Thema des Monats November 2006 Psychische Erkrankungen ein Thema im Arbeitsleben?! 1. … ein Thema im Arbeitsleben? 2. Verwirrung – auch durch die Begrifflichkeiten… 3. Was sind psychische Belastungen und Beanspruchungen? 4. Welche Folgen können psychische Belastungen und Beanspruchungen haben? 5. Was sind psychische Erkrankungen? 6. Welche wissenschaftlichen Disziplinen kümmern sich um die Problematik? 7. Wie häufig sind psychische Erkrankungen? 8. Konsequenzen auf internationaler Ebene 9. Psychische Erkrankungen – was tun? 10. Ist Psychotherapie wirksam? 11. Was sollte am Arbeitsplatz unternommen werden? 1. … ein Thema im Arbeitsleben? In den letzten Jahren gibt es vermehrt Anzeichen, dass die Problematik psychischer Erkrankungen auch für das Arbeitsleben immer bedeutsamer wird. Nach DAK Gesundheitsreport 2005 ist der Anteil psychischer Erkrankungen am Krankenstand von 8,8 % im Jahr 2003 auf 9,8 % im Jahr 2004 gestiegen. Damit stehen psychische Störungen nun bereits an vierter Stelle, was die Verursachung von Arbeitsunfähigkeitstagen angeht – häufigere Ursachen sind lediglich noch Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems, des Atmungssystems sowie Verletzungen. Die Bedeutung dieser Problematik zeigt sich z.B. durch • • • (oft immense!) Fehlzeiten und damit verbundene o betriebs- und volkswirtschaftliche Aspekte o Einbußen der Leistungsfähigkeit des Gesamtunternehmens o dauerhafte Mehrarbeit - und entsprechende Zusatzbelastungen - der übrigen Beschäftigten o oftmals sehr hoher Leidensdruck der Betroffenen Schwierigkeiten am Arbeitsplatz zumeist nicht nur bei Ab- sondern auch bei Anwesenheit der Betroffenen Stark empfundene Hilflosigkeit seitens der Führungskräfte sowie auch der Personalvertretung im Umgang mit den Betroffenen Psychische Erkrankungen – ein Tabuthema, das man am besten verschweigt, bis es nicht mehr anders geht? Führungskräfte gleichermaßen wie in der Personalvertretung engagierte Beschäftigte berichten zunehmend von einer Problematik, bei der sie sich unsicher und zum Teil auch ratlos fühlen. Aussagen wie die folgenden sind daher immer häufiger zu vernehmen: „Bestimmte Kollegen fehlen mehrere Monate – dann sind sie ein paar Tage da, sind irgendwie seltsam verändert, dann wieder lange weg. Wie soll man damit umgehen?“ Mit dieser so oder ähnlich artikulierten Unsicherheit stehen die betrieblichen Akteure jedoch keineswegs alleine da. Bei psychischen Erkrankungen ist es keine Seltenheit, dass der Bedarf für eine professionelle Psychotherapie aufgrund der Verheimlichung der Problematik oder auch aufgrund unzutreffender Diagnosen und Interventionen lange Zeit nicht erkannt wird. Entsprechende Studien weisen darauf hin, dass durchschnittlich sieben Jahre vergehen, bevor eine Psychotherapie in Angriff genommen wird, z.B. weil der entsprechende Bedarf durch die betroffene Person, den behandelnden Hausarzt oder andere am „Heilverfahren“ beteiligte Personen nicht richtig eingeschätzt wird. Aber selbst wenn die Notwendigkeit, psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen, erkannt worden ist, geht die Odyssee in vielen Fällen immer noch nicht zu Ende: In krassem Gegensatz zu den Vorstellungen, jedem Therapiebedürftigen auch eine Psychotherapie anbieten zu können stehen dabei Erkenntnisse, die auf eine sehr große Diskrepanz zwischen einerseits dem Bedarf, eine Psychotherapie durchzuführen und andererseits deren tatsächlicher Verfügbarkeit hinweisen. Sehr lange Wartezeiten von mehreren Monaten sind dabei leider nicht selten. 2. Verwirrung – auch durch die Begrifflichkeiten… Ist die Problematik psychischer Erkrankungen an sich schon verwirrend genug, kommen sehr oft auch begriffliche Unsicherheiten hinzu. Das Gefühl, zu wenig darüber zu wissen wird von Führungskräften, Akteuren des Arbeits- und Gesundheitsschutzes oder der Personalvertretung häufig artikuliert. Psychische Erkrankungen, psychische Belastungen – ist das alles das Gleiche? Ein klares nein – da gibt es Unterschiede, die aber in der betrieblichen Praxis oftmals nicht in hinreichender Form bekannt bzw. thematisiert sind. Da in der betrieblichen Praxis häufig Verwirrung und auch begriffliche Unsicherheiten anzutreffen sind, ist eine klare Abgrenzung zwischen psychischen Erkrankungen einerseits und psychischen Belastungen andererseits erforderlich. 3. Was sind psychische Belastungen und Beanspruchungen? In der Arbeitspsychologie allgemein anerkannte Konzepte bezüglich psychischer Belastung und Beanspruchung sind in der DIN Norm 10075 zusammengefasst. Dies ist überaus relevant im Sinne der erforderlichen primären Prävention – also der Versuche, „den Brunnen abzudecken, bevor das Kind hinein fällt“. Mit psychischer Belastung und Beanspruchung sind vergleichsweise eher kurzfristige Vorgänge angesprochen und noch nicht längerfristige Beanspruchungsfolgen, die natürlich sehr wohl aus ungünstigen BelastungsBeanspruchungsprozessen resultieren können. Nach dem Arbeitsschutzgesetz sind auch psychische Belastungen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung mit zu berücksichtigen und entsprechende Maßnahmen zu planen und durchzuführen. Die menschengerechte Gestaltung der Arbeit ist im Arbeitsschutzgesetz explizit als Maßnahme des Arbeitsschutzes definiert. Demzufolge sind ungünstige psychische Belastungen zu verhindern und darüber hinaus auch positive Prozesse wie Lernmöglichkeiten und persönliche Weiterentwicklung als Ziele des Arbeitsschutzes zu sehen. „Psychische Belastungen“ sind in der auch international gültigen Norm DIN EN ISO 10075-1 definiert als "die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken". Gemeint sind also z.B. Zeitdruck, Arbeitsüberlastung, Lärm oder andere Faktoren, die von außen auf die Beschäftigten einwirken. „Psychische Beanspruchung“ wird definiert als "die individuelle, zeitlich unmittelbare und nicht langfristige Auswirkung der psychischen Belastung im Menschen in Abhängigkeit von seinen individuellen Voraussetzungen und seinem Zustand" (vgl. DIN EN ISO 10075-1). Psychische Belastung und Beanspruchung sind also entgegen dem weit verbreiteten eher negativ besetzten Alltagsverständnis in der Norm neutral definiert. Deswegen ist vorgeschlagen worden von „psychischen Fehlbelastungen und Fehlbeanspruchungen“ zu sprechen, wenn ausdrücklich negative Aspekte gemeint sind. 4. Welche Folgen können psychische Belastungen und Beanspruchungen haben? Psychische Belastungen wie z.B. Zeitdruck oder Arbeitsüberlastung und entsprechende Beanspruchungsfolgen wie Stress oder psychische Ermüdung treten heutzutage bei sehr vielen Beschäftigten auf, was z.B. auch durch EU-weit durchgeführte Studien belegt wird. Durch längerfristig ungünstige Belastungs- Beanspruchungsprozesse können arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren und schließlich arbeitsbedingte Erkrankungen entstehen. So ist z.B. belegt, dass durch Stress die Funktionen des Immunsystems beeinträchtigt werden können, wodurch z.B. auch die Entstehung körperlicher Erkrankungen hervorgerufen oder beschleunigt werden kann. Ebenfalls belegt sind Zusammenhänge zwischen psychischen Belastungen und dem Auftreten psychischer Erkrankungen. Stark vereinfacht gehen viele Erklärungsansätze davon aus, dass psychische Erkrankungen durch das Zusammenwirken von ungünstigen psychischen Belastungs- Beanspruchungsprozessen und einer individuell vorhandenen Prädisposition, also einer bestimmten „Verletzbarkeit“ entstehen können. Dabei können Belastungsfaktoren aus dem betrieblichen wie auch dem privaten Umfeld im Zusammenwirken mit z.B. auch biologischen Faktoren, Erziehung und Sozialisation und anderen eine Rolle spielen. Wer sich jetzt aus der Diskussion verabschieden möchte nach dem Motto „Aha, wusste ich doch, dass die schon vorher einen Sprung in der Schüssel hatten“ sollte jedoch bedenken, dass jeder Mensch recht schnell Symptome entwickeln kann, die denen einer psychischen Erkrankung entsprechen, wenn die äußeren Bedingungen entsprechend starke Belastungen darstellen. Dafür reicht z.B. bereits längerer Schlafentzug. Im betrieblichen Zusammenhang können äußerst starke psychische Belastungen und Beanspruchungen, die z.B. im Zusammenhang mit Mobbing auftreten, auch bis dahin „robuste“ Persönlichkeiten „aus der Bahn werfen“. 5. Was sind psychische Erkrankungen? Eine allgemeine Definition psychischer Erkrankungen ist aufgrund der großen Vielfalt und Verschiedenartigkeit nur schwer zu finden. Die sehr große Bandbreite wird z.B. bei einem Blick in die „Internationale Klassifikation psychischer Störungen“ (International Classification of Diseases ICD 10) deutlich. In diesem weltweit anerkannten Diagnosemanual der Weltgesundheitsorganisation WHO wird z.B. unterschieden zwischen organisch und durch Substanzen bedingte psychische Störungen, Schizophrenie, affektive bzw. depressive Störungen, Angststörungen, bis hin zu Intelligenzminderung und Entwicklungsstörungen. Allerdings werden auch in der Fachwelt noch Schwierigkeiten gesehen hinsichtlich einer genauen Klassifikation psychischer Störungen. Auch bezüglich der Diagnostik und der jeweils indizierten, also angemessenen Behandlungsverfahren besteht an vielen Stellen noch weiterer Forschungsbedarf. Wer aufmerksam gelesen hat, wird sich jetzt fragen: „Psychische Störungen? Noch ein weiterer Begriff?“ Da Begriffe wie Krankheit und Erkrankung im Zusammenhang mit psychischen Phänomenen in weiten Kreisen der wissenschaftlichen Fachwelt als problematisch gesehen werden, hat sich vielerorts, z.B. auch im genannten ICD 10, der Begriff der „Störung“ („disorder“) durchgesetzt. Im deutschen Psychotherapeutengesetz (PsychThG), dem „Gesetz über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten“, wird deswegen auch konsequenterweise von psychischen Störungen mit Krankheitswert gesprochen. Im Kontext des Arbeitslebens spricht vieles dafür, dennoch von psychischen Erkrankungen zu sprechen, nicht zuletzt auch deswegen, weil der Begriff der psychischen „Störung“ oft als noch schlimmer empfunden wird als der der psychischen Erkrankung. So wurde in einer entsprechenden Studie von W. Stumme das Adjektiv „geistesgestört“ als der am weitesten von der Normalität abweichende Begriff empfunden (Stumme 1975). Um Stigmatisierungen möglichst gering zu halten, wird deswegen als Konsequenz aus diesen Erwägungen auch im vorliegenden Artikel der Begriff der „psychischen Erkrankung“ dem Begriff der „psychischen Störung“ vorgezogen, wohl wissend dass dies in der wissenschaftlichen Fachwelt anders gehandhabt wird. 6. Welche wissenschaftlichen Disziplinen kümmern sich um die Problematik? Verschiedene wissenschaftliche Disziplinen wie klinische Psychologie, Psychiatrie, Neurowissenschaften, Medizin, Biologie, Soziologie und andere teilen sich ein äußerst weit reichendes Fachgebiet. Ein solcher interdisziplinärer Zugang wird allein daraus schon ersichtlich, wenn man bedenkt, dass psychische Störungen zumeist multikausal determiniert sind – also durch viele verschiedene Faktoren verursacht werden. Einige Dimensionen sind angedeutet wenn man sich vor Augen führt, dass bei Entstehung und Verlauf psychischer Störungen zumeist sowohl psychische als auch organisch-körperliche Faktoren beteiligt sind, und dass sowohl durch die Umwelt bedingte lebensgeschichtliche Ereignisse und Belastungen als auch die individuelle genetische Disposition eine Rolle spielen können. Für die spezifische Problematik psychischer Störungen im Berufsleben ist selbstverständlich auch zu berücksichtigen, dass belastende Ereignisse des Berufs- sowie auch des Privatlebens eine Rolle spielen können. 7. Wie häufig sind psychische Erkrankungen? Psychische Erkrankungen sind vielfach stark stigmatisiert. Betroffene und – falls vorhanden – auch deren enge Bezugspersonen verschweigen entsprechende Leiden zumeist so gut und so lange es geht. Während beispielsweise die mehrwöchige krankheitsbedingte Fehlzeit aufgrund eines beim Skifahren zugezogenen Beinbruchs im Regelfall unproblematisch kommuniziert wird, sieht dies bei Phänomenen wie Depressionen, Angststörungen oder gar Schizophrenien ganz anders aus. Verletzt durch einen Beinbruch? Ja, das kommt halt mal vor und heilt auch wieder. Psychisch gestört? Psychisch krank? Das ist negativ besetzt. Aber wie häufig sind psychische Erkrankungen? Im Rahmen einer seit 1979 am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit durchgeführten Längsschnittstudie konnten fundierte Erkenntnisse gewonnen werden sowohl bezüglich der Häufigkeit als auch des Verlaufs psychischer und psychosomatischer Störungen in der Allgemeinbevölkerung. Die Ergebnisse dieser auch international hoch beachteten Langzeitstudie zeigten unter anderem, dass 26 % der gesamten untersuchten Bevölkerungsstichprobe als „psychisch krank“ eingestuft werden mussten (34 % der Frauen, 18 % der Männer). Die Angehörigen der unteren Sozialschichten waren überrepräsentiert, ebenso Ledige, Getrenntlebende und Geschiedene. In der Folgeuntersuchung (1983-1985) wurden die wesentlichen Befunde der Erstuntersuchung repliziert. Es zeigte sich, dass von einer hohen Zeitstabilität psychogener Erkrankungen auszugehen ist. Die sog. Spontanheilungsrate war mit etwa 6 % gering (vgl. M. Martini 2006). Dies unterstreicht die Notwendigkeit, psychische Störungen möglichst frühzeitig zu erkennen und einer angemessenen Behandlung zuzuführen. Allerdings konnte Wittchen (2005) nachweisen, dass nur 26 % aller Betroffenen mit psychischen Störungen irgendeine und noch weniger eine adäquate Behandlung erhalten. Oft vergehen viele Jahre und manchmal Jahrzehnte, bevor eine erste Behandlung eingeleitet wird. Unbehandelt verlaufen viele psychische Störungen häufig chronisch mit zunehmenden Komplikationen. In der europaweit angelegten Studie konnte Wittchen (ebd.) nachweisen, dass im Laufe eines jeden Jahres 27 % der EU-Bevölkerung - in absoluten Zahlen sind das 83 Millionen Menschen - mindestens eine psychische Störung wie z.B. eine Depression, bipolare Störung, Schizophrenie, Alkohol- oder Drogenabhängigkeit, Sozialphobie, Panikstörung, Generalisierte Angst, Zwangsstörungen, somatoforme Störungen oder Demenz erleiden. Die am stärksten ansteigenden Raten sind dabei bei depressiven Störungen sowie bei Suchterkrankungen zu verzeichnen. Bei noch weitergehendem Interesse kann hier auf ein entsprechendes „Faktenblatt“ zugegriffen werden. 8. Konsequenzen auf internationaler Ebene Die sehr weitreichende Problematik ist auch auf internationaler Ebene erkannt und thematisiert worden. „Keine Gesundheit ohne psychische Gesundheit“ – seitens der WHO wird definiert, dass „ein Zustand des Wohlbefindens, in dem der Einzelne seine Fähigkeiten ausschöpfen, die normalen Lebensbelastungen bewältigen, produktiv und fruchtbar arbeiten kann und imstande ist, etwas zu seiner Gemeinschaft beizutragen“ als psychische Gesundheit zu verstehen ist. Entsprechende Bemühungen, die psychische Gesundheit zu verbessern, sind seitens der WHO in letzter Zeit verstärkt unternommen worden. Eine umfangreiche Publikation liegt vor: „Psychische Gesundheit: Herausforderungen annehmen, Lösungen schaffen“. Im Internet zu finden unter: http://www.euro.who.int/document/E87301G.pdf Durch die Europäische Union liegt die Veröffentlichung eines „Grünbuchs“ vor: „Die psychische Gesundheit der Bevölkerung verbessern – Entwicklung einer Strategie für die Förderung der psychischen Gesundheit in der Europäischen Union“. Die Bedeutung der Thematik für den Einzelnen wie für die gesamte Gesellschaft wird dort besonders hervorgehoben. Wichtige Ziele und erforderliche Schritte werden herausgearbeitet. Das „Grünbuch“ findet sich im Internet unter http://ec.europa.eu/health/ph_determinants/life_style/mental/green_paper/mental_gp_de.pdf 9. Psychische Erkrankungen – was tun? Neben den genannten Erfordernissen der Berücksichtigung psychischer Belastungen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung nach Arbeitsschutzgesetz ist es wichtig, auch über sekundär- und tertiärpräventive Konzepte zu verfügen. Mit einfachen Worten ausgedrückt bedeutet sekundäre und tertiäre Prävention „das Kind wieder aus dem Brunnen herauszuholen und dafür sorgen, dass es nicht nochmals hineinfällt“. Hierzu ist es zumeist erforderlich, dass die Betroffenen fachkundige psychotherapeutische Unterstützung erhalten. Empfehlenswert zur Klärung geeigneter betrieblicher Vorgehensweisen ist die z.B. Publikation „Psychisch krank im Job – was tun?“ des „Bundesverbands der Angehörigen psychisch Kranker“ und des „Bundesverbands der Betriebskrankenkassen“. Diese bietet detaillierte Hintergrundinformationen und empfiehlt z.B. das sogenannte „H-I-L-F-E Konzept“ für die betriebliche Praxis. Hinter „H-I-L-F-E“ verbirgt sich dabei „Hinsehen“ und „Initiative ergreifen“, „Leitungsfunktion wahrnehmen“ und „Führungsverantwortung“ sowie die Einbeziehung von „Experten“. Ausführliche Erläuterungen zu dieser Strategie sowie weitere Informationen finden sich in der genannten Broschüre. 10. Ist Psychotherapie wirksam? Im Gegensatz zur weit verbreiteten Einstellung, psychische Störungen seien praktisch nicht heilbar, sind zahlreiche Therapieverfahren entwickelt worden, die zum Teil sehr gute Erfolge verzeichnen können. So bestätigt der „Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie“ (WBP) der Bundespsychotherapeutenkammer in einer Expertise die Wirksamkeit verhaltenstherapeutischer Verfahren, in nahezu allen untersuchten Anwendungsbereichen. Bei Erwachsenen bestätigt der WBP die Wirksamkeit der Verhaltenstherapie für zehn der elf untersuchten Anwendungsbereiche (Affektive Störungen, Angststörungen, Belastungsstörungen, Dissoziative, Konversions- und somatoforme Störungen, Essstörungen, andere Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen, Psychische und soziale Faktoren bei somatischen Krankheiten, Persönlichkeitsstörungen und Verhaltensstörungen, Abhängigkeiten und Missbrauch, Schizophrenie und wahnhafte Störungen). Einzige Ausnahme ist der Bereich „Hirnorganische Störungen", für die der WBP die Evidenzlage als noch ungenügend erachtet. Für Kinder und Jugendliche erteilte der Beirat für sieben der sieben geprüften Anwendungsbereiche die wissenschaftliche Anerkennung. 11. Was sollte am Arbeitsplatz unternommen werden? Aus der Sicht der Betriebe ist das betriebliche Eingliederungsmanagement von großer Bedeutung. Dazu ist die Novellierung des SGB IX „Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen“ zu nennen. In § 84 „Prävention“ wird gefordert, dass Beschäftigten, die innerhalb eines Jahres sechs Wochen oder länger krankheitsbedingt gefehlt haben, ein betriebliches Eingliederungsmanagement angeboten wird. Dabei ist zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Wichtige Personengruppen im Rahmen eines solchen Eingliederungsmanagements sind neben der betroffenen Person die Personalvertretung (evtl. inklusive Schwerbehindertenvertretung) sowie die Betriebsärztin oder der Betriebsarzt. Äußerst empfehlenswert ist es, generelle Absprachen bezüglich eines geeigneten Instrumentariums bzw. bezüglich der systematischen Einführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements möglichst im Vorfeld zu treffen. Dabei ist es empfehlenswert, die Kompetenzen der Integrationsämter der Landschaftsverbände (Beratungen, Broschüren) zu nutzen. Wichtige Informationen lassen sich z.B. in der sehr empfehlenswerten Publikation „Handlungsempfehlungen zum betrieblichen Eingliederungsmanagement“ der Landschaftsverbände nachlesen. Im Internet ist diese zu finden unter: http://www.lwl.org/abt61-download/PDF/broschueren/BEM_12_2005.pdf Weitere empfehlenswerte Links sind z.B. auch: www.integrationsaemter.de http://www.psychotherapiesuche.de/ http://www.bdp-verband.org/ http://www.bdp-klinische-psychologie.de/ http://www.bdp-wirtschaftspsychologie.de/ www.psychiatrie.de www.kompetenznetz-depression.de www.kompetenznetz-schizophrenie.de www.bapk.de http://www.baua.de/de/Informationen-fuer-die-Praxis/Handlungshilfen-undPraxisbeispiele/Toolbox/Toolbox.html__nnn=true Fazit: • • • • Durch psychische Erkrankungen verursachte Arbeitsunfähigkeit wird mehr und mehr zum Problem. Ursachen dafür sind sowohl im betrieblichen als auch im privaten Bereich zu sehen. Betriebe sind verpflichtet, im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung psychische Belastungen zu berücksichtigen. Erforderliche Maßnahmen der betrieblichen Prävention müssen die menschengerechte Arbeitsgestaltung und die Optimierung psychischer Belastungs- Beanspruchungsprozesse gewährleisten. Für den Umgang mit der Problematik sollte ein geeignetes Instrumentarium im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements nach SGB IX vorgehalten werden. Roland Portuné, Landesunfallkasse NRW