DFG-PROJEKT Ars disputandi

Werbung
1
DFG-PROJEKT
Ars disputandi: Studien zur kommunikativen Praxis frühneuzeitlicher Diplomaten auf dem Westfälischen Friedenskongress 16431649
Antragsteller/Bearbeiter: Peter Arnold HEUSER
Beginn: 1. Januar 2012
Beginn 3. Förderjahr: 1. Januar 2014.
Abschluss: 15. Mai 2015.
A. ZUM PROJEKT
http://www.paheuser.de/DFG-Projekt
http://www.igw.uni-bonn.de/-1/fruehe-neuzeit/forschung/forschung#Ars_dispu
http://gepris.dfg.de/gepris/OCTOPUS/;jsessionid=37DD5E4F3E5C3CF050CA0E2D5A6178
C5?module=gepris&task=showDetail&context=projekt&id=202328279
B. VORSTUDIEN
•
POLITISCHE DRUCKPUBLIZISTIK IM KOMMUNIKATIVEN VERDICHTUNGSRAUM DES WESTFÄLISCHEN FRIEDENSKONGRESSES (16431649)
ACTA PACIS WESTPHALICAE II B 8 = Die französischen Korrespondenzen, Bd. 8 (Februar-Mai 1648), bearb. von Peter Arnold HEUSER unter Mithilfe von Rita BOHLEN, Münster 2011 (ACTA PACIS WESTPHALICAE, hg. von der NordrheinWestfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste in Verbindung
mit der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V. durch Konrad REPGEN und Maximilian LANZINNER, Serie II, Abt. B, Bd. 8), CX + 942 S.
Peter Arnold HEUSER, Bayern in der Pariser „Gazette“ zur Zeit des Westfälischen
Friedenskongresses, in: Rainer BABEL, Guido BRAUN, Thomas NICKLAS
(Hgg.),
Bourbon
und
Wittelsbach.
Neuere
Forschungen
zur
Dynastiengeschichte, Münster 2010 (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der neueren Geschichte e.V., Bd. 33), S. 327-361.
Peter Arnold HEUSER, Französische Korrespondenzen beim Westfälischen Friedenskongress als Quellen zur politischen Publizistik, in: Maria-Elisabeth BRUNERT,
Maximilian LANZINNER (Hgg.), Diplomatie, Medien, Rezeption. Aus der editorischen Arbeit an den „Acta Pacis Westphalicae“, Münster 2010 (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der neueren Geschichte e.V., Bd. 32), S.
55-140.
Peter Arnold HEUSER, „Ars disputandi“: Kunst und Kultur des Streitens frühneuzeitlicher Diplomaten als Aufgabenfeld einer historischen Friedens- und Konfliktforschung. Prolegomena am Beispiel des Westfälischen Friedenskongresses
1643-1649, in: Uwe BAUMANN, Arnold BECKER, Astrid STEINER-WEBER
(Hgg.), Streitkultur. Okzidentale Traditionen des Streitens in Literatur, Geschichte und Kunst, Göttingen 2008 (Super alta perennis. Studien zur Wirkung
der Klassischen Antike, Bd. 2), S. 265-315.
2
•
POLITISCHE FLUGSCHRIFTENPUBLIZISTIK IN DER FRÜHEN NEUZEIT
Peter Arnold HEUSER, Kaspar Schetz von Grobbendonk oder Pedro Ximénez? Studien
zum historischen Ort des „Dialogus de pace“ (Köln und Antwerpen 1579), in:
Guido BRAUN, Arno STROHMEYER (Hg.), Frieden und Friedenssicherung in der
Frühen Neuzeit. Das Heilige Römische Reich und Europa. Festschrift für Maximilian Lanzinner, Münster 2013 (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte, Bd. 36), S. 387-411.
Peter Arnold HEUSER, „Tabula asinaria, inscitiae saeculi vivum exemplum“ (Köln
1582 und 1612). Zur historischen Verortung eines zeitkritischen illustrierten
Flugblattes, in: RHEINISCHE VIERTELJAHRSBLÄTTER 76 (2012), S. 123-151.
C. PUBLIKATION DER ERGEBNISSE
I. Monografie:
Peter Arnold HEUSER, Diplomaten als politische Publizisten. Druckmedien als Instrumente
französischer Politik im Umfeld des Westfälischen Friedenskongresses 1643-1649. Eine Studie zur politischen Kommunikation in der Vormoderne [Umfang: ca. 750 S.; Abschluss der
Druckvorlage Bonn 15. Mai 2015].
Zum Inhalt: Im „Mediensystem der politischen Publizistik“ (Arndt/Körber 2010, S. 6), das
sich in den Jahrhunderten der Frühen Neuzeit entfaltete, waren Politiker und Diplomaten, die
zur Zeit des Westfälischen Friedenskongresses (1643-1649) aktiv waren, des größten weltlichen Gesandtenkongresses der europäischen Frühneuzeit, keineswegs „systemfremde Interessenten“ (ebd., S. 7), sondern waren als Teil dieses Mediensystems publizistische Akteure von
Gewicht. Die Kongressakten, vor allem die Kongresskorrespondenzen, die das
Akademienprojekt der Acta Pacis Westphalicae in jahrzehntelanger geschichtswissenschaftlicher Grundlagenforschung aus Archiven und Bibliotheken in ganz Europa zusammengetragen
und zu einem Teil auch in einer 46bändigen Auswahledition vorgelegt hat, dokumentieren
einen facettenreichen Metadiskurs, den politisch-diplomatische Akteure über Angelegenheiten politischer Druckpublizistik führten: Thema dieses Diskurses war die eigene Publizistik
ebenso wie die Druckpublizistik konkurrierender, ja gegnerischer Kongressmächte. Kongressgesandte, deren Mitarbeiter und deren politische Bezugspersonen an den Entsenderhöfen
sowie in den Regierungen der Entsendermächte waren kongressbegleitend nicht allein als
Korrespondenten für das junge Druckmedium der periodischen Zeitungen tätig, die in der
ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstanden, sondern nutzten diese auch für eine gezielte
politische Publizistik. Und ein Großteil der Flugblätter und Flugschriften, die kongressbegleitend in Europa gedruckt wurden und zum Teil veritable Flugschriftenkriege generierten, lässt
sich anhand der Kongressquellen der Feder bestimmter Kongressdiplomaten oder ihrer direkten politischen Bezugspersonen zuweisen. Identifizierbare Politiker und Kongressdiplomaten
vermittelten nicht allein einen Großteil der Dokumentendrucke, die kongressbegleitend erschienen, sondern sie waren auch die Autoren, die Auftraggeber oder die Vermittler eines
Großteils der anonymen politischen Streitschriften, die im Umfeld des Kongresses erschienen.
Auch die anonymen Streitschriften, die den Kongress begleiteten, erweisen sich im Licht der
Kongressquellen zu einem Teil als regierungsamtlich autorisierte Staatsschriften, zu einem
anderen Teil als politische Parteischriften; als Drucke, die auf das Betreiben einer identifizierbaren politischen Faktion entstanden und in Umlauf gebracht wurden.
3
Die Studie ist aus Gründen der Arbeitsökonomie perspektivisch angelegt. Sie nutzt die Aktenüberlieferung einer der großen Kongressparteien, um eine Schneise in die Textmassen zu
publizistischen Betreffen zu schlagen, die der Westfälische Friedenskongress in europäischen
Archiven und Bibliotheken hinterlassen hat. Ausgangspunkt und Zentrum der Untersuchung
sind die außenpolitischen Akten der französischen Regierung der 1640er Jahre, darunter die
Akten der französischen Kongressbotschaft in Münster und Osnabrück. Diese Archivalien
enthalten reiche Informationen über die druckpublizistischen Aktivitäten und Praktiken französischer Politiker und Diplomaten im Umfeld des großen Friedenskongresses, bieten somit
eine detailscharfe Innenperspektive zur französischen Publizistik via Druckmedien. Darüber
hinaus geben die französischen Kongressakten reiche Hinweise auf publizistische Praktiken
anderer Kongressparteien: teils auf Aktivitäten, die der Historiker tatsächlich nachweisen
kann, teils auf Aktivitäten, welche französische Akteure auf Seiten anderer Kongressparteien
vermuteten. Die französischen Kongressakten bieten somit eine wertvolle Sicht über die eigene Kongressgesandtschaft hinaus: auf angebliche wie auf tatsächliche publizistische Praktiken
anderer Kongressparteien, die für die französischen Akteure zweifelsfrei belegbar waren. Die
französischen Botschaftsakten dokumentieren Annahmen und Beobachtungen französischer
Politiker und Diplomaten zur Druckpublizistik anderer Gesandtschaften, deren Stichhaltigkeit
sich anhand anderer Quellenserien vom Westfälischen Friedenskongress überprüfen lässt. Die
akteurszentrierte, perspektivische Untersuchung auf Basis der französischen Regierungs- und
Kongressakten zielt damit über die französische Kongressbotschaft hinaus auf eine Bestimmung des Stellenwertes, den eine politische Publizistik, die sich periodischer und nichtperiodischer Druckmedien bediente, innerhalb der komplexen kommunikativen Prozesse auf dem
Westfälischen Friedenskongress und in seinem Umfeld hatte.
Teil I der Studie „Die französische Kongresspolitik und die Gazetten Europas“ studiert eingangs die pressepolitischen Grundannahmen und Erwartungen, mit denen die französischen
Gesandten auf dem Friedenskongress in Westfalen eintrafen. Eine umfangreiche Kapitelfolge
gilt der Pariser Gazette als einem Zentralort der kongressbezogenen und kongressbegleitenden
politischen Publizistik französischer Akteure. Gegenstand der Untersuchung sind: die Kriterien, welche die Wahl des publizistischen Mediums (Zeitung oder Flugschrift) beeinflussten,
die Identifizierung publizistischer Akteure, die Formen der Einflussnahme, die diese praktizierten (inhaltlich, rhetorisch und stilistisch), sowie die publizistischen Ziele, die sie verfolgten. Auf diesen Befunden aufbauend, fragt die Studie, ob sich die politisch-publizistischen
Eingriffe in die Berichterstattung der Pariser Gazette bereits im Umfeld des großen Friedenskongresses zu einer redaktionellen Linie der Wochenzeitung verdichteten. Ein weiterer Untersuchungsschwerpunkt gilt den Annahmen und Beobachtungen, die französische Politiker und
Diplomaten zur politischen Publizistik anderer Mächte in Gazetten außerhalb des französischen Machtbereichs äußerten, sowie der Überprüfung und Einordnung dieser Quellenbefunde, die anhand von Fallstudien zu den Gazetten von Köln, Antwerpen, Brüssel und Amsterdam vorgenommen wird.
Teil II der Studie „Die Flugschrift als Medium der französischen Kongresspolitik“ präsentiert
eingangs einen Disput über die Grenzen des Schicklichen in der Flugschriftenpublizistik, der
im Frühjahr 1648 zwischen dem französischen Sonderbotschafter in Den Haag, La Thuillerie,
einerseits, dem Kardinalpremier Jules Mazarin und seinen beiden Vertrauten Hugues de
Lionne und Abel Servien andererseits ausbrach. Anschließend untersucht eine Kapitelfolge
die Flugschriftenpublizistik mit Bezug auf die französisch-niederländische Allianz und die
Gefahr eines spanisch-niederländischen Separatfriedens, die der französische Kongressgesandte Abel Servien zwischen 1644 und 1649 entfaltete. Ein weiteres Hauptkapitel studiert
die Italienpolitik Mazarins im Herbst 1647 und 1648 ausgehend von einer anonymen Flug-
4
schrift, die anhand der politischen Korrespondenzakten des französischen Außenministeriums
der Feder Mazarins und Lionnes zugewiesen werden kann und die einen hochinteressanten
Entwurf für eine künftige Herrschaftsordnung im Herzogtum Mailand und im Königreich
Neapel propagiert. Weitere Kapitel gelten den Flugschriftenkriegen, die sich französische und
spanische Diplomaten im Umfeld des Kongresses lieferten, sowie dem französischhabsburgischen Flugschriftenstreit der Jahre 1644 und 1645 um die Zulassung der Reichsstände zum Friedenskongress. Abschließend nimmt Teil II der Studie auch die botschaftsinterne Ebene in den Blick, wo der Konkurrenzkonflikt der beiden französischen Gesandten
d’Avaux und Servien auch im Medium der Flugschrift ausgetragen wurde.
Die Druckpublizistik mit Bezug auf die Friedensverhandlungen, die Akteure auf dem Kongress und ihre politischen Bezugspersonen in den Entsender- oder in Drittstaaten schufen,
umfasst ein breites Spektrum von Texten ganz unterschiedlichen Umfangs und einer ganz
unterschiedlichen kommunikativen Gestaltung. Anonyme Streitschriften, Pamphlete und Invektiven von zum Teil buchartigem Umfang, deren Urheber sich auf Basis der Kongressquellen identifizieren lassen, stehen neben namentlich gekennzeichneten, personell und politisch
zurechenbaren Flugschriften, die zum Teil ebenfalls einen erheblichen Umfang erreichten:
teils handelt es sich um „offene Briefe“ politischer Akteure, teils um Drucke von Verhandlungsakten, von Ansprachen oder Korrespondenzen, die um ein verhandlungsrelevantes Themenfeld kreisen. Periodische Zeitungen enthielten Meldungen und Artikel, die sich in toto als
Texte aus der Feder von Kongressdiplomaten oder ihren Bezugspersonen an den
Entsenderhöfen identifizieren lassen, enthielten außerdem zahlreiche Zeitungsmeldungen mit
Inhalten oder formal-stilistischen Details, die ihre Existenz nach Ausweis der Kongressquellen gleichfalls der Einflussnahme politisch-diplomatischer Akteure verdanken. Die einschlägige Druckpublizistik dokumentiert in der Wahl der Textform, in der rhetorisch-stilistischen
Gestaltung der Texte sowie mit Blick auf die Textinhalte, wie die identifizierbaren publizistischen Akteure im Umfeld des Kongresses ihr auf die Classical Tradition gegründetes Bildungsprofil taktisch und strategisch in den Dienst ihrer jeweils aktuellen kommunikativen
Absichten stellten.
Teil III der Studie bestimmt unter dem Titel „Politische Publizistik und die Classical Tradition im Umfeld des Westfälischen Friedenskongresses“ sowie auf Basis der Untersuchungsergebnisse von Teil I und Teil II den Stellenwert, den die Classical Tradition für die kongressbezogene Druckpublizistik frühneuzeitlicher Politiker hatte: als Reservoir für Inhalte und
Exempel, als Vorbild für die Formgebung und für die stilistisch-rhetorische Anlage publizistischer Texte. Ein besonderes Interesse gilt der Sicherung von Befunden zu den Vorbildern
politischer Sprach- und Argumentationskunst, denen sich die Hauptakteure der untersuchten
Druckpublizistik verpflichtet fühlten. So orientierte sich Abel Servien stark an der politischen
Brief- und Argumentationskunst des Arnauld d’Ossat (1537-1604). Sein Konkurrent d’Avaux
war ebenso wie mehrere Publizisten in dessen Gefolge (etwa François Ogier) fest in der Schule des neulateinischen Rhetorikers Nicolas Bourbon (1574-1644) verankert. Eine vergleichende Analyse des literarischen und künstlerischen Mäzenatentums, das publizistische Hauptakteure wie Mazarin, d’Avaux und Servien entfalteten, ordnet die in Teil I und II erhobenen
Befunde zur Nutzung der Classical Tradition durch die diplomatisch-publizistischen Akteure
in die Forschungsergebnisse ein, die Marc Fumaroli und seine Nachfolger zum âge de
l’éloquence und seinen intellektuellen Orientierungspunkten erzielen konnten.
Kongressbezogene Äußerungen, die politische Akteure in der Druckpublizistik machten, sei
es in der periodischen wie in der nichtperiodischen Publizistik, waren niemals ein Solitär,
sondern standen immer in komplexen kommunikativen und politischen Zusammenhängen, die
sich aufgrund der exzeptionell guten Quellenbasis, die das Akademienprojekt der Acta Pacis
5
Westphalicae für den Westfälischen Friedenskongress erarbeitet hat, weitgehend rekonstruieren lassen. Dieselben politischen Akteure, welche die Studie als publizistische Akteure entlarvt, begegnen zeitgleich in den Kongressquellen als kommunikative Akteure in unterschiedlichen Kontexten. Ihre kommunikativen Akte können angesichts der besonderen Dichte und
Vielfalt der Kongressquellen häufig bis in oratorische Details hinein ausgeforscht werden. Die
formelle und informelle Kommunikation, die diese politischen Akteure im direkten chronologischen Umfeld ihrer jeweiligen publizistischen Aktivitäten pflegten, bildet die unmittelbare
kommunikative „Umwelt“ und den direkten Bezugspunkt der Druckpublizistik, die politische
Akteure auf dem Kongress und in seinem Umfeld lanciert haben. Deshalb erforscht die Studie
ihre druckpublizistischen Äußerungen nie isoliert, sondern immer im Kontext der unmittelbaren kommunikativen „Umwelt“ dieser Publizistik, im Zusammenhang mit der spezifischen
„kommunikativen Lage“, aus der heraus sie entstanden und in der sie rezipiert wurden. Erst
durch dieses Vorgehen erschließt sich der kommunikative Stellenwert der jeweiligen Druckpublizistik in periodischen und nichtperiodischen Medien.
Ein Beispiel zur Illustration dieses Sachverhalts, der von grundsätzlicher Bedeutung für die
Anlage der Studie ist: Im März und April 1648 verfasste der französische Kongressbotschafter Abel Servien auf Anweisung seines Patrons und Regierungschefs, des Kardinalpremiers
Jules Mazarin, am Kongressort Münster eine etwa 60seitige anonyme Streitschrift Des druckers belydenisse / La confession de l’imprimeur. Die Genese dieses Pamphlets lässt sich
ebenso wie dessen Übersetzungs-, Druck- und Vertriebsgeschichte in den Niederlanden, in
Frankreich und im Reich detailgenau nachvollziehen: vor allem anhand der vertraulichen Korrespondenzen, die Servien, Mazarin und dessen Sekretär Lionne miteinander austauschten,
sowie anhand der Rechnungsüberlieferung der französischen Kongressdelegation. Die Flugschrift war Teil eines Flugschriftenkrieges um das Für und Wider eines spanischniederländischen Separatfriedens, der gegen die französisch-niederländischen Allianzverträge
verstieß und Frankreich durch den Verlust eines langjährigen Alliierten in der Schlussphase
seiner Friedensverhandlungen mit Spanien und den Kaiserlichen politisch zu schwächen, ja
bloßzustellen drohte. In der Phase zwischen der Unterzeichnung der Unterhändlerurkunden
des spanisch-niederländischen Friedens am 30. Januar 1648 und dem Austausch der Ratifikationsurkunden des Friedensvertrages am 15. Mai 1648 in Münster versuchte die französische
Diplomatie deshalb, geleitet von Kardinalpremier Mazarin und maßgeblich beeinflusst durch
den Kongressbotschafter Servien, die Ratifikation und Publikation des Separatfriedens zu
verzögern oder, wenn möglich, ganz zu verhindern. Zugleich versuchte die französische Kongressdiplomatie, auf dem Kongress die Deutungshoheit über die Ereignisse zu behalten, vor
allem über den Zustand der französisch-niederländischen Allianz, und unternahm Schritte, um
ein Abbröckeln weiterer Alliierter zu unterbinden. Die gedruckte anonyme Streitschrift Des
druckers belydenisse / La confession de l’imprimeur war ein Instrument dazu; ein verdeckter,
weil anonymer Akt politischer Kommunikation, mit dem französische Diplomaten um Mazarin unter der Federführung Serviens versuchten, ihre politischen Ziele durchzusetzen und
durch eine gezielte Distribution der Flugschrift in bestimmten politisch-geografischen Zielgebieten politisch Einfluss zu nehmen.
In den Wochen, als Abel Servien die Flugschrift La confession de l’imprimeur niederschrieb,
ihre Drucklegung und Distribution organisierte, schließlich einkommende Nachrichten über
ihre Rezeption analysierte, war die Flugschrift selbstverständlich nicht die einzige Äußerung,
die ihr Autor zum Themenfeld des niederländisch-spanischen Separatfriedens und der niederländisch-französischen Allianz machte. Im März und April 1648 schrieb Servien nicht allein
das anonyme Pamphlet, welches die holländische Friedenspartei um den Kongressgesandten
Dr. iur. Adriaen Pauw als Verräter und als moralisch minderwertige, eigensüchtige und von
Spanien bestochene Subjekte angriff. Vielmehr stand Servien in denselben Wochen in einer
6
intensiven politischen Korrespondenz über ganz Europa hinweg, die mit dem Flugschriftenprojekt wechselwirkte. Zeitnah ließ Servien einen umfangreichen „offenen Brief“ vom 14.
Mai 1648 an die niederländischen Kongressgesandten als Flugschrift drucken. Dieser wies
detailliert und mit Bezug auf den Verhandlungsverlauf seit 1644 alle Sachargumente zurück,
mit dem die niederländische Friedenspartei zu einer schnellen Ratifikation des Separatfriedens aufrief, ohne weiter Rücksicht auf den Alliierten Frankreich zu nehmen. Der „offene
Brief“ Serviens war ein Druckwerk, das – im Unterschied zu Serviens Pamphlet La
confession de l’imprimeur – seinen Autor wie auch seine Adressaten offenlegte, und war dieser politischen, ja persönlichen Zurechenbarkeit halber einem anderen kommunikativen Kode
verpflichtet als das vorgenannte Pamphlet, welches das Inkognito seines Urhebers nutzte, um
Politiker und Diplomaten auswärtiger Mächte in Person anzugreifen und sie als ehrlose, korrupte Subjekte der öffentlichen Schande preiszugeben.
Zeitgleich war Servien neben Mazarin und Lionne Autor mehrerer redeförmiger Erklärungen
des unmündigen, zehnjährigen Kindkönigs Ludwig XIV. von Frankreich an die Generalstaaten der Vereinigten Niederlande (vom 14. Februar, 17. März und 3. April 1648), die La
Thuillerie, der französische Botschafter in Den Haag, im Plenum der niederländischen Generalstaaten vortrug. Mazarin, Lionne und Servien wiesen La Thuillerie und Brasset, den französischen Residenten in Den Haag, zur selben Zeit brieflich an, bei bestimmten Politikern in
Den Haag, bei Vertretern des Hauses Oranien sowie bei Vertretern der Provinzen Holland und
Westfriesland, Seeland und Utrecht vorstellig zu werden, und legten La Thuillerie und Brasset
jeweils spezifische Argumente nahe, mit denen sie beim jeweiligen Gesprächspartner für die
französischen Positionen, Wünsche und Forderungen werben sollten. Außerdem bediente sich
die politische Faktion um Mazarin politischer Agenten: Um auf das Haus Oranien einzuwirken, schickte Mazarin den erfahrenen Diplomaten und Militär Godefroi d’Estrades erst zu
Servien nach Münster, dann als Agenten der französischen Krone zu Oranien und zu dessen
einflussreicher Mutter. Servien ließ zeitgleich in den Niederlanden zwei Agenten anwerben,
den Sieur Copal und den Sieur de Gentillot, welche die Provinzialstaaten von Seeland in ihrer
Ablehnung des Separatfriedens bestärken sollten. Außerdem kommunizierte er eifrig mit jener
politischen Faktion in der Provinz Utrecht, die einen Separatfrieden ohne Frankreich zu verhindern suchte. Copal und Gentillot wiederum führten über ihre Gespräche und Aktivitäten in
Seeland eine dichte Korrespondenz mit Servien und anderen französischen Diplomaten.
Mitglieder der französischen Regentschaftsregierung und Diplomaten beeinflussten zeitgleich
Inhalte und die formal-stilistische Gestaltung von Artikeln, welche die Pariser Gazette zum
Thema brachte, und tauschten sich über einschlägige Meldungen auswärtiger Wochenzeitungen aus. Zur selben Zeit arbeiteten Servien und Mitglieder seines adligen Gefolges am Erwerb
niederländischer Rüstungsgüter und an der Abwerbung niederländischer Truppen, die durch
den Separatfrieden herrenlos zu werden drohten, für das französische Militär und für die Privatflotte Mazarins. Sie versuchten mithin bereits, die militärischen Folgen des drohenden Separatfriedens in den Griff zu bekommen. Und Servien setzte Mitglieder seiner adligen Suite
ein, um die Drucklegung der Confession de l’Imprimeur, seiner anonymen Streitschrift, in den
Niederlanden und ihre gezielte Distribution zu vermitteln.
Auf dem Kongress in Münster und Osnabrück entfaltete Servien eine reiche Kommunikation
– direkt wie brieflich – mit den schwedischen Alliierten, mit befreundeten Reichsständen wie
Hessen-Kassel oder Kurbrandenburg sowie mit Kongressdelegierten gegnerischer Mächte, um
den Gesprächs- oder Korrespondenzpartnern die Positionen der französischen Politik zu Details der Friedensprojekte Frankreich-Spanien und Spanien-Niederlande zu vermitteln, die
Deutungshoheit über die aktuellen Vorgänge in der niederländischen Politik und in Münster
zu verteidigen und zu demonstrieren, dass ein spanisch-niederländischer Separatfrieden
7
Frankreich weder militärisch noch politisch nennenswerten Schaden zufügen werde. Der kurkölnische Prinzipalgesandte Wartenberg etwa, damals bereits ein scharfer Gegner Serviens,
beschrieb im kurkölnischen Diarium zwei Treffen mit Servien am 3. und am 17. März 1648,
also genau zu der Zeit, als dieser an seinem o.g. Pamphlet arbeitete, und notierte neben dem
inhaltlichen Verlauf der Gespräche zahlreiche Details zu Serviens Mimik und Gestik, aus denen Wartenberg jeweils Schlüsse zog, wie glaubwürdig die Inhalte seien, die Servien vorbrachte, und was für politische Absichten dieser wohl jenseits der vorgetragenen Inhalte hege.
Am französischen Hof führten Mazarin, Lionne, Brienne und andere Mitglieder von Hof und
Regierung zur selben Zeit eine vergleichbare Informations- und Desinformationskampagne: in
zahlreichen Gesprächen mit Diplomaten, etwa mit dem apostolischen Nuntius oder dem Gesandten der Republik Venedig in Paris, sowie in Korrespondenzen mit auswärtigen Akteuren,
etwa in den Niederlanden.
Zeitgleich verstärkte Servien seinen Einfluss auf die Friedenspartei im Reich, die sich am
Verhandlungsort Osnabrück zusammengefunden hatte. Ein erfolgreicher Abschluss der Friedensverträge für das Reich sollte für Frankreich ein Gegengewicht gegen das Abbröckeln
seines niederländischen Alliierten schaffen, Spanien eventuell doch noch zum Einlenken in
die mit Frankreich ausgehandelten Friedensbedingungen bringen, andernfalls aber zumindest
die kaiserliche und spanische Linie des Hauses Habsburg machtpolitisch voneinander trennen
und die Grundlagen dafür legen, dass Frankreich sich nach einem Frieden für das Reich allein
auf die Bekämpfung seines Hauptgegners Spanien konzentrieren könne.
Die Konferenzen, Visiten und Gespräche, welche die französischen Akteure durchführten, der
Vortrag königlicher Erklärungen vor diversen Gremien u.ä. bieten in den oft detailgenauen
Informationen, welche die Quellen zur jeweiligen Durchführung enthalten, reiches Material,
um die symbolische Dimension politischer Kommunikation zu erfassen.
Indem Teil II der Studie all jene kommunikativen Akte, die vorstehend aufgeführt wurden
und die den kommunikativen Kontext, die unmittelbare kommunikative „Umwelt“ der anonymen Flugschrift Des druckers belydenisse / La confession de l’imprimeur konstituierten, in
die Untersuchung der Flugschrift einbezieht, erhält es einen weitestmöglichen Überblick über
die aktuelle kommunikative Lage im März und April 1648, auf deren Basis sich der jeweilige
politisch-kommunikative Stellenwert der hochkomplexen Flugschrift rekonstruieren lässt.
Jeder der kommunikativen Akte, die im Umfeld der anonymen Flugschrift aktenkundig wurden, war spezifischen kommunikativen Kodes verpflichtet, die nicht zuletzt aus gesellschaftlichen oder politischen Konventionen resultierten, und hatte demzufolge spezifische Grenzen
dessen, was auf diesem kommunikativen Weg sagbar war. Wie am Beispiel der Confession de
l’imprimeur erläutert, ermöglicht die kommunikationshistorische Einbettung ausgewählter
publizistischer Aktivitäten von Kongressdelegierten eine exzeptionell dichte Beschreibung
der Praxis politischer Kommunikation auf dem Kongress sowie in dessen Umfeld, mit Einblicken in die Stillagen, die Formen, die Inhalte und sogar in die oratorische Gestaltung politischer Kommunikation; ermöglicht mithin Erkenntnisse, wie sie sich für die europäische Vormoderne des 17. Jahrhunderts nur in seltenen Ausnahmefällen gewinnen lassen; hier auf der
Basis der edierten wie der nicht edierten, im "Zentrum für Historische Friedenforschung" an
der Universität Bonn gesammelten Bestände des ehemaligen Akademienprojektes der Acta
Pacis Westphalicae.
Eine Zusammenfassung der Ergebnisse und ein Forschungsausblick, Verzeichnisse der Abkürzungen und Zeichen, der Quellen und Literatur sowie ein Orts- und Personenregister runden eine Studie ab, die die historische Presseforschung (Zeitungs- und Flugschriftenfor-
8
schung) einlädt, teilzuhaben an jener pleasure of reading diplomatic correspondence, die der
Historiker Gordon Alexander Craig 1991 in einer programmatischen Studie beschworen hat.
II. Aufsatz:
Peter Arnold HEUSER, Der Souveränitätsbegriff auf dem Westfälischen Friedenskongress
1643-1649. Eine Studie zur Geschichte der politisch-diplomatischen Terminologie, erscheint
in: Annette GERSTENBERG (Hg.), Der Souveränitätsbegriff auf dem Westfälischen Friedenskongress 1643-1649. Eine Studie zur Geschichte der politisch-diplomatischen Terminologie,
erscheint in: Annette GERSTENBERG (Hg.), Verständigung und Diplomatie auf dem Westfälischen Friedenskongress. Historische und sprachwissenschaftliche Zugänge, Köln - Weimar Wien 2014, S. 107-132.
Zum Inhalt: Der europäische Friedenskongress von Münster und Osnabrück (1643-1649),
der als Gesandtenkongress Vertreter politischer Diskursgemeinschaften aus ganz Europa über
Jahre hin zu politischen Verhandlungen zusammenführte, ja zusammenzwang, war einer der
bedeutendsten Verdichtungsräume politischer Kommunikation im Europa des 17. Jahrhunderts. Der Aufsatz rückt die Verhandlungen über die Abtretung des Elsass an Frankreich ins
Zentrum der Analyse, studiert am Beispiel des Souveränitätsbegriffs die Konfrontation politischer Diskursgemeinschaften, fragt nach den kommunikativen Auswirkungen von Unwissen
und Missverständnissen und studiert Phänomene bewusster oder unbewusster terminologischer Unschärfe im Friedensprozess.
III. Aufsatz:
Peter Arnold HEUSER, The Westphalian Peace Treaties 1643-1649 as a sphere of conflict and
rivalries. – Contribution to the Research Colloquium II (“Spheres”) of the Leverhulme International Network “Renaissance Conflict and Rivalries: Cultural Polemics in Europe, c. 1300c. 1650“, University of Bonn, 8.-9. May 2014; to be published in vol. II of the Proceedings of
the Leverhulme International Network „Renaissance Conflict and Rivalries: Cultural Polemics in Europe, c. 1300-c. 1650“, ed. Marc Laureys, David Lines et al. (cf.
http://www2.warwick.ac.uk/fac/arts/ren/projects/conflictandrivalries/).
Abstract: In the neighbouring Westphalian cities of Münster and Osnabrück, the peace congress of Westphalia (1643-1649) worked out a series of peace treaties signed between January
and October 1648 at Münster. These treaties ended the Eighty Years’ War (1568-1648) between Spain and the emerging Dutch Republic, and the Thirty Years’ War (1618-1648) in
Central Europe. They established the Dutch Republic as a sovereign state and the independence of Switzerland from the Holy Roman Empire, and changed the system of political order
in Europe. Between 1643 and March 1649, the delegations and embassies of nearly 300 envoys (ambassadors, residents, agents) filled both cities, representing about 190 powers of different size and political importance, and made the Westphalian Peace Treaties the biggest and
most complicated peace negociations of the early modern period. The congress constituted a
distinct sphere of conflicts and rivalries, with complex external relations to the European capitals, to political leaders and political factions in whole Europe. My contribution sketches a
typology of these conflicts and rivalries, explains the role conflicts of early modern ambassadors by taking the example of the French and Swedish delegation, depicts the forms of communication and media the parties used, describes how the intellectual backgrounds of the actors influenced their “Streitkultur”, and deals with the techniques that the congress developed
9
to overcome or at least to neutralize conflicts and rivalries in favour of an overall peace
agreement.
Herunterladen