10 INTERVIEW Jenifer Gabel entwickelte sich vom Wutbürger zum Mutbürger. »Den Stromanbieter zu wechseln ist leichter, als einen neuen Handy-Vertrag abzuschließen.« Jenifer Gabel über die Montagsspaziergänge in Würzburg, ihre eigene Politikverdrossenheit und Alternativen Viele Menschen werden immer unzufriedener mit unseren Politikern. Die Themen sind so vielfältig und individuell, wie es wahrscheinlich Menschen in unserer Bundesrepublik gibt. Während die einen die soziale Ungerechtigkeit wahrnehmen, fürchten andere um unsere Bildung oder schlicht und ergreifend um die eigene Zukunft, bzw. der ihrer Kinder. Eine mutige Würzburgerin hat im November den Entschluss gefasst, nun selbst etwas zu unternehmen und hat die Montagsspäziergänge ins Leben gerufen. Jenifer Gabel, momentan im Elternzeit, möchte die politischen Entwicklungen nicht mehr schweigend hinnehmen und lief einfach los. Unterstützt durch ihre Mutter Claudia Gabel wurde somit eine Plattform für alle, die etwas zu sagen haben, ins Leben gerufen. Seit dem 11. März aber beschäftigt uns alle ein Thema: Die Umweltkatastrophe und die damit verbundene nukleare Bedrohung in Fukushima. Das hat dazu geführt, dass immer mehr Würzburger auf die Straße gingen und aus dem anfangs kleinen Spaziergang wurde eine Bewegung, die die beiden Gründerinnen nicht für möglich gehalten hatten. Einerseits voll Freude über die große Teilnahme, andererseits voll Trauer über die aktuellen Ereignisse, werden die beiden Würzburgerinnen auch in Zukunft ihren wöchentlichen Spaziergang antreten und laden alle Würzburger dazu ein. Jenifer und Claudia haben uns einige Fragen über die Hintergründe beantwortet: INTERVIEW 11 Hallo Jenifer! Seit November gibt es bereits die Montagsspaziergänge. Wie hat alles angefangen? Mit ganz viel Wut im Bauch, wenn ich die Nachrichten sah! Die Politik von Schwarz-Gelb ist in so vielen Bereichen absolut unsozial, ungerecht und alles andere als nachhaltig. Unglaublich, wie offensichtlich sie den Interessen von Industrie und Wirtschaft folgt, anstatt der Meinung der Bürger. Dazu mischt sich dieses Gefühl von Ohnmacht: Was soll man schon tun, außer alle vier Jahre sein Kreuzchen auf dem Wahlzettel zu machen? Wie kann ich meine Kinder vor den gesundheits- und umwelttechnischen, aber auch gesellschaftlichen Konsequenzen schützen, die diese verantwortungslose Politik nach sich ziehen wird? Irgendwann war mir das vor dem Fernseher sitzen und Ärgern, das Gedanken-Karussell vor dem Einschlafen und das unproduktive Diskutieren beim Kaffee trinken zu viel: Ich wollte meiner Wut irgendwie Luft machen, wenn auch nur symbolisch – aber ich habe in Würzburg dafür keine Möglichkeit gefunden. Schließlich hat meine Mutter vorgeschlagen, einfach selbst eine Initiative zu gründen, zum Beispiel Montagsspaziergänge, die ja in unserem Land politische Tradition haben. Zwei Wochen später sind wir das erste Mal vom Kilianszum Vierröhrenbrunnen gelaufen. Zuerst zu fünft, zuletzt mit über tausend Menschen! Jeden Montag treffen wir uns um 18 Uhr auf dem Bahnhofs-Vorplatz Was genau passiert beim Montagsspaziergang? Jeden Montag treffen wir uns um 18 Uhr auf dem Bahnhofs-Vorplatz mit Menschen, die mit uns unter dem bewusst breit gefassten Motto »für eine nachhaltige Politik und Lebensweise« ein paar Schritte laufen wollen. Manche haben wir per Rundmail an unsere privaten Adressbücher eingeladen, andere sind über die eigens gegründete Facebook-Gruppe und unsere Homepage auf uns gestoßen oder aufgrund von Presseartikeln, Flyern oder Aushängen auf uns aufmerksam geworden. Auf unserem Marsch durch die Innenstadt diskutieren die Menschen ihre Beweggründe zum Protest. Sie tauschen sich über Ideen aus, wie man manches verbessern oder in seinem eigenen Umfeld anders machen kann. Oder aber sie laufen einfach, um den Kopf frei zu bekommen von ihrem Ärger über die Regierung und ein persönliches Zeichen zu setzen. Auch sie sind lieber »Mutbürger«, als »Wutbürger«! Für was stehen nun die Spaziergänge? Es soll ja eigentlich keine reine Anti-Atom-Bewegung sein ... Das besondere an den Würzburger Montagsspaziergängen ist das breit gefasste Motto: Wir wollen möglichst vielen Menschen die Möglichkeit geben, sich mit ihren persönlichen, (gesellschafts)politischen »Herzensthemen« einzubringen. Alter, Einkommen oder auch parteipolitische Zugehörigkeit sollen keine Rolle spielen, solange dem Überbegriff »Nachhaltigkeit« im weiteren Sinne nicht widersprochen wird. Und so ist es auch: Manche spazieren, um gegen Gentechnik zu demonstrieren, andere prangern die unsoziale Gesundheitsreform an, wieder andere treiben die Kürzungen im Bildungsbereich auf die Straße. Meiner Mutter liegt das Bedingungslose Grundeinkommen sehr am Herzen – und mir die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Aber auch lokale Themen, wie die Fällung der alten Kastanien in der Würzburger Trautenauerstraße, haben schon Würzburger dazu bewogen, sich den Spaziergängen anzuschließen. Die Gründe sind so vielfältig wie die Bereiche, die in unserem Land im Argen liegen! Wenn es bei den Spaziergängen also um eine große Unzufriedenheit mit unserer momentanen Politik geht, wäre da nicht die optimale Lösung, die Regierung komplett auszutauschen? Diese Frage kann ich nur ganz persönlich beantworten: Ich habe den Glauben an die Politik nach Rot-Grün fast verloren – sind doch auch die Politiker auf der »anderen Seite« letztlich gezwungen, populistische Entscheidungen zu treffen, die sich auch finanzieren lassen. Vor allem von der Regierungsarbeit der Grünen war ich streckenweise sehr enttäuscht! Aber in manchen Bereichen haben sie auf jeden Fall zumindest die besseren Pläne geschmiedet – siehe AKW-Laufzeiten: Dass die derzeitige Regierung 12 INTERVIEW sie kurzerhand wieder verlängert hat, ist einer der nicht nachvollziehbaren politischen Vorgänge in den letzten Monaten, die mich so frustrieren. Die Ereignisse in Japan entfachen hier eine neue kraftvolle und unerbittliche Diskussion Ihr habt also damals mit fünf Spaziergängern angefangen. Am Montag nach Fukushima waren es 600 und eine Wopche Später weit über tausend! Wie war das für dich? Einfach unglaublich! In meinem »Montagsletter«, den ich am Abend nach dem Spaziergang immer per Rundmail verschicke und auf unserer Homepage veröffentliche, schrieb ich vom alten Allgemeinplatz »Freude und Leid liegen nah beieinander«. In Japan haben so viele Menschen ihr Leben verloren – und die, die »nur« ihre gesamte Existenz verloren haben, sind nun der unermesslichen Gefahr außer Kontrolle geratener AKWs ausgesetzt.« Aber wenigstens entfachen diese schrecklichen Ereignisse hierzulande endlich eine neue, kraftvolle und unerbittlichere Diskussion um die schwarz-gelbe Atompolitik. Die Forderung nach einem Umdenken und Ausstei- INTERVIEW 13 gen wird nicht nur lauter: Sie greift flächendeckend um sich! Wie hast du persönlich die Nachricht von der Katastrophe in Japan aufgenommen? Ich war fassungslos! Erst brechen diese verheerenden Naturkatastrophen über die Menschen ein, dann diese vom Menschen gemachte – da steigt der Kopf aus, das kann man nicht mehr mit dem Verstand ermessen, was die Japaner gerade erleben müssen! Und dann versuch mal, deiner Tochter zu erklären, warum man in einem Erdbebengebiet AKWs baut, wenn diese unglaublich gefährlich sind ... Das ist Volksverarsche! Anders kann man es nicht mehr nennen! Denkst du, dass die Politiker wirklich umdenken oder ist das nur eine Wahlkampf-Taktik von Angie & Co.? Dieses Moratorium ist eine Farce, ein übles Taktieren, der Wählerstimmen wegen. Erst sind AKWs absolut sicher, dann muss man die Sicherheit noch mal prüfen. Erst kann unser Energiebedarf ohne AKWs nicht gedeckt werden, dann sind sieben von ihnen plötzlich verzichtbar. Das Über 1.100 Würzburger demonstrierten am 21. März. ist Volksverarsche – anders kann ich das nicht nennen! Und eine Lösung für den Jahrtausende strahlenden Atommüll haben sie auch für die verbleibenden Kernkraftwerke nicht! Strom sparen sollte auch auf der To Do-Liste stehen Was kann man sonst noch tun, außer auf die Straße zu gehn? Was das AKW-Thema angeht: Zu Ökostrom wechseln! Den Atom-Konzernen ist es doch total egal, ob du dich auf der Straße gegen Kernkraft aussprichst, solange du brav jeden Monat deine Stromrechnung zahlst! Wie in jedem Bereich auch, sollte man seine Verbrauchermacht nutzen, um das Angebot zu regeln. Angst, dass der Strom zuhause ausfällt, weil der Wechsel nicht reibungslos funktioniert, braucht man übrigens nicht zu haben: Den Stromanbieter zu wechseln ist leichter, als einen neuen Handy-Vertrag abzuschließen. Und Strom sparen sollte auch auf der To Do-Liste stehen: Denn wie auch immer wir die Energie für uns produzieren – an erster Stelle sollte der bewusste Umgang mit ihr stehen. Ansonsten kann ich nur sagen: Geht wählen! Unterschreibt Petitionen! Startet Volksentscheide! Gründet Bürgerinitiativen! Nutzt einfach alle Möglichkeiten, die uns die Demokratie bietet: Sie ist ein Privileg, das nicht alle Menschen auf diesem Planeten genießen. Welche Partei sollte man deiner Meinung nach wählen? Die Grünen sind mittlerweile ziemlich weich gespült, und kleinere ökologische Parteien haben wahrscheinlich sowieso keine Chance in den Bundestag zu kommen ... Vor dieser Frage stehe ich jedes Mal selbst, wenn ich in der Wahlkabine sitze ... Ich denke, man sollte zwischen Lokal- und Bundespolitik unterscheiden: Wenn es um den Stadtrat in Würzburg geht, entscheidet bei mir oft Sympathie oder ich weiß, dass sich ein Kandidat für eine spezielle Sache einsetzt, die mir auch wichtig ist. Dann ist die Partei zweitrangig … wobei ich gewisse Parteien definitiv nie wählen werde. Auf Bundesebene versuche ich den Parteien, die am ehesten meinen Überzeugungen und Idealen Claudia und Jenifer Gabel, die Initiatorinnen. nahe kommen, meine Erst- und Zweitstimme taktisch klug zuzuspielen ... Und wenn wir wieder nur zu Fünft sind, wir werden weiter laufen! Meine Befürchtungen gehen dahin, dass die Menschen jetzt im Moment vielleicht schockiert sind, aber sehr schnell wieder vergessen werden. Wie siehst du das? Ich bin mir sogar sicher, dass das Interesse an dem Thema Atomkraft wieder abnimmt, sobald Japan aus den Medien verschwindet. So wie wir plötzlich kaum noch was von der Jasmin-Revolution mit bekommen, weil ja die Katastrophe in Japan alles überstrahlt, im wahrsten Sinne. So ist das doch immer. Aber ich versuche mich von diesem traurigen Lauf der Dinge nicht aufhalten und deprimieren zu lassen: Meine Mutter und ich laufen weiter, mindestens bis zur nächsten Bundestagswahl. Das haben wir bereits beschlossen. Und wenn wir wieder nur zu Fünft sind, was soll's: Wenigstens machen wir uns für unsere Überzeugung stark und lassen nicht alles sangund klanglos passieren. Optimistischen Schätzungen zufolge könnten wir bis 2017 aus der Atomenergie aussteigen. Claudia, nun möchte ich auch mal dich ansprechen. Du beschäftigst dich sehr mit den alternativen Möglichkeiten. Welche Alternativen haben wir denn nun eigentlich? Leider muss man für die Vergangenheit sagen, www.port01.com 14 INTERVIEW dass in die Erforschung der alternativen Energien wenig investiert wurde. Die großen Energiekonzerne strichen lieber die Gewinne aus Atom- und Kohlestrom ein. Jetzt werden aber doch endlich die Stimmen derer gehört, die sich mit nachhaltigen und Ressourcen schonenden Quellen befassen. Was wir bisher an Alternativen haben sind vor allem Sonne, Wind und Wasser. Das ist ja allgemein bekannt. Hinzu kommen Biomasse und Geothermie. Sehr interessant finde ich auch Schwarmstrom, also Zuhausekraftwerke! Wie wäre deiner Meinung nach der Umstieg auf diese Energiegewinnungsformen möglich? Ist »Abschalten ... Jetzt!« denn überhaupt machbar? Das ist natürlich ein Prozess, der ja im Übrigen so auch vor der unsäglichen Laufzeitverlängerung schon beschlossene Sache war. Nun hat man bereits sieben Meiler stillgelegt – und siehe da, es gibt noch Licht! Mit dem Ausbau des Netzes für alternative Energie, den Gebäudesanierungen für effizienten Stromverbauch und dem bewussten Umgang in allen gesellschaftlichen Bereichen kann der Ausstieg ganz schön zügig voran gehen. Optimistische Schätzungen sagen, bis 2017 können wir damit durch sein. Möchtet ihr noch etwas los werden? (Jenifer) Die Frage, die mir seit der Gründung der Montagsspaziergänge am häufigsten gestellt wird, ist, ob ich so naiv bin zu glauben, dass ich damit etwas verändern kann. Ohne unsere kleine Bürgerbewegung mit den großen Volksbewegungen damals in Leipzig 89/90 oder mit den derzeitigen, zunächst relativ friedlichen Umstürzen in Nordafrika vergleichen zu wollen: Diese Beispiele zeigen dennoch, dass es möglich ist, die Interessen des Volkes gegen die Regierung durchzusetzen, wenn die Bürger denn aktiv werden und sich zusammenschließen. Und auch da hat alles im Kleinen angefangen, so wie eben jetzt die Würzburger Initiative. (Claudia) Wir gehen ja bekanntlich jeden Montag für eine nachhaltige Politik und Lebensweise auf die Straße. Für mich bedeutet das: Für eine nachhaltige Lebensweise ist jeder in seinem Leben selbst verantwortlich. Die Möglichkeiten für jeden Einzelnen zu schaffen, ist Aufgabe der Politik! Vielen Dank für das Interview! Interview Bettina Pfeuffer. Treffpunkt: Jeden Montag um 18 Uhr am Kiliansbrunnen am Bahnhof wuerzburger-montagsspaziergang.de [email protected] Facebook-Gruppe: würzburger montagsspaziergang Würzburg gegen die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken! Montagsspaziergänge | mehr Fotos: www.port01.com