Medizintechnologie.de Elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) ★ Elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) beschreibt die Fähigkeit elektrotechnischer Geräte, in ihrer Umgebung befriedigend zu funktionieren, ohne andere Geräte zu stören oder selbst von anderen Systemen gestört zu werden. Außerdem sollen sie störungsfrei miteinander arbeiten können. Die EMV bezieht sich ausschließlich auf Störsignale, die von technischen Geräten ausgehen bzw. auf diese einwirken. Es gibt eine Reihe von Rechtsvorschriften, die Produkte im Hinblick auf die EMV erfüllen müssen. Für Medizinprodukte gelten darüber hinaus zusätzliche Regeln. Störempfindlichkeit und Störfestigkeit Wichtige Begriffe in der EMV sind die elektromagnetischen Störempfindlichkeit (EMS) und die elektromagnetische Störfestigkeit. Die elektromagnetische Störfestigkeit gibt an, bis zu welchem Grad die Umgebung des Gerätes mit elektromagnetischer Strahlung belastet sein darf, bis es davon beeinträchtigt wird. Wie hoch die Störfestigkeit eines Gerätes sein muss, hängt von den Anforderungen ab, die es erfüllen soll. Als elektromagnetische Störempfindlichkeit (EMS) wird die Unfähigkeit eines elektrischen Bauteils beschrieben, unter Einwirkung eines elektromagnetischen Störsignals ohne Funktionsminderung zu arbeiten. Dabei wird zwischen interner und externer EMS unterschieden. Die interne EMS bezieht sich auf elektromagnetische Störungen, die im System selbst entstehen. Im Gegensatz dazu bezeichnet die externe EMS die von außen auf das Gerät einwirkenden elektromagnetischen Störungen. Kopplung: Signalaustausch zwischen den Geräten Ein Gerät selbst kann entweder eine Störquelle oder auch eine Störsenke sein. Als Störquelle wird es bezeichnet, wenn es Störsignale aussendet. Ein Objekt, auf das die Störsignale einwirken und dadurch gegebenenfalls einen Fehler im System verursachen, ist eine sogenannte Störsenke. Der Signalaustausch zwischen Störquelle und Störsenke wird Kopplung genannt. Dieser Kopplung können verschiedene Mechanismen zugrunde liegen, die nach ihrer physikalischen Wirkung unterschieden werden: Induktive Einkopplung: Ein stromdurchflossener Leiter bildet ein magnetisches Feld um seine Leitungsbahn aus. Dieses magnetische Feld beeinflusst weitere Stromkreise in seiner Nähe. Kapazitive Einkopplung: Liegen zwei Leitungen nahe genug beieinander, beeinflussen ihre magnetischen Felder den Stromkreis der benachbarten Leitung. Galvanische Einkopplung: Die Einkopplung erfolgt über Leitungen, wobei Quelle und Senke leitend miteinander verbunden sind. Beispiel: Mehrere Schaltungskreise teilen sich eine Masse- oder Versorgungsleitung. Der gemeinsam genutzte Leiter bildet einen Wechselstromwiderstand (Impedanz) aus. An diesem fällt Spannung ab, was wiederum auf die angeschlossenen Stromkreise einwirkt. Strahlungskopplung (über größere Entfernungen): Auch wenn Quelle und Senke in großem Abstand zueinander stehen, kann es über ein elektisches ode rein magnetisches Feld zur Einkopplung kommen. Die Quelle sendet hierbei elektromagnetische Störsignale aus, die die Senke beeinflussen. Klassifizierung und Prüfung je nach Anschluss Die Geräte werden je nach Anschluss an das Niederspannungsnetz des Gebäudes, in dem sie stehen, in unterschiedliche Gruppen und Klassen eingeteilt. Zur Gruppe 1 gehören Geräte, bei denen leitergebundene Hochfrequenzenergie für die innere Funktion des Gerätes erzeugt wird. Bei den Geräten Gruppe 2 wird Hochfrequenzenergie erzeugt, um Materialien im Gerät zu bearbeiten. In die Klasse A werden Pordukte nur dann eigeteilt, wenn Klasse B nicht zutrifft. Zur Klasse B gehören Geräte, die im Wohnbereich und in Einrichtungen betrieben werden sollen, die direlt an ein Niederspannungsnetz angeschlossen sind. Typische Beispiele für Medizinprodukte mit elektrischen und/oder elektronischen Komponenten, die Hochfrequenz-Energie für die eigene Funktionalität und nicht zur Einwirkung auf den Patienten nutzen, sind Navigationssysteme für die Chirurgie, Dialysesysteme oder optische Messsysteme. Der Umfang der EMV-Prüfung richtet sich nach der Klassifizierung. Ist ein Gerät in Gruppe 1, Klasse A eingeteilt, können folgende Prüfungen duchgeführt werden: Prüfungen zur Störaussendung (Funkstörspannung, Funkstörfeldspannung) Prüfungen zur Störfestigkeit (Entladung statischer Elektrizität, Hochfrequentes eletromagnetisches Feld, schnelle Transiente, Stoßspannungen und Stoßströme, Einkoppelung von Hochfrequenzströmen und Hochfrequenzspannungen, Magnetfelder energietechnischer Frequenzen, Spannungseinbrüche und Spannungsunterbrechungen) Prüfungen zu Netzrückwirkungen (Oberwellen und Flicker) Für die Prüfungen sind Prüfaufbauten in speziell ausgerüsteten Räumen erforderlich. Im Regelfall beauftragt der Hersteller ein akkreditiertes EMV-Prüflabor und stimmt mit dem Labor und/oder seinem Zertifizierer die erforderlichen Prüfungen ab. Rechtliche Grundlagen Die grundlegenden Anforderungen an Betriebsmitteln werden in Paragraf 4 des Gesetzes über die elektromagnetische Verträglichkeit von Betriebsmitteln (EMVG) aufgeführt: (1) Betriebsmittel müssen nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik so entworfen und gefertigt sein, dass 1. die von ihnen verursachten elektromagnetischen Störungen kein Niveau erreichen, bei dem ein bestimmungsgemäßer Betrieb von Funk- und Telekommunikationsgeräten oder anderen Betriebsmitteln nicht möglich ist; 2. sie gegen die bei bestimmungsgemäßem Betrieb zu erwartenden elektromagnetischen Störungen hinreichend unempfindlich sind, um ohne unzumutbare Beeinträchtigung bestimmungsgemäß arbeiten zu können. (2) Ortsfeste Anlagen müssen zusätzlich zu den Anforderungen nach Absatz 1 nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik installiert werden. Die zur Gewährleistung der grundlegenden Anforderungen angewandten allgemein anerkannten Regeln der Technik sind zu dokumentieren. Allerdings gelten für Medizinprodukte erweiterte Vorschriften: die Medizinprodukterichtlinie 93/42/EWG, die Richtlinie über In-vitro-Diagnostika 98/79/EG und die Richtlinie über aktive implantierbare Medizinprodukte 90/385/EWG. In der Medizinprodukterichtlinie werden im Anhang I alle einzuhaltenden, grundlegenden Anforderungen für eine EM-verträgliche Konstruktionsbauweise beschrieben. Die Richtlinie 93/42/EWG gibt vor, dass Produkte derart ausgelegt und hergestellt sein müssen, dass die Risiken im Zusammenhang mit der Erzeugung elektromagnetischer Felder, die in ihrer üblichen Umgebung befindliche weitere Einrichtungen oder Ausrüstungen in deren Funktion beeinträchtigen können, soweit wie möglich verringert werden. Speziell für elektrische Apparate in der Medizin liegt die Normenreihe 60601 vor. Der Teil 1, DIN EN 60601-1, beschreibt als Basisnorm die allgemeinen Festlegungen für die Sicherheit einschließlich der wesentlichen Leistungsmerkmale von medizinischen elektrischen Geräten. Die Ergänzungsnormen zur DIN EN 60601-1 beziehen sich auf Anforderungen bestimmter Produktklassen (etwa DIN EN 606011-3: Strahlenschutz). Teil 2, die DIN EN 60601-2, spezialisiert sich hingegen auf die Anforderungen an einzelne Produktarten – beispielsweise bezieht sich die DIN EN 60601-2-33 auf die EMV von Magnetresonanztomographen. Aus der Basisnorm DIN EN 60601-1 wird direkt auf die Ergänzungsnorm DIN EN 60601-1-2 für elektromagnetische Verträglichkeit (EMV-Norm) verwiesen. Diese Norm umfasst die Themen der EMV-Anforderungen für medizinische elektrische Geräte sowie deren EMV-Prüfungen. Im Zusammenhang mit dem Teil 2 (DIN EN 60601-2-XX) können sich Abweichungen bezüglich der EMV-Norm ergeben. Neben diesem Teil 2 der 60601er Normreihe können auch weitere Normen, die im „Official Journal“, dem Amtsblatt der Europäischen Union, veröffentlicht wurden, zu Abweichungen der EMV-Norm führen. Harmonisierte Normen Harmonisierte Normen sind europäische Normen, die von einer anerkannten europäischen Normengesellschaft Standardization (CEN), dem – etwa European dem European Committee for Committee for Electrotechnical Standardization (CENELEC) und dem European Telecommunications Standards Institute (ETSI) – entwickelt wurden. Die aktuell geltenden harmonisierten Normen werden im „Official Journal“ der europäischen Union veröffentlicht. Die harmonisierten Normen zur EMV entsprechen den Anforderungen der EMVRichtlinie 2004/108/EG. Diese dienen als Grundlage zur Ausrichtung sowie zur Prüfung der Produkte auf EMV. Beispiele für harmonisierte Normen im Bereich der Medizintechnik sind: SN EN 80601-2-59: Wärmebildkameras für Reihenuntersuchungen von Menschen auf Fieber SN EN 80601-2-35: Decken, Matten und Matratzen zur Erwärmung von Patienten DIN EN ISO 15004-1: Ophthalmische Instrumente Allerdings sind harmonisierte Normen nicht rechtlich verbindlich. Hersteller können, müssen sie jedoch nicht anwenden. Dafür spricht, dass sie dann davon ausgehen können, dass das Produkt dem Stand der Technik entspricht und die Grundlegenden Anforderungen hinsichtlich der EMV sowie die Vorgaben der EMVRichtlinie erfüllt. Gibt es für ein Produkt keine passende Norm, muss das Unternehmen anderweitig nachweisen, dass die Sicherheitsvorgaben eingehalten werden. Dieses Verfahren kann insbesondere für neue Produkte sehr aufwendig sein. Buch-Tipp: Geodbloed, J. J. (1997): EMV - Elektromagnetische Verträglichkeit. Analyse und Behebung von Störproblemen. 1. Auflage, München, Bad Kissingen, Berlin, Düsseldorf, Heidelberg