2.4 Nervengewebe 2.4 Nervengewebe Das Nervengewebe bildet sicherlich den komplexesten und bis jetzt am wenigsten verstandenen Teil unseres Körpers: das zentrale und das periphere Nervensystem. Wir dürfen in diesem Abschnitt endlich einmal ein wenig philosophisch werden, wenn wir uns überlegen, was für eine aufregende, einzigartige Aufgabe uns hier ansteht: Eine Struktur versucht sich selbst ansatzweise zu verstehen, sich selbst (auch mittels anderer Lebewesen, z. B. Versuchstieren) auf den Grund zu gehen und ihre ihr selbst innewohnende Funktionsweise zu entschlüsseln. Das gibt es vielleicht sonst nirgendwo im Universum. Dass uns ausgerechnet das Physikum vor diese eventuell unlösbare Aufgabe setzt, zeigt, wie anmaßend Wissenschaft manchmal ist ... Im Nervengewebe kann man zwei Zellgruppen unterscheiden: –– die funktionellen Nervenzellen oder Neurone und –– die Stütz- und Helferzellen, die Gliazellen. Dieses Kapitel wird sich größtenteils mit den Neuronen beschäftigen, ihre Morphologie, ihre Klassifikation und ihre Verbindungen (die Synapsen) betrachten, um dann – von klein auf © IMPP Abb. 35: Spines an den Dendriten eines Neurons medi-learn.de/histo1-35­ www.medi-learn.de groß – erst den Aufbau der Nervenfasern und dann den der makroskopisch sichtbaren Nerven zu behandeln. Die Gliazellen werden hier nur kurz angesprochen, obwohl ohne sie keine Nervenzelle lange überleben, geschweige denn funktionieren könnte und beide entwicklungsgeschichtlich aus dem gleichen Gewebe hervorgehen, dem Neuroektoderm. Den Abschluss bildet ein kurzer Abschnitt über die Ganglien, da sie immer wieder im Physikum gefragt werden und der Großteil der Fragen mit einigen wenigen Begriffen souverän beantwortet werden kann. 2 2.4.1 Nervenzellen = Neurone Man streitet sich noch über die Anzahl der Nervenzellen in unserem Körper, die Angaben schwanken zwischen 10 und 30 Milliarden. Sie sind unsere informationsverarbeitenden und -speichernden Einheiten mit Fähigkeiten, die jeden Computer in den Schatten stellen. Morphologie Grob lässt sich der Aufbau von Neuronen in drei Abschnitte unterteilen: einen empfangenden, einen verarbeitenden und einen sendenden Teil (s. Abb. 36, S. 50). Der empfangende Abschnitt wird von den b ­ aumartigen Dendriten gebildet, den Zellausläufern, an die die Synapsen anderer Zellen andocken. Zahlreiche Dendriten haben Dornen (spines). Dabei handelt es sich um bis zu 2 µm große Vorwölbungen, an die in der Regel andere Axone mit Synapsen herantreten. Die Information sammelt sich auf der Membran des Perikaryons, des zytoplasmareichen Abschnitts um den Zellkern herum. Hier liegt das trophische Zentrum der Zelle: Im Zytoplasma und den Organellen werden die meisten metabolischen Aufgaben der Zelle gemeistert und hier werden auch die Informationen in Form veränderter Membranpotenziale gesammelt sowie verarbeitet. Am großen Zellkern fällt vor allem sein deutlicher Nukleolus und fein verteiltes Chromatin auf. Franz Nissl entwickelte 49