Wenn zwei sich binden – auch bei Proteinen muss das Äußere

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Max-Planck-Institut für
biophysikalische Chemie
Göttingen
Pressemitteilung
13. Juni 2008
Wenn zwei sich binden –
auch bei Proteinen muss das Äußere stimmen
Proteine – die molekularen Maschinen unserer Zellen – besitzen einen
entscheidenden Unterschied gegenüber technischen Maschinen, wie wir
sie aus unserem Alltag kennen. Je nach Aufgabe, die sie erfüllen,
können Proteine ihre Struktur innerhalb winzigster Bruchteile von
Sekunden anpassen. Aber auch bei der Zusammenarbeit mit anderen
Proteinen zählt die äußere Form. Anders als bisher angenommen,
werden jedoch nicht alle Proteine zunächst von ihrem Partner
passgenau zurechtgebogen. Es gibt Proteine, die ihre Struktur ständig
ändern und dabei auch ganz ohne fremde Hilfe „in Form“ kommen. Dies
hat ein Wissenschaftler-Team vom Göttinger Max-Planck-Institut für
biophysikalische Chemie herausgefunden, indem sie einen wahren
Verwandlungskünstler unter den Proteinen untersuchten – das Ubiquitin.
Den Forschern gelang es erstmals, Bewegungen des Proteins im
Bereich von milliardstel bis millionstel Sekunden sichtbar zu machen.
(Science, 13. Juni 2008)
Molekulare Maschinen sind die Hauptakteure bei der Umsetzung lebenswichtiger
Prozesse in unserem Körper. Ihre komplexen Aufgaben, etwa als Enzyme,
Transport- oder Signalmoleküle, können sie aber nur dann erfüllen, wenn ihre
Bausteine – eine oder mehrere Aminosäureketten – sich nach der Produktion in die
richtige Struktur falten. Die Proteinstruktur ist alles andere als starr und ändert sich
bereits in winzigen Bruchteilen von Sekunden. Nur so können Proteine, meist in
Zusammenarbeit mit anderen Proteinen, ihre komplexen Aufgaben in der Zelle
erfüllen. Perfekt wie Schlüssel und Schloss passen Proteine allerdings nur selten
zusammen. Vielmehr gilt: Was nicht passt, wird passend gemacht. Das Protein wird
vom Partner regelrecht in Form gebogen.
Doch gilt dies für alle Proteine, die miteinander wechselwirken? Zunehmend
diskutieren Wissenschaftler auch ein anderes Modell. Proteine könnten durch
ständige Bewegungen das benötigte Repertoire an Passformen auch zufällig
erzeugen. Wie ein Schlüsselbund, der für jedes Schloss den passenden Schlüssel
parat hat, steckten so die Passformen bereits im Protein selbst. Passt eine dieser
Formen dann zufällig zu einem seiner Partner, so binden die beiden Proteine
aneinander. Doch wie lassen sich solche Bewegungen beobachten?
Schnappschüsse von Proteinbewegungen im Nano- bis Mikrosekundenbereich
Damit sich die Form eines Proteins ändert, müssen sich seine molekularen
„Zahnräder“, Molekülgruppen und Aminosäuren, entsprechend bewegen. Messen
konnten Wissenschaftler bisher Bewegungen, die innerhalb von Nanosekunden
(milliardstel Sekunden) oder sogar noch schneller ablaufen, sowie langsamere
Bewegungen im Mikrosekunden- bis Millisekundenbereich. Viele
Proteinbewegungen, ebenso wie viele biochemische Prozesse, laufen aber gerade
im Bereich zwischen Nano- und Mikrosekunden ab – ein Bereich, der bisher mit
keiner Methode beobachtbar war. Einem Team von Chemikern und Biophysikern des
Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie gelang es nun, diese
„Beobachtungslücke“ zu schließen. Erstmals konnten die Wissenschaftler
Bewegungen einzelner Zahnräder eines Proteins in diesem bisher unzugänglichen
Zeitfenster sichtbar machen.
Als Untersuchungsobjekt diente den Forschern das Ubiquitin, ein wahrer
Verwandlungskünstler unter den Proteinen, das nicht nur sein Äußeres, sondern
auch seine Partner häufig wechselt. Ubiquitin ist Teil eines ausgeklügelten
Recycling-Systems, das beschädigte oder ausgediente Proteine in ihre Bestandteile
zerlegt und wiederverwertet. Als eine Art Aufkleber markiert es Proteine als zellulären
„Müll“. Derart markierte Proteine werden dann im zentralen "Müllschredder" der Zelle
– dem Proteasom – in ihre Bausteine zerhackt. Bereits 46 verschiedene Strukturen
von Ubiquitin sind bekannt, in 21 dieser Strukturen bindet Ubiquitin an jeweils andere
Partner. Die spannende Frage beantworten diese strukturellen Momentaufnahmen
allerdings nicht: Verändert Ubiquitin sein Äußeres spontan, oder wird ihm die Form
von seinem jeweiligen Bindungspartner aufgezwungen?
Um diese Frage zu beantworten, kombinierten die Wissenschaftler um Bert de Groot,
Christian Griesinger und Helmut Grubmüller eine Fülle von
Kernspinresonanzspektroskopie-Experimenten mit Molekulardynamik-Simulationen.
Durch trickreichen Einsatz verschiedener Lösungsmedien, die sich wie schwache
Flüssigkristalle verhalten und dadurch dem Ubiquitin eine Vorzugsorientierung
aufzwingen, konnten sie die Bewegung von Ubiquitin gewissermaßen aus
verschiedenen Blickwinkeln wie mit Schnappschüssen festhalten. Mit
Moleküldynamiksimulationen ließ sich daraus anschließend die Bewegung
rekonstruieren. „Wir sehen, dass alle 46 bekannten Strukturen des Ubiquitins auch
schon in Lösung vorhanden sind, so als ob Ubiquitin seine Bindungspartner erwarte
und vorauseilend die richtige Bindungskonformation einnähme“, erläutert Christian
Griesinger. Dabei bewegt sich nicht das ganze Protein. „Bewegung sehen wir vor
allem an den Kontaktstellen, mit denen es an andere Proteine bindet“, so Griesinger.
Neuer Mechanismus für molekulare Erkennung
Zumindest für Ubiquitin muss das Lehrbuch-Kapitel über Wechselwirkungen
zwischen Proteinen nun umgeschrieben werden. Dass es ständig sein Äußeres
ändert, kann leicht erklären, warum es zu einer Vielzahl unterschiedlichster Proteine
passt. Eine Ausnahme unter den Proteinen sei das Ubiquitin damit aber vermutlich
nicht, sagt Bert de Groot. Die Forscher vermuten, dass neben dem Ubiquitin auch
weitere Proteine spontan ihre Form ändern. Es könne ein ganz generelles Modell für
molekulare Erkennung sein, so de Groot. Lediglich trockener Lehrbuchstoff sind die
neuen Erkenntnisse der Forscher jedoch keineswegs. Wechselwirkungen von
Proteinen spielen bei zahlreichen Prozessen der Zelle eine entscheidende Rolle,
unter anderem bei der Signal-Weiterleitung zwischen Zellen. Ist diese gestört, weil
bestimmte Proteine nicht mehr zusammenarbeiten, sind die Folgen oft fatal. Die
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neuen Methoden der Forscher könnten dazu beitragen, zumindest einige dieser
Störungen besser zu verstehen. Auch die Wirkung vieler Arzneimittel beruht auf
Wechselwirkungen zwischen Proteinen oder Proteinen mit anderen Molekülen. Die
Wissenschaftler untersuchen derzeit, ob die neuen Erkenntnisse genutzt werden
können, Medikamente in ihrer Wirksamkeit noch spezifischer zu machen.
Das Ubiquitin besitzt ein großes Repertoire an Passformen (hier übereinander gelagert gezeigt). Sie
passen jeweils zu einem anderen Bindungspartner – ähnlich einem Schlüsselbund mit einem Schlüssel
für jedes Schloss. Durch Einsatz verschiedener Lösungsmedien, die sich wie Flüssigkeitskristalle
verhalten (grau), lässt sich die Bewegung von Ubiquitin aus verschiedenen Blickwinkeln wie mit
Schnappschüssen festhalten, ohne dessen Struktur zu verändern. (Bild: Gunnar Schröder / MPIbpc).
Originalveröffentlichung:
Oliver F. Lange, Nils-Alexander Lakomek, Christophe Farès, Gunnar F.
Schröder, Korvin F.A. Walter, Stefan Becker, Jens Meiler, Helmut Grubmüller,
Christian Griesinger, Bert L. de Groot. Recognition dynamics up to microseconds
revealed from RDC derived ubiquitin solution ensemble. Science, 320: 1471-1475.
Verwandte Links:
[1] Die Forschungsgruppe Computergestützte biomolekulare Dynamik
http://www.mpibpc.gwdg.de/groups/de_groot/
[2] Die Abteilung NMR-basierte Strukturbiologie
http://www.nmr.mpibpc.mpg.de
[3] Die Abteilung Theoretische und computergestützte Biophysik
http://www.mpibpc.gwdg.de/groups/grubmueller/
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Kontakt:
Dr. Bert de Groot,
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie,
Tel. +49 551 201-2308,
Fax +49 551 201-2302,
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. Christian Griesinger
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie,
Tel. +49 551 201-2200,
Fax +49 551 201-2202,
E-Mail: [email protected]
Dr. Carmen Rotte, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit,
Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie,
Tel. +49 551 201-1304,
Fax +49 551 201-1151,
E-Mail: [email protected]
Hinweise für Redaktionen:
Sie finden Text und Bild in elektronischer Form unter www.mpibpc.mpg.de/groups/pr/PR/2008/08_12.
Beides darf im Rahmen der Berichterstattung mit dem angegebenen Quellennachweis verwendet
werden.
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