „Jahrbuchs der Erotik“. Das AUGE wurde äußerst kontrovers aufgenommen. „WIR brauchen SOWAS nicht“ hieß es in vielen alternativen Buchhandlungen, und dann wurde empört remittiert ... Die Reaktionen auf die erste Nummer druckten wir in der Broschüre „Schweinkram“. Doch auf der Buchmesse – nur ein Exemplar hing an einer Kette – schauten sich alle heimlich hinter einer Säule dieses böse Buch an (leider hatten wir keinen Fotoapparat dabei): – Hildegard Knef hinter der Säule, Vico Torriani – dass es dieses Buch aus der Szene der Büchermenschen (so der eine oder andere noch heute bekannte Literaturkritiker fand sich in der Nummer Eins des Auges) zu diesem Thema gab, verbreitete sich wie ein Blitz auf der Messe... Erotik ist ein wichtiges Thema des Verlages geworden. Es ist eins der größten Genüsse sich zu verlieben, in einen Menschen, aber auch in Dinge, Ideen, Projekte, Geschichten, Bücher... Dieses Gefühl „Verliebtsein“ bewirkt, dass man nicht anders kann als sich zu dem Objekt hin zu bewegen, körperlich, im Denken, alles konzentriert sich darauf. Es bringt uns voran... man vergisst – zumindest für Momente – alles andere. Das Versinken in Büchern ist vergleichbar. „Verliebte Aufbrüche“: in exotische Lebensformen, in Menschen, in Theorien... Die Lust an Aufbrüchen und Verliebtheiten hat C.G. zur Verlegerei getrieben. Und die Koinzidenzen der Begegnungen... Es geht in unseren erotischen Büchern (dem heimlichen Auge und den anderen) weniger um Aufklärung,Techniken oder Bekenntnisse – obwohl das alles als Einzelbaustein vorkommen kann – es geht um die brisante Vielfalt der Lust, um ihre imaginären Hintergründe. Und um Sexualität jenseits der Schubladen: hetero, lesbisch, schwul... Viele unserer erotischen Bücher erschienen lange vor diversen Modewellen – und sehr viele Fotobücher wurden und werden uns angeboten, deren Ästhetik uns nicht gefiel, viele dieser Bücher erschienen inzwischen in anderen oder eigens dafür gegründeten Verlagen. In einem klugen FAZ-Essay von Thomas Hettche (der Autor hatte wie viele andere auch eine seiner ersten Veröffentlichungen im heimlichen Auge hatte) wurde vermutet, dass mit der aktuellen kühlen neuen Sex-Literatur von Frauen das Ende der erotischen Literatur eingeläutet würde: Die Bücher handeln zwar von Sex, jedoch würde die Lust kalt erzählt, unerotisch, nicht einmal andeutungsweise erregend. Einer der Gründe, die Hettche vermutet: eine Überflutung mit Bildern. (Die Bilderschelte hat Geschichte: vor Jahrhunderten warfen die Protestanten den Katholiken Bildervergötterung vor...). In der alltäglichen Realität sind Sich-Verlieben, Liebesdramen, Sex, Lust & Leidenschaft nie aus der Mode. „Es“ passiert immer – in jeder Weltlage. Sex, Erotik: Heraustreten aus der Realität, Außersichsein. Erregung. Oft gibt es kleine Katastrophen, komische Situationen. Technische Pannen. Eifersucht. Eine schöne Nacht, aber ein Alltagsstreit danach. Peinlichkeiten beim ersten Rendezvous. Störungen gehören dazu. Und: Lust an der Lust, aber genauso die Lust, darüber zu sprechen. Oder darüber zu schreiben, Bilder zu machen... und so bleibt „Mein heimliches Auge“ ein wichtiges Buch. Und wir plädieren weiterhin mit unseren erotischen Büchern für die „Wärme“ der Lust... 5 Heutzutage bieten die Medien viele bunte Einblicke in angeblich „authentisches“ Leben und Sexleben, in „diaries“, in nackte Nachbarn, nackte Jugendliche... Aber Erotik ist auch Theater, Inszenierung von Reizen – in dem sich natürlich das „Echte“ – Erregung, Unsicherheit, Lachen, Koketterie, Erröten, Liebe – findet... Alexandre Dupouy z.B. führt in Fotobüchern mit handcolorierten erotischen Fotografien dieses Theater auf. Frauen hatten sich in der neuen Frauenbewegung seit 1970 vor allem damit beschäftigt, die Beschädigungen durch männliche Lust aufzudecken. Es war und ist ein wichtiger Strang des Feminismus, Gewalt anzuprangern. Doch bis zur PorNO-Kampagne hieß es, Frauen sei kaum eigene Lust möglich, solange das Geschlechterverhältnis von männlichen (Gewalt-)Phantasien bestimmt sei. Frauen seien „infiziert“ von männlichen Bildern, von denen sie sich erst zu „reinigen“ hätten, bevor die eigene wahre weibliche Lust möglich sei. „Häutungen“ von Verena Stefan oder „Selbstbestimmung und Fremderfahrung“ von Ursula Krechel prägten die Diskussion seit den 1970ern. Schon 1978, in konkursbuch 1, forderte Marlies Gerhardt in ihrem Text „Der weiße Fleck auf der feministischen Landkarte“ die Beschäftigung der Frauen mit aktiven, auch agressiven Seiten ihrer Lust. Anfangs wurde das „Andere“ weiblicher Lust in einer angestrengt sanften Sprache gesucht, als Gegenreaktion auf dieses Diktat des Sanften versuchten sich Autorinnen in einer gewaltsamen „Wiederinbesitznahme des eigenen weiblichen Körpers“, mit brutalen Körperpoesien in Wort und Bild, bis dann der Alltag und seine Paradoxien in die Schilderung der Lust eintrat, eine größere Leichtigkeit, das Lachen über Pannen und Ungereimtheiten. Es gibt und gab sie die gesamte Geschichte hindurch, die „Frauen mit Lust“, und diese Lüste zu finden, zu formulieren – auch auf die Gefahr hin, dass das „Andere“ nicht so einfach zu definieren ist, oder dass es das „andere Weibliche“ als solches nicht gibt, sondern ein Changieren zwischen den Geschlechtern – wurde ein Anliegen des Verlags. Heute sind „freche Frauen“ in allen großen Verlagen zu finden... Wie sich der Umgang mit Erotik, mit Lust verändert, auch das lässt sich in 23 Jahren „Auge“ nachlesen – manche Themen tauchten Jahre bevor sie anderenorts diskutiert wurden, in den Heimlichen Augen auf, (wie z.B. die Frage des Gendercrossings, der Trans- und Intersexuealität schon 1989 in Auge 4, lang bevor das Thema in größerem Rahmen theoretisiert und medialisiert wurde. Auch hatten sehr viele inzwischen bekannte AutorInnen im „Auge“ ihre ersten oder eine der ersten Veröffentlichungen. 2005 erscheint die runde Nr. 20 des heimlichen Auges, zusätzlich erschienen bisher 4 lesbische Specials „Mein lesbisches Auge 1-4“, und 2 Ausgaben „Mein schwules Auge“. „Losgelegt hatte Claudia Gehrke mit einem großen Versprechen: die in unserer christlich determinierten Kultur gefesselt und geknebelt gehaltenen Ausdrucksformen der körperlichen Sinnlichkeit (wieder ein-) zu üben. Etwas Erstaunliches sollte geschehen: es ist ihr gelungen, mit Fotografie und Bildender Kunst, Prosa und Lyrik jedweder sexuellen Inszenierung Raum zu schaffen, ohne den Eros zu zerstören.“ (Stuttgarter Zeitung) „‘Mein heimliches Auge‘ ist ein Werk, das bereits pansexuell war, lange bevor der Begriff überhaupt in Mode kam, und die Serie „Mein lesbisches Auge“ ist eine der progressivsten Veröffentlichungen über lesbischen Sex, die es im deutschsprachigen Sprachraum gibt...“ (Siegessäule) Literatur & Fotografie Zunehmend mehr junge FotografIinnen und AutorInnen fühlten sich im Verlag aufgehoben. Vielleicht auch, weil sie hier die Möglichkeit haben, sich zu treffen, sich auszutauschen. Bis hin zur Buchgestaltung arbeiten sie mit an der Entstehung dieses Lustobjekts Buch. D as Buch a l s s innliches O b j e k t Bücher sind sinnliche Objekte. Wir spielen mit der Inszenierung des Blätterns. 6 Das Gefühl, ein Buch zu öffnen und durchzublättern, ist vielleicht vergleichbar mit dem Moment, ein Geschenk auszupacken und noch nicht genau zu wissen, was darin ist. „... Ich habe eine an Wahnsinn grenzende Leidenschaft für Bücher. Keine literarischen Werke, ich meine die imaginären `Bücher´, die noch nicht geschrieben sind, noch nicht gebunden sind, in denen wir im Traum fortwährend blättern, ohne sie verstehen zu können... Bevor ein Kind das Lesen lernt, lernt es das Blättern... In meiner Volksschule herrschte einmal die Mode, die Röcke der Mädchen umzuschlagen, wie man die Seiten in einem Buch umblättert. Wahrscheinlich nicht, um irgend etwas zu sehen, das Umschlagen der Röcke selbst war das Ziel... Es müsste also Bücher nur zum Blättern geben...“ schrieb Yoko Tawada in ihrem ersten Buch. Und an dieser Inszenierung des Textes zum Buch arbeiten die AutorInnen mit. So dass die Bücher nicht alle gleich aussehen, sondern mit jeder Autorin, jedem Autor entwickelt sich ein eigener Stil. Am Anfang war es darum schwierig, den Verlag im Buchhandel zu finden. Als wir jedoch in letzter Zeit einmal alle literarischen Bücher von einem künstlerischen Buchgestalter machen ließ, gefielen sie zwar sehr, aber als erstes hörten wir von den Autorinnen fast enttäuscht: die Bücher sehen ja gar nicht mehr aus wie aus Claudias Verlag... also scheint’s doch so etwas wie ein “Verlagsgesicht“ zu geben, in all der Verschiedenheit... D i e w e i t e r e E n t w i c k l u n g Auf vielen verschlungenen und direkten Wegen kamen mehr und mehr AutorInnen und kleine Buchreihen zum Verlag – wie „Tübingen Rive Gauche“ – beginnend mit dem Gespräch mit E. M. Cioran, in Folge zehn essayistische Originaltexte vor allem französischer AutorInnen, u.a. von Alain Robbe-Grillet, Sarah Kofman, Michel Butor, Hubert Fichte. 1984 erscheint mit „Der Tod der Moderne“ eine Diskussion um den Stand von Politik, Feminismus und Kunst mit Jean Baudrillard, Gerd Bergfleth, Marlies Gerhardt, Ute Gerhard, Michael Rutschky, Ulrich Sonnemann u.v.a. Das Buch erlebte fünf Auflagen... 1984 erscheint auch das „konkursbuch 12“ zum Thema FrauenMacht, das ebenfalls viele Auflagen hatte, und aus dem einige Texte immer und immer wieder in einschlägigen frauenpolitischen Sammelbänden nachgedruckt wurden. So unterschiedlich sie schreiben oder ihre Bilder gestalten, die AutorInnen des Verlages verbindet vielleicht ein Gespür für Situationskomik und eine Jean Baudrillard, Paul Virilio, Claudia Gehrke spezielle Nähe zu den Figuren im Text/auf dem Bild. Es gibt keine, über 1983 die sich die AutorInnen oder FotografInnen erheben, zynisch, wie häufig in neuerer Literatur/oder glatt objektiviert, wie in vielen „Erotikfotos“. Die Dargestellten werden uns auch in ihren Schwächen sympathisch. Die Autorinnen benennen Details des sexuellen Spiels, erzählen unverkrampft, „leichtfüßig und tabulos“ (Neue Zürcher Zeitung) von den Fallen der Liebe und den Tücken des Alltags. Sie schildern Ambivalenzen zwischen Sehnsucht und Realität, zwischen Traum und Erwachen, zwischen den Sprachen und Kulturen. Denn selbstverständlich geht es nicht in allen der von uns verlegten Bücher in direktem Sinne um Erotik. Doch alle unsere Bücher spielen mit einem sinnlichen „Zwischen“. „Es handelt nicht von ‚Europa‘ versus ‚Asien‘, oder umgekehrt. Es ist ein Buch aus dem Niemandsland, da, wo kein Wort und kein Name und kein Zeichen mehr etwas bedeutet, sondern wo alles in Frage gestellt ist, und wo nur das Empfinden, das Erfahren, das Sprechen selber zählt. Und dann wird dieser kleine Band plötzlich so etwas wie ein Modell von utopischem Erzählen und von utopischem Reisen.“ (Wim Wenders über Talisman von Yoko Tawada). „...dazwischen die kleinen Helden, die Looser, die sich so durchschlagen, auf der Suche nach dem kurzen Rausch des Vergessens. Rabsch bleibt seinen Figuren mit kritischer Sympathie verbunden.“ (Stuttgarter Zeitung) „Rabsch‘ Sprachmacht ist enorm. Es gelingt ihm immer wieder, subjektive Wahrnehmungen zu beschreiben, als befänden sich seine Protagonisten in einem Zustand hohen Fiebers... Seine Sätze wirken wie Laserstrahlen, die das Gedachte, Gefühlte, Wahrgenommene gleichzeitig beleuchten und zu verbrennen scheinen...“ (Matthias Horx, Die Zeit) Es gibt keinen Plan. Es ist schwer vorhersagen, welche neuen Projekte wir in einigen Jahren machen werden. Die Bücher entstehen aus der Zusammenarbeit mit verschiedenen Menschen, aus politischen Diskussionen und privaten Vergnügungen, Abschweifungen, Zufällen und Begegnungen. 7 AUSEINAN D E R S E T Z U N G E N Die PorNO-Debatte 1988 brandete die PorNO-Debatte auf. Die Bilderflut der herrschenden Pornografie durch Gesetze einzudämmen, war das Anliegen von Alice Schwarzer und EMMA. Unser Versuch war und ist, diese Bilderflut anarchisch und subversiv zu unterlaufen durch die Produktion „eigener“ Bilder ... Das Buch „Frauen und Pornografie“ erscheint, C.G. wurde als Sachverständige zum SPD-Hearing und Grünen-Hearing eingeladen – mit – so schrieb die FAZ – einem „brillanten Plädoyer gegen die Zementierung einer weiblichen Opferrolle“, das unter dem Titel „Anregungen zu einer Politik erotischer Kultur von Frauen“ abgedruckt wird (in: „Frauen & Männer und Pornographie“, FischerTB), der PorNO in Tübingen 1988, CG mit Rechtsanwältin u. EMMA-Redakteurin (Foto: Tagblatt Spiegel machte ein Titelthema „Frauen und Pornografie“, kurz nach der Wende veröffentlichte C.G. einen danach häufig zitierten Text in der Ostberliner Kulturzeitschrift „Sondeur“: Plädoyer für scharfe Schamlippen. Die Medien interessieren sich zunehmend für „Erotik von Frauen“. Der Verlag wird immer wieder in Fernsehen & Illustrierten unter diesem Gesichtspunkt porträtiert, Claudia Gehrke in die diversen Talkshows eingeladen, und auf vielen großen Veranstaltungen quer durchs Land wurde zwischen EMMA-Redakteurinnen und anderen „Fachfrauen“ diskutiert. In Tübingen gab es ein solches Streitgespräch nach einer von uns organisierten „Sexshow von Frauen für Frauen“ am Theater, zu der über 600 Frauen gekommen waren. Die Show (ein authentischer SM-angehauchter Akt eines „ganz normalen“ Frauenliebespaares aus Amsterdam) wurde von einem Teil des Publikums empört unterbrochen, „zensiert“. Aber das ganze weibliche Tübingen war dort. Noch ein, zwei Jahre danach wurde C.G. an den überraschendsten Orten darauf angesprochen: von Angestellten bei der Kreissparkasse oder bei McDonalds, von Buchhändlerinnen und Professorinnen. Rechtliche Probleme Juristische Auseinandersetzungen gab es aus Rache, Neid, Eifersucht, aufgrund eines Missverständnisses, aus Konkurrenz, aufgrund von Verwechslungen, oder von Fehlern bei der Produktion... Es gab Doppelgängerinnen, die sich auf Bildern wiederzuerkennen glaubten und klagten, obwohl sie nicht drauf waren, Einsendungen fürs Heimliche Auge, die die AutorInnen hinterher ungeschehen machen wollten (daher gab es oft Variationen in den Nachauflagen der AUGEn – die erste Auflage gibt es nur auf der Frankfurter Buchmesse und in der ersten Auslieferung)... Der schlimmste Alptraum in dieser Hinsicht wurde allerdings die Verfolgung einiger Bücher des Verlages unter dem Aspekt Pornografie oder Kunst. 1996 beginnt diese Auseinandersetzung ums AUGE – initiiert von einem Privatverfolger, der nach den Comics von Ralph König das AUGE aufs Korn nahm, Textausschnitte und einzelne Bilder, vor allem von weiblichen Geschlechtern, an die diversen Bundestage, das BKA, die Bundesprüfstelle und Jugendämter faxte, sie dazu bewegte, ein Indizierungsverfahren einzuleiten. Parallel dazu kamen staatsanwaltliche Anklagen, eine Durchsuchung der Verlagsräume etc. Die Bundesprüfstelle hat sich jahrelang mit den Büchern auseinandergesetzt, und diese Auseinandersetzung hat sicher dazu beigetragen, den Jugendschutz differenzierter anzugehen als noch unter dem vorhergehenden Leiter der BPS, der ein Winkelmesser (bei Männern) und den Retuschestift bei Frauen (nur unscharfe Schamlippen – da Mann dort sexuelle Erregung ja nicht eindeutig erkennen kann) zur Grenzziehung zwischen Pornografie und Kunst ansetzte (Pornografie sei, was „ausschließlich dazu dient, sexuelle Erregung zu erzeugen“ und „sozial zu desorientieren“...). Dennoch listeten die diversen Staatsanwaltschaften vor allem die Bilder mit „scharfen Schamlippen“ auf... Das AUGE wurde bislang immer überzeugend als Kunst gewertet – doch die Prozesse bringen den Verlag an seine – ökonomischen – Grenzen. 8 „Liebe Claudia Gehrke, es tut mir leid für Sie, wenn Schlachten, die nicht nur für die Grundsätze der Ästhetik, sondern auch diejenigen der modernen Rechtssprechung längst geschlagen sind, immer wieder ausgetragen werden müssen – nicht etwa auf dem breiten Rücken des grenzüberschreitenden Porno-Vertriebs, sondern auf dem empfindlichen Rücken eines kleinen Kunst-Verlags, der, in der Tat, auch rechtsirrtümlich und gegen alle liberale Vernunft ganz leicht gebrochen werden kann – als hätten wir zu viele davon, und als wäre der ökonomische Zwang der passende Vollstrecker für die sittliche Entrüstung. (...) Ich kenne die Kontexte, die der konkursbuchverlag herstellt, ein Verlag, der Autorinnen vom Range Yoko Tawadas veröffentlicht; ich verdanke ihm viel an Einsichten, Anregungen, Provokationen, und unter diesen ist natürlich die erotische nicht die Geringste – wie alles für die menschliche Existenz Grundlegende.“ schrieb uns Adolf Muschg. Aus dem Gutachten: „Das heimliche Auge ist ein dynamisches Kunstwerk, in dem jeder einzelne Beitrag in ein Netz von Interpretationen einbezogen wird. Bilder und Texte gehen Beziehungen miteinander ein, sie variieren einander, widersprechen einander, ergänzen, unterminieren oder extrapolieren einander. Abstrakte Kunst und realistische Fotografie, ernste Darstellungen und ironische Kritik reflektieren einander und eröffnen neue Horizonte, die über das Einzelne hinausweisen... Eine solche Verfahrensweise sei als absolutes Gegenteil zu pornografischen Verfahrensweisen zu betrachten, da diese, um ihres Zieles schnellstmöglicher Lustbefriedigung willen, auf Eindeutigkeit und Eindimensionalität beharren müssen, so dass im Falle der Pornografie die Summe der ästhetischen Erfahrungen um ein Vielfaches geringer sei als die Anzahl der Darstellungen, im schlechtesten Fall bliebe nur eine einzige Erfahrung, die der ‚Aufreizung‘. ‚Mein heimliches Auge‘ bietet eine multiperspektivische Darstellung von Sexualität, die gleichzeitig ausnahmslos jedem Rezipienten einen immer neuen fremden Blick auferlegt, denn er kann auf keiner Seite mit einem Beitrag rechnen, der seine eigenen sexuellen Bedürfnisse bedient. Durch diese Fokussierung der Wahrnehmungsstrukturen selber rückt – aller deutlichen Bildlichkeit zum Trotz – die kulturelle zwischenmenschliche – demokratische, produktive (sozusagen der Blick von Foucault) – Bedeutung von Sexualität in den Vordergrund.“ „Sie stehen erfreulich quer zum Zeitgeist“ (NDR) „Eigenwillig, irritierend, intelligent“ (Der Spiegel) 1990 vom japanischen Zoll zurückgeschickte Bücher, mit den Zetteln auf den verbotenen Seiten . . . u n d w i e ka m e n d i e B ü c h e r z u m Ve r l a g ? Das Auge 1979 lernte C.G. auf der Buchmesse im Atelier Rambow, wo sie aus einem nicht mehr nachvollziehbaren Grund eine Nacht verbracht hatte, vermutlich nach einem Fest und zuviel Wein – den Schriftsteller und passionierten Sammler Uve Schmidt kennen. konkursbuch Sechs, Erotik, war gerade in Arbeit. Uve Schmidt zeigte C.G. seine erotische Sammlung. Zuerst einen Dildo aus schwarzem Holz. Dann Kisten voll mit „Waschküchenpornografie“: Fotos aus der Frühzeit der Fotografie, die häufig in Waschküchen entwickelt wurden – Bilder, auf denen die Lust in doppeltem Sinne sichtbar wird: Die Lust an einem neuen Medium, das alles auf Papier bannen kann, also das Vergnügen daran, sich fotografieren zu lassen, und das Vergnügen am Sex. Diese alten Fotografien erinnerten an ein erstes „voyeuristisches“ Erlebnis: im Schrank des Vaters hatten C.G.s Schwester und sie alte Stripteasefilme entdeckt und heimlich angeschaut. Und hatten Vergnügen an diesen weichfleischigen Frauen, die sich lachend, mit deutlichem Spaß an der Sache und mit den ruckelnden Bewegungen der alten Stummfilme auszogen. Zur Erotik gehört das Schauen. Doch was gab es an erotischen Bildern: Werbefotografie mit dümmlich anreizenden Frauengesichtern – die Gesichter in mancher Werbefotografie oder der Heftchenpornografie, die kaum Lust ausdrücken, sondern: he, du da draußen, du kannst mich auch noch haben (oder das entsprechende Produkt) – und so entstand im Gespräch mit Uve Schmidt inmitten der ausgebreiteten lustigen und lustvollen alten Fotos die Idee, ein Buch parallel zum Konkursbuch „Erotik“ zu machen – ein Bilder- und Textbuch, zu dem C.G. von Anfang an vor allem Frauen einladen wollte, des aktuellen historischen Ungleichgewichts wegen... und U.S. wollte Künstler einladen, die Frauen zu gewinnen, war anfangs nicht einfach... 9 Yo ko Ta w a d a Yoko Tawada, 1987 im Verlag Als Peter Pörtner 1984 zurück aus Japan war, besuchte C.G. ihn im Hamburg. Wir planten die JAPAN-Lesebücher. Er las das Gedicht einer Japanerin vor, die er gerade kennen gelernt hatte. Vielleicht das Gedicht, in dem die Titelzeile „Nur da wo du bist da ist nichts“ des ersten Buches von Yoko Tawada vorkam. C.G. war hingerissen. Wollte von diesem Moment an mit dieser Schriftstellerin ein Buch machen – und kannte nur diesen einen Text aus dem Mund von Peter Pörtner. Kurz darauf lernte sie Yoko Tawada kennen. Mit ihrem Buch. Sie hatte es sich selbst gebastelt, ein kleines Kunstwerk zum Blättern in Streichholzschachtelgröße, japanisch und deutsch, gegenläufig zu lesen. Peter Pörtner übersetzte ihre Texte. Das inzwischen in der fünften Auflage gedruckte Buch sieht diesem kleinen Spielzeugbuch sehr ähnlich... Ein Text darin erzählt von einer Bücherliebhaberin, die im Traum dauernd in Büchern blättert, die noch nicht geschrieben sind... Dieses Buch erzählt so viel vom Büchermachen, dass wir es immer wieder zitieren, um den Verlag in Kurzform zu beschreiben: „Das chinesische Schriftzeichen für Körper setzt sich zusammen aus den Zeichen für Mensch und Buch. Heißt das, dass der Körper ein Buch ist, das nur in der Welt ist, wenn jemand in ihm blättert?... “ Blättern als erotisches Moment – Es geht nicht unbedingt darum, etwas zu sehen, sondern um den Moment des Peter Pörtner, ca. 1998 Umschlagens, des Blätterns selbst (klar, Sie wissen es, man sieht auch „was“ in unseren erotischen Büchern... aber zugleich geht es um das „Dazwischen“, zwischen den deutlichen und sanften Bildern der Lust, den theoretischen und poetischen Texten) – und insofern war dieses Buch von Yoko Tawada nicht nur, weil es ihr erstes Buch war, sondern überhaupt für den Verlag und für unser Verständnis von Erotik wichtig. „Yoko Tawada beschreibt die Welt so, wie sie aussähe, könnte man gleichzeitig träumen und hellwach sein...“ (die tageszeitung) Wir publizierten ihre ersten Texte in „Mein heimliches Auge 2“ (1985) und Japan-Lesebuch (1986). 1997 erschien „Nur da wo du bist da ist nichts“ – 1991 begann sie in Japan Bücher zu publizieren, ihren ersten Text auf deutsch, „Wo Europa anfängt“, schrieb sie 1989 für „konkursbuch Reisen“. Inzwischen ist Yoko Tawada eine international erfolgreiche Schriftstellerin, mit Literaturpreisen geehrt (zuletzt, März 2005, Goethemedaille), ihre Bücher wurden ins Englische, Italienische und Französische übersetzt. Sie hatte über 500 Lesungen in aller Welt. Das Japan-Lesebuch entwickelte sich ebenfalls zu einer kleinen Reihe, mit essayistischen Texten zu Kultur, Psychologie, Wirtschaft, Philosophie in Japan und vielen in Deutschland erstveröffentlichten Erzählungen und Gedichten. „Die Japan-Lesebücher gehören wohl zum Gründlichsten, Kenntnisreichsten und Kurzweiligsten, was es bei uns zu diesem Thema gibt“. (Frankfurter Rundschau) 10 La Palma & Canarias Anfang der 80er Jahre fuhrC.G. auf die Insel Lanzarote und verliebte sich in diese Insel, „floh“ 1982 vor dem Massentourismus auf die Insel La Palma. Und verliebte sich auch in diesen Ort. Die Folge: 1985 erschien das erste Reisebuch, das es von dieser Insel gab. Eine Mischung aus Essay, Literatur von Autoren der Insel, zweisprachig, mit unspektakulären Bildern kleiner Details – keine Postkartenlandschaften, kein Reiseführer. Es wurde von den inzwischen sicher über 20 erschienenen Reiseführernicht ersetzt und ist in der 8. Auflage. „Das schönste Reisebuch aller Zeiten“ schrieb die Berliner Zeitschrift „tip“. Später las C.G. auf der Insel das Manuskript von Harald Körke „Noch ein verdammter Tag im Paradies“. Lernte ihn dann auf dieser „Aussteigerinsel“ kennen – viele gingen nach Tschernobyl dorthin, manche sogar, weil sie das La-Palma Buch gelesen hatten – so der Berliner Auslieferer des Verlags oder der Gestalter des La Palma Buchs. Über La Palma also schrieb Körke diese melancholisch-komischen Geschichten, die sich als Bestseller entpuppten – seine über 17-jährige Existenz auf der Insel aber beendeten. „Körkes Geschichten sind kleine manchmal chaplineske aber nie ins pur Lächerliche gehende Balladen über einen Haufen von Missverständnissen und Desillusionierungen. Sie erinnern in ihrer seltsam distanzierten Üppigkeit an die frühen Geschichten von Marquez...“, schrieb Matthias Horx in „Die Zeit“. Auch in Udo Oskar Rabsch‘ Romanen „Tazacorte“ und „Kaiman links“ taucht man in die extremen, beunruhigenden und berauschenden Landschaften dieser Insel. Irgend jemand, man hat nie herausgefunden wer, jemand, der sich vielleicht zu erkennen glaubte – obwohl diese Geschichten auf jeder Insel hätten spielen können – setzte Körkes Häuser in Brand, der Autor verließ die Insel. Aber er schrieb weiter über das Leben auf Inseln. Über La Palma schrieb er noch „Die Kräuter des langen Lebens“ (Interviews mit Uralten auf der Insel, sowie die Beschreibung der Kräuter – allerdings gab es auch hier wieder eine (kleine) Katastrophe: Übersetzungsfehler – so wurde der palmesische Spezialausdruck für eine Heilpflanze ins Deutsche mit einer äußerst giftigen Pflanze übersetzt... (wir klebten natürlich eine Korrektur ein... überhaupt haben wir diverse hübsche Korrekturzettel produziert: so schnitten einmal alle Mitarbeiterinnen 2000 Fische aus Silberpapier für ein Buch von Yoko Tawada aus, in dem bei einer Nachauflage durch eine Korrektur einige Zeilen am Ende der korrigierten Seiten verschwunden waren...) Im Herbst 2005 wird das „Kanarische Lesebuch“ erscheinen, wieder zweisprachig, historische und aktuelle Texte von kanarischen und deutschen Autoren und viele teils historische Bilder: Kunst & Fotografie. Liebeserklärungen, Dokumente einer Sehnsucht, Beiträge über das Kommen und Gehen... 11 ...Autorinnen, Autorinnen Regina Nössler schickte ihre erste Geschichte über ein erotisches Abenteuer im Sauriermuseum „...wäre es mir ein Rätsel wo sie sonst zu veröffentlichen wäre wenn nicht bei Ihnen.“ C.G. las den Text erst Monate später – und war begeistert. Es folgte ein unterhaltsamer Briefwechsel, damals noch handschriftlich (zunächst per Post, später als große Neuerung per Fax, Email gab’s noch nicht), gespannt erwarteten wir die jeweils neuesten Kapitel des Buches über das Frauenpaar Henriette und Hildegard, „Strafe muss sein“. Es handelt Claudia Gehrke, 2002 von den Ambivalenzen aus Gemeinheit und Lust, die sich in jeder langen Beziehung aufbauen – ein sehr komisches und zugleich sehr erotisches Buch, selten in deutscher Literatur. Es folgen Erzählungen – mit der in vielen Anthologien nachgedruckten Titelgeschichte „Wie Elvira ihre Sexkrise verlor“ und viel & gut rezensierte Roman „Wahrheit oder Pflicht“ über die Pubertät. Dagmar Fedderke, Regina Nössler und Yoko Tawada 2002 Sie schildert mit detailgenauem Blick die Fallen des Alltags und in Beziehungen. Über Nösslers zuletzt erschienenen Roman „Eifersüchtig durch den Winter“ schreibt das „magdeburger citymagazin“: „...gehört zum Komischsten und gleichzeitig Ehrlichstem, das die deutsche Literatur in letzter Zeit hervorgebracht hat. Weitab vom Geschwafel sogenannter Popliteraten ist ihr ein unglaublich unterhaltsames und vielschichtiges Buch gelungen, das vielleicht gerade deshalb heraussticht, weil es eigentlich nichts Besonderes sein will.“ Regina Nössler gibt außerdem „Mein lesbisches Auge“ mit heraus, und sie hat Konkursbuch-Themen vorgeschlagen und herausgegeben, so konkursbuch 33, „Blut“, 36, „Haare“, 41, „Haut“, 44: „Schreiben“. Von Annette Berr las C.G. vor vielen Jahren mit großer Begeisterung „Nachts sind alle Katzen breit“ und versuchte daraufhin jahrelang vergeblich, sie zum heimlichen Auge einzuladen – vergeblich deswegen, weil sie eine Zeitlang nur Musik machte. Der Verlag, in dem ihre ersten Bücher erschienen, existiert nicht mehr – und als sie wieder zu schreiben begann, kam sie mit der „Orgasmusmaschine“ zu uns. Zuletzt erschienen ihre gesammelten Lieder & Gedichte „Ein Wimpernschlag, der Fallbeil ist“. Sigrun Casper, 2002 Annette Berr, 2001 Ein Manuskript wurde C.G. von Andreas Meyer vom Merlin Verlag weitergereicht: Dagmar Fedderke, Die Geschichte mit A. Sie las es im Zug, auf der Strecke Stuttgart-Berlin, in einem Atemzug,fasziniert von der schnörkellosen Sprache, die scheinbar auf der Oberfläche der Ereignisse bleibt, und damit die Paradoxien des sexuellen Lebens, und auch die Gefühlstiefen viel besser einfing als jene schwülstigen gefühlsbeladenen Texte, die man zu der Zeit vor allem zu lesen bekam. (Später vermissten besonders männliche Rezensenten die „Gefühle“). Dieses Buch wurde einer unserer „Bestseller“, ein literarischer „Frauenporno“, ein erotischer Klassiker, der sich auch heute noch in achter Auflage verkauft – erschienen 1993 lang vor den immer wieder auftauchenden medialen Begeisterungsstürmen für DIE neuen erotischen Autorinnen aus Frankreich und dem Rest der Welt. Auch Fedderkes zweites Buch, „Notre Dame von hinten. Liebesgeschichten aus Paris“ ist inzwischen in der sechsten Auflage, zuletzt erschien, „Rendez-Vous de Charme“. Ein anderes Manuskript kam von auf Empfehlung des Autors Mario Wirz: Sigrun Caspers Geschichte einer unmöglichen Liebe, Handschrift eines Mordes... Wieder fesselte das Buch sofort, wieder im Zug,: „Ein ausgefeiltes Dramolett“ (Magazin). Weitere Bücher: „Bleib Vogel“ (Liebesgeschichten, zwischen Freiheitsanspruch & Sehnsucht nach Gebundenheit) 12 Krista Beinstein & Cléo Uebelmann Claude Alexandre und Veronika Nadj Claire Garoutte, alle Verlagsfest 1996 Roman„Salz und Schmetterling“ (zarte Geschichte einer Urlaubsliebe, „herzhaft, echt und unsentimental“), die Miniaturgeschichten „Zweisamkeit“ („Ihr gelingt es, an der Imagination zu zündeln“ (Badische Ztg.). Herbst 2005 ein Roman mit ungewöhnlichem Thema: „Eine andere Katze“. Phoebe Müller (1999), Sonja Ruf 2001), Brigitte M.Mayer (1995), Udo O. Rabsch (1981) C.G. hätte nicht gedacht, dass ein „nicht-menschliches“ Thema so fasziniert, und las das Manuskript zunächst „privat“, nicht unter dem Aspekt der Veröffentlichung – und konnte nicht mehr aufhören zu lesen: was könnte es heißen, in einer von festen Regeln der Natur (oder der Kultur) bestimmten Welt anders zu sein. Spannend wie ein Krimi... Sonja Ruf schickte immer wieder Beiträge für „Mein heimliches Auge“, „Gerne hängt sie ihren Träumen und Fantasien nach, und ebenso gern folgt man ihnen, weil sie so leicht und schön hingetupft sind.“ schrieb DIE ZEIT zu ihrem ersten bei uns erschienenen Roman „Sprungturm“. Andere Autorinnen wurden mir von meinen meist sehr jungen Lektorinnen vorgeschlagen... So verlegten wir die ersten Bücher der inzwischen recht bekannten Karen-Susan Fessel, ihr erstes hieß „Abends mit Beleuchtung“, entdeckt und lektoriert von Ursula Hepp. Phoebe Müllers weiblicher Western „Fernes Feuer“ wurde von Kim Riemann gefunden – zu ihrem zweiten Buch „Schlachthof der Lüste“ schrieben die Schlagzeilen: „Ein Beweis, dass geile Geschichten auch künstlerisch hervorragend geschrieben sein können.“ Die „Kurgänger“ von Elisabeth Göbel, ein mit zarter Ironie gespickter Text über ein „mittelaltes Ehepaar“ wurde begeistert von einem 19-jährigen Praktikanten aus den Manuskriptkisten gefischt. Stephanie Selliers köstliche Kurzgeschichten las Anja Hansen-Schmidt. „Sie bringt das Zwerchfell zum Beben. Mit viel Liebe Daijna Roos zu Peinlichkeiten, absurden Zwischenfällen und Situationskomik skizziert sie die Leidenschaften des Lesbenalltags“, schrieb das Schwäb.Tagblatt zu „Frisch aus der Hölle“. Herbst 2005 erscheint ihr drittes Buch. Geschlechterverwirrungen in Paris – die Fotografin Daijna Roos mit ihrem Thema „Androgyn“ lernte C.G. bei Claude Alexandre kennen, Claire Garouttes Buch war für französische Verlage zu schwierig, Alexandre Dupouy regten die AUGEn zu seinen colorierten Szenen an. Und als Claude Alexandre uns Bilder zuschickte, hielten wir sie für einen Mann – und wollten nur darum kein Buch mit ihr machen – weil wir anfangs ausschließlich Fotobücher von Frauen zu verlegen vorhatten. „Sublime Mutations“, so der Titel des Fotobuchs von Del LaGrace Volcano – in dem sie/er sich mit Körpern zwischen alt und jung, gesund und verletzt, männlich und weiblich, mit der Erotik der Verwandlungen beschäftigt. Wir verlegen inzwischen also auch Bücher von männlichen Fotografen, deren Ästhetik sich von der gängigen „Herrenmagazin“- Bilderwelt unterscheidet – etwa die Aktportraits von Thomas Karsten. „Karsten liefert ehrliche Akte und einen fast femininen Blick.“ (Fotomagazin) oder die colorierten Szenen von Alexandre Dupouy. „Zwischen den Geschlechtern“ bewegen sich auch der spanische Fotograf César Saldívar („Juegos de luces“, „Spiegelungen des Weiblichen“ und „Reflexionen des Männlichen“, eine Formensprache der Körper, fast im Stile vonMan Ray) und die Ostberliner Fotografin Anja Müller, die Männer und Frauen in zarter Sinnlichkeit inszeniert, beim Sex fotografiert. Bekannt wurde ihr Buch „Sechzig plus“: „Sie zeigt, dass Erotik alterslos ist... Verschämtheit und Aufbegehren, Zweifel, sich auf die 13 Situation eingelassen zu haben und spitzbübische Lust, sich zu zeigen... Humor, Schalk, Selbstironie, Mädchen- und Jungenhaftigkeit fliegen mich an.“ Bridge Markland sprach C.G.nach einer Veranstaltung an und zeigte Bilder. Später sprang sie bei einer der ersten Love-Bites-Shows für eine krank gewordene Künstlerin ein, und ist seitdem mit ihren Performances auf fast allen unseren Love-Bites-Veranstaltungen dabei – und publizierte ihre Bücher „Portraits“ und „Stripped“. Die Fotografin/Filmemacherin Cléo Uebelmann traf C.G. Mitte der 1980er auf dem berühmten „Secred Minds Festival “ in Köln, auf dem ihr Film „Mano Destra The Dominas“ vorgeführt und heftigst mit Alice Schwarzer diskutiert wurde. Diesen „Klassiker“ gibt es bei uns auf Video, und dazu das Buch mit Stills und anderen Fotos. Krista Beinstein sah das Buch von Cléo Uebelmann und schickte mir dann ihren „Rausch der Triebe“. „Seit Jahren beschäftigt sie sich in ihrer Kunst unbeirrbar mit Grenzüberschreitungen in der weiblichen Sexualität. Ein wahres bad girl.“ (O) Inzwischen sind 7 Fotobücher von ihr im Verlag erschienen. Gerburg Treusch-Dieter lud mich 1984 zum Seminar „Frauen und Macht“ nach Berlin ein – seitdem entwickeln wir immer wieder einmal in „becircenden“ Gesprächen konkursbuch-Themen und Texte für die konkursbücher und die heimlichen Augen – die „heimlich“ unter verschiedenen Pseudonymen erscheinen... Zuletzt hat Gerburg Treusch-Dieter konkursbuch 42, Auto, mitherausgegeben. Andere traf C.G.auf der Buchmesse – in einem Zustand nachproduktiver Leere. Thomas Karsten stellte zusammen mit HoldeBarbara Ulrich sein erstes Buch „Transsexuelle in Deutschland“ vor – inzwischen gibt es 5 großformatige Fotobände, und einen kleineren, „Days of Intimacy“ – eine Liebesgeschichte mit der Kamera, „...ein Rausch auf Zelluloid, fast wie in einem Roman von Henry Miller“ oder „...kann man einen Menschen mit der Kamera lieben? Man kann...“ schrieben die Rezensenten. Karin Rick kam einst mit dem Projekt „Das Sexuelle, die Frauen und die Kunst“: es wurde konkursbuch 20. Frühjahr 2005 erscheint ihr viertes Buch bei uns, der Roman „Wilde Liebe“:„...wie durch ein Brennglas analysiert sie die Feinmechanik menschlicher Beziehungen“ (Dr. Matt, Direktor der Kunsthalle Wien). „Sie kann die Ambivalenzen der Lust messerscharf erkennen“ (lespress), und „geil ja, für Voyeure nein“ (Buchkultur, zu dem Roman „Sex ist die Antwort“). Brigitte Maria Mayer kam mit Ina & Asteris Kutulas (von ihnen waren Übersetzungen von Ritsos, und eigene Texte zu Griechenland bei uns erschienen) – und zeigte „perfext sister“: „Ein intimes und höchst sensibles visuelles Angebot an Männer und Frauen, für die ein entblößter Körper alleine nicht reicht.“(Photonews). Wir druckten für dieses Buch Lichtdrucke als ersten Auftrag nach der Wende 1990 in der Leipziger Lichtdruckerei (und bereiten im Moment eine broschierte neue Auflage vor). Als das Buch ein Jahr später erschien, lernte sie auf der Buchmesse Heiner Müller kennen... Manche Bücher wurden in der Produktion immer teurer – die Verführung durch zauberhafter Gestaltungsideen – Lichtdrucke hinter handeingebundenem Seidenpapier, Zwiebelpapier, Golddruck, Job-Parilux-Papier, auf dem Lack gebraucht wird, damit die Druckfarbe nicht abfärbt, speziell gefaltete Schutzumschläge, transparente Schablonen... diese Verführbarkeit brachte uns immer wieder einmal in große ökonomische Schwierigkeiten.... Doch mit das Schönste an der Verlagsarbeit ist sie immer noch: die Druckvorstufe, das Selber-Basteln: Fotosession für „Mein heimliches Auge“ im Garten von Hans-Dieter Bahr 14 Titelbildproduktionen „Mein heimliches Auge“, Nr. VIII, X und IV Produktionsgeschichten Vor der Frankfurter Messe verbachte C.G. (& Praktikantinnen) bis vor zwei Jahren immer ein bis zwei Wochen in der Druckerei. Und bei Günter Seidel, dem Maler, Grafiker und Layouter des Heimlichen Auges, das jedes Jahr vor der Frankfurter Buchmesse produziert wird. Auf dem Fußboden die von Seidel liebevoll per Klebeumbruch nach C.G.s Kombinationsideen zusammengebauten Seiten, dazwischen kriechend C.G., eine PRaktikantin und manchmal Uve Schmidt als „männlicher“ Blick. Wir schieben das ganze hin und her, bauen noch etwas ein, und zum Schluss irgendwann funktioniert die Anordnung, die Collage aus kontrapunktisch spielenden Seiten. Inzwischen entsehen auch die „Augen“ und die „konkursbücher“ am PC in Hagelloch, die Mitherausgeberinnen oder der inzwischen 80-jährige Layouter G.Seidel sitzen neben C.G. Manchmal möchte G. Seidel auf den Bildschirm zeichnen, so wie er früher in die Leerräume des Klebeumbruchs gezeichnet hat, um zu verdeutlichen, welches Bild er sich da vorstellen könnte. Manchmal haben wir einfach seine Originalskizzen gelassen. Fast alle Bücher werden mit den Autorinnen zusammen gestaltet, es werden Farben ausgewählt, Schriften diskutiert und Titelbilder gefunden. Viele Bücher sind auf dem Fußboden der Verlagsräume entstanden, aus einer großen Menge Kisten mit eingegangenen Beiträgen: da sitzen die zwei bis drei Herausgeberinnen in Hagelloch und „basteln“ Bücher... Manchmal erfinden sie im letzten Moment kleine Gemeinschafts-Gedichte, um eine Lücke im Layout zu füllen, oder fotografieren, was fehlt... Titelbildideen mit Aufklappeffekt entstehen und werden von professionellen Fotostudios verwirklicht – oder auch mal „privat“. Und wenn wir dann mit jener leicht depressiven Leere nach dem produktiven Rausch auf der Messe sitzen, finden wir dort natürlich in jedem ersten Exemplar Druckfehler, die vorher keiner gesehen hatte, oder ein Bild, das auf dem Kopf steht... Titelbildproduktion von Regina Nössler, „Eifersüchtig durch den Winter“ Titelbildproduktion Auge XVII, 2002, Fotografin: Anja Weber 15 Alltag Bisher klingt es so, als würde die Verlegerin sich permanent in Autorinnen oder Texte verlieben und dann einfach Bücher machen... Nun noch etwas zum Alltag. In den ersten Verlagsjahren – als der Verlagsraum in besagtem Altstadthaus war – schleppten wir die Bücher in den dritten Stock und machten von dort die Auslieferung selber, bis wir etwa 1982 zur SOVA gingen. Wir, das heißt wechselnde FreundInnen und C.G. Vor dem Gang zur Auslieferung versuchte sich kurze Zeit der Vater und dann der Bruder nach dem Abitur mit der Auslieferung aus Frankfurt, mit handgeschriebenen Rechnungen... und in der Münzgasse lebte der Verlag inmitten von Praktikantin Kerstin Mächler bei der Assistenz zum Umbruch „Auge“ in der Wohnung des Layouters. Bücherkisten, sogar unsere Betten waren auf Bücherkisten gebaut, und zwischendrin der „Mittwochssalon“. Günter H. Seidel, der Layouter des „Auges“ auf der Buchmesse, mit der Tänzerin und Puppenspielerin 1982 zog C.G. samt Verlag Carola Pander, die uns auf Love Bites und um nach Hagelloch, ein Buchmessen mit ihren Darstellungen als lebendige idyllisches Dorf auf einer der Puppe oder erwachende Venus begleitet. vielen Anhöhen Tübingens am Schönbuchrand. Eigentlich planten wir, nach Westberlin zu ziehen – uns schreckte jedoch die Insellage ab – so wurde es Hagelloch – in der Mitte zwischen Paris, Wien, Berlin, München, London, Mailand, Madrid – die Städte, in denen die BuchautorInnen des Verlags leben – seit der Wende immer mehr in Berlin. Auch der Verlag hat dort bei einer Autorin ein Gastzimmer... Also: Hagelloch, ein kleines Haus am Friedhof, unten wohnen Schwester & Nichte, Hund & Katze, oben im Dach die Verlegerin & Autorinnen auf Reisen, und in der Mitte der Verlag. Ganz im Sinne des ersten Layouts der Bücher: schwarzer Kater mit weißem Fleck, schwarze Hündin mit weißem Fleck, und ein schwarzes Auto mit Beulen... und permanent unterwegs. Layout von Anja Müllers Fotobuch „Männer“ im Hagellocher Dachstock mit Silvy Chakkalakal, Ruth Stützle, Anja Müller... Thomas Karsten in der Druckerei Jocelyne u.Alexandre Dupouy in der Druckereimit Druckereimitarbeitern 16 Seit etwa Mitte der 80er Jahre beschäftigt der Verlag ein oder zwei MitarbeiterInnen, stundenweise. Die Zahl der Bücher pro Jahr wuchs auf 12 bis16. In Hagelloch ist es sehr eng, drei kleine Lagerräume in den Garagen am Haus und bei der Nachbarin. Von Anfang an gab es ein kleines Mailorder-Versandgeschäft, das unsere Bücher neben dem Verkauf über Verlagsvertreter und Buchhandel verkauft. Da saßen also in der VerlagsWohnung: eine stundenweise bezahlte Mitarbeiterin auf dem Sofa, die sich in Pressearbeit und im Lektorat versuchte, eine Praktikantin am PC, oder auch auf dem Sofa, Korrekturen lesend, eine dritte machte einmal in der Woche die Buchhaltung, C.G. bastelte Bücher und telefonierte, einer packte die Pakete – und übernahm dann für einige Jahre den Mailorder-Versand. Bis sie geschlossen wurde, überfüllten die Paketberge aus unserem Versand regelmäßig die Minipost des Dorfes. An Versandtagen standen wir alle jahrelang in Hagelloch bei schönem Wetter vor dem Haus und packten und brachten Berge von Paketen in die winzige Hagellocher Post. Am Tag, an dem die Post geschlossen wurde, luden sie die Postmitarbeiterin, Frau B., zu einem Sekt in den Verlag. Und Frau B. berichtete von den Gesprächen mit den Hagellochern über die Paketberge... Wenn die ganze Nacht das Licht brennt, sagt eine der netten alten Nachbarinnen nur: oh, Sie haben wieder die ganze Nacht geschafft – was meistens auch stimmt. Wenn kein Licht brennt, macht sie sich Sorgen. Um den Verlag herum leben, bzw. lebten viele alte Frauen. Eines der erotischsten Landgedichte hörte C.G. an einem ihrer ersten Tage in Hagelloch von einer dieser Frauen, die schon lange nicht mehr lebt – auf einem Straßenfest. Irgendwas über Rüben und Bauern, die nach der Arbeit zu müde waren... Der erste Versandmitarbeiter in Hagelloch, ein ehemaliger Verlagsvertreter, schrieb die Rechnungen und Mahnungen noch per Hand - in gedruckte Formulare, bis er C.G. 1993 – mit Mühe – zu einem Computer überredete. Mitte der 90er Jahre eröffnete Berndt Milde das Mailordergeschäft – aus der DDR, mit allen positiven Eigenschaften von dort: dass man z.B. Kartons nicht unbedingt immer kauft, sondern irgendwo „besorgt“. In Halle an der Saale war er Handwerker und Requisiteur, beides sehr sinnvoll. So findet er auch für uns manche Requisiten für Titelbilder ... Im seinem Versandbuchhandel half ihm fast 10 Jahre, (bis 2004) der Philosoph Gerd Bergfleth – der schon bei den gründenden Mittwochssalons mitdiskutierte und schrieb. Jetzt lernte er die abenteuerliche Welt der Bürogegenstände kennen – Neue Gegenstände sorgten regelmäßig für Unterhaltung. Als wir die ersten Videos unserer Fotografinnen in den Versand aufnahmen, schaute der Philosoph mit fragenden Augen auf eine Kassette – ohne Hülle – und sagte, dass er sich jetzt endlich an den Versand der Kassette heranwagen würde und die verschicken wolle: doch wie geht die auf? Er dachte er müsse das Band als solches herauslösen und dieses Plastik drumherum sei Abfall. Vom Tesafilmabroller bis zum Heftklammerentferner – wie wir bei Yoko Tawada später in Talisman nachlesen konnten, ist die Welt der Gegenstände sehr sinnlich und lebendig und in jeder Sprache eine andere... Und immer gab es diese begeisterten und engagierten junge PraktikantInnen, die später irgendwo Lektorinnen oder Pressefrauen wurden ... Sie kamen oft von weit her, nur um bei uns ein Praktikum zu machen – aus Paris und Berlin, Kiel und München. Manche machten auch mehrmals ein Praktikum bei uns. Der Blick aus ihren Augen war auch für manche Bildauswahl in den Jahrbüchern wichtig, 17 oder bei der Entdeckung neuer Autorinnen. 1989, direkt nach der Wende schrieb C.G. in der jungen Ostberliner Zeitschrift Sondeur in der ersten Nummer ein „Plädoyer für scharfe Schamlippen“ und in der zweiten über den Verlag – so kam es schnell zu LeserInnen und vielen Briefen aus dem „Osten“. Eine bestellte gleich mutig Krista Beinstein, unsere Fotografin mit extrem harter lesbischer Fotografie – und schickte sie zurück – entsetzt. Trotzdem lud sie C.G. zu einem Vortrag in ein Ostberliner Frauenzentrum ein, und anschließend kam sie zu mehreren langen Praktika nach Tübingen und machte dort ihre Erfahrungen mit dem realen „Westen“ der Kleinstbetriebe – und publizierte ihren Erstling „Ansterdamer Clit Clip“ – jetzt ist Cornelia Saxe Journalistin in Berlin. Für Lektorat, Presse und die Organisation von Veranstaltungen arbeitetet im Moment Marion Malinowski. Nachdem 1996 dort eins der großen Verlagsfeste stattfand, mieteten wir 1997 einen zusätzlichen Verlagsraum im Sudhaus, einer ehemaligen Bierbrauerei und jetzt ein VeranstaltungsSudhaus, 1997, 1998 mit Yoko Tawada zentrum. Und wir konnten uns schon bald nicht mehr vorstellen, wie das alles, was darin passiert, früher hier, in der kleinen Verlags-Wohnung passiert ist – die natürlich weiterhin zur Produktion und Pressearbeit „in Betrieb“ ist. Eigentlich funktioniert der Verlag wie eine Familie, auch wenn diese „Family“ aus AutorInnen & MitarbeiterInnen nichts mit Ehe und Verwandtschaftsbesuchen zu tun hat – mit Streit und Tränen, Spaß und Vergnügen und solidarischer gegenseitiger Unterstützung... Schutzumschlag um legen mit Praktikant Philipp & Pressemitarbeiterin Sylvy & Philosoph Gerd Bergfleth & Verlegerin, nachdem das Original ohne Schutzumschlag mit der damaligen Modefarbe „grausliges grasgrün“ der Autorin & auch der Verlegerin nicht geliel... 18 Blixa Bargeld & Kain Karawahn nach der Zensurfeueraktion 1998 im Sudhaus Karin Rick & CG, Del LaGrace Volcano, Freundin,CG, Der Raum im Sudhaus, in dem das Mailordergeschäft ist, quillt über vor Büchern und Bildern wechselnder Foto/Kunst-Ausstellungen und einer Buch-Ausstellung. Über Besucher freuen sich B. Milde. Die Öffnungszeiten erfahren Sie über: Tel. 07071 78779 Ein bis zwei Mal im Jahr machen wir im Sudhaus auch große Veranstaltungen, so die „Love Bites“-Nächte mit Autorinnen, Performancekünstlerinnen und Tänzerinnen, Musikerinnen, mit Bridge Markland, Annette Berr, dem Duo Caprice oder Miss Kenichi, Carola, Katharina oder den Tänzerinnen (vor allem Anelia) der kleinen Nachtrevue, auch mal mit dem Feuerkünstler Kain Karawahn, der inzwischen zwei Feuerbücher im Verlag veröffentlichte. Nicht nur in Tübingen, in vielen anderen Städten von Berlin bis Basel treten die Autorinnen und Künstlerinnen auf. Yoko Tawada hatte inzwischen um die 500 Lesungen und Auftritte mit der Jazzpianistin Aki Takase. Die literarischen und fotografischen Autorinnen und Autoren des Verlags publizierten – fast immer – ihre ersten Bücher bei uns, und sie waren vorher im heimlichen Auge oder im konkursbuch – So wuchs und wächst der Verlag wie ein Baum, eines kommt aus dem anderen und verzweigt sich unvorhersehbar und unbeschnitten. Unser Prinzip ist: die Bücher der „festen“ Verlags-AutorInnen soweit wie möglich in immer wieder neuen Auflagen lieferbar zu halten – und so verkaufen wir als kleiner Verlag von manchen Titeln über einen längeren Zeitraum so viele (oder mehr ?! ) Exemplare wie große Verlage vielleicht in sehr kurzen Zeiträumen verkaufen können. Diese eher langsame „Verkaufsgeschwindigkeit“ vieler Titel ist in größeren Verlagen undenkbar. Da der Verlag nicht endlos wachsen kann, wurde es immer schwerer, neue „feste“ AutorInnen aufzunehmen. Eine Zeitlang erschien bei uns als Reihe „el!es“ (erfolgreiche lesbische Unterhaltungsliteratur, inzwischen selbstständig als Verlag.) Um mehr Texte, die wirklich gut sind, veröffentlichen zu können, erfanden wir die neue Buchreihe „Liebesleben“. Seit Ende Aki Takase & Yoko Tawada 2004 erscheinen kleine handliche schöne Bücher, Klappenbroschur mit Fadenheftung: Romane & Erzählungen, romantisch, überraschend, doppelbödig und erotisch. Es geht um Untiefen der Sexualität und der Liebe. Claudia Wessels “Zu dritt” (bereits in 2. Auflage) und “Affäre”, Karin Ricks “Wilde Liebe”, Ina Pauls “Auf und davon”, Andrea Karimés “Die Briefträgerin”, Paulina Schulz’ “Wasserwelt” und Regina Nösslers “Dienstagsgefühl”. Außerdem längere Essays in einer kleinen Serie z.B. “Schillers Spieler und Schurken” von Jürgen Wertheimer... „Warum ich Verlegerin bin: das sind wahrscheinlich einfach diese durch nichts zu ersetzenden Glücksgefühle, wenn sich aus vielen Einzelteilen ein Ganzes fügt, das man immer wieder neu lesen und anschauen kann. Wenn sich im Gespräch mit AutorInnen, MitarbeiterInnen, FreundInnen eine vage Idee entwickelt, die sich in einem Buch materialisiert. Und: dieses frisch gedruckte Buch aus der Druckerei zu holen und durchzublättern und anderen beim Durchblättern zuzusehen...“ 19 backstage Titelbildproduktion von „Mein heimliches Auge X Verlagsveranstaltungen: mit Marlon Shy, 1998, Krista Beinstein, Regina Nössler, 1998, Olivia Wallner, Nicola Gehrke, Praktikant, 1997, Bridge Markland 2001 20 25 Jahre Verlag Verlagsfest 2003 20 21 konkursbuch Verlag Claudia Gehrke Hechinger Str. 203 (Atelier im Sudhaus) D-72072 Tübingen PF 1621 - D-72006 Tübingen Tel. 0049 (0) 7071 66551 Fax 0049 (0) 7071 63539 E-Mail: [email protected] www.konkursbuch.com 22