Konsiliar-Liaisonversorgung für Patienten mit psychischen

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Konsiliar-Liaisonversorgung für Patienten mit psychischen / psychosomatischen
Störungen und Belastungen im Spital Wil
Seit bald einem Jahr verfügt das Spital Wil; als erstes der Spitäler der SRFT; über einen fest installierten
K&L Dienst. Dieses Institut entstand als gemeinsames Projekt der KPDSN und der SRFT. Die Kooperation
der beiden Dienste beschreibt und regelt ein entsprechender Vertrag.
Ich persönlich durfte als „Vorhut“ in diesen Service einsteigen und ihn, (neben meiner Tätigkeit als
„Notfall-Ambulatorium“ am Standort PK Wil), jeweils täglich, werktags zu 50% im Spital etablieren. Im
Rückblick auf das spannende und lehrreiche Jahr möchte ich die Behauptung wagen, dass das Vorhaben
mittlerweile recht gut gelungen ist. Es liegt grösstenteils an dem mir durch die „Somatiker“
entgegengebrachten Vertrauen und freundlich-neugieriger „Gastfreundschaft“. Die Leistungen werden
rege von sämtlichen Fachabteilungen sowie Externen (Hausärztinnen/-ärzten, niedergelassenen
psychiatrischen Kolleginnen/Kollegen, dem Spital Wattwil und anderen) angefragt. Auch die
Rückmeldungen der beratenen Kolleginnen/Kollegen und nicht zuletzt die Opinion der Patientinnen und
Patienten sowie deren Angehörigen selbst fallen meist zufrieden aus.
Was ist das: Konsiliar- und Liaisonpsychiatrie?
Die Beratung mehrerer Ärzte zur Klärung eines Krankheitsfalles wird von alters her als Konsilium
bezeichnet. Der Psychiater handelt im Auftrag des anfordernden Arztes, der zuvor die Entscheidung
gefällt haben muss, dass ein Problem vorliegt, welches die Einschaltung psychiatrischer Fachkompetenz
erfordert.
Die Konsiliarpsychiatrie ist also der Bereich der Psychiatrie, welcher sich mit der Versorgung von
Patienten mit somato-psychischer oder psycho-somatischer Erkrankung, meist während des
Spitalaufenthaltes des Patienten, beschäftigt.
Allgemein lassen sich die Ziele der psychiatrisch-psychotherapeutischen Konsiliartätigkeit im Spital wie
folgt zusammenfassen:
1. Evaluation von Patienten mit somatopsychischer Komorbidität, Verhaltensauffälligkeiten in
Verbindung mit einer körperlichen Grunderkrankung bzw. somatoformen Störung,
2. Durchführung einer psychiatrischen Untersuchung unter, wenn erforderlich, Einschluss
neurologischer und allgemeinmedizinischer Untersuchungen
3. Erarbeitung, Einleitung und Überwachung eines Behandlungsplans durch den primär
behandelnden Arzt ggf. unter Hinzuziehung von anderem qualifiziert medizinischen Personal.
4. Unterstützung der psychischen Stabilität des Patienten in der z.T. als bedrohlich erlebten
Atmosphäre des KK.
5. Krisenintervention
Der Prozess der psychiatrischen Konsiliartätigkeit umfasst:
1. Die klassische patientenzentrierte psychiatrische Konsultation (Überweisung durch Somatiker,
Exploration, psychopathologische Befunderhebung, Diagnose, Empfehlung, Procedere)
2. Die Krisenintervention (der Patient, das Team, die Angehörigen werden bei der Bewältigung der
zu durchlaufenden Phasen nach erleben eines schweren Stressor unterstützt)
3. Ein ausschliesslich auf das medizinische Team bezogenes Vorgehen: der anfordernde Arzt,
Pflegefachpersonen, Sozialdienst werden beraten, wie sie eine problematische Situation besser
bewältigen können.
4. Ein situationsbezogener Ansatz, der wesentlich die Beziehung zwischen Patient, Arzt und
Stationsteam berücksichtigt.
Die letzten zwei Punkte leiten über zum weiter zu klärenden Begriff: Liaison.
Mit psychiatrischer Liaisontätigkeit (frz. liaison, Verbindung, Anschluss) im engeren Sinne wird ein
Ansatz bezeichnet, der dem primär patientenzentrierten Vorgehen der konsiliarischen Konsultation ein
arzt- oder teamzentriertes Vorgehen gleichstellt. Im Liaisonmodell ist der Konsiliarpsychiater mehr als
ein „Feuerwehrmann“, der lediglich Notfallsituationen zu managen hat.
Ich kann mich also als Psychiater quasi ad hoc, „bedürfnisorientiert“, in ein somatisches Stationsteam
integrieren, an dessen Visiten und Fallkonferenzen teilnehmen, und neben der Patientenversorgung die
psychiatrisch-psychotherapeutische Schulung von Pflegepersonal und Ärzten übernehmen, um deren
Kompetenz im Umgang mit Patienten mit psychischer Komorbidität durch praktisches Beispiel zu
verbessern. Dabei kann ich dafür sorgen, dass die Konsilanfrage an Konsiliarpsychiater nicht am Ende
der Diagnostikphase, oder gar am Ende eines Spitalaufenthaltes steht, sondern zum Teil eines
routinemässig geplanten diagnostisch-therapeutischen Vorgehens wird.
Das Liaisonmodell zielt also auf die frühe Entdeckung möglicher Probleme in der Behandlung oder im
Umgang mit Patienten, welche sich auf eine psychische Störung oder Verhaltensauffälligkeit
zurückführen lassen.
Weiterer zentraler Bestandteil des Liaisonmodells sind die Ausbildung nichtpsychiatrischer Ärzte und die
Unterstützung des nichtpsychiatrischen Pflegepersonals hinsichtlich des Zusammenhangs von
medizinischen und psychiatrischen Auffälligkeiten in Bezug auf die spezielle Erkrankung eines
individuellen Patienten.
In meiner klinischen Praxis sind die Übergänge zwischen Konsiliar- und Liaisonansatz aus pragmatischen
Gründen fliessend.
Psychiatrische Komorbidität bei körperlichen Erkrankungen – Grundlage der K&L-Psychiatrie im Spital.
Psychische Störungen bei Patienten auf somatischen Stationen sind häufig. Körperliche und psychische
Erkrankungen können sich gegenseitig beeinflussen. Eine zuverlässige Bestimmung des Beginns einer
körperlichen oder psychischen Symptomatik ist häufig schwierig.
Psychische und körperliche Erkrankungen können in folgenden Konstellationen auftreten:
1. Hirnorganische Erkrankungen (z.B. Delir),
2. Affektive Symptome infolge einer körperlichen Erkrankung, entweder als deren
Prodromalerscheinung oder infolge der Behandlung (z.B. durch Chemotherapie),
3. Belastungsreaktionen/Anpassungsstörungen oder Überforderung der individuellen
Copingstrategien infolge einer körperlichen Erkrankung und deren Behandlung,
4. Oder körperliche und psychische Erkrankung sind unabhängig voneinander, liegen aber
gleichzeitig vor und können sich wechselseitig beeinflussen.
Man geht davon aus, dass in Spitälern ca. 30% der dort wegen einer körperlichen Grunderkrankung
behandelten Patienten auch an einer psychischen Störung leiden. Bei 10% allerPatienten liegt ein Delir
vor.
Körperliche Symptome, welche nicht durch eine körperliche Erkrankung erklärt werden können
(somatoforme/Somatisierungs-Störungen), treten ebenfalls häufig auf. Die Hälfte dieser Patienten
haben eine gleichzeitige Diagnose einer affektiven Störung – Depression oder Angst.
Zwei Drittel der Patienten, welche die medizinischen Dienste überdurchschnittlich oft in Anspruch
nehmen, leiden an einer psychischen Erkrankung; 23% an einer Depression, 22% an einer
Angsterkrankung, 20% an einer somatoformen Störung.
Das Vorliegen einer Depression ist ein besserer Prädiktor hinsichtlich der Inanspruchnahme von
ambulanten medizinischen Diensten als eine andere Erkrankung.
Das Vorliegen einer psychiatrischen Störung ist nachgewiesenermassen ein guter Prädiktor einer
verlängerten Spitalliegedauer.
Indikationen für eine Konsilanfrage können sein:
Depression, Angst/Panik, Agitiertheit/anhaltender Unmut, Dysphorie, Bizarres/unerklärbares
Verhalten/Mutismus, Psychosen/Halluzinationen/Wahnbildungen, Alkoholmissbrauch/Entgiftung
(Zusammenarbeit mit Suchtberatungsstelle, PSA Wattwil, Suchtbereich PKW),
Abhängigkeit/Drogenmissbrauch/Entzug/Intoxikation, aggressives/bedrohliches Verhalten, Beurteilung
der Suizidalität, Diagnosestellung bei vermuteter psychischer Komponente, Ess-Störung, Trauer,
Verwirrtheit/Desorientiertheit/Delir, Postpartale/peripartale Veränderungen, Beurteilung der Verlegung
in eine Psychiatrische Klinik, Beurteilung einer psychotropen Medikation, medikamenteninduzierte
Störungen/Medikamenteninteraktion, Schlafstörungen, Beurteilung der Behandlung eines chronischen
Schmerzsyndroms, Hypochondrie/exzessive oder ungewöhnliche körperliche Klagen, Simulation,
Münchhausen-Syndrom, Coping-Probleme, familiäre Probleme, Kindesmissbrauch/Missbrauch von
Alten, interpersonelle/Partnerschaftsprobleme, Beratungswunsch des Patienten, Beurteilung einer
psychiatrischen Anamnese, sexuelle Problematik/Gewalt, präoperativer Befund, Verlaufsuntersuchung
des psychischen Befundes, ethische/medizinjuristische Fragestellungen, Urteils,-Einsichts,Einwilligungsfähigkeit, Noncompliance/Behandlungsverweigerung
Die Konsil-Anforderung wird in der Regel schriftlich formuliert. In den meisten Fällen ist aber ein
persönliches oder telefonisches Vorgespräch zur Klärung von Ausgangssituation, Fragestellung und
Erwartungen notwendig.
Konsil/Liaisontätigkeit trägt zu einer besseren Versorgung im Akut-Spital bei, indem psychische und
psychosomatische Störungen von Patienten und Belastungen ihrer Familien besser erkannt und
behandelt werden können. Ein Konsil erfolgt als patientenbezogene Anfrage. Liaison heisst
anfrageunabhängige feste Zuordnung zu einer Abteilung hier Spital. Konsiliar- und Liaisontätigkeit
umfasst Krisenintervention, Mitwirkung bei Diagnostik und Behandlung, Fortbildung für die Mitarbeiter
der Klinik. Eine gelungene Integration eines Konsil-/Liaisondienstes bewirkt eine höhere Zufriedenheit
von Ärzten, Pflegepersonal, den Patienten und deren Familien.
Psychische und psychosomatische Störungen werden besser erkannt und behandelt. Die psychosoziale
Kompetenz von Ärzten und Pflegepersonal wird verbessert und die Schnittstellen zwischen
organmedizinischer und psychosozialer Versorgung und zwischen stationärer und ambulanter
Behandlung werden überbrückt.
Man könnte die der K&L Psychiatrie auch als Teil gemeindepsychiatrischer Versorgung verstehen, indem
man das Spital in seiner Filterfunktion und die damit verbundene Rolle des psychiatrischer
Konsiliardienstes für die Diagnose bislang unbekannter behandlungsrelevanter psychischer Störungen
wahrnimmt und versteht.
Über die sekundärpräventive Funktion, also die Behandlung manifest gewordener psychischer
Symptome, hinaus wird folgendes erreicht. Tertärprävention: Weiterbehandlung der psychischen Folgen
einer körperlichen Erkrankung, anschliessend, nach Spitalentlassung im ambulanten Setting,
Primärprävention: Verhinderung der Entwicklung psychischer Auffälligkeiten durch möglichst frühzeitige
Intervention.
Wil, November 2012
Paul-Richard Guzek, med.pract.
Oberarzt / Leiter Konsiliar- und Liaision-Dienst
Kantonale Psychiatrische Dienste – Sektor Nord, Wil
Spitalregion Fürstenland – Toggenburg
Dieser Beitrag wurde in gekürzter Form in der Hauszeitschrift KLIFO der KPD-SN, Ausgabe 3-2012
publiziert.
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