Präsentation Raum AG am 24.05.06 Jurij M. Lotman: Das Problem

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2. Sitzung am 24.05.06
Jurij M. Lotman: Das Problem des künstlerischen Raums
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Gliederung des Referats:
1. Anmerkungen zu Jurij M. Lotman und anderen russischen Kultursemiotikern
2. Besprechung des Textausschnittes: Das Problem des künstlerischen Raums
3. Instrumente Lotmans in der literaturwissenschaftlichen Textanalyse
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Anmerkungen zu Jurij M. Lotman als Kultursemiotiker
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Biographisches
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Die russische Kultursemiotik
•
Wichtigste kultursemiotische Thesen Lotmans
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Anmerkungen zu Jurij M. Lotman als Kultursemiotiker
Biographisches
Юрий Михайлович Лотман;
* 28. Februar 1922 in Petrograd
† 28. Oktober 1993 in Tartu
russischer Literaturwissenschaftler
und Semiotiker.
•zunächst auf die russische
Literatur des 18. Jahrhunderts
spezialisiert
•Mitbegründer der MoskauerTartuer Schule der Semiotik
Ausgehend von den Arbeiten der
russischen Formalisten entwickelte
Lotman eine kulturwissenschaftlich
orientierte Semiotik.
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Anmerkung zur Lotman und anderen russischen Kultursemiotikern
Moskau-Tartu Schule der Kultursemiotik
•
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Anfang der 60er Jahre: zwei getrennte Zentren, „Fusion“ 1964
Nachfolge des russischen Formalismus´
Vertreter: Lotman, Uspenski, Toporov, Ivanov, Pjatigorski
Sammelband: Труды по знакомым системам (Arbeiten über
Zeichensysteme) -> Literatur als Analysegrundlage
Vorbereitung durch Kybernetik in den 50er Jahren: strukturelle
Linguistik, Übersetzung in technische bzw. maschinelle Sprache ->
mathematische Methoden zur Erforschung von Zeichensystemen
Interesse an interdisziplinären Fragestellungen: u.a. Systemtheorie,
Ethnologie, Kulturanthropologie
Eingeständnis der Orts- bzw. kulturellen Bedingtheit der eigenen
Forschung
Forschungsgegenstand in der Vergangenheit -> subversiv!
Expliziter Verzicht auf Basistheorie
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Anmerkung zur Lotman und anderen russischen Kultursemiotikern
Lehre in Tartu
„Sich zum Studium bei Jurij Michailowitsch Lotman aufzumachen, das war
eine gute Sache. Tartu war nämlich damals, wie es in Imperien an ihren
Rändern so üblich ist, ein zentraler intellektueller Ort. Nun, und auch der
Beruf des Philologen war in den 70er-80er Jahren keine schlechte Wahl.
Für einen Menschen, der ideologisch engagiert war, mit einem gewissen
Lebensenthusiasmus, war die Wahl dieses Berufs sehr nahe liegend. Das
war so eine Art der Selbstbestimmung.“
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Anmerkung zur Lotman und anderen russischen Kultursemiotikern
Im Gegensatz zu anderen maßgeblichen theoretischen Entwürfen auf dem
Gebiet der Erzählforschung steht bei Lotman nicht die zeitliche Struktur
Der Erzählung im Vordergrund, sondern die räumliche Organisation
erzählender Texte.
Das strukturalistisch-semiotische Raummodell Lotmans hat sich
wegen seiner klaren Methodik als praktikables Verfahren für die
Erzählanalyse erwiesen.
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Besprechung des Textausschnittes:
„Das Problem des künstlerischen Raums“
•
Zusammenfassende Präsentation
•
Literaturwissenschaftliche Anschlussfähigkeit
•
Kommentar und Diskussion
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„Das Problem des künstlerischen Raums“
Raum = unendlich vs. Kunstwerk = begrenzt und zweidimensional
-> Raumdarstellung in der Kunst erfordert eine eigene „Sprache“, ein eigenes
Zeichensystem (daher: Raumsemiotik)
Raum = bereits selbst ein Zeichensystem, da der Mensch „räumlich“
wahrnimmt und beschreibt
-> Räumliche Relationen und Begriffe können zur Darstellung von Relationen
von Werten und Gegenständen verwendet werden
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„Das Problem des künstlerischen Raums“
Die Weltbild-These:
„Historische
und
national-sprachliche
Raummodelle
werden
zum
Organisationsprinzip für den Aufbau eines „Weltbildes“ – eines
ganzheitlichen ideologischen Modells, das dem jeweiligen Kulturtyp
eigentümlich ist. Vor dem Hintergrund solcher Strukturen gewinnen
dann auch die speziellen von diesem oder jenem Text oder einer
Gruppe
von
Texten
geschaffenen
räumlichen
Modelle
ihre
Bedeutsamkeit.“
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„Das Problem des künstlerischen Raums“
Die Literatur benutzt räumliche Oppositionen,
um Weltmodelle zu konstruieren, z.B. „Gegenwelten“ zu entwerfen.
Analytische bzw. interpretatorische Interessen entsprechend:
•
Ziel = (nach Lotman) die Eruierung eines spezifischen Zeichensystems
des jeweiligen literarischen Textes – der Raumsprache eines Werkes
•
Aus literarischen Texten lassen sich Weltmodelle rekonstruieren, indem
man räumliche Oppositionen auf ihre (zusätzliche) Semantik hin
analysiert.
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„Das Problem des künstlerischen Raums“
Raumsprache einer Kultur
Raumsprache eines
Anderen Textes
Raumsprache eines
weiteren Textes
Raumsprachedes
desvorliegenden
vorliegendenTextes
Textes
Raumsprache
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räumliche Oppositionen sind:
kulturspezifisch (Lotman)
historisch
textspezifisch
gattungsspezifisch
(Lotman)
intertextuell
interdiskursiv
systemisch, archetypisch?
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... Lotman nennt dies „semantische Gruppen“
Beispiele (Tjučev):
1)„Hoch – niedrig“ = „Himmel – Erde“ = „Gut – Böse“;
wird oft gleichgesetzt mit „Weite – Enge“, „Geistigkeit – Stofflichkeit“,
„Lebendig – schläfrig/tot“
Weitere Oppositionen bei Tjučev
2) „Finsternis, Nacht – Tag, Licht“
3) „Stille – Lärm“
4) „Einfarbigkeit – Buntheit“
5) „Großartigkeit – kleinliche Geschäftigkeit, vanitas“
6) „Ruhe – Müdigkeit“ (keine reine Opposition! Überschneidet sich mit 3)
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Beispiel für die räumliche Organisation von Weltmodellen:
z.B. im Bereich der Untersuchung von „Stadttexten“
Vertikale
Zentrum
Horizontale
Peripherie
-> Kultursemiotische Forschungen zum Stadtmythos St. Petersburg /
Moskau: nicht psychoanalytisch („phallisch“ o.ä., sondern Suche nach
Raumstrukturen bzw. räumlichen Organisationen: Zentrum –
Peripherie etc.)
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Räumliche Darstellung von Gegensätzen wie
Natur - Technik
Natur – Kultur
Kultur – Zivilisation
Ordnung – Chaos
Materie – Geisteswelt
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Häufige Oppositionen „bei Lotman“:
Offen – geschlossen
Zentral – peripher
Hoch – niedrig
Oben – unten
Horizontal – vertikal
Hell – dunkel
Nah – fern
Innen – außen
Begrenzt – unbegrenzt
Eng – weit
Bewegt – unbewegt
Geräumig – eng
Gewohnt - fremd
Abstrakt – konkret, dinghaft
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Anfang - Ende
Oberfläche - Tiefe
Anwesenheit - Abwesenheit
Verwandlung - Beständigkeit
Veränderung - Erstarrung
.... Ergänzungen?
vgl. auch S. 323
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Variation kultureller Raumsprache durch literarische Selektion und
Kombination von räumlichen Merkmalen und Motiven:
•Äquivalenzen (z.B. Metaphorik)
•Ähnlichkeitsrelationen (z.B. Metonymien)
Bsp.: paradoxale und oxymorale Kombinationen, die Oppositionspaare u.U.
relativieren, komprimieren, konstrastieren etc.
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Einsatz von unterschiedlichen sprachlichen Elementen
(Verben, Substantiven, Adjektiven bzw. Attributen)
Einsatz von narrativen Strukturen
(Perspektive, Fokalisierung etc.)
Einsatz von Handlungselementen
z.B.Figuren: Der Held kann Oppositonen aufheben oder umdrehen, indem er
Grenzen überschreitet und Raum dadurch neu semantisiert.
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Funktionen
•Verbindung von ursprünglichen Polen/Gegensätzen
•Aufsplittung und Trennung
•Aufhebung und Relativierung
•Umwertung
•Auflösung
•Verwischung
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Besonderheiten:
•
Oppositionen werden immer „mitgedacht“ bzw. ergänzt und sind daher
als Paralleltext leicht aktualisierbar
•
Viele Raummerkmale können unterschiedliche Oppositionen eingehen
•
Auch „innerhalb“ eines Autors können sich Semantisierungen ändern
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Das Phänomen der Grenze bei Lotman
•
Teilung des Raums in „zwei disjunkte Teilräume“
•
Wichtigste Eigenschaft: Unüberschreitbarkeit
•
„Die Art, wie ein Text durch eine solche Grenze aufgeteilt wird, ist eines
seiner wesentlichsten Charakteristika.“ Sprich: welche Oppositonen wirft
der Text auf?
•
Helden sind häufig Raumtypen fest zugeordnet und können Grenzen
nicht überschreiten. Bsp. Gogol´: Abkapselung in den „Altväterlichen
Gutsbesitzern“, typisch für Idylle ? -> gattungs- und epochenspezifische
Zuweisung von Raum möglich?
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Das Ereignis im Sinne einer vollzogenen Grenzüberschreitung ist
nach Lotman konstitutiv für narrative Texte.
Ereignis als „die Versetzung einer Figur über die Grenze eines semantischen
Feldes.“[30]
Je nachdem, ob eine solche Grenzüberschreitung vorliegt, sind grundsätzlich zwei
unterschiedliche Texttypen denkbar.
- sujetlosen Texte: es kommt zu keiner Überschreitung der Grenze, keine
Verletzung der geltenden Ordnung (klassifikatorischer Charakter)
- Sujethafte Texte: revolutionärer Charakter durch Negation des sujetlosen
Systems. Im sujethaften Text gibt es zwei Arten von Figuren:
- Unbewegliche Figuren, die der Bestätigung der sujetlosen Strukur dienen
und sich ausschließlich innerhalb ihres semantischen Feldes aufhalten
- bewegliche Figuren (Helden), die die klassifikatorische Grenze
überschreiten können.
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Instrumentalisierbarkeit: „Was bringt mir Lotman?“
•
Verbindung von Raummodellen und ideologischen Konzepten („Zeichen“ „Kultur“)
•
Verbindung von ideologischen Konzepten und Texten über Raumdarstellung
(„Kultur-Zeichen-Literatur“)
•
Literatur- und kulturgeschichtliche Perspektive über Semiotik
(Zeichenhaftigkeit UND Interpretation!) des Raums (systemisch?)
•
Systemisierung räumlicher Zusammenhänge z.B. über Oppositionen
•
Rekonstruktion einer textspezifischen Raumsprache über strukturelle Ebenen
der Syntagmatik und Paradigmatik (Narration, Symbolik, Metaphorik,
Metonymie)
•
Das „Lesen“, Interpretieren, Funktionieren literarischen Raums wird erklärt
•
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Erweiterungen und Ergänzungen
•
Gattungsspezifische Raumsemiotik
•
Epochenspezifische Raumsemiotik
•
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Anschlussfähigkeit für Theoriemodelle
•
Grenze und Teilung als kulturelle sinnstiftende Prozesse (Foucault)
•
Helden und Raumtypen: Propp
•
Umkehrung räumlicher und damit ideologischer Verhältnisse: Bachtin
•
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Lotman-Veröffentlichungen in deutscher Sprache
•
•
•
•
•
•
•
•
Die Struktur literarischer Texte. München 1972. (letzte mir bekannte
Auflage 1993)
Lotman, Jurij M.: Vorlesungen zu einer strukturalen Poetik. München
1972.
Das Problem des künstlerischen Raums in Gogols Prosa. In:
Eimermacher, Karl (Hrsg.): Aufsätze zur Theorie und Methodologie
der Literatur und Kultur. Kronenberg Taunus 1974. 200-271.
Die Analyse des poetischen Textes. Kronenberg Taunus 1975.
Probleme der Kinoästhetik (Semiotika kino i problem kinoestetiki, dt.)
Einf. in d. Semiotik d. Films. Aus d. Russ. v. Christiane Böhler-Auras.
(1. Aufl.) Syndikat (1977).
Alexander Puschkin. Juri Lotman. [Aus d. Russ. übers. von Beate
Petras]. 1. Aufl. Leipzig Reclam 1989
Rußlands Adel - eine Kulturgeschichte von Peter I. bis Nikolaus I. Köln
[u.a.] Böhlau 1997
Aufsätze zur Theorie und Methodologie der Literatur und Kultur.
Eimermacher, Karl (Hrsg.) Kronberg Ts.: Scriptor Verl. 1974.
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Links und weiterführende Literatur
Über Lotman:
u.a. http://www.monacomedia.de/uni/lotman/index.htm
Grübel, Rainer: Die Struktur des künstlerischen Textes (Struktura
chudo¤zestvennogo teksta, dt.) Hrsg. m.e. Nachw. u.e. Reg. v. Rainer
Grübel
Reid, Allan: Literature as communication and cognition in Bakhtin and
Lotman. New York u.a.: Garland Publ. 1990
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Instrumente Lotmans in der literaturwissenschaftlichen
Textanalyse / Interpretation
Textbeispiel 1:
Jurij Trifonov: Raumsprache als subversive Gesellschaftskritik
Die beschriebenen Wohnverhältnisse konterkarieren das gesellschaftliche
Harmonisierungs- und Kollektivierungsideal, indem sie sozialistische
Wirklichkeit beschreiben, aber mit anderen Attributen versehen:
- Individualisierung statt Kollektivismus
- Isolation durch inneren Rückzug
- Orientierungsverlust: wohin ohne privaten Raum?
- Materialismus: Die Wohnung als Existenzberechtigung
- Einengung und soziale Abhängigkeit: ungeliebte Eltern
= Protest gegen stalinistische Kleinfamilie
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Textanalyse / Interpretation
Möglichkeit 1:
Räumliche Oppositionen und Raumsprache als Schlüsselsemantik
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Textanalyse / Interpretation
Möglichkeit 2:
Semantisierung des Raums durch die Umstellung der Wertigkeiten
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