EMV-gerechte Ausführung von Schaltschränken

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FÜR DIE PRAXIS
Elektromagnetische Verträglichkeit
EMV-gerechte Ausführung
von Schaltschränken
H. Lohrey, Herborn
Ist Ihr Gehäuse zu den EMV-Normen EN 55 022 Klasse B [1], EN 61 000-4-2
[2] und DIN ETS 300 132 [3] konform? So oder ähnlich lauten die häufigsten
Fragen zur elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV) von Gehäusen und
Zubehör. Der folgende Beitrag zeigt wie sich die erforderliche und mögliche
Schirmwirkung von Leergehäusen – als Beitrag zur EMV von Maschinen- und
Anlagen-Steuerungen sowie von informationstechnischen Einrichtungen –
beurteilen lässt sowie Grundregeln zur EMV-gerechten Installation.
1
Sicherung der EMV
durch Gehäuse
Es gibt keine EMV-Konformität für leere Gehäuse und mechanische Zubehörkomponenten, da es keine standardisierten EMV-Anforderungen an leere Gehäuse gibt. Um eine fundierte Aussage zu treffen, sind konkrete
Angaben erforderlich, die man vom Anwender
benötigt, ohne die es ein optimales Beratungsergebnis zum EMV-gerechten Schaltschrank für eine bestimmte Anwendung nicht
geben kann.
Es ist notwendig, eine definierte Schirmwirkung zu erreichen zur
• Verminderung ungewollter Abstrahlung, um
Störungen der Umgebung zu vermeiden und
um den unrechtmäßigen Empfang sicherheitsrelevanter Daten auszuschließen,
• Verminderung von Einstrahlungen aus der
Umgebung zum Schutz des eingebauten
Systems, und außerdem zur
• Unterstützung der EMV-gerechten Installation.
Maßgebendes Beurteilungskriterium des Gehäusebeitrags zur EMV kann nur die Schirmwirkung sein. Damit bieten Metallgehäuse
beste Voraussetzungen für den Anwender, um
gute EMV-Eigenschaften – bezogen auf feldgebundene Beeinflussungen – für Steuerungen von Maschinen und Anlagen sowie auch
Daten- und Telekommunikationseinrichtungen
zu realisieren.
Zur Beurteilung der Schirmungseigenschaften
von Leergehäusen können Schirmdämpfungsmessungen (Bild ) nach
• VG 95373 Teil 15 [4] Messverfahren für
Kopplungen und Schirmungen (Verteidigungsgerätenorm),
• EN 61000-5-7 [5] Schutzarten durch Gehäuse gegen elektromagnetische Störgrößen (mit Klassifizierung der Messergebnisse durch EM-Code) oder
• IEC TS 61587-3 [6] Gehäuse für Elektronik
– Anwendungen (mit Klassifizierung der
Anforderungen durch „performance level“)
durchgeführt werden, die eine qualitative Aussage ermöglichen.
Quantitative Aussagen sind bei leeren Gehäusen wenig aussagekräftig, da die Installation
mit dem elektrotechnischen System durch
Kabeleinführungen, Sichtflächen und/oder
Klimatisierungsmaßnahmen die Schirmdämpfung stark beeinflusst. Insbesondere um die
Einhaltung bestimmter Grenzwerte der jeweils
anzuwendenden Vorschriften zu dokumentieren (z. B. Funk-Entstörung informationstechnischer Einrichtungen ITE entspr. EN 55 022),
lassen sich die jeweiligen Parameter nur
durch Prüfung des fertigen Gehäuses inklusive Einbauten während des Betriebes ermitteln.
2
Basis-Schirmwirkung
reicht oft nicht aus
Jedes Metallgehäuse bietet bereits eine in
einem weiten Frequenzbereich gute BasisSchirmwirkung (dokumentiert in Dämpfungsdiagrammen, Bild ) gegen elektromagnetische Felder. Diese genügen allerdings in hohen Frequenzbereichen oft den Anforderungen
nicht. Der Grund liegt darin, dass meist nur
eine Potentialausgleichsverbindung an abnehmbaren oder zu öffnenden Teilen vorhanden ist. Die optimale Hochfrequnez(HF)-Schirmung kann durch eine schlitzfreie, leitende
Verbindung aller Gehäuseaußenflächen untereinander zur Absorption hochfrequenter elektromagnetischer Felder erzielt werden – aus
dieser Sicht idealerweise ein komplett verschweißtes Gehäuse.
In der Praxis ist ein Kompromiss erforderlich,
auf der einen Seite mit der
• Abnehmbarkeit von Wänden, dem Öffnen
von Türen und
• Ausbrüchen für Einbauelemente, Klimatisierungsmaßnahmen oder Sichtflächen
und weiterhin dem
• Korrosionsschutz für Metallgehäuse
und der o. a. weitgehend schlitzfreien leitenden Oberfläche auf der anderen Seite.
3
Hohe
Schirmdämpfungswerte
Leitende Spezialdichtungen (Metallgewebe
auf Schaumstoffkörper als Kombinationsdichtungen EMV/IPSchutzart) erzielen
• über den Schutz gegen Staub und Feuchtigkeit hinaus
• hohe Schirmdämpfungswerte im Frequenzbereich bis 1 GHz.
Sie verbinden die metallisch blanken Innenflächen von Türen und abnehmbaren Wänden,
Dach- und Bodenblechen mit den metallisch
blanken Dichtkanten des Gehäusekörpers
oder -gerüstes. Dies hat sich unter Kosten/
Nutzen-Abwägungen als beste Lösung für bestehende Gehäusesysteme erwiesen. Alternativ können bei Neukonstruktionen oder bei
besonders hohen Anforderungen stark überlappende Flächen und eine Trennung von
EMV- und mechanischer (Umwelt-)Dichtung
vorgesehen werden. Dabei sind als EMV-Dichtung auch metallische Federdichtungen mit
ihren besonderen Eigenschaften wählbar.
Grundsätzlich bestimmt hierbei die konstruktive Ausführung des Dichtungssystems die
Autor
Dipl.-Ing. Hartmut Lohrey, Marketing Technical Support/Fachreferent Schaltschranktechnik, Herborn.
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Schirmdämpfungsmessung
Elektropraktiker, Berlin 63 (2009) 9
Elektromagnetische Verträglichkeit
Schirmdämpfung. Je mehr Befestigungspunkte für Wände sowie Scharnier- und Verschlussdruckpunkte für Türen vorhanden sind
und je gleichmäßiger damit der Anpressdruck
und der Kontakt (niedrige Impedanz) von Gehäusekörper und Tür bzw. Deckel entlang der
Dichtungen ist, um so näher kommt man der
Idealausführung. Mit zunehmender Frequenz
des auftreffenden elektromagnetischen Feldes steigt der die Schirmung mindernde Einfluss von Öffnungen im Gehäuse. Daher müssen auch beim Bearbeiten der Gehäuse einige
Punkte beachtet werden, wie z. B. die Verwendung spezieller Dichtungen und Kabeldurchführungen oder der Einsatz von FilterSteckverbindern.
Eine Abschätzung lässt sich vornehmen mit
der folgenden einfachen Beziehung:
• Bei der größten Länge l einer ungeschirmten Öffnung und der
• höchsten betrachteten Frequenz/kürzesten
Wellenlänge λ des elektromagnetischen
Feldes gilt für l > λ/20,
• dass die Schirmdämpfung a < 20 dB ist.
Das heißt zum Beispiel bei 1 GHz (entsprechend 0,3 m Wellenlänge) sinkt bereits bei
einem Öffnungsdurchmesser von 1,5 cm die
Schirmdämpfung unter 20 dB (und damit
unter den Faktor 10).
Zum Vergleich: Die oben angeführte Norm IEC
TS 61587-3 beschreibt folgende „performance level“ (Anforderungsstufen):
Level
1
2
3
Frequenzbereich
30–230 MHz
20 dB
40 dB
60 dB
230–1000 MHz
10 dB
30 dB
50 dB
Im Bild ist das Schirmdämpfungsdiagramm
dargestellt. Die HF-Dämpfung a (dB) gibt das
Verhältnis zwischen dem Feld in der Umge-
FÜR DIE PRAXIS
Schirmdämpfungsdiagramm
bung und dem Feld im Gehäuseinnern im
logarithmischen Maßstab an:
a = 20 lg E0/E1 oder a = 20 lg H0/H1 ,
mit dem Index 0 für die ungeschwächten
Werte und dem Index 1 für die geschirmten
Werte.
Eine optimale Gehäuselösung setzt voraus,
• dass die Anforderungen an das Gehäuse
hinsichtlich vorliegendem Feldtyp (elektrisches Feld, magnetisches Feld oder elektromagnetisches Feld), Frequenzbereich
(z. B. von 10 MHz bis 100 MHz) und
• erforderlicher Schirmwirkung (Dämpfung a)
sowie
• weitere elektrische (interne Erdung/Potentialausgleich) und mechanische Anforderungen (z. B. Ausbrüche für Klimatisierung, Sichtfenster usw.)
bekannt sein müssen. Für die Ermittlung aller
notwendigen Informationen ist die Checkliste
nach Tafel hilfreich.
EMV lässt sich auch mit Kunststoffgehäusen
erreichen, wenn diese aus anderen Gründen
im Anforderungsprofil stehen. Die Möglichkeiten für eine definierte Schirmwirkung bestehen in der Metallbeschichtung der Gehäuse
(z. B. Aluminium-Beschichtung im Hochvakuum-Verfahren) oder der Beschichtung mit Leitlacken. Leitfähig ausgerüstete Grundmaterialien sind bei großen Gehäuse-Stückzahlen
ebenfalls denkbar, erfordern aber dann möglicherweise andere Herstellungswerkzeuge
mit entsprechenden Kosten.
In der Praxis bleiben allerdings in vielen Fällen
die entscheidenden Fragen nach der erforderlichen Dämpfung und dem betrachteten Frequenzbereich unbeantwortet. Zu beachten ist,
das Beurteilen der erforderlichen Schirmwirkung muss von einem erfahrenen Spezialisten auf der Basis der System-Anwendung
und der Informationen über die elektromagnetische Umgebung vorgenommen werden.
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FÜR DIE PRAXIS
Elektromagnetische Verträglichkeit
Tafel Checkliste für den EMV-gerechten Schaltschrank
Bestehen definierte Anforderungen an die Schirmwirkung des Gehäuses? Oder: Für welche Anwendung ist das Gehäuse vorgesehen?
Wird ein bestimmtes Gehäusematerial aus anderen (als EMV-)Gründen benötigt?
Welche Schirmwirkung ist in welchem Frequenzbereich erforderlich
(bei bekannter Größe und Baureihe)? Diese Frage führt zur schnellen
Auswahl von Standard- oder HF-geschirmtem Gehäuse über die entsprechenden Dämpfungsdiagramme.
Sollen im Gehäuse störstrahlungsaussendende/-empfindliche Komponenten eingebaut werden? Oder: Welche Technik kommt im Gehäuse zum Einsatz?
Wird das Gehäuse in einer Umgebung mit störstrahlungsaussendenden/-empfindlichen Geräten oder Systemen eingesetzt? Oder:
Welche Anlagen, Maschinen, elektrotechnische Systeme sind in der
näheren (bis einige 10 m) Umgebung?
Müssen im Gehäuse störaussendende/-empfindliche Komponenten
besonders gekapselt werden?
Sind diese Komponenten bzw. Baugruppen in 19"-Technik ausgeführt? Dabei entscheidet sich die Auswahl zwischen Baugruppenträger oder Kompaktgehäuse.
Welche Ausbrüche müssen in die Gehäuseoberfläche HF-geschirmter
Gehäuse eingebracht werden? Klimatisierungskomponenten gibt es
in geeigneten Ausführungen (z. B. EMV-Filterlüfter) oder die Lufteintritts-/Luftaustrittsöffnungen müssen separat geschirmt werden
(z. B. Drahtgitter, Lochblech, Wabenkamin).
Für Einbauinstrumente müssen geschirmte Versionen verwendet
werden, für Sichtflächen geschirmte Scheiben.
EMV-gerechtes Gehäuse
4
Installationsgrundregeln
Neben der Schirmung und Auswahl der Gehäuseversion (Standard mit Basis-Schirmwirkung
oder HF-geschirmt) ist die Beachtung einiger
grundlegender Installationsregeln ein wesentlicher Faktor zur Erzielung bester EMV-Eigenschaften:
• Räumliche Trennung zwischen störaussendenden/-empfindlichen Komponenten sowie Kabeln – evtl. Einsatz eines HF-geschirmten Kleingehäuses oder 19"-Baugruppenträgers im Großschrank.
• Großflächig leitender niederinduktiver Potentialausgleich zwischen Befestigungsflächen von Bauteilen/-gruppen im Gehäuse, Verwendung von EMV-Flachbanderdern.
• Großflächig leitende niederinduktive (optimal Rechteck- statt Rundleiter) Verbindungen zwischen allen leitenden Gehäuseaußenflächen
(für
Standardgehäuse),
optimal Verwendung von EMV-Flachbanderdern.
• Potentialausgleich der Kabelschirme (optimal mit 360°-Rundumkontaktierung) an der
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Einführungsstelle, Verwendung von EMVBodenblechen oder EMV-Kabelverschraubungen.
• Nutzung der Montageplatte als optimale Potentialausgleichsfläche auch als Teil des
Schutzleiterkreises (Bild ).
Sowohl die Auswahl des Gehäuses unter dem
Gesichtspunkt der Schirmwirkung als auch die
Einhaltung der Installationsregeln werden erfahrungsgemäß unter Kostengesichtspunkten
als Kompromiss vorgenommen. Auch eine
Überprüfung und Verifizierung der getroffenen
EMV-Maßnahmen mit den Mitteln der Messtechnik wird aus Preisgründen meist nicht
durchgeführt. Daher ist die Wirksamkeit der
Schirmung und der EMV-gerechten Installation
so lange als gegeben zu betrachten, wie keine
unerklärlichen Funktionsstörungen im System
oder seiner elektromagnetischen Umgebung
auftreten.
5
Standardgehäuse
meist ausreichend
Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigten,
dass über 95 % aller industriellen Schaltschrank- und Gehäuseanwendungen sowie
auch Systeme der Daten- und Telekommunikation mit Standardgehäusen aus Stahlblech,
Edelstahl oder Aluminium mit ausreichenden
EMV-Eigenschaften (Basis-Schirmwirkung) realisiert werden. Nur in Anwendungsfällen, in
denen hochfrequente elektromagnetische
Energie in der Be- oder Verarbeitung von
Material oder Werkstücken zum Einsatz
kommt (z. B. Hochfrequenz-Schweißprozesse,
Funkenerosion, Induktionshärtung usw.)
sollte für die Steuerungstechnik in der unmittelbaren Prozessumgebung oder wo in informationstechnischen Einrichtungen Datenschutz besonders wichtig ist, eine höhere
Schirmwirkung der Gehäuse vorgesehen
werden.
Eine erhöhte Schirmwirkung wird derzeit in nur
leicht zunehmender Stückzahl gefordert. Der
Schwerpunkt liegt dabei auf Anwendungen der
Telekommunikation, insbesondere den Basisstationen der Mobilfunknetze. Für ähnlich
komplexe Technik aller möglicher Verkehrssysteme ist ebenfalls eine Zunahme der Schirmungsanforderungen festzustellen.
Literatur
[1] EN 55022 (VDE 0878-22):2007-04 Einrichtungen der Informationstechnik – Funkstöreigenschaften – Grenzwerte und Messverfahren.
[2] DIN EN 61000-4-2 (VDE 0847-4-2):2001-12
Elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) – Prüfund Messverfahren – Störfestigkeit gegen die
Entladung statischer Elektrizität.
[3] DIN ETS 300132-1:2005-06 Anlagentechnik –
Stromversorgungsschnittstelle am Eingang von
Telekommunikationseinrichtungen – Teil 1: Betrieb mit Wechselstrom (AC), erzeugt aus Gleichstromquellen (DC).
[4] VG 95373-15:2004-07 Elektromagnetische Verträglichkeit – Elektromagnetische Verträglichkeit
von Geräten – Teil 15: Messverfahren für Kopplungen und Schirmungen.
[5] EN 61000-5-7:2001 Elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) – Teil 5-7: Installationsrichtlinien und Abhilfemaßnahmen – Schutzarten
durch Gehäuse gegen elektromagnetische Störgrößen (EM-Code).
[6] IEC TS 61587-3:1999 Mechanical Structures for
Electronic Equipment – Tests for IEC 60917 and
IEC 60297 – Part 3: Electromagnetic Shielding
Performance Tests for Cabinets, Racks and Subracks.
Elektropraktiker, Berlin 63 (2009) 9
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