einführung in die sozialpsychiatrie

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KOMPENDIUM
ZUR VORLESUNG
EINFÜHRUNG IN DIE
SOZIALPSYCHIATRIE
FÜR STUDENTEN/INNEN
DER
SOZIALEN ARBEIT
UND DER
HEILPÄDAGOGIK
KATHOLISCHE HOCHSCHULE FÜR SOZIALWESEN BERLIN
PROF. DR. MED. RALF-BRUNO ZIMMERMANN
Wer alles erklären kann,
hat nichts verstanden.
C. Haring
Liebe Studentin, lieber Student,
im Folgenden finden Sie Kopien ausgewählter Folien, die ich in der Vorlesung verwende sowie
ausgewählte Dokumente und Texte.
Sie stellen einen Ausschnitt des Vorlesungsinhaltes dar und können diese nicht ersetzen, vielmehr handelt es sich um ein grobes Raster der Begriffe und des aktuellen Kenntnisstandes der
Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und der Psychotherapie. Außerdem sind darüber hinaus einige häufige neurologische Krankheitsbilder abgehandelt, die eher für das Feld der Heilpädagogik von
besonderer Bedeutung sind.
Vieles hier Dargestellte ist als Kompendium zum Nachschlagen gedacht, deshalb finden Sie wesentliche Inhalte, Kommentare und praktische Erfahrungen nur in der Vorlesung.
Sie werden eine Darstellung der speziellen Methoden der Sozialen und der heilpädagogischen
Arbeit vermissen. Diese werden in der Vorlesung am Rande erwähnt, können aber nicht Gegenstand intensiver Bearbeitung sein.
So verstanden, kann Ihnen diese Sammlung zur besseren Verarbeitung des Vorlesungsstoffes
dienen und vielleicht später das mühsame Nachschlagen in vielen Büchern ersparen, wenn Sie
sich kurz über einen Begriff, eine Erkrankung, eine gemeindepsychiatrische Einrichtung o.ä. orientieren wollen.
Selbstverständlich kann und will diese Sammlung nicht die Lektüre eines Fach- oder Lehrbuches
ersetzen, wenn Sie sich tiefer mit der Materie (resp. den Klienten) beschäftigen wollen. Die recht
umfangreiche Literaturliste soll Ihnen die Suche nach allgemeinen und speziellen Publikationen
erleichtern, die meisten angegebenen Bücher finden Sie auch in unserer Bibliothek.
Für die Studenten/innen der Heilpädagogik sei gesagt, dass dieses Arbeitsfeld für diese Profession sicher teilweise und in manchen Regionen erschlossen ist, allerdings unterscheiden sich die
Grundlagen dann nicht sicher erkennbar von jenen der Sozialen Arbeit. Deshalb ist derzeit kein
Grund erkennbar, eine unterschiedliche Zusammenstellung der Grundlagen für die beiden Studiengänge zu entwickeln. In der Vorlesung wird dann aber auf die unterschiedlichen Kompetenzen und Herausforderungen eingegangen.
Ich wünsche Ihnen ein erfolgreiches Studium und hoffe, die Tür zur (gar nicht so) geheimnisvollen Psychiatrie ein wenig aufgestoßen zu haben.
Ralf-Bruno Zimmermann
Berlin, im April 2007
2
Inhaltsverzeichnis
1.
EINSTIMMUNG ....................................................................................................................................................................6
1.1.
STATT EINER EINLEITUNG: EIN HISTORISCHER ZUGANG ZUM FELD.....................................................................6
1.2.
EINIGE BESONDERHEITEN UND AKTUELLE HERAUSFORDERUNGEN DES FELDES.............................................8
2.
EPIDEMIOLOGIE PSYCHISCHER STÖRUNGEN..............................................................................................................10
3.
PSYCHOPATHOLOGIE .......................................................................................................................................................13
3.1.
PSYCHOPATHOLOGISCHE SYMPTOME .....................................................................................................................13
3.2.
PSYCHOPATHOLOGISCHE SYNDROME ....................................................................................................................16
4.
DIAGNOSESTELLUNG IN DER PSYCHIATRIE ..............................................................................................................17
5.
KLINISCHE SYSTEMATIK PSYCHISCHER STÖRUNGEN ............................................................................................19
5.1.
DAS TRIADISCHE SYSTEM DER PSYCHIATRIE ........................................................................................................19
5.2.
EINTEILUNG PSYCHISCHER STÖRUNGEN (NACH ICD 10*) ...................................................................................21
5.3.
BEISPIEL FÜR EIN DIAGNOSESCHEMA NACH ICD-10 ............................................................................................22
5.4.
ÜBERSETZUNG DER ICD-10 F 20 DURCH DIE PSYCHOSE-SEMINARE ................................................................23
6.
DIE SOGENANNTEN „ENDOGENEN“ PSYCHOSEN ......................................................................................................24
6.1.
DIE SCHIZOPHRENIEN ................................................................................................................................................24
6.2.
DAS DREIPHASENMODELL VON L. CIOMPI..............................................................................................................27
6.3.
ZU VERLAUF UND PROGNOSE DER SCHIZOPHRENIEN .........................................................................................28
6.3.1.
PROGNOSEMERKMALE NACH H. HÄFNER (2000)..................................................................................................28
6.3.2.
VERLAUFSTYPEN DER SCHIZOPHRENIEN ...............................................................................................................29
6.3.3.
OUTCOME DER SCHIZOPHRENIEN............................................................................................................................30
6.4.
DIE 10 THERAPEUTISCHEN PRINZIPIEN ZUR BEHANDLUNG VON MENSCHEN MIT SCHIZOPHRENIE NACH
LUC CIOMPI ................................................................................................................................................................................30
7.
DEPRESSION UND MANIE (SYNONYME: BIPOLARE/AFFEKTIVE PSYCHOSEN, ZYKLOTHYMIE) ............................31
7.1.
SYMPTOME DEPRESSIVER STÖRUNGEN .................................................................................................................33
7.2.
FORMEN DER DEPRESSION.......................................................................................................................................34
7.3.
ZUR ÄTIOLOGIE DER DEPRESSIONEN (MÖLLER, 1996) ........................................................................................36
3
8.
PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN ....................................................................................................................................37
8.1.
ALLGEMEINES..............................................................................................................................................................37
8.2.
DIAGNOSTISCHE KRITERIEN FÜR DIE BORDERLINE-PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG ..........................................38
9.
ORGANISCH BEDINGTE PSYCHISCHE STÖRUNGEN ....................................................................................................39
9.1.
AKUTES HIRNORGANISCHES PSYCHOSYNDROM (AKUTER EXOGENER REAKTIONSTYPUS)............................39
9.1.1.
DAS DELIR ....................................................................................................................................................................40
9.2.
CHRONISCHES HIRNORGANISCHES PSYCHOSYNDROM (HOPS) ..........................................................................41
9.3.
PRIMÄR UND SEKUNDÄR DEGENERATIVE HIRNERKRANKUNGEN ......................................................................42
9.3.1.
DIE DEMENZEN............................................................................................................................................................42
9.3.1.1.
DEMENZ VOM ALZHEIMER-TYP (ALZHEIMER DEMENZ)...................................................................................42
9.3.1.2. VASKULÄR BEDINGTE DEMENZEN (DURCH STÖRUNGEN DER BLUTZIRKULATION IM GEHIRN;
MULTIINFARKTDEMENZ) ..........................................................................................................................................................46
9.3.2.
ANDERE PRIMÄR HIRNDEGENERATIVE ERKRANKUNGEN ....................................................................................47
10.
SUIZIDALITÄT ...............................................................................................................................................................47
10.1.
BEGRIFFE .....................................................................................................................................................................47
10.2.
EPIDEMIOLOGISCHE DATEN ......................................................................................................................................48
10.3.
ENTSTEHUNGSTHEORIEN ...........................................................................................................................................48
10.4.
KLINIK ...........................................................................................................................................................................48
11.
ABHÄNGIGKEITSERKRANKUNGEN............................................................................................................................49
11.1.
ALLGEMEINES, BEGRIFFE..........................................................................................................................................49
11.2.
ALKOHOLKRANKHEIT..................................................................................................................................................51
11.2.1.
DIAGNOSEKRITERIEN FÜR DAS VORLIEGEN EINER ALKOHOLABHÄNGIGKEIT NACH ICD-10 .....................53
11.2.2.
ABHÄNGIGKEITSTYPEN UND -VERLAUF NACH JELLINEK..................................................................................53
11.2.3.
ALKOHOLBEDINGTE FOLGESCHÄDEN..................................................................................................................54
11.2.3.1. IM ENGEREN SINNE PSYCHIATRISCHE STÖRUNGEN ........................................................................................54
11.2.3.2. STRUKTURELLE UND FUNKTIONELLE VERÄNDERUNGEN DES NERVENSYSTEMS........................................56
11.2.4.
THERAPEUTISCHE ANGEBOTE ..............................................................................................................................59
11.3.
MEDIKAMENTENABHÄNGIGKEIT...............................................................................................................................60
11.4.
„ILLEGALE“ DROGEN...................................................................................................................................................61
4
12.
PSYCHIATRISCHE HILFSANGEBOTE ........................................................................................................................61
12.1.
KURZER EXKURS IN DIE GEMEINDEPSYCHIATRIE.................................................................................................61
12.2.
AMBULANTE UND KOMPLEMENTÄRE GEMEINDEPSYCHIATRISCHE HILFEN.....................................................63
12.3.
STATIONÄRE HILFEN (PSYCHIATRISCHE KRANKENHÄUSER/ABTEILUNGEN)....................................................65
13.
THERAPIE PSYCHISCHER STÖRUNGEN..................................................................................................................67
13.1.
SOMATOTHERAPEUTISCHE VERFAHREN.................................................................................................................67
13.2.
PSYCHOTHERAPEUTISCHE VERFAHREN..................................................................................................................70
13.3.
SOZIOTHERAPIE...........................................................................................................................................................71
14.
UNTERBRINGUNGSGESETZTE....................................................................................................................................72
14.1.
BETREUUNGSGESETZ (BTG) ......................................................................................................................................72
14.2.
GESETZ FÜR PSYCHISCH KRANKE MENSCHEN (PSYCHKG) .................................................................................74
14.3.
GESETZE ZUR EINGESCHRÄNKTEN SCHULDFÄHIGKEIT UND ZUR MAßREGEL .................................................74
15.
DIE EPILEPSIEN ..........................................................................................................................................................76
15.1.
ALLGEMEINES..............................................................................................................................................................76
15.2.
DIE WICHTIGSTEN EPILEPSIEN UND EPILEPTISCHEN SYNDROME ......................................................................78
15.3.
BEHANDLUNG DER EPILEPSIEN................................................................................................................................79
16.
LITERATURLISTE..........................................................................................................................................................81
5
1. EINSTIMMUNG
„Fürchten Sie sich nicht vor der Psychiatrie!
Die Psychiatrie ist in ihrem Wesen einfach und menschlich. Mit gesundem Verstand, etwas Lebenserfahrung und mit warmem Herzen sind ihre Grundlagen leicht zu erfassen. Alles, was Ihnen
in der Psychiatrie kompliziert vorkommt, ist nicht gar so wichtig, und oft ist es bloß übertrieben
kompliziert dargestellt.
...
Vor allem fürchten Sie sich nicht vor Ihren zukünftigen psychiatrischen Aufgaben als Sozialarbeiter/in!
Sie werden auch in Ihrer psychiatrischen Arbeit, wie in den meisten sozialarbeiterischen Disziplinen, unendlichem Leid, Elend und dem Tod begegnen. Aber wo Sie dem allen begegnen, so können Sie abwehren, mildern und helfen. In der psychiatrischen Arbeit werden Sie gerade das einsetzen können, was Sie im Sozialarbeiterberuf suchen: Ihre ganze Menschlichkeit, Ihr Mitfühlen,
Ihren Hingabewillen, neben dem technischen Können, dem sachlichen Wissen.
Vielen werden Sie zur Heilung verhelfen und Sie werden spüren, dass selbst dem Kranken, den
Sie nicht heilen können, Ihr Nahesein guttut. Sie werden tief ins Leben hineinsehen. Und neben
allen Schwächen und allem Elend werden Sie bei Ihrem psychiatrischen Wirken auch immer wieder etwas anderes staunend erleben: was es Großes im Menschen gibt, selbst im Kranken und
Schwachen, Großes an Willen durchzuhalten, Leiden zu überwinden, an der Fähigkeit, anderen
beizustehen und für andere da zu sein. Sie werden es bei ihren Kranken entdecken, aber auch
bei deren Angehörigen und Helfern.“1
(Aus dem Vorwort von Manfred BLEULER zur 15. Auflage des „Lehrbuch für Psychiatrie“ von Eugen BLEULER, 1983)
„Arzt“ und „ärztlich“ sind von mir durch „Sozialarbeiter/in“ und „sozialarbeiterisch“ ersetzt worden...
1.1. STATT EINER EINLEITUNG: EIN HISTORISCHER ZUGANG ZUM FELD2
Einen kurzen Rekurs auf einen Teil der Geschichte der Psychiatrie voranzustellen scheint geboten, weil
dieses Handlungsfeld zunächst so unübersichtlich erscheint und weil das Feld selbst, die Menschen, die
in ihm als Adressaten Sozialer Arbeit bezeichnet werden können wie auch die professionellen Helfer besonders vielen Missverständnissen und Vorurteilen ausgeliefert sind und waren.
Wie wohl kein anderes Arbeitsfeld der gesundheitsbezogenen Sozialarbeit wurde das psychiatrische in
den vergangenen gut 30 Jahren einem gezielten Wandel unterworfen, der das Attribut Reform verdient.
Dieser Reformprozess, der in Deutschland in den 1960er Jahren begann, dauert bis heute fort und hat zu
einer Neuausrichtung der psychiatrischen Versorgungslandschaft geführt. Wer in diesem Bereich arbeiten
will, sollte – neben den anderen – auch um einen historischen Zugang zum Feld bemüht sein, denn der
Prozess der Entwicklung hin zu einer sozialpsychiatrischen Versorgungslandschaft sowie der Status der
jetzigen Angebote sind hauptsächlich historisch zu verstehen. Das Ringen um eine Konstruktion der normalen bzw. den Umgang mit der kranken seelischen Verfassung der Menschen durchzieht die gesamte
Menschheitsgeschichte (SHORTER, 2003). Hier sei an die neuere deutsche Geschichte und besonders die
massenhafte Ermordung psychisch kranker und behinderter Menschen während der nationalsozialistischen Herrschaft erinnert: Schier unglaubliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit waren die Folgen
und aus einer aus heutiger Sicht nur wahnhaft zu nennenden Vorstellung von Rassegesundheit und ElimiAus dem Vorwort von Manfred BLEULER zur 15. Auflage des „Lehrbuch für Psychiatrie“ von Eugen BLEULER, 1983)
„Arzt“ und „ärztlich“ sind von mir durch „Sozialarbeiter/in“ und „sozialarbeiterisch“ ersetzt worden...
2 Aus: Ralf-Bruno ZIMMERMANN (2005): Sozialarbeit in der Sozialpsychiatrie. In: ORTMANN, K. & WALLER, H.: Gesundheitsbezogene Sozialarbeit. Eine Erkundung der Praxisfelder. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 63-75
1
6
nierung Erbkranker zum Schutz des deutschen Volkskörpers wurden psychisch kranke, geistig behinderte,
körperlich kranke und auch gesunde Menschen zwangsweise sterilisiert, durch brutale Menschenversuche gequält und viele getötet. Die Zahl der Opfer lässt sich nicht mehr genau rekonstruieren, weil viele
Unterlagen vernichtet wurden. Es muss davon ausgegangen werden, dass mindestens 8.000 Kinder und
100.000 Erwachsene ermordet und bis zu 400.000 Menschen gegen oder ohne ihren Willen sterilisiert
wurden (vgl. PLATEN-HALLERMUND, 1948; MITSCHERLICH und MIELKE, 1960 DÖRNER e.a, 1989; KLEE,
1986; ÄRZTEKAMMER BERLIN e.a., 1989; POLNISCHE GESELLSCHAFT FÜR PSYCHIATRIE, 1993; FINZEN,
1996; ROER und HENKEL, 1996).
Nach Ende des zweiten Weltkrieges lag die deutsche stationäre Psychiatrie im bildlichen Sinne in Trümmern: die Anstalten füllten sich rasch mit mittellosen Flüchtlingen und Kriegsverletzten, die weder ausreichend medizinisch noch materiell versorgt werden konnten. Erst Mitte der 1960er Jahre kam es zu
einer Befruchtung der deutschen Psychiatrie durch die Entwicklungen im angelsächsischen und skandinavischen Raum: 1966 wird der erste sozialpsychiatrische Lehrstuhl an der Universität Hannover eingerichtet und es entwickelt sich eine rege Diskussion über einen angemessenen Umgang mit psychisch
kranken Menschen und eine notwendige Reformierung der Versorgungsstrukturen. Wichtige Dokumente
dieser Entwicklungsbemühungen sind der Bericht der Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages,
der die Lage der Patienten als elend beschreibt und detaillierte Vorstellungen und Forderungen zur Reform enthält (1975) sowie der Bericht der Expertenkommission des Deutschen Bundestages, der die Fäden aufnimmt und die Reformnotwendigkeit konkret weiter fortschreibt (1988). Die hier niedergeschriebenen Grundannahmen haben als wesentliche Eckpfeiler einer materiellen, professionellen und menschlichen Versorgung und Begleitung psychisch kranker Menschen im Wesentlichen heute noch Gültigkeit.
Hiernach sollte die psychiatrische Versorgung aus der Domäne der stationären (Langzeit-) Behandlung in
Krankenhäusern und Heimen in eine alle denkbaren Hilfsangebote organisierende und bündelnde gemeindenahe und sozial(psychiatrisch) ausgerichtete Versorgungsstruktur überführt werden, wobei vor
allem ambulante und komplementäre sowie teilstationäre Angebote (voll)stationäre Einweisungen und
Behandlungen auf das unbedingt notwendige Maß zurückführen sollten. Auch wenn der Reformprozess in
den vergangenen Jahrzehnten immer wieder ins Stocken geriet und vielerorts Kritik an bestimmten Entwicklungen geübt wird3, so kann konstatiert werden, dass in vielen Regionen der Prozess der Reform im
Kern fortgeschritten ist. In der Konsequenz hat sich ein großer Teil der Begleitung insbesondere chronisch psychisch kranker Menschen vom stationären Setting in ambulante bzw. ambulant-komplementäre
Strukturen verlagert. Durch diesen Prozess sollte eine angemessenere Betreuung und Versorgung der von
psychischer Krankheit Betroffenen besser organisierbar werden, deren Integration in die Gemeinde gefördert sowie langfristig stationär hospitalisierte Menschen wieder in den soziokulturellen Kontext und
das soziale Beziehungsnetz der Gemeinden zurückgeführt werden (sog. Enthospitalisierung bzw. Deinstitutionalisierung).4
Für die Soziale Arbeit in den Feldern der Sozialpsychiatrie hatte dieser Reformprozess zunächst die Konsequenz, dass weit mehr Sozialarbeiter in den Betreuungs- und Begleitungsprozess eingebunden wurden,
dies sowohl im stationären Krankenhaussozialdienst durch die Psychiatriepersonalverordnung (KUNZE
und KALTENBACH, 1994) als auch im ambulant-komplementären Sektor durch den Aufbau neuer Angebote. Mit der Zunahme der quantitativen Bedeutung der Sozialarbeiter in diesem Feld stellten sich aber
auch zunehmend Fragen nach dem spezifischen Profil dieser Berufsgruppe, und spätestens in den vergangenen Jahren machte sich freilich flächendeckend auch in der sozialpsychiatrischen Versorgung ein
wachsender Druck durch die Verringerung oder Einfrierung der finanziellen Ressourcen aus der öffentlichen Hand bemerkbar (DEUTSCHER BUNDESTAG, 1975; EXPERTENKOMMISSION, 1988; MEISSEL e.a.,
1999).
Hier seien etwa die Diskurse um die psychiatrischen Heime, den Mangel an sinnvoller Tagesstrukturierung und die Aufgliederung der Finanzierung der sozialpsychiatrischen Versorgung und Behandlung auf verschiedene Finanzierungsträger genannt.
4 Auf die z.T. erheblich differenten Entwicklungen in den beiden deutschen Staaten zwischen 1945 und 1989 (und darüber hinaus
in den einzelnen Bundesländern) kann hier nicht eingegangen werden.
3
7
1.2. EINIGE BESONDERHEITEN UND AKTUELLE HERAUSFORDERUNGEN DES FELDES5
Entgegen der häufig verwendeten Begriffe Gemeindepsychiatrie bzw. gemeindenahe Psychiatrie wird hier
bewusst der Begriff der Sozialpsychiatrie verwendet, weil eine zeitgemäße Psychiatrie meiner Auffassung
nach theoretisch und methodisch – neben vielen möglichen anderen – immer zwingend eine ausgewiesene soziale Perspektive auf die Phänomene der Entstehung, des Verlaufs und der Folgen psychischer Erkrankung für die Betroffenen und ihr soziales Umfeld werfen und einnehmen muss. Aus dieser Perspektive heraus werden dann psychisch kranke Menschen im Zuge der Hilfeleistungen natürlich nicht aus ihren
sozialen Bindungen, ihren Lebensorten und -bezügen entwurzelt und deshalb immer auch gemeindenah
und dort vernetzt beraten und behandelt. Umgekehrt muss eine gemeindenahe Psychiatrie nicht zwingend den genannten sozialen Schwerpunkt haben, nur weil ihre Hilfsangebote geographisch gemeindenah organisiert sind.
Zu den Besonderheiten der Sozialpsychiatrie gehören unter anderem,
dass sie in vielfältige und teils sehr verschieden ausgestaltete Institutionen und Versorgungsangebote
aufgefaltet ist (etwa von der Krankenhausbehandlung bis zur niederschwelligen Beratung in Kontakt- und
Beratungsstellen oder aufsuchenden Diensten),
dass die speziellen Aufgabenprofile der Professionellen (eben auch der SozialarbeiterInnen) stark differieren, je nachdem, ob akut erkrankte oder chronisch erkrankte Menschen stationär oder ambulant behandelt werden, ob berufliche oder soziale Rehabilitation im Vordergrund steht usf.,
dass die Arbeit mit und für psychisch kranke Menschen traditionell stark sozialpolitisch, ja tatsächlich
psychiatriepolitisch aufgeladen ist,
dass die Haltung und die daraus abgeleiteten Behandlungsansätze dem Phänomen psychische Erkrankung gegenüber in den vergangenen Jahrzehnten eine Wandlung erfahren haben, die zu Recht mit dem
Begriff Psychiatriereform bezeichnet wurde,
dass ein großer Teil der Hilfsangebote für Betroffene psychischer Erkrankung aus steuerfinanzierten Ressourcen getragen wird (z. B. über die Eingliederungshilfe nach SGB XII),
dass aber andererseits die Organisation und Finanzierung vieler Hilfen durch eine Zersplitterung der Kostenträgerschaft kompliziert ist, durch die die sinnvolle Komposition der Hilfen aus verschiedenen Bereichen administrativ sehr aufwendig ist,
dass es einerseits eine (zunehmende) Rückbesinnung auf medizinisch-biologische Konstrukte zum Verständnis und zur Behandlung psychischer Störungen, andererseits aber eine starke sozial bzw. psychosozial ausgelegte und begründete Beratungs- und Behandlungsstrategie in weiten Feldern der ambulanten
und komplementären Seite gibt,
dass die aktuell beschriebene Notwendigkeit zur Neubesinnung nicht allein aus ökonomischen Zwängen
heraus, sondern auch bezüglich neuer und alter fachlicher Herausforderungen resultiert (new chronic
patients, Heime usw.),
dass paradigmatische Veränderungen bezüglich der Steuerung und Ausgestaltung der Hilfen stattgefunden haben (etwa: Fallmanagement des Sozialhilfeträgers in Berlin oder Einführung des individuellen Behandlungs- und Rehabilitationsplanes) (vgl. Aktion Psychisch Kranke 2005),
dass es eine überdurchschnittliche Publikationsaktivität gibt, die aber selten explizit eng an der Sozialarbeit ansetzt, geschweige denn, aus ihren Reihen stammt,
dass in diesem Arbeitsfeld ein hoher quantitativer Anteil der dort tätigen Professionellen durch SozialarbeiterInnen gestellt wird,
dass die Sozialarbeit in Teilen bzw. in Personen sicher längst die qualitativen Kriterien für eine – im besten Sinne – Klinische Sozialarbeit erfüllt, andererseits aber erst in den letzten Jahren entsprechende Konzepte ausgearbeitet bzw. fortgeschrieben wurden,
Aus: Ralf-Bruno ZIMMERMANN (2007): Klinische Sozialarbeit und Sozialpsychiatrie. Erscheint demnächst in ORTMANN, K.
RÖHL, D. (Hrg.): Klinische Sozialarbeit
5
8
dass eine Vielzahl an Weiterbildungsmöglichkeiten abgeboten wird, die aber kaum trennscharf einzelne
Berufsgruppen different anspricht, allerdings inzwischen speziell für SozialarbeiterInnen fokussierte Masterstudiengänge entwickelt wurden (Berlin, Fulda/Wiesbaden, Coburg, München).
Wenn jüngst über eine Krise in der Sozialpsychiatrie geschrieben wurde, so ist dies zu einem Teil vor dem
Hintergrund einer in vielen Teilen Deutschlands und vielen Bereichen der Sozialpsychiatrie gelungenen
Psychiatriereform in den letzten 30 Jahren zu sehen, die zuletzt durch dramatische Haushaltsengpässe
der Kommunen (und anderer Kostenträger) in Form von Mittelkürzungen konterkariert zu werden drohte.
Hieraus wurden einerseits Forderungen nach gesellschaftlichen und sozialpolitischen Lösungen formuliert, wie sie etwa in den Soltauer Impulsen und der Debatte um sie nachzuvollziehen sind (Schernus et al.
2004 und 2007; Reumschüssel-Wienert 2005). Andererseits wird diese Situation als Herausforderung
angesehen, das eigene Handeln kritisch in Frage zu stellen und neue Wege in der Sozialpsychiatrie auszuarbeiten, die u.a. eine Überprüfung der bislang verwendeten Ressourcen hinsichtlich ihrer Effektivität
und Effizienz beinhalten und aufzeigen. Hier wird etwa eine Umbesinnung in Richtung konsequenter Inklusion psychisch erkrankter Menschen ebenso diskutiert wie die verstärkte Einbindung bürgerschaftlichen ehrenamtlichen Engagements (Regus 2006, Eikelmann et al. 2005). Überdies gibt es Teilbereiche
der psychiatrischen Versorgung, die von der Psychiatriereform nicht oder kaum berührt wurden und in der
jüngeren Vergangenheit verstärkt in den Fokus der Betrachtung gerückt wurden. Hierzu gehört etwa die
nicht-gelingende Steuerung der Hilfen gerade für schwer und chronisch erkrankte Betroffene, für die es in
Deutschland immer noch zum Teil unzureichende bzw. unangemessene Hilfsangebote gibt und deshalb
ihr Weg häufig in die Obdachlosigkeit oder in Heime führt (Egetmeyer et al. 2003; Manderla et al. 2007).
In den vergangenen Jahren wurde mit unterschiedlichen Wortschöpfungen eine (relativ) neue Herausforderung für die Sozialpsychiatrie beschrieben: zunächst im angelsächsischen Bereich eine mit new chronic
patients, hierzulande dann mit neue Chroniker, Systemsprenger oder schwierige Klienten bezeichnete
Gruppe von Menschen, die im jungen bis mittleren Erwachsenenalter bereits schwer chronisch psychisch
krank, meist mit einer zusätzlichen Suchtproblematik, dabei immer von erheblichen sozialen bzw. dissozialen Problemlagen betroffen sind und bislang nicht angemessen mit den vorgehaltenen Beratungs- und
Behandlungsstrukturen erreicht werden können (Ropers et al. 1999).
Schließlich ist die bereits angedeutete Rückbesinnung auf eine stärker biologisch-materialistische Perspektive innerhalb der medizinischen Psychiatrie zu attestieren, die durchaus kritisch zu sehen ist, wenn
sie sich nicht als einen Ansatz unter vielen versteht und mit den anderen korrespondieren will (Zimmermann 2005b).
Aus alledem lässt sich unter anderem ableiten, dass sich die Sozialpsychiatrie auf erreichte Standards
berufen kann, sich in einigen Bereichen aber erstmals oder erneut neu ausrichten muss.
Bezogen auf die in der Sozialpsychiatrie Beschäftigten lohnt sich ein Blick auf die Implikationen für die
Sozialarbeit: für unsere Fragestellung stellt sich als eine wichtige, womöglich für die Soziale Arbeit eher
gefährliche, denn nützliche Dynamik heraus, dass die Sozialarbeit in den unterschiedlichsten Teilbereichen der Sozialpsychiatrie mit ihren je verschiedenen Anforderungsprofilen traditionell mit einer Reihe
anderer Professionen konkurriert. In der Vergangenheit ist es ihr zwar gelungen, an verschiedenen Stellen
des Versorgungssystems Fuß zu fassen, andererseits aber auch einen Profilverlust erlitten zu haben, indem nicht mehr klar erkennbar ist, was das Besondere und/oder Einzigartige in der Herangehensweise
von SozialarbeiterInnen ist. Nach dem verkürzten Motto: „alle (Berufsgruppen) machen hier alles“ ist so
bisweilen aus einer multidisziplinären Synergie eine disziplinäre Schwächung der Sozialarbeit entstanden, indem sie ihre eigenen Konturen zugunsten einer Annäherung an andere Professionen mit zweifelhaftem Ertrag aufgab. Selbstverständlich ist daneben auch in manchen Institutionen ein für alle (vor allem die Betroffenen) sinnstiftendes und weiterführendes transdisplinäres Denken und Handeln elaboriert
worden (Mittelstraß 2003, Balsiger 2005), äußerst vorsichtig ausgedrückt lässt sich aber eher die Tendenz ausmachen, dass die Sozialarbeit ihre fachlichen Potentiale in diesem Feld bei weitem nicht optimal
Profil findend und demonstrierend einbringen konnte.
9
2. EPIDEMIOLOGIE PSYCHISCHER STÖRUNGEN6
Psychische Störungen kommen sehr häufig in unserer Gesellschaft vor, auf diese plakative Formel können zunächst die Ergebnisse vieler epidemiologische Studien –bei all der Widersprüchlichkeit ihrer Ergebnisse – gebracht werden. Ohne auf die grundsätzliche Problematik der Konstruktion psychiatrischer
Diagnostik und der auch daraus resultierenden methodischen Fehlerquellen epidemiologischer Studien
eingehen zu können7, sei hier referiert, dass die in großen Studien errechneten Inzidenzraten für Schizophrenien relativ weit auseinander gehen, aber eher im zweistelligen Bereich (zwischen 10 und 20 je
100.000 Einwohner) liegen (LEFF, 2000: S. 54-56). Weiter lässt sich festhalten, dass Angst- und depressive Störungen sehr häufig weltweit und in Deutschland vorkommen8 und die schweren depressiven Störungen (etwa als Major Depression) häufiger sind als die Schizophrenien (WITTCHEN, 2000: S. 359).
Nimmt man ein anderes Maß, nämlich den Anteil der wichtigsten Krankheiten an der Verursachung von
vorzeitigem Tod und Behinderung (disability-adjusted life years), so stehen in den sog. entwickelten Ländern die psychischen Störungen zusammen mit den Folgen von Alkohol- und Drogenabhängigkeit an der
Spitze (HÄFNER, 2000: S. 181f.).
Andere deskriptiv-epidemiologische Methoden (über die Messung der Inanspruchnahme von Diensten)
ergaben, dass in einer repräsentativen Stichprobe in den USA gut 14% der Erwachsenen innerhalb eines
Jahres Hilfe in einer psychiatrischen oder psychosozialen Einrichtung wegen psychischer Probleme nachfragte (WEYERER, 1995: S. 84). In Oberbayern waren es 7,5 % der Erwachsenen, die psychiatrische Hilfe
i.e.S. (fachärztliche Beratung oder Behandlung) in Anspruch nahm. Werden dagegen Hausärzte befragt,
wie viele ihrer Patienten (auch) psychisch krank sind, so kommen Raten von 20-35% zustande (a.a.O.: S.
84f.). Eigenen Untersuchungen zufolge wurde der Berliner Krisendienst als ein neu aufgebauter Baustein
der sozialpsychiatrischen Versorgung in Berlin innerhalb von zwei Jahren von gut 53.000 Menschen über
80.000fach in Anspruch genommen (ZIMMERMANN und BERGOLD, 2003; BERGOLD und ZIMMERMANN,
2003). Die z.T. kontrovers diskutierten Zuwachsraten psychischer Störungen in der Bevölkerung sind
schwer einzuschätzen: Vergleiche mit zeitlich weit zurückliegenden Studien sind kaum möglich, da damals in aller Regel nur schwere (und hier: psychotische) Störungen gezählt wurden. Andererseits gibt es
Hinweise bzw. eindeutige Befunde für Verschiebungen von spezifischen Prävalenzen und Inzidenzen (etwa: leichter Rückgang der Schizophrenien, Zunahme der Depressionen und Demenzen).
Von entscheidender Bedeutung sind aber für die Soziale Arbeit die aus psychischen Störungen resultierenden Hilfe- und Unterstützungsbedarfe der Klienten. Einige empirische Studien können hier hilfreich
hinzu gezogen werden: so lässt sich aus großen katamnestische Untersuchungen, deren Laufzeit zum Teil
über 30 Jahre betrug, ablesen, dass ein großer Anteil der an Schizophrenie erkrankten Menschen einen
relativ großen Unterstützungsbedarf im Bereich der psychosozialen Beratung und Betreuung haben: in 20
bis 40% der Fälle wurde ein ungünstiger Verlauf festgestellt und insbesondere Merkmale einer sozialen
Desintegration gefunden (vgl. HÄFNER, 2000: S. 118ff.). Es konnte aber auch gezeigt werden, dass es
viele Faktoren sind, die den Verlauf einer Schizophrenie (positiv oder negativ) beeinflussen: so ist neben
einem höheren Erkrankungsalter auch eine gute soziale Einbindung vor Erkrankungsbeginn als protektiver Faktor herausgearbeitet worden (a.a.O: 143ff.).
Aufwendigen theoretischen und empirischen Arbeiten folgend ist anzunehmen, dass die Behandlungsund Betreuungsmaßnahmen selbst (bzw. ihr Fehlen), namentlich im psychosozialen Bereich, einen erheblichen Einfluss auf die Prognose schwerer psychischer Erkrankungen haben (gemeint sind hier Arbeiten
etwa von CIOMPI, 1998 und HÄFNER, 2000).
6 Aus: Ralf-Bruno ZIMMERMANN (2005): Sozialarbeit in der Sozialpsychiatrie. In: ORTMANN, K. & WALLER, H.: Gesundheitsbezogene Sozialarbeit. Eine Erkundung der Praxisfelder. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 63-75
7 So sei hier die unterschiedliche Bewertung der für eine Diagnose geforderten Symptome einer Schizophrenie zwischen den USA
und den europäischen Ländern genannt und auf das Problem der Standardisierung von Kategorien (etwa stationär behandlungsbedürftig) hingewiesen.
8 Die sehr stark variierenden epidemiologischen Ergebnisse kommen auf eine Lebenszeitprävalenz von 15-30%.
10
Über die Analyse der Anzahl und der verursachten Kosten vorhandener Angebote für (schwer) psychisch
kranke Menschen lassen sich sekundär Trends einer sozialmedizinischen Bedeutung der Erkrankungen
bzw. ihrer Folgen ableiten. Sie spiegeln im Falle der Sozialpsychiatrie zum Beispiel einen Paradigmenwechsel (von der stationären zur ambulanten Versorgung) und nicht etwa einen Gestaltwandel der psychischen Störungen (hin zu weniger schwerwiegenden Verläufen) wider. So stehen im Land Berlin etwa für
die Jahre 1993 bis 2001 einem Abbau von rund 2.500 Krankenhausbetten in den psychiatrischen Krankenhäusern oder Krankenhausabteilungen ein entsprechender Aufbau von rund 2.800 Plätzen im betreuten Wohnen für psychisch kranke Menschen gegenüber. Betrachtet man dazu noch die tagesatzfinanzierten Angebote für die Hilfen bei der Tagesstrukturierung (Tagesstätten) von über 1.000 Plätzen, so wird
rein quantitativ der strukturelle Umbau der Versorgungslandschaft deutlich: die Anzahl der Plätze im Betreuten Wohnen für psychisch kranke Menschen (2.798) lag zum Ende des Jahres 2003 nur noch knapp
unter jener der stationär-psychiatrischen Betten (2.853) (SENATSVERWALTUNG FÜR GESUNDHEIT, SOZIALES UND VERBRAUCHERSCHUTZ, 2002 und 2004). Für das Bundesgebiet wird ein Bettenabbau in psychiatrischen Kliniken von gut 33.500 zwischen 1991 und 2001 bei einer im gleichen Zeitraum fast auf
das Doppelte angestiegenen Fallzahl und einer deutlich gesunkenen durchschnittlichen Verweildauer
errechnet (BUNDESAMT FÜR STATISTIK, 2003). Schließlich werden als Planungsgrößen immer wieder die
Bettendichte der stationären Versorgung (pro 1.000 Einwohner) sowie die durchschnittliche Verweildauer
der Patienten in Tagen ins Feld geführt: während die Bettendichte (pro 1.000 Einwohner) in Deutschland
im Zeitraum 1993-2001 von 0,85 auf 0,66 (zum Vergleich in Berlin: von 1,51 auf 0,68) sank, ging die
durchschnittliche Verweildauer von 50,6 auf 27,1 Tage (Berlin: von 69,0 auf 21,7) zurück (SENATSVERWALTUNG FÜR GESUNDHEIT, SOZIALES UND VERBRAUCHERSCHUTZ, 2003). Auch diese Zahlen verdeutlichen den Umbau: weniger und kürzere, dafür aber häufigere stationäre Behandlung auf der einen, fast
überall ein deutlich besser ausgebautes ambulant-komplementäres Netz auf der anderen Seite.
Unbestritten sind also die Relevanz psychischer Störungen, ihre individuellen und gesellschaftlichen Auswirkungen und ihre gesundheitsökonomische Bedeutung im Allgemeinen und für die Soziale Arbeit im
Besonderen. Dementsprechend wird sich die Soziale Arbeit in diesem Feld auch mit den Strukturen der
Versorgung und ihrer Weiterentwicklung beschäftigen müssen.
Anzahl der an bestimmten psychischen Störungen
Erkrankter (Weltbevölkerung; Schätzung der WHO, 1998)
Angststörungen
400 Millionen
Affektive Störungen
340 Millionen
Geistige Behinderung
60 Millionen
Schizophrenien
45 Millionen
Senile Demenz
29 Millionen
11
12
3. PSYCHOPATHOLOGIE
Die Psychopathologie ist die Lehre von der Symptomatik psychischer Störungen bzw. die deskriptive Betrachtung seelischer Störungen/Auffälligkeiten. Im Folgenden sind die wichtigsten
Bereiche und Begriffe aufgeführt. Sie werden dann bei den einzelnen Krankheitsbildern wieder
aufgeführt.
Ein Krankheitszeichen bezeichnet man als Symptom.
Verschiedenen Symptome, die typischerweise gleichzeitig bei einem Klienten vorkommen können, werden als Syndrom zusammengefasst, ohne dass damit automatisch eine bestimmte Erkrankung bestehen muss.
3.1.
PSYCHOPATHOLOGISCHE SYMPTOME
Bewusstseinsstörungen
quantitativ
- Benommenheit (schläfrig, verlangsamt, (noch) weckbar)
- Somnolenz (apathisch, stark verlangsamt, Einschlafneigung, noch weckbar)
- Sopor (nur durch starke Reize weckbar, keine verbalen Äußerungen mehr)
- Koma (nicht weckbar, keine Abwehrbewegung auf Reiz)
qualitativ (-produktiv)
- Delir (ängstlich-gefärbte psychomotorische Unruhe, Desorientierung)
- Dämmerzustand (scheinbar geordnetes Verhalten ÎEpilepsien,
pathologischer Rausch)
Orientierungsstörungen
Die Orientierung eines Menschen kann in verschiedenen Dimensionen gestört bzw. verändert
sein. Mann spricht dann auch etwa von zeitlicher Desorientierung
- zur Zeit
- zur Situation
- zum Ort
- zur (eigenen) Person
Störungen der Konzentration, Aufmerksamkeit, Auffassung
Weitgefasste Bereiche der seelischen und geistigen Leistungsfähigkeit, die in unterschiedlicher
Qualität und Quantität eingeschränkt sein können.
Gedächtnisstörungen (mnestische Störungen)
- Neu (Frisch-) Gedächtnis
- Alt (Langzeit-) Gedächtnis
Störungen der Intelligenz
- grobe Prüfung in der Exploration
- feinere Prüfung mittels Intelligenztests
13
Formale Denkstörungen
- gehemmt: mühsam, schleppend, wie gegen Widerstand
- perseverierend: ständig wiederkehrende Denkinhalte, Grübeln, Sinnieren
- Gedankenabreißen: plötzliche Unterbrechung, Gedanken werden als weggenommen oder
gestoppt erlebt
- verlangsamt
- beschleunigt/ideenflüchtig: ständig neue, assoziativ verbundene Denkinhalte
- eingeengt: beschränkt auf wenige Inhalte, kaum Wechsel möglich
- umständlich: weitschweifig, ausladend
- paralogisch: Entgleisung auf Nebensächliches, Verschmelzen verschiedener In- halte
- inkohärent: schwer nachvollziehbarer Zusammenhang der Denkinhalte, gestörter Satzbau, Wortneuschöpfungen (Neologismen)
Wahn
Wahn kann als krankhaft gewertete Fehlbeurteilung der zwischenmenschlich (an sich) gültigen
Realität beschrieben werden, ein durch Logik und Erfahrung unkorrigierbarere Irrtum, der auch
nicht auf der Überzeugung einer bestimmten (Sub-)Kultur oder Religion beruht. Meist vollzieht
sich die Entwicklung eines Wahns in einem mehr oder weniger längeren Prozess mit entsprechender Dynamik.
- Wahnstimmung: Stimmung von Unheimlichkeit, Dinge und Situationen bekommen eine
unbestimmte Bedeutung
- Wahnwahrnehmung: reale Wahrnehmungen werden umgedeutet
- Wahneinfall: plötzlich auftretende wahnhafte Überzeugung (wird von der Betroffenen gelegentlich als „Eingebung“ oder „Erleuchtung“ bezeichnet)
- Wahnarbeit: Wahn wird ausgestaltet, verfestigt durch innere oder äußere Wahrnehmungen
- Wahnsystem: Ausbau einer inhaltlich geschlossenen Wahnstruktur
- Wahndynamik: von stürmisch-produktiv bis affektleer-residual
-häufige Wahninhalte: Größen-, Verarmungs-, Beziehungs-, Liebes-, Beeinträchtigungs-,
Verfolgung-, Eifersuchts-, Schuld-, hypochondrischer, religiöser Wahn...
Wahrnehmungsstörungen
- Illusionäre Verkennungen: reale Umwelteindrücke werden fehlgedeutet
- Halluzinationen (Sinnestäuschungen, Trugwahrnehmungen), können alle Sinnesgebite
betreffen:
- akustische
- optische
- olfaktorische/gustatorische (Geruchs-, Geschmackshalluzinationen)
- taktile/haptische (Berührungshalluzinationen)
- zoenästhetische (Leibhalluzinationen)
- Intensitätsminderung/-steigerung der Wahrnehmung
- veränderte Gestaltwahrnehmung (größer, kleiner, verändert, entfernter)
- déjà vu, jamais vu
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Ich-Störungen
- Depersonalisation: die ganze Person oder Teile werden als fremd oder verändert erlebt,
meist unkonkret (Gestalt, Geschlecht, Abstammung, Rolle usw.)
- Derealisation: Umgebung wird fremd, verändert, künstlich usw. erlebt
- Gedankenausbreitung: andere können die eigenen Gedanken „lesen“
- Gedankeneingebung: Gedanken werden von außen beeinflusst/gemacht erlebt
- Gedankenentzug: Gedanken werden weggenommen
- Appersonierung: Vorstellung, ein anderer zu sein bzw. dessen Eigenschaften zu haben
- alternierende/multiple Persönlichkeit: „doppeltes Bewusstsein“, mehrere Persönlichkeiten (bzw. deren Anteile) werden erlebt
Zwänge und Zwangsbefürchtungen (Phobien)
sind unausweichlich (imperativ), obwohl sie von den Betroffenen selbst als unsinnig oder unangemessen erkannt werden
- Zwänge: Wasch-, Zähl-, Denk-, Handlungs-, Vermeidungs- ...
- Phobien: Agoraphobie (weite Plätze), Akrophobie (Höhe), Klaustro-(geschlossene Plätze),
Zoo- (best. Tiere), Sozialphobie (bekannte u. unbekannte Personen)
Störungen der Stimmung und des Affektes
Affekte sind ausgeprägte bis heftige Gefühlszustände, die meist nicht sehr lang anhalten (Glück,
Wut…). Dagegen bezeichnet Stimmung eher einen länger andauernden Gefühlszustand (Traurigkeit, Fröhlichkeit …)
- Ambivalenz: gleichzeitig Bestehen widersprüchlicher Gefühle
- Parathymie: Affekt/Stimmung passt qualitativ oder quantitativ nicht zur aktuellen Situation
- Affektarmut
- Gefühl der Gefühllosigkeit
- Affektstarre
- Affektlabilität: schneller Wechsel der Affekte
- Affektinkontinenz: mangelnde Steuerbarkeit, Affekt schwillt rasch an und wieder ab
- häufige Affektsyndrome
- depressives Syndrom
- manisches Syndrom
- schizophrenes Affektsyndrom
- Angstsyndrom
- dysphorisches (mißmütig-gereiztes) Syndrom
- hypochondrisches Syndrom
Störungen des Antriebs (und der Psychomotorik)
Die Katatonie kann in Form des katatonen Sperrungszustandes (Stupor) oder als katatoner Erregungszustand (mit gesteigertem Antrieb und Bewegungsunruhe vorkommen.
- Antriebsminderung
- Hypokinese, Akinese, Stupor (wenig bis kein Antrieb)
- Mutismus („Sprachlosigkeit“ bei erhaltener neurologisch-motorischer Sprechfähigkeit)
15
- Katalepsie (Haltungsverharren, oft in unüblichen Haltungen, Bewegungsstereotypie)
- Antriebssteigerung
- Hyperkinese, katatone Erregung, Raptus
- Ambitendenz, Automatismen (wie „Sinnentleerte Handlungen, Tics, Negativismus), Manierismen (übertrieben wirkende Gestik und Mimik)
Aggressionen
Neben den „gesunden“ kommt es im Zusammenhang mit psychischen Störungen auch immer
wieder zu schweren Aggressionen, die sich gegen andere Personen, Sachen oder gegen sich
selbst richten können.
- Fremdaggression
- Autoaggression
Impulshandlungen
- Pyromanie (dranghaftes Feuerlegen)
- Sammeltrieb (sog. Messie-Syndrom)
- Kleptomanie (Stehl“sucht“)
- Dipsomanie (periodisch dranghaftes Trinken – muss nicht Alkohol sein)
Suizidalität
Die Ausprägung des Wunsches, zu sterben wird in zwei Schweregraden eingeteilt.
- latent
- akut
3.2.
PSYCHOPATHOLOGISCHE
SYNDROME
Durch Zusammenfassung einzelner psychischer, somatischer und anamnestischer Befunde
(Symptome) erfolgt die (vorläufige) Einordnung in ein psychopathologisches Syndrom.
Verschiedene Ursachen können zum gleichen Syndrom führen,
gleiche Ursachen können verschiedene Syndrome bedingen.
BEISPIELE SPEZIELLER SYNDROME:
-
Verwirrtheitszustand
Delirantes Syndrom
Dämmerzustand
Hirnorganisches Psychosyndrom
Hirnlokales Psychosyndrom
Depressives Syndrom
Vitalisiertes („leibnahes“) depressives Syndrom
Manisches Syndrom
Paranoid-halluzinatorisches Syndrom
Katatones Syndrom
Hebephrenes Syndrom
Neurasthenisches Syndrom
16
-
Apathisches Syndrom
Hypochondrisches Syndrom
Angstsyndrom
Zwangssyndrom
Konversionssyndrom
…
4. DIAGNOSESTELLUNG IN DER PSYCHIATRIE
Die Stellung einer Diagnose (Feststellung einer Krankheit) ist in der Psychiatrie komplex und
vollzieht sich in verschiedenen Schritten, die zum teil eine längere Zeit beanspruchen. Der Natur
der Vielgestaltigkeit menschlichen Seins, gerade im Bereich des Fühlens, Denkens und Wollens
ist die kontroverse Debatte um die Sinnhaftigkeit psychiatrischer Diagnostik geschuldet. In der
Vorlesung wird dieses Problem ausführlich diskutiert.
Befunde (körperlich, psychisch, anamnestisch)
+ apparative Untersuchungsergebnisse (etwa cCT, MRT, EEG, Blutuntersuchungen)
= vorläufige (syndromatische) Diagnose
+ Verlaufsbeobachtung + weitere Untersuchungen
= Diagnose
PSYCHIATRISCHE ANAMNESE
Anamnese = Erinnerung; Krankheits-/Lebensgeschichte des Patienten nach seiner Erinnerung
Die Erhebung einer individuellen Anamnese spielt in der Sozialpsychiatrie eine entscheidende
Rolle zum Verständnis eines Klienten in seinem Sogewordensein. Die behutsame und zielgeleitete Anamnese ist mit psychisch leidenden Menschen als eine besondere Kunst zu bezeichnen und
stets als Teil der intensiven professionellen, gleichwohl menschlichen Begegnung einzuschätzen.
Krankheitsanamnese:
frühere Erkrankungen
- psychisch
- körperlich
aktuelle Erkrankung/Störung/Befindlichkeit
- Symptome
- Krankheitsbeginn
- bisherige Behandlung
17
Biographische Anamnese:
Biographie des/r Patienten/in
- Schwangerschaft/Geburt
- frühkindliche Entwicklung
- Beziehung zu Eltern und Geschwistern
- schulischer Werdegang
- berufliche Entwicklung
- sexuelle Reifung/Entwicklung
- Ehe und Familie
- Lebensgewohnheiten, Persönlichkeitszüge, (Ab-) Neigungen, Fähigkeiten
- aktuelle Lebensumstände
Familienanamnese
- psychosoziale Situation der Eltern
- Wertvorstellungen/Erziehungsstil der Eltern
- psychische Erkrankungen/Störungen in der Familie
Fremdanamnese:
- Bericht von Familienangehörigen, Freunden/innen, Nachbarn, Kollegen usw.
Hier ist stets besonders sorgsam abzuwägen, mit wem, zu welcher Zeit und mit
welchem Zweck über einen betroffenen Klienten gesprochen wird. Natürlich ist in
der Regel die Zustimmung des Klienten erforderlich.
18
5. KLINISCHE SYSTEMATIK PSYCHISCHER STÖRUNGEN
5.1.
DAS TRIADISCHE SYSTEM DER PSYCHIATRIE
I
Überwiegend körperlich
begründbare Störungen
II
Ursachen
einzelne Störungsbilder
Primäre Hirnerkrankungen
(Trauma, Entzündung, Degeneration, Intoxikation, Tumor, Durchblutungsstörungen...)
oder
Systemerkrankungen (Infektionen,
Organschädigungen,
Hormonstörungen, Vitaminmangel...)
genetische Disposition +
psycho(gen)soziale Faktoren
= multifaktoriell
akute exogene Psychose oder
chronisches hirnorganisches
Psychosyndrom
- Demenzen
- Delire
- Oligophrenien
- Morbus Pick
- Progressive Paralyse
- Multiple Sklerose
- Epilepsien
Schizophrenien
Affektive Psychosen
(=Zyklothymien)
-Manie
-Depression
schizoaffektive Psychosen
Neurosen
Persönlichkeitsstörungen
Reaktionen (depressive , Trauerusw.)
Abhängigkeitserkrankungen
Sexuelle Deviationen
Endogene Psychosen
III
psychogen / psychosozial
(+ evtl. genetisch)
Überwiegend psychogene
Störungen
19
5.2. EINTEILUNG PSYCHISCHER STÖRUNGEN (NACH ICD 10*)
F0
organisch bedingte
Störungen
Org. bed. Syndrome
Delire
Demenzen
F5
Verhaltensauffälligkeiten,
physiologisch oder hormonell
Essstörungen
Schlafstörungen
St. der Sexualität
St. im Wochenbett
F1
Abhängigkeit/Sucht
F2
Schizophrenien
F3
Affektive Störungen
Alkohol
Opiate
Cannabinoide
Hypnotika
Halluzinogene
Andere Substanzen
Polyvalente Abh./Sucht
verschiedene Subtypen
und Verlaufsformen
Manie
Depression
Bipolare Störung
Dysthymia
Andere
F6
Störungen der
lichkeit
F7
Persön- Intelligenzminderungen
F8
Störungen der
lung
paranoide
leicht
Sprachschizoide
mittel
Lesedissoziale
schwer
Rechtschreibemotional instabile
schwerst
Rechenhistrionische
Kombinierte
zwanghafte
Autismus
Abhängige
gemischte
Pyromanie usw.
St. der Sexualpäferenz
Fetischismus
Voyeurismus usw.
* Derzeit in Deutschland verwendete „Internationale Klassifikation psychischer Störungen“ der WHO
21
F4
Neurosen/Belastungen
somatoforme Störungen
Phobien
Angststörungen
Zwangserkrankungen
„Reaktionen“
Konversionsstörung
Psychosomatosen
Neurasthenie
F9
Entwick- Störungen des Kindesund Jugendalters
Hyperkinese
Verhaltensstörungen
depressive
phobische
Mutismus
andere
5.3. BEISPIEL FÜR EIN DIAGNOSESCHEMA NACH ICD-10
Diagnostische Leitlinien der Schizophrenie
Erforderlich für die Diagnose „Schizophrenie“ ist mindestens ein eindeutiges Symptom (oder gewöhnlich zwei mehr oder weniger eindeutige) der Gruppen 1, 2 oder 3 oder mindestens zwei
Symptome den Gruppen 4, 5 oder 6.
Diese Symptome müssen fast ständig während eines Monats oder länger eindeutig vorhanden
gewesen sein.
1. Gedankenlautwerden, -eingebung oder -entzug, -ausbreitung, Wahnwahrnehmung.
2. Kontrollwahn, Beeinflussungswahn, Wahninhalte anderer Art, Gefühl des Gemachten bzgl.
Körperbewegungen, Tätigkeiten, Empfindungen.
3. Kommentierende Stimmen oder dialogische Stimmen, die über den Patienten sprechen, haben eine ähnliche Bedeutung wie fast alle halluzinierten Stimmen, die Wochen oder Monate
ständig vorhanden sind.
4. Neben den charakteristischen Wahninhalten, die oben erwähnt sind, können flüchtige, parathyme und nur teilweise ausgearbeitete Wahngedanken jeglichen Inhalts oder überwertige
Ideen auf die Diagnose hinweisen, wenn sie von Halluzinationen, gleichgültig welcher Sinnesmodalität, begleitet sind.
5. Verflachte oder inadäquate emotionale Reaktionen, zunehmende Apathie, Sprachverarmung
6. Gedankenabreißen Einschiebungen in den Gedankenfluß, was zu Danebenreden und Zerfahrenheit führt
Die Prodromalphase (vor Beginn produktiver psychotischer Symptomatik) mit unspezifischen
Symptomen wie Interessenverlust an der Arbeit, an sozialen Aktivitäten, allgemeiner Angst, Depressivität u.a. wird in das Zeitkriterium von einem Monat nicht einbezogen. Klar definierter
Wahn und Halluzinationen sind nicht immer vorhanden, besonders bei chronischen Krankheitsbildern. Die Diagnose geht dann oft vom Vorhandensein sog. „negativer“ Symptome (5 und 6)
aus.
aus: MÖLLER: Psychiatrie, Stuttgart 1996
22
5.4. ÜBERSETZUNG DER ICD-10 F 20 DURCH DIE PSYCHOSE-SEMINARE
Aus: BOCK, T. e.a. (1997): Es ist normal, verschieden zu sein.
23
6. DIE SOGENANNTEN „ENDOGENEN“ PSYCHOSEN
6.1. DIE SCHIZOPHRENIEN
Begriffsentwicklung
KRAEPELIN (1893) sieht im Vordergrund der damals häufigen Defektzustände und der Schizophrenia simplex den frühzeitigen dementiellen Abbau und nennt deshalb die Erkrankung Dementia
Praecox (= „vorzeitiges Verblöden“).
Erst E. BLEULER differenziert die verschiedenen Verlauf- und Erscheinungsformen und prägt den
Begriff Schizophrenien. Er löst schnell die diskriminierenden Begriffe wie Verblödungsirresein,
Jugendirresein und Verblödungspsychose ab. In diesem Jahrhundert durchlief die Vorstellung der
Ursachen und der daraus abgeleiteten Behandlungsansätze verschiedene Stadien: standen Vererbungskausalitäten in den 30er Jahren (mit ihren rassenwahnhaften und menschenverachtenden Konsequenzen) im Vordergrund, so waren es soziogenetische Vorstellungen in den 60er und
70er Jahren (COOPER). Die Labeling-Hypothese der Psychoanalyse (Schizophrenie als Neurosevariante) setzte sich ebenfalls nicht durch.
Aktuell stehen sich sozialpsychiatrische, biologische und psychodynamische Modelle gegenüber
oder werden zu einer differenzierten Synthese des Wissens über die Schizophrenien gebündelt
und münden in entsprechende komplexe Behandlungsansätze (vgl. u.a. Luc CIOMPI, Thomas
BOCK). Es gibt sicher kaum eine psychische Störung, über die eine solch klischeehafte Vorstellung in der Bevölkerung besteht, auch aus diesem Grund sind Betroffene einem erheblichen
Stigmatisierungsdruck ausgesetzt.
Definitionsversuche
M.BLEULER (1985):
Nach unserem heutigen Wissen bedeutet Schizophrenie in den meisten Fällen die besondere
Entwicklung, den besonderen Lebensweg eines Menschen unter besonders schwerwiegenden
inneren und äußeren disharmonischen Bedingungen, welche Entwicklung einen Schwellenwert
überschritten hat, nach welchem die Konfrontation der persönlichen inneren Welt mit der Realität und der Notwendigkeit zur Vereinheitlichung zu schwierig und zu schmerzhaft geworden ist
und aufgegeben worden ist.
Aus den Psychoseseminaren (AG der Psychoseseminare (2001): Es ist normal, verschieden zu
sein.):
Eine schizophrene Psychose ist zu verstehen als ein Zustand extremer Dünnhäutigkeit – mit dem
Risiko der Überflutung durch Wahrnehmungen von Außen und Impulsen von Innen und der Flucht
in eine andere / eigene Realität als Schutz. Diese Durchlässigkeit gilt in beide Richtungen: Inneres dringt ungehindert nach Außen und nimmt als Vision oder Stimme Gestalt an. Reale äußere
Reize, Spannungen und Konflikte, die wir im „normalen“ Zustand filtern und verdrängen, treffen
ohne jede Abwehrchance ins Innere. In der Regel kann/sollte Therapie sich nicht mit dem Herstellen eines dickeren Fells begnügen: Sie darf sich bei der Analyse Angst auslösender Reize
nicht von vorneherein auf das Innenleben beschränken (mit der Gefahr alles zu „psychologisieren“), sondern muss auch die Gefahren des realen Lebens ernst nehmen.
24
Häufigkeit
•
•
Risiko, zu erkranken (in allen Kulturen) ca. 1% der Bevölkerung
Prävalenz (Stichtag): 0,5-1%
Symptome
•
•
Denken und Sprache: zerfahren/inkohärent, Konkretismus, Neologismen, Paragrammatismus usw.
•
Affektveränderungen: Parathymie, „läppisch“ (-hebephren), Ambivalenz, Affektstarre, Depression (!),
Angst(!)
•
Katatonie („Anspannung“): von katatonem Stupor bis Raptus, Flexibilitas cerea (wächserne Biegsamkeit), Katalepsie, Echopraxie...
•
Halluzinationen: akustisch (meist Stimmen=Phoneme, die auch kommentierenden oder befehlenden
Charakter haben können: kommentierende oder imperative Phoneme), optisch (unbestimmt bis szenisch), taktil, zoenästhetische...
•
•
Wahn: Verfolgungs-, Vergiftungs-, hypochondrischer, Eifersuchts-Wahn
•
•
kognitive Störungen: ... der Informationsaufnahme und –verarbeitung
Ich-Störungen: Depersonalisation, Derealisation, Erlebnisse des Gemachten, Störungen der Meinhaftigkeit (Gedankenentzug, -eingebung, -abreißen)
sog. Negativsymptome: Antriebsarmut, Teilnahmslosigkeit, sozialer Rückzug, „Gefühlsverarmung“,
Interesselosigkeit...
als positive Symptome werden Wahn, Halluzination und Denkstörung bezeichnet
→ Beachte: die Ausgestaltung der einzelnen Symptomatik ist individuell sehr verschieden
Untergruppen
•
•
•
•
paranoid-halluzinatorische Schizophrenie
o im Vordergrund stehen Wahn und Halluzination
hebephrene Schizophrenie
o im Vordergrund stehen Störungen im Verhalten und Denken (bizarr, maniriert, unernst), kann
schon im Jugendalter beginnen, hat eine schlechte Prognose
katatone Schizophrenie
o im Vordergrund stehen teils schwere Störungen in Antrieb und Psychomotorik, relativ gute
Prognose
Schizophrenia Simplex
o Langsamer (schleichender) Verlauf mit wenig charakteristischen Symptomen und Entwicklung
einer Wesenänderung (Sonderlinge, Kauze). Problematische Diagnose
Ätiologie
•
•
•
•
•
genetisch (gestörte Hirnreifung und/oder Entwicklung des Neurotransmittersystems)
traumatisch-morphologisch (frühe Verletzungen des Gehirns)
psychosozial/psychodynamisch
insgesamt sprechen alle Befunde für eine Vielschichtigkeit der Ursachen für die Schizophrenien (multifaktoriell)
Siehe hierzu das Dreiphasenmodell von Luc CIOMPI
Beginn
•
Beginn der Symptome: meist zwischen 15.-30. Lj. (selten sind Kinder betroffen), keine Geschlechterbindung, schleichend oder akut, Prodromi (Vorboten) sind häufig, werden aber oft nicht als solche erkannt.
Verlaufsformen
25
•
einfach-progredient - akut-rezidivierend - alle Kombinationen (siehe Verlaufskurven)
Prognose
•
•
•
Faustregel:
o 1/3 Remission
o 1/3 mäßige Residualbildung (Reststörung)
o 1/3 schwere Residualbildung
ca. 50% der Betroffenen leben ohne größere Einschränkungen
Residuum: Kombination aus früherer akuter Symptomatik mit Vorherrschen sogenannter Negativsymptome (s.o.), aber: Nebenwirkung der medikamentösen Behandlung können (u.a.) eben diese Negativsymptome
Literatur: siehe alle Lehrbücher, herausragend: Heinz Häfner (2000): Das Rätsel Schizophrenie
26
6.2. DAS DREIPHASENMODELL VON L. CIOMPI
27
6.3. ZU VERLAUF UND PROGNOSE DER SCHIZOPHRENIEN
6.3.1.
PROGNOSEMERKMALE NACH H. HÄFNER (2000)
28
6.3.2.
VERLAUFSTYPEN DER SCHIZOPHRENIEN
29
6.3.3.
OUTCOME DER SCHIZOPHRENIEN
6.4. DIE 10 THERAPEUTISCHEN PRINZIPIEN ZUR BEHANDLUNG VON MENSCHEN MIT SCHIZOPHRENIE NACH LUC CIOMPI
30
1. Systematische Einbeziehung des relevanten sozialen Umfeldes: Dies betrifft sowohl Angehörige als auch andere wichtige Bezugspersonen wie Betreuer etc.
2. Vereinheitlichung der verfügbaren Informationen: Betroffene, Angehörige und professionelle
Helfer sollten über klare und einheitliche Informationen über die Art der Erkrankung, Verlauf,
Ausgang und Prognose, Risikofaktoren sowie Behandlung und Prophylaxe verfügen.
3. Weckung gemeinsamer, positiv-realistischer Zukunftserwartungen: Aufseiten von Betroffenen, Angehörigen und professionellen Helfern
4. Stufenweises Erarbeiten konkreter, gemeinsamer Behandlungsziele: Zwischen allen Betroffenen sollen konkrete Nah und Fernziele vereinbart werden, auf die gemeinsam hingearbeitet
wird.
5. Koordination und Kontinuität: Anzustreben ist die fortlaufende Abstimmung aller Behandlungs- und Betreuungsmaßnahmen sowie die Realisierung eines Höchstmaßes an konzeptioneller und personeller Kontinuität; ein professioneller Betreuer sollte für die gesamte Dauer
der Behandlung, also u. U. über Jahre, als zentrale Bezugsperson fungieren und für den ,roten
Faden' sorgen.
6. Vereinfachung des therapeutischen Feldes: Dies gilt sowohl für die Schaffung übersichtlicher
und spannungsarmer stationärer Milieus als auch für übersichtliche und bezüglich Aufgaben
und Verantwortlichkeiten klar strukturierte ambulant-komplementäre Kontexte.
7. Einfachheit und Klarheit im Umgang: Insbesondere affektiv-kognitiv übereinstimmende
Kommunikation. (Eure Rede sei: ja, ja, nein, nein!)
8. Fortlaufende Optimierung von Anforderungen: Über und Unterforderungen sind gleichermaßen zu vermeiden. Immer nur ein wichtiger Wechsel auf einmal (z.B. in der Wohn-, Arbeitsoder Beziehungssituation).
9. Flexible Kombination von unterschiedlichen Therapieansätzen: Erst die Kombination von
pharmako-, psycho- und soziotherapeutischen Verfahren je nach individuellem Bedarf und
Bedürfnis verspricht optimale, „synergetische“ Wirkungen.
10. Beachtung spezifischer Zeitfaktoren: Zum Beispiel Zeiten für Veränderungen und Zeiten für
Stabilität, ,Eigenzeiten' und persönliche Tempi von Betroffenen, zeitliche Dynamiken von Dekompensation und Remission usw.
7. DEPRESSION UND MANIE (SYNONYME: BIPOLARE/AFFEKTIVE PSYCHOSEN, ZYKLOTHYMIE)
Es handelt sich um eine Gruppe von Erkranklungen bei denen es zu einer erheblichen Auslenkung von Stimmung und Affekt in die depressive und/oder manische Dimension kommt. Die
Auslenkungen treten in mehr oder weniger klar abgrenzbaren Phasen auf. Dabei kommt es sowohl vor, dass Betroffene allein depressive oder manische Phasen erleben als auch, dass bei
einem Menschen im Verlauf sowohl manische als auch depressive Phasen vorkommen.
31
Häufigkeit
- Risiko, zu erkranken: 0,6-1% (depressive Phasen sind häufiger als manische)
- Prävalenz (Stichtag): ca. 1%
Symptome der depressiven Phasen
•
•
•
•
•
•
•
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•
•
Stimmung: niedergedrückt, traurig, hoffnungslos, schwermütig, ängstlich(!), mürrisch, Gefühl der inneren Leere, Gefühl der Gefühllosigkeit, mutlos, hilflos, unschlüssig, wankelmütig
Affekt: flach, wenig schwingungsfähig
Antrieb: vermindert bis stuporös oder agitiert-getrieben
Psychomotorik: verlangsamt, erschwert, Mangel an Frische und Spannung, Verminderung der Mimik
und Gestik
Denken: verlangsamt, gehemmt, eingeengt, ideenarm, scheinbare Intelligenzminderung, Schuldgefühle
Wahn: hypochondrisch, Verarmungs-, Schuld-, nihilistischer, Versündigungs-, evtl. mit paranoider Färbung
(Pseudo-)Halluzinationen: „innere Stimme“, anklagende Stimmen, olfaktorische
Zwänge: Zwangsbefürchtungen, -gedanken, -handlungen, Grübelzwang
Aufmerksamkeit u. Auffassung: reduziert
Tagesrhythmus: Morgentief, abends Stimmungsaufhellung
Suizidalität: latent oder akut (nie unterschätzen!)
somatische Komponente: Schlafstörungen, Appetitmangel, gastrointestinal (Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung/Diarrhoe), Herz/Kreislauf, urogenital, Libido u. Potenz, Engegefühle usw.
Symptome der manischen Phasn
•
•
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•
•
•
•
•
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Stimmung: gehoben, gut (bis best-) gelaunt, sorglos heiter, mitreißend-fröhlich bis gereizt, unkontrollierbar, erregt, euphorisch, Glückseligkeit, strahlender Optimismus
Affekt: dauerhaft glücklich, expansiv, dabei leicht aggressiv werdend
Antrieb: gesteigert, überaktiv, Rededrang, reduziertes Schlafbedürfnis
Psychomotorik: gesteigert bis ausufernd-unbremsbar, z.T. heftiges Gestikulieren, rastlose Vielgeschäftigkeit
Denken: beschleunigt bis assoziativ-aufgelockert (ideenflüchtig), Größenideen, Kritikschwäche
(„Kaufrausch“), Selbstüberschätzung, Wortspiele
Wahn: Größen-, Liebes-, selten: VerfolgungsHalluzinationen: selten, eher flüchtig (optisch, akustisch)
Aufmerksamkeit und Konzentration: scheinbar gesteigert
Suizidalität: keine, aber: Fehlhandlungen im Rahmen des Krankheitsgeschehens
somatische Komponente: Appetitmangel bis -verlust („ich brauche nichts!“), Schlafstörungen, Hypersexualität
Ätiologie
•
•
•
→
genetisch
traumatisch (körp. Erkrankungen, seelisch)
psychosozial/psychodynamisch
multifaktoriell
Beginn und Verlauf
32
•
•
30.-40. Lj., Frauen häufiger von depressiver Phase betroffen (7:3)
schleichend oder akut
Verlauf
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phasenhafter Verlauf (zyklothym):
ƒ mehr oder weniger gut abgrenzbare manische oder depressive Phasen
Verlaufsformen:
ƒ - mono(phasisch)polar depressiv: einmalig oder rezidivierend
ƒ - mono(phasisch)polar manisch:
"
ƒ - bipolar:
"
ƒ - „rapid cycler“:
besonders schneller Wechsel der Phasen
Dauer der Phasen:
ƒ Im Schnitt 3-4 Monate (Tage bis Jahre, manische Phasen eher kürzer)
Intervall zwischen den Phasen:
ƒ in der Regel vollständige Remission (s.u.)
Häufigkeit der Rezidive:
ƒ ca. 20% erleben nur eine Phase, 25% aber mehr als 8 Phasen
Nähe zu Schizophrenien:
- Fragliche Diagnose: schizoaffektive Psychose mit Symptomen der Schizophrenien und der Manie/Depression (Häufigkeit unsicher)
Prognose:
ƒ „nur“ 7% der Betroffenen entwickeln ein Residuum
ƒ Aber: bis 20% Suizidhäufigkeit!
Abgrenzung zu anderen Depressionsformen:
ƒ -phasenhafter Verlauf, Tagesrhythmus, psychotische Komponente, Kausalität mit Auslösesituation schwerer herstellbar
Literatur: alle Lehrbücher, speziell: MEYER & HAUTZINGER (2004): Manisch-depressive Störungen.
Anmerkung
Definition für Psychose: „Vorübergehende oder sich stetig verschlechternde psychiatrische Erkrankung
(Störung) mit erheblicher Einschränkung /Beeinträchtigung psychischer Funktionen mit vor allem gestörtem Realitätsbezug, mangelnder Einsicht und Fähigkeit, üblicher sozialer Norm bzw. Lebensanforderung
zu genügen.“ Im Gegensatz zum inzwischen gebräuchlichen professionellen Jargon, in dem Psychose
gleichgesetzt wird mit Schizophrenie umfasst der Begriff Phänomene, das bei einer Vielzahl von psychischen Störungen vorkommen kann (so etwa auch bei Demenzen, Abhängigkeitserkrankungen, Fieber,
neurologischen und internistischen Erkrankungen usw.
Problem: unklare Definition, die auch nicht einheitlich verwendet wird. Zudem schwierige Abgrenzung
gegenüber nicht-psychotischen Störungen.
Neurose: „Psychisch bedingte Gesundheitsstörung, deren Symptome unmittelbare Folge und symbolischer Ausdruck eines krankmachenden seelischen Konfliktes sind, der unbewusst bleibt. Der Konflikt
liegt in der (frühen) Kindheit und die Symptomatik spiegelt einen Kompromiss zwischen Triebwünschen
und einer ihre Verwirklichung verhindernden Abwehr wider.“ (nach S. FREUD)
Problem: Definition ist hypothetisch und die Diagnose kann nur im Rahmen einer psychoanalytischen Anamnese oder Therapie verifiziert werden.
7.1. SYMPTOME DEPRESSIVER STÖRUNGEN
(aus Möller, 1996)
33
7.2. FORMEN DER DEPRESSION
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sog. endogene Depression (affektive Psychose s. oben)
reaktive Depression („depressive Antwort“ auf Lebensereignisse)
neurotische Depression
sog. Involutionsdepression (Spätdepression im Senium)
körperlich begründbare Depression
o symptomatische Depression (Medikamente (!), Erkrankungen s.u.)
34
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o (hirn-)organische Depression (posttraumatisch, Demenzen, Epilepsien...)
Saisonale Depression („Winterdepression“)
Wochenbettdepression
larvierte Depression (stellt sich in Form körperlicher Symptome dar)
klimakterische Depression
zu 5a.: Medikamente: Analgetika, Antiphlogistika, Antirheumatika, Antibiotika, Antiepileptika, Antihypertonika, Anti-Parkinsonmittel, Appetithemmer, Hypnotika, Tranquilizer, Immunsuppressiva,
Migränemittel, Neuroleptika, Nootropika, Kortisonpräparate...
Erkrankungen: Über- und Unterfunktion von Schilddrüse, Nebenschilddrüse oder Nebenniere; Herzinsuffizienz, Herzfehler, arterielle Hyper- und Hypotonie, Herzschrittmacher, Z.n. Bypass-OP; Colitis, Hepatitis,
Leberzirrhose, chronische Pankreatitis; Niereninsuffizienz, chronische Pyelonephritis, Prostataadenom,
Hämodialyse, Z.n. Nierentransplantation; Rheumatismus; Anämie, Porphyrie, Hyper- und Hypoglykämie,
Vitaminmangel (z.B. Folsäure); Infektionen; Intoxikationen; Z.n. Radiatio (Bestrahlung); tumoröse Erkrankungen...
35
7.3. ZUR ÄTIOLOGIE DER DEPRESSIONEN (MÖLLER, 1996)
36
8. PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNGEN
8.1. ALLGEMEINES
ältere Bezeichnungen: Psychopathien, abnorme Persönlichkeiten, akzentuierte Persönlichkeiten, Charakterneurosen
Definition von Persönlichkeit
Die Summe aller psychischen Eigenschaften und Verhaltensbereitschaften, die dem einzelnen seine eigentümliche, unverwechselbare Individualität verleihen.
Definitionsversuche Persönlichkeitsstörung (PST)
Störungen des Verhaltens und Fühlens, die nicht als Reaktion auf äußere Ereignisse zu verstehen sind
und nicht durch neurotische Symptome bestimmt sind. Das Verhalten und die Einstellungen sind nicht
Ich-fremd.
Von Persönlichkeitsstörung spricht man dann, wenn eine Persönlichkeitsstruktur durch starke Ausprägung bestimmter Merkmale so akzentuiert (betont hervorgehoben) ist, dass sich hieraus ernsthafte Leidenszustände und/oder Konflikte ergeben.
Eine Persönlichkeitsstörung liegt dann vor, wenn durch Ausprägungsgrad und/oder die besondere Konstellation von psychopathologisch relevanten Merkmalen dieser Bereiche erhebliche subjektive Beschwerden und/oder nachhaltige Beeinträchtigungen der sozialen Anpassung entstehen.
Problem der PST
Abgrenzung zum „Normalen“, Individuellen, Neurotischen
Einteilung
• paranoide
• schizoide
• „antisoziale“ (dissoziale)
• Borderline-Persönlichkeitsstörung
• histrionische
• narzisstische
• zwanghafte (anankastische)
• selbstunsichere (vermeidende)
• dependente („abhängige“)
• asthenische
„Die Tatsache, dass keine ich-fremden Symptome im Vordergrund stehen, sondern die Einstellung gegenüber der Umwelt, macht es problematisch, diese Menschen ohne weiteres als abnorm oder krankhaft zu
etikettieren. Es ist aber ebenso problematisch, es nicht zu tun, etwa einfach an ihren Willen zu appellieren, ihnen oder ihrer Erziehung Schuld und Verantwortung zuzuschreiben. Diese Verhaltensweisen bringen
für die Gesellschaft und für die Menschen häufig erhebliche Belastungen mit sich und, wenn Ärzte und
Psychotherapeuten nicht ihre Stimme erheben, nimmt die Gesellschaft häufig selbst gewöhnlich unterdrückend oder strafend Stellung“ (Walter BRÄUTIGAM, 1994)
37
8.2. DIAGNOSTISCHE KRITERIEN FÜR DIE BORDERLINE-PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG
38
9. ORGANISCH BEDINGTE PSYCHISCHE STÖRUNGEN
Ätiopathogenese
Ursächlich sind akute oder chronische körperliche Hirn- oder Allgemeinerkrankungen:
akute oder chronische Intoxikationen (Alkohol, Drogen, Medikamente, Blei, Mangan, Quecksilber, Schwefelkohlenstoff, Arsen, Thallium, Kohlenmonoxid, Pestizide, Pilzgifte...); Hirntraumata,
Entzündungen des Gehirns, Hirntumoren, Arteriosklerose, Herzerkrankungen, Nieren- u. Leberversagen, Dialyse, Hypoglykämie, Hyper- u. Hypothyreose, Vitaminmangel….. und unbekannte
Ursachen (etwa Alzheimer-Demenz)
Je nach Dosierung bzw. Ausprägung der Grundstörung entwickelt sich eine akute oder chronische Störung.
Die psychopathologische Symptomatik ist wenig spezifisch für die einwirkende Ursache.
Epidemiologie
Die organisch bedingten psychischen Störungen werden tendenziell eher unterschätzt. Sie zählen zu den
häufigen Erkrankungen überhaupt. Zwischen 17 und 40% der in Allgmeinkrankenhäusern behandelten
Patienten leiden unter solchen Störungen, wobei besonders häufig Delirien (akute Verwirrtheitszustände)
beobachtet werden.
Es wird unterschieden zwischen akuter und chronischer Verlaufsform.
9.1. AKUTES HIRNORGANISCHES PSYCHOSYNDROM (AKUTER EXOGENER REAKTIONSTYPUS)
Symptomatik
• BEWUSSTSEINSSTÖRUNG
Leitsymptom
• ORIENTIERUNGSSTÖRUNG
„
• KONZENTRATIONSSCHWÄCHE
„
• AUFFASSUNGSSCHWÄCHE
„
• MERKFÄHIGKEITSSTÖRUNG
„
• Störung der Psychomotorik
• Störung der Stimmung und des Affektes
• Störung des Denkens
• Wahrnehmungsstörungen
• Ich-Störungen
• Wahnvorstellungen/illusionäre Verkennungen
⇒ neurologische und internistische Symptomatik
Die Symptome treten in verschieden starker Ausprägung und Kombination meist relativ schnell zunehmend auf.
Subtypen
• Delirium
• Verwirrtheitszustand
• Dämmerzustand
Verlauf
Meist Wochen bis wenige Monate; Symptomatik ist grundsätzlich reversibel in Abhängigkeit der Entwicklung der Grunderkrankung bzw. des Giftes.
9.1.1.
DAS DELIR
Definition
Das Delir ist ein unspezifisches psychopathologisches Syndrom, das insbesondere durch Störungen des
Bewusstseins, der Wahrnehmung und der Psychomotorik gekennzeichnet ist und als akuter exogener
Reaktionstypus durch verschiedene Ursachen bedingt sein kann. Grundsätzlich sind Delire reversibel.
Es handelt sich um eine akute Dekompensation der Hirnfunktion.
Häufigkeit
Sehr häufige psychische Störung (ca. 10-20% aller stationär behandelten Patienten an einem Allgemeinkrankenhaus, in chirurgischen Abteilungen bis zu 30%), wahrscheinlich häufig nicht richtig diagnostiziert.
In ca. 20% der Fälle gelingt es nicht, die Ursache für das Delir zu finden.
Ursachen (Auswahl)
• Internistische Erkrankungen
o Herz-Kreislaufo Lungeno Infektionen (zerebral oder systemisch; hohes Fieber)
o Arteriosklerose
o Elektrolytstörungen
o Exsikkose (Austrocknung)
o Hormonstörungen
• Akute und chronische Hirnerkrankungen
• Operationen
• Vergiftungen
o Medikamente
o psychotrope Drogen
o Schwermetalle
o Substanzentzug
o Drogen
o Alkohol
o Medikamente
• Medikamente (unerwünschte Wirkung, Wechselwirkung, Überdosierung, Entzug)
o Antibiotika
o Analgetika (Opiate, Salicylate)
o Kardiaka (Betablocker, Clonidin, Digitalis)
o Antituberkulostatika (Isoniazid)
o Psychopharmaka (Antidepressiva, Sedativa)
ƒ Antiepileptika
ƒ Antiphlogistika (Kortison, Ibuprofen)
ƒ Anti-Parkinson-Mittel (L-Dopa)
Symptome
• Bewusstseinsstörung
• Verminderung der Wachheit (Vigilanzminderung)
• Störungen der Orientierung (zeitlich, örtlich, situativ, autopsychisch)
• Psychomotorische Unruhe (ggf. Wechsel von Hypo- und Hyperaktivität)
40
• Produktive Symptome (optische Halluzinationen)
• Vegetative Symptome (Tachykardie, Hyperhidrosis, Tremor)
• Störungen des Denkens, der Aufmerksamkeit
• Gedächtnisstörungen
• Störungen von Stimmung und Affekt (Angst, Erregbarkeit, Aggressivität)
• Erhöhte Irritabilität und Suggestabilität
• Störungen des Tag-Nacht-Rhythmus
Verlauf
Meist rasche Entwicklung einer akuten Symptomatik innerhalb von Stunden. Wechselhaftes Auftreten
bzw. rascher Wechsel der einzelnen Symptome bzw. der Ausprägung der Symptomatik. Die Symptomatik
geht i.d.R. innerhalb weniger Tage oder Wochen zurück.
Therapie
Zwei Strategien
• Diagnose und Behandlung der Grunderkrankung, -störung
• Symptomatische Behandlung der psychiatrischen Symptomatik (medikamentös und milieutherapeutisch)
-> siehe auch unter Alkoholfolgekrankheiten
9.2. CHRONISCHES HIRNORGANISCHES PSYCHOSYNDROM (HOPS)
Symptomatik
• Störungen der Mnestik (Gedächtnis) mit Konfabulationen
LEITSYMPTOM
• Orientierungsstörungen
„
• Auffassungsstörungen
• Konzentrationsschwäche
• Urteilsschwäche
• Gedankenarmut
• Perseverationen (Wiederholung gleicher Denkinhalte, Haften an eingeschlagener Vorstellung)
• Affektlabilität bis -inkontinenz
• Störungen der Stimmung
• evtl. Wahnsymptomatik, Ich-Störungen
• Wesensänderung oder -akzentuierung
⇒ KEINE Bewusstseinsstörung
⇒ neurologische und internistische Symptomatik der Grunderkrankung
Subtypen
•
•
•
dementielle Prozesse (s.u.)
organisch amnestisches Syndrom (KORSAKOW-Syndrom)
hirnlokales Psychosyndrom (mit relativ spezifischer Symptomatik je nach Lokalisation der Schädigung)
Verlauf
•
chronisch-progredient (langsam fortschreitend) oder subakut (mäßig akut)
41
9.3. PRIMÄR UND SEKUNDÄR DEGENERATIVE HIRNERKRANKUNGEN
9.3.1.
DIE DEMENZEN
Demenz ist ein Syndrom als Folge einer meist chronischen oder fortschreitenden Krankheit des Gehirns
mit Störung vieler höherer kortikaler Funktionen, einschließlich Gedächtnis, Denken, Orientierung, Auffassung, Rechnen, Lernfähigkeit, Sprache und Urteilsvermögen. Das Bewusstsein ist nicht getrübt. Die
kognitiven Beeinträchtigungen werden gewöhnlich von Veränderungen der emotionalen Kontrolle, des
Sozialverhaltens oder der Motivation begleitet, gelegentlich treten diese auch eher auf. Dieses Syndrom
kommt bei Alzheimer-Krankheit, bei zerebrovaskulären Störungen und bei anderen Zustandsbildern vor,
die primär oder sekundär das Gehirn betreffen.
Die Alzheimer-Demenz ist eine primär degenerative zerebrale Krankheit mit unbekannter Ätiologie und
charakteristischen neuropathologischen und neurochemischen Merkmalen. Sie beginnt meist schleichend und entwickelt sich langsam aber stetig über einen Zeitraum von mehreren Jahren.
Epidemiologie der Demenzen
Neuere Studien ergeben, dass das Risiko, eine Demenz zu entwickeln, mit dem Alter steigt:
ca. 1% der 60-64jährigen leiden an einer Demenz und mit jeder weiteren halben Dekade verdoppelt sich
der Anteil
ca. 25% der 85-89jährigen und fast 1/3 der über 90jährigen sind betroffen
insgesamt liegt der Anteil der Betroffenen unter den über 65jährigen bei ca. 7%
Für Männer und Frauen ergeben sich unterschiedliche Risiken, allein wegen der höheren Lebenserwertung der Frauen: das Risiko für heute 65jährige Männer, im Verlauf an einer Demenz zu erkranken, liegt
bei 16%, für 65jährige Frauen bei 34%.
9.3.1.1. DEMENZ VOM ALZHEIMER-TYP (ALZHEIMER DEMENZ)
Beginn schleichend nach dem 65. Lebensjahr, seltener davor.
Im Prinzip gelten die o.g. Hauptsymptome.
Etwas differenzierter (nach Volker FAUST): geistige und
gen/Symptome
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seelische
Beeinträchtigun-
Gestörte Erinnerung an kurz zurückliegende Einzelheiten (Kurzzeitgedächtnis) wie Gespräche, Besuche, Art der letzten Mahlzeit, eigene Tätigkeiten usw.
Später auch Störungen des Langzeitgedächtnisses (Schulzeit, frühe Erwachsenenjahre).
Verlust der Fähigkeit, die Vergangenheit und Gegenwart zeitlich und inhaltlich auseinanderzuhalten.
Orientierungsstörungen: wie man heißt, wo man wohnt oder sich gerade aufhält, wann geboren, wie
alt, welcher Tag, welche Uhrzeit (wacht nachts auf und verlangt das Frühstück) usw.
Schwierigkeiten, Dinge wiederzufinden, vom Hausschlüssel bis zum geparkten Auto, oder nicht mehr
wissen, wo und in welche Richtung man fahren muß ("Geisterfahrer").
Schließlich einfache Aufgaben nicht mehr angemessen lösen können, trotz konkreter mündlicher und
schriftlicher Anweisungen.
Rasche Ermüdbarkeit bis hin zur völligen Kraftlosigkeit. Die Sprache wird immer ungenauer, mit Füllwörtern "geflickt" ("Dingsda"; "na, Du weißt schon was" usw.). Dazu vermehrt Umschreibungen, Wortwiederholungen und vor allem Wortfindungsstörungen.
Zuletzt Störungen des Sprachverständnisses und der Sprachproduktion.
Störungen des Benennens: anfangs dicht danebenliegende Bezeichnungen, später gröbere Benennungsfehler. Die entsprechenden Namen oder Bezeichnungen fallen im Gespräch oder auf Vorhalten
der Objekte nicht mehr ein.
42
•
Handlungsstörungen: Die Betroffenen wissen oft, was sie tun wollen, können ihre Absicht aber nicht
realisieren. Folge: Probleme mit Schriftbild, Körperpflege, An- und Auskleiden, Essen und Trinken,
Hobbys u. a.
• Störungen des Erkennens: Selbst altbekannte Personen und Gegenstände werden nicht mehr erkannt.
• Auf normale Sinnesreize (Sehen, Hören, Fühlen, Schmecken, Riechen) kann nicht mehr adäquat reagiert werden.
• Lese-, Schreib- und Rechenstörungen.
• Antriebsstörungen: nachlassende Willenskraft, sich ein Ziel zu setzen und dieses gleich zu verfolgen.
Die meisten Bewegungsabläufe sind verlangsamt (besonders an den Händen). Dafür dauernde Bewegungsunruhe mit "Nesteln und Herumfingern", ständiges Spielen mit Taschentüchern, Stiften,
Besteck, fahrige Gesten, Auflesen von Flocken, Fäden usw.
• Gemütsstörungen: anfängliche Irritation, Niedergeschlagenheit, Resignation, schließlich Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit, zuletzt ernstere depressive Zustände. Dazu fast immer Angst
(Zukunftsangst, diffuse Angst, "Angst vor ich weiß nicht was" usw.). Aber auch Reizbarkeit, Aggressivität, ja Wutausbrüche, schließlich gemütsmäßig schwankend, emotional flach, hin- und hergerissen,
stimmungsmäßig leicht beeinflussbar und ablenkbar bzw. umstimmbar.
• Hypochondrische Befürchtungen vor irrealen seelischen, vor allem aber körperlichen Beeinträchtigungen.
• Sinnestäuschungen: Trugwahrnehmungen beim Sehen (sieht sich z. B. im Fernsehen auftreten), Hören
(Geräusche, Stimmen), Schmecken (übersüßt, versalzen), Riechen (Fäulnis, Gas), Tasten (Missempfindungen bis hin zur Gewalteinwirkung).
• Wahnvorstellungen: ein meist reizbar-misstrauisches bis aggressiv-feindseliges Verhalten, vor allem
nach außen gerichtet. Beispiele: "fremde Person im eigenen Zimmer oder Bett", "Diebstahl", "Untreue" (des aufopfernd pflegenden Partners) usw. Folge: entsprechende Reaktionen wie Verstecken
von Habseligkeiten, Zurückweisung alter Freunde, Brüskierung von Angehörigen etc., die sich - als gefährliche Konsequenz - dann natürlich nach und nach zurückziehen. Der Patient gerät dadurch noch
stärker in die Isolation.
Weitere seelische und psychosoziale Auffälligkeiten sowie Verlaufs-Charakteristika
• Je nach Persönlichkeitsstruktur bzw. Verlaufsform besteht anfangs der verzweifelte Versuch, das geistig-seelische Defizit zu überspielen und sich unverändert Aufmerksamkeit und Zuwendung zu sichern
(was häufig respektlos, aber nicht ganz unzutreffend beschrieben wird mit: "liebenswürdige Verblödung"), später zunehmend resigniert, niedergeschlagen, verzweifelt und depressiv.
• Auch Versuch, alle Einbußen zu verleugnen, in Abrede zu stellen, ggf. anderen anzulasten (Abwehr,
Fehlleistungen nicht realisiert, Scham), schließlich jedoch zunehmende Gleichgültigkeit.
• Zuletzt häufig (jedoch nicht grundsätzlich) keine Schuldgefühle mehr zu erwarten, eher Bagatellisierungs- und Vertuschungsversuche ("missliche Umstände", andere Personen schuld).
• Neigung zu Gedächtnislücken wird durch Erzählen zufälliger Einfälle oder Geschichten überspielt,
sogenannte Konfabulationen.
• Anfangs um Freundlichkeit bemüht (s. o.), später zunehmend ungeduldig, reizbar, missgestimmt, wütend, rasch erregt, mitunter auch ironisch bis sarkastisch. Bei allem eine sonderbare Atmosphäre der
Unverbindlichkeit um sich verbreitend (Fehlurteil: Arroganz). Dann ist die Stimmung weniger bedrückt
bis gequält, eher gleichgültig bis frostig-"wurstig".
• Teils (vor allem anfangs) Minderwertigkeitsgefühle bis Verzweiflungsausbrüche, teils (insbesondere
im weiteren Verlauf) immer unkritischere Selbstüberschätzung, bisweilen sogar überhöhte Selbstanforderung, manchmal groteske Kompensationsversuche.
• Plötzlich ausbrechende Angst- oder Panikzustände ohne Grund (geht auf Überforderung oder Unfähigkeit zurück, zwischen realer Situation und subjektiver Scheinwelt zu unterscheiden). Folge: sogenannte Katastrophen-Reaktionen.
• Ferner bizarre Schusseligkeit, unfassbare Vergesslichkeitsszenen, schließlich völlig verwirrt und desorientiert.
43
•
Erhöhtes Selbsttötungsrisiko, vor allem zu Beginn einer dementiellen Entwicklung, wo die seelischgeistigen und später körperlichen Defizite noch (voll) registriert werden.
Körperliche Krankheitszeichen
• Ausgeprägte nächtliche Unruhe mit ratlosem Umhergeistern (desorientiert), zunehmender Verwirrtheit
oder gar lautstarken Erregungszuständen (Schreien, Herumfuchteln, Wegdrängen).
• In der Frühphase typischerweise keine neurologischen Symptome, später Auftreten bestimmter Muskelverspannungen, Muskelzittern, unregelmäßige Muskelzuckungen u. a.
• Gang-, Bewegungs- und Koordinationsstörungen.
• Nachlassen von Riech- und Geschmackssinn.
• Gestörtes Erkennen von Form und Beschaffenheit eines Gegenstandes durch Betasten mit geschlossenen Augen oder von Buchstaben oder Zahlen, die auf die Haut geschrieben werden.
• Schwierigkeiten, einen bestimmten Gegenstand oder Punkt längere Zeit zu fixieren, beeinträchtigte
Augenbewegungen.
• Unsicherheiten im neurologischen Zeigeversuch.
• Verlust der Kontrolle von Blasenentleerung und Stuhlgang.
• Ggf. epileptische Krampfanfälle.
Risikofaktoren für die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz (u.a. aus: Gutzmann und Zank,
2005)
•
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hohes Alter: der wichtigste Risikofaktor überhaupt
Geschlecht: Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Dies scheint daran zu liegen, dass sie älter
werden.
Die erbliche Belastung mit der Alzheimer-Erkrankung, Parkinson und anderen Krankheiten des Nervensystems. Tatsächlich haben Alzheimer-Patienten überdurchschnittlich oft einen nahen Angehörigen, der unter der Parkinsonschen Krankheit leidet. Warum und was konkret dahintersteht, ist noch
unklar.
das Vorliegen einer Trisomie 21 erhöht das Risiko sehr
Auch das Alter der Eltern scheint nicht unbedeutend zu sein. Ein höheres Lebensalter der Mutter bei
Geburt des Kindes geht ja bekanntermaßen mit erhöhter Gefahr eines Down-Syndroms einher. Bei der
Alzheimer-Krankheit scheint dies nicht zuzutreffen. Beim Vater diskutiert man sogar das Gegenteil. Ob
nun die Kombination: eher junger Vater und sehr "alte" Mutter besondere Risikofaktoren darstellen,
ist noch nicht untersucht.
Dagegen scheinen vorangegangene Schädel-Hirn-Unfälle schon bedeutsamer, besonders wenn man
diese im mittleren bis höheren Lebensalter erlitten hat. Männer sind öfter betroffen. Ein besonderes
drastisches Beispiel ist in diesem Zusammenhang das Sportler-Trauma, vor allem die sogenannte Boxer-Demenz.
Stress und andere psychosoziale Belastungen: Sie leuchten als Grund eines "vorzeitigen Abbaus" zwar
ein, konnten aber bisher nicht bewiesen werden. Hier wurde gefunden, dass ein spärliches soziales
Netzwerk, das Merkmal, nie verheiratet gewesen zu sein und eine unterdurchschnittliche Aktivität im
mittleren Lebensalter das Risiko erhöhen.
Bildungsgrad: Zwar wiederholt sich in vielen Untersuchungen die Erkenntnis, dass eine AlzheimerKrankheit umso eher zu erwarten steht, je schlechter die Schulbildung ist. Wahrscheinlich versteckt
sich hinter dieser Tatsache aber ein anderes Phänomen: Menschen mit höherem Bildungsgrad steigen bei einer Demenz natürlich auch von einer "höheren Ausgangslage" und damit ggf. auch über einen längeren Zeitraum ab, als solche mit niedrigerem Bildungsstand. Mit anderen Worten: Man merkt
es erst später (dann aber bei Intellektuellen auch drastischer).
physische und geistige Aktivität verringert das Risiko ebenso wie der regelmäßige Verzehr von Fisch
44
•
Keine Risikofaktoren für eine Alzheimer-Krankheit stellen aber Wesensart, Lebenswandel (außer natürlich selbstschädigendes Verhalten in unterschiedlichster Form), Ernährungsweise, kulturelle Einflüsse usw. dar. Zwar wird immer wieder darüber diskutiert, doch handelt es sich dabei meist um sogenannte Scheinkorrelationen, das heißt man hat nicht alle Ursachen-Verknüpfungen richtig bedacht.
Aus: MÖLLER, 1996
Verlaufstadien
•
•
Erstes Stadium:
leichtgradige, meist kaum bemerkte Symptome, die "lediglich" zu einer Beeinträchtigung komplexer
Tätigkeiten im täglichen Leben führen können. Beispiele: Kurzzeitgedächtnis beeinträchtigt (der Betroffene wiederholt Sätze oder Tätigkeiten, die er gerade zuvor gesagt oder getan hat). WortfindungsStörungen und mangelhafte Präzision des Ausdrucks. Nachlassen des Denkvermögens, vor allem
schlussfolgern und urteilen. Erste örtliche Orientierungsstörungen, z. B. Zurechtfinden in nichtvertrauter Umgebung. Zunehmende Passivität, wenn nicht gar Untätigkeit. Beginnende Störungen der örtlichen Orientierung (Datum und Uhrzeit). Folge: Beschämung, Angst, Wut oder Niedergeschlagenheit.
Zweites Stadium:
Beschwerdebild so ausgeprägt, dass eine selbständige Lebensführung nur noch mit erheblichen Einschränkungen möglich ist, in der Regel nur noch mit Unterstützung durch andere. Beispiele: wachsende Gedächtnisstörungen, z. B. Vergessen der Namen selbst vertrauter Personen. Schwierigkeiten
beim Ankleiden, im Bad, bei Mahlzeiten, auf der Toilette u. a. Örtliche Orientierung deutlich beeinträchtigt, sogar in der eigenen Wohnung. Außerhalb des Hauses Gefahr des Verirrens und Umherirrens. Erstmals Sinnestäuschungen (Sehen, Hören, Riechen, Schmecken) oder illusionäre Verkennungen realer Objekte. Zunehmende Unruhe, zielloses Umherwandern, Aus-der-Wohnung-Drängen. Neben
45
•
der rastlosen Umtriebigkeit aber auch gelegentlich völlige Untätigkeit. Verlorenes Zeitgefühl (Vergangenheit und Gegenwart sind nicht mehr unterscheidbar).
Drittes Stadium:
selbständige Lebensfähigkeit aufgehoben, vollständig von Angehörigen oder anderen Bezugspersonen abhängig. Die Sprache reduziert sich auf wenige Wörter, das Gedächtnis kann keine neuen Informationen mehr speichern. Selbst nahe Angehörige werden immer öfter nicht mehr erkannt oder verkannt. Beispiele: Probleme beim Essen, selbst mit Hilfe. Unfähigkeit, Familienmitglieder zu erkennen.
Vorn übergebeugt, Gang kleinschrittig und schleppend. Sturzgefahr. Kontrollverlust über Blase und
Darm. Gefahr von Krampfanfällen, Schluckstörungen u. a. Verfall der körperlichen Kräfte, bettlägerig,
Infektionsgefahr (häufige Todesursache: Lungenentzündung oder andere Komplikationen).
Der vorzeitige Tod tritt nach sehr unterschiedlich langen Krankheitsphasen ein. Je früher ein Mensch in
seinem Leben erkrankt, desto länger ist seine noch zu erwartende Lebenszeit. So kommen Krankheitsverläufe von 20 und mehr Jahren vor.
Aus: WÄCHTLER (1997)
9.3.1.2. VASKULÄR BEDINGTE DEMENZEN (DURCH STÖRUNGEN DER BLUTZIRKULATION
IM GEHIRN; MULTIINFARKTDEMENZ)
Im Prinzip wie die Alzheimer-Demenz.
46
Verlauf eher schubweise, Verwirrtheitszustände (häufig nachts!), wechselhafte Ausprägung der
Symptomatik mit „luziden Intervallen“ (geringe Symptomatik) und akuten Verschlechterungen,
neurologische Herdsymptome (nicht die Regel).
Der Verlauf dieser Demenzen ist in der Regel – im Vergleich zur Alzheimer-Demenz – rascher (ca.
60% versterben innerhalb von fünf Jahren) und schwerwiegender (deutlich höherer Anteil an
Hospitalisierungen).
- + ca. 40 andere bekannte Ursachen
9.3.2.
ANDERE PRIMÄR HIRNDEGENERATIVE ERKRANKUNGEN
-Pick’sche Krankheit (Morbus Pick)
Beginn im 5. Lebensjahrzehnt mit Antriebsminderung oder -steigerung mit Ent-hemmung und evtl.
Sprachstörungen, später dementieller Abbau
-Chorea Huntington
autosomal-dominanter Vererbungsmodus, Beginn im 3. bis 5. Lebensjahrzehnt, zunächst Wesensveränderung, Reizbarkeit, später Hyperkinesen und schwerer dementieller Abbau, Störungen der Kau- und
Sprechmuskulatur; nach 10-15 Jahren Tod durch Kachexie (Auszehrung) und interkurrente (zwischenzeitlich auftretend) Infekte
-Morbus Parkinson
Drei Leitsymptome:
•
•
•
Akinese: Verlangsamung und Verminderung der Spontan- und Willkürmotorik, Mikrographie (Frühsymptom), Hypomimie, verminderte Mitbewegung der Arme beim Gehen, kleinschrittiger schlurfender
Gang, Start- und Stopstörungen (Bewegungsabläufe können nicht oder erschwert gestartet oder abgebremst werden)
Rigor: wächserne Tonuserhöhung der Muskulatur, gebundene Körperhaltung, vornübergeneigter Oberkörper, „Zahnradphänomen“
Tremor: meist der Hände und/oder des Kopfes in Ruhe und bei affektiver Erregung, „Pillendrehen“
oder „Geldzählen“, Sistiert bei Willkürbewegungen
Weitere:
Bewegungsstörungen der rumpfnahen Muskulatur: Umdrehen im Bett, Aufstehen aus dem Sitzen, Drehung des Körpers; „freezing“: plötzliche Unbeweglichkeit; Schaukelbewegungen des Kopfes; leises Sprechen bei Verarmung der Sprache; „psychisches Kopfkissen“
Vegetativum: erhöhter Speichelfluß, Überfunktion der Talgdrüsen („Salbengesicht“), vermehrtes Schwitzen
Psyche: depressive Verstimmung, Bradyphrenie (Verlangsamung des Denkens), Dysphorie (besonders
nachts), Suizidalität durch Gefühl der Aussichtslosigkeit; dementieller Abbau wird meist durch die neurologische Symptomatik vorgetäuscht!, selten echte Demenz im Verlauf
-Creutzfeldt-Jakobsche Erkrankung (CJD)
durch übertragbares Agens (Protein, slow-virus?), aber auch familiär gehäuft; meist progrediente Demenz
mit zusätzlichen neurolgischen Symptomen wie spastische Lähmungen, Ataxie usw.; führt nach 1-2 Jahren zum Tod
10.
SUIZIDALITÄT
10.1. BEGRIFFE
Suizidale Verhaltensweisen
47
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Suizididee
Suizidversuch (SV)
Vollendeter Suizid
Erweiterter Suizid
parasuizidale Pause
Wunsch nach Ruhe, Schlafenwollen, Abschalten ohne den klaren Wunsch, sterben zu wollen
parasuizidale Geste
Appell an Mitmenschen, Arrangement des SV eröffnet Möglichkeit, gefunden zu werden
parasuizidale Handlung mit ausgeprägter Autoaggression
Intention, zu sterben; Arrangement „sicher“; Methode „hart“
Gibt es ernsthafte und nicht-ernsthafte SV?
Jeder SV ist Ausdruck einer ernsthaften (lebensbedrohlichen) Krise, wenn man auch anhand der
o.g. Kriterien SVe unterteilen kann, so darf dies nicht dazu führen, scheinbar nicht-ernsthafte SV
zu bagatellisieren.
10.2. EPIDEMIOLOGISCHE DATEN
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Unsicherheit der Daten durch methodische Probleme (Dunkelziffer...)
große Häufigkeitsunterschiede zwischen verschiedenen Ländern und Regionen
Rate (Fälle/100.000 Einwohner) zwischen 45 (Ungarn) und 0,3 (Malta) 1986
in Deutschland ca. 10.000 Suizide/Jahr
in vielen Ländern (so in Deutschland) sinkt die Suizidrate seit 25 Jahren fast stetig (in D: von ca.
18.500 im Jahr 1980 auf ca. 10.000 in 2006
Männer : Frauen = 2-3 : 1
SV-Rate ca. 10-30x höher als die der vollendeten Suizide, Frauen überwiegen
Alter: SV häufiger bei 15-34jährigen, Suizide häufiger ab 50.Lj.
Personenstand: Geschiedene>Verwitwete>Ledige>Verheiratete
soziale Situation: keine Schichtzugehörigkeit als Prädiktor, aber: Arbeitslosigkeit
Wohnort: Stadt>Land
10.3. ENTSTEHUNGSTHEORIEN
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genetisch-biologische Theorien: familiäre Häufung von Suiziden, Zwillingsforschung
soziale Theorien: Unterschiede der Suizidraten durch sozialen, religiösen, gesellschaftlichen Einfluss
psychologische Theorien: Psychoanalyse (Narzissmustheorie, Aggressionstheorie), Lerntheorie (Imitation)
10.4. KLINIK
•
•
•
präsuizidales Syndrom: Einengung, Depression, (gehemmte) Aggression, Flucht in Irrealität, Impulsdurchbruch, Ambivalenz, „Ruhe vor dem Sturm“
Depression: retrospektiv litten ca. 50% an depressiven Störungen
Aggression: hoher Skalenwert für Aggression nach innen und außen
48
•
andere psychiatrische Störungen: bei 80-100% der Suizidenten kann retrospektiv eine psychiatrische
Störung diagnostiziert werden, Reihenfolge: affektive Strg. > Suchterkrankungen > Schizophrenien >
Persönlichkeitsstörung > Neurosen
Verläufe
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10-35% erneuter SV in den ersten 2 Jahren
20-50% der durch Suizid Verstorbenen unternahmen vorher SV
80% der nach SV stationär Aufgenommenen sind nach 2-7 Tagen nicht mehr suizidal
Risikofaktoren
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psychische Störungen/Suchterkrankungen (s.o.)
Verfolgte/Minderheiten
Flüchtlinge
Straftäter
Menschen mit chronischen (unheilbaren) Erkrankungen
alte Menschen
Menschen in sozialer Not
Menschen während Partnerschaftskrisen
Menschen, in deren Umgebung ein Suizid stattfand
nach dem Tod eines nahen Angehörigen
Prävention
primär:
strukturelle Maßnahmen:
• Verbesserung der psychosozialen Bedingungen...
• closing the exits: Hausgasentgiftung, Waffengesetze
• Verbesserung der psychosozialen Versorgung
• Aufklärung der Bevölkerung
• Schulung therapeutischen Personals/der Ausbilder
sekundär:
• Aufbau flächendeckender Präventionseinrichtungen (Krisendienste, „-telefone“)
• Bessere Früherkennung und Behandlung entsprechender Disposition (medizinisch, psychosozial, gesellschaftlich)
Therapie
siehe unter „Psychiatrische Hilfsangebote“ und „Therapie psychischer Störungen“, auf die spezifischen
therapeutischen Hilfen wie Kriseninterventionsmodelle und psychotherapeutische Verfahren kann hier
nicht eingegangen werden.
Immer wieder reagieren Menschen in suizidalen Krisen erleichtert, wenn überhaupt jemand auf die Idee
kommt bzw. den Mut und die Offenheit zeigt, das Gespräch auf dieses „heikle“ Thema zu bringen. Dann
können häufig erst das Ausmaß der Krise erkannt und geeignete Hilfsangebote gesucht werden...
→ Siehe auch einschlägige Literatur im Literatur-Verzeichnis.
11.
ABHÄNGIGKEITSERKRANKUNGEN
11.1. ALLGEMEINES, BEGRIFFE
Abhängigkeit ist häufig das Ergebnis eines (mehr oder weniger scheiternden) Versuchs der Anpassung, Angstabwehr und Selbsthilfe.
49
(psychotrope) Droge
im engeren Sinne: alle Substanzen, die das Gehirn bzw. das Handeln beeinflussen (enzephalo- und psychotrope Substanzen)
Missbrauch
„schädlicher Gebrauch“ einer Substanz, der zu Folgeschäden auf körperlichem oder psychosozialem Gebiet führt (u.a. auch delinquente Handlungen)
Abhängigkeit (früher: Sucht)
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Auftreten von körperlichen Entzugserscheinungen
Toleranzveränderungen (es wird mehr oder – im späteren Verlauf – weniger Substanz „vertragen“)
Substanz wird eingesetzt, um Entzugssymptome zu mildern
Wunsch bis Zwang, die Substanz zu konsumieren
Kontrollverlust
Konsum bei „unüblichen“ Gelegenheiten (Arbeit, Straßenverkehr)
Interesseneinengung (auf Substanzkonsum)
Anhaltender Konsum wider besseres Wissen
Frage: was/wer ist „unabhängig“?
Seelische Abhängigkeit
Verlangen, eine Droge erneut zu konsumieren, ist schwer bezwingbar; Verlust der Konsumkontrolle; Versuche, sich das Mittel um jeden Preis zu beschaffen
körperliche Abhängigkeit
Anpassungszustand mit Toleranzentwicklung (zur gleichen Wirkung muss eine höhere Dosis zugeführt
werden) und Entzugserscheinungen nach Reduktion oder Absetzen der Substanz. Diese entsteht durch
eine Erhöhung der Enzymaktivitäten in der Leber und Veränderungen an den Synapsen im Gehirn.
Politoxikomanie
Die (zunehmende) Praxis, mehrere Substanzen gleichzeitig oder nacheinander zu konsumieren
Craving
Starkes bis unwiderstehliches Verlangen nach der entsprechenden Substanz
Gesellschaftliche Bedingungen
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•
Umgang mit psychotropen Substanzen bzw. davon Abhängigen ist kulturell verschieden (Bsp. Alkoholverbot in islamischen Regionen; soziale Ausgrenzung von Menschen im Vollrausch in Italien; Permission von Cannabis in NL...)
Staaten beziehen über den Verkauf von psychotropen Substanzen Steuereinnahmen
ganze Industriezweige „leben“ von der Abhängigkeit (Alkohol-, Tabak-, Pharmaindustrie)
Gesetzgebung: Abhängigkeit als Krankheit oder „Willensschwäche“; Bestrafung oder Behandlung,
seit den 1960er Jahren ist Abhängigkeit eine sozialrechtlich anerkannte Erkrankung
50
11.2. ALKOHOLKRANKHEIT
Einige epidemiologische Daten
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Deutschland liegt mit einem jährlichen pro-Kopf-Verbrauch an reinem Alkohol in der „Spitzengruppe“
der Länder (>10 l)
Der pro-Kopf-Verbrauch ist in D in den letzten 40 annähernd stabil geblieben, in den letzten Jahren
sogar leicht rückläufig (von 10,5 l in 2000 auf 10,1l in 2004)
Ca. 50% der Deutschen trinken fast 100% der Gesamtmenge, ca. 8-10% der Erwachsenen trinken nie
Alkohol
27% der 12-17jährigen geben an, bereits einen Rausch gehabt zu haben
Es gibt erhebliche regionale Unterschiede in den Trinkgewohnheiten
30-50% der Patienten stationärer psychiatrischer Krankenhäuser haben Alkohol- oder Drogenprobleme
Männer sind doppelt (bis dreimal) so häufig alkoholkrank wie Frauen
alkoholkranke Frauen sind doppelt so häufig zusätzlich medikamentenabhängig
Kinder und Jugendliche haben zunehmend häufig Alkoholprobleme
Alkoholkranke haben eine achtmal höhere Sterblichkeit (Todesursachen: Leberzirrhose, gewaltsamer
Tod)
Ca. 50% aller Verkehrsunfälle mit Personenschaden ereignen sich unter Alkoholeinwirkung der Fahrer
Ca. 40% aller Häftlinge sitzen wegen Straftaten im Zusammenhang mit Alkohol oder Drogen
Schätzzahlender Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen:
Riskanter Konsum:
10,4 Mio. Personen
Missbrauch:
1,7 Mio. Personen
Abhängigkeit:
1,7 Mio. Personen
Aktuelle Analysen zu alkoholbezogenen Gesundheitsstörungen und Todesfällen gehen von jährlich
73.714 Todesfällen durch Alkoholkonsum allein oder durch den Konsum von Tabak und Alkohol bedingt (74 %) aus. Der Anteil an alkoholbedingten Todesfällen an allen Todesfällen im Alter zwischen
35 und 65 Jahren beträgt bei Männern 25% und bei Frauen 13%.
51
Aus Kruse, 2001
Ätiologie
• genetische Disposition (chromosomal)
• soziale Vererbung (Lernen am Modell der Eltern)
• Störung der (frühen) Entwicklung (Psychoanalyse)
• soziale Bedingungen im Erwachsenenalter
• soziale Wertung (soziokulturell)
⇒⇒ multikonditionell, -faktoriell
Wirkungen des Alkohols (Ethanol C2-H5-OH) beim Menschen
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Wachheit (zunächst Aktivitätssteigerung, dann Sedierung, Einschlafen)
Sinnesorgane (Farbwahrnehmung, räumliches Sehen, Hörvermögen, Schmerzempfindlichkeit, Geruchssinn werden reduziert)
Stimmung (anxiolytisch (angstlösend), euphorisierend, extraversiv; Dysphorie, Depression, Aggressivität, Enthemmung)
Intellekt (grundsätzlich: Leistungsabnahme bei falscher Selbsteinschätzung)
Gedächtnis (neg. Beeinträchtigung vor allem des Kurzzeitgedächtnis -“black out“)
zahlreiche Wirkungen auf andere Organsysteme (Herz, Atmung, Drüsen, Harnausscheidung, Stoffwechsel, Verdauungssystem, Embryo)
52
11.2.1. DIAGNOSEKRITERIEN
ICD-10
FÜR DAS
VORLIEGEN
EINER
ALKOHOLABHÄNGIGKEIT
NACH
WENN IRGENDWANN INNERHALB DER 12 MONATE DREI ODER MEHR DER GENANNTEN
KRITERIEN VORGELEGEN HABEN
1. Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, psychotrope Substanzen zu konsumieren.
2. Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich des Beginns, der Beendigung und der Menge des
Konsums.
3. Ein körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung oder Reduktion des Konsums, nachgewiesen durch die substanzspezifischen Entzugssymptome oder durch die Aufnahme der gleichen oder einer nahe verwandten Substanz, um Entzugssymptome zu mildern oder zu vermeiden.
4. Nachweise einer Toleranz; um die ursprünglich durch niedrigere Dosen erreichten Wirkungen der psychotropen Substanz hervorzurufen, sind zunehmend höhere Dosen erforderlich
(eindeutige Beweise hierfür sind die Tagesdosen von Alkoholikern, die bei Konsumenten ohne Toleranzentwicklung zu einer schweren Beeinträchtigung oder gar zum Tode führen würden).
5. Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen zugunsten des Substanzkonsums; erhöhter Zeitaufwand, um die Substanz zu beschaffen, zu konsumieren oder
sich von den Folgen zu erholen.
6. Anhaltender Substanzkonsum trotz des Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen, wie z.
B. Leberschädigung durch exzessives Trinken, depressive Verstimmungen infolge starken
Substanzkonsums (oder drogenbedingte Verschlechterung kognitiver Funktionen); es sollte
dabei festgestellt werden, dass der Konsument sich tatsächlich über Art und Ausmaß der
schädlichen Folgen im klaren war oder dass zumindest davon auszugehen ist.
SCHÄDLICHER GEBRAUCH
Konsum psychotroper Substanzen, der zu Gesundheitsschädigung führt. Diese kann als körperliche Störung auftreten, etwa in Form einer Hepatitis nach Selbstinjektion der Substanz oder als
psychische Störung z.B. als depressive Episode durch massiven Alkoholkonsum.
11.2.2. ABHÄNGIGKEITSTYPEN UND -VERLAUF NACH JELLINEK
Alpha-Typ
„Konflikttrinker“; kein Kontrollverlust, aber undiszipliniertes Trinken; psychische Abhängigkeit (Anfälligkeit)
Beta-Typ
„Gelegenheitstrinker“; kein Kontrollverlust; soziokulturelle Abhängigkeit
Gamma-Typ
„Süchtiger Trinker, Rauschtrinker“; Kontrollverlust mit (meist) Fähigkeit zur Abstinenz; psychische (und
später) physische Abhängigkeit
53
Delta-Typ
„Spiegeltrinker“; kein Kontrollverlust, aber Unfähigkeit zur Abstinenz; physische Abhängigkeit
Epsilon-Typ
„Quartalssäufer“; phasenweise massiver Konsum (Kontrollverlust), dann wieder Abstinenz
Voralkoholische Phase (Monate bis 2 Jahre)
Alkohol hat erleichternde Wirkung, er wird immer häufiger zur Angst- und Frustrationsabwehr eingesetzt
Prodromale Phase (6 Monate bis 5 Jahre)
Black-outs („Filmrisse“); heimliches Trinken; steigende „logistische Fähigkeit“, Alkohol zu besorgen; noch
kein Kontrollverlust; keine soziale Ausgrenzung
Kritische Phase
Kontrollverlust schon nach geringen getrunkenen Mengen; Trinkexzesse mit sozialen Problemen; körperliche Entzugssymptome
Chronische Phase
morgendliches Trinken; tagelange Räusche; Entzugssyndrome (evtl. mit Delir); körperlicher Verfall mit
Alkoholintoleranz;
11.2.3. ALKOHOLBEDINGTE FOLGESCHÄDEN
Relevanz
Studien gehen – je nach methodischem Vorgehen – von einer Rate der Komorbidität von 20-98% aus.
Unterschieden werden können primäre von sekundären psychischen sowie organisch bedingte von reaktiven (psychogenen) Erkrankungen.
Bei den reaktiven und neurotischen Störungen stellt sich im Prinzip die Frage, ob sie Ursache oder Folge
der Alkoholabhängigkeit sind.
11.2.3.1.
IM ENGEREN SINNE PSYCHIATRISCHE STÖRUNGEN
Depressionen
Die Komorbiditätsraten schwanken zwischen 10 und 100%. Man kann davon ausgehen, daß 40% der in
Kliniken aufgenommenen alkoholabhängigen Patienten ein depressives Syndrom haben. Bei etwa 40%
folgt die Depression zeitlich der Abhängigkeit, bei 40% ist es umgekehrt. Angststörungen werden bei einem hohen Anteil der Patienten als vor der manifesten Abhängigkeit bestehende Störung diagnostiziert.
Andere psychische Störungen
Odds Ratio
21
7
6
4
2
2
2
Persönlichkeitsstörungen
Drogenmissbrauch
Manie
Schizophrenie
Panikstörung
Dysthymie
Major Depression
Suizidalität
54
Bei 25% aller Suizide spielt Alkohol eine ursächliche Rolle.
Man nimmt an, dass ein durch Alkohol verminderter Serotoninspiegel im Gehirn zu Impulskontrollschwäche führt und damit zu erhöhter Suizidrate und erhöhter Ernsthaftigkeit der Suizidversuche führt.
Die Suizidgefahr ist bei allen Patienten mit Substanzmittelabhängigkeit erhöht. Kommt eine zusätzliche
depressive Störung hinzu, steigt das Risiko zusätzlich.
FEUERLEIN differenziert drei Wege zum Suizid bei Alkoholkranken:
• Suizidhandlung bei unvorhersehbaren autoaggressiven Durchbrüchen
• Suizidhandlung im Zusammenhang von Entzugssymptomen („Katzenkammer“)
• „Bilanzsuizid“ angesichts der seelischen, körperlichen und sozialen Folgen der Abhängigkeit
Intoxikation
Unterscheidung des Rausches in leicht, mittel und schwer in Abhängigkeit der Symptome. Die Schwere
des Rausches hängt von der zugeführten Alkoholmenge und der individuellen Stoffwechsellage (Körpergewicht, Toleranz) ab.
Symptome
• Gehobene Stimmung, Enthemmung
• Steigerung von Antrieb und Motorik
• Dysphorie, Gereiztheit, Dysarthrie;
• St. der Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Urteilskraft und Koordination
• Störungen der Wachheit und der Orientierung
Amnesie (Blackout)
Gehören zu den häufigsten psychischen Störungen bei Alkoholabhängigen, wahrscheinlich durch rasch
ansteigende Blutalkoholkonzentration. Auch bei Gesunden im Rausch möglich.
Anterograde Störungen der Mnestik bzw. amnestische Lücken (Blackout), i.d.R. irreversibel
Alkoholhalluzinose
Seltene Störung, kann dem Delirium tremens ähneln, häufiger bei früh beginnender Abhängigkeit mit hoher Trinkmenge
Symptome
• Angst, Unruhe, Antriebssteigerung
• vorwiegend akustische Halluzinationen
• keine vegetativen Symptome, keine Orientierungsstörungen
Alkoholischer Eifersuchtswahn
Seltene Störung, fast ausschließlich Männer betroffen, nicht selten resultieren Straftaten
Symptome
• Unkorrigierbare (wahnhafte) Vorstellung der Untreue der Partnerin
• Beginn meist schleichend-fortschreitend
• Teilweise bizarre Vorstellungen (und Nachstellungen)
Verlauf
• Chronisch-progredient
Therapie und Verlauf
• Ohne Abstinenz kaum Heilungsaussicht (Psychopharmakologie und Psychotherapie ohne Abstinenz
kaum erfolgreich)
• Bei Abstinenz Remission nach Monaten bis Jahren möglich
Alkoholentzugssyndrom
55
Individuell höchst verschieden häufig und ausgestaltet Stunden bis wenige Tage nach Ende des letzten
Alkoholkonsums.
Symptome
• Übelkeit, Brechreiz, Durchfall
• Tachykardie (beschleunigter Puls), arterielle Hypertonie
• Hyperhidrosis (vermehrtes Schwitzen), Schlafstörungen; feuchte, kühle Hände und Füße
• Grand Mal (großer epileptischer Anfall), Tremor, Dysarthrie, Ataxie, innere Unruhe, Antriebssteigerung, Angst, Dysphorie, Depression, Halluzination (meist optisch), Schreckhaftigkeit,
Dauer
• 3-7 Tage
medikamentöse Behandlung
bei ca. 1/3 der Patienten nötig (Clomethiazol =Distraneurin®, Carbamazepin, Benzodiazepine, Clonidin,
evtl. Neuroleptika)
Delirium tremens
Entwickelt sich 12-24 Stunden nach dem letzten Alkoholkonsum, ausgelöst häufig durch eine somatische
Erkrankung, OP etc. Seltener kommt es zum Kontinuitätsdelir (das heißt: ohne Alkoholentzug).
Ca. 15% der Alkoholabhängigen bekommen im Verlauf ein Delirium tremens.
Zu den Symptomen des Entzugssyndroms kommen hinzu:
• 50% Beginn mit einem Grand Mal
• Orientierungsstörung (meist zeitlich, örtlich und situativ, seltener auch autopsychisch)
• Bewusstseinsminderung (nicht obligat)
• Optische Halluzinationen (Insekten, kleine Tiere)
• Illusionäre Verkennungen
• Ausgeprägte Suggestibilität
• Ausgeprägter Tremor der Hände
• Mimisches Beben
• Schwere Kreislaufdysregulation
Therapie
Intensivmedizinisch (Clomethiazol..., internistisch)
Verlauf und Prognose
Dauer: 3-10 Tage
Bei spezifischer Behandlung meist vollständige Ausheilung (behandelt: 1% letale Ausgänge, unbehandelt:
bis 30%)
11.2.3.2.
STRUKTURELLE UND FUNKTIONELLE VERÄNDERUNGEN DES NERVENSYS-
TEMS
Vorbemerkung
Auf verschiedenen Ebenen lassen sich im Verlauf von Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit strukturelle
Veränderungen feststellen.
Auf der Ebene des Gehirns kommt es bei bis zu 50% der Patienten zu einer Atrophie der Marklager und
des Großhirns. Diese Volumen- und Neuronenreduktion korreliert mit dem Ausmaß der kognitiven Leistungsminderung. Partielle sind diese Veränderungen unter Abstinenz reversibel. Es lassen sich keine spezifischen Muster der kognitiven Einbußen feststellen („mild generalized dysfunction hypothesis“), das
heißt, dass die Einbußen nicht sicher auf die Ursache rückschließen lassen.
Demenzen
56
Insgesamt eindeutig erhöhtes Risiko, eine Demenz zu entwickeln. Diese kann primär alkoholtoxisch, infolge einer WERNICKE-KORSAKOW-Enzephalopathie oder durch eine Multiinfarktdemenz bedingt sein.
Alkoholtoxische Hirnatrophie
Volumen- und Substanzverlust des Gehirns infolge chronischen Alkoholabusus‘.
Ursachen: Toxische Wirkung des Alkohols auf Nervengewebe, Mangelernährung
Symptome: Von leichten kognitiven Defiziten (ggf. zunächst nur unter Anforderung) bis zur ausgeprägten
Demenz.
Hepatische Enzephalopathie
Durch vermehrten Anfall von NH3 (Ammoniak) im Gehirn entstehende Hirnfunktionsstörung. Bei Leberzirrhose (gleich welcher Ursache) mit deutlicher Funktionsminderung.
Symptome
• Depressive Verstimmung, Affektlabilität
• Schlafumkehr mit nächtlicher Verwirrung
• Aus der motorischen Unruhe entwickelt sich eine zunehmende Apathie
• Delirantes Syndrom mit visuellen Halluzinationen
• Schwere Ataxie mit flapping Tremor (feinschlägiges Zittern der Hände)
• Vigilanzminderung bis Koma
Therapie und Verlauf
• Intensivmedizinische Behandlung
• Proteinrestriktion
• Mortalität bei Leberzerfallskoma: 80%
• Lebertransplantation
KORSAKOW-Syndrom (Amnestisches Syndrom)
Durch Vitaminmangel meist infolge Alkoholabusus‘ entstehende akute oder chronische hirnorganische
Veränderung mit charakteristischen Symptomen.
Ursachen
• Durch die neurotoxische Potenz des Alkohols und seiner Abbauprodukte kommt es zur Zerstörung
neuronaler Strukturen. Offenbar handelt es sich um einen Summationseffekt (durch Thiamin-Mangel
und Alkohol bedingte Läsionen im Kortex und Zwischenhirn).
• Seltener kommt es durch andere (primäre oder sekundäre) Hirnerkrankungen zu einem ähnlichen
chronischen Syndrom.
Häufigkeit
• Das KORSAKOW-Syndrom soll etwa 3% aller alkoholbezogenen psychischen Störungen ausmachen.
Frauen sind häufiger betroffen.
Symptome
• Akut beginnend mit Delir (s.o.) oder chronisch-progredient
• Häufig in der Folge einer Wernicke-Enzephalopathie
• Anterograde Amnesie (massive Merkfähigkeitsstörung)
• Retrograde Amnesie
• Mit Konfabulationen (Leitsymptom)
• Perseverationen
• Kritikschwäche
• Evtl. Störungen der Orientierung (zeitlich, örtlich, situativ, autopsychisch)
• Evtl. Antriebsstörungen (Apathie)
• Häufig weitere Symptome organischer Störungen durch Alkohol (Kleinhirnatrophie mit Ataxie, Polyneuropathie)
57
Verlauf
• Mehr oder weniger akut bis chronisch, häufig im Anschluß oder mit einer Wernicke-Enzephalopathie.
• Vollständige Remission ist möglich, alle Übergänge zum chronischen Verlauf oder Ausmündung in
eine Demenz.
Therapie
• Spezifisch: bei Verursachung durch Alkohol: Thiamingabe
• Allgemein: Gedächtnistraining, Orientierungshilfen, Neuropsychologie, Ergotherapie
WERNICKE-Enzephalopathie
Schwere und bedrohliche Erkrankung. Häufiger als früher angenommen (3-12% aller Alkoholabhängigen),
Frauen sind häufiger betroffen.
Ursachen
• Thiaminmangel (Vitamin B1) durch Mangelernährung und Resorptionsstörung.
• Thiaminmangel bedingt neuronale und vaskuläre Schäden (Blutungen im Gehirn, Atrophien)
Symptome
• Bewusstseinstrübung (Somnolenz bis Koma)
• Ataxie
• Augenmuskellähmungen
• Nystagmus
• Verwirrtheit
• (arterielle Hypotonie und Hypothermie)
Therapie
• Bei Verdacht: sofortige Krankenhauseinweisung
• Thiamingabe (i.v. und i.m.)
Verlauf und Prognose
• Entwicklung der Störung innerhalb weniger Tage, häufig gehen Magen-Darm-Störungen und Fieber
voraus. Seltener nach einem Delirium tremens.
• Unter der spezifischen Therapie bilden sich die neurologischen Symptome schnell zurück.
• Die Verwirrtheit kann Wochen bis Monate anhalten. Übergang zum KORSAKOW-Syndrom häufig. Der
Übergang in eine Demenz ist möglich.
• Man geht heute davon aus, dass das KORSAKOW-Syndrom die chronische Form der WERNICKEEnzephalopathie ist.
→ Beachte: Bei bekannten Alkoholkranken, die plötzlich eine Ataxie, Verwirrtheit, Vigilanzminderung und
Augenmuskellähmungen beobachtet werden, wegen der Möglichkeit des Vorliegens einer solchen lebensbedrohlichen Erkrankung einen versierten Arzt hinzuziehen oder direkt eine Krankenhauseinweisung
veranlassen.
Sensible und motorische Polyneuropathie (PNP)
Durch Mangelernährung und die toxische Wirkung des Alkohols kommt es zu einer Schädigung der peripheren Nerven.
Häufigkeit
• 20-40% der Patienten betroffen
Symptome
• Zunächst symmetrische sensible PNP (Schmerzen ⇒ burning feet, Parästhesien, Hypalgesie)
• Durchblutungsstörungen
• Später auch motorische: Gangunsicherheit, Unterschenkelparesen
• Potenzstörungen
Verlauf
58
•
•
•
Zunahme der Symptomatik bei weiterem Missbrauch
Medikamentöse und krankengymnastische Behandlung
Folgeschäden: Infektionen, schlecht heilende Ulzera (Geschwüre), fortschreitende Lähmungen
Kleinhirnatrophie
Häufigkeit
Bei 30-50% der Patienten kommt es zu Atrophien im Kleinhirn mit der Folge von Störungen der Koordination.
Symptome
• Tremor
• Dysarthrie
• Ataxie
Therapie und Verlauf
• Nur unter Abstinenz (teilweise) Rückbildung möglich, sonst schwerwiegende neurologische Dauerschäden
Hirninfarkt und Hirnblutung
Das Risiko für Alkoholabhängige ist um den Faktor 3 erhöht.
Weitere körperliche Folgewirkungen
•
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•
•
•
•
Gastritis
Malnutrition (Mangelernährung)
Leberschaden (Hepatitis, Leberzirrhose)
Pankreatitis (Bauchspeicheldrüsenentzündung, chronisch oder akut)
Polyneuropathie
Ösophagusvarizen („Krampfadern“ der Speiseröhre mit Blutungsgefahr)
Herzerkrankung (Kardiomyopathie mit Verminderung der Leistung)
arterieller Bluthochdruck
Myopathie (Muskelerkrankung mit Schwäche und Krämpfen)
Osteoporose („Knochenschwund“)
Karzinome des oberen Verdauungstraktes
Blutbildungsstörungen
Sehverschlechterungen (Nachtblindheit durch Vitamin-A-Mangel)
Hormonstörungen (Verminderung von Libido/Potenz)
Kleinhirnatrophie (Koordinationsstörungen, z.B. Ataxie)
...und psychosozial
- soziale Isolierung/Ausgrenzung
- Interessenverlust
- Arbeits-/Erwerbslosigkeit
- Wohnungslosigkeit
- Suizidalität
- Kriminalität
11.2.4. THERAPEUTISCHE ANGEBOTE
schematisch
Kontaktphase→Entgiftungsphase→Entwöhnungsphase→Nachsorgephase
59
Kontaktphase
•
•
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•
Niedergelassener Arzt u/o Beratungsstelle u/o Poliklinik u/o Selbsthilfegruppe u/o Gesundheitsamt
Diagnosestellung/ Klärung der psychosozialen Situation
Erarbeitung der Krankheitseinsicht und Therapiemotivation
Behandlungsversuche (vorläufige Abstinenz)
Entgiftungsphase
•
•
•
•
Niedergelassener Arzt, Poliklinik, Allgemeinkrankenhaus, psychiatrische Klinik, Suchtfachklinik, JVA
nur bei schweren Entzugserscheinungen stationär
2-4 Wochen
meist ohne medikamentöse Unterstützung möglich
Entwöhnungsphase
•
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ambulant oder stationär oder teilstationär
6 Wochen bis 6 Monate
Vorteil/Nachteil ambulant: kein Abbruch der psychosozialen Bezüge
Vorteil/Nachteil stationär: „totale therapeutische Atmosphäre“
vielfältiges therapeutisches Angebot, insbesondere Gruppenpsychotherapie und körperbezogene Therapie
Nachsorgephase
•
•
•
•
•
ambulant, bei schweren Verläufen Übergangsheim o.ä.
Jahre bis Jahrzehnte
Selbsthilfegruppen spielen für die langfristige Abstinenz eine wesentliche Rolle
evtl. Psychotherapie
psychosoziale Stabilisierung
Behandlungsergebnisse
30-40% der in Suchtfachkliniken behandelten Patienten bleiben über 4 Jahre abstinent (abgesehen von
kurzen Rückfällen).
Eine kleine Gruppe von Patienten (3-6%) beherrscht das „kontrollierte Trinken“, in aller Regel ist absolute
Abstinenz aber das therapeutische Ziel.
11.3. MEDIKAMENTENABHÄNGIGKEIT
„die rezeptierte, stille, weiße, vornehme Sucht“
Allgemeine Bemerkungen
•
•
•
•
•
•
hohe Dunkelziffer
mindestens 2% der Bevölkerung betroffen, Trend: Zunahme
Frauen doppelt bis dreimal so häufig betroffen
zunehmende Abhängigkeit mit dem Alter
meist von Ärzten rezeptierte Medikamente (!)
„stabile Abhängigkeit“ fällt lange auf (diagnostische Probleme)
Abhängigkeitsformen
60
•
•
•
•
•
Schmerzmittelabhängigkeit (mit/ohne Opiatanteil)
Benzodiazepin- (Tranquilizer)
LaxantienAppetithemmer-, PsychostimulantienOpiat-, Opioid-
11.4. „ILLEGALE“ DROGEN
(Stichworte)
•
•
•
•
•
ob eine Droge illegal ist, wird nach kulturellen und gesellschaftspolitischen Kriterien entschieden und
festgelegt
Regelung in Deutschland über das Betäubungsmittelgesetz (BtmG)
die Haltung gegenüber den Abhängigen wird nicht allein durch (sozial-) medizinische Erkenntnisse
bestimmt („Therapie vor Strafe“), sondern von Klischees und Stigmatisierungen mitbestimmt
das Thema illegale Drogen (-abhängige) ist häufig ein Politikum
die Drogenhilfe muss sich in erheblichem Maße mit der Kriminalisierung ihrer Klienten beschäftigen
Substanzklassen und Wirkungen
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•
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Cannabinoide (Haschisch u. Marihuana aus der Hanfpflanze)
o psychische Abhängigkeit
Halluzinogene (LSD, Meskalin, Psilocybin, Designerdrogen: DMT, DOM)
o psychische Abhängigkeit, diverse psychische und physische Komplikationen
Koka/Kokain
o (starke bis stärkste) psychische Abhängigkeit, Suizidneigung, Psychoseauslösung, gefährliche
Intoxikationen
Opiate (Heroin, Crack...)
o physische und psychische Abhängigkeit, psychosoziale Isolierung
Extacy und andere synthetische Stoffe
o psychische Abhängigkeit, akute und chronische körperliche Folgen
12.
PSYCHIATRISCHE HILFSANGEBOTE
12.1. KURZER EXKURS IN DIE GEMEINDEPSYCHIATRIE
Im Zusammenhang mit und in Folge der Psychiatriereform sind die Hilfsangebote in weiten Teilen
Deutschlands mehr oder weniger gemeindenah und mehr oder weniger sozialpsychiatrisch ausgerichtet
und angeordnet. Entlang der vier Kernforderungen der Psychiatrieenquête von 1975:
• gemeindenahe Versorgung,
• bedarfsgerechte und umfassende Versorgung aller psychisch Kranken und Behinderten,
61
•
•
Koordination aller Versorgungsdienste,
Gleichstellung von psychisch und somatisch Kranken.
Oder mit HÄFNER:
„In Gestalt von Prioritäten dargestellt, lauten sie:
• Auf- und Ausbau eines bedarfsgerechten, gemeindenahen Versorgungssystems mit ambulanten
und komplementären Diensten,
• Koordination und Zusammenarbeit innerhalb der Versorgungssysteme und Standardversorgungsgebiete,
• Aus- und Aufbau ambulanter Dienste und psychiatrischer Abteilungen an Allgemeinkrankenhäusern,
• Förderung der Aus-, Weiter- und Fortbildung,
• vorrangige Verbesserung der Versorgung psychisch kranker Kinder und Jugendlicher und Alkoholund Suchtkranker,
• Gleichstellung körperlich und seelisch Kranker in rechtlicher, finanzieller und sozialer Hinsicht."
(HÄFNER in: Aktion Psychisch Kranke, Band 27, S. 96)
Knapp und prägnant ist die Ortsbestimmung der heutigen Gemeindepsychiatrie von Reinhard PEUKERT
(Vergleiche: http://www.ibrp-online.de/gemeinde.htm ):
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GEMEINDEPSYCHIATRIE IST:
DIE PSYCHIATRIE, DIE IN DIE GEMEINDE GEHT.
DIE PSYCHIATRIE, DIE IHREN BLICK UND IHRE HILFEN FÜR DIE CHRONISCH UND "SCHWERER"
ERKRANKTEN SCHÄRFT.
DIE PSYCHIATRIE, DIE IHRE HILFEN ZU DEN MENSCHEN BRINGT, UND NICHT DIE MENSCHEN
ZU ZENTRALEN HILFEINSTITUTIONEN.
DIE PSYCHIATRIE, DIE DIE MENSCHEN DAZU BEFÄHIGEN WILL, TROTZ UND GGF. MIT IHRER
KRANKHEIT IN IHREM ANGESTAMMTEN LEBENSUMFELD LEBEN ZU KÖNNEN.
DIE PSYCHIATRIE, DIE MIT DEM SOZIALEN UMFELD (FAMILIEN, NACHBARSCHAFT) DAS UMFELD SO GESTALTEN WILL, DASS AUCH SCHWERER UND CHRONISCH PSYCHISCH KRANKE
MENSCHEN DORT LEBEN KÖNNEN.
DIE PSYCHIATRIE, WELCHE DIE ANDERSARTIGKEIT, DIE LEIDEN, KRANKHEIT UND BEHANDLUNG, MANCHMAL AUCH ANGST MACHENDES VERHALTEN IN DIE GEMEINDE (ZURÜCK)
BRINGT.
DIE PSYCHIATRIE, DIE AUCH WEHTUN KANN. IN DER GEMEINDE KANN "DAS GEFÜHL DES ALLEINSEINS UNTER TAUSEND MENSCHEN, DAS GEFÜHL UND DIE ERFAHRUNG DES AUSGESCHLOSSENWERDENS, DES ANGEFEINDETWERDENS." ENTSTEHEN. (SCHÄDLE 1986, S. 222)
DIE PSYCHIATRIE, DIE UNTER DEN AUGEN DER ÖFFENTLICHKEIT STATTFINDET. "DIE PSYCHIATRIE MUSS ALSO IN DIE GEMEINDE GEHEN, IN DIE STRAßEN UND HÄUSER, WENN SIE DEN
MENSCHEN DA HELFEN WILL, WO ES NOT TUT. ... (UND) NUR WENN DIE PSYCHIATRIE DIE SIE
BERGENDEN UND SCHÜTZENDEN MAUERN VERLÄSST, WIRD SIE AUCH DAS ODIUM DES GEHEIMNISUMWITTERTEN VERLIEREN. (SCHÄDLE 1986, S. 221)
62
Durch Landesbestimmungen, kommunale und regionale Besonderheiten unterscheiden sich die Angebote
im Einzelnen aber erheblich hinsichtlich ihrer Anordnung, Organisation und Ausstattung. So sind eine
Vielzahl unterschiedlicher Einrichtungen und Versorgungsstrukturen entstanden, die eine breite Palette
darstellen. Die Finanzierungen der Hilfen sind stark zersplittert zwischen verschiedenen Kostenträgern
und kommunalen Besonderheiten. Deshalb werden im Folgenden Beispiele genannt, die nicht überall in
Deutschland dieser Form vorhanden sein müssen.
Neuerdings werden in vielen Regionen die über die Sozialämter finanzierten Hilfen der Wiedereingliederung (SGB XII § 53ff.) durch ein formalisiertes Verfahren möglichst individuelle und bedarfsgerecht zusammengestellt und finanziert (IBRP, individuelle Behandlungs- und Rehabilitationsplanung). Demnach
werden die Hilfen dann pauschal, etwa über Bedarfgruppen o.ä. genehmigt. Darüber hinaus wird das trägerübergreifende persönliche Budget (§57 SGB XII) erprobt bzw. eingeführt.
12.2. AMBULANTE UND KOMPLEMENTÄRE GEMEINDEPSYCHIATRISCHE HILFEN
Anmerkung:
Das Attribut komplementär wurde in diesem Zusammenhang für jene Angebote benutzt, die eine stationär-psychiatrische Behandlung ersetzen können, geprägt. Im engen Sinne sind dies die betreuten Wohnformen, gelegentlich werden aber auch die tagesstrukturierenden Maßnahmen so bezeichnet.
Sozialpsychiatrische Dienste
• Angeordnet am Gesundheitsamt (in Berlin) oder durch freie Träger organisiert (in anderen Bundesländern)
• Anlaufstelle für Betroffene, Angehörige, Nachbarn, andere Institutionen
• Ärzte, Sozialarbeiter, Psychologen, Verwaltungsangestellte, Pflegekräfte arbeiten im Team
• Beratung, Vermittlung, Behandlung, Koordination, Konzeption, Begutachtung, Hoheitsfunktion (Einweisung/Unterbringung) ... „Case Management“
• Sprechstunde, Hausbesuche, Gruppenangebote, Behandlung; Beratung von Mitarbeitern in psychiatrischen Einrichtungen; Konzeption neuer Angebote in der Region; Qualitätskontrolle; Begutachtungen
für Gerichte und Kostenträger
Wohnen
• Übergangswohnheim als Einrichtung zwischen vollstationärer Behandlung und ambulanter Weiterbegleitung
• Wohnheime/Pflegeheime: psychiatrisch ausgerichtet und den Bedürfnissen schwer erkrankter Menschen angepasst oder nicht spezialisiert (Seniorenwohnheime, Pflegeheime, Stichwort „Fehlplazierung“)
• Betreutes Einzelwohnen oder therapeutische WG: Betreuung/Begleitung durch Sozialarbeiterinnen,
Krankenpflegekräfte, Psychologen, Pädagogen, „Naturtalente“ mit dem Ziel der Wiedereingliederung
und Stärkung der Selbständigkeit oder der dauerhaften Unterstützung; Betreuungsdichte mit Personalschlüsseln von 1:1 bis >1:20
• Obdachloseneinrichtungen (meist ohne spezielles Angebot für psychisch Kranke)
→ Die Finanzierung ist unterschiedlich, das betreute Wohnen hauptsächlich über SGB XII (Wiedereingliederung, § 53ff.), die Heimversorgung über SGB XII (Wiedereingliederung und/oder Hilfen zur Pflege, §61ff.) und/oder SGB XI
Psychosoziale Kontakt- und Beratungsstellen
• anonym und unverbindlich (niederschwellig)
• verbindliche (therapeutische) Beziehungen werden angeboten
• Aktivitäten (einzeln, in Gruppen)
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• individuelle Hilfsangebote in allen Lebens- und Krankheitsfragen, Hilfen bei Behördenangelegenheiten
usw.
• Vermittlung weiterer Angebote/Hilfen
• Freizeitgestaltung
• „Herzstück der komplementären Versorgung“
→ zuwendungsfinanziert (jährlich pauschale Summe über den Sozialhilfeträger)
Tagesstätten
• Hilfen zur Tagesstrukturierung und zur Krankheitsbewältigung: Beschäftigung, (Wieder-) Erlernen von
Alltagskompetenz (Kochen usw.), Ausflüge, Gruppenarbeit (Kontakt/Kommunikaton), Einzelgespräche
• Verbindlichkeit des Besuchs (für den einzelnen Besucher wird die Finanzierung für eine bestimmte Zeit
beantragt und genehmigt)
→ tagessatzfinanziert über SGB XII, § 53ff.
• Vielerorts wurden inzwischen Tageszentren aufgebaut, die die Funktionen der Tagesstätten, der Kontakt- und Beratungsstellen und des Zuverdienstes miteinander verknüpfen.
• Speziell für Demenzerkrankte: gerontopsychiatrische Tagesstätten, die auch Pflegeleistungen und
einen Hol- und Bringdienst anbieten...
Arbeit und Zuverdienst
• Gerade in den vergangenen Jahren wurden verstärkt Angebote für Beschäftigung, Arbeit und berufliche
Reintegration für psychisch kranke Menschen entwickelt.
• Werkstatt für behinderte Menschen (diese sind regional sehr unterschiedlich auf die Belange psychisch kranker Menschen eingestellt)
• Zuverdienstprojekte (handwerklich, Gastronomie, Dienstleistung, industrielle Fertigung...)
• Selbsthilfefirmen
• Ausbildungsangebote
• beschützte Arbeitsplätze
• Rehabilitation psychisch Kranker und Behinderter (RPK) umfasst medizinische und berufliche Reha
und wird von den Rentenversicherungsträgern und den gesetzlichen Krankenkassen finanziert (alternativ von den überörtlichen Sozialhilfeträgern)
Krisendienste/Psychiatrische Notdienste
• Das Angebot und die Organisation spezieller Not- und Krisendienste sind regional ausgesprochen unterschiedlich. In Berlin gibt es ein herausragendes
• multiprofessionell
• vernetzt mit anderen gemeindepsychiatrischen Einrichtungen
• Beratung (auch anonym)
• Vermittlung spezifischer Hilfen
• Psycho- und soziotherapeutische Intervention, ggf. einige Folgegespräche
• ärztlich-psychiatrischer Hintergrunddienst
• evtl. Kurzzeittherapie
Ambulante (ärztliche) Therapie
• niedergelassene NervenärztInnen, PsychiaterInnen, PsychotherapeutInnen
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• sozialpsychiatrische Schwerpunktpraxis (multiprofessionell)
• Institutsambulanz der psychiatrischen Klinik/Abteilung
Sozialstationen/ambulante Krankenpflege
• spezielle psychiatrische Krankenpflege
• somatische Krankenpflege
Selbst- und Laienhilfe
• Selbsthilfegruppen
• Angehörigengruppen
• Laienhilfe/Bürgerhilfe
• Psychoseseminare
12.3. STATIONÄRE HILFEN (PSYCHIATRISCHE KRANKENHÄUSER/ABTEILUNGEN)
Die stationäre psychiatrische Versorgung für Erwachsene ist regional sehr unterschiedlich aufgebaut. Entsprechend der Ideen der Psychiatriereform sollten die Einheiten kleine, am besten
Teile (Abteilungen) von regionalen Krankenhäusern und (damit) gemeindenah sein. Innere Spezialisierungen sind aufgrund fachlicher Vorstellungen einer differenten Behandlung unterschiedlicher Krankheitsbilder teilweise erhalten oder neu eingeführt worden, ihre Möglichkeiten und
Grenzen hängen aber schließlich auch von der Gesamtgröße der Abteilung bzw. des Krankenhauses ab.
Allgemeinpsychiatrie
Organisationsstruktur
• entweder gemeindenah in einer kleinen Abteilung an einem Allgemeinkrankenhaus oder in einer
Fachklinik (z.B. Landeskrankenhaus) „gemeindefern“ (hier evtl. mit innerer Sektorisierung nach Wohnbezirken)
• entweder mit interner Spezialisierung (Aufnahme-, Psychotherapie-, Rehabilitations-, Gerontopsychiatrie-, Sucht- usw. -station) oder als „Stationsgemeinschaft“
Akutpsychiatrie
• Aufnahme von akut psychisch erkrankten Patienten (akute Psychose, akute Suizidalität, akute Intoxikation, Erregungszustand ...)
• Modus: freiwillig oder nach PsychKG/Betreuungsrecht
Eine Patientin: „Wenn man`s nicht schon ist, muss man hier ja verrückt werden!“
Ein Pfleger: „Wenn man hier länger arbeitet, wird man selbst verrückt oder stumpft total ab!“
Ein Angehöriger: „Hier kann niemand gesund werden!“
Die Forderungen von Psychiatrieerfahrenen, Angehörigen und Profis für optimale Aufnahmebedingungen
sind einfach und nachvollziehbar
• überschaubare Größe
• Ein- u. Zweibettzimmer
• angenehme, warme Ausstattung
• Raum zum Zurückziehen
• ausreichende Sanitäranlagen
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•
•
•
•
•
•
Beschäftigungsangebote auf der Station
Möglichkeit, private Telefonate zu führen
Ausgang (wenn nötig in Begleitung)
Behandlung so kurz wie möglich
Gefahrenabwehr am Patienten orientiert
...
Modelle
• Spezialisierung nach den Erkrankungen/Symptomen (Depressionen, Schizophrenien, Suchterkrankungen, Suizidalität, geistige Behinderung...) in verschiedenen Einheiten
• Soteria („to be with“, weiches Zimmer...)
• kleine Stationsgemeinschaft ohne Spezialisierung und ohne geschlossene Tür („Herner Modell“)
Stationäre Psychotherapie
• nach der Diagnose
• nach der angewendeten Psychotherapierichtung
Stationäre Rehabilitation
• mittel- und langfristige Behandlung (kann man jahrelang stationär rehabilitieren ?!)
•
•
•
•
Ergotherapie
Arbeitstherapie
berufliche Rehabilitation
„Enthospitalisierung“, „Deinstitutionalisierung“ langfristig stationär behandelter Patienten
Stationäre Suchtbehandlung
•
•
•
•
Entgiftung
Entwöhnung
„warme Mahlzeit und ein Bett“
Rehabilitation chronisch-mehrfachgeschädigter Suchtpatienten
Gerontopsychiatrie
•
•
•
•
•
•
Spezialisierung oder Integration in Allgemeinpsychiatrie (s.o.)
Fehlplazierung (Seniorenheime, Allgemeinkrankenhäuser)
Problem der Multimorbidität (gleichzeitiges bestehen mehrerer Erkrankungen bei einer Person
Behandlungsfall vs. Pflegefall
Rehabilitation
Ökonomie (!), volkswirtschaftlich „unökonomisch“
Modell:
Gerontopsychiatrisches Verbundsystem verbindet stationäre, teilstationäre und ambulantkomplementäre Hilfen (Altenberatung, ambulanter [auch aufsuchender] Dienst, häusliche
Krankenpflege, Tagesstätte, Tagesklinik, Station, Angehörigenhilfe)
Forensische Psychiatrie
• psychisch kranke Straftäter, die für ihre Straftat vom Gericht als schuldunfähig oder vermindert schuldfähig angesehen werden (§§ 20 u. 21 StGB)
• „Maßregeln der Besserung und Sicherung“ (§§ 62-65 StGB) - Maßregelvollzug, d.h. Unterbringung in
einer geschlossenen allgemeinpsychiatrischen oder forensischen Klinik (es erfolgt eine jährliche gerichtliche Überprüfung)
• gesellschaftlicher Kontext
• Konflikte in der Umgebung forensischer Kliniken („Freigänger“)
• Zeitgeist (Strafe geht vor Behandlung?)
• Problem suchtkranker Straftäter (Gewaltdelikte, Beschaffungskriminalität)
• Problem der Nachsorge
Kinder- und Jugendpsychiatrie
66
• Stationäre und teilstationäre Behandlung psychischer Erkrankungen des Kindes und des Jugendlichen
• Verhaltensauffälligkeiten (dissoziales, delinquentes...)
• vielfach führt das Scheitern im sozialen Umfeld (Familie, Schule, Jugendhilfe) zu der „Notwendigkeit“
einer Einweisung
• zunehmend: Gewaltdelikte, Drogenmissbrauch
• KiJuPsy steht besonders im Spannungsfeld gesellschaftlicher Bedingungen (...)
Teilstationäre Behandlung (in allen genannten Bereichen)
• Tagesklinik (Behandlung, Rehabilitation): tags in der Klinik, nachts zu hause
• Nachtklinik: tags zu hause (Arbeit?), nachts in der Klinik
13.
THERAPIE PSYCHISCHER STÖRUNGEN
Vorbemerkung
Im Folgenden werden die verschiedenen Therapieansätze getrennt dargestellt, eine erfolgreiche
Therapie muss aber immer mehrdimensional sein.
Sozialpsychiatrische Behandlung sollte also immer vor dem Hintergrund des multifaktoriellen
Entstehungsgefüges psychischer Störungen mehrdimensional und multiprofessionell sein.
Zu einer (multi-) professionellen sozialpsychiatrischen Behandlung gehört immer ein Therapieplan, der individuell der Erkrankung, den Fähigkeiten und Einbußen des jeweiligen Patienten
angepasst ist und der mutig und selbstkritisch mit dem Betroffenen überprüft und ggf. verändert
werden muss.
Jede Behandlung darf nur mit Einwilligung des Patienten nach vorheriger Aufklärung erfolgen,
Ausnahmen sind über die einschlägigen Gesetze möglich!
13.1. SOMATOTHERAPEUTISCHE VERFAHREN
medikamentöse Behandlung
Psychopharmakologische Behandlung erfolgt nach dem/den „Ziel“symptome/n, also nach jenen
Symptomen, die man glaubt, mit dem Medikament positiv beeinflussen zu können und in der Regel nicht nach der Diagnose.
Neuroleptika
•
•
•
•
blockieren Neurotransmitter (Botenstoffe der Nervenzellen) u.a. Dopamin im Gehirn
haben kein Suchtpotential
erwünschte Wirkungen
- „antipsychotisch“ (bei z.B. Wahn, Halluzinationen, Denkstörungen...)
- sedierend, Schlaf anstoßend (bei z.B. Erregungszustand, Schlafstörungen...)
- emotional stabilisierend
unerwünschte Wirkungen (Auswahl)
- Bewegungsstörungen: Parkinsonoid, Früh- (Zungen-Schlund-Krampf, Blickkrampf) und Spätdyskinesien (unwillkürliche Bewegungen z.B. der mimischen Muskulatur), Akathatisie (Sitz- und Bewegungsunruhe)
- Blutdrucksenkung, Herzrhythmusstörungen
- Blutbildstörungen
- Blasen- und Darmstörungen (Harnverhalt, Obstipation)
- Gewichtszunahme
- epileptische Anfälle
67
-
Sedierung, „Leere im Kopf“, „Gefühlsleere“
Depression
Abnahme von Libido und Potenz
Photosensibilisierung der Haut
Einteilung möglich in
•
•
•
•
hochpotent (stark antipsychotisch, schwach sedierend z.B. Haldol®)
mittelpotent (beides mittelstark, z.B. Taxilan®)
niedrigpotent (kaum antipsychotisch, hauptsächlich sedierend, z.B. Neurocil®)
„atypische“ Risperdal®, Leponex®, Zyprexa®, Serdolect® usw.) haben ein deutlich geringeres Risiko
schwerer neuromuskulärer Nebenwirkungen
Indikationen entsprechend der möglichen Zielsymptome
•
•
•
•
•
Schizophrenien
Manien,
Verwirrtheitszustände,
Erregungszustände,
(eingeschränkt: Schlafstörungen),
Rezidivprophylaxe (Rückfallprophyaxe)
•
Darreichungsformen
• Tablette, Saft/Tropfen, Ampullen; Depotform (intramuskuläre Injektion wirkt, je nach Präparat bis zu 4 Wochen)
Antidepressiva
•
•
•
•
blockieren Transmittersubstanzen (u.a. Noradrenalin, Histamin, Serotonin)
haben (wahrscheinlich) kein Suchtpotential (!)
erwünschte Wirkungen
- stimmungsaufhellend, depressionslösend
- antriebssteigernd oder sedierend (s.u.)
- schmerzlindernd (analgetisch)
unerwünschte Wirkungen (Auswahl)
- Sedierung oder Antriebssteigerung (s.u.)
- Blutdrucksenkung, Herzrhythmusstörungen
- Blutbildstörungen
- Blasen- und Darmträgheit
- Gewichtszunahme
- epileptische Anfälle
- Überdosierung mit tödlichem Ausgang
- Umschlagen in manische oder schizophrene Symptomatik
- Suizidalität (!!), wenn vor der stimungsaufhellenden Wirkung die antriebssteigernde einsetzt
Einteilung möglich in
- sedierend (z.B. Saroten®)
- stabilisierend (z.B. Anafranil®)
- aktivierend (z.B. Nortrilen®)
Indikationen
•
•
•
•
•
depressive Syndrome
Panikstörung
Angststörung
Zwangserkrankung
Phobien,
68
•
Schmerzsyndrome, neurologische Erkrankungen
Neuere Substanzen, wie die selektiven Serotinin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), haben ein besseres
Verhältnis von erwünschten und unerwünschten Wirkungen (Paroxetin®, Cipramil®, Seroxat®, Tagonis®,
Zoloft®, Cpramil®). Allerdings kommt es häufig nach mehrmonatiger Einnahme zu Absetzphänomenen, die
als Entzugssyndrom bezeichnet werden müssen. Missbräuchliche Anwendung findet vor allem mit dem
Ziel der Gewichtsreduktion statt – mit häufig nicht beachteten hohen Risiken durch die unerwünschten
Wirkungen.
Phasenprophylaktika
•
•
•
•
•
Wirkungsweise komplex und unterschiedlich je nach Wirkstoff
haben kein Suchtpotential
diese Medikamente sollten über einen längeren Zeitraum genommen werden, auch wenn keine Symptome mehr spürbar sind
erwünschte Wirkungen
• Verhinderung erneuter manischer/depressiver Phasen
unerwünschte Wirkungen
• vielgestaltig, je nach Wirkstoff
• Lithium: Tremor, Gewichtszunahme, gefährliche Überdosierung
Substanzen
Lithiumsalze, Carbamazepin (Tegretal®), Valproinsäure (Convulex®, Ergenyl®)
Indikationen
Phasenprophylaxe der Zyklothymien
Tranquilizer (Tranquillanzen, Anxioloytika)
•
•
•
•
•
Stoffgruppe: vor allem Benzodiazepine
Wirkungsansatz im limbischen System
hohes Suchtpotential (Gewöhnung, Abhängigkeit)
erwünschte Wirkungen
• Spannungslösung
• Angstreduzierung
• Schlafförderung
• psychovegetative Beruhigung
• „Reizabschirmung“
• Muskelentspannung
unerwünschte Wirkungen
• Abhängigkeit
• Vernachlässigung der Krankheitsursache
• Müdigkeit, Mattigkeit, Gleichgültigkeit
• Muskelschwäche
• Einschränkung der Aufmerksamkeit und Reaktionsfähigkeit
• Schlafstörungen (!) –Störungen der Schlafarchitektur (Unterdrückung der REM-Phasen)
Indikationen
•
•
•
•
•
zur kurz- und mittelfristigen Behandlung von Spannungs- und Angststörungen (Schlafstörungen)
Mitbehandlung bei Psychosen
Entzugssyndrome
Akutbehandlung (Erregungszustand, Aggression)
als Antiepileptika und Muskelrelaxantien in der Neurologie
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Handelsnamen (u.a.)
Valium®, Faustan®, Adumbran®, Rohypnol®, Lexotanil®
Probleme
•
•
Hohe Rate des Missbrauchs
u.U. schwere Entzugssyndrome
Elektrokrampftherapie (EKT)
Mittels künstlicher Auslösung eines generalisierten epileptischen Anfalls unter kontrollierten
Bedingungen mittels elektrischer Durchflutung des Gehirns unter Narkose und medikamentöser
Muskelrelaxation (-lähmung)
Die Wirkungsweise ist unbekannt (Hypothesen).
Erwünschte Wirkungen
•
Abklingen der psychopathologischen Symptomatik nach bis dahin frustraner Therapie
unerwünschte Wirkungen
• hirnorganisches Psychosyndrom (Durchgangssyndrom) mit Amnesie, Desorientierung, Bewusstseinstrübung. In der Regel reversibel, mitunter bleiben Gedächtnisstörungen.
Indikationen
•
•
Schwere, therapieresistente Depression
akute (febrile) katatone Schizophrenie
Bemerkungen
Die EKT wird in den letzten Jahren wieder zunehmend angewandt, wobei die Indikationen ausgeweitet werden. In Deutschland wird sie nach wie vor (eher) zurückhaltend angewandt, zumal
die als verblüffend geschilderten „Erfolge“ häufig nicht anhalten. Es ist immer noch eine Haltungsfrage, ob Patienten mit dieser Art der „therapeutischen Gewalt“ die schützenden Symptome genommen werden sollen oder ob es nicht ähnliche Gewalt (nämlich Vernachlässigung) sei,
ihnen diese Methode vorzuenthalten. Insofern kann die Debatte um die EKT (in Deutschland) als
stark ideologisch aufgeladen bezeichnet werden.
Es besteht die besondere Problematik der Patientenaufklärung, gerade wenn diese in einer
schweren psychischen Krise befindlich sind und deshalb – womöglich – zu einer informierten
(bzw. qualifizierten) Zustimmung (informed consent) nicht in der Lage sind.
13.2. PSYCHOTHERAPEUTISCHE VERFAHREN
Im engeren Sinne
•
•
•
•
•
•
Psychoanalyse und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
Verhaltenstherapie (lerntheoretisch-kognitiv)
Gestalttherapie
klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie
systemische Psychotherapie (Familien-, Paartherapie)
Mischformen ...
Therapien der Körpererfahrung und -entspannung
•
•
•
•
•
Tanztherapie
autogenes Training (Autosuggestion)
Konzentrative Bewegungstherapie
Sport/Bewegungstherapie
progressive Muskelrelaxation
70
•
funktionelle Entspannung...
„non-verbale“ Therapieformen
•
•
•
•
Kunst- / Gestaltungstherapie
Musiktherapie
Erlebnistherapie
...
weitere Verfahren
• Ergotherapie
• Arbeitstherapie
• ...
13.3. SOZIOTHERAPIE
Es gibt noch keine allgemeingültige Definition für diese wichtige Arbeit. Sie geht weit über das
im SGB V und den dazugehörenden Richtlinien der Spitzenverbände für Soziotherapie hinaus
(vergleiche SGB V, §37a).
Einige Aspekte seien genannt:
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Die Betrachtung des einzelnen Menschen in seiner sozialen Situation muss einerseits Gesichtspunkt
aller in der Psychiatrie Tätigen sein, dennoch: hier liegt gerade hier ein besonderer Fokus und eine
besondere Kompetenz der Sozialarbeiter/innen (und der Heilpädagogen/innen)
Erarbeitung der aktuellen und vergangenen sozialen Situation (Sozialanamnese)
Erkennung der erhaltenen und verlorengegangenen sozialen Kompetenzen (Ressourcen)
Stärkung des individuellen Könnens und Wollens und der Krankheitsbewältigung (Empowerment)
Wiedererlernen verlorener Kompetenzen
besondere Kenntnis der rechtlichen Hintergründe (Betreuungsrecht, Schulden, Arbeitsrecht, BSHG,
SGB...) und entsprechende Beratung
Hilfe über den persönlichen Kontakt zu den Betroffenen
Hilfe durch Koordination von Hilfsleistungen (Case Management)
(Re-) Organisation des sozialen Netzwerks
Netzwerkarbeit
Mitarbeit in Gremien
Das zu fordernde Können umfasst eine Reihe zu benennender Methoden und Kompetenzen, die
hier ohne Anspruch auf Vollständigkeit aufgelistet werden:
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
angemessene Anamnese erheben und (psycho)soziale Diagnostik (bzw. Assessment) durchführen
können
professionelle Beziehungen auch unter erschwerten Bedingungen aufbauen und den Adressaten angemessen kommunizieren können
diverse klientenbezogene Methoden hinsichtlich ihrer Indikation einschätzen und anwenden können
(Beratung, Krisenintervention, Intensivbegleitung, Milieutherapie, Empowerment, Sozialtherapie)
mit Angehörigen arbeiten können
sozialraumorientierte Projekte entwickeln und steuern können
komplexe „Fälle“ analysieren und die Hilfen organisieren können (Case Management)
Angebote unterschiedlicher Art und Finanzierung vernetzen können
auf hohem fachlichen Niveau interdisziplinärer und transdisziplinär arbeiten können
Ehrenamtliche ausbilden und unterstützen können
die Arbeit dokumentieren und evaluieren können
71
•
sozialpolitisch Einfluss nehmen können.
14.
UNTERBRINGUNGSGESETZTE
In Deutschland sind zwei gesetzliche Grundlagen für die Unterbringung psychisch kranker Menschen (ohne oder gegen deren Willen) in psychiatrischen Kliniken relevant. Daneben sind die
gesetzlichen Hintergründe zur Unterbringung psychisch kranker Straftäter bedeutungsvoll – diese Zusammenhänge werden ja auch politisch und öffentlich besonders lebhaft diskutieret.
14.1. BETREUUNGSGESETZ (BTG)
- Das BtG ist Teil des BGB und damit ein Bundesgesetz.
- Es regelt alle wesentlichen Voraussetzungen und Bedingungen zur Einrichtung einer vormundschaftsgerichtlichen Betreuung (früher: Pflegschaft).
- nach der letzten Fassung (1.1.92) entfällt die Entmündigung als automatische Konsequenz der
Einrichtung einer Betreuung, da die Geschäftsfähigkeit eigens beurteilt werden muss und die
Einrichtung einer Betreuung auch ohne eine Geschäftsunfähigkeit eingerichtet werden kann.
- statt einer Vormundschaft für alle (Lebens-) Bereiche wird nun ein Betreuer für genau festzulegende Aufgabenkreise bestellt (z.B. Wohnungsangelegenheiten, Zustimmung zur Heilbehand-
72
lung, Finanzangelegenheiten, Erbschaftsangelegenheiten, Unterbringung zwecks Heilbehandlung ...).
- die Einrichtung eines „Einwilligungsvorbehaltes“ (des Betreuers!) muss eigens erfolgen, wenn
dadurch „erhebliche Gefahr für die Person oder das Vermögen des Betreuten abgewendet“ werden kann. Dieser soll insbesondere verhindern, dass der Betreute keine unsinnigen Geschäfte
tätigt (§1903).
- es sollen vor Einrichtung einer Betreuung alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, die
eine Betreuung unnötig machen können (Vollmacht usw.).
- der/die Betreuer/in soll dem Wunsch des Betroffenen entsprechen, vorzugsweise werden Familienangehörige bestellt.
Verfahren
- zuständig sind die Amtsgerichte (Vormundschaftsgerichte)
- auf Antrag des Betroffenen oder einer andern Person oder von Amtswegen leitet das AG ein
Betreuungsverfahren ein
- ein ärztliches Gutachten wird eingeholt
- der/die Betroffene wird angehört
- wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, wird vom Gericht eine Betreuung für die entsprechenden
Bereiche angeordnet, wobei die Dauer angegeben werden muss
- spätestens nach 5 Jahren müssen die Voraussetzungen der Betreuung überprüft werden
- in besonderen Fällen („Gefahr im Verzug“) kann eine Betreuung im Wege einer einstweiligen
Anordnung eingerichtet werden, es genügt ein „ärztliches Zeugnis“ und der Betroffene muss zunächst vom Gericht nicht angehört werden (max. Dauer: 6 Monate)
Voraussetzungen
§ 1896 BGB: „Kann ein Volljähriger auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht
besorgen, so bestellt das Vormundschaftsgericht auf seinen Antrag oder von Amtswegen für ihn
einen Betreuer.“
Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik nach BtR
Besteht für einen psychisch kranken (oder behinderten) Menschen eine vormundschaftsgerichtliche Betreuung mit dem Aufgabenkreis „Aufenthaltsbestimmung“, kann auf Antrag des Betreuers vom zuständigen Amtsgericht unter Hinzuziehung eines ärztlichen Gutachtens eine Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik angeordnet werden, wenn
„1. aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des
Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen
Schaden zufügt oder
2. eine Untersuchung des Gesundheitszustandes, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher
Eingriff notwendig ist, ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden
kann und der Betreute aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach
dieser Einsicht handeln kann.“ (§ 1906 BGB)
Die Genehmigung des zuständigen Amtsgerichtes kann unverzüglich nachgeholt werden, wenn
„mit dem Aufschub [der Unterbringung] Gefahr verbunden ist“.
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O.g. Vorschriften gelten auch, wenn einem Betreuten in einer Einrichtung „über einen längeren
Zeitraum“ durch mechanische Vorrichtungen (Bettgitter), Medikamente oder auf andere Weise
die Freiheit entzogen wird!
14.2. GESETZ FÜR PSYCHISCH KRANKE MENSCHEN (PSYCHKG)
Gesetze der Bundesländer, so dass es regional – zum Teil erheblich – unterschiedliche Regelungen gibt, in Berlin gilt das PsychKG vom 8.3.85, zuletzt geändert 17.3.94, dieses Gesetz wird hier
vorgestellt.
Das Gesetz regelt Hilfen, „soweit sie geeignet sind, eine Unterbringung zu verhindern sowie die
Unterbringung von psychisch kranken Erwachsenen und Jugendlichen
- § 2: „Bei allen Maßnahmen auf Grund dieses Gesetzes ist auf das Befinden des psychisch
Kranken besonders Rücksicht zu nehmen und seine Persönlichkeit zu wahren.“
- im Gegensatz zum BtR schützt das PsychKG auch bedeutende Rechtsgüter „anderer“, die durch
krankheitsbedingte Fehlhandlungen bedroht sind (s.u.)
Verfahren
Nach § 8 PsychKG können Menschen gegen oder ohne ihren Willen in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht werden, „wenn und solange sie durch ihr krankheitsbedingtes Verhalten
ihr Leben, ernsthaft ihre Gesundheit oder besonders bedeutende Rechtsgüter anderer in erheblichem Maße gefährden und diese Gefahr nicht anders abgewendet werden kann. Die fehlende
Bereitschaft, sich behandeln zu lassen, rechtfertigt für sich allein keine Unterbringung.“
Nach § 26 darf eine Unterbringung anordnen:
- die zuständigen Bezirksämter (Gesundheitsämter / Sozialpsychiatrischen Dienste)
- bei deren Verhinderung der Polizeipräsident von Berlin (Polizeiabschnitte) oder die von der Gesundheitssenatorin mit dieser hoheitlichen Gewalt beliehenen psychiatrischen Einrichtungen
(Kliniken).
Diese vorläufige behördliche Unterbringung endet mit dem folgenden Tag, wenn nicht das zuständige Amtsgericht innerhalb dieses Zeitraums auf Antrag des Bezirksamts (Amtsarzt) eine
weitere richterliche Unterbringung verfügt. Hierbei muss der Betroffene vom Gericht angehört
werden und es muss ihm im Bedarfsfall ein Rechtsbeistand gewährt werden.
Situationsbedingt finden diese Unterbringungsverhandlungen meist in den Räumen psychiatrischer Kliniken statt.
14.3. GESETZE ZUR EINGESCHRÄNKTEN SCHULDFÄHIGKEIT UND ZUR MAßREGEL
§ 20 (StGB): „Ohne Schuld handelt, wer bei Begehen der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung
(1), wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung (2) oder wegen Schwachsinns (3) oder einer anderen
seelischen Abartigkeit (4) unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.“
nach KONRAD (1997):
(1) organische und endogene Psychosen (inkl. Drogen-/alkoholbedingte); akute Intoxikation; psychische
Störungen nach Hirnerkrankungen;
(2) akute Belastungsreaktionen
(3) Intelligenzminderungen
74
(4) Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, sexuelle Deviationen (Störungen der Sexualpräferenz), Abhängigkeit, Anpassungsstörungen, posttraumatische Belastungsstörungen
§ 21 (StGB): „Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu
handeln, aus einem der in §20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann
die Strafe nach § 49, 1 abgemildert werden.“
Ì Einsichtsfähigkeit
Ì Steuerungsfähigkeit
(kann Einsicht erlangt werden über das unrecht der Tat?)
(kann nach der Einsicht gehandelt werden?)
§ 63 (StGB) „Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten
Schuldunfähigkeit begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich
ist.“
§ 64 StGB „(1) Hat jemand den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird er wegen einer rechtswidrigen Tat, die er im Rausch begangen hat oder
die auf seinen Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil seine Schuldunfähigkeit
erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an, wenn die Gefahr besteht, dass er infolge seines Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begeht.
(2) Die Anordnung unterbleibt, wenn eine Entziehungskur von vornherein aussichtslos ist.“
§ 66 Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
(1) Wird jemand wegen einer vorsätzlichen Straftat zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so ordnet das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn
1. der Täter wegen vorsätzlicher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils
zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2. er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren
Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und
Sicherung befunden hat und
3. die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen
Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt
werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, für die Allgemeinheit gefährlich ist.
(2) Hat jemand drei vorsätzliche Straftaten begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens
einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Nr. 3 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Nr. 1 und 2) anordnen.
(3) 1Wird jemand wegen eines Verbrechens oder wegen einer Straftat nach den §§ 174 bis 174c, 176,
179 Abs. 1 bis 4, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat ein Verbrechen oder eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen,
wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat,
schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Nr. 2
und 3 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. 2Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten
Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er
wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann
das Gericht unter den in Absatz 1 Nr. 3 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungs-
75
verwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Nr. 1 und 2) anordnen.
3Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.
(4) Im Sinne des Absatzes 1 Nr. 1 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. 2Ist
Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als
verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Nr. 2. 3Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr
und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind. 4In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet,
in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. 5Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb
dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine vorsätzliche Tat, in
den Fällen des Absatzes 3 eine der Straftaten der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.
15.
DIE EPILEPSIEN
15.1. ALLGEMEINES
Der Name der Erkrankung stammt aus dem Griechischen Epilambanein (plötzliches Ergriffensein), es handelt sich um eine Gruppe von Erkrankungen, denen gemeinsam ist, dass die Betroffenen wiederholt epileptische Anfälle erleiden.
Häufigkeit
Prävalenz (Stichtag): ca. 1%
Inzidenz:
ca. 50/100.000 Einwohner
Risiko, jemals einen epileptischen Anfall zu haben: ca.: 1:20, ... an Epilepsie zu erkranken: ca. 1:200. Damit sind die Epilepsien die häufigsten schweren neurologischen Erkrankungen.
Definition
Ein epileptischer Anfall entsteht durch eine ungebremste, mehr oder weniger plötzliche („exzessive“) Entladung von Hirnzellengruppen, die je nach Funktion der betreffenden Hirnregion(en) zu entsprechender
klinischer (Anfalls-) Symptomatik führt. Die protektiven Faktoren, die eine ungebremste Erregungsausbreitung verhindern, sind dann durch verschiedene Faktoren gestört oder ausgeschaltet (Krampfbereitschaft steigt, Krampfschwelle sinkt).
Von einer Epilepsie spricht man erst, wenn ein Mensch mehrere (z.B. sechs) epileptische Anfälle in den
letzten 24 Monaten hatte, sind es weniger, wird gelegentlich von Oligoepilepsie (von Oligo=wenig) gesprochen.
76
Beginn
Häufigkeitsgipfel in der (frühen) Kindheit und im späten Erwachsenenalter.
Ätiologie
•
•
•
konstitutionelle (genetische) Disposition
Hirnschädigung unterschiedlichster Genese
akute Erkrankungen des Gehirns oder anderer Organe (Tumoren, Infektionen, zerebrovaskuläre Erkrankungen, Drogen...)
• Intoxikationen (endogen oder exogen)
• Chromosomenschäden (z.B. Klinefelter-Syndrom XXY, XXXY)
• unbekannte Ursachen (idiopathisch)
⇒ meist multifaktorielles Geschehen
Auslösesituationen
Unter Auslösesituationen werden Situationen und Faktoren verstanden, die bei bestehender
Epilepsie weitere Anfälle wahrscheinlicher machen können, es sind also nicht die Ursachen für
die Epilepsie selbst.
• Schlafmangel
• Alkoholgenuss (Drogen-)
• affektiv belegte Situationen (heftige Erregungen) oder das Gegenteil („Lange-weile“, Überdruss)
• Mahlzeiten (psychomotorische Anfälle)
• Sinnesreize (z.B. Geruchs-, Geschmacksreize)
• Übergangsphasen zwischen Schlaf und Wachsein
• sehr spezifische Reize (Bsp.: Farbe „rot“, Stecknadel...)
• Medikamente (Neuroleptika!, Antidepressiva, ...)
• Fieber
• Wetter (?!)
Symptomatik
Vom „Gelegenheitsanfall“ (einzelner Anfall, meist Folge akuter Erkrankung) über die „Oligoepilepsie“
(weniger als 3 Anfälle in 6 Monaten) bis zur chronischen Epilepsie mit bis zu täglichen Anfällen.
Vom fokalen Anfall des kleinen Fingers bis zum tonisch-klonischen Anfall (Grand Mal) mit Bewusstseinsverlust.
Von Bruchteilen einer Sekunde bis zum Status epilepticus, der bis zu Wochen dauern kann.
Es gibt keine „epileptische Wesensveränderung“, vielmehr können verschiedenste psychische Symptome
auftreten, die eher mittelbar als unmittelbar Folge der Epilepsie sind.
Einteilung der epileptischen Anfälle und Epilepsien
•
•
•
•
nach der Anfallsklinik (kleiner/großer Anfall; mit/ohne Bewusstseinsverlust)
nach dem Erkrankungsbeginn (altersgebundene Epilepsiesyndrome)
nach der Ursache (symptomatisch/idiopathisch/kryptogen, Fieberkrampf)
nach dem auslösenden Moment (Entzugskrampf/Lese-/Ess-/Schreckepilepsie, Photosensibilität)
Diagnose
• klinischer Befund (genaue Anfallsanamnese)
77
•
•
•
•
•
biographische Anamnese (Familien-)
eingehende neurologische und internistische (und psychiatrische) Untersuchung
EEG (Elektroenzephalogramm)
bildgebende Verfahren: Röntgen, Cerebrale Computertomographie (CCT), Kernspintomographie (MRT)
Labor usw.
15.2. DIE WICHTIGSTEN EPILEPSIEN UND EPILEPTISCHEN SYNDROME
Wichtige altersgebundene Epilepsien
-West-Syndrom (Blitz-Nick-Salaam-Krämpfe): Beginn im Neugeborenenalter
-Lennox-Gastaut-Syndrom: Beginn im 2.-6. Lebensjahr
-Juvenile myoklonische Epilepsie (Janz-Syndrom): Beginn im 12.-16. Lebensjahr
-Absencen:
Erkrankungsbeginn meist in der Kindheit oder Jugend (2 verschiedene Verläufe: 6.-7. sowie 7.12. Lj.).
Für wenige Sekunden bis Minuten tritt plötzlich eine Bewusstseinsveränderung mit Unterbrechung der Ansprechbarkeit und Amnesie auf. Zusätzlich treten häufig tonische Symptome an
Kopf, Hals und Rumpf auf, dabei neigt sich der Kopf nach hinten und die Bulbi (Augäpfel) bewegen sich nach oben, evtl. auch klonische Komponenten z.B. der Augenlider.
In 2/3 der Absencen treten Automatismen auf (orale u.a.), auch werden Handlungen (meist fehlerhaft) fortgeführt.
Frequenz der Anfälle: häufig mehrfach täglich (5-30/Tag)
Ätiologie: meist idiopathisch
Prognose: gut, 50-80% werden anfallsfrei; mäßig, wenn große Anfälle hinzutreten.
Andere, nicht-altersgebundene Epilepsien:
- einfache fokale Anfälle (Bewusstsein erhalten)
• motorisch: „Jackson-Anfälle“: einseitig, von einer Körperstelle ausgehend und sich ausbreitend („march of convulsions“), tonisch oder tonisch-klonisch
• Adversivkrämpfe: tonische Streckung des Kopfes, der Augen, des Körpers
• somatosensibel: einseitig (Kribbeln, Lichtblitze, Klingeln)
• autonom: Schwitzen, Blässe, Erröten
• Ätiologie: bei>50% ursächliche Hirnerkrankungen auffindbar
- komplexe fokale Anfälle (psychomotorische A.)
Amnesie und allmähliches Ende des Anfalls; Symptomatik vielgestaltig: Bewusstseinstrübung/veränderung bis -verlust und Automatismen mit oralen Bewegungen, komplizierte Stereotypien
(Nesteln, Wischen, Kramen), szenische Handlungen, aphasische Störungen („speech arrest“, Dysarthrien, Sprachautomatismen), in ca. 50% zu Beginn des Anfalls Aura (vages aufsteigendes
Gefühl [Geruch, Geschmack, Übelkeit...], „dreamy state“, dêjà-vu, jamais vu..., „alles erscheint
78
anders als sonst“); Dämmerzustand mit scheinbar mehr oder weniger geordnetem Verhalten;
zum Ende des Anfalls meist Ratlosigkeit mit langsamer Reorientierung.
Ätiologie: Schädigung temporaler Hirnareale (ca. 1/3 der Fälle) oder multifaktoriell bedingt.
Prognose: relativ ungünstig im Sinne persistierender Anfälle
- Epilepsie mit tonisch-klonischen Anfällen (Grand Mal-Epilepsien)
40% aller neu diagnostizierten Epilepsien beginnen mit Grand Mal; bei 10-20% aller Epilepsien
kommen Grand Mal im Verlauf hinzu.
Entweder (50%) plötzlicher Beginn ohne Vorboten (Prodromi, Aura) mit Bewusstseinsverlust, Initialschrei, Sturz (Verletzung!), tonische Kopfdrehung und Körperhaltung, Atemstillstand, Blässe,
Zittern, klonisch-rhythmische Zuckungen, evtl. Inkontinenz, Zungenbiss, gegen Ende erneut tonische Versteifung; nach dem Anfall tiefe Röchelatmung, Desorientierung-Reorientierung, Erschöpfung, Muskelkater, Erleichterung.
Prodromi (50%): stunden- oder tagelange Vorläufer (Stimmungslabilität, Spannungssteigerung,
Angst, Konzentrationsstörungen...)
Ätiologie: symptomatisch (...) oder idiopathisch
Prognose: entsprechend der Ätiologie sehr verschieden
15.3. BEHANDLUNG DER EPILEPSIEN
Beseitigung von Auslösern
• regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus
• wenig Alkohol (kein Schnaps) und keine Drogen
• keine Über- und Unterforderung in geistiger, seelischer und körperlicher Hinsicht
• körperliche Betätigung (Sportarten, während derer ein Anfall gefährliche Folgen haben kann,
sind zu vermeiden)
• bei zusätzlichen Erkrankungen Arztkonsultation (Fieber)
• bekannte Auslösesituationen meiden (!)
• Anfall verhindernde Reize auffinden und benutzen lernen
medikamentöse Behandlung mit Antiepileptika
Nach sorgfältiger Untersuchung durch epileptologisch versierten Arzt zunächst meist Monotherapie (evtl. bis zur Nebenwirkungs“grenze“), bei Anfallspersistenz Kombinationstherapie. Ziel ist
es, durch regelmäßige Einnahme einen individuell ausreichenden Medikamentenspiegel zu erreichen und beizubehalten. (Die meisten Status epilepticus beruhen auf einer Auslassung der
Medikamente).
Substanzen: Valproinsäure, Carbamazepin, Phenytoin, Ethosuximid, Pheno-barbital, Benzodiazepine, Primidon...
Nebenwirkungen (Auswahl): vielfältig, je nach Substanz, interindividuell verschieden ausgeprägt;
z.B.: neurologische Symptome (Doppelbilder, Schwindel...), Exanthem, Blutdruckabfall, Kopfschmerz, Zahnfleischwucherungen, Müdigkeit, Übelkeit, Störungen der kardialen Reizleitung,
Verdauungsstörungen, Potenzstörungen, Haarausfall, Gewichtszunahme, allgemeine Schwäche,
Psychosen, Blutbildveränderungen...
Aus der Fülle der möglichen Nebenwirkungen ergibt sich zwangsläufig eine verständliche Skepsis der Patienten, diese über einen längeren Zeitraum einzunehmen.
79
operative Therapie
nach sorgfältiger Diagnostik und Abwägung der möglichen Risiken bei schweren Epilepsieverläufen indiziert.
Weitere Behandlungsinhalte
• Soziotherapie
• Familie
• Empowerment
• Ausbildung
• Beruf (Gefahren, Führerschein...)
• Rechtsprobleme
• Rehabilitation (ca. 3% aller Rehabilitanten sind an Epilepsie erkrankt)
• Selbsthilfegruppen
• Psychotherapie
• stützend
• kognitiv
• biofeedback
Verlauf und Prognose
Im Gegensatz zur Situation der Betroffenen noch vor 60 Jahren und entgegen der landläufigen
Meinung ist die Prognose für viele Patienten gut: 70-80% aller Patienten werden anfallsfrei, davon mehr als die Hälfte im Verlauf ohne Medikation.
•
•
•
70% anfallsfrei
• Insgesamt 50% im Verlauf ohne Medikamente
• Insgesamt 20% unter weiterer Dauermedikation
30% werden nicht anfallsfrei
• davon die Hälfte mit häufigen Anfälle
eine schlechte Prognose besteht bei
• frühem Beginn
• kombinierten Anfälle
• Hirnerkrankungen
• spätem Behandlungsbeginn
80
16.
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http://www.epilepsie-news.de/0/index.html
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