ARGUMENTE Die Symbolik von „Leben“ und „Tod“ im Christentum Gedanken anlässlich der Ostertage war hat das institutionalisierte Christentum mit der kirchengeschichtlichen Entwicklung Dogmen entwickelt, die es sogar den verschiedenen Christengemeinden und Kirchen schwer machen, ökumenisch zu denken und das Gemeinsame stärker zu gewichten als das Trennende. Aber die modernen Kirchen hätten Chancen, missverständliche Interpretationen abzumildern und im Interesse der Schwächsten der Gesellschaft, der Sterbenden, ein humaneres Antlitz (auch „ihres“ Gottes) zu zeigen. Wie? Seit vielen Jahren schwelt ein Streit zu Fragen der Sterbehilfe und -begleitung, der mitunter offen ausbricht und im öffentlichen Diskurs sogar zu heftigen Attacken führt. Gemeint ist der Streit zur folgenschweren Frage, wer das Verfügungsrecht über menschliches Leben habe: Gott, Ärzte, der betroffene Mensch selbst, bei Äußerungsunfähigkeit die Angehörigen oder Gerichte? Wer hat das Verfügungsrecht … Manche meinen, es gäbe zu viele ethische, juristische, politische, psychologische, religiöse oder soziale Fragen und Einzelfallerwägungen zu berücksichtigen, die Frage müsse offen bleiben. Eine andere Grundhaltung sucht nach konstruktiven Verständigungsmöglichkeiten. Dazu gehört Aufklärung darüber, ob die an der Diskussion Was meinen wir, wenn wir „Gott“, „Leben“, „Tod“ oder Beteiligten zwar „Auferstehung“ sagen? die gleichen Begriffe verwenden, darunter aber etwas völlig anderes verstehen könnten. Gelingt diese Aufklärung, so lassen sich Missverständnisse aufklären. Die Nebel verflüchtigen sich. Licht fällt auf Gedankenknoten, die sich 48 Humanes Leben · Humanes Sterben 2/2007 Bilder: Schobert Archiv & Dokumentation Z Kreuz und Kruzifix als Symbol des Leidens. auflösen lassen. Die Sprache wird wieder zum Verständigungsmittel. SterbehilfeOrganisationen und Kirchen könnten erkennen, dass mit „Leben“ nicht LEBEN und mit „Tod“ nicht TOD gemeint sein muss. Sehr einfach machen es sich jene, die darauf verweisen, („)GOTT(“) [1] habe das Leben gegeben, nur er dürfe es nehmen. Doch: Wer, was, wo ist „Gott“? Kennt nicht jede Glaubensgemeinschaft ihren je eigenen „Gott“? Ist stets der gleiche gemeint, ob wir Allah (Islam), Gottvater (Christentum), Huiracocha (Inkas), Isis (Volksgöttin Naher Osten), Jahwe (Judentum), Manitu (Algonkin-Indianer), Ra (Ägypter), Shiva (Hinduismus) oder Zeus (Griechen) sagen? Die Variationsbreite allein des biblischen Gottes ist beträchtlich [2]. Eine von der DEUTSCHEN GESELLSCHAFT FÜR HUMANES STERBEN (DGHS) in Auftrag gegebene Repräsentativumfrage zum modernen Gottesverständnis brachte zur Jahrtausendwende die Erkenntnis, dass das Verständnis erstaunlich vielfältig ist, ja, dass die meisten Christen im Kernland früherer Religionskriege anders glauben als kirchliche Katechismen vorgeben. Für Deutschland ergab die Umfrage: Lediglich 17 % waren der Auffassung, Gott habe das Leben gegeben, nur er dürfe es wieder nehmen (Vorstellung von der Allmacht Gottes), verbunden mit der Ansicht, dass man Leiden bis zum Schluss ertragen müsse. … über das Leben? Immerhin 42 % vertraten die Auffassung: „Gott hat dem Menschen das Leben gegeben, so dass der Mensch in eigener Verantwortung darüber verfügen, d. h. auch, selbst über das Ende bestimmen kann“. Und für 34 % galt: „Der Mensch ist alleiniger Besitzer seines Lebens; er hat niemandem darüber Rechenschaft abzulegen und kann uneingeschränkt darüber verfügen.“ (forsa 2000). Insgesamt 76 % sprachen sich also für ein Verfügungsrecht des Menschen und nicht („)Gottes(“) aus. Bei den unter 30-Jährigen waren es lediglich 12 %, die an ein Verfügungsrecht Gottes glaubten. Die Umfrage zeigte, dass die in Deutschland massiv auch in den Medien verbreitete Kirchenmeinung nicht mehrheitsfähig ist. Doch auch Minderheitenmeinungen sollten, besonders dann, wenn es um Glaubens- und Gewissensfragen geht, toleriert und respektiert werden. Zwar hat das institutionalisierte Christentum mit der kirchengeschichtlichen Entwicklung Dogmen, Eigenheiten und Facetten entwickelt, die es sogar den einzelnen Religionsgemeinschaften schwer machen, ökumenisch zu denken und das Gemeinsame stärker zu gewichten als das Trennende. Zweifellos aber hätten die heutigen Kirchen Chancen, sich zu häuten, missverständliche Interpretationen abzumildern und im Interesse der Schwächsten der Gesellschaft, der Sterbenden, ein humaneres Antlitz (auch „ihres“ Gottes) zu zeigen. Wie? Blockiert die historische Tradition der Kirchen den Schritt in modernere Interpretationen? Oder ist es eher umgekehrt: Zeigt nicht der Wandel im kirchlichen Denken – beispielsweise zum Thema der Sterbehäuser bzw. Hospize – dass Chancen bestünden, Brücken zu bauen und Konflikte zu überwinden? Sind nicht bereits modernere Bibel-Übersetzungen des 5. Gebotes, in denen es nicht mehr heißt „du sollst nicht töten“, sondern (sinnvoll) „du sollst nicht morden“ Indizien dieses Wandels? diesem Sinne war Saulus „tot“, bevor er als Paulus im Glauben lebendig wurde. Paulus schreibt an die Epheser: „Aber Gott, der da reich ist an Barmherzigkeit, hat um seiner großen Liebe willen, mit der er uns geliebt hat, auch uns, die wir tot waren in den Sünden, samt Christus lebendig gemacht, denn aus Gnade seid ihr gerettet worden.“ [4] Die real Toten sind im frühen Christentum geradezu unbeachtlich, denn es geht ja darum, die „toten“ Nicht-Christen zum Leben in Christus zu erwecken, aufzuwecken vom („toten“) Unglauben und Andersglauben. Das Totenreich ist nach dieser Lesart das Reich derjenigen, die „tot waren in den Sünden“, das Reich des Lebens das derer, die an Christus glauben. Als „Leben“ wird „Christus unser Leben“ bezeichnet [5]. Entsprechend lautet ein berühmter, dem Rabbiner Jesus von Nazareth zugesprochener Satz: „Folge du mir und lass die Toten ihre Toten begraben!“ [6] Keine Angst vor dem Tod Vor dem realen klinischen Tod hatten Paulus und christliche Märtyrer keine Angst; wohl aber vor dem <religiösen Tod>: „Fürchtet euch nicht vor denen, „Leben“ und „Tod“ als Metaphern Besehen wir uns das NEUE TESTAMENT, so fällt auf, dass die Begriffe „Leben“ und „Tod“ nicht konkret wissenschaftlich und medizinisch-biologisch verstanden werden müssen, sondern an verschiedenen Stellen symbolisch und metaphorisch gemeint gewesen sein dürften [3]. Dazu ein Beispiel: Paulus spricht in seinem Brief an die Epheser nur symbolisch von „Tod“ und „Leben“. Das Wort „Tod“ bedeutet nicht im medizinischen Sinn Lebensende, sondern im übertragenen Sinn ein „Leben ohne religiös-verinnerlichten Glauben“ an Christus und dessen Theologie. So wie Sozialwissenschaftler vom „sozialen Tod“ sprechen, wenn soziale Kontakte gestorben sind (und die Betroffenen nicht klinisch tot sind), so kann vom <religiösen Tod> gesprochen werden, wenn Menschen nicht im Glauben an die jeweilige Religion – hier: das Christentum – erweckt wurden und noch nicht gewissermaßen „auferstanden“ sind, um für diesen Glauben zu zeugen. In Die Tradition der Osterfeuer, ein letztlich heidnischer Ritus. Was, so sollten wir uns auch fragen, ist „echt“ am Christentum? Das Feuer hat auch symbolische Bedeutung, ebenso im Sprachgebrauch: „Er hat eine feurige Rede gehalten“ meint nicht, dass die Rede verbrannt oder von den Flammen verzehrt wurde. die den Leib töten und danach nichts mehr tun können.“ [7]. Übertragen auf die heutige Zeit: Fürchtet euch nicht vor den Sterbehelfern und Suizidbegleitern! Kümmert euch um das Seelenheil, um Glaubensfragen, also um zentrale religiöse Inhalte, aber Auch Theologen haben erkannt, welche Bedeutung nicht um klinische die symbolische Sprache in Glaubensfragen hat. Fragen! Wäre dies nicht ein Weg, Konfrontationen zu vermeiden? Könnte der Wahlspruch nicht lauten: Gebt der Kirche, was der Kirche ist, und dem selbstbestimmt Sterbenden, was dessen Wille ist? – Beides muss sich nicht widersprechen, wenn verstanden wird, dass sich die Kirche stärker für die Verfügungsgewalt Gottes hinsichtlich der im Glauben Lebendigen einsetzen möge, nicht aber für die Verfügungsgewalt über biologisch-medizinische Vorgänge. Physischer und psychischer, medizinisch-klinischer und transzendent-religiöser Tod müssen nicht identisch sein! – Im Interesse der Patienten und Sterbenden wäre es wichtig, dass die Religionsgemeinschaften im transzendenten Bereich des Glaubens Orientierungswissen anbieten, sich jedoch nicht gegen die Gewissensfreiheit jener (auch Gläubigen) stellen, die ihr physisches Leben beenden möchten. Kurt F. Schobert [1] Die in Klammern gesetzten Anführungsstriche bedeuten: Manche sehen GOTT als real an, für manche ist er lediglich ein Begriff, für manche Illusion und Projektion menschlicher Utopien. Vgl. zur Thematik auch das Titelbild und IM BRENNPUNKT (HLS 2/2007, S. 3). [2] Vgl. Kreiner, Armin: Das wahre Antlitz Gottes – oder was wir meinen, wenn wir Gott sagen. Freiburg, Basel u. Wien 2006 [3] Jülicher, A.: Die Gleichnisreden Jesu; Conzelmann H./Lindemann, Andreas: Arbeitsbuch zum Neuen Testament; Coenen, L./Haacker, K.: Theologisches Begriffslexikon zum Neuen Testament. Teilweise gilt die Symbolsprache auch für das ALTE TESTAMENT: „Die Wiederherstellung des Volkes wird als Auferstehung der Toten beschrieben“, 1. Sonderauflage Wuppertal 2005, S. 95 mit Bezug auf Jes 26:19 [4] Brief des Paulus an die Epheser 2:4 f. [5] Brief des Paulus an die Kolosser 3:4 [6] Matthäus 8:22; analog Lukas 9:60 [7] Lukas 12:4 Humanes Leben · Humanes Sterben 2/2007 49