776_830_BIOsp_0710 814 03.11.2010 14:26 Uhr Seite 814 B I OT E CH NO LO G I E · N E WS & KO M M E N TA R E ÿ Sanofi-Aventis möchte Genzyme übernehmen ÿ Innovation mit bereits zugelassenen Wirkstoffen ÿ Actavis zieht es in die Schweiz ÿ Stammzellentherapie bei Diabetes Sanofi-Aventis möchte Genzyme übernehmen ó Der französische Pharmakonzern SanofiAventis möchte Genzyme, eines der größten Biotech-Unternehmen der USA, kaufen.18,5 Milliarden USD bietet Sanofi-Aventis in bar an, das bedeutet einen Aufschlag von 38 Prozent gegenüber dem Kurs vom 1. Juli 2010. Die Summe entspricht dem Vierfachen Umsatz von Genzyme und dem Zwanzigfachen des für 2011 erwarteten Gewinns. Die Führung von Genzyme hat das Übernahmeangebot offiziell zurückgewiesen, das Unternehmen sei dramatisch unterbewertet. Genzyme ist vor allem auf orphan drugs, Wirkstoffe gegen seltene Erkrankungen, spezialisiert. (rrm) ó Eine im Himmel gestiftete Ehe? Y Bis 2013 wird Sanofi-Aventis 20 Prozent seines Umsatzes an Generika-Konkurrenten verlieren. Um dem entgegenzuwirken hat Sanofi-Aventis seit 2008 über 17 Mrd USD für M&A (merger & acquisition) ausgegeben und die Kerngeschäftsfelder mit Produkten und Technologien gestärkt. Das gehört zu der Strategie, das Geschäft vom zyklischen, „Block- buster“- abhängigen in einen nachhaltigen Wachstumsmodus mit verstärkter Vertretung der personalisierten Medizin umzuwandeln. Um dieses Ziel zu erreichen, glaubt Chris Viehbacher (CEO), die innovative Kraft der BiotechIndustrie mehr als bisher nutzen zu müssen. Mit der anvisierten Genzyme-Akquisition, die mehr kosten wird als die gesamten M&A-Ausgaben der letzten drei Jahre, macht SanofiAventis einen wichtigen Schritt sowohl zur Integration von Biotech-Kultur, als auch Patientenorientierter Therapeutika. Genzyme bringt ein Portfolio hoch innovativer Medikamente für seltene Erkrankungen, sowie die ersten vermarkteten Zelltherapie Produkte mit, die die Pipeline von Sanofi-Aventis komplementieren. Wichtig sind auch die Expertise, sowie die unternehmerischen Visionen, die notwendig waren, um solche Produkte zu entwickeln. Zusammen werden sie Sanofi-Aventis‘ Ziel, ein hoch innovatives Neuland zu betreten, bestens unterstützen. Der Schlüssel zum Erfolg des Deals wird sein, kulturelle Synergien zu erzielen, sodass zwei traditionell unterschiedliche Geschäftsmodelle zusammen kommen. Sanofi-Aventis hat sich, um innovative Kraft zu fördern, bei neueren Akquisitionen signifikante Freiheiten erlaubt. Das zeigt, dass sowohl die Geschäftsführung als auch das Unternehmen bereit sind, selbst von den kleinsten Partnern zu lernen. Bei der Interaktion wird Genzyme wiederum von Sanofi-Aventis „big pharma“Stärke profitieren. Für Patienten, Kassen, Arbeitnehmer, Gesellschafter und die PharmaBiotech Branche kann diese gelungene Ehe nur gut sein. ó Dr. Jonathan Turner, Texel Consulting GmbH, Kelkheim Dr. Jonathan Turner, Neurowissenschaftler, ist Geschäftsführer der Texel Consulting GmbH, die Biotechnologieunternehmen und Investoren berät. Er hat 20 Jahre Erfahrung in leitenden Positionen in Geschäftsentwicklung und F&E bei internationalen Pharmafirmen, unter anderem Schering AG, AstraZeneca und Boehringer Ingelheim. Innovation mit bereits zugelassenen Wirkstoffen ó Das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) soll den ausufernden Anstieg der Arzneimittelausgaben eindämmen. Nur Arzneimittel, die nachgewiesen eine Innovation darstellen, dürfen für die Dauer eines Jahres ab Markteinführung zum vom Unternehmen festgelegten Preis verkauft werden. Danach übernehmen die Krankenkassen ausschließlich den ausgehandelten Erstattungspreis. Alle ande- ren Arzneimittel, selbst neue, werden ins Festbetrags-System übernommen, bei denen die Erstattungshöhe auf den Preis vergleichbarer Medikamente begrenzt ist. Besonders hart fühlen sich dabei die mittelständischen Unternehmen betroffen, die an Verbesserungen bewährter Wirkstoffe forschen. Sie fordern, diese Forschung ebenfalls als Innovation anzuerkennen. (rrm) ó AMNOG darf nicht entkernt werden Y Das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) zeigt Licht und Schatten: Positiv bewerten wir den Einstieg in eine konsensuale Preisregulierung von patentgeschützten Arzneimitteln. Die Kostensteigerung bei Spezialarzneimitteln ist mittlerweile exorbitant, eine faire Preisregulierung unverzichtbar. Ob wir tatsächlich über eine schnelle Nutzenbewertung und direkte Verhandlungen zwischen pharmazeutischen Herstellern und Krankenkassen zu vernünftigeren Preisen kommen, muss sich in der Praxis zeigen. Jedenfalls ist es den Versuch wert, denn die Pharmaindustrie muss jetzt Verantwortung zeigen. Dass sie sich damit teil- weise schwer tut, zeigen die Versuche, die Anhebung des Herstellerrabatts und das Preismoratorium zu umgehen. Zudem macht uns ein Änderungsantrag stutzig, wonach die Kriterien der Nutzenbewertung nun per Rechtsverordnung festgelegt werden sollen. Noch abwegiger ist der Plan, Arzneimittel für seltene Erkrankungen und solche, die angeblich ohne wirtschaftliche Bedeutung sind, von der Nutzenbewertung freizustellen. Auch Arzneimittel für seltene Erkrankungen müssen nicht automatisch einen Zusatznutzen mit sich bringen, sofern eine bisherige Therapieform existiert. Das Gesetzesvorhaben darf jetzt nicht nachträglich entkernt werden. Die Definition von Bewertungskriterien muss durch unabhängige wissenschaftliche Institutionen erfolgen, das Ministerium sollte sich heraus halten. Hier bietet sich die Expertise des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) an. Das AMNOG hat aber noch eine Schwachstelle: Die Mehrkostenregelung ist gleich mehrfach falsch. Abgesehen davon, dass Kostenerstattung wieder unnötig Verwaltung bedeutet, weicht sie das Substitutionsgebot in den Apotheken auf, unterläuft die Rabattverträge und benachteiligt die Versicherten. Auch hätten wir uns gewünscht, den Apothekenabschlag auf mindestens 2,30 Euro zu fixieren. ó Dr. Rolf-Ulrich Schlenker, Barmer GEK, Berlin Dr. Rolf-Ulrich Schlenker ist seit über 25 Jahren im Gesundheitswesen tätig. 2009 führte der promovierte Jurist die Gmünder Ersatzkasse in die Vereinigung mit der BARMER. Seit Anfang des Jahres ist er stellvertretender Vorstandsvorsitzender der BARMER GEK und als solcher zuständig für den Vertrags- und Leistungsbereich sowie die Versorgungsforschung. BIOspektrum | 07.10 | 16. Jahrgang 776_830_BIOsp_0710 03.11.2010 14:26 Uhr Seite 815 815 Actavis zieht es in die Schweiz ó Der isländische Pharmahersteller Actavis möchte seine neue Managementzentrale in die Schweiz verlegen. Zwischen 1999 und 2008 entwickelte sich der Konzern zu einem der weltweit führenden Generikahersteller, bis ihn die Finanzkrise den Konzern traf. Nach der Refinanzierung durch die Deutsche Bank ist Actavis gut aufgestellt mit etwas Aufholbedarf bei Biosimilars. Im Bereich Onkologie, in dem es viele große biotechnologisch hergestellte Produkte gibt, will Actavis den Markteintritt schaffen. Für den Vorstandschef, Dr. Claudio Albrecht, ist Deutschland kein attraktiver Standort für Generikaunternehmen mehr, weil es seine Arzneimittelversorgung zu sehr auf Spotanbieter aufbaut. Trotzdem möchte Actavis seinen Marktanteil hier ausbauen. (rrm)ó Die Schweiz mit ihrer zentralen Lage in Europa zieht viele Unternehmen an Y Es kommt nicht von ungefähr, dass sich eine Firma wie Actavis in der Schweiz ansiedelt. Denn die Schweiz liegt im Herzen Europas und ist Schnittpunkt unterschiedlicher Kulturen sowie Kommunikations- und Trans- portzentrum zwischen Nord- und Südeuropa. Das macht sie zum attraktiven Wirtschaftsstandort und idealen Ausgangspunkt für Geschäfte in Ländern der Europäischen Union. Mit ihrer Sprachenvielfalt bietet die Schweiz beste Voraussetzungen, um von hier aus neue Märkte zu erschließen. Die Schweizer Wirtschaft ist zudem eine der liberalsten und wettbewerbfähigsten der Welt. Im neusten Ranking des World Economic Forums (WEF) bezüglich Wettbewerbsfähigkeit belegt die Schweiz wiederum die Nummer 1. Die Schweiz zeichnet sich durch sozialen Frieden sowie politische und wirtschaftliche Stabilität aus. Auch bezüglich Forschung und Ausbildung ist die Schweiz vorbildlich und gehört zu den forschungsaktivsten Staaten der Welt. Sie zählt zu den Volkswirtschaften mit der weltweit höchsten Arbeitsproduktivität. Ebenfalls hoch ist die Dienstleistungsqualität. Das geistige Eigentum ist in der Schweiz durch ein Netzwerk internationaler Verträge geschützt. Die Schweiz ist deshalb auch ein wertvoller Nährboden für Kreativität und Innovation – nirgendwo werden Neuentwicklungen und Erfindungen besser geschützt als in der Schweiz. Die Gründung eines Unternehmens in der Schweiz verläuft zudem schnell und unkompliziert. Eine sehr moderne IT-Infrastruktur und modernste technologische Hilfsmittel bieten optimale Voraussetzungen für die Entwicklung neuer Technologien. Als einer der grössten Finanzplätze der Welt bietet die Schweiz Unternehmen zudem ausgezeichnete Möglichkeiten für die Finanzierung von Investitionsvorhaben. So sind mehrere Branchencluster entstanden, die von internationaler Bedeutung sind. ó Caroline Villiger, Osec, Zürich Caroline Villiger ist Repräsentantin Deutschland beim Programm Handels- & Investitionsförderung des Aussenwirtschaftsförderers Osec in Zürich, Schweiz. Die Osec unterstützt Schweizer und Liechtensteiner Unternehmen beim Auf- und Ausbau ihrer Auslandaktivitäten und ermöglicht so eine schlagkräftige Aussenwirtschaftsförderung. Sie bündelt – basierend auf dem Entscheid des Schweizer Parlaments – seit 2008 auch die Leistungsaufträge der Export-, Import- und Investitionsförderung sowie der Standortpromotion unter einem gemeinsamen Dach. Stammzellentherapie bei Diabetes ó Das Kompetenznetz Diabetes mellitus und die Deutsche Diabetes-Gesellschaft (DDG) äußern in einem offenen Brief Bedenken vor der Stammzellentherapie zur Behandlung von Diabetes. XCell-Center, eine private Klinik für regenerative Medizin, die die Genehmigung der Bezirksregierung Köln zur Entnahme von Knochenmark und eine Freigabe des Stammzellpräparates zur autologen Anwendung hat, behandelt unter anderem Typ-1 und Typ-2-Diabetes, obwohl es bisher keinerlei Evidenz gibt, dass Patienten von dieser unkontrollierten Therapie profitieren. Derweil geht die deutschamerikanische Kooperation mit dem Fokus Stammzellen und regenerative Medizin zwischen California Institute of Regenerative Medicine (CIRM) und BMBF in die dritte Runde. Durch den Förderschwerpunkt „Basic Biology III“ können KMU und Kliniken, die sich auf regenerative Therapien spezialisiert haben, gefördert werden. (rrm) ó Genehmigung für Stammzelltherapie Y Die Deutsche Diabetesgesellschaft hat zu Recht Stellung gegen Stammzelltherapien genommen, die ausserhalb von klinischen Studien durchgeführt werden. Die StellungBIOspektrum | 07.10 | 16. Jahrgang nahme wurde von vielen Patienten angeregt, die sich vor die Frage gestellt sehen, in einer Privatklinik tausende von Euros für eine wage Heilungschance zu zahlen. Dennoch müssen wir uns fragen, wie eine solche Situation entstehen konnte und warum diese Therapien vielmehr in privaten Kliniken zu finden sind als z.B. in Deutschen Universitätskliniken, wo sie von Experten im Rahmen von kontrollierten klinischen Studien und zum Nutzen der Patienten durchgeführt werden. Stammzelltherapien sind von großem Interesse. Bei Diabetes hat man bereits beträchtliche Erfolge bei der Produktion von Pankreas-Betazellen aus echten Stammzellen erzielt, aber der Weg in die Klinik ist noch weit. Patienten fragen nach neuen Therapien und private Kliniken sehen hier ein profitables Geschäftsfeld. Warum also werden diese Therapien dann nicht von öffentlichen Kliniken angeboten? Weil Wissenschaftler zum Teil wenig von dem Nutzen der Therapie halten, aber auch, weil es aufgrund der EU-Regularien ein langer und oft aussichtsloser Prozess ist, die Genehmigung für klinische Studien mit Stammzellen zu erhalten. Wie können wir die derzeitige Situation konstruktiv nutzen? Solange private Kliniken eine Nachfrage bedienen, die nicht durch den öffentlichen Sektor abgedeckt ist, wäre ein Mechanismus erforderlich, der rigoros die in Frage kommenden Therapien testet. Renommierte Institutionen wie das Paul Ehrlich Institut könnten (und sollten vielleicht) mit dem BMBF zusammenarbeiten. Wissenschaftler und Patientengruppen sollten sich in Diskussionen zusammenfinden, um klinische Studien für Stammzelltherapien, ähnlich denen im privaten Sektor, finanziell zu unterstützen und voranzutreiben. Das kommt allen Interessengruppen zugute. ó Prof. Dr. Ezio Bonifacio, TU Dresden Prof. Dr. Ezio Bonifacio ist Professor für Präklinische Stammzelltherapie am DFGForschungszentrum für Regenerative Therapien an der TU Dresden. Von 2001 bis 2007 war er Direktor des JDRF Center for Beta Cell Replacement am San Raffaele Institute in Mailand. Er promovierte an der University of Western Australia.