Probleme der Dauertherapie mit Benzodiazepinen und verwandten

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MEDIZIN
ÜBERSICHTSARBEIT
Probleme der Dauertherapie mit
Benzodiazepinen und verwandten Substanzen
Verschreibungspraxis, Epidemiologie und Entzugsbehandlung
Katrin Janhsen, Patrik Roser, Knut Hoffmann
ZUSAMMENFASSUNG
Hintergrund: Missbrauch und -abhängigkeit von Benzodiazepinen sind seit über
40 Jahren bekannt und vieldiskutiert. Die Verordnungsmengen von 230 Millionen Tagesdosen pro Jahr sind zulasten der gesetzlichen Krankenversicherungen
fortwährend hoch, jedoch leicht rückläufig. Derzeit werden fast 50 % der
Verordnungen in Deutschland – auch für gesetzlich Versicherte – auf Privatrezepten ausgeführt.
Methode: Es erfolgte eine selektive Literaturrecherche zur Epidemiologie
von Benzodiazepin-Abhängigkeit und -Missbrauch in Deutschland und zu den
therapeutischen Interventionen.
Ergebnisse: Die Zahl der Benzodiazepin-Abhängigen in Deutschland wird mit
128 000 bis 1,6 Millionen beziffert. Der hohe Anteil von Privatrezepten wird in
der Regel nicht berücksichtigt. Darüber hinaus werden häufig ältere Populationen, die eine hohe Verordnungshäufigkeit aufweisen, nicht erfasst. Bei der
ambulanten Entzugsbehandlung wird empfohlen, auf eine Äquivalenzdosis eines
mittel- bis langwirksamen Benzodiazepins umzustellen, wobei die Dosierung
in der Regel wöchentlich reduziert wird. Im Falle eines Hochdosiskonsums ab
einer Diazepam-Äquivalenzdosis von 20 mg werden eine stationäre Aufnahme
und eine zusätzliche Medikation mit Carbamazepin oder Valproinsäure empfohlen. Flumazenil kann die Entzugssymptome mildern und zu einer höheren
Abstinenzrate führen. Antidepressiva sollten nur bei einer depressiven Symptomatik verordnet werden. Auch auf das Abhängigkeitspotenzial von NichtBenzodiazepinen wie Zolpidem und Zopiclon wurde eindrücklich hingewiesen.
Schlussfolgerung: Trotz initial guter Wirksamkeit sollte die Indikation streng
und zeitlich befristet sein. Wenn ein kurzer Therapiezeitraum nicht möglich ist,
sollte der Patient frühzeitig zu einem Facharzt überwiesen und gegebenenfalls
das Suchthilfesystem kontaktiert werden.
►Zitierweise
Janhsen K, Roser P, Hoffmann K: The problems of long-term treatment
with benzodiazepines and related substances—prescribing practice,
epidemiology and the treatment of withdrawal. Dtsch Arztebl Int 2015; 112:
1–7. DOI: 10.3238/arztebl.2015.0001
LWL-Universitätsklinikum Bochum, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Präventivmedizin,
Ruhr-Universität Bochum: PD Dr. rer. pol. Janhsen, Prof. Dr. med. Roser, Dr. med. Hoffmann
Fakultät für Gesundheit, Department für Humanmedizin, Universität Witten/Herdecke: PD Dr. rer. pol.
Janhsen
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 112 | Heft 1–2 | 5. Januar 2015
issbrauch und -abhängigkeit von Benzodiazepinen sind seit rund 40 Jahren bekannte Probleme
(1, 2, e1). Pharmazeutische Unternehmen und die deutsche Zulassungsbehörde haben daher seit den 1980er
Jahren die Anwendungsdauer auf in der Regel zwei bis
vier Wochen beschränkt. Dennoch erhalten etwa 4–5 %
der gesetzlich Krankenversicherten (GKV-Versicherten) mindestens eine Verordnung eines Benzodiazepins
(BZD) oder Benzodiazepin-Derivates (Z-Drugs: Zolpidem, Zopiclon) pro Kalenderjahr. Dabei werden
13–14 % dieser Patienten 90 und mehr „defined daily
doses“ (DDD) verordnet (3). Nach einer aktuellen
Hochrechnung von Holzbach liegt in Deutschland eine
Missbrauchs- und Abhängigkeitsprävalenz von circa
5 % vor (4). Unter Berücksichtigung von patientenund verordnungsbezogenen Parametern ermittelte
Holzbach einen Patientenanteil mit sehr problematischer Einnahme von 2,8 % und mit problematischer
Einnahme von sogar 17,5 % der Anwender (5). Bei älteren Anwendern steigt der Anteil mit problematischer
Einnahme auf über 20 % (6).
Im ambulanten Bereich werden den GKV-Versicherten jährlich rund 25,6 Millionen DDD BenzodiazepinHypnotika, 103,7 Millionen DDD Benzodiazepin-Tranquillanzien, 0,5 Millionen DDD Clomethiazol sowie
3,7 Millionen DDD Clonazepam verordnet (7–9). Diese
Verordnungszahlen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind seit Jahren rückläufig.
Hinzu kommen 74,6 Millionen an GKV-Versicherte
abgegebene DDD Z-Drugs (6) und 22,0 Millionen
DDD Tetrazepam, das hauptsächlich als Muskelrelaxans angewendet wurde und dessen Zulassung seit August 2013 aufgrund schwerer Hauterkrankungen wie
dem Stevens-Johnson-Syndrom, der toxischen epidermale Nekrolyse, Erythema multiforme, des DRESSSyndroms und andere ruht (e2, e3). Die Verordnungsmengen beider Gruppen stiegen in den letzten Jahren
zulasten der GKV sogar an. Kumulativ liegen also Verschreibungen in Höhe von 230,1 Millionen DDD jährlich vor. Aktuell finden sich inklusive der Z-Drugs 90
benzodiazepinhaltige Präparate in der Roten Liste (e4),
verteilt auf 20 Einzelsubstanzen.
Clomethiazol ist in den Hauptindikationen, zu denen
die Behandlung von Prädelir, Delirium tremens sowie
akuter Entzugssymptomatik und die Therapie von Verwirrtheits-, Erregungs- und Unruhezuständen bei Pa-
M
1
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TABELLE 1
PubMed-Suchalgorithmus, Recherche: Juli 2014
Fragestellung
Epidemiologie
Pubmed-Suche
„epidemiology“ (MeSH Terms)
Verknüpfung
or
„statistics and numerical data“ (Subheading)
AND
Z-Drugs
Benzodiazepine
„Zopiclon*“
or
„Zaleplon“
or
„Zolpidem“
or
„Benzodiazepin*“
or
Methode
„Benzodiazepines“ (MeSH Terms)
AND
Missbrauch/
Abhängigkeit
„tolera*“
or
„habit*“
or
„dependan*“
or
„addict*“
or
„misuse“
or
„abuse“
AND
Deutschland
„german*“
* Joker
tienten mit hirnorganischem Psychosyndrom im höheren Lebensalter zählen, nur unter stationären Bedingungen anzuwenden (e5).
Mehrere Untersuchungen lassen annehmen, dass
BZD und Z-Drugs mindestens seit Ende der 1990er
Jahre häufig und zunehmend auch für GKV-Versicherte
auf Privatrezept verordnet werden (9–12). Zwar sank
das Verordnungsvolumen der Benzodiazepine von
12,7 Millionen Packungen im Jahr 1993 auf 2,0 Millionen im Jahr 2012. Der Privatrezeptanteil lag aber 2012
– mit 87 % GKV-Versicherten in der Bevölkerung – bei
55,3 %. Noch auffälliger war die Entwicklung der Verordnungen von Z-Drugs: Die Menge stieg von 2,2 Millionen Packungen im Jahr 1993 auf 8,9 Millionen 2011
(7,9 Millionen 2012) an. Dabei machte 2011 der Anteil
von Privatverordnungen 49,5 % aus (9).
Hypnotika und Tranquillanzien können gemäß der
aktuellen Arzneimittelrichtlinie für bis zu vier Wochen
zulasten der GKV verordnet werden – in begründeten
Einzelfällen auch länger. Die Weiterverordnung zulasten der GKV im Rahmen begründeter Einzelfälle (beispielsweise bei bestehender Abhängigkeit) wäre denkbar. Dies wird jedoch kontrovers diskutiert (13). Eine
Identifikation von Ärzten, die Rezepte mit fehlerhafter
Indikation ausstellen oder zu große Mengen verordnen,
sowie eine Beratung zum Verordnungsverhalten wären
grundsätzlich auf der Basis von Krankenkassendaten
möglich. Allerdings erschwert der aktuell hohe Anteil
von Verordnungen auf Privatrezept diesen gezielten
Ansatz derzeit erheblich.
2
In der Fallvignette zu diesem Beitrag wird der Verlauf einer komplizierten Benzodiazepin-Entgiftung
beschrieben (eKasten). Zunächst aufgrund von Schlafstörungen erfolgte seit circa zehn Jahren eine ärztliche
Verschreibung von Benzodiazepinen und Clomethiazol. Letztendlich war eine dreimonatige stationäre
Entgiftung zur Stabilisierung notwendig. Vor diesem
Hintergrund gibt der Beitrag einen Überblick über die
Häufigkeit von BZD- beziehungsweise Z-Drug-Missbrauch und -Abhängigkeit. Darüber hinaus werden
auch die Durchführung des Entzugs erläutert und die
Verschreibungspraxis diskutiert.
Um Informationen über die Epidemiologie von BZDbeziehungsweise Z-Drug-Missbrauch und -Abhängigkeit zu erhalten, wurde eine selektive Literaturrecherche in PubMed durchgeführt (Tabelle 1). Die Suche
begrenzte sich auf deutsch- oder englischsprachige
Publikationen, die seit 2004 veröffentlicht wurden.
Studien über die Durchführung des Entzuges bei
BZD-Abhängigkeit wurden in Pubmed in der Kategorie „medical subject headings major topic“ (MeSH
major topic) mit den folgenden Begriffen gesucht:
„Benzodiazepines/adverse effects“ und „substance withdrawal syndrome/therapy“. Die Suche wurde auf
deutsch- und englischsprachige Publikationen der letzten fünf Jahre begrenzt. Beide Recherchen erfolgten im
Juli 2014.
Ergebnisse
Die selektive Literaturrecherche zur Epidemiologie
erzielte 46 Treffer, von denen vier Publikationen (4, 5,
14, 15) relevant waren. Als relevant wurden Arbeiten
mit Aussagen zur Epidemiologie der BenzodiazepinAbhängigkeit eingestuft. Tabelle 2 zeigt eine Übersicht
dieser Publikationen, ergänzt um Angaben zur Prävalenz aus dem Epidemiologischen Suchtsurvey (16, e6),
dem Bundesgesundheitssurvey 1998 (17) und der
Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. (DHS)
(e7). Am 31.12.2011 ergeben sich für die Bevölkerung
auf Grundlage des Zensus 2011 (e8) rund 1,1 Millionen
Schlaf- und Beruhigungsmittelabhängige im Alter zwischen 18 und 64 Jahren nach den Daten des Epidemiologischen Suchtsurveys 2012. Nach den Zahlen des
Bundesgesundheitssurveys 1998 existieren sogar circa
1,6 Millionen Abhängige im Alter zwischen 18 und 79
Jahren (18). Die Arbeitsgruppe um Holzbach berücksichtigt klinische Aspekte, indem sie die Abhängigkeit
in klinische Phasen einteilen (3, 4). Die Häufigkeit der
problematischen Versorgung (gelbe bis schwarze Phase, das heißt länger als 6 Monate 3,33 mg und mehr
Diazepam-Äquivalent täglich) in Deutschland wird
hier mit rund 800 000 Patienten beziffert. Diese Zahlen
basieren auf Daten von GKV-Rezepten und schließen
auch Verordnungen für ältere Patienten ein. Mindestens
seit Ende der 1990er Jahre führen aber GKV-Datenauswertungen dazu, dass die verordneten Mengen aufgrund der hohen Anteile von Verordnungen auf Privatrezepten unterschätzt werden (10).
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TABELLE 2
Ausgewählte Publikationen zur Häufigkeit des Benzodiazepin-/Z-Drugs-Missbrauchs bzw. zur Benzodiazepin-/Z-Drugs-Abhängigkeit
in Deutschland
Referenz
Datenbasis
Population
Ergebnisse
Linden et al.
2004 (14)
Berlin Aging Study (BASE)
516 Teilnehmer, 70 Jahre und älter, je 43 Teilnehmer in 12 Untergruppen nach 5-Jahres-Altersgruppen und Geschlecht, Stichprobe aus Berliner Einwohnermelderegister, Erhebungszeitraum 1990–93
18,9 % BZD-Anwender;
durchschnittliche Einnahmedauer: 7,58 Jahre;
– davon nahmen 33,8 % BZD 1–5 Jahre;
– davon nahmen 40,3 % BZD > 5 Jahre.
Hoffmann et al.
2008 (15)
GKV-Daten
1,47 Millionen Versicherte der Gmünder ErsatzKas- 6 959 Versicherte mit mind. 1 Verordnung Z-Drugs
se (GEK), bundesweit, Untersuchungszeitraum
– davon 7,2 % mit mind. 180 DDD Z-Drugs
1.7.2004–31.12.2004
(Hochverbrauch)
Kraus et al.
2012 (e6, 16)
Epidemiologischer
Suchtsurvey 2012
9 084 Teilnehmer, 18–64 Jahre, bundesweite
Einwohnermelderegister-Stichprobe, Erhebungszeitraum April–August 2012
Schlafmittelmissbrauch:
0,8 % der Teilnehmer bzw. 14,8 % der Anwender
Schlafmittelabhängigkeit:
0,8 % der Teilnehmer bzw. 15,3 % der Anwender
Beruhigungsmittelmissbrauch:
0,8 % der Teilnehmer bzw. 14,8 % der Anwender
Beruhigungsmittelabhängigkeit:
1,4 % der Teilnehmer bzw. 26,1 % der Anwender
Knopf et al.
2003 (17)
Bundesgesundheits-Survey
1998
7 124 Teilnehmer, 18–79 Jahre, Stichprobe aus
bundesweitem Einwohnermelderegister, Erhebungszeitraum 1997–99
Anwender benzodiazepin- und/oder barbitursäurehaltiger Arzneimittel: Frauen 4,2 %, Männer 2,0 %
– davon Anwendung über mind. 3 Monate:
Frauen 83,5 %, Männer 81,4 %
Glaeske G
2006 (e7)
GKV-Daten,
Pharma-Marktdaten
Gesamtbevölkerung in D, Hochrechnung
1–1,1 Millionen Benzodiazepinabhängige in D
1,3–1,4 Millionen Arzneimittelabhängige in D
Holzbach et al.
2010 (4)
Norddeutscher MedikamentenMonitor (GKV-Rezeptdaten)
Daten eines Apothekenrechenzentrums (NARZ),
> 16 Millionen Personen, Einschlusszeitraum
1. 7. 2005–30. 6. 2006, Nachverfolgung der
Verordnungen über ein Jahr bis max. 30. 6. 2007.
Hochrechnung der Daten für die Bevölkerung in D.
Einteilung erfolgt nach klinischen Phasen.
BZD und/oder Z-Drugs:
128 261–1 538 860 Patienten
mit sehr problematischer (rot-schwarz) bis
problematischer (grau-schwarz) Versorgung in D
790 475 mit problematischer (gelb-schwarz)
Versorgung in D
Verthein et al.
2013 (5)
Norddeutscher MedikamentenMonitor (GKV-Rezeptdaten)
Daten eines Apothekenrechenzentrums (NARZ),
> 16 Millionen Personen, siehe Holzbach et al.
2010, Auswertung der Daten nach Bundesland.
Einteilung erfolgt nach klinischen Phasen.
BZD und/oder Z-Drugs:
5,2 % der Hamburger Wohnbevölkerung mit mind.
einer Verordnung im Einschlusszeitraum
– davon 13,2 % mit sehr problematischer
(rot-schwarz) Versorgung
– davon 15,6 % mit problematischer Versorgung
(gelb-schwarz)
GKV, gesetzliche Krankenversicherung; D, Deutschland
Auf internationaler Ebene gibt es mehrere Leitlinien
zur Therapie bei Benzodiazepin-Abhängigkeit (19–21,
e9 und andere), die sich aber weitgehend auf die ambulante Entgiftung von Patienten ohne Hochdosiskonsum
beziehen. Ein Cochrane Review von 2006 (22) wurde
2013 aktualisiert (e10) und wird derzeit erneut überarbeitet. Der Leitfaden zur Medikamentenabhängigkeit
der Bundesärztekammer (23) sowie die von Poser und
Mitarbeitern 2006 verfasste Leitlinie (20) geben unter
anderem eine detaillierte Übersicht zur Behandlung der
Medikamentenabhängigkeit. Holzbach veröffentlichte
darüber hinausgehende Informationen zur Entzugsbehandlung (3, 24, e11).
Die PubMed-Recherche zum Benzodiazepin-Entzug
lieferte 22 Treffer, von denen sieben Treffer relevant
waren. Davon befassten sich drei mit der Rolle von
Pregabalin (25, e12, e13), zwei mit Flumazenil (26,
27), eine mit kognitiver Verhaltenstherapie (e16) und
eine mit dem Vergleich von Interventionen mit erhöhter
Kontaktfrequenz zwischen Arzt und Patient (28).
Für die ambulante Entzugsbehandlung wird weitgehend empfohlen, dass die Patienten auf eine ÄquivaDeutsches Ärzteblatt | Jg. 112 | Heft 1–2 | 5. Januar 2015
lenzdosis eines mittel- bis langwirksamen Benzodiazepins wie Oxazepam beziehungsweise Diazepam umgestellt werden. Die Dosierung sollte über vier bis zehn
Wochen um wöchentlich 10–25 % der über einen längeren Zeitraum eingenommenen Dosis reduziert werden
(24, 20, e16) (Grafik). In einer Meta-Analyse zeigten
Oude Voshaar und Kollegen (e17), dass es diesbezüglich
aber sehr unterschiedliche Empfehlungen gibt – vom abrupten Substanzentzug bis hin zum Ausschleichen über
ein Jahr. Im klinischen Alltag zeigt sich sicherlich ein erhöhtes Risiko für Entzugskrampfanfälle. Es bleibt zweifelhaft, ob eine Komedikation mit antikonvulsiven Substanzen diese ausreichend mindern können.
Bei Hochdosiskonsum ab einer Diazepamäquivalenzdosis von 20 mg wird zunächst eine stationäre Aufnahme, aber auch eine zusätzliche Medikationen mit Carbamazepin beziehungsweise Valproinsäure empfohlen
(24). Hier ergeben sich Probleme aufgrund unterschiedlicher Äquivalenzangaben (3). Andere Begleitmedikationen wie Buspiron, Betablocker und Clonidin scheinen
keinen eindeutigen Einfluss auf die Entzugsbehandlung
zu haben (e17). Die Verwendung von Antidepressiva
3
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GRAFIK
TABELLE 3
Benzodiazepinkonsum
schädlicher Gebrauch
Benzodiazepinentzugssymptome (nach 24)
Unspezifische Symptome
manifeste Abhängigkeit
gemäß ICD-10
Low-Dose-Abhängigkeit
< 20 mg Diazepamäquivalenz/Tag
– ambulante Entgiftung möglich
– Umsetzen auf eine Äquivalenzdosis eines mittellang wirksamen
Benzodiazepins (z.B. Oxazepam)
Abdosierungsschema:
> 8 mg Oxazepam: 3 mg-Schritte
< 8 mg Oxazepam: 2 mg-Schritte
< 4 mg Oxazepam: 1 mg-Schritte
< 2 mg Oxazepam: 0,5 mg-Schritte
Reduktiosintervall: 3–7 Tage
– Aufklärung über die Erkrankung
– Erläutern des Suchthilfesystems
– ggf. psychiatrische Differenzialdiagnostik
High-Dose-Abhängigkeit
> 20 mg Diazepamäquivalenz/Tag
– stationäre Entgiftung empfohlen
– Umsetzen auf eine Äquivalenzdosis eines mittellang wirksamen
Benzodiazepins (z.B. Oxazepam)
– zusätzliche Medikation mit
Valproinsäure oder Pregabalin
– Höchstdosis umstritten
Häufigkeit in %
Schlafstörungen
71
Angst
56
Stimmungsschwankungen
49
Muskelschmerzen/-zuckungen
49
Zittern
38
Kopfschmerzen
38
Übelkeit/Erbrechen/Appetitverlust
36
Schwitzen
22
verschwommenes Sehen
20
Wahrnehmungsstörungen
Überempfindlichkeit gegen
– Geräusche
38
– Licht
24
– Geruch
15
– Berührung
7
Unterempfindlichkeit gegen
Abdosierungsschema:
> 100 mg Oxazepam:
50 mg-Schritte alle 2 Tage
> 50 mg Oxazepam:
25 mg-Schritte alle 2 Tage
< 50 mg Oxazepam:
10 mg-Schritte alle 2 Tage
< 20 mg Oxazepam:
5 mg-Schritte alle 2 Tage
danach ggf. langsamer und
kleinschrittiger, vgl. „Low-Dose“Abhängigkeit
– Geruch
– Geschmack
15
4
qualitative Veränderungen
– Bewegung
> 24
– Sehen
> 13
– Geschmack
13
– Hören
2
– Geruch
2
sonstiges
– Unwirklichkeitsgefühl
Zusatzmedikation bei
starker Unruhe, Schlafstörungen,
depressiver Symptomatik:
Doxepin 25–50 mg
Mirtazapin 15–30 mg
Ablaufschema der Benzodiazepinentgiftung, modifiziert nach 3, 24, 20, e17.
sollte nur bei gleichzeitig vorliegender depressiver
Symptomatik empfohlen werden (e18). Es liegen Hinweise vor, dass Flumazenil positiv auf die Entzugssymptome wirkt und zu einer höheren Abstinenzrate führt (26,
27, e14). Die Grafik zeigt verschiedene Entzugsoptionen, Tabelle 3 gibt eine Übersicht typischer Entzugssymptome. An dieser Stelle soll noch einmal auf einen
möglichen Rebound-Effekt vorher subklinischer psychiatrischer Grunderkrankungen hingewiesen werden.
Die Bedeutung psychotherapeutischer Interventionen wird im Allgemeinen positiv bewertet (28, e15,
e17), wenngleich Oude Voshaar und Kollegen (e20) in
einer randomisierten kontrollierten Vergleichsstudie
4
24
Komplikationen
– Psychosen
7
– epileptische Anfälle
4
aus: Holzbach: Benzodiazepin-Langzeitgebrauch und -abhängigkeit. Fortsch
Neurol Psychiatr 2010; 78: 425–34. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des
Thieme-Verlags, Stuttgart.
nachwiesen, dass eine alleinige kontrollierte Dosisreduktion gegenüber einer Kombination mit kognitiver
Verhaltenstherapie im Hinblick auf die Abstinenzrate
nach einem Jahr überlegen war. Allerdings lag keine
Signifikanz vor. Eine Übersicht über die Effektivität
ausgewählter Interventionen findet sich in Tabelle 4.
Fazit
Obwohl die Behandlung mit Benzodiazepinen viele Vorteile besitzt, hat sich nach der Markteinführung in den
1960er Jahren schnell gezeigt, dass das Risiko einer Abhängigkeit nicht zu unterschätzen ist (3, e11). Dass dies
nicht nur in medizinischen Fachkreisen, sondern auch in
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TABELLE 4
Effektivität verschiedener Interventionen bei Benzodiazepinabhängigkeit
Studie
Typ
Anzahl der
eingeschlossenen
Studien
Denis
et a.l (22)
SR
8
Parr
et al. (e15)
MA
24
Quaglio
et al. (26)
CR
Flumazenil
Tyrer
et al. (e18)
RCT
Dosulepin vs. Placebo
Vincens
et al. (28)
RCT
Routinebehandlung vs.
strukturierte Intervention vs.
manualisierte Intervention
Oude Voshaar
et al. (e17)
MA
a) Routinebehandlung vs.
b) minimale Intervention vs.
c) strukturierte Intervention
strukturierte Intervention +
Imipramin oder CBT
Oude Voshaar
et al. (e20)
RCT
29
Intervention
N
adjuvante Medikation
Zielgröße
Effekt
Entzugsverlauf
Abstinenz
keine Effekte:
Buspiron, Progesteron
unklar: Propanolol
potenziell positiver Effekt:
Carbamazepin, trizyklische AD
Abstinenz
b) und c) sind a) signifikant überlegen
(OR: 5,96 bzw. 4,37)
d) ist a) und c) signifikant überlegen
(OR: 3,38 bzw. 1,82)
e) ist c) signifikant unterlegen (OR: 0,3)
29
Entzugssymptome
Abstinenzrate
Abstinenzrate nach 6 Monaten: 53 %
87
Entzugssymptome
kein signifikanter Unterschied (OR: 0,63)
532
Abstinenz
Interventionen signifikant überlegen
(p < 0,0001)
2115
Abstinenz
b), c) signifikant a) überlegen (OR: 2,8)
c) signifikant b) überlegen (OR: 5,5)
Erfolgsprediktoren
Abstinenz
unabhängige Erfolgsprediktoren:
niedriger Konsum, selbstständige
Dosisreduktion vor Beginn der Therapie,
kein Alkoholkonsum
b) + c) sind a) signifikant überlegen
(HR: 2,9 bzw. 2,4)
b) ist c) überlegen, aber nicht signifikant
458
a) Routinebehandlung vs.
b) Kurzintervention vs.
c) gestufte Reduktion vs.
d) gestufte Reduktion + psychologische Intervention
e) pharmakologische
Substitution
a) Routinebehandlung vs.
b) systematische Reduktion vs.
c) systematische Reduktion +
CBT
180
MA, Metaanalyse; RCT, randomisierte kontrollierte Studie; CT, kontrollierte Studie; CR, Fallberichte; SR, systematisches Review; OR, Odds Ratio; HR, Hazard Ratio; N, Gesamtzahl Stichprobe
einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen wurde und
bekannt war, fand nicht zuletzt seinen Niederschlag in diversen kulturhistorischen Episoden. Genannt sei hier nur
das Lied „Mother’s Little Helper“ der britischen RockBand Rolling Stones aus dem Jahre 1966.
Es ist darauf hinzuweisen, dass die Pharmaindustrie
über lange Zeit die Bedeutung des Abhängigkeitsrisikos
verharmloste – nicht zuletzt erneut, als die sogenannten
Z-Drugs eingeführt wurden. Deren Abhängigkeitspotenzial wurde inzwischen von verschiedenen Seiten eindrücklich betont (3, 29, e21).
Diese Medikamentengruppen sind in verschiedenen
Fachdisziplinen nicht mehr wegzudenken, zum Beispiel
in der Notfallmedizin, in der Anästhesie, aber auch in der
Epileptologie sowie bei psychiatrischen Notfällen (30,
e22, e23, e24). Nach den Daten des Bundesgesundheitssurveys nennen Anwender als häufigste Einnahmegründe
jedoch Schlafstörungen (circa 50 %) und innere Unruhe,
Nervosität, Erregungs- sowie Spannungszustände
(25,9 %) (17). Auch bei dem vorliegenden Fallbeispiel erfolgte die initiale Verordnung aufgrund von Insomnie.
Über die Motivation, Benzodiazepine und verwandte
Substanzen über den in den Arzneimittelrichtlinien empDeutsches Ärzteblatt | Jg. 112 | Heft 1–2 | 5. Januar 2015
fohlenen Zeitraum hinaus zu verschreiben, kann hier mangels entsprechender Daten nur spekuliert werden. Es ist zu
vermuten, dass die gute Wirksamkeit auf die oben genannten Zielsymptome bei den Patienten für eine hohe Affinität
zu den Substanzen sorgt – noch bevor sich eine manifeste
Abhängigkeit entwickelt. Somit üben die Patienten einen
hohen Druck auf den Arzt aus, der ihnen die Arzneimittel
verschreibt. Die Betroffenen haben insbesondere Angst
davor, dass die initialen Symptome wiederkehren. Dies
findet sich auch in der Aussage wieder, dass es sich in vielen Fällen um „Wunschverordnungen“ handelt (31). Außerdem dürften die meisten Patienten vor dem Beginn der
Benzodiazepin-Medikation schon eine längere Leidensgeschichte erfahren haben, so dass sie eine rasche Intervention wünschen und ihrer bedürfen. Da aber zum Beispiel
die Versorgung im psychotherapeutischen System weiterhin eine erhebliche Vorlaufzeit bedingt, wird die Bedürfnislage nur ungenügend erfüllt. Zu einer anderen Personengruppe gehören die primär polysubstanzabhängigen
Patienten, über deren Anteil allerdings keine konkreten
Daten vorliegen.
Bereits 1984 berichteten Binder und Mitarbeiter über
157 Fälle von Benzodiazepin-Abhängigkeit und sprachen
5
MEDIZIN
in diesem Zusammenhang bereits von einer „Volksseuche“ (32). Neben adjuvanten Gaben in der Schmerztherapie (33, e25) gelten vor allem psychiatrische Diagnosen
als Primärindikationen für eine Benzodiazepin-Medikation. Die Mechanismen oder individuellen Risikofaktoren,
die dafür verantwortlich sind, ob ein Patient eine Hochdosisabhängigkeit oder – mit vergleichsweise geringen Benzodiazepin-Dosierungen – eine „Low-dose“-Abhängigkeit entwickelt, sind bisher weitgehend ungeklärt. Martinez-Cano und Mitarbeiter fanden in einer Untersuchung
von 153 Benzodiazepin-Abhängigen ein besonders hohes
Risiko für eine Hochdosisabhängigkeit von Triazolam und
Lorazepam. Sie führten dies vor allem auf die pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Faktoren zurück
(34). Hochdosisabhängigkeiten sind allerdings für alle
Benzodiazepine einschließlich der Z-Drugs (12, 35, e26)
beschrieben. Bei Hochdosis-Benzodiazepin-Abhängigen
liegen offensichtlich seltener suchtspezifische Komorbiditäten vor, anders als bei „Low-dose“-Benzodiazepin-Konsumenten (36, e27).
Zweifellos ist die Ärzteschaft wesentlich an der Langzeitverschreibung von Benzodiazepinen beteiligt. So ist
davon auszugehen, dass der größte Teil der konsumierten
Benzodiazepine nicht vom Schwarzmarkt stammt, sondern ärztlich verschrieben wurde. Dieses Problem wurde
bereits früh erkannt und thematisiert (32, 37, 38, e28, e29),
aber Konsequenzen spiegeln sich noch nicht im Verschreibungsverhalten wider. Auch nachdem die Verschreibungsmöglichkeiten für verschiedene Benzodiazepine eingeschränkt wurden, zeigte sich diesbezüglich kein Effekt.
Zum Beispiel wurde für Flunitrazepam eine Verschreibung nur auf Betäubungsmittelrezept eingeführt. Eine aktuelle Befragung deutscher Hausärzte zur Verordnung von
Hypnotika auf Privatrezept gibt interessante Einblicke:
Die Ärzte nannten vor allem die Vorgaben der Arzneimittel-Richtlinie und Wunschverordnungen als Anlass, Privatrezepte für GKV-Patienten auszustellen (31). Ferner
halten 80,4 von 458 Befragten Z-Drugs für effektiver und
– einschließlich des Abhängigkeitspotenzials – für nebenwirkungsärmer als Benzodiazepine. Dafür ist in der Literatur allerdings keine Evidenz zu finden (39). Es besteht
nach wie vor ein erheblicher Mangel an Daten über die
Verbreitung von Hochdosis-Benzodiazepin-Abhängigen.
Da sich die Verschreibungsproblematik in einer rechtlichen Grauzone abspielt, ergeben sich erhebliche methodische Schwierigkeiten – der Forschungsbedarf ist aber evident.
Prävention von unsachgemäßer Langzeitverordnung
und Motivation zum Entzug sowie Durchführung des ambulanten beziehungsweise stationären Entzugs sind nach
Erachten der Autoren notwendige Maßnahmen, um unsachgemäßen Dauergebrauch und -verordnungen zu begegnen. Einerseits müssen hierzu Ärzte und Anwender
besser informiert werden, andererseits sind aber auch ausreichende Behandlungskapazitäten erforderlich. Die Bundesärztekammer hat in Zusammenarbeit mit der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2007 einen
Leitfaden für die ärztliche Praxis „Medikamente – schädlicher Gebrauch und Abhängigkeit“ veröffentlicht (23).
Ferner haben die Ärztekammer und die Kassenärztliche
6
KERNAUSSAGEN
● Benzodiazepine und Benzodiazepin-Analoga werden
noch immer zu häufig und über einen zu langen Zeitraum verordnet.
● Aufgrund des regelmäßig auftretenden Wirkverlusts
nach wenigen Wochen wird die Medikation bei Insomnie häufig nicht abgesetzt.
● Mehrere Quellen mit Daten zur Häufigkeit der Schlafund Beruhigungsmittelabhängigkeit in Deutschland liegen vor. Dennoch sind diese einzelnen Aspekte nicht
hinreichend belastbar.
● Nationale und internationale Behandlungsempfehlungen zur Prävention und Behandlung bei Arzneimittelabhängigkeit sind verfügbar.
● Angebote für ärztliche Fortbildungen zur Prävention und
Behandlung der Arzneimittelabhängigkeit sollten intensiviert werden.
Vereinigung (KV) Hamburg im Februar 2011 eine gemeinsame Handlungsempfehlung zur Verordnung von
Benzodiazepinen und deren Analoga publiziert (40). Diese soll auch bei „druckvoll vorgetragenem Patientenwunsch nach einer Verordnung“ berücksichtigt werden
(40). Die Handlungsempfehlung und die umfangreichen,
weiteren Informationen bezüglich der Verordnung von
Benzodiazepinen werden beispielsweise auch von der KV
Westfalen-Lippe an ihre Mitglieder weitergegeben. Dabei
werden auch Ansprechpartner für Patienten und Ärzte vermittelt. Die aktuelle Leitlinie der Bundesärztekammer
weist sowohl hinsichtlich der Prävention als auch der Therapie von Medikamentenabhängigkeit ausdrücklich darauf hin, dass Haus- und Fachärzte, insbesondere Psychiater, unbedingt zusammenarbeiten sollten. Die Autoren erkennen hier ein bisher unzureichend genutztes Potenzial,
das die gesundheitliche Versorgung verbessern könnte.
Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 11. 4. 2014, revidierte Fassung angenommen: 28. 10. 2014
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Anschrift für die Verfasser
Dr. med. Knut Hoffmann
LWL-Universitätsklinikum Bochum
Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Präventivmedizin
Ruhr-Universität Bochum
Alexandrinenstraße 1–3, 44791 Bochum
[email protected]
Zitierweise
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DOI: 10.3238/arztebl.2015.0001
@
Mit „e“ gekennzeichnete Literatur:
www.aerzteblatt.de/lit0115 oder über QR-Code
eKasten:
www.aerzteblatt.de/15m0001 oder über QR-Code
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www.aerzteblatt-international.de
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MEDIZIN
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MEDIZIN
eKASTEN
Fallvignette
Eine 58-jährige Patientin wurde vom Ehemann bewusstlos in der Wohnung aufgefunden. Aufgrund der Mischintoxikation mit Alkohol, Bromazepam
und Clomethiazol erfolgte eine intensivmedizinische Behandlung (Glasgow-Coma-Scale [GCS]: 3). Aufnahme-Labor: Blutalkoholkonzentration 2,8 ‰,
Kreatinkinase (CK): 544 U/L. Drogenscreening: Benzodiazepine positiv, unauffällig: Kokain, Opiate, Amphetamine, Cannabis, Serumspiegel wurden
nicht bestimmt. Neurologische Untersuchung: Areflexie im Hirnnervenbefund, beidseits mittelweite, nicht-lichtreagible Pupillen, erloschener Kornealreflex, schlaffer Muskeltonus, schwache seitengleich-erhältliche Muskeleigenreflexe. EKG, cCT: unauffällig. Nach 24 Stunden Extubierung und Verlegung in die Psychiatrie. Psychopathologischer Aufnahmebefund: Wach, zeitlich desorientiert, deutliche Aufmerksamkeits- und Auffassungsstörungen,
reduzierte Gedächtnisleistung, Stimmung gedrückt, reduzierte Schwingungsfähigkeit, Antriebsminderung, innere und psychomotorische Unruhe, formalgedanklich verlangsamt, jedoch weitestgehend geordnet, keine Hinweise auf psychotisches Erleben, kein Suizidalität. Körperliche und neurologische Untersuchung: unauffällig. Auch in der Vorgeschichte wurde keine Suizidalität berichtet.
Eine langjährige Bromazepam- und Clomethiazolabhängigkeit war bekannt. Angehörige legten Privatrezepte vor, die seit 2003 eine kontinuierliche
ambulante Verschreibung von Sedativa (zuletzt 100 Tabletten Bromazepam 6 mg, 200 Kapseln Clomethiazol 192 mg zweiwöchentlich) durch den
Hausarzt belegten. Zusätzlich stellten verschiedene Ärzte in unregelmäßigen Abständen Privatrezepte über jeweils 50 Tabletten Bromazepam 6 mg
aus. Die Privatrezepte löste sie in elf verschiedenen Apotheken ein. Eigenanamnestisch bestand ein täglicher Konsum von 9–12 mg Bromazepam
sowie 10 Kapseln Clomethiazol.
Unter Entzugsbehandlung mit Hilfe von Diazepam 4 × 10 mg/Tag und bedarfsadaptiert bis zu 4 × 5 mg/Tag trat am Folgetag ein delirantes Syndrom auf, das sich durch Orientierungsstörungen, kognitive Defizite, formale Denkstörungen und optische Halluzinationen äußerte. Weiterhin zeigte
sich eine psychovegetative Entgleisung mit hypertensivem Blutdruckprofil, das sich unter Gabe von Haloperidol und Clonidin verbesserte. Am vierten
Tag erfolgte erstmalig ein Grand-Mal-Anfall. Nach erneutem Anfall im Tagesverlauf mit zunehmender Bewusstseinseintrübung wurde die Patientin auf
auf eine neurologische Intensivstation verlegt. Dort trat ein Grand-Mal-Status mit GCS 3 ein. Die Krampfserie konnte nicht mit Clonazepam und Levetiracetam intravenös, sondern erst mittels Propofol unterbrochen werden. Im EEG ergaben sich leichte Allgemeinveränderungen ohne Hinweise auf
einen Herdbefund oder epilepsietypische Potenziale. Liquoranalyse, extra- und transkranielle Doppler- und Duplexsonographie der hirnversorgenden
Gefäße sowie Schädel-CT und -MRT zeigten keine pathologischen Auffälligkeiten. Das Anfallsereignis wurde als entzugsbedingt gewertet. Eine antiepileptische Medikation mit Levetiracetam 1 000 mg/Tag wurde durchgeführt. Nach 13-tägiger intensivmedizinischer und neurologischer Behandlung
wurde die Betroffene in die Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Präventionsmedizin der Ruhr-Universität Bochum zurückverlegt.
Die weitere Entzugsbehandlung gestaltete sich langwierig, die Diazepamreduktion erfolgte wegen ausgeprägter psychovegetativer Entzugssymptome sehr vorsichtig (0,5 mg/Woche). Die antiepileptische Medikation mit Levetiracetam blieb unverändert. Entzugsdelirien oder -krampfanfälle traten
nicht mehr auf. Nach drei Monaten, als die Patientin die Entzugsbehandlung abgeschlossen hatte, wurde sie in ausreichend stabilem Zustand ohne
relevante depressive Symptomatik in ihr häusliches Umfeld entlassen.
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