Zu diesem Heft: Psychoonkologie

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© Schattauer 2011
Psychoonkologie
Jährlich erkranken derzeit in Deutschland
ca. 450 000 Menschen an Krebs – mit steigender Tendenz – wobei durch die medizinischen Fortschritte mehr Patienten geheilt
werden und zunehmend länger mit ihrer
Krebserkrankung leben können. In vielen
Fällen nimmt die Erkrankung einen über
viele Jahre chronischen Verlauf an. Dies
wiederum bedeutet, dass es einen wachsenden Bedarf an psychosozialen Behandlungen gibt, denn viele dieser Menschen werden durch die Diagnose existenziell erschüttert, leiden unter den Folge- und Begleiterscheinungen der Tumortherapien
und müssen sich mit der potenziellen Gefahr von Rezidiven und Erkrankungsprogression auseinander setzen. In diesem Feld
an Problemstellungen hat sich seit gut 20
Jahren die Psychoonkologie, sowohl als eigenständiges klinisches Fach als auch als
wissenschaftliche Disziplin etabliert.
Historische Konzepte, wie die einer
„Krebspersönlichkeit“, die die Vorstellung
beinhaltete, bestimmte Persönlichkeitseigenschaften prädisponierten eine Krebserkrankung, sind der heute vorherrschenden Auffassung gewichen, dass sich körperliche Erkrankung und psychische Prozesse
gegenseitig beeinflussen ohne jedoch direkte kausale Zusammenhänge zu postulieren. Um ein in diesem Sinne ganzheitliches
Verständnis des Krankheitsgeschehen und
dessen Linderung bemüht, fließen in der
modernen Psychoonkologie psychologisches, sozialwissenschaftliches, psychosomatisches und psychiatrisches Wissen
zusammen (R. Schwarz, 1996). Insbeson-
dere in den USA blickt die Psychoonkologie auf eine psychiatrische Tradition zurück, an großen onkologischen Kliniken,
allen voran, dem Memorial Sloan Kettering
Hospital in New York, entstanden ab den
1970er-Jahren erste psychiatrische Liäsoneinheiten. In Deutschland hat sich die Psychoonkologie aus der Medizinischen Psychologie heraus entwickelt und verdankt
zahlreiche ihrer Impulse traditionell der
Psychosomatik; erst in den letzten Jahren
hat die Psychiatrie vor allem durch die systematische Untersuchung und Behandlung
psychischer Komorbiditäten bei Tumorerkrankungen an Bedeutung gewonnen.
Durch die in der Onkologie auf struktureller Ebene stattfindende Zentrenbildung
(Organzentren, Tumorzentren, Comprehensive Cancer Centers, onkologische
Schwerpunkte) entsteht vielerorts ein hoher und zentralisierter Bedarf an psychosozialer, psychotherapeutischer und psychopharmakologischer Versorgung, der
neben eigenständigen psychoonkologischen Fachabteilungen in den Zentren
auch die zunehmende Einbindung von
psychiatrischen und psychosomatischen
Abteilungen in Gesamtkonzepte psychoonkologischer Versorgung mit sich führt.
Welches sind die aktuellen Felder der
Psychoonkologie? Wie sehen die konkreten
Behandlungs- und Forschungsmethoden
aus? Welche empirischen Daten können
heute als gesichert gelten? Diesen Fragen
geht die vorliegende Ausgabe nach, mit
dem Ziel der psychiatrischen und neurologischen Fachwelt eine „psychoonkologi-
Dr. Katrin Reuter,
Prof. Dr. Joachim
Weis (re.) und
Prof. Dr. Mathias
Berger, Universitätsklinik Freiburg,
Abteilung Psychiatrie
und Psychotherapie
und Klinik für Tumorbiologie an der Universität Freiburg
Nervenheilkunde 3/2011
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sche Rundumschau“ zu ermöglichen. So
geben im ersten Artikel Anja Mehnert,
Hamburg, und Kollegen eine Übersicht zu
den bei Tumorpatienten relevantesten komorbiden psychischen Störungen und ihren aktuellen Prävalenzraten. Psychische
Diagnostik in der Onkologie bedeutet. Dabei gilt es, die Untersuchung großer Patientenzahlen in spezialisierten Krebszentren
und diagnostische Besonderheiten bei dieser Patientengruppe zu berücksichtigen,
die sich aus der Abgrenzung von Krankheitsverarbeitungsprozessen
einerseits,
und der (Mit-)Verursachung psychischer
Symptome durch die onkologische Erkrankung selber sowie die onkologischen Therapien andererseits ergeben, ist die sich anschließende Vorstellung spezifischer diagnostischer Instrumente von hoher Bedeutung.
Wie sehen die aktuellen Versorgungsstrukturen in der Psychoonkologie aus?
Wie ist die Psychoonkologie in Deutschland organisiert und welche Leistungen
werden in der stationären Akutversorgung,
der Rehabilitation, den Krebsberatungsstellen und der ambulanten psychoonkologischen Psychotherapie erbracht? Darauf
geht der Beitrag von Ulrike Heckl und Mitautoren, Freiburg, ein und skizziert darüber hinaus die in Entwicklung befindliche
Leitlinie Psychoonkologie. Hermann Faller,
Würzburg, und Peter Herschbach, München, fassen in ihrem Beitrag den aktuellen
Wissensstand zur Effektivität psychoonkologischer Interventionen zusammen und
gehen dabei auf die verschiedenen Interventionsformen mit ihren jeweils unterschiedlichen therapeutischen Orientierungen (psychodynamisch oder kognitiv-behavioral) ein, die innerhalb der Psychoonkologie entwickelt wurden. Auch die bei
Behandlern und Patienten im Zusammenhang mit psychoonkologischen Therapien
häufig mitschwingende Frage nach Auswirkungen auf die Überlebenszeit, wird auf
Grundlage aktueller Datenlage geklärt.
Die Komorbidität von Tumorerkrankungen und psychiatrischen Störungsbildern erfordert psychopharmakologische
Mitbehandlung und damit die Vernetzung
von Onkologie, Psychoonkologie und Psychiatrie. Sabine Hellwig und Kollegen, Freiburg, stellen für die in der Onkologie am
häufigsten auftretenden depressiven Störungen wichtige Hintergründe zu neuroimmunologischen und -endokrinologischen Zusammenhängen zwischen Tumorerkrankungen und der Entwicklung von
depressiven Syndromen sowie neue Erkenntnisse aus der Bildgebung bei depressiven Krebspatienten dar. Sie fassen außerdem aktuelle Studienergebnisse zu verschiedenen Antidepressiva für die Therapie
von Depressionen und Folgestörungen bei
Krebserkrankungen wie Schmerzen, Hitzewallungen und Fatigue zusammen.
Die Arzt-Patienten-Kommunikation ist
in allen Bereichen der Medizin ein wesentlicher Faktor für gelingende Behandlungen.
In der Onkologie kommt dieser Beziehung
durch die existenzielle Bedrohung der Erkrankung und durch ihre mit bleibender
Unsicherheit und starken Nebenwirkungen
behafteten Behandlungsmaßnahmen ein
besonderer Stellenwert zu. Auch die Belastung, der onkologisch tätige Ärzte ausgesetzt
sind, wird in den vergangenen Jahren zunehmend erkannt. Jelena Zwingmann und Koautoren, Heidelberg, beschreiben zwei spannende, aktuell in Deutschland laufende Forschungsprojekte, in denen Onkologen und
andere in der Onkologie tätige Fachärzte
durch gezielte Trainings besser auf die in ihrem Arbeitsalltag zu führende Gespräche
mit ihren Patienten vorbereitet werden.
Die moderne Psychoonkologie kümmert sich nicht nur um die Patienten selbst,
sondern stellt auch ihre Angehörigen mit
ins Zentrum. Die Untersuchung der psychologischen Probleme und Bedürfnisse
von Kindern, deren Eltern an Krebs erkranken, sowie die Evaluation gezielter und
frühzeitiger Intervention ist ein neues Feld.
Hans-Henning Flechtner und Kollegen,
Magdeburg, gehen in ihrem interessanten
Beitrag, anhand einer Übersicht zu neuesten Forschungsergebnisse, auf die Zusammenhänge familiärer und kindlicher Bewältigungsprozesse ein.
Was brauchen Krebspatienten, wenn sie
an ihrem Lebensende ankommen? Pia
Heußner und Eckhard Frick, München, beschreiben die Aufgaben der palliativen Versorgung in Zusammenhang mit den in dieser letzten Phase der Erkrankung häufig besonders wichtig werdenden spirituellen Fragestellungen und wie diese in Einrichtungen
und bei Behandlern Eingang finden können.
Der Beitrag von Jens Ulrich Rüffer und Lutz
Goldbeck widmet sich der wichtigen Frage
nach den Spätfolgen, die nach erfolgreicher
Behandlung von Tumorerkrankungen dauerhaft bleiben können, die Lebensqualität
deutlich einschränken und langfristigen Interventionsbedarf notwendig machen, z. B.
bei Erwachsenen, die eine Krebserkrankung
im Kindesalter überwunden haben. Da es
sich um körperliche, neurologische und psychische Langzeitfolgen handeln kann, ist es
von Bedeutung in allen Bereichen der Medizin, auch in Psychiatrie und Psychotherapie
das Bewusstsein für diese Langzeitfolgen zu
schärfen um die Probleme ehemaliger
Krebspatienten adäquat diagnostizieren
und behandeln zu können.
Wir hoffen mit diesem Heft die enge
Verzahnung von Psychiatrie und Psychoonkologie zu verdeutlichen und die Bedeutung beider Bereiche füreinander herauszustellen, sowohl für eine patientenorientierte Versorgung in onkologischen Behandlungszentren als auch in psychiatrischen Kliniken und Praxen, in denen psychisch Kranke durch eine zusätzliche
Krebserkrankung spezieller Aufmerksamkeit bedürfen.
K. Reuter, Freiburg
J. Weis, Freiburg
M. Berger, Freiburg
Nervenheilkunde 3/2011
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