OBSESSION DER SCHRÄGE Daniel Libeskind: Erweiterung des Denver Art Museum, 2006 Downtown Denver wartet mit einer neuen Attraktion auf: der Museumserweiterung von Daniel Libeskind. Der schimmernde Kristall gilt als die neue landmark der Stadt; die Räume für die Kunst allerdings erweisen sich als problematisch. 50 archithese 5.2007 Text: Hubertus Adam 3 Das 1971 eröffnete Gebäude, das Gio Ponti gemeinsam mit den lokalen Architekten James Sudler und Joal Cronenwett für das Denver Art Museum errichtet hatte, zählt zu den ungewöhnlichsten Museumsbauten der USA. Während sich die 2 Erweiterung, vom Altbau aus gesehen (Fotos 2, 5+6: Hubertus Adam) meisten klassischen Ausstellungsinstitutionen in die Fläche ausbreiten und maximal drei Geschosse aufweisen (Basement, Galerien im Hauptgeschoss, Kabinette im Oberge- 1 Blick vom Dach der Bibliothek auf die Erweiterung des Denver Art Museum; links die Museum Residences (Foto: Jeff Wells) 4 seumsmüdigkeit» der Besucher vorzubeugen. Als Zeichen im 3+4 Entwicklung der Form des Museums: Faltung einer gestreckten Fläche, deren Form durch das Bergpanorama der Rocky Mountains inspiriert ist Stadtraum überzeugt Pontis 24-seitiger Monolith, der mit 5 Blick von Süden über einer Million von Hand versetzter Fliesen verkleidet ist 6 Altbau von Gio Ponti schoss), entwarf der Italiener eine siebengeschossige Struktur, die aus zwei miteinander verknüpften Türmen besteht. Dieses Konzept entsprach dem Wunsch des Direktors Otto Bach, der sich ein vertikales Museum mit übersichtlichen Geschossen von identischer Grösse wünschte, um der «Mu- und zwischen Monumentalität und Expressivität oszilliert, bis heute. Das Innere wurde ohne Beteiligung des Architekten eingerichtet und seither mehrfach umgestaltet. Weil die Sammlung sich ständig erweitert hatte und die bestehenden Räumlichkeiten zu wenig Raum für die Kollektion, für Wechselausstellungen sowie für Zusatznutzungen boten, begann man 1999 mit der Planung eines Erweiterungsbaus. Das Stimmvolk gewährte einen Baukredit von 62,5 Millionen Dollar für eine Erweiterung, die zugleich als landmark der Stadt fungieren sollte. Von 41 Architekten, die eingeladen wurden, sich zu qualifizieren, nahmen 19 an dem Verfahren teil; in der Schlussrunde konnte sich Daniel Libeskind gegen Thom Mayne und Arata Isozaki durchsetzen. 5 Schiefe Wände, beengte Proportionen Libeskinds Erweiterung, das sogenannte Hamilton Building, steht als eine mit Titanblech verkleidete kristalline Struktur im Stadtraum. Die Inspiration dazu will der Architekt durch einen Blick aus dem Flugzeug auf die westlich von Denver aufragenden Rocky Mountains erhalten haben. Das in zwei Linien festgehaltene Profil der Bergkette wurde gefaltet und zu einer dreidimensionalen Komposition verschlungen. Den Signalcharakter kann man dem Gebäude nicht absprechen, das sich dank seiner extravaganten Form neben dem Turm von Gio Ponti sowie der mächtigen postmodernen Bibliothek von Michael Graves zu behaupten weiss. Und das Titanblech lässt das Volumen samtig schimmern, ohne im heissen Klima 6 Colorados zu blenden. Man betritt das Museum entweder direkt an der Erweiterung oder durch den alten Haupteingang neben dem GioPonti-Bau. Eine die West 13th Avenue überspannende Passerelle verbindet Altbau und Erweiterung; die ursprünglich vorgesehene Tunnellösung liess sich aufgrund unterirdischer Leitungsstränge nicht realisieren. Als problematisch erweist sich das Innere. Suggestiv ohne Zweifel ist das grosszügige Atrium, von dem aus man über Treppen sämtliche der insgesamt fünf Ebenen erreicht. Doch die Obsession der schiefen und schrägen Winkel wird spätestens dort zum Problem, wo die Räume vergleichsweise gering dimensioniert sind. Das gilt insbesondere für die Präsentationen 51 7 8 11 10 9 52 archithese 5.2007 indigener Kunst aus Afrika und Asien, die im zweiten und dritten Obergeschoss in dreieckigen Seitenräumen untergebracht sind. Durch die formal überfrachteten Vitrinen wird das Problem der beengten Proportionen noch verstärkt. Die grösseren Raumfolgen für die moderne und zeitgenössische Kunst (zweites und drittes Obergeschoss) sowie die Western American Art (erstes Obergeschoss) überzeugen eher, wenn auch hier manche durch den Raum schnellenden Wände oder in diesen hineinragenden Ecken störend wirken. Unbefriedigend sind auch die mit Installationen überfrachteten Untersichten der abgehängten Decken: Das Primat des Formalen führte hier zu einer (Not-)Lösung, die weder diskret erscheint, noch als raue Inszenierung des Unvermeidlichen gelten kann. Kaum attraktiv schliesslich ist auch die Ausstellung der Werke des nach seiner Emigration in Aspen, Colorado, tätigen Bauhausmeisters Herbert Bayer. Präsentiert werden sie in einem Restraum zwischen Treppe und Auditorium im Untergeschoss. Museum Residences Ideale Räume für die Kunst sind mit der Erweiterung des Denver Art Museum nicht entstanden. Hier hat deutlich der Wunsch nach der landmark den Sieg davongetragen. Nur konsequent, dass man von dem Namen Libeskind auch weiterhin profitieren möchte. Luxuriöse Apartments sind in der Mantelbebauung des Parkhauses gegenüber vom Museumskristall entstanden. Für sie zeichnet Libeskind ebenfalls verantwortlich, auch wenn sich sein Engagement hier darauf zu beschränken scheint, die Fassade mit einigen schiefwinkligen Formen aufzupeppen. Werbetafeln von Museum.Residences.com werben mit dem Ausblick auf den Libeskind-Bau für die «Condos for sale» und zielen auf Käufer, die sich ein arty environment in Downtown Denver wünschen. Architektur: Studio Daniel Libeskind, New York; Projektarchitekten: Stefan Blach, Arne Emerson, Guadelupe Cantu, Robert Claiborne; Partnerarchitekt: Davis Partnership; Auftraggeber: City of Denver, Denver Art Museum Das Denver Art Museum ging hervor aus dem 1893 ge- 12 7 Ausstellungsbereich für moderne Kunst (Fotos 7+8: Kevin Hester) 8 African Art Gallery gründeten Denver Artists Club, der sich 1916 in Denver Art Association umbenannte. Erste permanente Räumlichkeiten wurden 1932 im City and County Building bezogen; damit war das erste Denver Art Museum entstanden. 1954 siedelte die Institution in einen kleinen Neubau auf dem heutigen Gelände um, neben dem 9–11 Grundrisse Erdgeschoss sowie 1.Obergeschoss und Schnitt 1:1250 12 Atrium (Foto: Jeff Goldberg/ ESTO) 1971 der siebengeschossige Neubau von Gio Ponti entstand. Daniel Libeskind wurde mit der Realisierung der Erweiterung im Jahr 2000 betraut, die Realisierung erfolgte zwischen 2003 und 2006; am 7. Oktober 2006 wurde das Museum neu eröffnet. Das Museum besitzt insgesamt 60 000 Exponate aus verschiedenen Zeiten und Kontinenten. Bedeutend sind insbesondere die Sammlungen zur Indian American und Western American Art. 53