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Strafrecht
Alain Joset, Advokat und Fachanwalt SAV Strafrecht
Allgemeiner Teil
Art. 30 StGB (Strafantragsrecht)
• Urteil 6B_1198/2014 v. 3. September 2015 (BGE 141 IV 380)
- Bei strafbaren Handlungen zum Nachteil einer Erbengemeinschaft
gelten die einzelnen Erben als Geschädigte nach Art. 115 StPO
- Als unmittelbar Geschädigtem steht das Strafantragsrecht dem
einzelnen Erben persönlich zu und er kann sich als Privatkläger
(Strafkläger) konstituieren
Allgemeiner Teil / Strafantrag
• Urteil 6B_125/2017 v. 17. Mai 2017
- Sachbeschädigung oder Brandstiftung?
- Wer sich im Rahmen eines Offizialdelikts als Zivilkläger konstituiert,
stellt bezüglich allfälliger Antragsdelikte nicht rechtsgültig Strafantrag
- Die adhäsionsweise Geldendmachung einer Zivilforderung allein
genügt nicht, um als Verlautbarung des bedingungslosen Willens zur
Strafverfolgung eines Täters auch bezüglich allfälliger Antragsdelikte
zu gelten
Allgemeiner Teil / Strafantrag
• Urteil 6B_776/2016 v. 8. November 2016
- Einbruch in eine Waldhütte (Clubhaus) eines Vereins; Diebstahl von
Senf, Salatsauce und Mayonaise und Bier
- Ein normales Vereinsmitglied ist nicht berechtigt, Strafantrag zu
stellen
- Vereinsvorstand/ Präsident steht Strafantragsrecht zu
- Vereinsmitglieder erleiden nur mittelbaren Schaden
Allgemeiner Teil
Art. 47 ff. StGB (Strafzumessung und Begründungspflicht)
-
Urteil 6B_1219/2015 u. 6B_1233/2015 v. 26. Mai 2016
Urteil 6B_105/2015 v. 13. Januar 2016
Urteil 6B_628/2015 v. 21. Dezember 2015
Urteil 6B_1068/2014 v. 29. September 2015
Urteil 6B_899/2014 v. 7. Mai 2015
Urteil 6B_45/2014 v. 24. April 2015
Urteil 6B_848/2015 v. 8. Februar 2016 / BGE 141 IV 244
Allgemeiner Teil / Strafzumessung
Kernpunkte für die Verteidigung:
- Besonders einlässliche Begründung wenn die Strafe den Antrag der
StA übersteigt
- Festlegung der Strafe innerhalb des Strafrahmens: Ausgangspunkt ist
der statistische Regelfall, der nur einen verhältnismässig geringen
Schweregrad erreicht
- Mittäterschaft begründet keine erhöhte Vorwerfbarkeit / Vergleich
zwischen Mittätern muss begründet werden
- Grenzbereich zum teilbedingten Vollzug berücksichtigen
Allgemeiner Teil / Strafzumessung
- Für jeden Normverstoss muss entschieden werden, welches die
angemessene Sanktion ist (Freiheits- oder Geldstrafe)
- Einsatzstrafe grundsätzlich für die schwerste Straftat und Asperation
- Zweitinstanzliche Gerichte dürfen sich nicht damit begnüngen, auf die
Begründung des erstinstanzlichen Gerichts zu verweisen
- Hans Mathys: Leitfaden Strafzumessung, 2016
Allgemeiner Teil / Strafzumessung
• Urteil 6B_466/2015 v. 28. September 2016 (BGE 142 IV 329)
- Eine Zusatzstrafe gemäss Art. 49 Abs. 2 StGB kann nur zu inländischen
Entscheiden ausgesprochen werden
- Die Strafkompetenz der Strafbehörden richtet sich im Rahmen von
Art. 49 Abs. 2 StGB nach der zu erwartenden Zusatz- und nicht nach
der hypothetischen Gesamtstrafe
Allgemeiner Teil / Strafzumessung
• Urteil 6B_1132/2016 v. 7. März 2017
- Vorwurf der Beteiligung an einer kriminellen Organisation (Verfahren
vor Bundesstrafgericht wegen Mitgliedschaft des ISIL; Art. 260ter
StGB)
- «Missbrauch des Gastrechts» darf nicht straferhöhend berücksichtigt
werden
- Der Umstand, dass der Täter ein Ausländer oder ein Asylbewerber ist,
kann eine Straferhöhung nicht begründen
Allgemeiner Teil
• Massnahmenrecht
• Von der Repression zur Prävention
• Null-Risiko-Doktrin
• Psychiatrisierung des Strafrechts
Allgemeiner Teil / Massnahmenrecht
Gutachten im Massnahmenrecht
- Sachverständige Person nach Art. 20 und Art. 56 Abs. 3 StGB muss i.d.R.
mindestens Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sein (BGE 140 IV
49)
- Psychiatrische Begutachtung ist grundsätzlich auch beim Entscheid über die
Verlängerung der Massnahme (Art. 59 Abs. 4 StGB) notwendig (Urteil
6B_850/2013 v. 24. April 2014; Urteil 6B_362/2014 v. 20. November 2014)
- Die Durchführung der Begutachtung darf vom forensischen Psychiater nur
in engen Grenzen an nichtärztliche Fachpersonen (Psychologen) delegiert
werden (Urteil 6B_884/2014 v. 8. April 2015)
Allgemeiner Teil / Massnahmenrecht
- Der beauftragte Sachverständige hat den Auftrag grundsätzlich
persönlich auszuführen (Urteil 6B_265/2015 v. 3. Dez. 2015)
- Bei der Begutachtung gilt im Grundsatz die Methodenfreiheit (Urteil
6B_304/2015 v. 14. Sept. 2015)
- Wenn gewisse Indikatoren eine Prüfung der Anordnung einer
Massnahme nahelegen und diese durch das Gericht auch geprüft
werden, muss zwingend ein Gutachten eines Sachverständigen
eingeholt werden (Urteil 6B_519/2015 v. 25. Januar 2016)
- Zulässigkeit von Aktengutachten (BGE 127 I 55)
Allgemeiner Teil / Massnahmenrecht
- Bei der Beurteilung der Legalprognose handelt es sich nicht um eine
Rechtsfrage, sondern um eine Tatfrage. Die Frage der Verhältnismässigkeit einer Massnahme ist Rechtsfrage (Urteil 6B_232/2011 v.
17. Nov. 2011)
- Fremdanamnestische Erhebungen durch den Gutachter (Art. 185 Abs.
4 StPO) sind problematisch (Urteil 6B_1090/2009 v. 20. Mai 2010)
Allgemeiner Teil / Massnahmenrecht
Literatur:
- NIKLAUS OBERHOLZER, Die aktuelle Praxis des Bundesgerichts zu
psychiatrischen Gutachten, in: Forum Justiz & Psychiatrie, Erkenntnisse von Fachkommissionen /Psychiatrische Gutachten im Fokus des
Bundesgerichts (Band 2), S. 51 ff.
- MARCEL ALEXANDER NIGGLI, Vom Repressions- zum Präventionsstrafrecht: Die Abkehr von der Ahndung begangener hin zur Verhinderung
befürchteter Delikte, in: Strafverteidigung und Sicherheitswahn, 3.
Dreiländerforum Strafverteidigung Zürich 2013, Wien 2014, S. 13 ff.
Allgemeiner Teil / Massnahmenrecht
Wann beginnt einer stationäre Massnahme zu laufen?
• BGE 142 IV 105
- Die in Art. 59 Abs. 4 StGB festgesetzte Dauer einer stationären
therapeutischen Massnahme beginnt, sofern dem Betroffenen nach
der Massnahmenanordnung bis zum effektiven Behandlungsbeginn
die Freiheit entzogen ist, mit dem rechtskräftigen und vollstreckbaren
Entscheid, in dem die Massnahme angeordnet wird und umfasst
somit auch den Freiheitsentzug zwischen der vollstreckbaren
Massnahmenanordnung und dem effektiven Behandlungsbeginn
Allgemeiner Teil / Massnahmenrecht
Verhältnismässigkeit der Massnahme
• Urteil 6B_409/2017 v. 17. Mai 2017
- Vernünftige Zweck-Mittel-Relation
- Zusammenspiel zwischen schwerer psychischen Störung, Rückfallrisiko und Freiheitsstrafe
- Erforderlich ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass sich mit der
Behandlung in der Normdauer von fünf Jahren eine tatsächliche
Reduktion des Rückfallrisikos erreichen lässt
Allgemeiner Teil / Massnahmenrecht
Art. 64 Abs. 1 StGB (Verwahrung)
• Urteil 6B_424/2015 v. 4. Dezember 2015
- Standardisierte Prognoseinstrumente im Zusammenhang mit der
Begründung der Rückfallgefahr einer inhaftierten Person können eine
individuelle Prognose (allein) nicht begründen.
- Fundierte individuelle Gefährlichkeitsprognose mittels differenzierter
Einzelfallanalyse durch den Sachverständigen
- Das Gericht muss die Qualität der gesamten Prognosestellung überprüfen
- NORBERT NEDOPIL, Prognosen in der Forensischen Psychiatrie – Ein Handbuch
für die Praxis, 2005
Allgemeiner Teil / Massnahmenrecht
Verhältnismässigkeit der Verwahrung
• Urteil 6B_746/2016 v. 8. Dez. 2016
- Art. 62c Abs. 4 StGB (nachträgliche Verwahrung)
- Nicht alle sexuellen Handlungen mit Kindern sind geeignet, die sexuelle
und psychische Integrität des Opfers schwer zu beeinträchtigen
- Je länger der Freiheitsentzug dauert, desto strenger werden die
Anforderungen an die Wahrung der Verhältnismässigkeit
- Spannungsverhältnis Rückfallgefahr, Schwere der Delikte (Progredienz der
Tatschwere), Dauer des Freiheitsentzugs
Allgemeiner Teil / Massnahmenrecht
• Urteil 6B_1203/2016 v. 16. Februar 2017
- Eine Verurteilung wegen versuchter schwerer Körperverletzung erfüllt
die qualifizierten Anforderungen an eine Anlasstat im Sinne von Art.
64 Abs. 1 StGB nicht zwingend
- Die blosse Erfüllung eines Anlasstatbestands genügt nicht, für die
Verwahrung kommen nur «schwere» Straftaten als Anlasstaten in
Betracht
Allgemeiner Teil / Massnahmenrecht
• Urteil 6B_68/2016 v. 28. November 2016 (BGE 143 IV 1)
- Umwandlung von einer ambulanten Massnahme in eine stationäre
Massnahme nach vollzogener Strafe (Verhältnismässigkeit)
- Schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit (sexuelle Handlungen
mit Kindern); besondere Gefährlichkeit
- Eine stationäre Behandlung muss im Vergleich zur (aufgehobenen)
ambulanten Therapie einen legalprognostischen Mehrwert aufweisen
• Urteil 6B_994/2016 v. 7. Nov. 2016
Allgemeiner Teil
Art. 86 Abs. 1 StGB (bedingte Entlassung)
• Urteil 6B_664/2016 v. 22. September 2016
- Fehlende Einsicht und fehlende Therapiebereitschaft können eine
fehlende günstige Legalprognose bewirken
- Intensive Therapiearbeit als Einsicht in einer Verhaltensänderung
• Urteil 6B_229/2017 v. 20. April 2017
Allgemeiner Teil
Art. 97 Abs. 3 StGB (Ende der Verfolgungsverjährung)
• Urteil 6B_646/2016 v. 3. Januar 2017 (BGE 143 IV 49)
- Art. 97 Abs. 3 StGB hat entgegen dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 2 lit. j
JStG auch im Jugendstrafrecht Gültigkeit.
- Auch in einem Jugendstrafverfahren tritt die Verjährung nicht mehr
ein, wenn vor Ablauf der Verjährungsfrist nach Art. 36 JStG ein
erstinstanzliches Urteil ergangen ist
Besonderer Teil
Änderungen im StGB:
- Art. 185bis StGB: Verschwindenlassen:
1Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer in der Absicht,
eine Person für längere Zeit dem Schutz des Gesetztes zu entziehen:
a. Im Auftrag oder mit Billigung eines Staates oder einer politischen
Organisation der Person die Freiheit entzieht, wobei in der Folge die
Auskunft über ihr Schicksal oder ihren Verbleib verweigert wird; oder
b. Im Auftrag eines Staates oder einer politischen Organisation oder
entgegen einer Rechtspflicht die Auskunft über das Schicksal oder den
Verbleib dieser Person verweigert.
2Strafbar ist auch, wer die Tat im Ausland begangen hat, sich in der Schweiz
befindet und nicht ausgeliefert wird. Art. 7 Abs. 4 und 5 ist anwendbar.
Besonderer Teil / Gesetzesänderungen
• Umsetzung des Internationalen Übereinkommens der Vereinten
Nationen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen
• Verschwindenlassen als eigenständiges Delikt / Formulierung
identisch mit Art. 264a Ziff. 1 lit. e StGB (Verbrechen gegen die
Menschlichkeit) ohne Tatbestandsmerkmal des Angriffs auf die
Zivilbevölkerung
• Universalitätsprinzip (Art. 185bis Abs. 2 StGB) / Grundsatz der
doppelten Strafbarkeit gilt nicht
Besonderer Teil / Rechtsprechung
Art. 117 StGB (Fahrlässige Tötung aufgrund einer Garantenstellung?)
• Urteil 6B_1122/2014 v. 29. Juni 2015 (BGE 141 IV 249)
- Kanton Nidwalden (Strafbefehlsverfahren) / Lawine am Stanserhorn
beim Bau einer Seilbahn
- Schuldspruch – Freispruch – Schuldspruch
- Regeste: «Eine Garantenstellung aus Vertrag entsteht nicht schon
durch die Vereinbarung als solche, sondern erst durch die faktische
Übernahme der Stellung»
Besonderer Teil / Rechtsprechung
Art. 122 i.V.m. Art. 22 StGB (versuchte schwere Körperverletzung)
• Urteil 6B_161/2016 v. 12. Oktober 2016
- Was will ein Mensch, der einem anderen einen Kopfstoss versetzt,
welcher einen Nasen- und Augenhöhlenbruch zur Folge hat?
- Eventualvorsatz?
- Dissertation von Vera Mai «Forensisch-Biomechanische Aspekte des
Kopfstosses (Institut für Rechtsmedizin München 2012)
Besonderer Teil / Rechtsprechung
Art. 146 StGB (Betrug)
• Urteil 6B_887/2015 v. 8. März 2016 (BGE 142 IV 153)
- Bestellung eines leistungsstarken Druckers durch eine Privatperson für rund
CHF 2´200.—
- Kein Alltagsgeschäft
- Unter dem Gesichtspunkt der Arglist resp. der Opfermitverantwortung
missachtet derjenige grundlegenste Vorsichtsmassnahmen und verhält sich
leichtfertig, der bei einem Kauf über das Internet ein Produkt mit einem
hohen Warenwert auf Rechnung an eine unbekannte Privatperson liefert,
ohne deren Bonität zumindest rudimentär zu prüfen
Besonderer Teil / Rechtsprechung
Art. 261bis StGB (Rassendiskriminierung)
• Urteil 6B_627/2015 v. 4. November 2015
- Der Kristallnacht-Tweet («Vielleicht brauchen wir wieder eine
Kristallnacht… diesmal für Moscheen») erfüllt den Tatbestand von Art.
261bis StGB
Besonderer Teil / Rechtsprechung
• Urteil 1B_320/2015 v. 3. Januar 2017 (BGE 143 IV 77)
- Strafanzeige einer Person jüdischen Glaubens gegen einen Komiker
wegen Aussagen über den Humor von Juden in der Sendung
«Sternstunde Philosophie»
- Bei Diskriminierung einer Gruppe von Personen (in casu Juden)
kommt den einzelnen Gruppenangehörigen mangels unmittelbarer
Betroffenheit keine Geschädigtenstellung zu. Sie können sich deshalb
nicht als Privatkläger konstituieren
Besonderer Teil / Rechtsprechung
Art. 321 StGB (Verletzung des Berufsgeheimnisses)
• Urteil 6B_1199/2016 v. 4. Mai 2017
- Auch der von einem Arbeitgeber eingesetzte Vertrauensarzt ist dem
Berufsgeheimnis nach Art. 321 StGB unterstellt. Ob und in welchem
Umfang der Arzt dem Arbeitgeber berichten darf, hängt davon ab, ob er
seitens des Arbeitsnehmers vom Geheimnis entbunden ist
- Der Arbeitgeber darf vom Vertrauensarzt nur diejenigen Angaben erheben,
welche die Eignung des Arbeitnehmers für das Arbeitsverhältnis betreffen
oder zur Durchführung des Arbeitsverhältnisses erforderlich sind. Dazu
gehören Tatsache, Dauer und Grad der Arbeitsunfähigkeit sowie die
Antwort auf die Frage, ob es sich um eine Krankheit oder einen Unfall
handelt
Strafrecht
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit
«Wie es um die Menschenwürde in einer Gesellschaft bestellt ist, lässt
sich nirgendwo so deutlich ablesen, wie an ihrer Strafrechtspraxis. Sie
ist die Feuerprobe für eine anständige Gesellschaft»
(Avishai Margalit)
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