7 Das Konzept kollegialer Unterstützung

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Das Konzept kollegialer Unterstützung
In belastenden Arbeitssituationen ist für Mitarbeiter oft eine Unterstützung
durch Kollegen aus dem eigenen Betrieb hilfreich. Dies liegt zum einen daran,
dass sie sich als Personen untereinander möglicherweise gut kennen, aber auch
daran, dass Kollegen über die Arbeitssituation, die Gegebenheiten des Betriebes
oder des Teams etc. Bescheid wissen und daher wichtige Aspekte ohne viele
Erklärungen verstehen oder sich rasch einfühlen können. Zum anderen ist eine
Unterstützung, die vonseiten des Arbeitgebers initiiert wird, ein Zeichen der
Wertschätzung für die Mitarbeiter. Dies ist neben der arbeitsrechtlichen Perspektive auch aus der Perspektive der Mitarbeiterzufriedenheit von Relevanz.
Das Konzept der kollegialen Helfer oder Unterstützer sieht vor, dass ein
Team von Kollegen als Ansprechpartner für Kollegen mit Unterstützungsbedarf zur Verfügung steht (s. Anhang, Arbeitsblatt 10). Solche Konzepte sind in
verschiedenen Betrieben bereits unter unterschiedlichen Namen etabliert, etwa
die „Psychosoziale Unterstützung“ bei der Feuerwehr oder „Kollegiale Hilfe“ in
manchen psychiatrischen Kliniken. Kollegen, die als kollegiale Unterstützer für
Mitarbeiter in Notfallsituationen zur Verfügung stehen, sollten im Vorfeld
Wissen darüber erwerben, welche Unterstützungen möglich und sinnvoll sind.
Dazu können z. B. das vorliegende Manual oder entsprechende Schulungen dienen. Die im Anhang dargestellten Fallbeispiele können in Schulungen genutzt
werden, um das Vorgehen als kollegialer Unterstützer zu üben (s. Anhang, Fallbeispiel 2–4). Weder ein Zuviel noch ein Zuwenig an Hilfen ist gut. Es empfiehlt
sich eher ein gezieltes Angebot, das zwischen Unterstützer und Betroffenem
abgestimmt wird. Daher sollen im konkreten Fall auch nicht alle Bewältigungsangebote, die im vorliegenden Manual dargestellt werden, zum Einsatz kommen, sondern es sollten wie in einem Baukastensystem geeignete Angebote ausgewählt werden. Die Unterstützungsangebote sollten so formuliert und gestaltet werden, dass die Überwindung, sie in Anspruch zu nehmen, möglichst gering ist. Hierbei kann auch die Verankerung der Unterstützungsangebote im
Unternehmen eine große Rolle spielen.
Damit kollegiale Unterstützungsangebote in einem Unternehmen etabliert
werden können, sollten entsprechende Strukturen geschaffen (Kap. 7.1) und
Mitarbeiter über das Angebot adäquat informiert werden (Kap. 7.2). Kollegiale
Unterstützer sollten grundlegende Schulungen erhalten und wissen, wovon es
abhängt, welches Unterstützungsangebot sie betroffenen Mitarbeitern machen
können (Kap. 7.3). Ferner sollten sich kollegiale Unterstützer über die Grenzen
ihres Angebotes bewusst sein (Kap. 7.4). Damit das Unterstützungsangebot
strukturiert verlaufen kann, empfiehlt es sich, Checklisten zu erstellen
(Kap. 7.5). Letztlich sollte auch die Psychohygiene kollegialer Unterstützer beachtet und hierfür geeignete Maßnahmen etabliert werden (Kap. 7.6).
Illes: Suizide im beruflichen Kontext. ISBN: 978-3-7945-3089-2. © Schattauer GmbH
Basismodule – Strategien vor dem Ereignis
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7.1
Strukturen für kollegiale Unterstützungsangebote
Es ist günstig, wenn in Unternehmen Strukturen geschaffen werden, in denen
kollegiale Unterstützungs- und Hilfsmöglichkeiten integriert sind. Somit kann
gewährleistet werden, dass einem Mitarbeiter bei außergewöhnlichen Ereignissen nicht nur „zufällig“ oder bei gutem Kontakt zu anderen Kollegen Hilfen
angeboten werden. Stattdessen sollte ein Angebot geschaffen werden, das zeitnah für alle Mitarbeiter gleichermaßen erreichbar ist. Über dieses Angebot und
mögliche Zugangswege sollten alle Mitarbeiter informiert sein (z. B. über Flyer,
Intranet, Aushänge etc.). Es sollte geklärt sein, wie bei Bedarf die Hilfe kontaktiert werden kann (z. B. über eine Telefonnummer, E-Mail). Für die Gespräche
sollte ein ruhiger Raum zur Verfügung stehen.
Notwendige Strukturen für kollegiale Unterstützungsangebote
Helferteam bzw. Ansprechpartner benennen
Schulungen der Helfer, Schaffung entsprechender Strukturen
Information über mögliche Unterstützungsangebote
Erreichbarkeit der Hilfe (z. B. Telefon, E-Mail)
Raum für Gespräche
Zeit, Freistellung von Dienstaufgaben für Helfer
Kosten für bestimmte Hilfen (z. B. Taxi)
Supervision/Nachsorge für Helfer
Wie die Unterstützungsangebote im Einzelnen ausgestaltet werden können,
richtet sich stark nach den jeweiligen Gegebenheiten im Unternehmen. Denkbar ist z. B., dass es feste Ansprechpartner gibt, die in solchen Fällen kontaktiert
werden. Dies können einzelne Personen oder ein Team von Mitarbeitern sein.
Günstig ist, wenn Ansprechpartner aus verschiedenen Berufsgruppen oder verschiedenen Hierarchiestufen Mitglieder des Teams sind. Allerdings eignet sich
nicht jeder Mitarbeiter als Helfer und Unterstützer, weshalb eine entsprechende
Auswahl getroffen und niemand zu einer solchen Aufgabe gezwungen werden
sollte.
Leistet ein Mitarbeiter aus dem Team eine kollegiale Unterstützung für einen
anderen Mitarbeiter, so kann er seinen eigentlichen beruflichen Aufgaben in
der Zeit nicht nachkommen. Es bedarf einer Regelung, wie diesbezüglich zu
verfahren ist und wie dies aufgefangen werden kann. Dies gilt für unplanbare
Zeiten, wie unmittelbar nach einem Ereignis, und für planbare Zeiten, in zeitlichem Abstand zu dem Ereignis. Ferner sollte besprochen werden, inwiefern
möglicherweise anfallende Kosten (z. B. Taxikosten, um stark betroffene Mitarbeiter nach Hause zu bringen) vom Unternehmen getragen werden. Da Hilfestellungen unter Umständen auch belastend für die Helfer sein können, sollten
Möglichkeiten zur Supervision vonseiten des Unternehmens geboten werden.
Illes: Suizide im beruflichen Kontext. ISBN: 978-3-7945-3089-2. © Schattauer GmbH
7 Das Konzept kollegialer Unterstützung
7.2
Information über kollegiale Unterstützungsangebote
Die erste wichtige Überlegung ist, wie man betroffene Mitarbeiter über die Unterstützungsangebote informieren kann. Bereits vor Eintreten eines belastenden beruflichen Ereignisses sollte über die Möglichkeiten der Unterstützung
informiert werden, z. B. über das Intranet oder über Flyer, die jeder neue Mitarbeiter bei der Einstellung erhält oder die auf den Stationen aushängen können.
Möglichkeiten der Information über kollegiale Unterstützungsangebote
Im Vorfeld:
– allgemeine Information über das Angebot (z. B. Flyer, Homepage)
Bei Eintritt eines belastenden beruflichen Ereignisses:
– persönliche Kontaktaufnahme mit betroffenen Kollegen bzw. Teams
– schriftliche Information aller Teammitglieder über das Unterstützungsangebot (z. B. E-Mail)
Sonderfälle:
– Teammitglieder, die im Urlaub oder krank sind
– Teammitglieder, die nach dem Ereignis erkrankt sind
Kommt es zu einem belastenden beruflichen Ereignis, ist es sicherlich sinnvoll,
wenn das Team der kollegialen Unterstützer zeitnah darüber informiert wird
und das betroffenen Team bzw. betroffene Mitarbeiter persönlich aufsuchen
und ein Unterstützungsangebot machen kann. Mitarbeiter, die einen engen Bezug zu dem Suizidenten hatten, aber aktuell nicht am Arbeitsplatz sind (z. B.
aufgrund von Urlaub, Freistellungszeiten, Eingebundenheit in einen anderen
Arbeitsbereich oder Ähnlichem) sollten bei der Formulierung der Unterstützungsangebote nicht übersehen und nach ihrer Rückkehr in den Dienst kontaktiert werden. Daher ist eine zusätzliche schriftliche Formulierung des Unterstützungsangebotes (z. B. per E-Mail) empfehlenswert. Diese anonymere Form
der Kommunikation macht es möglicherweise für einige Betroffene einfacher,
sich zu melden und um Hilfe zu bitten.
Eine sensible Frage ist, wie mit Mitarbeitern umgegangen werden sollte, die
nach dem belastenden Ereignis erkrankt sind, insbesondere dann, wenn dies
geschehen ist, ohne, dass ein Unterstützungsangebot formuliert werden konnte.
Sollten diese Mitarbeiter zu Hause kontaktiert und ihnen ein Angebot gemacht
werden oder sollte gewartet werden, bis die Kollegen zum Arbeitsplatz zurückkehren? Hierauf lässt sich keine eindeutige Antwort geben. Welches Vorgehen
als adäquat betrachtet wird und arbeitsrechtlich möglich ist, sollte jedes Unternehmen individuell prüfen.
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