Zur Nichtlinearität der NCO-Gruppe (MO-SCF

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Zur Nichtlinearität der NCO-Gruppe (MO-SCF-Berechnungen
an Isocyanaten III)
B e rn d M . R o d e
Institut für Anorgan, und Analyt. Chem ie der Universität Innsbruck
W a lte r K o sm u s
Institut für Anorgan, und Analyt. Chemie der Universität Graz
und
E d g ar N aehbaur
Institut für Anorgan, und Analyt. Chemie der Universität Graz
(Z. Naturforsch. 29 a, 6 5 0 —65 2 [1974] ; eingegangen am 23. Januar 1974)
The Nonlinearity of the NCO-Group (MO-SCF Calculations on Isocyanates 111)
The nonlinearity of the NCO group, as to be calculated after the CNDO method and in agree­
ment with some experim ental data, has been investigated system atically. The energy values, ca l­
culated for different angles, show the nuclear repulsion energy to be the determ ining factor for
the bent (trans-) configuration of these com pounds. The extent of this angle cannot be explained
with classical chem ical characteristics. A significant correlation is found, however, with the e lec­
tronic situation at the C-atom, w hose net charge and covalent bonding are likew ise influenced by
the NCO angle.
E in leitu n g
D ie E rg e b n isse v o n E le k tro n e n b e u g u n g sm e ssu n ­
gen am C 1N C 0 1 k o n n te n n u r m it e in e r u n g e w ö h n ­
lich k u rz e n C — O -B in d u n g o d e r e in e r n ic h tlin e a re n
A n o rd n u n g d e r N C O -G ru p p e in d ie se r V e rb in d u n g
g e d eu te t w erd en . Im A n sch lu ß d u rc h g e fü h rte CN D O B erechnungen stü tz te n d ie A n n a h m e e in e r n ic h t­
lin e a re n N C O -G ru p p e.
A u sg ed eh n tere q u a n ten c h em isch e U n te rsu c h u n g e n
versch ied en er Is o c y a n a te 2 b ra c h te n ein äh n lich es
E rg e b n is bei m e h re re n V e rb in d u n g e n d ieses T y p s,
w obei d e r berechn ete W in k el am K o h le n sto ff je nach
S u b stitu e n t v ersch ied en g ro ß w a r. A n h a n d d ie se r,
d en N C O -W inkel b e rü c k sic h tig e n d e n B erech n u n g en
ließ sich auch d as P E -S p e k tru m von H N C O z u frie ­
d en stellen d in te rp re tie re n 3. W e itere U n te rsu c h u n g e n
zeigten, d aß auch bei Iso c y a n a te n m it m e h ra to m ig e n
S u b stitu e n te n am Stickstoff in d e r R egel ein e n ic h t­
lin e a re N C O -G rup p e a u ftritt 4. In allen b is h e r u n te r­
suchten V e rb in d u n g e n e rg a b sich d a b ei d ie tra n sS tellu n g des S au ersto ffs zum S u b stitu e n te n als e n e r­
getisch g ü n stig e re A n o rd n u n g .
D ie B erech n u n g en e rfu h re n d u rch d a s IR -S p e k ­
tru m 5 u n d d as M ik ro w e lle n sp e k tru m 6 von C 1N C 0
Sonderdruckanforderungen an Dr. B. M. Rode, Institut f.
Anorgan, u. Analyt. Chemie der U niversität Innsbruck,
Innsbruck/Österreich.
e in e w eitere ex p e rim e n te lle B e stä tig u n g . D ie h ie r
v o rlieg en d e A rb e it h a tte d a s Z iel, d ie U rsac h e n fü r
d as A u ftre te n d e r n ich tlin e aren N C O -G ru p p e n ä h e r
zu u n tersu ch en u n d ein e D e u tu n g des W in k e le in flu s­
ses a u f d ie e lek tro n isch e S tr u k tu r d e r je w e ilig e n
V e rb in d u n g zu versuchen.
M ethodik
A lle q u an ten c h em isch en B erech n u n g e n w u rd e n
n ach d e r C N D 0 /2 -M e th o d e in ih r e r u rs p rü n g lic h e n
P a r a m e tr is ie r u n g 7 v o rg e n o m m e n . D ie re s u ltie re n ­
d en M in im u m sg e o m etrie n w u rd e n b e re its an a n d e re r
S te lle 2 -4 an g eg eb en , fü r L iN C O w u rd e sie im R a h ­
m en d ie se r A rb e it v o llstä n d ig e rm itte lt (T a b . 1 ) . E s
Tab. 1. CNDO-Berechnung von LiNCO.
G eom etrie:
L adungsdichten:
B in d u n gsin d ices:
E n ergiew erte:
D ip olm om en t:
L i - N = 1,93 A, N - C = 1.25 Ä,
C - 0 = 1,24 Ä
L i/N /C = 1 2 5 ,8 °; N /C /0 = 1 74,2°
Li: 0,617; N : 5 ,4 0 5 ; C: 3.621;
0 : 6,357
L i - N : 0.873, N - C : 2,029,
C - O : 1.692
G esam tenergie: —37,23920 a. e. u.,
Bindungsenergie: — 1,68320 a. e. u.
7.6 D
w u rd e jew eils n u r d e r e lek tro n isch e G ru n d z u sta n d
d e r b e h a n d e lte n V e rb in d u n g e n b e tra c h te t, w en n es
auch nich t au szu sch lie ß en ist, d a ß a n g e re g te Z u ­
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B. M. Rode et al • Zur Nichtlinearität der NCO-Gruppe (M O -SCF-Berechnungen an Isocyanaten III)
stände mit stärkerer Winkelung durch teilweise Bei­
mischung einen gewissen Einfluß auf die experimen­
tell feststellbare Konfiguration haben. Die gute
Übereinstimmung von Berechnung und Experiment
beim C1NCO scheint diese Einschränkung jedoch zu
rechtfertigen.
Die im folgenden berichteten Ergebnisse wurden
bei den Verbindungen HNCO, LiNCO, C1NCO,
HgSiNCO, FgCNCO und F 2PNCO erhalten, die alle
experimentell bekannt sind. Die Verbindung FNCO
ist zwar ebenfalls berechnet w o rd e n 2, doch wurde
sie aus zwei Gründen nicht für unsere Untersuchun­
gen herangezogen: es konnte bisher noch keine sta­
bile Verbindung dieser Zusammensetzung darge­
stellt werden, außerdem ist die Basis für Fluor die
schlechteste im CNDO-Verfahren, so daß in U nter­
suchungen betreffend die detaillierte elektronische
Struktur größere Fehler auf treten könnten.
Sämtliche Berechnungen wurden an der CDC
3300-Anlage des Rechenzentrums der Universität
Innsbruck durchgeführt.
Ergebnisse und Diskussion
1. Energiefaktoren
Die Berechnungen der einzelnen Energiebeiträge
für verschiedene NCO-Winkelungen zeigen bei a)Men
untersuchten Verbindungen übereinstimmend, daß
die elektronische Energie im Falle der eis-Anord­
nung des NCO-Sauerstoffs zum jeweiligen Substi­
tuenten den günstigsten Wert erreicht. Ihr wirkt je­
doch die in diesem Fall stark ansteigende KernKern-Abstoßungsenergie entgegen. Das jeweilige
651
Minimum der Gesamtenergie, das einer trans-Anord­
nung mit mehr oder weniger starkem NCO-Winkel
entspricht, ist also durch die Wechselwirkung der
Kerne bestimmt.
Abbildung 1 zeigt die berechneten Energiekurven
für das F 3 CNCO, die in ähnlicher Form auch bei den
anderen Isocyanaten auftreten und daher als illu­
stratives Beispiel für die ganze Verbindungsklasse
dienen können. Eine Ausnahme ergibt sich nur bei
HNCO, bei dem die elektronische Energie ein Zwi­
schenmaximum bei 174,4° zeigt; dieses führt zum
Auftreten zweier Gesamtenergie-Minima (175,0
und 1 7 2 ,8 °), von denen das mit 172.8° der ener­
getisch günstigeren Konfiguration entspricht. Dieses
unerwartete Zwischenmaximum der elektronischen
Energie könnte unter Umständen aber auch durdi
ein methodisches Artefakt bedingt sein.
Die energetische Differenz der Minimumskonfigu­
rationen zur linearen NCO-Anordnung ist bei allen
Verbindungen sehr gering ( < 1 kcal/m ol), die E r­
reichung der jeweils entsprechenden cis-Konfiguration erfordert jedoch einen beträchtlich höheren
Aufwand, so daß eine „freie D rehbarkeit“ der
C —O-Gruppe um die N —C-Achse unwahrscheinlich
erscheint.
2. Bindungscharakter und St ruktur
W enn auch die Kernabstoßung als maßgebliche
Ursache für die W inkelung der NCO-Gruppe fest­
gestellt werden konnte, so ist doch zu erwarten, daß
die elektronische Struktur und der Charakter der
Bindungen eng mit dem jeweiligen Winkel verknüpft
sind. Zunächst wurde versucht, typisch „chemische“
Charakteristika mit dem jeweiligen Winkel zu kor­
relieren. Dazu zählen einmal der „induktive“ Effekt
des Substituenten, der sich in der elektronischen
Gesamt-Nettoladung der NCO-Gruppe äußert, zum
anderen aber auch die „Kovalenz“ der jeweiligen
Verbindung. Um diesen Begriff quantitativ zu er­
fassen, wurde nach
»
=
n
i
p
„ - nb
ß AB re A seB, B+A
Abb. 1.
A bhängigkeit der einzelnen Energien vom NCOW inkel am B eispiel CF3NCO.
ein Kovalenzparameter aus den Elementen der
Dichtematrix P für alle Bindungen B Ar im Molekül
(Bindungsindices8) und der Anzahl N b der Bin­
dungen nach der klassischen Strichformel definiert.
Da die Bindungsindices als direktes Maß für den
kovalenten Charakter einer Bindung angesehen wer­
den können 9, gibt der Param eter y. also die Abwei­
chung der tatsächlichen „Kovalenz“ von der klassi-
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652
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sehen Vorstellung an. Er stellt somit, ebenso wie der
induktive Effekt, eine „chemische“ Größe zur Cha­
rakterisierung einer Verbindung dar.
Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind in
Tab. 2 zusammengestellt. Sie zeigen, daß sich zwi-
entsprechenden Werte sind in Tab. 3 zusammen­
gefaßt.
Tab. 2. Induktiver Effekt des Substituenten und Kovalenzparameter bei verschiedenen Isocyanaten.
Verbindung
$NCO
QC
Bc
FoPNCO
H ,SiNCO
C1NCO
F 3CNCO
LiNCO
HNCO
179.9°
177,4°
176,1°
174,7°
174.2°
172.8°
+ 0,477
+ 0,465
+ 0,470
+ 0,484
+ 0,379
+ 0 ,4 3 0
3,681
3,726
3,779
3.808
3,721
3,804
Verbindung
#NC0
/ NCO
X
F ,PN C O
H 3SiNCO
C1NCO
FjCNCO
LiNCO
HNCO
179.9°
177.4°
176,1°
174.7°
174.2°
172.8°
-0 ,1 0 4
-0 .0 8 9
+ 0.037
-0 .0 9 5
-0 .3 8 3
-0 ,1 4 6
+ 0 .5 4 2
-0 ,1 3 2
-0 ,0 3 3
-0 ,4 1 0
-0 ,4 0 6
-0 .3 0 0
sehen dem W in k el am K o h len sto ff u n d d iesen
„ch em isch en “ C h a ra k te ris tik a k e in e in fa ch e r Z u ­
sa m m e n h a n g feststellen lä ß t, auch n ic h t bei g leich ­
ze itig e r B erü ck sich tig u n g b e id e r G rö ß e n . In te re ss a n t
ist jedoch, d aß
d ie k o v ale n te ste V e rb in d u n g
FoP N C O auch die ein zig e m it e in e r p ra k tisc h lin e ­
a re n N C O -A n o rd n u n g ist.
D ie h ie r d is k u tie rte n D aten k ö n n e n a b e r fü r
a n d e re E ig en sch a ften d e r V e rb in d u n g e n , w ie etw a
d as R e a k tio n sv e rh a lte n , H in w eise g eb en . V o n I n te r ­
esse ist z. B. d e r g e rin g e in d u k tiv e E ffekt d e r F 3CG ru p p e im C F 3N CO o d e r die u n e rw a rte t schwache
ele k tro n e n a n z ie h e n d e W irk u n g
des C h lo rs im
C1NCO, die in g u te r Ü b e re in s tim m u n g m it d e r g e ­
m essenen K e rn -Q u a d ru p o l-K o p p lu n g sk o n sta n te in
d ie s e r V e rb in d u n g 10 steh t. S ow ohl K o v ale n z p aram ete r w ie auch in d u k tiv e r E ffekt w eisen L iN C O als
typisch sa lz a rtig e V e rb in d u n g au s. D iese A u ssag e
deckt sich m it dem L ö su n g sv e rh a lte n d e r V e rb in ­
d u n g 11.
E in e d ire k te B ezieh u n g lä ß t sich h in g e g e n zw i­
schen dem N C O -W inkel u n d d e r e le k tro n isch en
S itu a tio n am K o h len sto ff feststellen . D iese e le k tro n i­
sche S itu a tio n lä ß t sich e in erse its d u rc h d ie N e tto ­
la d u n g des C -A tom s, a n d e re rse its d u rc h sein e ..B in ­
d ig k e it“ , d. h ., im R a h m e n q u a n te n c h em isc h e r V e r­
fa h re n , d u rch d ie S u m m e d e r B in d u n g sin d ic e s von
N - C - u n d C — O -B in d u n g c h a ra k te risie re n . D ie
1 H. Oberhammer, Z. Naturforsch. 26 a, 280 [1 9 7 1 ].
2 B. M. Rode, W. Kosmus u. E. Nachbaur, Chem. Phvs. Let­
ters 1 7 ,1 8 6 [1 9 7 2 ].
3 W. Kosmus, B. M. Rode u. E. Nachbaur, J. Electron Spectrosc. 1. 408 [1 9 7 2 ].
4 B. M. Rode, W. Kosmus u. E. Nachbaur, Mh. Chemie, im
Druck.
5 H. H. Eysel u. E. Nachbaur, Z. anorg. allg. Chem. 381, 71
[1 9 7 1 ].'
Tab. 3. N ettoladung qc und B indigkeit B c des C-Atoms in
der NCO-Gruppe.
Die statistische Untersuchung dieses Zusammen­
hanges liefert eine signifikante
(R = 0,988,
p > 99,9% ), zweifach lineare Korrelation der Form
# NC0
= 41,5 qc - 41,3 B c + 3 1 2 ,1 .
Beide Koeffizienten sind nach dem f-Test in glei­
chem Maß signifikant (^ = 10,405, t2 = 13,352).
Unter Miteinbeziehung dieser Ergebnisse kann
der Substituenteneinfluß auf Geometrie und elektro­
nische Struktur folgendermaßen gedeutet werden:
Je nach Art des Substituenten resultiert ein durch
die jeweilige Kern-Kern-Wechselwirkungsenergie be­
stimmter NCO-Minimumswinkel. Die Größe dieses
Winkels spiegelt sich in der elektronischen Situation
am NCO-Kohlenstoff wider, und zwar in seinem
kovalenten Bindungsverhalten und in seiner Netto­
ladung.
Somit ist es also möglich, anhand der detaillier­
ten, quantenchemisch berechenbaren Daten der Iso­
cyanate, Inform ation über die Ursachen und Folgen
der nichtlinearen NCO-Gruppe zu erhalten, die unter
Zugrundelegung klassisch-chemischer Begriffe nicht
befriedigend zu erklären sind.
Diese Arbeit ist Bestandteil des gemeinsamen
Forschungsprojekts: „Quantenchemische Untersu­
chungen in der Anorganischen Chemie (QUAC)“
der Institute für Anorganische und Analytische Che­
mie der Universitäten Innsbruck und Graz. W ir dan­
ken der Raiffeisen-Zentralkasse Innsbruck für die
finanzielle Unterstützung dieses Projekts.
6 W. H. Hocking u. M. C. L. Gerry, J. Mol. Spectr. 42, 547
[19 7 2 ].
7 J. A. Pople u. G. A. Segal. J. Chem. Phys. 44, 3289
[19 6 6 ].
8 K. B. W iberg, Tetrahedron. 24, 1083 [1 9 6 8 ] .
9 D. R. Armstrong, P. G. Perkins u. J. J. P. Stewart, J.
Chem. Soc. D alton 838 [1 9 7 3 ].
10 W. H. Hocking u. M. C. L. Gerry, Chem. Commun. 448
[19 7 0 ],
11 E. Nachbaur u. W. Schober, Mh. Chemie 104. 538 [1 9 7 3 ].
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