Neue Monte-Rosa-Hütte Insellösung mit

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16. Status-Seminar «Forschen und Bauen im Kontext von Energie und Umwelt»
Neue Monte-Rosa-Hütte
Insellösung mit Festlandpotential
Bild Tonatiuh Ambrosetti
Matthias Sulzer, Lauber IWISA AG, Naters, www.lauber-iwisa.ch
Urs-Peter Menti, Hochschule Luzern, Zentrum für Integrale Gebäudetechnik, www.hslu.ch
Zusammenfassung
Abstract
Résumé
Ein von Energie- und Wasserversorgung abgeschiedener Standort und ein herausforderndes
Klima bieten ein anspruchsvolles Umfeld, um sich mit Themen wie Energieeffizienz oder
Wasserhaushalt auseinander zu setzen. Die Abgeschiedenheit versetzt uns in den Zustand
auf einer Insel zu bauen und folglich mit den Ressourcen haushälterisch (d.h. nachhaltig)
umzugehen. Das Gebäude muss zur Minimierung der Versorgungsflüge dem Anspruch genügen, sich weitestgehend selbst mit Energie und Wasser zu versorgen. Das raue, hochalpine Klima und die schlechte Erreichbarkeit fordern aber erst recht auch die Entwicklung robuster Lösungen – etwas das auch für weniger abgeschiedene Standorte erstrebenswert ist.
Die Neue Monte-Rosa-Hütte ermöglicht es unter erschwerten Bedingungen innovative Konzepte zu entwickeln, umzusetzen und zu testen. Die Erkenntnisse daraus beeinflussen zukünftig die Konzepte von Gebäuden – auch an weniger anspruchsvollen Standorten.
Der erste Forschungsschwerpunkt bei der Entwicklung der Neuen Monte-Rosa-Hütte war die
konsequente Betrachtung des Gebäudes als Gesamtsystem. Als Konsequenz daraus wurden nicht primär einzelne Komponenten der Gebäudehülle, der Gebäudetechnik oder der
Energieerzeugung optimiert, sondern das Ziel war die Optimierung des Gesamtsystems unter Berücksichtigung aller Wechselwirkungen sowie Abhängigkeiten zwischen den einzelnen
Elementen.
Jedes System ist nur dann wirkungsvoll, wenn es auch beherrscht wird. Die fein aufeinander
abgestimmten Komponenten und Anlagen können ihre Wirkung als System erst dann entfalten, wenn sie entsprechend geregelt und gesteuert werden. Das Energiemanagementsystem
wird im Rahmen eines aktuell laufenden Forschungsprojektes zu einem vorausschauenden
System weiterentwickelt, in welches die Besucher- und Wetterprognosen integriert werden.
2./3. September 2010 – ETH-Zürich
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Damit können die Energiespeicher noch besser bewirtschaftet werden, die Betriebszeiten
des Blockheizkraftwerkes werden dadurch nochmals reduziert und der Autarkiegrad erhöht.
Sind bei der Neuen Monte-Rosa-Hütte für die vorausschauende Regelung die Wetter- und
Besucherprognosen von hoher Relevanz, werden es bei zukünftigen Umsetzungen im Flachland vor allem auch die Energiepreisprognosen sein, welche den Betrieb der Anlagen beeinflussen.
Der zweite Forschungsschwerpunkt ist die dezentrale Energieversorgung, wo Gebäude sowohl Energie produzieren als auch speichern und verbrauchen. Solche Gebäude werden
über aktive Stromnetze (Smart-Grids) miteinander verbunden und gleichen so den Energiebedarf untereinander möglichst aus. Die Netzstabilität, Redundanz und Restenergieversorgung von dezentral versorgten Regionen erfolgt mittels übergeordneten Netzen, in welche
Grosskraftanlagen eingebunden sind. Somit erhalten die heutigen (unidirektionalen) Netze in
Zukunft eine andere Rolle – was grosse Herausforderungen an die Regelung stellt. Solche
bi- oder multidirektionalen Netze sind prädestiniert für die Nutzung von erneuerbaren Energien, bringen somit einen grossen Teil der Wertschöpfung in die Region zurück und bieten
aufgrund der vielen kleinen Energieproduzenten eine grosse Unabhängigkeit. Die Neue Monte-Rosa-Hütte ermöglicht mit ihrer Abgeschiedenheit ein hervorragendes ‚
Höhentraining’für
die Entwicklung von dezentralen Energieversorgungen im Flachland.
Die heutige Technik in der Neuen Monte-Rosa-Hütte kostet rund 1.2 Mio Franken. Damit wird
ein Energieautarkiegrad von 90% erreicht. Geht man davon aus, dass die eingesetzten
Komponenten eine Kostenreduktionskurve von rund 50% Reduktion alle 10 Jahre durchlaufen, ergeben sich für die gleiche Anlage im Jahre 2040 Technikkosten von nur noch 150'000
Franken. Dies ist eine der Voraussetzungen für die Umsetzung der Vision ‚
dezentrale Energieversorgung’
Unter diesem Aspekt ist die Strategie ‚
dezentrale Energieversorgung’ein potentieller Weg für
eine zukünftige Energieversorgung. Ausgehend vom Einzelobjekt „Neue Monte-Rosa-Hütte“
werden wichtige Erkenntnisse für das System Gebäude, das System Quartier und das System Region gewonnen.
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16. Status-Seminar – 2./3. September 2010 – ETH-Zürich
1.
Ausgangslage
Zu ihrem 150. Geburtstag lancierte die ETH Zürich die Idee, oberhalb von Zermatt eine hinsichtlich
Architektur sowie Energie- und Wasserhaushalt einzigartige SAC-Hütte zu realisieren. Gut sechs
Jahre nach dieser ersten Idee steht nun – etwas oberhalb der alten Hütte und weit herum sichtbar
– die Neue Monte-Rosa-Hütte auf 2883 m.ü.M. Schon sehr früh wurden die Forderungen aufgestellt, dass die Hütte mindestens 90 % energieautark und jederzeit über genügend Wasser verfügen soll.
Abb. 1: Neue Monte-Rosa-Hütte (Bild: ETH Zürich, Tonatiuh Ambrosetti )
Im Stile eines Architekturwettbewerbes wurde von Studierenden der ETH Zürich die heute realisierte Architektur der Hütte entworfen – diese hat in der weiteren Planung ihr Erscheinungsbild
kaum mehr geändert, was für die Qualität des Entwurfs spricht. Von Beginn waren auch für die
Architektur die passive und aktive Nutzung der Solarenergie sowie die Minimierung der Wärmeverluste zentrale Anliegen – beides lässt sich in der heutigen Hütte an der Kompaktheit und der Fensteranordnung gut erkennen.
Mit zunehmendem Projektfortschritt beteiligten sich mehr und mehr Fachleute der ETH Zürich und
anderer Institutionen wie z.B. der Empa und der Hochschule Luzern (Zentrum für Integrale Gebäudetechnik) am Projekt, um eine professionelle Weiterführung der studentischen Entwürfe zu gewährleisten. Die Ausführung wurde schlussendlich vom Generalplanerteam Bearth&Deplazes Architekten AG Chur, architektur + bauprozess! Zürich, Architektur + Design GmbH Zermatt und
Lauber IWISA AG Naters übernommen. Wichtiger Partner im Projekt war von allem Anfang an der
SAC (Schweizer Alpen-Club), einerseits als zukünftiger Nutzer, anderseits als erfahrener Bauherr
und Betreiber von unzähligen Alpenhütten.
Das Projekt war von allem Anfang an interdisziplinär organisiert und die verschiedensten Kompetenzen engagierten sich, die komplexe Aufgabenstellung professionell anzugehen. Merkmale dieser Interdisziplinarität waren eine relativ umfangreiche Projektorganisation und ein für dieses Projektvolumen hoher Planungsaufwand – wobei letzteres vor allem auch mit der Einzigartigkeit des
Projektes zu tun hatte. Die für eine Alpenhütte hohen Baukosten von rund 6.5 Mio Franken werden
zu einem Drittel vom SAC getragen und zu zwei Dritteln von Sponsoren sowie Gönnern gedeckt.
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Die Hütte ist ein reiner Holzelementbau, basierend auf einem Fundament aus Beton und Stahl.
Auffällige Merkmale der Hütte sind die mit Aluminium verkleidete Fassade, die südseitig in die
Fassade integrierte, grossflächige Photovoltaikanlage, sowie das umlaufende Fensterband, welches den passiven Solargewinnen aber auch als Panoramafenster dient.
Im Herbst 2008 wurde das Fundament erstellt. Nach aufwändigen Schneeräumungsarbeiten im
April 2009 konnte im Mai mit dem eigentlichen Holzbau begonnen werden. Die im Tal vorfabrizierten Holzelemente wurden per Bahn und Helikopter zum Bauplatz transportiert und direkt ab Helikopter montiert. Mit einem eingespielten Team, kompetenter Planung und viel Wetterglück konnte
so die Hütte innerhalb von knapp 6 Monaten realisiert werden.
Die Hütte dient Bergsteigern als Ausgangspunkt oder Bergwanderern als Ziel ihrer Touren. Sie
bietet 120 Gästen eine Schlafgelegenheit und Platz im Restaurant. Von März bis September ist die
Hütte bewartet, im Winter ist lediglich der Winterraum zur selbständigen Nutzung offen.
1.1
Die Herausforderung
Die Neue Monte-Rosa-Hütte steht quasi auf einer Insel: Sie ist nur zu Fuss, auf Skiern oder per
Helikopter erreichbar. Eine Anbindung an eine Energieversorgung ist ebenso wenig vorhanden wie
der Anschluss an ein Wasser- oder Abwassernetz. Um die Anzahl der Versorgungsflüge per Helikopter möglichst gering zu halten, wird betreffend Wasser- und Energiehaushalt eine hohe Autarkie von 90% (ohne Kochen; mit Kochen: 60-70%) angestrebt. Dies bedeutet, dass nur 10% des
Energiebedarfs mit dem Helikopter eingeflogen werden muss.
Diese „Inselsituation“hat aber noch eine weitere Konsequenz: Es ist nicht opportun, an diesem
Standort neue Komponenten und Geräte zu erforschen oder noch nicht ausgereifte Spitzentechnologie einzusetzen, was beides mit einem hohen Betreuungsaufwand verbunden wäre. Gesucht
sind zwar effiziente, aber gleichermassen robuste und zuverlässige Komponenten. Massgebend ist
vielmehr die optimale Einbindung dieser Komponente ins System. Bei der Systemoptimierung ist
der Hebel für eine hohe Energieeffizienz bzw. Energieautarkie meist viel grösser als bei der Optimierung der Einzelkomponenten.
2.
Die Gebäudetechnik
Die Gebäudetechnik der Neuen Monte-Rosa-Hütte ist zentral bei der Erfüllung der hohen Anforderungen. Energieeffiziente Anlagen und Geräte sorgen für einen tiefen Energiebedarf. Trotzdem
stehen weniger die einzelnen Komponenten und Anlagen im Vordergrund, sondern die Optimierung des Gesamtsystems Gebäude. Dabei wurde nicht nur auf bewährte Komponenten gesetzt,
sondern Ventile und Pumpen wurden möglichst eliminiert; auf ein konventionelles Heizsystem wird
verzichtet und Luftverteilkanäle werden wo möglich weggelassen. So kann primär mit Intelligenz
statt Technik die nötige Robustheit, Zuverlässigkeit und Effizienz maximiert werden.
Abb. 2: Elektrizität
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Mittels der in die Südfassade integrierten Fotovoltaikanlage (84 m2 aktive Fläche) wird Strom erzeugt und in Batterien gespeichert. Aufgrund der Lage und der Reflexion durch den umliegenden
Schnee ist der Ertrag dieser Anlage etwa 50% höher als im Mittelland. Die Elektrizität wird für die
Beleuchtung, fürs Kochen und für den Betrieb der verschiedenen Geräte und Anlagen verwendet.
Neben dem Kochen ist vor allem die Abwasserreinigungsanlage ein grosser Elektrizitätsverbraucher. Gekocht wird mit Gas – eine Anzeige informiert den Hüttenwart, wann er aufgrund eines zu
hohen Ladezustandes der Batterien auf Strombetreib umstellen soll. Damit kann überschüssiger
Strom, welcher nicht in den Batterien gespeichert werden kann, zum Kochen verwendet werden.
Abb. 3: Wärmeversorgung
Unterhalb der Hütte an eine Felswand montierte Solarkollektoren (56 m2 aktive Fläche) gewinnen
solare Wärme und führen diese den Heizungsspeichern zu. Damit wird Warmwasser erzeugt und
die Zuluft der Lüftungsanlage erwärmt, um so die Räume zu temperieren. Die Lüftung dient gleichzeitig der Wärmeverteilung im Gebäude. Die Zuluft strömt via das Treppenhaus in die einzelnen
Räume, wird dort abgesogen und zentral über eine WRG (mit Bypass für den Sommerbetrieb) geführt. Das Warmwasser wird zum Kochen und – falls überschüssige Energie vorhanden ist – für
die vier Warmwasserduschen im Gästebereich verwendet.
Aus Sicherheitsgründen und für Perioden mit ungenügendem Energieertrag steht ein mit Rapsöl
betriebenes Blockheizkraftwerk zu Verfügung, welches im Bedarfsfall sowohl Wärme als auch
Strom produziert.
Abb. 4: Wasser / Abwasser
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Das während wenigen Monaten im Jahr anfallende Schmelzwasser wird gesammelt und in einer
Kaverne (200m3 Bruttovolumen) oberhalb der Hütte gespeichert. Die natürliche Höhendifferenz
von 40m zwischen Kaverne und Hütte sorgt für genügenden Wasserdruck so dass keine Druckerhöhungsanlage notwendig ist (Reduktion Elektrizitätsverbrauch, weniger Technik). Das dank der
Kaverne ganzjährig verfügbare Frischwasser wird zum Kochen, Waschen, Putzen und für die Körperhygiene verwendet. Das Abwasser wird in einer Mikrofilteranlage auf bakterieller Basis gereinigt, als Grauwasser für die WC-Spülung und zum Waschen wiederverwendet oder gereinigt an
die Umgebung zurück gegeben. Fliessendes Wasser und wassergespülte Toiletten sind Annehmlichkeiten, die sowohl die Gäste wie der Hüttenwart zu schätzen wissen.
3.
Gebäude als System
Die Betrachtung des Gebäudes als Gesamtsystem zeigt schnell einmal, dass es sich dabei um ein
vielschichtiges System handelt. Solche komplexe Systeme lassen sich nicht mehr so einfach erfassen, sie beinhalten unterschiedlichste Wechselwirkungen zwischen den Elementen. Wie in anderen Ingenieurwissenschaften üblich, bedient man sich auch in der Gebäudetechnik immer mehr
dem Instrument der Simulation, um solche Systeme zu modellieren und damit auch zu optimieren.
Bei der Neuen Monte-Rosa-Hütte wurde so z.B. mittels Simulation zwischen Gebäudehülle (Aufwand für Dämmung) und Gebäudetechnik (Fläche thermische Kollektoren) optimiert, um minimale
Lebenszykluskosten sowie einen minimalen Ressourceneinsatz zu erreichen.
U-Wert Gebäudehülle: 0.13 W/m2*K
U-Wert Gebäudehülle: 0.19 W/m2*K
Abb. 5: Abhängigkeit Technikeinsatz gegenüber Autarkie. Um den Autarkiegrad auf 100% zu steigern, wäre der Ressourcenaufwand unverantwortbar hoch und entspricht nicht den Grundsatzen der Nachhaltigkeit.
Ein weiteres Beispiel: Ob das eingesetzte Blockheizkraftwerk einen Wirkungsgrad von 85% oder
87% aufweist ist wichtig aber schlussendlich nicht entscheidend. Massgebend ist vielmehr die optimale Einbindung dieser Komponente ins System mit den verschiedenen Energiequellen und den
unterschiedlichen Speichermöglichkeiten. Dies immer mit dem Ziel das Blockheizkraftwerk erst als
letzte aller möglichen Massnahmen zur Energiegewinnung zu benutzen, d.h. die Laufzeit des
BHKW wird im System minimiert.
Simulationen wurden aber auch für ganz spezifische Fragestellungen eingesetzt: In den Schlafräumen strömt die Zuluft durch Türschlitze am Boden in den Raum. Es war nun wünschenswert,
die Luft direkt oberhalb der Türe abzusaugen, um die Länge der Abluftkanäle zu minimieren und
auf Luftkanäle in der Raumdecke zu verzichten (Reduktion der Deckenstärke und der Schnittstellen der vorfabrizierten Holzelemente). Mittels CFD-Simulationen (Luftströmungsberechnungen)
liess sich der Nachweis erbringen, dass mit einer leichten Verbesserung der Gebäudehülle (UWert von 0.13 auf 0.11 W/m2*K) und dem Einfluss der Abwärme der Personen eine Raumthermik
entsteht, welche sich positiv auf eine ausreichende Raumdurchspülung auswirkt.
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Abb. 6: Luftströmungssimulationen zur Überprüfung der Raumluftströmung in einem Schlafraum. Ist die Lüftung genügend effektiv?
4.
Forschungsschwerpunkt Energiemanagement
Die konkrete Umsetzung des Ansatzes der Gesamtsystembetrachtung führt unweigerlich zu einem
Energiemanagement, welches alle Komponenten miteinander verknüpft und diese so betreibt,
dass eine maximale Energieeffizienz resultiert. Je mehr Speicher ein System aufweist (hier Abwasseranlage mit Abwassertank, Wärmespeicher und Batterien), desto grösser kann der Einfluss
einer optimalen Steuerung der Anlagen sein. In der Neuen Monte-Rosa-Hütte sollen aber zukünftig
auch die Wetter- und die Besucherprognosen ins Energiemanagement integriert werden. Damit
wird eine vorausschauende Regelung realisiert (model predictive control), welche eine weitere
Effizienzsteigerung erwarten lässt. Sämtliche Parameter dieses Energiemanagements lassen sich
über einen Remote Access von der ETH Zürich oder anderen Orten aus überwachen und beeinflussen. In einem jetzt angelaufenen Forschungsprojekt der ETH Zürich in Zusammenarbeit mit
Siemens und der Hochschule Luzern (mitfinanziert vom Bundesamt für Energie) werden die entsprechenden Regelalgorithmen entwickelt, getestet und implementiert.
Abb. 7: Energiemanagement als zentrales Element einer hohen Energieeffizienz, inkl. Berücksichtigung der Besucherund Wetterprognosen
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Abb. 8: Unterschied zwischen einem konventionellen und einem intelligenten Energiemanagement: Die konventionelle
Regelung kennt nur den aktuellen Zustand des Gebäudes und der Speicher. Nach einem Wochenende mit hoher Belegung, vollem Abwassertank und halbleeren Batterien folgt eine Schlechtwetterperiode. Der Betrieb der Abwasserreinigungsanlage lässt den Batteriestand gegen Null sinken, worauf das BHKW in Betrieb genommen wird. Am darauffolgenden Wochenende sind die Batterien voll und der Abwassertank leer.
Die vorausschauende Regelung kennt die Wetter- und die Besucherprognosen: Im Wissen, dass unter der Woche wenig
Gäste die Hütte besuchen werden und in der zweiten Wochenhälfte wieder schönes Wetter vorherrschen wird, wartet
das Energiemanagement mit der Reinigung des Abwassers zu und leert die Batterien fast komplett. Am Wochenende
sind auch so die Batterien wieder voll und der Abwassertank leer – jedoch ohne dass das BHKW in Betrieb genommen
werden musste (Bild: ETH Zürich; Prof. L. Guzella, D-MAVT).
5.
Forschungsschwerpunkt dezentrale Energieversorgung
Die Energieversorgung von Gebäuden erfolgt heute durch grosse, zentrale Anlagen im In- und
Ausland. Auch fossile Energie kann als zentrale Energieversorgung betrachtet werden: Die Bereitstellung der Energie erfolgt durch wenige Ölfelder und das Öl bzw. Raffinerieprodukte davon, werden durch Pipelines und auf der Strasse zu den Verbrauchern gebracht.
Ausgehend von der Strategie, dass Gebäude zur Substitution der fossilen Energieträger vollständig elektrifiziert werden sollen [1], muss die heutige Energieversorgung überdacht werden. Das
heutige Elektrizitätsnetz wird primär als unidirektionales Netz verstanden, in welchem die Gebäude
reine Verbraucher sind. Die Netze sind in verschiedene Ebenen strukturiert, in welchen sie klar
definierte Versorgungsaufgaben übernehmen, um eine hohe Netzstabilität und Versorgungssicherheit zu garantieren.
Werden die Gebäude in Zukunft nicht einfach als Verbraucher betrachtet, sondern auch als Speicher und Produzent, übernehmen die unteren Netzebenen neue Funktionen. Energie kann von
einem Gebäude zum anderen transportiert werden, Energie kann in Gebäuden gespeichert werden und Energie kann wie herkömmlich aus einer höheren Netzebene bezogen werden. In diesem
Sinne wandelt sich das unidirektionale Netz zu einem bi- oder multidirektionalen Netz.
Die Aufgabe solcher Netze ist es sich weitestgehend selber zu versorgen. Das Gebäude (als
Verbraucher, Speicher und Produzent) versucht sich in erster Line selber zu versorgen, im gleichen Sinne wie die Neuen Monte-Rosa Hütte. Gelingt das dem Gebäude nicht, kann es Energie
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von einem Gebäude mit Überschussenergie beziehen. Ganze Quartiere bzw. Region haben das
Ziel sich bis zum nachhaltigen Grenzwert1 selbst zu versorgen. Die Restenergie und die Netzstabilität wird weiterhin durch die übergeordneten Netze sichergestellt.
elektrische & thermische
Vernetzung
Übergeordnetes Netz: Netzstabilität & Redundanz
Abb. 9: Schematische Darstellung eines regionalen Netzes, mit dezentraler Energieversorgung
Analog können sich die Gebäude nicht nur elektrisch sondern auch thermisch vernetzen. Abwärme
aus einem Gebäude kann als Quelle für die Warmwasseraufbereitung im Nachbargebäude genutzt
werden. Solche thermische Netze (Anergienetze) werden auf tiefen Temperaturen (von 5-18°C)
betreiben und können überschüssige Energie an Erdwärmespeicher abgeben [2].
Der Nutzen von solchen regionalen, selbstversorgenden Netzen ist die effektive Einbindung einer
regionalen Energieproduktion. Heute speisen wir stochastische Energie aus Photovoltaik in die
Netze ein (wenn sie anfällt) und beziehen diese Energie aus dem Netz (wenn wir diese brauchen).
Die Herausforderung der Energieversorgung ist nicht die Bereitstellung der Jahresenergiemenge
zu einem beliebigen Zeitpunkt („Tankfüllung“), sondern die Bereitstellung der geforderten Energiemenge zum Zeitpunkt ‚
X’
. Um dies zu garantieren braucht es Speicher, welche durch die einzelnen Gebäude bereitgestellt und vernetzt zu wirkungsvollen Systemen werden.
Die Neue Monte-Rosa Hütte als Verbraucher, Speicher und Produzent stellt ein gutes Trainingsgerät dar, um solche selbstversorgenden Gebäude besser zu verstehen, Probleme der Selbstversorgung zu erkennen und nach geeigneten Lösungen zu suchen. Verstehend wir die Selbstversorgung an Gebäuden, erlaubt es uns Quartiere und Regionen mit einem sinnvollen, nachhaltigen
Selbstversorgungsgrad zu bauen und die dezentrale Energieversorgung umzusetzen.
Einen der wichtigsten Treiber für die dezentrale Energieversorgung ist der Preis für die notwendige
Technik. Die Technik der Neue Monte-Rosa-Hütte kostete rund CHF 1.2 Mio. Unter der Annahme,
dass sich die Technikkosten alle 10 Jahre halbieren [3], würde diese Technik im Jahre 2040 noch
CHF 150'000.- kosten. Eine solche Kostenkurve macht die dezentrale Energieversorgung wirtschaftlich.
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Grenzwert, bei dem der Nutzen (regionale Wertschöpfung, Energieeffizinz, CO2-Reduktion, etc.) die Kosten
(Ressourceneinsatz, Wirtschaftlichkeit, etc.) noch übertrifft
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6.
Nutzen für andere Objekte
Oft wird die Frage gestellt, ob es legitim ist, an einem so extremen, speziellen Standort Forschung
zu betreiben oder neue Lösungen bzw. neue Lösungsansätze auszuprobieren. Forschung bedeutet aber immer, an die Grenzen des Möglichen zu gehen, um neue Ansätze zu entwickeln. Ohne
diese Herausforderung bleibt die Forschung ohne Ergebnis. Gleichzeitig darf dadurch aber das
Projekt und der eigentliche Zweck einer SAC-Hütte nicht gefährdet oder tangiert werden. Diese
Gratwanderung zwischen Forschung (Fortschritt) und Standard (Robustheit) galt es in diesem Projekt zu meistern. Die Erkenntnisse aus dem ganzen Projekt – und vor allem aber auch aus dem
jetzt laufenden Forschungsprojekt sowie der Ansatz, das Gebäude als Gesamtsystem zu betrachten und zu optimieren – haben grosse Chance, auch bei Objekten im Flachland nutzbringend umgesetzt werden zu können. Die Neue Monte-Rosa-Hütte ist zwar eine Insellösung, aber durchaus
mit Festlandpotenzial.
7.
Literatur/Referenzen
[1]
Denk-Schrift Energie - Energie effizient nutzen und wandeln, Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung in der Schweiz, Akademien der Wissenschaften Schweiz, 2007
[2]
Energiekonzept ETH Zürich, Hönggerberg, 2009 (www.ethz.ch)
[3]
Preisindex Solarmodule, Quelle: www.pvXchange.com
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