Weitere Informationen zum Stück und dem Autor

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INGRID L AUSUND
Christoph
Nußbaumeder
Mutter Kramers Fahrt
zur Gnade
Anita ist Witwe und lebt alleine in einem Haus, das von früheren Zeiten, dem
gefestigten Leben mit ihrem Mann und ihrer Tochter erzählt. Ihre Tochter meldet sich seit Monaten nicht, und nun steht der erste Jahrestag des Todes ihres
Mannes an, eines ehemals erfolgreichen Geschäftsmannes. Anitas Leben ändert
sich, als ihr beim Einkauf eines Tages ein fremder Mann ihr Portemonnaie nachträgt, das er vorgibt gefunden zu haben. Nur steckt mehr hinter dieser scheinbar
aufmerksamen Geste. Anita und Hudi, der freundliche Mann, ein arbeitsloser
Bäcker, erleben eine späte Liebe. Und die Tochter, die in ihrer Heimatstadt eine
Stelle als Leiterin der Agentur für Arbeit gefunden hat, steht überraschend vor
der Tür. Wenig später wird in der Agentur für Arbeit ein Mann angeschossen,
und dieser Fall beschäftigt sowohl die neue Leiterin als auch ihre Mutter Anita.
In Christoph Nußbaumeders konzentriertem Kammerspiel zerbricht die scheinbar makellose, gesicherte bürgerliche Welt einer ehemaligen Lehrerin nach und
nach. Anita lernt durch Hudi eine andere soziale Realität kennen und erfährt zugleich Dinge über ihre Familie, die sie zu einem Neuanfang zwingen. (3 D, 4 H)
Uraufführung: Mai 2013, Ruhrfestspiele Recklinghausen
Auftragswerk für das Schauspielhaus Bochum
Regie: Heike M. Goetze
Stücke – Eine Auswahl
Mit dem Gurkenflieger in die
Südsee
4 D, 9 H, Statisten
UA: 3.6.2005, Landestheater Linz/
Ruhrfestspiele Recklinghausen
Regie: Bernarda Horres
Mindlfinger Goldquell
3 D, 6 H
UA: 11.2.2006, Landestheater Linz
Regie: Georg Schmiedleitner
Liebe ist nur eine Möglichkeit
5 D, 6 H
UA: 17.10.2006, Schaubühne am
Lehniner Platz, Berlin
Regie: Thomas Ostermeier
Ich werde nicht sterben
In meinem Bett
Anna Politkowskaja gewidmet
1D
UA: 17.5.2007, Schauspielhaus
Bochum
Regie: Burghart Klaußner
Mörder-Variationen
1 D, 4 H
UA: 10.5.2008, Schauspiel Köln
Regie: Florian Fiedler
Die Kunst des Fallens
4 D, 5 H
UA: 3.6.2010, Schauspiel Köln
Regie: Katja Lauken
Eisenstein
4 D, 5 H
UA: 26.9.2010, Schauspielhaus
Bochum
Regie: Anselm Weber
Von Affen und Engeln
4 D, 6 H
Frei zur UA
Meine gottverlassene
Aufdringlichkeit
1D
UA: 18.9.2012, Sophiensaele, Berlin
Regie: Bernarda Horres
Christoph Nußbaumeder wurde 1978 in Eggenfelden
(Niederbayern) geboren und lebt in Berlin. Nach Abitur und
Zivildienst Fabrikarbeit bei einem Automobilhersteller in
Pretoria (Südafrika). Studium der Rechtswissenschaften,
Germanistik und Geschichte in Berlin. Nußbaumeders Stücke
wurden u.a. bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen, an der
Berliner Schaubühne, am Nationaltheater Mannheim und
am Schauspiel Köln uraufgeführt. Zahlreiche Inszenierungen
erfuhr insbesondere sein Stück Eisenstein, das 2010 am
Schauspielhaus Bochum uraufgeführt wurde.
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Foto: Susanne Schleyer
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CHRISTOPH NUSSBAUMEDER
»Im Schmutz steckt mehr Leben«
Christoph Nußbaumeder und Georg Ringsgwandl im Gespräch über ›Von Affen und Engeln‹
Christoph Nußbaumeder: Du hast mir, bevor ich ›Von Affen und Engeln‹ angefangen habe zu schreiben, ›Unter
dem Milchwald‹ von Dylan Thomas als Hörspiel geschickt,
die Aufnahme mit Richard Burton, ich kannte die vorher
nicht. ›Under Milk Wood, A Play for Voices‹ … Ist für dich
ein Spiel mit Klängen ein vorstellbares Ideal, wenn du
über Bühnenmusik nachdenkst?
Georg Ringsgwandl: Mir schwebt bei allem, was ich für
die Bühne geschrieben habe, vor, dass es ein ineinander verflochtenes Gewebe von sprachlichen und klanglichen Elementen ist. Klanglich umfasst in dem Fall alles von Geräuschen bis zu Musik. Kein Sprechtheater
mit auflockernd eingestreuten Songs, aber auch kein
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Soundteppich mit kümmerlichen Texteinwürfen. Ein
Bühnenwerk, bei dem das eine ohne das andere nicht
vollständig ist.
Ich muss bei Dylan Thomas immer an das Gedicht denken,
das im Deutschen übersetzt ist mit ›Geh nicht so fügsam in
die dunkle Nacht‹, in dem er sich gegen das Älterwerden
und das Sterben auflehnt. Kann man sich wirklich dagegen auflehnen?
Ich meine, das ist die einzige Chance, das Leben einigermaßen aufrecht zu führen. Der Tod reißt uns natürlich alle irgendwann, aber bis dahin muss man ihm was
entgegensetzen. Sich von vornherein dem Nichts zu ergeben, führt zu Lebensentwürfen, denen ich nicht beiwohnen möchte.
›Von Affen und Engeln‹ ist ein Satz vorangestellt, »Für alle
Narren auf verlorenem Posten«. Von dir gibt es ein Lied,
das ich sehr mag, ›Kasperl oder Genie‹. Was ist deiner Meinung nach tragischer, jemand, der seine Ziele nie wirklich
verwirklichen konnte, oder jemand, der tief fällt, nachdem
er am süßen Duft des Erfolgs schnuppern durfte? Oder
findest du Ehrgeiz prinzipiell verdächtig?
Wirklich schlimm ist es, wenn jemand nicht die Möglichkeiten entwickeln kann, die in ihm stecken, weil die
gesellschaftlichen Bedingungen oder eine Krankheit
oder Sucht alles, was er/sie anfängt, im Keim ersticken.
Das kann in der Tat tragische Ausmaße annehmen.
Wenn jemand schon mal Erfolg hatte, gehört er bereits
zu Gottes Lieblingen. Wenn es dann bergab geht, ist
mein Mitleid beschränkt, es sei denn, es geht um die
Opfer einer Diktatur. Was den Ehrgeiz angeht: Das ist
eine gute Eigenschaft, solange sie sich auf ein akzepta-
bles Ziel richtet und die Kollateralschäden im Rahmen
bleiben.
Und wann wird Scheitern als lustig, wann als traurig befunden?
Ob Scheitern lustig oder traurig ist, hängt mehr vom
Blickwinkel ab. Das gängige DSDS-Opfer empfindet seine Rückkehr in die Welt der Sozialhilfe zu Recht als traurig. Ich auch, aber aus anderem Grund: einem armen
Wesen, das nie eine Chance hatte, wird öffentlich laut
feixend und zynisch verkündet, dass es ein nichtswertiges, armes Wesen ist. Lustig kann das Scheitern bei
jemandem sein, der beste Voraussetzungen hatte und
sein Vorhaben durch Größenwahn und Maßlosigkeit
vergeigte. Aber auch das kann man nur witzig finden,
wenn man weit genug entfernt steht. Die Angestellten
bei Karstadt hatten da eher weniger zu lachen. Lustiges
Scheitern gibt es wahrscheinlich nur, wenn jemand im
Buch oder auf der Bühne so tut, als würde er scheitern.
Dann lachen wir aus Befreiung.
Im Stück gibt es eine Figur, Bernd, der ist Ende 50 und
Umsatzkontrolleur am Weihnachtsmarkt. Der steht in der
Hierarchie der Beschäftigten ganz unten. Irgendwann
kommt der Punkt, an dem er die Schnauze voll hat, und
er zündet den großen Weihnachtsbaum an. Er verschafft
sich sozusagen Luft durch Feuer. Kennst du solche Aggressionsattacken?
Ja, kenne ich, aus Erfahrung.
Ich habe vor Kurzem bei Tennessee Williams einen Satz gelesen, in einem Selbstinterview hatte er Folgendes notiert:
»Für mich gibt es weder Bösewichte noch Helden, sondern
nur richtige und falsche Wege, die der Mensch einschlägt –
nicht aus freier Entscheidung, sondern aus Notwendigkeit
oder unter dem Einfluss gewisser ihm unverständlicher
Faktoren seines eigenen Innern, seiner Lebensumstände
und seiner Herkunft.«
Da spricht jemand, der sich ernsthaft mit der Welt beschäftigt hat.
Du hast mich auf die Idee gebracht, das Stück hinter den
Kulissen des Weihnachtsmarktes anzusiedeln, also Backstage, wenn man so will. Ich glaube, du hast gesagt, im
Schmutz steckt mehr Leben.
Das sind meine beschränkten Ausdrucksmittel. Solange die Dinge so laufen, wie es die herrschende Denkweise für gut befindet, wenn gutaussehende Menschen
mit interessanten Berufen wohlhabend und harmonisch
zusammenleben, gibt es ja keine Ungleichgewichte und
keine Konflikte und damit keine Bewegung. Selbst im
Fernsehfilm muss sich der Tierarzt erst in eine Gestütserbin verlieben, ehe seine Frau ein richtiges Fass aufmacht und die Quoten hochgehen.
Im Schmutz gibt es die offensichtlicheren Dramen, weil
hier die Leute um ihre blanke Existenz kämpfen, und
zwar nicht im vornehm raunenden Seminarton, sondern
im Klartext.
Foto: Kerstin Groh
Der Musiker und Schriftsteller Georg Ringsgwandl
brachte seinen Freund Christoph Nußbaumeder auf die
Idee, das Stück Von Affen und Engeln (frei zur UA) hinter
den Kulissen eines Weihnachtsmarktes spielen zu lassen. In diesem Stück verdienen sich unter der strengen
Aufsicht einer Marktleiterin, die die Gesetze des Kapitalismus verinnerlicht hat, prekär lebende Menschen als
Wahrsager, Weihnachtsmann, Engel und Budenbetreiber ihr geringes Einkommen. Aber da diese modernen
Tagelöhner nicht nur die Standmiete bezahlen, sondern
die Chefin auch am Umsatz beteiligen müssen, regt sich
Widerstand. Als ein junger Wissenschaftler, der auf
dem Markt den Schlittschuhverleih betreut, seine Vision einer ökologischen Zeitenwende entwirft, scheint die
Möglichkeit eines anderen, besseren Lebens auf. Ringsgwandl, der die Entstehung des Stückes von Anfang an
begleitete, wird erstmals die Musik für ein Stück von
Christoph Nußbaumeder schreiben. Ein paar Fragen zu
seiner Musik zu Von Affen und Engeln und dazu, was es
mit dem Scheitern der Figuren auf sich hat.
Dr. Georg Ringsgwandl hängte mit
45 seinen Beruf als kardiologischer
Oberarzt an den Nagel und widmete
sich ganz dem Musikkabarett. Er
steht seit über 30 Jahren auf der
Bühne, schreibt Bühnenmusik und
Theaterstücke.
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