MEDIZIN ÜBERSICHTSARBEIT Probleme der Dauertherapie mit Benzodiazepinen und verwandten Substanzen Verschreibungspraxis, Epidemiologie und Entzugsbehandlung Katrin Janhsen, Patrik Roser, Knut Hoffmann ZUSAMMENFASSUNG Hintergrund: Missbrauch und -abhängigkeit von Benzodiazepinen sind seit über 40 Jahren bekannt und vieldiskutiert. Die Verordnungsmengen von 230 Millionen Tagesdosen pro Jahr sind zulasten der gesetzlichen Krankenversicherungen fortwährend hoch, jedoch leicht rückläufig. Derzeit werden fast 50 % der Verordnungen in Deutschland – auch für gesetzlich Versicherte – auf Privatrezepten ausgeführt. Methode: Es erfolgte eine selektive Literaturrecherche zur Epidemiologie von Benzodiazepin-Abhängigkeit und -Missbrauch in Deutschland und zu den therapeutischen Interventionen. Ergebnisse: Die Zahl der Benzodiazepin-Abhängigen in Deutschland wird mit 128 000 bis 1,6 Millionen beziffert. Der hohe Anteil von Privatrezepten wird in der Regel nicht berücksichtigt. Darüber hinaus werden häufig ältere Populationen, die eine hohe Verordnungshäufigkeit aufweisen, nicht erfasst. Bei der ambulanten Entzugsbehandlung wird empfohlen, auf eine Äquivalenzdosis eines mittel- bis langwirksamen Benzodiazepins umzustellen, wobei die Dosierung in der Regel wöchentlich reduziert wird. Im Falle eines Hochdosiskonsums ab einer Diazepam-Äquivalenzdosis von 20 mg werden eine stationäre Aufnahme und eine zusätzliche Medikation mit Carbamazepin oder Valproinsäure empfohlen. Flumazenil kann die Entzugssymptome mildern und zu einer höheren Abstinenzrate führen. Antidepressiva sollten nur bei einer depressiven Symptomatik verordnet werden. Auch auf das Abhängigkeitspotenzial von NichtBenzodiazepinen wie Zolpidem und Zopiclon wurde eindrücklich hingewiesen. Schlussfolgerung: Trotz initial guter Wirksamkeit sollte die Indikation streng und zeitlich befristet sein. Wenn ein kurzer Therapiezeitraum nicht möglich ist, sollte der Patient frühzeitig zu einem Facharzt überwiesen und gegebenenfalls das Suchthilfesystem kontaktiert werden. ►Zitierweise Janhsen K, Roser P, Hoffmann K: The problems of long-term treatment with benzodiazepines and related substances—prescribing practice, epidemiology and the treatment of withdrawal. Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 1–7. DOI: 10.3238/arztebl.2015.0001 LWL-Universitätsklinikum Bochum, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Präventivmedizin, Ruhr-Universität Bochum: PD Dr. rer. pol. Janhsen, Prof. Dr. med. Roser, Dr. med. Hoffmann Fakultät für Gesundheit, Department für Humanmedizin, Universität Witten/Herdecke: PD Dr. rer. pol. Janhsen Deutsches Ärzteblatt | Jg. 112 | Heft 1–2 | 5. Januar 2015 issbrauch und -abhängigkeit von Benzodiazepinen sind seit rund 40 Jahren bekannte Probleme (1, 2, e1). Pharmazeutische Unternehmen und die deutsche Zulassungsbehörde haben daher seit den 1980er Jahren die Anwendungsdauer auf in der Regel zwei bis vier Wochen beschränkt. Dennoch erhalten etwa 4–5 % der gesetzlich Krankenversicherten (GKV-Versicherten) mindestens eine Verordnung eines Benzodiazepins (BZD) oder Benzodiazepin-Derivates (Z-Drugs: Zolpidem, Zopiclon) pro Kalenderjahr. Dabei werden 13–14 % dieser Patienten 90 und mehr „defined daily doses“ (DDD) verordnet (3). Nach einer aktuellen Hochrechnung von Holzbach liegt in Deutschland eine Missbrauchs- und Abhängigkeitsprävalenz von circa 5 % vor (4). Unter Berücksichtigung von patientenund verordnungsbezogenen Parametern ermittelte Holzbach einen Patientenanteil mit sehr problematischer Einnahme von 2,8 % und mit problematischer Einnahme von sogar 17,5 % der Anwender (5). Bei älteren Anwendern steigt der Anteil mit problematischer Einnahme auf über 20 % (6). Im ambulanten Bereich werden den GKV-Versicherten jährlich rund 25,6 Millionen DDD BenzodiazepinHypnotika, 103,7 Millionen DDD Benzodiazepin-Tranquillanzien, 0,5 Millionen DDD Clomethiazol sowie 3,7 Millionen DDD Clonazepam verordnet (7–9). Diese Verordnungszahlen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind seit Jahren rückläufig. Hinzu kommen 74,6 Millionen an GKV-Versicherte abgegebene DDD Z-Drugs (6) und 22,0 Millionen DDD Tetrazepam, das hauptsächlich als Muskelrelaxans angewendet wurde und dessen Zulassung seit August 2013 aufgrund schwerer Hauterkrankungen wie dem Stevens-Johnson-Syndrom, der toxischen epidermale Nekrolyse, Erythema multiforme, des DRESSSyndroms und andere ruht (e2, e3). Die Verordnungsmengen beider Gruppen stiegen in den letzten Jahren zulasten der GKV sogar an. Kumulativ liegen also Verschreibungen in Höhe von 230,1 Millionen DDD jährlich vor. Aktuell finden sich inklusive der Z-Drugs 90 benzodiazepinhaltige Präparate in der Roten Liste (e4), verteilt auf 20 Einzelsubstanzen. Clomethiazol ist in den Hauptindikationen, zu denen die Behandlung von Prädelir, Delirium tremens sowie akuter Entzugssymptomatik und die Therapie von Verwirrtheits-, Erregungs- und Unruhezuständen bei Pa- M 1 MEDIZIN TABELLE 1 PubMed-Suchalgorithmus, Recherche: Juli 2014 Fragestellung Epidemiologie Pubmed-Suche „epidemiology“ (MeSH Terms) Verknüpfung or „statistics and numerical data“ (Subheading) AND Z-Drugs Benzodiazepine „Zopiclon*“ or „Zaleplon“ or „Zolpidem“ or „Benzodiazepin*“ or Methode „Benzodiazepines“ (MeSH Terms) AND Missbrauch/ Abhängigkeit „tolera*“ or „habit*“ or „dependan*“ or „addict*“ or „misuse“ or „abuse“ AND Deutschland „german*“ * Joker tienten mit hirnorganischem Psychosyndrom im höheren Lebensalter zählen, nur unter stationären Bedingungen anzuwenden (e5). Mehrere Untersuchungen lassen annehmen, dass BZD und Z-Drugs mindestens seit Ende der 1990er Jahre häufig und zunehmend auch für GKV-Versicherte auf Privatrezept verordnet werden (9–12). Zwar sank das Verordnungsvolumen der Benzodiazepine von 12,7 Millionen Packungen im Jahr 1993 auf 2,0 Millionen im Jahr 2012. Der Privatrezeptanteil lag aber 2012 – mit 87 % GKV-Versicherten in der Bevölkerung – bei 55,3 %. Noch auffälliger war die Entwicklung der Verordnungen von Z-Drugs: Die Menge stieg von 2,2 Millionen Packungen im Jahr 1993 auf 8,9 Millionen 2011 (7,9 Millionen 2012) an. Dabei machte 2011 der Anteil von Privatverordnungen 49,5 % aus (9). Hypnotika und Tranquillanzien können gemäß der aktuellen Arzneimittelrichtlinie für bis zu vier Wochen zulasten der GKV verordnet werden – in begründeten Einzelfällen auch länger. Die Weiterverordnung zulasten der GKV im Rahmen begründeter Einzelfälle (beispielsweise bei bestehender Abhängigkeit) wäre denkbar. Dies wird jedoch kontrovers diskutiert (13). Eine Identifikation von Ärzten, die Rezepte mit fehlerhafter Indikation ausstellen oder zu große Mengen verordnen, sowie eine Beratung zum Verordnungsverhalten wären grundsätzlich auf der Basis von Krankenkassendaten möglich. Allerdings erschwert der aktuell hohe Anteil von Verordnungen auf Privatrezept diesen gezielten Ansatz derzeit erheblich. 2 In der Fallvignette zu diesem Beitrag wird der Verlauf einer komplizierten Benzodiazepin-Entgiftung beschrieben (eKasten). Zunächst aufgrund von Schlafstörungen erfolgte seit circa zehn Jahren eine ärztliche Verschreibung von Benzodiazepinen und Clomethiazol. Letztendlich war eine dreimonatige stationäre Entgiftung zur Stabilisierung notwendig. Vor diesem Hintergrund gibt der Beitrag einen Überblick über die Häufigkeit von BZD- beziehungsweise Z-Drug-Missbrauch und -Abhängigkeit. Darüber hinaus werden auch die Durchführung des Entzugs erläutert und die Verschreibungspraxis diskutiert. Um Informationen über die Epidemiologie von BZDbeziehungsweise Z-Drug-Missbrauch und -Abhängigkeit zu erhalten, wurde eine selektive Literaturrecherche in PubMed durchgeführt (Tabelle 1). Die Suche begrenzte sich auf deutsch- oder englischsprachige Publikationen, die seit 2004 veröffentlicht wurden. Studien über die Durchführung des Entzuges bei BZD-Abhängigkeit wurden in Pubmed in der Kategorie „medical subject headings major topic“ (MeSH major topic) mit den folgenden Begriffen gesucht: „Benzodiazepines/adverse effects“ und „substance withdrawal syndrome/therapy“. Die Suche wurde auf deutsch- und englischsprachige Publikationen der letzten fünf Jahre begrenzt. Beide Recherchen erfolgten im Juli 2014. Ergebnisse Die selektive Literaturrecherche zur Epidemiologie erzielte 46 Treffer, von denen vier Publikationen (4, 5, 14, 15) relevant waren. Als relevant wurden Arbeiten mit Aussagen zur Epidemiologie der BenzodiazepinAbhängigkeit eingestuft. Tabelle 2 zeigt eine Übersicht dieser Publikationen, ergänzt um Angaben zur Prävalenz aus dem Epidemiologischen Suchtsurvey (16, e6), dem Bundesgesundheitssurvey 1998 (17) und der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS) (e7). Am 31.12.2011 ergeben sich für die Bevölkerung auf Grundlage des Zensus 2011 (e8) rund 1,1 Millionen Schlaf- und Beruhigungsmittelabhängige im Alter zwischen 18 und 64 Jahren nach den Daten des Epidemiologischen Suchtsurveys 2012. Nach den Zahlen des Bundesgesundheitssurveys 1998 existieren sogar circa 1,6 Millionen Abhängige im Alter zwischen 18 und 79 Jahren (18). Die Arbeitsgruppe um Holzbach berücksichtigt klinische Aspekte, indem sie die Abhängigkeit in klinische Phasen einteilen (3, 4). Die Häufigkeit der problematischen Versorgung (gelbe bis schwarze Phase, das heißt länger als 6 Monate 3,33 mg und mehr Diazepam-Äquivalent täglich) in Deutschland wird hier mit rund 800 000 Patienten beziffert. Diese Zahlen basieren auf Daten von GKV-Rezepten und schließen auch Verordnungen für ältere Patienten ein. Mindestens seit Ende der 1990er Jahre führen aber GKV-Datenauswertungen dazu, dass die verordneten Mengen aufgrund der hohen Anteile von Verordnungen auf Privatrezepten unterschätzt werden (10). Deutsches Ärzteblatt | Jg. 112 | Heft 1–2 | 5. Januar 2015 MEDIZIN TABELLE 2 Ausgewählte Publikationen zur Häufigkeit des Benzodiazepin-/Z-Drugs-Missbrauchs bzw. zur Benzodiazepin-/Z-Drugs-Abhängigkeit in Deutschland Referenz Datenbasis Population Ergebnisse Linden et al. 2004 (14) Berlin Aging Study (BASE) 516 Teilnehmer, 70 Jahre und älter, je 43 Teilnehmer in 12 Untergruppen nach 5-Jahres-Altersgruppen und Geschlecht, Stichprobe aus Berliner Einwohnermelderegister, Erhebungszeitraum 1990–93 18,9 % BZD-Anwender; durchschnittliche Einnahmedauer: 7,58 Jahre; – davon nahmen 33,8 % BZD 1–5 Jahre; – davon nahmen 40,3 % BZD > 5 Jahre. Hoffmann et al. 2008 (15) GKV-Daten 1,47 Millionen Versicherte der Gmünder ErsatzKas- 6 959 Versicherte mit mind. 1 Verordnung Z-Drugs se (GEK), bundesweit, Untersuchungszeitraum – davon 7,2 % mit mind. 180 DDD Z-Drugs 1.7.2004–31.12.2004 (Hochverbrauch) Kraus et al. 2012 (e6, 16) Epidemiologischer Suchtsurvey 2012 9 084 Teilnehmer, 18–64 Jahre, bundesweite Einwohnermelderegister-Stichprobe, Erhebungszeitraum April–August 2012 Schlafmittelmissbrauch: 0,8 % der Teilnehmer bzw. 14,8 % der Anwender Schlafmittelabhängigkeit: 0,8 % der Teilnehmer bzw. 15,3 % der Anwender Beruhigungsmittelmissbrauch: 0,8 % der Teilnehmer bzw. 14,8 % der Anwender Beruhigungsmittelabhängigkeit: 1,4 % der Teilnehmer bzw. 26,1 % der Anwender Knopf et al. 2003 (17) Bundesgesundheits-Survey 1998 7 124 Teilnehmer, 18–79 Jahre, Stichprobe aus bundesweitem Einwohnermelderegister, Erhebungszeitraum 1997–99 Anwender benzodiazepin- und/oder barbitursäurehaltiger Arzneimittel: Frauen 4,2 %, Männer 2,0 % – davon Anwendung über mind. 3 Monate: Frauen 83,5 %, Männer 81,4 % Glaeske G 2006 (e7) GKV-Daten, Pharma-Marktdaten Gesamtbevölkerung in D, Hochrechnung 1–1,1 Millionen Benzodiazepinabhängige in D 1,3–1,4 Millionen Arzneimittelabhängige in D Holzbach et al. 2010 (4) Norddeutscher MedikamentenMonitor (GKV-Rezeptdaten) Daten eines Apothekenrechenzentrums (NARZ), > 16 Millionen Personen, Einschlusszeitraum 1. 7. 2005–30. 6. 2006, Nachverfolgung der Verordnungen über ein Jahr bis max. 30. 6. 2007. Hochrechnung der Daten für die Bevölkerung in D. Einteilung erfolgt nach klinischen Phasen. BZD und/oder Z-Drugs: 128 261–1 538 860 Patienten mit sehr problematischer (rot-schwarz) bis problematischer (grau-schwarz) Versorgung in D 790 475 mit problematischer (gelb-schwarz) Versorgung in D Verthein et al. 2013 (5) Norddeutscher MedikamentenMonitor (GKV-Rezeptdaten) Daten eines Apothekenrechenzentrums (NARZ), > 16 Millionen Personen, siehe Holzbach et al. 2010, Auswertung der Daten nach Bundesland. Einteilung erfolgt nach klinischen Phasen. BZD und/oder Z-Drugs: 5,2 % der Hamburger Wohnbevölkerung mit mind. einer Verordnung im Einschlusszeitraum – davon 13,2 % mit sehr problematischer (rot-schwarz) Versorgung – davon 15,6 % mit problematischer Versorgung (gelb-schwarz) GKV, gesetzliche Krankenversicherung; D, Deutschland Auf internationaler Ebene gibt es mehrere Leitlinien zur Therapie bei Benzodiazepin-Abhängigkeit (19–21, e9 und andere), die sich aber weitgehend auf die ambulante Entgiftung von Patienten ohne Hochdosiskonsum beziehen. Ein Cochrane Review von 2006 (22) wurde 2013 aktualisiert (e10) und wird derzeit erneut überarbeitet. Der Leitfaden zur Medikamentenabhängigkeit der Bundesärztekammer (23) sowie die von Poser und Mitarbeitern 2006 verfasste Leitlinie (20) geben unter anderem eine detaillierte Übersicht zur Behandlung der Medikamentenabhängigkeit. Holzbach veröffentlichte darüber hinausgehende Informationen zur Entzugsbehandlung (3, 24, e11). Die PubMed-Recherche zum Benzodiazepin-Entzug lieferte 22 Treffer, von denen sieben Treffer relevant waren. Davon befassten sich drei mit der Rolle von Pregabalin (25, e12, e13), zwei mit Flumazenil (26, 27), eine mit kognitiver Verhaltenstherapie (e16) und eine mit dem Vergleich von Interventionen mit erhöhter Kontaktfrequenz zwischen Arzt und Patient (28). Für die ambulante Entzugsbehandlung wird weitgehend empfohlen, dass die Patienten auf eine ÄquivaDeutsches Ärzteblatt | Jg. 112 | Heft 1–2 | 5. Januar 2015 lenzdosis eines mittel- bis langwirksamen Benzodiazepins wie Oxazepam beziehungsweise Diazepam umgestellt werden. Die Dosierung sollte über vier bis zehn Wochen um wöchentlich 10–25 % der über einen längeren Zeitraum eingenommenen Dosis reduziert werden (24, 20, e16) (Grafik). In einer Meta-Analyse zeigten Oude Voshaar und Kollegen (e17), dass es diesbezüglich aber sehr unterschiedliche Empfehlungen gibt – vom abrupten Substanzentzug bis hin zum Ausschleichen über ein Jahr. Im klinischen Alltag zeigt sich sicherlich ein erhöhtes Risiko für Entzugskrampfanfälle. Es bleibt zweifelhaft, ob eine Komedikation mit antikonvulsiven Substanzen diese ausreichend mindern können. Bei Hochdosiskonsum ab einer Diazepamäquivalenzdosis von 20 mg wird zunächst eine stationäre Aufnahme, aber auch eine zusätzliche Medikationen mit Carbamazepin beziehungsweise Valproinsäure empfohlen (24). Hier ergeben sich Probleme aufgrund unterschiedlicher Äquivalenzangaben (3). Andere Begleitmedikationen wie Buspiron, Betablocker und Clonidin scheinen keinen eindeutigen Einfluss auf die Entzugsbehandlung zu haben (e17). Die Verwendung von Antidepressiva 3 MEDIZIN GRAFIK TABELLE 3 Benzodiazepinkonsum schädlicher Gebrauch Benzodiazepinentzugssymptome (nach 24) Unspezifische Symptome manifeste Abhängigkeit gemäß ICD-10 Low-Dose-Abhängigkeit < 20 mg Diazepamäquivalenz/Tag – ambulante Entgiftung möglich – Umsetzen auf eine Äquivalenzdosis eines mittellang wirksamen Benzodiazepins (z.B. Oxazepam) Abdosierungsschema: > 8 mg Oxazepam: 3 mg-Schritte < 8 mg Oxazepam: 2 mg-Schritte < 4 mg Oxazepam: 1 mg-Schritte < 2 mg Oxazepam: 0,5 mg-Schritte Reduktiosintervall: 3–7 Tage – Aufklärung über die Erkrankung – Erläutern des Suchthilfesystems – ggf. psychiatrische Differenzialdiagnostik High-Dose-Abhängigkeit > 20 mg Diazepamäquivalenz/Tag – stationäre Entgiftung empfohlen – Umsetzen auf eine Äquivalenzdosis eines mittellang wirksamen Benzodiazepins (z.B. Oxazepam) – zusätzliche Medikation mit Valproinsäure oder Pregabalin – Höchstdosis umstritten Häufigkeit in % Schlafstörungen 71 Angst 56 Stimmungsschwankungen 49 Muskelschmerzen/-zuckungen 49 Zittern 38 Kopfschmerzen 38 Übelkeit/Erbrechen/Appetitverlust 36 Schwitzen 22 verschwommenes Sehen 20 Wahrnehmungsstörungen Überempfindlichkeit gegen – Geräusche 38 – Licht 24 – Geruch 15 – Berührung 7 Unterempfindlichkeit gegen Abdosierungsschema: > 100 mg Oxazepam: 50 mg-Schritte alle 2 Tage > 50 mg Oxazepam: 25 mg-Schritte alle 2 Tage < 50 mg Oxazepam: 10 mg-Schritte alle 2 Tage < 20 mg Oxazepam: 5 mg-Schritte alle 2 Tage danach ggf. langsamer und kleinschrittiger, vgl. „Low-Dose“Abhängigkeit – Geruch – Geschmack 15 4 qualitative Veränderungen – Bewegung > 24 – Sehen > 13 – Geschmack 13 – Hören 2 – Geruch 2 sonstiges – Unwirklichkeitsgefühl Zusatzmedikation bei starker Unruhe, Schlafstörungen, depressiver Symptomatik: Doxepin 25–50 mg Mirtazapin 15–30 mg Ablaufschema der Benzodiazepinentgiftung, modifiziert nach 3, 24, 20, e17. sollte nur bei gleichzeitig vorliegender depressiver Symptomatik empfohlen werden (e18). Es liegen Hinweise vor, dass Flumazenil positiv auf die Entzugssymptome wirkt und zu einer höheren Abstinenzrate führt (26, 27, e14). Die Grafik zeigt verschiedene Entzugsoptionen, Tabelle 3 gibt eine Übersicht typischer Entzugssymptome. An dieser Stelle soll noch einmal auf einen möglichen Rebound-Effekt vorher subklinischer psychiatrischer Grunderkrankungen hingewiesen werden. Die Bedeutung psychotherapeutischer Interventionen wird im Allgemeinen positiv bewertet (28, e15, e17), wenngleich Oude Voshaar und Kollegen (e20) in einer randomisierten kontrollierten Vergleichsstudie 4 24 Komplikationen – Psychosen 7 – epileptische Anfälle 4 aus: Holzbach: Benzodiazepin-Langzeitgebrauch und -abhängigkeit. Fortsch Neurol Psychiatr 2010; 78: 425–34. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Thieme-Verlags, Stuttgart. nachwiesen, dass eine alleinige kontrollierte Dosisreduktion gegenüber einer Kombination mit kognitiver Verhaltenstherapie im Hinblick auf die Abstinenzrate nach einem Jahr überlegen war. Allerdings lag keine Signifikanz vor. Eine Übersicht über die Effektivität ausgewählter Interventionen findet sich in Tabelle 4. Fazit Obwohl die Behandlung mit Benzodiazepinen viele Vorteile besitzt, hat sich nach der Markteinführung in den 1960er Jahren schnell gezeigt, dass das Risiko einer Abhängigkeit nicht zu unterschätzen ist (3, e11). Dass dies nicht nur in medizinischen Fachkreisen, sondern auch in Deutsches Ärzteblatt | Jg. 112 | Heft 1–2 | 5. Januar 2015 MEDIZIN TABELLE 4 Effektivität verschiedener Interventionen bei Benzodiazepinabhängigkeit Studie Typ Anzahl der eingeschlossenen Studien Denis et a.l (22) SR 8 Parr et al. (e15) MA 24 Quaglio et al. (26) CR Flumazenil Tyrer et al. (e18) RCT Dosulepin vs. Placebo Vincens et al. (28) RCT Routinebehandlung vs. strukturierte Intervention vs. manualisierte Intervention Oude Voshaar et al. (e17) MA a) Routinebehandlung vs. b) minimale Intervention vs. c) strukturierte Intervention strukturierte Intervention + Imipramin oder CBT Oude Voshaar et al. (e20) RCT 29 Intervention N adjuvante Medikation Zielgröße Effekt Entzugsverlauf Abstinenz keine Effekte: Buspiron, Progesteron unklar: Propanolol potenziell positiver Effekt: Carbamazepin, trizyklische AD Abstinenz b) und c) sind a) signifikant überlegen (OR: 5,96 bzw. 4,37) d) ist a) und c) signifikant überlegen (OR: 3,38 bzw. 1,82) e) ist c) signifikant unterlegen (OR: 0,3) 29 Entzugssymptome Abstinenzrate Abstinenzrate nach 6 Monaten: 53 % 87 Entzugssymptome kein signifikanter Unterschied (OR: 0,63) 532 Abstinenz Interventionen signifikant überlegen (p < 0,0001) 2115 Abstinenz b), c) signifikant a) überlegen (OR: 2,8) c) signifikant b) überlegen (OR: 5,5) Erfolgsprediktoren Abstinenz unabhängige Erfolgsprediktoren: niedriger Konsum, selbstständige Dosisreduktion vor Beginn der Therapie, kein Alkoholkonsum b) + c) sind a) signifikant überlegen (HR: 2,9 bzw. 2,4) b) ist c) überlegen, aber nicht signifikant 458 a) Routinebehandlung vs. b) Kurzintervention vs. c) gestufte Reduktion vs. d) gestufte Reduktion + psychologische Intervention e) pharmakologische Substitution a) Routinebehandlung vs. b) systematische Reduktion vs. c) systematische Reduktion + CBT 180 MA, Metaanalyse; RCT, randomisierte kontrollierte Studie; CT, kontrollierte Studie; CR, Fallberichte; SR, systematisches Review; OR, Odds Ratio; HR, Hazard Ratio; N, Gesamtzahl Stichprobe einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wurde und bekannt war, fand nicht zuletzt seinen Niederschlag in diversen kulturhistorischen Episoden. Genannt sei hier nur das Lied „Mother’s Little Helper“ der britischen RockBand Rolling Stones aus dem Jahre 1966. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Pharmaindustrie über lange Zeit die Bedeutung des Abhängigkeitsrisikos verharmloste – nicht zuletzt erneut, als die sogenannten Z-Drugs eingeführt wurden. Deren Abhängigkeitspotenzial wurde inzwischen von verschiedenen Seiten eindrücklich betont (3, 29, e21). Diese Medikamentengruppen sind in verschiedenen Fachdisziplinen nicht mehr wegzudenken, zum Beispiel in der Notfallmedizin, in der Anästhesie, aber auch in der Epileptologie sowie bei psychiatrischen Notfällen (30, e22, e23, e24). Nach den Daten des Bundesgesundheitssurveys nennen Anwender als häufigste Einnahmegründe jedoch Schlafstörungen (circa 50 %) und innere Unruhe, Nervosität, Erregungs- sowie Spannungszustände (25,9 %) (17). Auch bei dem vorliegenden Fallbeispiel erfolgte die initiale Verordnung aufgrund von Insomnie. Über die Motivation, Benzodiazepine und verwandte Substanzen über den in den Arzneimittelrichtlinien empDeutsches Ärzteblatt | Jg. 112 | Heft 1–2 | 5. Januar 2015 fohlenen Zeitraum hinaus zu verschreiben, kann hier mangels entsprechender Daten nur spekuliert werden. Es ist zu vermuten, dass die gute Wirksamkeit auf die oben genannten Zielsymptome bei den Patienten für eine hohe Affinität zu den Substanzen sorgt – noch bevor sich eine manifeste Abhängigkeit entwickelt. Somit üben die Patienten einen hohen Druck auf den Arzt aus, der ihnen die Arzneimittel verschreibt. Die Betroffenen haben insbesondere Angst davor, dass die initialen Symptome wiederkehren. Dies findet sich auch in der Aussage wieder, dass es sich in vielen Fällen um „Wunschverordnungen“ handelt (31). Außerdem dürften die meisten Patienten vor dem Beginn der Benzodiazepin-Medikation schon eine längere Leidensgeschichte erfahren haben, so dass sie eine rasche Intervention wünschen und ihrer bedürfen. Da aber zum Beispiel die Versorgung im psychotherapeutischen System weiterhin eine erhebliche Vorlaufzeit bedingt, wird die Bedürfnislage nur ungenügend erfüllt. Zu einer anderen Personengruppe gehören die primär polysubstanzabhängigen Patienten, über deren Anteil allerdings keine konkreten Daten vorliegen. Bereits 1984 berichteten Binder und Mitarbeiter über 157 Fälle von Benzodiazepin-Abhängigkeit und sprachen 5 MEDIZIN in diesem Zusammenhang bereits von einer „Volksseuche“ (32). Neben adjuvanten Gaben in der Schmerztherapie (33, e25) gelten vor allem psychiatrische Diagnosen als Primärindikationen für eine Benzodiazepin-Medikation. Die Mechanismen oder individuellen Risikofaktoren, die dafür verantwortlich sind, ob ein Patient eine Hochdosisabhängigkeit oder – mit vergleichsweise geringen Benzodiazepin-Dosierungen – eine „Low-dose“-Abhängigkeit entwickelt, sind bisher weitgehend ungeklärt. Martinez-Cano und Mitarbeiter fanden in einer Untersuchung von 153 Benzodiazepin-Abhängigen ein besonders hohes Risiko für eine Hochdosisabhängigkeit von Triazolam und Lorazepam. Sie führten dies vor allem auf die pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Faktoren zurück (34). Hochdosisabhängigkeiten sind allerdings für alle Benzodiazepine einschließlich der Z-Drugs (12, 35, e26) beschrieben. Bei Hochdosis-Benzodiazepin-Abhängigen liegen offensichtlich seltener suchtspezifische Komorbiditäten vor, anders als bei „Low-dose“-Benzodiazepin-Konsumenten (36, e27). Zweifellos ist die Ärzteschaft wesentlich an der Langzeitverschreibung von Benzodiazepinen beteiligt. So ist davon auszugehen, dass der größte Teil der konsumierten Benzodiazepine nicht vom Schwarzmarkt stammt, sondern ärztlich verschrieben wurde. Dieses Problem wurde bereits früh erkannt und thematisiert (32, 37, 38, e28, e29), aber Konsequenzen spiegeln sich noch nicht im Verschreibungsverhalten wider. Auch nachdem die Verschreibungsmöglichkeiten für verschiedene Benzodiazepine eingeschränkt wurden, zeigte sich diesbezüglich kein Effekt. Zum Beispiel wurde für Flunitrazepam eine Verschreibung nur auf Betäubungsmittelrezept eingeführt. Eine aktuelle Befragung deutscher Hausärzte zur Verordnung von Hypnotika auf Privatrezept gibt interessante Einblicke: Die Ärzte nannten vor allem die Vorgaben der Arzneimittel-Richtlinie und Wunschverordnungen als Anlass, Privatrezepte für GKV-Patienten auszustellen (31). Ferner halten 80,4 von 458 Befragten Z-Drugs für effektiver und – einschließlich des Abhängigkeitspotenzials – für nebenwirkungsärmer als Benzodiazepine. Dafür ist in der Literatur allerdings keine Evidenz zu finden (39). Es besteht nach wie vor ein erheblicher Mangel an Daten über die Verbreitung von Hochdosis-Benzodiazepin-Abhängigen. Da sich die Verschreibungsproblematik in einer rechtlichen Grauzone abspielt, ergeben sich erhebliche methodische Schwierigkeiten – der Forschungsbedarf ist aber evident. Prävention von unsachgemäßer Langzeitverordnung und Motivation zum Entzug sowie Durchführung des ambulanten beziehungsweise stationären Entzugs sind nach Erachten der Autoren notwendige Maßnahmen, um unsachgemäßen Dauergebrauch und -verordnungen zu begegnen. Einerseits müssen hierzu Ärzte und Anwender besser informiert werden, andererseits sind aber auch ausreichende Behandlungskapazitäten erforderlich. Die Bundesärztekammer hat in Zusammenarbeit mit der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2007 einen Leitfaden für die ärztliche Praxis „Medikamente – schädlicher Gebrauch und Abhängigkeit“ veröffentlicht (23). Ferner haben die Ärztekammer und die Kassenärztliche 6 KERNAUSSAGEN ● Benzodiazepine und Benzodiazepin-Analoga werden noch immer zu häufig und über einen zu langen Zeitraum verordnet. ● Aufgrund des regelmäßig auftretenden Wirkverlusts nach wenigen Wochen wird die Medikation bei Insomnie häufig nicht abgesetzt. ● Mehrere Quellen mit Daten zur Häufigkeit der Schlafund Beruhigungsmittelabhängigkeit in Deutschland liegen vor. Dennoch sind diese einzelnen Aspekte nicht hinreichend belastbar. ● Nationale und internationale Behandlungsempfehlungen zur Prävention und Behandlung bei Arzneimittelabhängigkeit sind verfügbar. ● Angebote für ärztliche Fortbildungen zur Prävention und Behandlung der Arzneimittelabhängigkeit sollten intensiviert werden. Vereinigung (KV) Hamburg im Februar 2011 eine gemeinsame Handlungsempfehlung zur Verordnung von Benzodiazepinen und deren Analoga publiziert (40). Diese soll auch bei „druckvoll vorgetragenem Patientenwunsch nach einer Verordnung“ berücksichtigt werden (40). Die Handlungsempfehlung und die umfangreichen, weiteren Informationen bezüglich der Verordnung von Benzodiazepinen werden beispielsweise auch von der KV Westfalen-Lippe an ihre Mitglieder weitergegeben. Dabei werden auch Ansprechpartner für Patienten und Ärzte vermittelt. Die aktuelle Leitlinie der Bundesärztekammer weist sowohl hinsichtlich der Prävention als auch der Therapie von Medikamentenabhängigkeit ausdrücklich darauf hin, dass Haus- und Fachärzte, insbesondere Psychiater, unbedingt zusammenarbeiten sollten. Die Autoren erkennen hier ein bisher unzureichend genutztes Potenzial, das die gesundheitliche Versorgung verbessern könnte. Interessenkonflikt Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht. Manuskriptdaten eingereicht: 11. 4. 2014, revidierte Fassung angenommen: 28. 10. 2014 LITERATUR 1. Müller-Oerlinghausen B: Prescription and misuse of benzodiazepines in the Federal Republic of Germany. Pharmacopsychiatry 1986; 19: 8–13. 2. Janhsen K: Die stille Sucht: Medikamentenabhängigkeit ist weiblich. In: Glaeske G, Janhsen K (eds.): GEK-Arzneimittel-Report 2007. St. Augustin: Asgard 2007; 125–39. 3. Holzbach R: Benzodiazepin-Langzeitgebrauch und -abhängigkeit. Fortschr Neurol Psychiatr 2010; 78: 425–34. 4. Holzbach R, Martens M, Kalke J, Raschke P: Zusammenhang zwischen Verschreibungsverhalten der Ärzte und Medikamentenabhängigkeit ihrer Patienten. Bundesgesundheitsblatt 2010; 53: 319–25. 5. Verthein U, Martens MS, Raschke P, Holzbach R: Langzeitverschreibung von Benzodiazepinen und Non-Benzodiazepinen. Eine prospektive Analyse über 12 Monate. Gesundheitswesen 2013; 7: 430–7. Deutsches Ärzteblatt | Jg. 112 | Heft 1–2 | 5. Januar 2015 MEDIZIN 6. Lohse MJ, Müller-Oerlinghausen B: Mittel zur Behandlung von Alkoholfolgekrankheiten. In: Schwabe U, Paffrath D (eds.): ArzneiverordnungsReport 2013. Berlin, Heidelberg: Springer 2013; 851–3. 7. Schwabe U: Benzodiazepine. In: Schwabe U, Paffrath D (eds.): Arzneiverordnungs-Report 2013. Berlin, Heidelberg: Springer 2013; 379–80. 8. Lohse MJ, Müller-Oerlinghausen B: Hypnotika und Sedativa. In: Schwabe U, Paffrath D (eds.): Arzneiverordnungs-Report 2013. Berlin, Heidelberg: Springer 2013; 641–55. 9. Hoffmann F, Glaeske G, Scharffetter W: Zunehmender Hypnotikaverbrauch auf Privatrezepten in Deutschland. Sucht 2006; 52: 360–6. 10. Hoffmann F, Glaeske G: Benzodiazepinhypnotika, Zolpidem und Zopiclon auf Privatrezept. Verbrauch zwischen 1993 und 2012. Nervenarzt 2014; 85: 1402–1409. 11. Diemert S, Ganso M, Zagermann-Muncke P: Benzodiazepine und Z-Hypnotika. AMK-Umfrage zum Missbrauch. Pharm Ztg 2013; 158: 20–4. 12. Hoffmann F, Scharffetter W, Glaeske G: Verbrauch von Zolpidem und Zopiclon auf Privatrezepten zwischen 1993 und 2007. Nervenarzt 2009; 80: 578–83. 13. Voelker K: Welche Vorgaben gelten für die Verordnung von Benzodiazepinen? Hamb Artzebl 2009; 6: 15. 14. Linden M, Bär T, Helmchen H: Prevalence and appropriateness of psychotropic drug use in old age: results from the Berlin Aging Study (BASE). Int Psychogeriatr 2004; 16: 461–80. 15. Hoffmann F, Pfannkuche M, Glaeske G: Hochverbrauch von Zolpidem und Zopiclon. Querschnittsstudie auf Basis von Krankenkassendaten. Nervenarzt 2008; 79: 67–72. 16. Kraus L, Pabst A, Gomes de Matos E, Piontek D: Kurzbericht Epidemiologischer Suchtsurvey 2012. Tabellenband: Prävalenz der Medikamenteneinnahme und medikamentenbezogener Störungen nach Geschlecht und Alter im Jahr 2012. www.ift.de/fileadmin/literaturliste/ ESA_2012_Medikamente-Kurzbericht.pdf (last accessed on 23 July 2014). 17. Knopf H, Melchert HU: Bundes-Gesundheitssurvey: Arzneimittelgebrauch. Konsumverhalten in Deutschland. Benzodiazepin- und/oder barbitursäure-haltige Psycholeptika. Berlin: Robert-Koch-Institut 2003; 56–7. 18. Soyka M, Queri S, Küfner H, Rösner S: Wo verstecken sich 1,9 Millionen Medikamentenabhängige? Nervenarzt 2005; 76: 72–7. 19. Mental Health and Drug and Alcohol Office: Drug and alcohol withdrawal clinical practice guidelines – NSW. www0.health.nsw.gov.au/poli cies/gl/2008/pdf/gl2008_011.pdf (last accessed 24 July 2014). 20. Poser W, Böning J, Holzbach R, Schmidt L G: Medikamentenabhängigkeit (Sedativa, Hypnotika, Analgetika, Psychostimulanzien). In: Schmidt L G, Gastpar M, Falkai P, Gabel W (eds): Evidenzbasierte Suchtmedizin. Köln: Deutscher Ärzteverlag 2006; 271–307. 21. Frei M, Berends L, Kenny P, et. al.: Alcohol and other drug withdrawal: practice guidelines. 2nd ed. Fitzroy,Victoria: Turning Point Alcohol and Drug Centre 2012. 22. Denis C, Fatseas M, Lavie E, Auriacombe M: Pharmacological interventions for benzodiazepine mono-dependance management in outpatient settings. Cochrane Database of Syst Rev 2006; 3: CD005194. 23. Bundesärztekammer in Zusammenarbeit mit der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Medikamente – schädlicher Gebrauch und Abhängigkeit. Leitfaden für die ärztliche Praxis 2007. Köln: Deutscher Ärzteverlag 2007. 24. Holzbach R: Der Benzodiazepinentzug und dessen Behandlung. Suchttherapie 2006; 7: 97–106. 25. Rubio G, Bobes J, Cervera G, Teran A, Perez M, Lopez-Gomez V, Rejas J: Effects of pregabalin on subjective sleep disturbance symptoms during withdrawal from long-term benzodiazepine use. Eur addict res 2011; 17: 262–70. 26. Quaglio G, Pattaro C, Gerra G, et al.: High dose benzodiazepine dependence: description of 29 patients treated with flumazenil infusion and stabilized with clonazepam. Psychiatry res 2012; 198: 457–62. 27. Saxon L, Borg S, Hiltunen AJ: Reduction of aggression during benzodiazepine withdrawal: effects of flumazenil. Pharmacol biochem behav 2010, 96: 148–51. Deutsches Ärzteblatt | Jg. 112 | Heft 1–2 | 5. Januar 2015 28. Vicens C, Socias I, Mateu C, et al.: Comparative efficacy of two primary care interventions to assist withdrawal from long term benzodiazepine use: a protocol for a clustered, randomized trial. BMC fam pract 2011; 12: 23. 29. Hajak G, Müller WE, Wittchen HU, Pittrow D, Kirch W: Abuse and dependence potential for the non-benzodiazepinde hypnotics zolpidem and zopiclone: a review of case reports and epidemiological data. Addiction 2003; 98: 1371–8. 30. Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN): S2-Leitlinie: Therapeutische Maßnahmen bei aggressivem Verhalten in der Psychiatrie und Psychotherapie. S2 Praxisleitlinien in Psychiatrie und Psychotherapie 2010; 2. 31. Hoffmann F, Schmiemann G, Windt R: Privat statt Kasse? Einstellungen von Hausärzten und Apothekern zur Verordnung von Hypnotika. Dtsch Med Wochenschr 2014, 139: 1153–8. 32. Binder W, Kornhuber HH, Waiblinger G: Benzodiazepin-Sucht, unsere iatrogene Seuche – 157 Fälle von Benzodiazepin-Abhängigkeit. Öffentliches Gesundheitswesen 1984; 46: 80–6. 33. Manchikanti L, Malla Y, Wargo BW: Comparative Evaluation of the accuracy of benzodiazepine testing in chronic pain patients utilizing immunoassay with liquid chromatography tandem mass spectrometry (LC/ MS/MS) of urine drug testing. Pain Physician 2011; 14: 259–70. 34. Martinez-Cano H, Vela-Bueno A, De Inceta M, Pomalima R, MartinezGras I, Sobrino MP: Benzodiazepine types in high versus therapeutic dose dependence. Addiction 1996; 91: 1179–86. 35. Rappa LR, Larose-Pierre M, Payne DR, Eraikhuemen NE, Lanes DM, Kearnes ML: Detoxification from high-dose zolpidem using diazepam. Ann Pharmacotherapy 2004; 38: 590–4. 36. Hermos JA, Young MM, Lawler EV, Rosenbloom D, Fiore LD: Long-term, high-dose benzodiazepine prescription in veteran patients with PTSD: influence of preexisting alcoholism and drug abuse diagnosis. J Traumatic Stress 2007; 20: 909–14. 37. Lader M: Iatrogenic sedative dependence and abuse – have doctors learnt caution? Addiction 1998; 93: 1133–5. 38. Taylor D: Iatrogenic drug dependence – a problem in intensive care? Intensive Crit Care Nurs 1999; 15: 95–100. 39. Hoffmann F: Perceptions of German GPs on benefits and risks of benzodiazepines and Z-drugs. Swiss Med Wkly 2013, 143: w13745. 40. Ärztekammer Hamburg, Kassenärztliche Vereinigung Hamburg, Apothekerkammer Hamburg: Verordnung von Benzodiazepinen und deren Analoga. Gemeinsame Handlungsempfehlung von Ärztekammer Hamburg, Kassenärztlicher Vereinigung Hamburg und Apothekerkammer. Hamburg 2011. Anschrift für die Verfasser Dr. med. Knut Hoffmann LWL-Universitätsklinikum Bochum Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Präventivmedizin Ruhr-Universität Bochum Alexandrinenstraße 1–3, 44791 Bochum [email protected] Zitierweise Janhsen K, Roser P, Hoffmann K: The problems of long-term treatment with benzodiazepines and related substances—prescribing practice, epidemiology and the treatment of withdrawal. Dtsch Arztebl Int 2015; 112: 1–7. DOI: 10.3238/arztebl.2015.0001 @ Mit „e“ gekennzeichnete Literatur: www.aerzteblatt.de/lit0115 oder über QR-Code eKasten: www.aerzteblatt.de/15m0001 oder über QR-Code The English version of this article is available online: www.aerzteblatt-international.de 7 MEDIZIN ÜBERSICHTSARBEIT Probleme der Dauertherapie mit Benzodiazepinen und verwandten Substanzen Verschreibungspraxis, Epidemiologie und Entzugsbehandlung Katrin Janhsen, Patrik Roser, Knut Hoffmann eLITERATUR e1. Dieser Bärenkram muss aus dem Verkehr. Der Spiegel 1988; 35: 160–7. e2. Günther J: Tetrazepam. In: Schwabe U, Paffrath D (eds.): Arzneiverordnungs-Report 2013. Berlin, Heidelberg: Springer 2013; 756–8. e3. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: Ruhen der Zulassungen aller Tetrazepam-haltigen Arzneimittel (z. B. Musaril® Filmtabletten) zum 1. August 2013. www.bfarm.de/Shared Docs/Risikoinformationen/Pharmakovigilanz/DE/RHB/2013/rhbtetrazepam.pdf?__blob=publicationFile&v=5 (last accessed on 23 July 2014). e4. Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (eds.): Rote Liste. Arzneimittelverzeichnis für Deutschland. Aulendorf: Cantor 1984. e5. Fachinformation Distraneurin®, Stand: 2/2011. e6. Kraus L, Piontek D, Pabst A, Gomes de Matos E: Studiendesign und Methodik des Epidemiologischen Suchtsurveys 2012. Sucht 2013; 59: 309–20. e7. Glaeske G: Psychotrope und andere Arzneimittel mit Missbrauchs- und Abhängigkeitspotenzial. In: Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (eds.): Jahrbuch Sucht 2006. Geesthacht: Neuland Verlagsgesellschaft 2006; 87–103. e8. Statistisches Bundesamt: Vorläufige Ergebnisse der Bevölkerungsfortschreibung 2011 auf Grundlage des Zensus 2011. Zensusdaten mit dem Stand vom 10. April 2014. www.destatis. de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/Bevoelkerungsstand/Bevoelkerungsstand.html (last accessed 24 July 2014). e9. NHS West Essex: Guidelines for prescribing and withdrawing benzodiazepines and Z-drugs. A recource for general practitioners. October 2012. www.westessexccg.nhs.uk/Downloads/ Your%20NHS/Medicines%20optimisation/Prescribing%20guidan ce/Benzodiazepine_Resource_Pack.pdf (last accessed 24 July 2014). e10. Denis C, Fatseas M, Lavie E, Auriacombe M: Pharmacological interventions for benzodiazepine mono-dependence management in outpatient settings. Cochrane Database of Syst Rev 2013, 6: CD005194. doi: 10.1002/14651558.CD005194.pub3. e11. Holzbach R: Jahrelange Einnahme von Benzodiazepinen. Wann ein Entzug notwendig ist und wie er gelingt. MMW Fortschr Med 2009; 151: 36–9. e12. Oulis P, Konstantakopoulos G: Efficacy and safety of pregabalin in the treatment of alcohol and benzodiazepine dependance. Expert opin investig drugs 2012, 21: 1019–29. e13. Bobes J, Rubio G, Teran A, et al.: Pregabalin for the discontinuation of long-term benzodiazepines use: an assessment of its effectiveness in daily clinical practice. Eur psychiatry 2012; 27: 301–7. 8 e14. Gerra G, Zaimovic A, Giusti F, Moi, G, Brewer C: Intravenous flumazenil versus oxazepam tapering in the treatment of benzodiazepine withdrawal: a randomized placebo-controlled study. Addict Biol 2002; 7: 385–95. e15. Parr JM, Kavanagh DJ, Young RM, Mitchell G: Acceptability of cognitive-behaviour therapy via the Internet for cessation of benzodiazepine use. Drug alcohol rev 2011; 30: 306–14. e16. Ashton H: The diagnosis ang management of benzodiazepine dependence. Curr Opinion Psychiatry 2005; 18: 249–55. e17. Oude Voshaar RC, Couvée JE, Balkom A van, Mulder P, Zitman FG: Strategies for discontinuing long-term benzodiazepine use. Br J Psychiatry 2006; 189: 213–20. e18. Tyrer P, Ferguason B, Hallström C, et al.: A controlled trial of dothiepin and placebo in treating benzodiazepine withdrawal symptoms. Br J Psychiatry 1996; 168: 457–61. e19. Lugoboni F, Quaglio G: Exploring the dark side of the moon: the treatment of benzodiazepine tolerance. Br J Clin Pharmacology 2013; 1–3. e20. Oude Voshaar RC, Gorgels WJ, Mol AJ, et al.: Predictors of longterm benzodiazepine abstinence in participants of a randomized controlled benzodiazepine withdrawal program. Can J Psychiatry 2006, 51: 445–52. e21. Lader M: History of Benzodiazepine Dependance. J Subst Abuse Treat 1991; 8: 53–9. e22. Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN): S1-Leitlinie: Status epilepticus im Erwachsenenalter. 2012. www.awmf.org/leitlinien/ detail/ll/030–079.html (last accessed 2 December 2014). e23. Weltgesundheitsorganisation: WHO Model List of Essential Medicines. 18 th list. April 2013. apps.who.int/iris/bitstream/10665/ 93142/1/EML_18_eng.pdf?ua=1 (last accessed 24 July 2014). e24. Mavrogiorgou P, Brüne M, Juckel G: The management of psychiatric emergencies. Dtsch Arztebl Int; 108: 222–30. e25. Mickel C: 3 things to consider before relying solely on point of care tests for determining benzodiazepine use in chronic pain. Pain Physician 2012; 15: E151–8. e26. National Institute for Clinical Excellence: Guidance on the use of zaleplon, zolpidem and zopiclone for the short-term management of insomnia. www.nice.org.uk/guidance/ta77 (last accessed 2 December 2014). e27. Johansson BA, Berglubnd M, Hanson M, Pöhlen C, Persson I: Dependence on legal drugs among alcoholics. Alcohol Alcohol 2003; 38: 613–8. e28. Faust B: Doctors and detailers: the benzodiazepine scandal. Austr Nurses J 1991; 20: 12–3. e29. Lader M: Benzodiazepines revisited-will we ever learn? Addiction 2011; 106: 2086–109. Deutsches Ärzteblatt | Jg. 112 | Heft 1–2 | 5. Januar 2015 MEDIZIN eKASTEN Fallvignette Eine 58-jährige Patientin wurde vom Ehemann bewusstlos in der Wohnung aufgefunden. Aufgrund der Mischintoxikation mit Alkohol, Bromazepam und Clomethiazol erfolgte eine intensivmedizinische Behandlung (Glasgow-Coma-Scale [GCS]: 3). Aufnahme-Labor: Blutalkoholkonzentration 2,8 ‰, Kreatinkinase (CK): 544 U/L. Drogenscreening: Benzodiazepine positiv, unauffällig: Kokain, Opiate, Amphetamine, Cannabis, Serumspiegel wurden nicht bestimmt. Neurologische Untersuchung: Areflexie im Hirnnervenbefund, beidseits mittelweite, nicht-lichtreagible Pupillen, erloschener Kornealreflex, schlaffer Muskeltonus, schwache seitengleich-erhältliche Muskeleigenreflexe. EKG, cCT: unauffällig. Nach 24 Stunden Extubierung und Verlegung in die Psychiatrie. Psychopathologischer Aufnahmebefund: Wach, zeitlich desorientiert, deutliche Aufmerksamkeits- und Auffassungsstörungen, reduzierte Gedächtnisleistung, Stimmung gedrückt, reduzierte Schwingungsfähigkeit, Antriebsminderung, innere und psychomotorische Unruhe, formalgedanklich verlangsamt, jedoch weitestgehend geordnet, keine Hinweise auf psychotisches Erleben, kein Suizidalität. Körperliche und neurologische Untersuchung: unauffällig. Auch in der Vorgeschichte wurde keine Suizidalität berichtet. Eine langjährige Bromazepam- und Clomethiazolabhängigkeit war bekannt. Angehörige legten Privatrezepte vor, die seit 2003 eine kontinuierliche ambulante Verschreibung von Sedativa (zuletzt 100 Tabletten Bromazepam 6 mg, 200 Kapseln Clomethiazol 192 mg zweiwöchentlich) durch den Hausarzt belegten. Zusätzlich stellten verschiedene Ärzte in unregelmäßigen Abständen Privatrezepte über jeweils 50 Tabletten Bromazepam 6 mg aus. Die Privatrezepte löste sie in elf verschiedenen Apotheken ein. Eigenanamnestisch bestand ein täglicher Konsum von 9–12 mg Bromazepam sowie 10 Kapseln Clomethiazol. Unter Entzugsbehandlung mit Hilfe von Diazepam 4 × 10 mg/Tag und bedarfsadaptiert bis zu 4 × 5 mg/Tag trat am Folgetag ein delirantes Syndrom auf, das sich durch Orientierungsstörungen, kognitive Defizite, formale Denkstörungen und optische Halluzinationen äußerte. Weiterhin zeigte sich eine psychovegetative Entgleisung mit hypertensivem Blutdruckprofil, das sich unter Gabe von Haloperidol und Clonidin verbesserte. Am vierten Tag erfolgte erstmalig ein Grand-Mal-Anfall. Nach erneutem Anfall im Tagesverlauf mit zunehmender Bewusstseinseintrübung wurde die Patientin auf auf eine neurologische Intensivstation verlegt. Dort trat ein Grand-Mal-Status mit GCS 3 ein. Die Krampfserie konnte nicht mit Clonazepam und Levetiracetam intravenös, sondern erst mittels Propofol unterbrochen werden. Im EEG ergaben sich leichte Allgemeinveränderungen ohne Hinweise auf einen Herdbefund oder epilepsietypische Potenziale. Liquoranalyse, extra- und transkranielle Doppler- und Duplexsonographie der hirnversorgenden Gefäße sowie Schädel-CT und -MRT zeigten keine pathologischen Auffälligkeiten. Das Anfallsereignis wurde als entzugsbedingt gewertet. Eine antiepileptische Medikation mit Levetiracetam 1 000 mg/Tag wurde durchgeführt. Nach 13-tägiger intensivmedizinischer und neurologischer Behandlung wurde die Betroffene in die Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Präventionsmedizin der Ruhr-Universität Bochum zurückverlegt. Die weitere Entzugsbehandlung gestaltete sich langwierig, die Diazepamreduktion erfolgte wegen ausgeprägter psychovegetativer Entzugssymptome sehr vorsichtig (0,5 mg/Woche). Die antiepileptische Medikation mit Levetiracetam blieb unverändert. Entzugsdelirien oder -krampfanfälle traten nicht mehr auf. Nach drei Monaten, als die Patientin die Entzugsbehandlung abgeschlossen hatte, wurde sie in ausreichend stabilem Zustand ohne relevante depressive Symptomatik in ihr häusliches Umfeld entlassen. Deutsches Ärzteblatt | Jg. 112 | Heft 1–2 | 5. Januar 2015 9