26 DIE KRISE W E LT A M S O N N TAG N R . 3 3 „Europa muss sich für Italiens Pleite wappnen“ CRASH-EXPERTE Der Berkeley-Professor untersucht Lehren der Wirtschaftsgeschichte Barry Eichengreen ist einer der renommiertesten amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler. Er ist Professor an der University of California in Berkeley und untersucht dort vor allem die Geschichte des internationalen Finanzsystems. Seine Forschungsarbeiten decken ein breites Themenspektrum ab: Er hat unter anderem analysiert, wie die globalen Finanzströme Krisen auslösen, warum es zur Weltwirtschaftskrise kam und welche Rolle der Goldstandard für die wirtschaftliche Entwicklung einzelner Länder gespielt hat. An der Eliteuniversität Yale studierte Eichengreen Geschichte und promovierte 1979 in Volkswirtschaftslehre. Während der Asienkrise Ende der 90erJahre beriet der Ökonom die Spitze des Internationalen Währungsfonds. Er ist der Sohn der Autorin Lucille Eichengreen, die in Hamburg geboren wurde und als einziges Kind ihrer Familie den Holocaust überlebte. Der US-Starökonom Barry Eichengreen fordert, Italien fallen zu lassen, falls Reformen ausbleiben. Auch um die deutschen Banken macht er sich Sorgen Was erwarten Sie von den beiden Ländern jetzt? Die Antwort kann ich Ihnen in einem Wort geben: Wirtschaftswachstum. Die Märkte wollen endlich sehen, dass beide Länder aus ihren Schulden herauswachsen können. Silvio Berlusconis absurde Auftritte sind da Nebensache, genauso wie die vorgezogenen Parlamentswahlen in Spanien. Den Märkten geht es um die Wachstumsaussichten beider Länder. WELT AM SONNTAG: Herr Eichengreen, Konjunkturängste und die europäische Schuldenkrise führen zu wilden Kursausschlägen an den Börsen. Was kann die Politik noch tun, um die Märkte zu beruhigen? BARRY EICHENGREEN: Die europäische Politik muss sich jetzt auf Italien und Spanien konzentrieren. Um Griechenland und Portugal ist es schlimmer bestellt, aber das sind kleine Volkswirtschaften, die relativ leicht in den Griff zu bekommen sind. Spanien und Italien sind ganz andere Brocken. Dort hat die Politik viel weniger Möglichkeiten. Die sind allerdings düster. Das stimmt leider. Entscheidend wird in den kommenden Monaten sein, wie es der übrigen Weltwirtschaft geht. Es wird immer wahrscheinlicher, dass in den USA die Konjunktur einbricht. Wenn aber die USA oder eine andere große Volkswirtschaft tatsächlich in eine erneute Rezession geraten, wird es für Spanien und Italien praktisch unmöglich sein, schnell wieder zu wachsen. Wenn die USA eine Rezession vermeiden könnten, dann wäre es möglich. Um Frankreich machen Sie sich keine Sorgen? Nicht so sehr. Frankreich ist nicht Griechenland und auch nicht Italien. Im Fall von Frankreich geht es den Märkten nicht um Staatsschulden, hohe Haushaltsdefizite oder strukturelle Wachstumsprobleme. Die Investoren sind nervös, weil die französischen Banken viele Staatsanleihen der Krisenländer besitzen. Die Banken stehen also hoch im Risiko, haben aber nicht genügend Eigenkapital, um damit fertigzuwerden, falls es mit diesen Anleihen Probleme geben sollte. Davor haben die Anleger Angst. Ganz offensichtlich. In der vergangenen Woche verlor die größte französischen Bank Société Générale zeitweise fast ein Fünftel ihres Marktwerts. Ist das noch angemessen? Die Märkte haben möglicherweise überreagiert. Aber die französische Politik ist für die Unsicherheit an den Börsen mit verantwortlich, weil sie es nicht geschafft hat, die Banken in den vergangenen Jahren krisenfest zu machen. Das gilt übrigens auch für Deutschland. Die deutschen Banken könnten mit den gleichen Problemen kämpfen wie die französischen Institute. Wenn das Wachstum in Deutschland schwächer wird, könnten diese Probleme sehr schnell für alle sichtbar werden. Aber wie gesagt, im Moment geht es um Italien und Spanien. Italiens Wirtschaft wächst seit zehn Jahren nicht mehr. Sie ist verkrustet, braucht Reformen … … und ich denke, die Eliten des Landes haben das verstanden. Sie fordern jetzt einen nationalen Pakt, in dessen Rahmen alle Opfer bringen, um die Wirtschaft leistungsfähiger zu machen. Wenn das klappt, wäre es ein Bruch mit den üblichen Gepflogenheiten in Italien und ein starkes Signal. Und bis es so weit ist? Reformen brauchen Zeit, und die Märkte sind hochnervös. Deshalb sollte die Europäische Zentralbank Italien auch weiter unterstützen. Italien hat noch genügend Liquidität, um bis Ende des Jahres ohne Hilfen durchzuhalten. Die EZB sollte aber weiter bereitstehen, um italienische Staatsanleihen aufzukaufen. Sie plädieren für eine heikle Strategie. Wenn die EZB weiter Anleihen kauft, muss sie Geld drucken, was die Inflation anheizt. Damit gefährden die Zentralbanker ihren Auftrag. Wir befinden uns in einer extremen Situation. Es gibt nur eine staatliche Instanz, die überhaupt noch etwas unternehmen kann, um die Märkte zu beruhigen, und das ist die EZB. Sie sagen, die EZB verstoße gegen ihren Auftrag. Aber die EZB wurde geschaffen, um die Hüterin des Euro zu sein. Jetzt kämpft der Euro um sein Überleben, und die EZB Schauen wir einmal auf die Schuldenkrise jenseits des Atlantiks: Werden die amerikanischen Politiker sich am Riemen reißen und das Defizit senken, nachdem Standard & Poor’s die Bonität der USA herabgestuft hat? Da bin ich leider sehr skeptisch. Demokraten und Republikaner wollen noch immer nicht zusammenarbeiten. Wenn ich durch die politischen Talkshows zappe, wird nur gestritten. Ich sehe keinerlei Anzeichen dafür, dass eine der beiden Seiten jetzt kompromissbereiter ist. JAN ROEDER B arry Eichengreen ist einer der profiliertesten amerikanischen Ökonomen. Er analysiert seit Jahrzehnten das internationale Finanzsystem und hat schon früh davor gewarnt, dass eine Währungsunion ohne Umverteilung zwischen stärkeren und schwächeren Volkswirtschaften kaum möglich sei. 14 . AU G U S T 2 011 „Es gibt nur eine staatliche Instanz, die überhaupt noch etwas unternehmen kann, um die Märkte zu beruhigen, und das ist die EZB“, sagt Barry Eichengreen handelt genau richtig. Die Frage kann nicht sein, ob die EZB italienische Anleihen kaufen soll, sondern nur, unter welchen Bedingungen sie das tut. Und die wären? Die EZB soll nur dann italienische Staatsanleihen kaufen, wenn sie daran glaubt, dass die italienische Regierung Reformen durchsetzt. Das muss die Bedingung sein. Und der EZB-Rat muss Rom ganz deutlich klarmachen: Wenn wir diese Überzeugung verlieren, dann verliert ihr unsere Unterstützung. Mit diesen Geschäften holt die EZB sich aber noch mehr Risiken in die Bilanz – zusätzlich zu den griechischen Anleihen, die die Bank ohnehin schon hält. Wollen Sie wirklich, dass die Notenbank zu einer Art Bad Bank wird? Das wird sie nicht, wenn die Italiener wirkliche Reformen durchsetzen und damit die Wirtschaft stärken. Selbst wenn die nur in bescheidenem Umfang wachsen würde, wären die Märkte erleichtert, die EZB könnte die Anleihen 2012 wieder verkaufen und würde dabei vermutlich sogar Gewinn machen. Für die EZB wäre es gut angelegtes Geld – so wie beim Bankenrettungsprogramm in den USA nach dem Lehman-Crash. Damit hat die Regierung Geld verdient. Und was passiert, wenn die italienische Politik versagt? ANZEIGE + Wenn Rom nicht in der Lage ist, die nötigen Reformen anzustoßen, dann wird Italien umschulden müssen. Das ist eine weichgespülte Formulierung für Insolvenz. Ist eine Pleite Italiens überhaupt denkbar? Die Konsequenzen wären schwerwiegend, keine Frage. Italien ist nach den USA und Japan der drittgrößte Schuldner der Welt. Das ist eine ganz andere Geschichte als Griechenland, Irland oder Portugal. Europa muss sich deshalb für eine Umschuldung wappnen; die Banken müssen schusssicher sein und das Finanzsystem so stark, dass es auch solch ein Ereignis aushält. Denn die Banken sind gefährdet und mit ihnen die gesamte europäische Volkswirtschaft. Was wäre zu tun, um die Banken auf eine solche Umschuldung vorzubereiten? Wie gesagt, die Banken brauchen zusätzliches Kapital, aber davon sehe ich bisher noch nichts. Die Schweizer reden darüber, dass ihre Banken eine Eigenkapitaldecke von 19 Prozent brauchen … … das heißt, das Eigenkapital der Bank muss 19 Prozent der ausstehenden Risiken entsprechen. Genau. Das wird in der Schweiz intensiv diskutiert, aber aus Deutschland höre ich nichts dergleichen. Gar nichts. Dabei arbeiten die deutschen Banken immer noch mit viel zu großen Finanzierungshebeln. Da gibt es für die Politik und die Regulierer noch viel zu tun. Würde die Euro-Zone einem Staatsbankrott Italiens standhalten? Wenn die Banken eine Staatspleite aushalten, wird auch die Währungsunion stabil bleiben. Die Konsequenzen einer italienischen Umschuldung wären hart, es wäre ein erheblicher wirtschaftlicher Schlag. Aber die Umschuldung würde den Euro nicht gefährden, wenn die Europäer ihre Banken gestärkt haben. Wie viel Zeit bleibt den Regierungen, um die Banken darauf vorzubereiten? Das Zeitfenster ist klein, aber die EZB könnte die Unterstützung für Italien bis Ende des Jahres fortsetzen und Politik und Banken damit viel Zeit kaufen. Glauben Sie wirklich, dass solch eine langfristige Intervention in Deutschland politisch durchsetzbar ist? Weder Deutschland noch der EZB-Rat sind bereit, gutes Geld schlechtem hinterherzuwerfen. Jedem Wähler ist klar, dass es ein miserables Geschäft wäre, Italien zu finanzieren, wenn die italienische Wirtschaft nicht wächst. Deshalb wird die EZB auch keine Anleihen kaufen, wenn Italien nicht reformiert. Das sind nicht nur ökonomische, sondern auch politische Entscheidungen. Ist das Schuldenproblem denn überhaupt lösbar? Die fiskalischen Probleme sind nicht einfach zu lösen, aber natürlich ist es möglich. Die Politik muss an vier Stellschrauben drehen: Die Regierung muss ihre Ausgaben zurückfahren und die Einnahmen erhöhen. Mittelfristig muss die gesetzliche Krankenversicherung reformiert werden, denn die Ausgaben dafür steigen zu schnell. Und natürlich muss die Wirtschaft wieder wachsen. Die amerikanische Notenbank, die Federal Reserve, hat die historisch niedrigen Leitzinsen bis 2013 festgezurrt, um die Konjunktur zu stützen. War das richtig? Bis jetzt sieht es so aus, als hätte die Fed damit bescheidenen Erfolg. Allerdings sollten wir realistisch bleiben. Die Fed hat nach der Finanzkrise den Geldhahn schon zweimal Milliarden in die Wirtschaft gepumpt, aber bereits beim zweiten Mal war der Effekt nur begrenzt, und alles spricht dafür, dass die Festschreibung auch nicht mehr bringen wird. Können die Notenbanker damit eine erneute Rezession abwenden? Im Moment steht die Konjunktur auf des Messers Schneide, die Angst vor einer erneuten Rezession ist gerechtfertigt. Die Notenbank kann nur begrenzt Unterstützung bieten, und die Verbraucher sind stark verunsichert. Woher, frage ich Sie, soll in solch einer Situation das Wachstum kommen? Hat Fed-Chef Bernanke noch ein Ass im Ärmel? Wie gesagt, seine Möglichkeiten sind begrenzt. Aber wenn die Konjunktur noch weiter absackt, wird die Fed sicherlich handeln, vielleicht sogar als letzten Ausweg mehr langfristige Staatsanleihen kaufen. Das Gespräch führte Tobias Kaiser