P. R. van Weeren.K. J. Dik und A. Barneveld 261 (1985) Pferdeheilkunde 1, 261-263 Zusammenfassung Ein bemerkenswerterFall von Knielahmheit: Zerceißung desLigamentum decussatummediale bei einem Pferd P. R. van Weeren,K. I. Dik und A. Bameveld Institut für allgemeine Chirurgie und Chirurgie der Nutztiere, Vorstand: Prof. Dr. A. \fl. Kersies, und Instirut für Radiologie, Vorstand: Prof. Dr. K. J. Dik, der Tierdrztlichen Fakultät. Reichsuniversität Utrecht Einleitung Das Kniegelenk ist das größte und eines der kompliziertesten Gelenke des Pferdes,dessenBiomechanik recht komplex ist (Nickel et al, 1968, Rooney, t969). Obwohl eine chronische aseptische,durch Trauma verursachte Gonitis ein ziemlich haufiger Befund ist (Adams, 1974,ztanPeh et al, 7970),sieht man, im Gegensatzzur Situation beim Rind (Veaaer, 1972),eine Vedetzung der gekreuztenBänder nur selten. Begegnet man derartigen Fällen, dann handelt es sich fast immer um Vedetzungen desLigamentum decussatum laterale. Dies entspringt an der interkondylen Fläche des lateralen Femurknorrens und inseriert in der Fossaintercondylaris centralis tibiae. Verletzungen des Ligamentum decussatum mediale, welches an der interkondylen Fläche des medialen Femurknorrens entspringt und zur Fossaintercondylica caudalisund Incisura poplitea der Tibia zieht, werden nicht oder nur nebenbei erwähnt (Adams, 1974,Jeffcott, 1984,Jefcott and Kold, 1982,Nonie, 1982).Die vorliegende Kasuistik beschreibt einen traumatisch begründetenVerletzungsfall desLigamentum decussatum mediale. Bei einer 10jährigenholländischen \Tarmblutstute wurde eine ernsthafte, durch Trauma verursachte Lahmheit am Hinterbein festgestellt. Die klinische lJntersuchung deutete auf eine Fraktur im Bezirk des Kniegelenkes hin. Auf Grund der Röntgenbilder jedoch war es möglich, die Diagnose Zerreißung des Ligamentum decussatum mediale zu stellen. Diese Diagnose wurde bei der pathologischen Untersuchung bestätigt.Verletzungen dieserAn sind sehr selten bei Pferden. A rare case of stifle lameness: Rupture of the posterior cruciate ligament in a horse A lO-year-oldDutch Varmblood mare with a severehind leg lamenesswas presented.Clinical examination seemedto point to a fracture in the region of the stifle joint. Radiological examination, however, showed a rupture of the posterior cruciate ligament. Pathological examination confirmed the diagnosis.Injuries of this kind are rarely seen in the horse. 'Wunde oder andere auffällige Befunde. Die oberflächliche Palpation war ergebnislos.Bei der tiefen Palpation jedoch zeigcedas Pferd Schmerzen im Bezirk des Kniegelenkes. Bei der passivenBewegung des Kniegelenkesfiel eine sehr laute Krepitation auf, die man mindestenszwei Meter vom Pferd entfernt noch hören konnte, Auf Grund der klinischen Befunde,von denen die ernsthafte Lahmheit, die schmerzhaftePalpation und die sehr laute Krepitation die wichtigsten waren, war eine Fraktur in Betracht zu ziehen Es wurde daher eine radiologische{Jntersuchung des Pferdesvorgenommen. Radiologischer Befund Zur Röntgenuntersuchungdes linken Kniegelenkeswurde das Pferd anästhesiertund auf die linke Seite gelagert.Auf der mediolateralenAufnahme (Abb. 1) war die Eminentia intercondylaris (normalerweise von beiden Kondylen des Os femoris überlagert) nach kaudal verlagert. Diese hochgradige Luxation deutet auf vollständige Zerreißung des Ligamentum decussatummediale hin. Auf Grund dieser Diagnose wurde, angesichtsder schlechten Prognose, entschieden,das Pferd zu schlachten. Pathologischer Befund Klinischer Befund 'Süarmblutstute Eine 10jährige holländische (Körpergewicht 622kg) wurde in die Klinik für Heilkunde eingewiesen.Das Tier hatte von einem anderenPferd einige Schläge gegen den linken Oberschenkel bekommen. Unglticklicherweisewar der Fuß der Stute im Moment des Traumas gegenein Brett fixiert und konnte so der Krafteinwirkung nicht nachgeben.Die klinische untersuchung des Pferdes erfolgte innerhalb von etwa 15 Minuten nach dem Unfall. Der erste Teil dieser klinischen untersuchung, die Musterurig, zeigte ein am linken Hinterbein hochgradig lahmes Pferd, dasjedoch das Bein im Stand noch einigermaßenbelasten konnte. Die Inspektion der Extremität ergab keine Das Kniegelenk mit angrenzendenKnochen (Femur und Tibia) wurde einer pathologischen Llntersuchung unterzogen. Auffällig waren Blutungen direkt neben den Seitenbändern (Ligamenta collateralia)desKniekehlgelenkes(Articulatio femorotibialis). Nach Öffn,rng des Kniescheibengelenksackes(Articulatio femoropatellaris) ließen sich folgende Schädigungenfeststellen(Abb. 2): Das Ligamentum decussatummediale war etwa 3 cm nach der Insertion an der axialen Seite des medialen Gelenkknorrens zerrissen. Der lateraleMeniskus war nach vorne disloziert. Beide Gelenkflächen des Condylus medialis bzw. lateralis zeigcen Schädigungendes Gelenkknorpels an der axialen Seite, d. h. angrenzendan die Fossaintercondylica. 1 Pferdeheilkunde 262 Zerreißungdes Ligamentumdecussatummedialebei einemPferd Aufnahmedes Abb. 1: Mediolaterale Kniegelenkes. Die Eminentiaintercondylarisist weit nach kaudalverlagert. Abb. 2: Das eröffnete Kniegelenk. Das Ligamentumdecussatummedrale (a) ist zerrissen.Der lateraleMeniskus der ist disloziert(b). Die Gelenkflächen KondylenzeigenSchädigungen(c). Diskussion Verletzungen der gekreuzten Bänder des Kniegelenkes beim Pferde sind seltene Befunde. Begegnet man diesen Verletzungen, dann handelt es sich fast immer um Verletzungen des Ligamentum decussatumlaterale.Trotzdem erweist sich eine Zerreißung des Ligamentum decussatum mediale auf traumatischer Grundlage als möglich. Die Diagnose .Zerreißung des Ligamentum decussatummediale" wurde klinisch nicht gestellt. Insbesonderedie sehr laute Pferdeheilkunde 1 Krepitation brachte die Untersucher auf die falscheFährte. \Tahrscheinlich verursachte ein Kratzen der Gelenkknorren des Femurs über die Eminentia intercondylica der Tibia die Krepitation. Obwohl bezüglich desRindes (lVeaver, 1972)behauptet wird, die künstliche Tenotomie des Ligamentum decussatum mediale verursache kaum nennenswerte Instabilität, zeigcees sich, daß in diesemFall die Dislokation zwischen Tibia und Femur die auf den Röntgenbildern ersichtlich war, zur Diagnose führte. P. R. van Weeren,K. J. Dik und A. Barneveld 263 Literatur Adamg O. R. (1974): Lamenessin horses. 3'd ed., Lea&.Febiger, Philadelphia , 3 1 3 . 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R. aan W'eeren, Institut für allgemeine Chirurgie und Cbirurgie der Nutztiere, Tierärztlicbe Fakulttit der Reichsuniaersittit (Jtrecht Yalelaan 12, 3584 CM {Jtrecbt, Niederlande Pferdeheilkunde 1