PSYCHODRAMA NACH J.L.MORENO SKRIPTUM ZUM SEMINAR: Grundlagen der Psychotherapie PSYCHODRAMA SS 2009 VERFASST VON DR. JUTTA FÜRST SALVATORGASSE 2A A-6060 HALL I.T. TEL/FAX: 0043-5223-44695 E-MAIL: [email protected] 2 PSYCHODRAMA 1. Einleitung: Das Klassische Psychodrama wurde vom Arzt J.L. Moreno Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt, der den Begriff Gruppenpsychotherapie erstmals verwendet und geprägt hat und auch als Begründer der Soziometrie gilt. Im Begriff des Triadischen Psychodramas findet die Zusammengehörigkeit der drei Begriffe Psychodrama, Soziometrie und Gruppenpsychotherapie seinen Ausdruck. Psychodrama wird sowohl in der Gruppe als auch in der Einzelbehandlung verwendet. Es ist nach Moreno „die Methode, welche die Wahrheit der Seele durch Handeln ergründet“, was nicht den Verzicht auf sprachlichen Ausdruck bedeutet, aber die Handlung als wesentliches Ausdrucks- und Gestaltungsmittel in den Vordergrund rückt. Im Psychodrama wird der Wirklichkeit verstärkt Rechnung getragen, indem der einzelne mit seinem Problem immer im Zusammenhang mit seinem Umfeld gesehen wird und die Gruppe bzw. Mitmenschen zur Lösung des Problems miteinbezogen werden. Der Mensch lebt während seines gesamten Lebens in Gruppen verschiedenster Art (Familie, Schule, Ausbildung, Beruf, Freizeit) und steht in all seinem Tun und Denken immer in Beziehung zu anderen. Er wird beeinflusst und beeinflusst die anderen und übernimmt viele Rollen. Das Denken und Arbeiten in und mit Rollen ist ein wesentlicher Teil des Psychodramas, wobei die Rolle im Sinne Morenos nicht der Theaterrolle entspricht, die quasi vorgefertigt gespielt wird. Die Rolle im psychodramatischen Sinn ist ein nicht abzulegender Teil der Persönlichkeit und abhängig vom Anderen. Im Psychodrama wird versucht, jenes Potential freizusetzen, das adäquate Lösungsansätze (Kreativitäts- und Spontaneitätskonzept Morenos) zulässt und ein Verstehen der Situation ermöglicht. Patienten werden eingeladen und ermutigt Szenen ihres Lebens, belastende Ereignisse, Konfliktsituationen, Träume u.a. darzustellen, um unter Zuhilfenahme verschiedenster Techniken wie Rollentausch, Dialog, Innerer Monolog, Doppelgänger, Spiegeln u.a. gefühlsmäßige Entlastung zu erlangen, Zugang zu Gefühlen zu bekommen, Zusammenhänge zu erkennen, das eigene und fremde Verhalten zu verstehen, Ressourcen und neue Lösungsmöglichkeiten zu entdecken und diese zu erproben. Der Ablauf ist klar strukturiert in eine Erwärmungsphase, die dazu dient ein offenes und angstfreies Klima zu schaffen, in eine Handlungsphase, in der an einem bestimmten Problem gearbeitet wird und in die Integrationsphase, in der über das Vorangegangene reflektiert wird. Es ist eine Methode die gleichermaßen kausal und symptomgerichtet vorgeht, die emotionale und rationale Einsicht vermittelt und zwar mit Erlebnisintensität und plastischer Anschaulichkeit. Sie schafft intellektuellen Patienten rasch einen Zugang zu ihrer Gefühlsebene, vermittelt aber auch Patienten mit geringerem Abstraktionsund Reflexionsvermögen ansonsten kaum erfassbare Einsicht. 3 Psychodrama hat aufgrund seiner Vielseitigkeit weltweit Eingang in unterschiedlichste Bereiche gefunden. Besondere Bedeutung hat es in der klinischen Arbeit mit psychiatrischen Patienten, in der psychotherapeutischen Privatpraxis, in der Kinder- und Jugendlichentherapie, in der Therapie mit behinderten Menschen, aber auch in Sozialarbeit, Pädagogik und Erziehungsberatung. Moreno hat als Arzt und Psychotherapeut, Philosoph und Dichter, Soziologe und Techniker zeit seines Lebens verschiedene Wissenschaften miteinander verbunden und im Psychodrama eine Methode entwickelt, die in ihrer Offenheit gegenüber dem Anderem, Fremden zukunftsweisend ist. 2. Definition: Die wesentlichen Elemente des Psychodramas (und des Monodramas), die es von anderen therapeutischen Methoden unterscheidet, die zum Teil ähnliche Techniken und/oder auch Rollenspiele verwenden, sind (Schmitz-Roden U.1996, Dudler A./Neumann E. 1996.): Das Individuum wird als Gruppenwesen gesehen. Es ist von Beginn an ein soziales Wesen, das ohne den anderen nicht existiert. Damit kann die Therapie nie eine Einzeltherapie im engeren Sinn sein. Sie denkt nicht nur die anderen mit, sondern lässt die Beziehungen durch die szenische Arbeit lebendig werden. Und macht damit auch die in ihr liegenden Ressourcen zugänglich. Psychodrama, in welcher Form auch immer, ist Denken und Handeln in Beziehungsstrukturen. Die Begegnung (mit sich selbst und anderen) wird als bedeutender Heilfaktor betrachtet. Dazu trägt im wesentlichen die therapeutische Grundhaltung des Psychodramatikers bei, die von der Überzeugung getragen wird, dass er/sie lediglich Promotor für eine Entwicklung sein kann indem er/sie günstige Bedingungen herstellt in dem Bewusstsein, dass das „Leben (oder wie Moreno sagt die Schöpfung) mehrere Autoren hat. Das Ereignishafte der Begegnung ist zentraler als ein bewusster Input, eine bewusste Intervention“ (Schmitz-Roden U.1996, S.29) Vergleichbar scheint mir die Rolle des Psychodramatikers mit der eines Expeditionsbegleiters, der nicht nur für den Schutz des Forschers verantwortlich ist, sondern auch über umfangreiches technisches know how verfügt, wie die, im Zuge der Expedition auftretenden Probleme bewältigt werden können. Er kennt aber weder das Forschungsergebnis noch den Weg dorthin und er ist kein Experte, der per Funkgerät aus sicherer Distanz Anregungen oder Anweisungen gibt, aber auch nicht nur ein Begleiter, der mit dem Forscher im nächstbesten Sumpf versinkt . Die Vorstellung von Erleben und Verhalten in Rollen. Für den Psychodramatiker schlüpft der Mensch nicht nur zeitweise in irgendwelche Rollen, sondern er existiert nicht außerhalb von Rollen. Das schließt wiederum an die erste Prämisse an. Die Mehrheit der Rollen entsteht durch die Interaktion mit anderen und ist ohne den anderen nicht denkbar. Dies schließt auch das Konstrukt einer Persönlichkeit, bestehend aus Rollen mit ein. Die Einbindung in einen größeren Gesamtzusammenhang. „Entweder der Mensch ist mitverantwortlich für das ganze Universum, für alle Formen des Seins, für alle Werte oder seine Verantwortlichkeit bedeutet überhaupt nichts.“ (Moreno, 1959) Psychodrama ist ohne die (in der Psychotherapie oft ausgeklammerte) Auseinandersetzung mit Werten und existenziellen Fragen nicht denkbar, dazu 4 gehören Grundsätzliches, wie die Entwicklung von Spontaneität und Kreativität ebenso wie der Einsatz bestimmter Techniken, wie z.B. das Axiodrama 3. Einflüsse: Die Jahrhundertwende war geprägt von einem Umbruch im Menschen und Weltbild. Die Philosophie verlor ihre Bedeutung als verbindendes Glied aller Wissenschaft. Die Frage nach dem Sein wurde abgelöst von einem positivistischen Wissenschaftsansatz, der Erfahrung als einzige Grundlage hat und die Nachprüfbarkeit an oberste Stelle stellt. Judentum: Die Sephardim sind jüdische Nachkommen auf der Pyrenäen- Halbinsel. Von dieser Bevölkerungsgruppe stammte auch Morenos Familie ab. Die sephardischen Juden, ca. 200.000 wurden 1492 durch ein Edikt der Habsburger Herrscher Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon gezwungen, entweder zum katholischen Glauben zu konvertieren oder das Land zu verlassen. Dieser Exodus endete für viele tödlich oder führte in die Sklaverei. Wenige konnten sich in das byzantinische Reich retten, wo ihnen Sultan Bayazid II Gastfreundschaft gewährte. Diese Geschichte wurde von den Nachfahren dieser Überlebenden tradiert und war Bestandteil der familiären Geschichte Morenos. (siehe: Geschichte seiner Geburt) Charakteristika des sephardischen Judentums: Der Mensch lebt für die Freude „Das Göttliche ist in den Elementen vervielfacht“ (Spinoza 1656) „Die Heilige Schrift hat 70 Gesichter und zeigt jedem Geschlecht ein anderes“ bedeutete Auslegungsfreiheit der Heiligen Schrift in Anpassung an die Erfordernisse Die Chassidim sind eine jüdische Bewegung, die sich aus der Tradition der älteren Sephardim entwickelt hat. Sie entstand in Polen und der Ukraine. Religiöse, charismatische Führer waren die Träger dieser Tradition Chaim Kellmer und Martin Buber als Vertreter des Chassidimus beeinflussten Moreno maßgeblich. Charakteristika des chassidischen Judentums Direkte Begegnung mit Gott ( Du Gott) In der Begegnung mit anderen Menschen wird die Begegnung mit Gott wiederbelebt Der Mensch ist nicht ein Sündiger, sondern ein Rebell, in dem er vom Baum der Erkenntnis isst. Als Ausgewiesener aus dem Paradies wird er zum Kreator, der weiß was gut und böse ist. Die Kabbala ist eine mystische jüdische Erzähltradition. Die Eingeweihten trafen sich in Kleingruppen, die aus der gleichen Anzahl Männer wie Frauen bestand. Alle waren gleichberechtigt. Verbindend war der spirituelle Funke, den jeder in sich trug. Die Kabbala hat ihren Ausgangspunkt in Gott und erfasst auf jeder Ebene alle Gegensätze des menschlichen Lebens (Geisler, 1999, S 46) Wichtige Begriffe sind Freundschaft, Solidarität, Güte, Treue und Ehrlichkeit. Kreativität und Spontaneität sind in ihr die göttlichen Energien. 5 Die Idee der Weiterentwicklung in und durch die Gruppe liegt ihr zugrunde. Besonders die letzteren Elemente tauchen in den Konzepten Morenos wieder auf. Sokrates: Moreno bewunderte die maieutische Technik Sokrates. Indem er die Rolle des Unwissenden, des Schülers einnahm und damit praktisch einen Rollentausch mit dem Fragenden vollzog, brachte er diesen in die Rolle des Wissenden, der seine Frage selbst beantworten konnte. (Platon 427-347 v.Chr.) Aristoteles (384-322 v.Chr.): Katharsis, heißt wörtlich übersetzt Reinigung und geht auf die Mysterien zurück, in denen sich der Myste vor der heiligen Handlung rein von allem machen musste. Moreno schließt am Katharsiskonzept Aristoteles (De Poetica) an, geht aber noch weiter darüber hinaus. Er sieht sie als „Befreiung zu schöpferischer Spontaneität“ und nicht allein als Observationskatharsis. Er nennt die Katharsis, die im Protagonisten vor sich geht Aktionskatharsis:„Jedes wahre zweite Mal ist die Befreiung vom ersten.“ Henri Bergson ( 1859-1941) Bergson und Moreno ist die Idee einer göttlichen Schöpfung gemeinsam. Die Empirie ist der Ausgangspunkt für die Betrachtung, in der Raum und Zeit konkret erfahren werden können. Der Raum ist beständig, die Zeit immer etwas Neues, Einmaliges und Unwiederholbares. Der Raum verhält sich zur Zeit wie der Verstand zur Intuition. In der Intuition ist die reine Zeit „durée“ und die unteilbare Bewegung „ élan vital“ (Morenos Spontaneität) erfahrbar. Was bei Bergson die Bewegung, ist bei Moreno der Aktionshunger. Bergson trennt allerdings scharf zwischen Intellekt und Intuition. „Das Wesen des Intellekts ist es, uns in den Kreis des Gegebenen einzusperren. Die Tat aber durchbricht den Kreis“ (Bergson 1921. S. 197) während Moreno beharrlich versucht, sein Spontaneitäts- und Kreativitätskonzept mit einer naturwissenschaftlichen Denkweise zu erfassen. Bergson leugnet den Determinismus während Moreno versucht sich zwischen Bergsons Sichtweise und dem Determinismus Freuds zu sehen. Sören Kierkegaard (1813-1855) Moreno betrachtete Kierkegaard als Wahrheitsträger im Denken, sah jedoch sein Scheitern im Leben. Während Kierkegaard nie den Rahmen des Christentums überschritt, versuchte Moreno Gott zu produzieren („Wenn Gott in die Welt zurückkommt, würde er nicht als Individuum inkarniert, sondern als Gruppe, als Kollektiv“, Moreno, 1989) Kierkegaard ist nicht nur Existenzialist („Das Selbst des Menschen ist eine Folge von Momenten, ist das Verhältnis zu sich selbst“) wie Moreno, sondern auch wie er Dialektiker (Kierkegaard:„der Mensch ist eine Synthese von Unendlichkeit und Endlichkeit, von Freiheit und Notwendigkeit“, Windischer, 1972,S.52). Obwohl Moreno wesentliche Ideen aufgreift, bestehen auch erhebliche Unterschiede zur Philosophie Kierkegaards. Theater Ein Einfluss des Theaters auf Moreno und das Psychodrama gibt es zweifellos. Da es aber kein allgemeingültiges Konzept von Theater gibt, können nur die Einflüsse verschiedener Theaterkonzeptionen betrachtet werden. 6 Theater spielen heißt für Moreno die Welt miterschaffen. Damit geht er über Calderons Welttheater oder Shakespeares Vorstellung, „die ganze Welt ist Bühne“ oder Platons Idee vom Menschen in der Hand Gottes hinaus. Im Theater der Spontaneität nimmt der Mensch durch die Metaebene der Psychodramabühne Anteil an der Schöpfung. Er ist nicht ausgeliefert, sondern kann sein Leben gestalten. Morenos Erfahrungen mit dem Spiel („Gottspiel“), seine Inszenierungen in der Rolle des Märchenerzählers mit Kindern im Wiener Augarten und seine experimentellen Arbeiten auf der Stehgreifbühne flossen neben seiner Auseinandersetzung mit traditionellem Theater in seine Arbeit ein. Mysterien, Riten Am Beginn jedes Mythos steht die Frage „warum“. Der Wunsch auf Antwort und Erkenntnis führte einerseits zur Kreation des Mythos und steht für den Beginn des Dialogs mit dem Kosmos. Allen Mysterien (Dionysien, Lenäen, Kybele Kult, Attis Mysterien, Isiskult u.a). in denen zum Teil die Rolle der Gottheit von einem Priester übernommen wurde oder durch ein Symbol ersetzt wird, ist gemeinsam, dass der Mensch durch die kultische Handlung der göttlichen Kräfte teilhaftig wird. Im Psychodrama übernimmt nicht der Führer, Heiler oder Priester die Rolle Gottes, sondern der Patient selbst. Die mittelalterliche Mysterienspielen, in denen biblische Ereignisse unter Einbeziehung aller Menschen einer Gemeinde am Ort ihres alltäglichen Lebens gespielt wurden, kommen Morenos Idee sehr nahe, ebenso wie die Jedermannspiele, die im gesamten europäischen Raum verbreitet sind. Griechisches Theater Theater wurde seit der Antike zu therapeutischen Zwecken eingesetzt und ging aus den Kulthandlungen hervor. Im griechischen Theater erfolgt die individuelle Emanzipation des Menschen von seiner Unterlegenheit und Abhängigkeit von Gott. In dieser Phase der Individuation und Rebellion und dem aktiven Gegenübertreten entsteht der Protagonist, der in Dialog mit dem Göttlichen tritt. Stegreiftheater Moreno grenzte sich gegenüber der verschiedenen Formen des Stegreiftheaters ab (Atellantenspiel=Travestien zu den tragischen Tragödien, Hoftheater, Commedia dell’arte und das Altwiener Stehgreiftheater) da sie zuwenig Spielraum für spontanes kreatives Handeln boten. In den Narrenspielen der byzantinischen Kirche waren hingegen mehr psychodramatische Elemente enthalten. Experimentelles Theater ( Ausschaltung des Schriftstellers und des geschriebenen Stückes, Teilnahme des Publikums = Theater ohne Zuschauer, Schauspieler und Zuschauer sind die Schaffenden im Moment des Spiels, die alte Bühne wird ersetzt durch die offene Raumbühne) Verschiedene Traditionen der Heilkunst Moreno versuchte die seit jeher bestehende Kluft zwischen den zwei voneinander getrennten Traditionen ärztlicher Praxis miteinander zu verbinden: Die Kunst des Heilens, ausgeübt mit Intuition und Einfühlung und die technologisch – naturwissenschaftliche. Magische Praktiken sind nicht im Sinne parapsychologischer oder esotherischer Praktiken zu verstehen, sondern sind eine Magie des „make believe“ (siehe Kellerman 1992, S 131) 7 Altindische und altchinesische Heilkunst (der Mensch als Mikrokosmos des Universums) Heilkunst der Antike, Heilung durch Begegnung (Katharsis, sokratisches Gespräch) Medizin des christlichen Mittelalters (Hippokrates = Krankheit als ein Versagen an der Aufgabe in der Mitgestaltung der Welt, Paracelsus= Krankheit ist eine Blockierung des gesunden Kreislaufs) Homöopathie (Aktivierung der Selbstheilungskräfte aus einem ökologisch ganzheitlichem Denken) Naturwissenschaftliches und linear-kausales Denken sind besonders in den soziometrischen Studien und den empirischen Untersuchungen zur Spontaneität zu finden. 4. Die Konstituenten des Psychodramas (Leutz G. 1974) • • • • • • Die Bühne Der Psychodramaleiter (director) Der Hauptdarsteller (protagonist) Die Mitspieler (auxiliary egos) Die Gruppe Die psychodramatischen Techniken Die Bühne Von Moreno wurde ursprünglich in Beacon eine Dreistufenrundbühne mit Balkon entwickelt. Sie gestattete eine deutliche Abgrenzung von der Realität in der Gruppe und der psychodramatischen „als-ob“ Realität der Inszenierung. Gleichzeitig ist trotzdem der enge Kontakt zu Gruppe gewahrt. Auf der untersten Stufe findet der erwärmende Dialog und das Abschlussgespräch zwischen Protagonist/in und Therapeut/in statt. Der Balkon wurde meist als Bühne für transzendente Rollen verwendet. In der alltäglichen psychodramatischen Gruppenpraxis sollte ein Raum zur Verfügung stehen, der neben einem Sitzkreis ausreichend Platz für das psychodramatische Spiel bietet. Schönke (1991) betont die Wichtigkeit der Trennung zwischen Gruppenraum, dem Raum für die reale Welt im hier und jetzt, in dem das Anwärm- und Abschlussgespräch stattfindet und der Bühne, auf der Szenen aus der Vergangenheit und der Zukunft Platz finden, die dort erlebt werden, „als-ob“ sie wirklich wären. Die räumliche Trennung ermöglicht einen klareren Ausstieg und eine exakte wahrnehmbare Trennung zwischen den beiden Realitätsebenen. Scategni (1994) wiederum, sieht gerade durch die Inszenierung im Rahmen der Gruppe, also innerhalb des Sitzkreises als ein besonderes therapeutisches Faktum, das dem Protagonisten stärkt und schützt. Eine Entscheidung bezüglich der Aufteilung des Raumes muss demnach dem Ermessen des Psychodramaleiters unterliegen, der aufgrund der Gruppenzusammensetzung, dem zur Verfügung stehendem Raum und der zu bearbeitenden Problematik seine Wahl treffen wird. Im Einzelsetting genügt ein Raum von ca. 25 qm. Auch hier sollte es eine deutliche Trennung von Gesprächsebene und Spielebene geben. Der Psychodramaleiter/die Psychodramaleiterin (director) Sie sind für Zustandekommen und Verlauf einer Gruppe verantwortlich. Vier Rollen sind für die Handlungsfähigkeit des PDL (= Psychodramaleiters) besonders wichtig (Kellermann 1992): 8 Analytiker/in, Theaterdirektor/in, Therapeut/in und Gruppenleiter/in Analytiker/in: • Aktionsanalyse -Beobachtung was tatsächlich mitgeteilt wird (verbal und nonverbal) - durch Doppeln • Verstehen der nicht ausgesprochenen und unterschwelligen Mitteilungen • Analyse des Beziehungsgeschehens • Angemessene Verbalisierung • Erstellung von Hypothesen zur Genese • Therapieplanung Theaterdirektor: • Benutzung von Techniken als Mittel des Ausdrucks • Spielfreude, Humor und Pathos • Steuerung der räumlichen Inszenierung • Steuerung des zeitlichen Ablaufs • Unmögliches realisieren (Magier) Therapeut: • Wissen über abnormales und normales Verhalten • Empathisches Einfühlen • Erkennen, wann der Patient einer Krisenintervention, einer Symptomreduktion oder Persönlichkeitsveränderung bedarf • Auswahl zwischen zahlreichen therapeutischen Interventionen (präventiv, stabilisierend, korrigierend, entwickelnd oder unterstützend) • Sicherer Umgang mit nonverbalen Interventionen (Berührungen) Gruppenleiter: • Organisieren von Gruppenstrukturen (Zeit, Ort, Geld) Errichtung von Gruppennormen (Vertrauen, sozialer Kontakt außerhalb der Gruppe, Körperkontakt, Entscheidungsfindung, Verantwortlichkeit) • Bildung von Gruppenkohäsion, Regulierung der Gruppenspannung, Interaktionserleichterung, usw. • Erfassen von Gruppenprozessen und Verlauf Der Hauptdarsteller/die Haupdarstellerin (Protagonist) Protagonist bedeutet der erste Spieler (protos= erster, agon = Kampfspiel). Spielt in freier Aktion, sein eigenes Leben, Gegenwärtiges, Vergangenes, für die Zukunft Erwünschtes oder Erträumtes. In der Erwärmungsphase kristallisieren sich meist ein oder mehrere potentielle Protagonisten heraus. Der Protagonist/die Protagonistin bearbeitet eine Sequenz seines Lebens, die für ihn/sie persönlich aber auch gleichermaßen für die Gruppe bedeutungsvoll ist. Dadurch erhält er/sie die emotionale Unterstützung, die er/sie braucht. Die Mitspieler/die Mitspielerin (auxiliary egos) Die Mitspieler werden von Protagonisten gewählt und ermöglichen den Rollentausch, die Bewusstmachung von Gefühlen als Doppelgänger und die Konfrontation als 9 Spiegel. Durch die Teilnahme am Spiel, erhalten die MitspielerInnen die Möglichkeit bestimmte Rollen zu übernehmen und in der Identifikation sowohl Aufschluss über eigene Konflikte zu erhalten, als auch für den/die Protagonisten/in hilfreich zu werden und bei der Bearbeitung seiner/ihrer Probleme mitzuarbeiten. Die Mitspieler versuchen möglichst genau die Rollen zu übernehmen, wie sie vom Protagonisten beschrieben wurden und auch im weiteren Verlauf des Spiels sich an die Vorgabe des Protagonisten zu halten. Die Information, in welcher Weise er zu handeln oder zu reagieren hat, wird ihm durch den Rollentausch vermittelt. Die Gruppe Psychodrama ist Therapie in der Gruppe, durch die Gruppe und mit der Gruppe. Die Psychodramagruppe ist eine Gemeinschaft gegenseitiger Hilfe und Unterstützung, um den von jedem angestrebten Veränderungs- und Lernprozess zu ermöglichen (Schönke 1991) Je nach Indikation können Gruppen nach Alter, Geschlecht, Symptomatik, Größe u.a. homogen oder heterogen zusammengesetzt sein und geschlossen oder offen geführt werden. Das zeitliche Setting hängt vom Vorhandensein adäquater Bewältigungsstrategien und davon ab, ob die Therapie im stationären oder ambulanten Bereich durchgeführt wird. Die Spannbreite reicht von wöchentlich mehrfachen bis zu monatlichen Sitzungen und von 1,5 Stunden bis 4 Tage. Die psychodramatischen Haupttechniken (Vorwerg M., Alberg T.1991) • Doppeln Der Co-Leiter/die Co-Leiterin, ein Mitspieler oder der PDL stellt sich seitlich hinter den Protagonisten/die Protagonistin und spricht jene Gedanken und Gefühle in Ich-Form aus, die er/sie beim Protagonisten erfühlt. Der Protagonist kann das Gesagte des Doppels aufnehmen und fortführen oder auch zurückweisen. Man unterscheidet verschiedene Arten des Doppelns (Einfühlendes, unterstützendes, provokatives, ambivalentes u.a.) Es ist nicht möglich hinter dem Antagonisten/der Antagonistin zu doppeln. Das Doppeln entspricht entwicklungspsychologisch gesehen einer frühen Phase der kindlichen Entwicklung, in der die Mutter den Gefühlen und Gedanken des Kindes Ausdruck verleiht, bevor dieses der Sprache mächtig ist. Die Haltung drückt die Einheit von Mutter und Kind aus. Die Technik wird dann eingesetzt, wenn der Protagonist Unterstützung braucht, seinen Emotionen keinen verbalen Ausdruck verleihen kann, zwischen verschiedenen Gefühlen schwankt oder eine Entscheidung treffen will. • Spiegeln Der Co-Leiter/die Co-Leiterin oder ein Mitspieler/eine Mitspielerin übernimmt die Rolle des Protagonisten. Der Protagonist/die Protagonistin kann sich so selbst quasi von außen betrachten, als ob er/sie in einen Spiegel blicken würde, während der Mitspieler/die Mitspielerin in der Szene seine/ihre Rolle spielt. Entwicklungspsychologisch entspricht es jener Phase in der das Kind Bewusstheit entwickelt und sich selbst wahrnimmt. Die Spiegeltechnik ermöglicht dem Protagonisten sich zu distanzieren und die Rolle des Beobachtenden einzunehmen. Sie wir eingesetzt, wenn der Protagonist/die Protagonistin in seinen/ihren Gefühlen stark verstrickt ist, keine Lösungen entwickeln kann, in seinen/ihren Handlungen blockiert ist. 10 Ähnlich ist die Technik „Hoher Stuhl“, in der der Protagonist/die Protagonistin die Szene aus einer erhöhten Position betrachtet. Sie schafft eine noch stärkere Distanzierung. • Rollenwechsel Der Protagonist/die Protagonistin wechselt von einer Rolle in eine andere. Z.B.: der Protagonist/die Protagonistin versucht, Situationen aus verschiedenen Blickwinkeln zu erleben. • Rollentausch Der Protagonist/die Protagonistin übernimmt die Rolle des Antagonisten/der Antagonistin, mit dem er/sie sich gerade auseinandersetzt und der Mitspieler /die Mitspielerin übernimmt die Rolle des Protagonisten/der Protagonistin. Es ist die wesentlichste Technik des Psychodramas. Ohne Rollentausch kein Psychodrama! Sie ermöglicht dem Protagonisten die Sicht des anderen (siehe Persönlichkeits-Modell) wahrzunehmen und zu erleben. Der Rollentausch setzt ein höheres Rollenentwicklungsniveau voraus als die beiden vorangegangenen Techniken. Der Protagonist/die Protagonistin muss fähig sein, gleichzeitig sich selbst in der eigenen und in der Rolle des anderen zu erleben. • Innerer Monolog Der Protagonist/die Protagonistin spricht seine/ihre Gedanken aus, als ob die anderen ihn/sie nicht hören könnten oder als ob er/sie laut dächte. Eine Theatertechnik, die dazu dient Emotionen und Überlegungen wahrnehmbar werden zu lassen, die sonst im Verborgenen bleiben würden. Der innere Monolog erleichtert die Selbstreflexion und ermöglicht die Verbalisierung von unausgesprochenen Gefühlen und Gedanken. • Interview Der PDL befragt den Protagonisten in einer Antagonistenrolle. Dient dazu die Rollenübernahme zu erleichtern und schafft Zugang zu Informationen über die Antagonistenrolle (siehe Persönlichkeitsmodell) 5. Aufbau des Psychodramas: 1. Warm up Die erste Phase dient dazu die Gruppe und den einzelnen für ein Thema und die nachfolgende Spielphase zu erwärmen. Um ein Problem oder ein Thema behandeln zu können, braucht es eine Zeit der Vorbereitung. Ähnlich einem Sportler der seine Muskeln für nachfolgende Leistungen erwärmt, bewirkt ein Gespräch, ein Angebot, ein Bild, eine Szene eine Aktivierung des Menschen, steigert seine emotionale Beteiligung und die Bereitschaft sich auf die szenische Arbeit einzulassen. Verschiedene psychodramatische Techniken (z.B. der leere Stuhl) können ebenfalls dazu beitragen. In dieser Phase wird klar, wer der Protagonist/die Protagonistin für die kommende Spielphase sein wird. 2. Spielphase In der Spielphase kommt das Gruppenthema zur Inszenierung. Entweder in Form eines 11 • Protagonistenzentrierten oder eines • Gruppenzentrierten Spiels Der Protagonist/die Protagonistin wird vom Psychodramaleiter eingeladen, die Szene, in der das Problem deutlich wird, auf der Bühne zu reinszenieren. Er/Sie richtet die Bühne ein, d.h. nimmt Stühle, Tische manchmal auch Personen um den Raum in dem sich Handlung abspielt zu skizzieren. Er/Sie wählt aus den übrigen TeilnehmerInnen die Mitspieler, die seine/ihre Anweisungen befolgen und nach seiner/ihrer Regie handeln. Die Inszenierung und das Wiedererleben führen häufig zu Assoziationen und der Erinnerung neuer oft weiter zurückliegender Szenen. Die nächste Szene beginnt ebenso mit Bühnenaufbau, Auswahl der Mitspieler und endet im eigentlichen Spiel. Im Verlauf des Spieles kommt es bei Kindheitserinnerungen oft sehr rasch zu einer Alterregression des Protagonisten und die Mitspieler können sich mit ihren Rollen aufgrund eigener Erfahrungen sehr gut mit den Rollen identifizieren. Das Erleben im Spiel ähnelt dem ursprünglichen Erleben. Dadurch wird die Katharsis ermöglicht. Im Gruppenspiel spielt jedes Gruppenmitglied spontan eine gewählte Rolle, die Teil des vorher besprochenen Szenarios ist (z.B.: Märchen, Stegreifspiel) 3. Integrationsphase Die Integrationsphase dient der Reflexion, dem Austausch des Erlebten und dessen Einordnung in einen Gesamtzusammenhang. Man unterscheidet dabei verschiedene Möglichkeiten. Rollenfeedback Im Rollenfeedback berichtet die MitspielerInnen ausschließlich aus den Rollen, die sie im Spiel innehatten und eröffnen damit dem Protagonisten/der Protagonistin und der Gruppe neue Perspektiven. Jeder einzelne Mitspieler wird dazu ermuntert aus seiner Rolle oder seinen Rollen zu erzählen. Identifikationsfeedback Aber auch die Zuschauer und der PDL haben sich mit der einen oder anderen Rolle identifiziert und können aus dieser Rolle einen Beitrag leisten. Sharing Während der Protagonist sein Spiel inszeniert, leben und leiden die Zuschauer oft mit. Eigenes ähnlich Erlebtes taucht auf und wird erinnert. Der Protagonist wiederum muss nach dem Spiel erst wieder in die Gruppe zurückfinden. Die gemeinsam erlebten Gefühle verbinden Zuschauer und Protagonisten miteinander. Zum bewussten Erleben dieser Verbindung dient das Sharing .Die Gruppenmitglieder werden dazu eingeladen ihr persönliches, gefühlsmäßiges Miterleben mit dem Protagonisten zu teilen. Dadurch fühlt sich der Protagonist /die Protagonistin gestützt und verliert das Gefühl mit seinem Problem allein dazustehen. Für die Zuschauer ist es entlastend ihr persönliches Erleben mit den anderen zu teilen. Aus der Betroffenheit nach einem psychodramatischen Spiel ergibt sich nicht selten das nächste Protagonistenspiel. 6. Rollentheorie und Entwicklungspsychologie "Die Rolle ist die funktionelle Form, die ein Individuum in einem bestimmten Augenblick und Situation an der andere Individuen oder Objekte beteiligt sind, annimmt." (Moreno,1964) 12 Dem Psychodrama liegt das Konzept zugrunde, dass der Mensch ein Rollenspieler ist und dass sich seine Persönlichkeit aus Rollen konstituiert. „Role playing is prior to the emergence of the self. Roles do not emerge from the self, but the self may emerge from roles"(Moreno,1964) Moreno unterscheidet Handlungsebene nach der Reihenfolge ihrer Entwicklung auf der a) Somatische Rollen Sie sind die ersten Rollen des Menschen. Da sie fast immer mit einer psychischen Komponente verbunden sind, werden sie auch als psychosomatische oder korrekter somatopsychische Rollen bezeichnet. Einige dieser Rollen sind an bestimmte Lebensphasen gebunden, tauchen auf und verlöschen wieder (der/die Essende, der/die Atmende, der/die Singende usw.) b) Psychische Rollen Sie sind immer Korrelate anderer Rollen, treten immer gemeinsam mit ihnen auf. Sie haben für die Entwicklung weiterer Rollen eine wesentliche Bedeutung (Der/die Gekränkte, der/die Genießende usw.) c) Soziale Rollen In ihnen setzt sich der Mensch mit der äußeren Realität auseinander. Sie sind durch das gesellschaftliche Zusammenleben und durch das Individuum bestimmt (König, Angestellte, Polizist, Mutter, usw.) d) Transzendente Rollen Es handelt sich dabei um Rollen, die ein Wertesystem oder eine Symbolstruktur repräsentieren, für die sich ein Individuum bewusst entscheidet. (z.B.: Hedonist, Christ, Mohammedaner, Kommunist usw.) Die Rolle ist zweckorientiert und kann mehr oder minder gut dazu dienen, ein Ziel zu erreichen. (Zeintlinger-Hochreiter K. 1996) Sie hat bei Moreno vier verschiedene Bedeutungen. 1. Rolle als kollektives soziokulturelles Stereotyp (Soziologische Dimension des Rollenbegriffes) Man könnte sie auch als vorgeformte Handlungsziele und Verhaltensmuster bezeichnen. Meist unterliegen sie gesellschaftlichen Normen, deren Nichterfüllen sanktioniert wird (Mutter, Vater) Sie enthalten Muss-, Kann- und Sollerwartungen. 2. Rolle als vorgegebenes Handlungsmuster Sie entspricht der Theaterrolle, der Rollenkonserve. Sie sind bezüglich Text und Situation und Handlungsbreite festgelegt. 3. Rolle als individuell gestaltetes, abrufbares Handlungsmuster Individuelle Rollen enthalten immer kollektive und private Elemente. Sind Ergebnis interpersonaler Erfahrungen 4. Rolle als tatsächliches Handeln in einer aktuellen Situation. Je nach Freiheitsgrad unterscheidet Moreno zwischen ♦ role-taking ♦ role-playing ♦ role-creating Schritte der Rollenentwicklung Erstes psychisches Universum 1) All-Identität 13 Keine Unterscheidung zwischen Ich und anderen. Das Kind erlebt einen anderen Menschen als Teil seiner selbst. 2) All Realität Wahrnehmung des anderen. Unterscheidung zwischen Ich und anderen aber nicht zwischen Realem und Imaginierten Zweites psychisches Universum Phantasie und Realität können voneinander unterschieden werden. Möglichkeit sich in den anderen zu versetzen. Kann sich selbst von außen wahrnehmen Gesundheits- und Krankheitsbegriff Morenos Moreno hat sich Zeit seines Lebens gegen die Etikettierung von Menschen mit medizinisch-psychiatrischen Diagnosen verwahrt. Er hat die Bedeutung des Einmalig-Individuellen betont und in seiner Sichtweise von menschlichem Leiden den Zustand des Gesundseins in den Mittelpunkt gerückt. Ausgehend von Moreno hat das Psychodrama als Verfahren bis heute die Frage nach der Bewältigung von Traumata der Frage nach den verschiedenen Manifestationen der Psychopathologie vorgezogen. Psychodramatische Therapie zielt in einer ersten Annäherung auf die Förderung von Spontaneität, Kreativität und interpersonaler Kompetenz ab. Vor dem Hintergrund der Rollentheorie im Psychodrama kann die Aufgabe der Therapie weiter als Befähigung beschrieben werden, auf interpersonale und situative Anforderungen durch die jeweils aktualisierbaren Rollen, d.h. verfügbaren Verhaltens- und Erlebensmuster, angemessen zu reagieren. Dies schließt die Neuschöpfung von Rollen oder die neue Bewertung bisheriger Rollen aufgrund von Spontaneität mit ein. Störung wird dann umgekehrt sichtbar, in einem Misslingen des entsprechenden Adaptationsvorganges“ (Burmeister, Fürst, 2000) 7. Konzept von Spontaneität und Kreativität „Menschliche Existenz beruht auf der Fähigkeit zu kreativer Handlung und Gestaltung. Sie stellt eine Form der Selbstorganisation dar, die den Menschen mit Anderen und mit der Schöpfung als Ganzem verbindet. Durch das im kreativen Akt erzeugte Erstmalige, Neue hat der Mensch an der Schöpfung teil und ko-kreiert diese permanent.“ (Burmeister 1999) Die Fähigkeit setzt eine spezifische Form von Spontaneität voraus. Sie ist jene Energie, die den kreativen Akt ermöglicht. In der Situation entscheidet sich, ob sich die Spontaneität kreativ entfalten kann oder zerstörerisch (pathologisch) wirkt. 8. Konzept von Beziehung Die menschliche Existenz geht hervor und bleibt zeitlebens gebunden an Beziehungen. Moreno verweigert sich einer rein individuellen Betrachtungsweise des Menschen, sondern sieht ihn immer als Teil eines Beziehungsnetzes. Die Qualität der Beziehung findet Eingang in seinem Telebegriff, der gegenseitigen Einfühlung oder Zweifühlung) In seinen soziometrischen Studien und dem Konzept des Sozialen Atoms manifestiert sich seine Sichtweise. 14 15 9. Persönlichkeitstheorie ♦ Phänomenologisch-dialektische Verhofstaadt-Denève (1999) Persönlichkeitmodell (Phe-Di-P-Modell) von Eine Person ist zur selben Zeit Subjekt (I) und Objekt(ME). Das I ist fähig über das ME zu reflektieren und es zu konstruieren. Das ME ist das subjektive phänomenologische Bild unserer selbst und der anderen. Die anderen und die Objekte außerhalb sind nicht Teil unserer selbst aber unsere phänomenologischen Konstrukte oder Glaubenssätze über die anderen und über die Welt außerhalb unserer selbst und gehören zu unserer Person, dem ME. Diese Sichtweise kann verglichen werden mit William James (50/61), der das Selbst (in diesem Modell die Person) in I ("the self as knower") und ME ("the self as known") teilt. Ähnliche Ansätze finden sich bei G.H. Mead, Lovlie Anne-Lise, Hermans) Während des Reflexions- und Konstruktionsprozesses wird das ME durch das I als Antwort auf folgende Fragen gebildet: Wer bin ich? (Self Image, Selbstbild) Wer möchte ich sein oder werden? (Ideal Self, Idealselbstbild) Wie sind die anderen?(Alter Image, Fremdbild) Wie sollen die anderen sein? (Ideal Alter, Idealfremdbild) Wie sehen mich die anderen? (Meta Self, Metaselbstbild) Wie sollen mich die anderen sehen? (Ideal Meta Self, Idealmetaselbstbild) Weiters kann in jeder dieser 6 Dimensionen noch zwischen einem externalen Aspekt(wie wir uns verhalten) und einem internalen Aspekt (wie wir denken und fühlen) unterschieden werden Beispiel: Selbstbild: Ich habe in fremden Situationen Angst Idealselbstbild: Ich möchte auch fremden Situationen angstfrei begegnen, wie meine Freundin Fremdbild: Meine Freundinnen fürchten sich vor nichts. Idealfremdbild: Sie sollten mehr Verständnis haben Metaselbstbild: Andere denken, ich bin arrogant. Idealmetaselbstbild: Ich möchte, dass sie meine Stärken sehen. Dieses Modell erlaubt die Tatsache, dass es nicht nur Widersprüche zwischen den einzelnen Dimensionen geben kann, sondern auch Fehler und Lücken. Es kann Gegensätze zwischen inneren und äußeren Aspekten geben, aber auch zwischen bewussten und unbewussten, "realen und phänomenologischen Konstrukten, zwischen phänomenologischen und idealen Konstrukten. Ein Ziel der therapeutischen Arbeit ist, unrealistische Sichtweisen, Widersprüche und Konflikte sichtbar und einer Veränderung zugänglich zu machen. Wenn Personen diese Gegensätze im Zuge von Selbstreflexion und Einfühlung sehen können, werden sie fähig flexiblere Bilder über sich selbst und andere zu konstruieren. Obwohl dialektische Kräfte den Entwicklungsprozess begleiten, sind es existentielle Themen die den Hauptinhalt der I-ME Reflexion bilden. 16 Untersuchungen haben gezeigt, dass viel früher als erwartet existentielle Fragen den Menschen beschäftigen. Wenn eine therapeutische Gruppe ein hohes Niveau an Vertrautheit und Sicherheit erreicht hat, werden existentielle Fragen zum Thema, wie Herkunft, Schicksal, persönliche Freiheit, Endlichkeit, Verantwortung, Verlust, Isolation u.a. Diese Themen sind von Gefühlen von Depression, Angst, Schuld, Wut und Einsamkeit begleitet. Es ist wichtig, dass jemand diese Themen in sich selbst erkennt und die damit verbundenen Gefühle als normal interpretiert und akzeptiert, um sein Leben in seiner Fülle genießen zu können. Eine positive Selbstwürdigung und Selbstakzeptanz sind Voraussetzung für die Persönlichkeitsentwicklung. Fehlen ein positives Selbstbild und ein positives Meta-Selbst stagniert der Entwicklungsprozess und die Angst steigt. Entwicklung wird in diesem Modell definiert als die größtmögliche Realisation des persönlichen Potentials. (Self actualisation) 17 10. Variationen und Anwendungsgebiete des Psychodramas Psychodrama wird in verschiedenen Settings angewendet. Psychodrama in der Gruppe: Die Hilfs-ich-Rollen werden von GruppenteilnehmerInnen übernommen Psychodrama im Einzelsetting: Zwei wesentliche Formen können dabei unterschieden werden Monodrama In dem der Therapeut/die Therapeutin selbst keine Rollen übernimmt, sondern die Antagonisten durch Symbole oder Stühle ersetzt und Psychodrama á deux Der Therapeut/die Therapeutin übernimmt auch Hilfs-Ich-Rollen Psychodrama mit Paaren : Verschiedene Arbeitsweisen werden von Moreno (1993) und später Rojas Bermudez beschrieben Psychodrama mit Familien: Zu diagnostischen Zwecken in der Kindertherapie, aber auch als eigenständige Form. Psychodrama mit Kindern und Jugendlichen Das Spiel steht der kindlichen Ausdrucksform sehr nahe und eignet sich deshalb auch hervorragend für die Therapie. Die Arbeitsweise und Techniken wurden für die Kindertherapie modifiziert. (siehe Pruckner 2001, Aichinger 1993) Psychodrama mit alten Menschen Der ältere Mensch kommt aus soziometrischer Sicht zunehmend in eine isolierte und damit krankmachende Position. Petzold (1985) beschreibt anschaulich die Unterschiede des Psychodramas mit alten Menschen 18 Jakob Levy Moreno 1889-1974 Der Begründer des Psychodramas, der Soziometrie und der Gruppenpsychotherapie „Der Mensch ist ein kosmisches Wesen, er ist mehr als ein psychologisches, biologisches, soziales oder kulturelles Wesen. Durch die Einschränkung der Verantwortlichkeit des Menschen auf das nur psychologische, soziale oder biologische Gebiet des Lebens macht man ihn zu einem Verstoßenen. Entweder er ist mitverantwortlich für das ganze Universum, für alle Formen des Seins, für alle Werte, oder seine Verantwortlichkeit bedeutet überhaupt nichts. Die Existenz des Universums ist wichtig, ist tatsächlich das einzige, was von Bedeutung ist; es ist wichtiger als Leben und Tod des Menschen als Individuum als besondere Zivilisation oder als Gattung. Die therapeutische Gruppe ist daher nicht nur ein Zweig der Medizin und eine Form der Gesellschaft, sondern auch der erste Schritt in den Kosmos.“ Jakob Levy Moreno wird am 18. 5. 1889 unter dem Namen Jakov Levy in Bukarest geboren. Sein Vater, Moreno Nissim Levy, stammt ebenso, wie seine Mutter von sephardischen Juden ab, die vierhundert Jahre zuvor aus Spanien vertrieben wurden und sich in der Türkei ansiedelten. Der Vater ist Händler und heiratet mit 32 Jahren, Paulina. Bei der Heirat ist sie 14, bei Morenos Geburt kaum 15 ½ Jahre alt. Moreno bekommt noch drei Schwestern und zwei Brüder (Rahel/Victoria, VolfValerian/William, Scharloti/Charlotte, Clara/Lala, Norbert/Buby) Die Beziehung zwischen den Eltern ist von Beginn an schwierig und spannungsgeladen. Der Vater ist entweder geschäftlich oder im Zuge gesellschaftlicher Verpflichtungen unterwegs. Die Kinder fürchten und bewundern ihn. Die Mutter ist herzlich, humorvoll, gut gebildet und sozial aktiv. Ihr ist es überlassen, die sechs Kinder großzuziehen. Moreno wächst in einer Mischung verschiedener religiöser Einflüsse auf, die sich später in seiner Lebensphilosophie widerspiegeln. In seinen kindlichen Rollenspielen übernimmt er häufig die Rolle Gottes. Aufgrund der schwierigen ökonomischen Situation zieht die Familie nach Wien als Moreno 6 Jahre ist. Er besucht dort die Grundschule und ist ein guter Schüler. Er genießt diese Zeit seiner Kindheit und verbringt auch einige Zeit mit seinem Vater auf Reisen. Als Moreno 14 ist, übersiedelt die Familie nach Berlin, wo Jakob nur kurz bleibt. Er beschließt seine Familie zu verlassen und alleine nach Wien zurückzukehren und die Schule fortzusetzen. Seine Eltern trennen sich kurze Zeit später. Sein Vater zieht nach Konstantinopel, wo er 1925 vereinsamt stirbt. Für Moreno folgt eine Zeit der Auflehnung und des Widerstandes. Er macht seine Mutter für das Scheitern der Ehe verantwortlich, verläßt das Gymnasium vor der Matura und distanziert sich endgültig von der Familie. 1909 beginnt Moreno mit seinem Studium an der Universität Wien. Zuerst, wegen der fehlenden Matura, an der philosophischen Fakultät. Nachdem er die fehlenden Prüfungen abgelegt hat, belegt er Medizin. 19 Er kleidet sich auffallend, lässt sich einen langen Bart wachsen und bewegt sich unter den Studenten anonym und gleichzeitig von allen bemerkt. Er schließt Bekanntschaft mit Chaim Kellmer, einem in chassidischer Tradition erzogenen jüdischen Philosophiestudenten. Mit Gleichgesinnten gründen sie schließlich das Haus der Begegnung, ein Asyl für Flüchtlinge und Einwanderer. Sie bieten Gemeinschaft und Hilfe bei alltäglichen Problemen. Ein Kennzeichen dieser Gemeinschaft ist die Anonymität gepaart mit intensiver Begegnung. Während seines Studiums kommt er auch in Kontakt mit Freud, mit dessen Theorien er sich auseinandersetzt, sich aber distanziert. 1917 schließt er sein Medizinstudium ab. Aufgrund seiner Nationalität wird Moreno nicht zum Militär eingezogen und bleibt in Wien. Drei Episoden seiner Studienzeit sind für seine spätere Entwicklung von wesentlicher Bedeutung: seine Begegnungen mit Chaim Kellmer und Elisabeth Bergner, der späteren berühmten Burgschauspielerin, seine Spiele mit den Kindern im Augarten und seine psychosoziale Arbeit mit den Prostituierten vom Spittelberg. Bereits während seiner Studienzeit und als junger Arzt arbeitet er mit Südtiroler Aussiedlern in Mitterndorf. Gemeinsam mit einem italienischen Psychologen entwickelt er Vorschläge zur Verbesserung der soziodynamischen Situation in den Flüchtlingsheimen. Während des Krieges beginnt sich Moreno für Literatur zu interessieren und trifft sich regelmäßig mit Literaten, Philosophen und Künstlern im Café Herrenhof in Wien. Sie gründen gemeinsam die Zeitschrift der „Daimon“. Zu den Gründern gehören Franz Werfel, Max Brod, Fritz Lampl und Alfred Adler. Viele Autoren liefern Beiträge, wie Blaise Pascal, Martin Buber, Jakob Wassermann, Oskar Kokoschka, Heinrich Mann u.a. Er publizierte auch eigenen Arbeiten, wie „ Die Gottheit als Autor“ , „Die Gottheit als Redner und die „ Gottheit als Komödiant“, „ Die Einladung zu einer Begegnung“, „Das Testament des Vaters“. Seine erste Stelle als Arzt erhält er in der Kammgarnfabrik in Bad Vöslau. Er mietet dort ein Haus und lernt seine erste große Liebe und Muse Marianne Lörnitzo, eine Lehrerin, kennen. Neben seiner Arbeit in der Fabrik praktiziert er als Hausarzt und erwirbt sich rasch den Ruf eines Wunderdoktors. Mehr und mehr distanziert er sich von der Wiener Literaturgruppe. Er knüpft Kontakte zu Schauspielerkreisen und trifft sich im Café Museum. Er gründet das Stehgreiftheater in der Maysedergasse. Das Publikum unterhält er mit neuen Techniken, wie die lebende Zeitung, „Theater Reciproque“, Sketches zu aktuellen Themen oder Spiegelungen von Zuschauern. Sein erstes Psychodrama findet hier statt. Moreno veröffentlicht dazu das Buch „das Stehgreiftheater“ 1924 findet in Wien eine Ausstellung für neue Theatertechniken statt, wo Moreno sein Konzept seines Theaters ohne Zuschauer vorstellt. Es kommt dabei zu einem Streit mit Kiesler dem Direktor der Ausstellung, der seinerseits seine Raumbühne präsentiert, die deutliche Ähnlichkeiten zu Morenos Modell zeigt. Der Streit endet vor Gericht, wo Moreno eine bemerkenswerte Rede hält. Gemeinsam mit Mariannes Bruder entwickelt Moreno ein Tonaufnahmegerät, daß er einer amerikanischen Firma anbietet. Hohe Schulden und die Aussicht auf Vermarktung seiner Erfindung, seine zunehmende Isolation, antisemitische Tendenzen in der Bevölkerung, sein Streit mit 20 Kiesler, der ihm viel Ablehnung einbringt und eine Krise in der Beziehung zu Marianne sind schließlich die Gründe nach Amerika zu emigrieren. Die ersten fünf Jahre sind ein permanenter Kampf. Er spricht wenig Englisch, sein Ärztediplom wird nicht anerkannt, er hat keine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung und seine Erfindung erweist sich als ein Produkt unter vielen anderen. Beatrice Beecher, eine Kinderpsychologin, bietet im Unterstützung und Hilfe durch eine Heirat, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu erlangen an, was er auch annimmt. Die Scheidung erfolgt nach vier Jahren. Moreno arbeitet vorerst mit Kindern. Durch diese Arbeit erlangt er zunehmend öffentliche Aufmerksamkeit. Seine soziometrischen Studien in Sing Sing und in einem Erziehungsheim für Mädchen bringen ihm große Popularität. Bei seiner Arbeit lernt er seine zweite Frau Florence Bridge kennen, mit der er zehn Ehejahre verbringt. Aus dieser Beziehung stammt sein erstes Kind Regina. Zerka Toeman, die er 1949 heiratet, wird seine wichtigste und letzte Partnerin. Beide verbindet die europäische und jüdische Herkunft. Mit ihr gemeinsam erfolgen alle späteren beruflichen Schritte. In Beacon eröffnet er schließlich sein eigenes psychiatrisches Sanatorium, wo er die Vorstellungen seiner Psychodramabühne verwirklicht. Beacon ist mehr als ein Sanatorium, es ist die Realisation einer Utopie, für Moreno die Möglichkeit seine Hypothesen zu überprüfen, für Patienten, Psychiater, Pflegepersonal, Sozialarbeiter und Interessierte aus aller Welt eine Stätte des Lernens und Experimentierens, ein psychodramatisches Psychiatriemodell. Psychodrama, als psychotherapeutische Methode breitet sich rasch aus. Die Termini Gruppentherapie und Gruppenpsychotherapie werden erstmals von Moreno 1931 eingeführt. Moreno gründet 1942 die Gesellschaft für Psychodrama und Gruppenpsychotherapie. Auf seine Initiative geht auch die International Association of Group Psychotherapy zurück, deren Ehrenpräsident er wird. In den späteren Jahren reisen die Morenos auf Einladung vieler Universitäten rund um die Welt und bilden zahlreiche Psychodramatiker aus. Am 14. Mai 1974 stirbt Moreno im Alter von 85 Jahren in Beacon. Literatur: Aichinger A. (1993) Zurück zum Ursprung. Abweichungen von der klassischen Psychodramamethode in der therapeutischen Arbeit mit Kindergruppen. In: Bosselmann u.a (Hrsg) Variationen des Psychodramas. Limmer. S 220-240 Bergson H. (1921) Schöpferische Entwicklung. Jena Blatner A., Blatner A.(1988) Foundations of Psychodrama. History, Theory & Practice. Springer. New York Burmeister J.,Fürst J.(2000) Diagnostik im therapeutischen Psychodrama. In: Laireiter (Hrsg) Diagnostik in der Psychotherapie. Springer Burmeister J., Fürst J.( 1999) Diagnostik im therapeutischen Psychodrama. (unveröffentl Manuskript) Dudler A, Neumann E. (1996) Das innere Theater der Seele. In: Psychodrama, Ztschr. für Theorie und Praxis von Psychodrama ,Soziometrie und Rollenspiel 1, (63-92) Farkas-Erlacher B.,Jorda C.: (1996) Monodrama. Springer. Wien Fürst J., Ottomeyer K., Pruckner H.(2004) Psychodrama-Therapie, Ein Handbuch. Faculta, Wien Geisler F(1999) Judentum und Psychodrama. In: Buer F: Morenos Therapeutische Philosophie. Leske Budrich. 49-75 Hermans H. (1992) The dialogical self beyond individualism and rationalism. American Psychologist, 47, 23-33 Holmes P., Karp M., Watson M.( 1994) Psychodrama since Moreno. Innovations in Theory and Practice. Routledge. London. James W. (1950) The priciples of psychology. New York. Harper &Row Kellermann P.F. (1992) Focus on Psychodrama. Jessica Kingsley. London Leutz G. (1974) Psychodrama. Das klassische Psychodrama. Springer. Berlin. Lovlie A.L. (1982) The self:Yours, mine of ours? A dialectic view. Oslo 21 Marineau R.F. 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