Zusammenfassung_Leckel - IZZ-ON

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15. IZZ-presseforum Heidelberg 2009
(Es gilt das gesprochene Wort)
Beitrag:
Zahnarzt – ein Arzt nur für Zähne?
Psychosoziale Aspekte bei der Patientenbehandlung
Von:
Dr. M. Leckel
Bereits anhand der Vorträge von Prof. Schmitter und PD Dr. Hassel wird
deutlich, dass die Berücksichtigung psychosozialer Aspekte sowohl im Rahmen
der Alterszahnheilkunde als auch chronisch schmerzhafter Funktionsstörungen
schon seit längerem als wichtiger Bestandteil von Diagnostik und Therapie
angesehen werden kann.
Grundsätzlich sollte der Zahnarzt, so wie jeder andere ärztliche Spezialist, auch
über den allgemeinen Gesundheitszustand seines Patienten umfassend
informiert sein. Soweit dies körperliche Leiden wie z.B. kardiovaskuläre
Erkrankungen oder Koagulopathien betrifft, ist die Erkundigung danach
selbstverständlich. Selbst Erkrankungen wie Hepatitis oder die Tatsache einer
HIV-Positivität, deren Preisgabe unmittelbar den psychischen Intimbereich des
Patienten berührt, werden in aller Regel ohne Umschweife bereits in der
Erstanamnese - zuweilen sogar per Fragebogen - erhoben.
Lediglich im Falle psychischer Erkrankungen herrscht offensichtlich immer
noch die Scheu, die Anamnese selbstverständlich auch auf diesen Bereich
auszudehnen, sei es aufgrund der (falschen) Überzeugung, die psychische
Befindlichkeit des Patienten spiele in aller Regel bei der zahnärztlichen
Behandlung keine Rolle, sei es aufgrund der Vorstellung, ein Nachhaken könne
vom Patienten als unangemessene Neugier auf einem Gebiet, das den Zahnarzt
nichts anginge, empfunden werden, weswegen man es zur vorsorglichen
Vermeidung einer Belastung des Arzt-Patientenverhältnisses besser von
vornherein unter den Tisch fallen lasse.
Wie relevant ist das Problem? Aus dem Zusatzsurvey „Psychische Störungen“
zum 1998/99 durchgeführten Bundesgesundheitssurvey (BGS)1 geht hervor,
dass innerhalb der letzten zwölf Monate vor der Erhebung nahezu ein Drittel
der Bevölkerung von mindestens einer psychischen Erkrankung betroffen war.
Dazu zählten vornehmlich affektive Störungen wie die Major Depression,
Substanzabhängigkeiten
(zumeist
Alkoholismus)
und
unterschiedliche
Angststörungen. Eine Sonderrolle kommt in dieser Hinsicht den sog.
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Somatisierungstörungen zu, deren Prävalenz zwar niedriger liegt, die sich aber
sich durchaus auf zahnärztlichem Gebiet abspielen können und, falls sie nicht
erkannt bzw. missdeutet werden, umfangreiche und schwerwiegende Über- und
Fehlbehandlungen zur Folge haben können. Das Charakteristikum dieser
Erkrankung ist nämlich die wiederholte Darbietung (allgemein-)körperlicher
Symptome in Verbindung mit hartnäckigen Forderungen nach medizinischen
Untersuchungen trotz wiederholter negativer Ergebnisse und der Versicherung
der Ärzte, dass die Symptome körperlich nicht begründbar sind. Wird diese
Störung nicht erkannt, sondern stattdessen z. B. die seit einigen Jahren
zunehmend beliebte und weitgehend unkritisch akzeptierte Modediagnose eines
vermeintlich „Falschen Bisses“, gestellt, so wird durch den Versuch, diesen
definitiv zu „berichtigen“ im Rahmen der dafür erforderlichen meist
aufwändigen und kostenintensiven prothetischen Maßnahmen ein zusätzliches
therapeutisches Betätigungsfeld im oralen Bereich eröffnet, dessen intensive
Bearbeitung tendenziell mehr Schaden als Nutzen stiften wird.
Allerdings darf man nicht in den Fehler verfallen, zu folgern, die Symptome des
Patienten seien ohne den Nachweis einer körperlichen Ursache zwangsläufig
„eingebildet“ und einer Berücksichtigung bzw. Behandlung nicht wert. Für den
Patienten sind mit der Störung verbundene Mißempfindungen, Schmerzen u. ä.
sehr wohl reell, ihr Entstehen ist im Rahmen eines psychosozialen Modells auch
erklärlich.
Gelingt
es
dementsprechend,
ein
vertrauensvolles
Arzt-
Patientenverhältnis aufzubauen und dem Patienten das Ernstnehmen seiner
Beschwerden glaubwürdig zu vermitteln, ohne die unterschwellige Nötigung,
instrumentell oder bildgebend nachweisbare pathologische Befunde als Ursache
seiner Erkrankung vorbringen zu müssen, so wird es möglich, gemeinsam ein
alternatives Krankheitsmodell zu erarbeiten und, wo erforderlich, eine
Überweisung zum Psychosomatiker vorzubereiten.
Natürlich besteht keine Notwendigkeit, im Falle kurzzeitiger und begrenzter
zahnärztlicher Interventionen in jedem Falle eine eingehende psychosoziale
Anamnese zu erheben. Dass jedoch z. B. während der manischen Phase einer
bipolaren Störung die Anfertigung einer umfangreichen Versorgung mit
Zahnersatz besser unterlassen und auf später verschoben werden sollte, liegt auf
der Hand. Desgleichen sind chronische bzw. rezidivierende (schmerzhafte)
Erkrankungen, die tendenziell mit einer Einschränkung des Befindens
einhergehen, ohne die Erhebung und Berücksichtigung der psycho-(sozialen)
Dimension nur eingeschränkt behandelbar.
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Aber auch auf einem niederschwelligen Niveau sind psychologisch grundierte
„soft skills“ wie Einfühlungsvermögen und Fähigkeit zur Patientenmotivation
bei der zahnärztlichen Behandlung stets im Spiel. Ob es darum geht, die
Notwendigkeit einschneidender Maßnahmen weniger routiniert als vielmehr
empathisch zu vermitteln, oder ob langfristige Verhaltensänderungen unter
Erzielung bestmöglicher Compliance umgesetzt werden sollen, ohne ein Gespür
für die Befindlichkeit des Gegenübers ist eine optimale Verwirklichung von
Diagnostik und Therapie nicht zu erreichen. Dass diese Fähigkeiten nicht als
gottgegeben und demzufolge unveränderlich hinzunehmen sind, sondern wie
alle „skills“ z. B. in interaktiven Rollenspielen trainiert werden können, ist
längst bekannt.
Dennoch ist die berufliche Wirklichkeit eine andere. So erfährt man durch einen
kurzen Blick auf die Webpräsenz der DGZMK2, des Dachverbandes der
wissenschaftlichen Fachgesellschaften der deutschen Mund-, Zahn- und
Kieferheilkunde, dass in ihrem Rahmen ca. 16.000 Mitglieder organisiert sind.
41% davon, also etwa 6500 sind in der Deutschen Gesellschaft für
Implantologie versammelt, immerhin noch gut 9%, nämlich 1500 Mitglieder
zählt die Deutsche Gesellschaft für Ästhetische Zahnheilkunde. Der
Arbeitskreis für Psychologie und Psychosomatik hingegen besteht aus 200
Teilnehmern, was 1,3% der Gesamtmitglieder entspricht.
Es bleibt also noch viel zu tun.
1
Wittchen H-.U., Müller N., Pfister A., Winter S., Schmidtkunz B.
Affektive, somatoforme und Angststörungen in Deutschland – Erste Ergebnisse des
bundesweiten
Zusatzsurveys „Psychische Störungen“. Gesundheitswesen 61 (1999) Sonderheft 2:
216-222
2
www.dgzmk.de
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