Definition/Merkmale psychischer Störungen Vorlesung „Psychische Störungen“ Prof. Dr. Ralph Viehhauser Verbreitung psychischer Störungen Häufigkeit psychogener Symptome: 80% bis 95% der Erwachsenen, kennt irgendwelche psychogenen Symptome aus eigener Erfahrung Lebenszeitprävalenz psychischer Störungen (in Dtschl.): ca. 42%. Punktprävalenz psychischer Störungen (in Dtschl.): ca. 31% Weltweit: Laut Bericht der WHO (2001) leiden ungefähr 450 Mio. Menschen weltweit unter psychischen Störungen. Was ist abweichend? Was bedeutet es zu sagen, jemand leide an einer psychischen Störung oder zeige abweichendes Verhalten? Wer entscheidet, wie, nach welchen Kriterien, was nicht der Norm entspricht? Wo können wir die Grenze ziehen zwischen Normalität und einer psychischen Störung? Merkmale von psychischen Störungen Statistische Seltenheit Verletzen von sozialen Normen Persönliches Leid Beeinträchtigung der Lebensführung Selbstgefährdung Unangemessenes Verhalten Statistische Seltenheit Ein Merkmal von psychischen Störungen ist ihre Seltenheit. Die Behauptung, ein Mensch sei normal, besagt in diesem Fall, dass er hinsichtlich der Ausprägung eines bestimmten Merkmals nicht gravierend vom Durchschnitt abweicht. Problematik bzgl. des Kriteriums: Es besteht nicht zwangsläufig ein Zusammenhang zwischen Seltenheit und Störung. Verletzen von sozialen Normen Eine weitere Frage bei der Bestimmung gestörten Verhaltens ist, ob es soziale Normen verletzt oder andere Menschen bedroht bzw. ängstigt. Problematik bzgl. des Kriteriums: Nicht jeder, der soziale Normen verletzt, kann als psychisch gestört gelten. Die meisten Patienten verletzten keine soziale Normen (z.B. ein Patient mit einer Angststörung). Kulturelle Unterschiede können die Wahrnehmung sozialer Normen stark beeinflussen. Persönliches Leid Verhalten gilt dann als gestört, wenn die Betroffenen sehr darunter leiden (z.B. Menschen mit Angststörungen und Depressionen). Problematik bzgl. des Kriteriums: Es gibt aber auch Störungen, bei denen die Betroffenen nicht zwangsläufig leiden (z.B. Menschen mit einer antisozialen Persönlichkeitsstörung). Nicht jedes psychische Leid ist eine psychische Störung Beeinträchtigung der Lebensführung Ein Kriterium für eine psychische Störung kann auch das Ausmaß der Beeinträchtigung der Betroffenen in wichtigen Bereichen ihres Lebens (z.B. am Arbeitsplatz oder in persönlichen Beziehungen) sein. Problematik bzgl. des Kriteriums: Nicht jede psychische Störung ist zwangsläufig mit einer Beeinträchtigung verbunden (z.B. Transvestitismus). Nicht jede erlebte Beeinträchtigung gehört in den Bereich psychischer Störungen (z.B. kleine Körpergröße, wenn man Profi-Basketballspieler werden möchte). Selbstgefährdung Psychische Störungen können auch mit verschiedenen Graden der Selbstgefährdungen im Zusammenhang stehen (z.B. Suizidtendenzen oder chronische Suchtmittelintoxikation bei Abhängigen) Problematik bzgl. des Kriteriums: Nicht jeder, der sich selbst gefährdet hat eine psychische Störung! Unangemessenes Verhalten Erlebens- und Verhaltensweisen gelten als gestört, wenn sie unangemessene Reaktionen auf Belastungen aus der Umgebung darstellen (z.B. eine Angstsreaktion, die der Situation nicht angemessen ist). Problematik bzgl. des Kriteriums: Nicht jedes ungemessene Verhalten hat etwas mit einer psychischen Störung zu tun. Unterschiedliches Verständnis von Normalität Statistische Norm: abnorm ist das Ungewöhnliche Idealnorm: abnorm ist das Verwerfliche Sozialnorm: abnorm ist das Abweichende Subjektive Norm: abnorm ist das Unpassende Funktionale Norm: abnorm ist das Schädliche Zusammenfassung der wichtigsten Definitionsmerkmale psychischer Störung Psychische Störungen beinhalten Beeinträchtigungen in Emotionen, Verhalten oder Denkprozessen, die (i.d.R.) zu persönlichem Leidensdruck führen oder die Fähigkeit einer Person blockieren, wichtige Ziele zu erreichen. In manchen Fällen steht eher der Aspekt der (Selbst- oder Fremd-) Gefährdung im Vordergrund. Psychische Gesundheit/Krankheit als Kontinuum? Optimale Psychische Gesundheit Minimale Psychische Gesundheit Diagnose „Psychische Störung“ ist Grundlage für wichtige Entscheidungen: z.B. um die sachgerechte Versorgung Betroffener zu gewährleisten. zur Beurteilung der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit sowie einer etwaigen Berentung. zur Beurteilung der Schuldfähigkeit im Zusammenhang mit einer Straftat (§§ 20 und 21 StGB). Nominalistisches Grundkonzept bzgl. des Verständnisses von psychischen Störungen Die Gemeinschaft der Experten legt per Konvention Kriterien fest, die erfüllt sein müssen, um von einer bestimmten Krankheitsdiagnose zu sprechen. Psychische Störungen sind dann durch die Gesamtheit der Störungen definiert, die in anerkannten Klassifikationssystemen enthalten sind (z.B. im ICD10 der WHO)