POLITIK Tageblatt Mittwoch, 14. Juni 2017 • Nr. 137 Abrutschen in die Misere verhindern OGBL Beteiligung an Problemlösung bei Reklassierungen gewünscht Serge Kennerknecht Dass die berufliche Wiedereingliederung ein so schwieriges Thema ist, hat sicher auch damit zu tun, dass mit dem Arbeits-, dem Gesundheits- und dem Ministerium für soziale Sicherheit gleich drei Minister dafür verantwortlich zeichnen. Hinzu kommen mit der Gesundheitskasse, dem „contrôle médical“, dem Arbeitsarzt, der Pensionskasse, der Unfallkasse und der Arbeitsmarktverwaltung gleich sechs verschiedene Verwaltungen, die bei Reklassierungen mitreden. Dass im Bereich Arbeitsmedizin gleich acht verschiedene Dienste existieren, da verschiedene Berufszweige ihre eigenen Dienste haben, macht das Ganze sicher nicht einfacher. Eine der Forderungen des OGBL, die gestern mit Bezug auf das Gesetz 6555 vorgestellt wur- Das Gesetz stimmt nicht mit der Realität überein Jean-Luc de Matteis Foto: Editpress/Isabella Finzi Auch das neue Gesetz zur internen oder externen beruflichen Reklassierung, das am 1. Januar 2016 in Kraft getreten ist, hat noch lange nicht alle Probleme lösen können. Nun wird über Nachbesserungen nachgedacht. Der OGBL will hieran beteiligt werden. Jean-Luc de Matteis, Carlos Pereira, Lynn Settinger (v.l.n.r.) den, ist denn auch jene nach der Schaffung eines einzigen nationalen Dienstes für Arbeitsmedizin. Das am 1. Januar in Kraft getretene Gesetz war bereits eine Schwergeburt. Ihren Ursprung nahm die ganze Schwerfälligkeit der Prozedur der beruflichen Wiedereingliederung mit einem Urteil des Luxemburger Kassationshofes im Jahr 1996. Bis dahin galt, dass man, wenn man durch Unfall oder Krankheit seine bisherige Tätigkeit oder eine entsprechende Arbeit nicht mehr verrichten konnte, einen Antrag auf Invalidität stellen konnte. Das Kassationsurteil besagte jedoch, dass man erst einen Antrag auf Invalidität stellen kann, wenn man seine eigene Arbeit oder irgendeine andere Arbeit nicht mehr verrichten kann. In der Folge wurden zahlreiche Anträge abgelehnt, bis 2002 ein neues Gesetz kam, das die berufliche Wiedereingliederung regelte. 2004 bereits musste es wegen weiter bestehenden Probleme abgeändert werden, dann erneut 2005. Nach einer Zwischenbilanz im Jahre 2008 dauerte es bis 2016, bis ein neues Gesetz kam. Doch auch hiermit sind die Probleme wie angedeutet nicht gelöst. Das „Comité mixte“, das über die Reklassierung entscheidet, sieht sich vor zahlreiche Probleme gestellt. „Für den Ar- beitnehmer ist es schwer, den Durchblick zu haben, und dabei ist er der eigentliche Leidtragende“, so Carlos Pereira vom OGBL, der auch Mitglied des Komitees ist. Positive Ansätze Wohl hat das neue Gesetz einige positive Ansätze gebracht. Konnte vorher nur der „contrôle médical“ eine Prozedur zur beruflichen Wiedereingliederung in die Wege leiten, so kann dies nun auch der Arbeitsmediziner tun. Allerdings unter der Bedingung, dass der Arbeitnehmer seit zehn Jahren im gleichen Betrieb unun- terbrochen einen sogenannten Risikoposten bekleidet. Eingeführt wurde auch das Statut des „salarié reclassé“. Unter den vielen Problemen stechen einige hervor, die schließlich bewirken, dass der Arbeitnehmer oft monatelang mit nur einem Teil seines bisherigen Einkommens auskommen muss. Wer keine Rücklagen hat, kann da schon reelle Probleme bei der Rückzahlung von Krediten, der Finanzierung der Ausbildung der Kinder, bei der Miete oder anderswo bekommen. Wer z.B. nach einigen Wochen Krankenschein zum Kontrollarzt gerufen und von diesem als arbeitsfähig für den allgemeinen Arbeitsmarkt eingestuft wird, ohne zu berücksichtigen, ob er seinen aktuellen Posten noch ausüben kann, muss feststellen, dass der Krankenschein sofort abgebrochen, d.h. auch kein Krankengeld mehr gezahlt wird. Wenn dann der Arbeitsarzt festhält, dass man den bisherigen Job nicht mehr ausüben kann, kann die „Commission mixte“ angerufen werden. All dies dauert und während dieser Zeit erfolgen keine Zahlungen. Der Forderungskatalog des OGBL umfasst weit über ein Dutzend konkreter Punkte. Es gelte zu verhindern, dass kranke Menschen durch das Gesetz in die Misere abrutschen. Da zurzeit eine interministerielle Gruppe damit befasst ist, über eventuelle Änderungen am Gesetz nachzudenken, möchte die Gewerkschaft in diese Arbeit eingebunden werden. „Das Gesetz stimmt nicht mit der Realität überein“, fasst es Jean-Luc de Matteis vom OGBL zusammen. Zu vieles sei nicht zu Ende durchdacht worden, bedauerte Carlos Pereira, der auf die vielen Forderungen des OGBL verweist, die nicht bei der Einführung des neuen Gesetzes berücksichtigt wurden. Der Hetze das Handwerk legen ASTI Rundtischgespräch über ausländerfeindliche Diskurse in Luxemburg Maxime Weber Im Rahmen ihrer diesjährigen Generalversammlung veranstaltete die ASTI ein Rundtischgespräch. Dieses widmete sich der Frage, wie man im Angesicht der kommenden Parlamentswahlen ausländerfeindlicher Rhetorik und deren politischer Instrumentalisierung in Luxemburg entgegenwirken kann. Diskussionsteilnehmer waren Romain Hilgert vom Lëtzebuerger Land, Chris Mathieu von L’essentiel Online und Paula Telo-Alves von der einmal wöchentlich in Luxemburg erscheinenden portugiesischen Zeitung Contacto. Insbesondere seit dem Referendum vom 7. Juni 2015 sei es zu einem regelrechten „Erwachen“ von xenophoben und rassistischen Diskursen gekommen, so die ASTI. Damals hatten knapp 80 Prozent der luxemburgischen Staatsangehörigen gegen das Wahlrecht für ihre ausländischen Mitbürger gestimmt. Das wiederum habe der Vereinigung zufolge, die sich vor allem für die Rechte von ausländischen Arbeitnehmern in Luxemburg einsetzt, dazu geführt, dass einige Menschen sich plötzlich dazu ermutigt fühlten, gegen Ausländer, Flüchtlinge und andere Gruppen zu hetzen, die nicht in ihr Bild einer vermeintlich homogenen luxemburgischen Bevölkerung passen. Für umso wichtiger habe es die ASTI dann auch erachtet, eine Debatte zu dem Thema zu veranstalten, bei der mögliche Lösungsansätze für das Problem gesucht werden sollen. Luxemburgisch wird auch instrumentalisiert Auf die Frage hin, ob diese 80 Prozent nun pauschal gegen Ausländer seien, meinte Hilgert, dass man nuancieren müsse. Ihm zufolge sei dieses Resultat nicht unbedingt auf ausländerfeindliche Haltungen, sondern primär auf politischen Frust zurückzuführen. Viele Menschen hätten nämlich das Referendum vor allem als Möglichkeit zum Ausdruck ihrer allgemeinen Unzufriedenheit mit der luxemburgischen Regierung gesehen und diese dann auch entsprechend genutzt. Alves wiederum ergänzte, dass nicht nur das Referendum, sondern auch die luxemburgische Sprache vermehrt als diskursives Vehikel für xenophobe Tendenzen instrumentalisiert werde. Das habe man nicht nur im Rahmen der Petition Nr. 698 gesehen – die forderte, dass Luxemburgisch erste Amtssprache wird –, sondern auch beispielsweise bei der Polemik um die Einführung der französischen Sprache an Vorschulen. Insbesondere in den sozialen Netzwerken wird das immer spürbarer. Hilgert gab aber zu bedenken, dass man die „paar Dutzend“ Rechtsextreme, die die Diskussion nutzen, um ihren rassistischen Ressentiments freien Lauf zu lassen, nicht überschätzen dürfe. Sie seien noch längst kein Zeichen für eine Welle der Xenophobie und des Rassismus auf gesamtgesellschaftlicher Ebene. Dabei ließ er allerdings unerwähnt, dass im Zuge des Referendums die Bewegung „Wee2050/Nee2015“ mit ihrem zwar nicht explizit ausländerfeindlichen, dafür aber stark na- tionalistisch geprägten Diskurs auf Facebook (in dessen Rahmen u.a. die Behauptung aufgestellt wurde, dass das Ausländerwahlrecht „der Anfang vom Ende unserer Nation“ wäre) Tausende von Unterstützern um sich scharen konnte. Letztlich wurde auch diskutiert, ob und inwiefern traditionelle Medien gegen solche xenophoben Tendenzen vorgehen können. Alves meinte, sie sei „sehr pessimistisch“ in der Hinsicht. Medien können ihr zufolge nämlich nicht gegen „grundsätzliche Ungleichheiten“ vorgehen, die solche Phänomene erst hervorbringen. Zur Beseitigung dieser „materiellen Ursache“ für den Erfolg populistischer Diskurse seien wiederum vor allem die politischen Parteien gefragt, wie Hilgert hinzufügte. Sie müssten Menschen aus niedrigen Einkommensschichten wieder die „Zuversicht“ geben, dass sie von ihrer Arbeit leben können. Ist diese wirtschaftliche Sicherheit erst einmal gewährleistet, können sie dann auch leichter zur Solidarität mit Menschen aus anderen Ländern ermutigt werden, die der gleichen wirtschaftlichen Schicht angehören wie sie selbst und deswegen auch mit den gleichen Problemen konfrontiert sind. Laura Zuccoli von der ASTI wandte in dem Kontext wiederum ein, dass es nicht primär Menschen aus der niedrigen Einkommensschicht gewesen wären, die das Ausländerwahlrecht abgelehnt hätten, sondern Personen, die sowohl finanziell als auch gesellschaftlich besser dastehen und aus Abstiegsangst gehandelt haben. Mathieu wiederum meinte, dass man sich grundsätzlich einmal die Frage stellen müsse, ob letztlich nicht eher die Zivilgesellschaft als die etablierten Parteien etwas gegen derlei Tendenzen unternehmen müssen. Immerhin könne man auch als Einzelperson beispielsweise rechte Kommentare im Netz mithilfe von Gegenargumenten kontern (also sogenannte „Counterspeech“ betreiben). Auch Journalisten können Mathieu zufolge dabei helfen, populistische Strömungen aufzuhalten. Hierfür müssen sie ihren Lesern die Prozesse hinter der Recherche und Verifizierung von Informationen besser veranschaulichen, vor allem in sozialen Netzwerken. Persönlich erstellt für: ASTI ASTI LUXEMBOURG SA 10 SOZIALES