Entdeckungen unter der Schädeldecke Jean-Marc Fritschy Institut für Pharmakologie und Toxikologie Inhalt 1. 2. 3. 4. 5. 6. GFP, das Wunderprotein Die Nervenzellen bei der Arbeit beobachten Nervenzellen mit Licht stimulieren Gedanken sichtbar machen Die “Plastizität” des Gehirns Auf der Spur von neugeborenen Zellen Einige Definitionen • Neuron = Nervenzelle • Synapse: Kontaktstelle zwischen Neuronen, wo Information weitergeleitet wird • Die synaptische Übertragung erfolgt über die Freisetzung eines Botenstoffes, welcher elektrische und biochemische Signale in der Zielzelle auslöst – Elektrische Signale entstehen über den Fluss von positivoder negativ-geladenen Ionen (z.B. Natrium, Calcium, Chlorid) durch sogenannte Ionenkanäle in der Zellmembran – Biochemische Signale entsprechen der Aktivierung von intrazellulären Enzymen • Neuron bestehen aus drei Teilen: der Zellkörper, die Dendriten, welche Synapsen bekommen, und das Axon, welches Synapsen macht Ein Neuron im Reagenzglas Rot: Zellkörper und Dendriten Grün: Axon und viele Synapsen Zwei Kernzahlen 1 mm3 graue Substanz im Gehirn enthält: 50’000 Neurone und 800’000’000 Synapsen 0.01 mm Synapsen im Raster-Elektronen-Mikroskop 0.001 mm 1. GFP, ein Wunderprotein „Green Fluorescent Protein“ aus der Medusa Aequorea victoria Proteine (Eiweisse) sind in den Genen codiert; Gene kann man miteinander fusionieren; die Fusion des GFP-Gens mit dem Gen eines ausgewählten Proteins macht dieses Protein im Organismus sichtbar Durch Mutationen kann man die Eigenschaften von GFP verändern (Farbe, pHAbhängigkeit, Stabilität, usw.) Der Chemie-Nobelpreis 2008 wurde an Osamu Shimomura, Martin Chalfie und Roger Y. Tsien für die Entdeckung und Entwicklung von GFP verliehen GFP-positive Neurone im Fluoreszenzmikroskop beobachten Zwei-dimensionale Darstellung 0.01 mm Drei-dimensionale Darstellung 0.02 mm Mehrfarbig GFP-markierte Neurone („brainbow“) 2. Die Neuronen bei der Arbeit beobachten • Calcium-Einfluss in aktiven Neuronen kann mittels “genetisch-codierten” CalciumIndikatoren gesichtet und gemessen werden • Ähnlich wie GFP sind diese Indikatoren fluoreszente Proteine; ihre LichtemissionsEigenschaften ändern sich mit der intrazellulären Calcium-Konzentration Nicht-invasive Stimulation von neuronalen Schaltkreisen 3. Optogenetik: Nervenzellen mit Licht stimulieren • Gewisse Bakterien enthalten UV-Licht-empfindliche Ionenkanäle (“channelrhodopsin”) • Wenn man diese Kanäle in Neuronen gentechnisch einführt, kann man mit UV-Licht einen Ionenfluss durch das „channelrhodopsin“ erzeugen, welcher das Neuron stimuliert • Der Lichtstrahl stimuliert selektiv nur die Neurone, die das „channelrhodopsin“ enthalten Beispiel Zukunftsperspektiven • Tragbare “Mini”-Mikroskope erlauben die Registrierung der neuronalen Aktivität im wachen Tier • Eine Vielfalt von genetisch-codierten Indikatoren messen ausgewählte biochemische Prozesse in einzelnen Neuronen • Die Optogenetik ist nicht nur ein vielversprechendes Forschungswerkzeug, sondern auch ein potentieller therapeutischer Ansatz zur Korrektur der Hirnaktivität infolge Läsion oder Degeneration 4. Gedanken “sichtbar” machen Stichwort: Funktionelle Magnetresonanz-Tomographie Muster der Hirnaktivität (gelb-orange) wenn wir an “nichts” denken Gefühle teilen 5. Die Plastizität des Gehirns Aktivitätsabhängige Änderungen der Struktur von Dendriten Bedeutung der Hirn-Plastizität • Die Fähigkeit des Gehirns, seine Struktur und Funktion stets anzupassen, ist die Grundlage von Lernen und Gedächtnis • Diese Fähigkeit ist grösser im jungen Alter, aber bleibt das Leben lang erhalten • Da das Lernen die Struktur vom Gehirn ändert, kann man verlorene Funktionen nach Läsion (z.B. Hirnschlag) durch Änderungen von synaptischen Schaltkreisen zurückgewinnen. Dafür braucht es aber geeignete Übungen (Neurorehabilitation) 6. Auf der Spur von neugeborenen Neuronen • Alle Zellen im Körper entstehen aus Vorläuferzellen (Stammzellen), die sich teilen und differenzieren (z.B. während einer Wundheilung) • Lange hat man geglaubt, dass es im adulten Gehirn keine Vorläuferzellen gibt und deshalb Neuronen nicht ersetzt werden können • Genauere Untersuchungen zu Beginn der ’90-Jahre haben Vorläuferzellen in zwei bestimmten Gebieten entdeckt und gezeigt, dass sie sich in neuen Neuronen entwickeln können • Dieses Phänomen der “adulten Neurogenese” wurde vor allem im Tiermodell untersucht Methodik Injektion eines GFP-Virus Bulbus olfaktorius Migrationsweg der neugeborenen Zellen 7 Tage später... Bedeutung der adulten Neurogenese • Die neugeborenen Zellen sind funktionsfähig und werden in vorhandenen Schaltkreisen integriert • Diese strukturelle Anpassung ist eine zusätzliche Komponente der Plastizität des Gehirns • Durch Gewinnung und Differenzierung von neuronalen Vorläuferzellen im Reagenzglas ist eine neuronale Ersatztherapie bei degenerativen Erkrankungen prinzipiell denkbar. Zur praktischen Entwicklung einer solchen Therapie müssen aber noch viele Hürden beseitigt werden Allgemeine Schlussfolgerungen • Fortschritte in der Hirnforschung gehen Hand in Hand mit technischer Innovation und Entwicklung • Tierversuche sind unerlässlich zur Exploration der Struktur und Funktion des Gehirns • Molekulare und zelluläre Vorgänge im Gehirn können in vivo mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung eruiert werden • Gefühle, denken, planen, erinnern (und vergessen) entstehen durch die Aktivität zahlreicher Neuronen und hinterlassen Spuren durch Veränderungen von synaptischen Verbindungen • Folglich sind die Ursachen von neurologischen und psychischen Krankheiten in Veränderungen der Hirnstruktur und Funktion zu finden (und zu beheben!)