Biophysik der Zelle Grundlagen der zellulären Mechanosensitivität Carsten Grashoff MPI für Biochemie, Molekulare Mechanotransduktion [email protected] Mechanosensitivität - Die Fähigkeit von Zellen mechanische Kräfte zu erkennen nennt man Mechanosensitivität Knochen-Zellen Lungen-Zellen Muskel-Zellen Herz-Zellen Endothel-Zellen Haut-Zellen - alle uns bekannten prokaryotischen und eukaryotischen Zelltypen sind mechanosensitiv Die biophysikalische Fragestellung 1. Wie erkennt eine Zelle die mechanische Umgebung ? 2. Wie verwandelt eine Zelle mechanische Information in biologische Prozesse ? 3. Wie kann ich diese biophysikalischen Prozesse messen ? Die biophysikalische Fragestellung 1. Wie erkennt eine Zelle die mechanische Umgebung ? Wodurch ist die Umgebung der Zelle charakterisiert ? Wodurch ist die Umgebung der Zelle charakterisiert? - die mechanische Umgebung der Zelle ist durch die extrazelluläre Matrix (EZM) charakterisiert - die EZM diktiert die biophysikalischen und biochemischen Eigenschaften des Gewebes Die Extrazelluläre Matrix (EZM) Die EZM ist aus vielen Makromolekülen aufgebaut, die von Zellen sezerniert werden Man unterscheidet: - Faserbildende Proteine (z.B. Kollagene, Elastine) - Glykosaminoglykane (GAGs) - Proteoglykane - Adhäsionsproteine (z.B. Fibronektin, Laminin) Faserbildende Proteine: Beispiel Kollagen - Kollagen ist das häufigste Protein im menschlichen Körper - es gibt 28 verschiedene Kollagen-Typen die aus wenigstens 46 verschiedenen Polypeptiden bestehen - Kollagene sind evolutionär konserviert; sie existieren seit mehr als 500 Millionen Jahren Kollagen und die Kollagen Tripel-Helix - Kollagen ist charakterisiert durch einen spezifischen Aminosäure-Repeat: (G-X-Y)n X: oft Prolin Y: oft Hydroxy-Prolin Kollagen und die Kollagen Tripel-Helix - Kollagen ist charakterisiert durch einen spezifischen Aminosäure-Repeat: (G-X-Y)n X: oft Prolin Y: oft Hydroxy-Prolin - diese Sequenz führt zur Bildung einer Helix mit einer Windung pro Repeat - drei Helices assemblieren zu einer Tripel-Helix Die Rolle des Hydroxyprolin im Kollagen (G-X-Y)n Prolin X: oft Prolin Y: oft Hydroxy-Prolin Prolylhydroxylase + Vitamin C HydroxyProlin - Hydroxyprolin stabilisiert die Tripel-Helix durch stereo-elektronische Effekte - Hydroxyproline ist keine genetisch kodierte (natürliche) Aminosäure - Mangel an Hydroxyprolin führt zu Skorbut Kollagen und die Kollagen Tripel-Helix Aber: - eine einzelne Triple-Helix ist typischerweise 300nm lang und hat einen Durchmesser von < 2nm - Kollagen-Fibrillen sind bis zu 1cm lang und 500nm dick Fibrillogenese Kollagen-Fibrillogenese - durch SelbstAssemblierung und enyzmatischer Vernetzung können Kollagen-Fibrillen bis zu 1cm lang und 500nm dick werden - Kollagen-Synthese findet in der Zelle, Fibrillogenese außerhalb der Zelle statt Lysyloxidase (LOX) und Kollagen-Crosslinking - Kollagen-Fibrillogenese erfordert KollagenQuervernetzung (crosslinking) - Lysyloxidase (LOX) katalysiert die Oxidation von Lysin-Gruppen zu reaktiven Aldehyden, die zu einer Aldol-Bindung reagieren - LOX-Expression korreliert mit der Bösartigkiet von Brustkrebs Es gibt eine Vielzahl von Kollagen-Netzwerken - es gibt mindestens 28 verschiedene Kollagene, die unterschiedlich stark vernetzt werden können - daher werden eine Vielzahl von Strukturen gebildet wie z.B. Fibrillen, Netzwerke, Membranen, etc. Es gibt eine Vielzahl von Kollagen-Erkrankungen Skorbut (general) Osteogenesis Imperfecta (Col1A) Morbus Ehlers-Danlos (Col1A, Col3A, Col5A) Stickler-Syndrom (Col2A, Col2A, Col11A) Aber die EZM muss auch elastisch sein ! Elastin vermittelt hohe Elastizität der EZM - Elastin ist in dehnbaren Geweben exprimiert (während der Schwangerschaft nimmt der Elastingehalt im Uterus um 500% zu) - typische Elastin-Sequenz: - ΔS + ΔS (P-G-V-G-V-A)n - das Elastin-Molekül ist im Wesentlichen unstrukturiert - Elastin ist ein entropisches Elastomer Elastomere und Elastizitätsmodul - Elastomere zeigen linearelastisches Verhalten linear-elastisch nicht-linear elastisch Elastizitätsmodul E: Spannung σ [ N / m2 ] nicht-elastisch Bruch E=σ/ε [ N / m2 ] = Pa [ N / mm2 ] = MPa [ kN / mm2 ] = GPa EKautschuk ~ 0.01-0.1 GPa Dehnung ε [ Δl / l ] EKollagen ~ 1.2 GPa Beispiele von natürlichen entropischen Elastomeren Elastin (P-G-V-G-V-A)n Flagelliform (G-P-G-G-A)n Resilin (G-G-R-P)n E ~ 0.0011 GPa E ~ 0.003 GPa E ~ 0.002 GPa EKautschuk ~ 0.01-0.1 GPa EKollagen ~ 1.2 GPa Verminderte Elastin-Synthese in alternder Haut - die Elastin-Konzentration in der Epidermis nimmt mit zunehmendem Alter ab Was vermittelt Kompressionswiderstand ? Glykosaminoglykane - GAGs - Glycosaminoglykane (GAGs) bestehen aus sich wiederholenden Zuckereiheiten (Hexose + aminierte Hexose); man unterscheidet je nach Zucker und Seitengruppe: Hyaluronsäure Chrondoitinsulfat Dermatansulfat Keratansulfat Heparansulfat GAG Beispiel - Hyaluronsäure -Hyaluronsäure ist ein grosses, unverzweigtes GAG bestehend aus 250-25000 Disacchariden - GAGs sind negativ geladen und werden nach Einlagerung von Kationen stark hydratisiert GAG Beispiel - Hyaluronsäure - Osteoarthritis: Konzentration von Hyaluronsäure ist stark vermindert - Behandlung durch Vascosupplementation: Injektion von Hyaluronsäure in das betroffene Gelenk Wichtige EZM-Bestandteile - Proteoglykane Proteoglykane haben diverse Eigenschaften: - verleihen mechanische Stabilität - binden (vernetzen) andere Matrixproteine (Decorin bindet z.B. Kollagen I) - binden (speichern) Wachstumsfaktoren - vermitteln Zelladhäsion (Syndecan) Adhäsive Glykoproteine - Glykoproteine sind kleiner und flexibler als Proteoglykane - binden nur kurze Oligosaccharide - Beispiele: Fibronektin, Laminin, Vitronektin Adhäsive Glykoproteine - Fibronektin Laminin Fibronectin Zusammenfassung - EZM - die Zusammensetzung der EZM ist komplex; aus ihr ergeben sich die mechanischen Eigenschaften des Gewebes - die EZM besteht aus Proteinen, Glykosaminoglykanen, Proteoglykanen und Glykoproteinen - Kollagene vermitteln hohe Zugfestigkeit - Elastin vermittelt elastische Eigenschaften - GAGs vermitteln hohen Kompressionswiderstand Zusammenfassung - EZM GAG Hydratisierung Elastin Entropisches Elastomer Kollagen Tripel-Helix Zusammenfassung - EZM Die biophysikalische Fragestellung 1. Wie erkennt eine Zelle seine mechanische Umgebung? Welche Moleküle erkennen die EZM ? Wie erkennt die Zelle ihre Umgebung ? Zellen verfügen über Ionen-Kanäle, die z.B. mechanische Dehnung unspezifisch erfassen Zellen erkennen ihre Umgebung spezifisch durch ZelloberflächenRezeptoren - man unterscheidet: Zell-Zell Adhäsionen Zell-EZM Adhäsionen Zell-Zell Kontakte - es gibt, je nach Zelltyp, verschiedene Zell-Zell Adhäsionen - Cadherine vermitteln „Adherens Junctions“ und Desmosome - Occludin und Claudin vermitteln „Tight Junctions“ Integrine : Kern der Zell-Matrix Adhäsion α β extrazellulär - Integrine bestehen aus einer αund einer β-Einheit; es sind heterodimere Transmembranproteine - Integrine sind die wesentlichen EZM Rezeptoren und für alle höheren Lebewesen lebenswichtig intrazellulär Im Menschen gibt es 24 Integrin-Rezeptoren a1 a2 a3 a4 a5 a6 a7 a8 a9 a10 a11 aV aIIb aD aX aL aM aE α β extrazellulär b1 b2 b3 b4 b5 b6 b7 b8 intrazellulär Integrin-Bindungsaffinitäten - In menschlichen Zellen bilden 18 αEinheiten und 8 βEinheiten insgesamt 24 unterschiedliche Rezeptoren - Integrine binden EZM Proteine wie Kollagen, Laminin oder Fibronektin Integrine müssen aktiviert werden EZM inaktive Konformation aktive Konformation - Bekanntes Beispiel: Integrin-Aktivierung auf Blutplättchen (αIIbβ3) Intrazelluläre Aktivierung – Talin und Kindlin Kindlin Talin kein (αIIbβ3): keine Blutplättchen-Aggregation kein talin-1: keine Blutplättchen-Aggregation kein kindlin-3: keine Blutplättchen-Aggregation Talin und Kindlin sind essentiell Kindlin inaktives Talin aktives Talin Aber: Die genauen molekularen Mechanismen der Integrin-Aktivierung sind noch unklar ! Die Bildung von Fokalen Adhäsionen - nach der Integrin-Aktivierung werden weitere Moleküle rekrutiert; es bildet sich eine Fokale Adhäsion (FA) - FAs enthalten >100 unterschiedliche Proteine >100 Proteine - FAs sind sehr dynamisch; sie untergehend kontinuierlich einem „turnover“ Fokale Adhäsion haben viele Funktionen - Fokale Adhäsionen erfüllen wichtige biochemische und biophysikalische Funktionen: z.B.: Signaltransduktion Strukturproteine Kinasen, Phosphatasen, Proteasen, etc. Zell-Teilung Zell-Wanderung Zell-Differenzierung Zusammenfassung – Zell-Matrix Adhäsion Zellen erfassen ihre Umgebung auf vielfache Weise: - Dehnungsabhängige Ionen-Kanäle registrieren Spannung an der Plasma-Membran - Cadherine vermitteln Zell-Zell Kontakte - Integrine stellen spezifische Interaktionen zu EZM Proteinen her Zusammenfassung – Integrine - Integrine sind heterodimere Transmembranproteine - Integrin-Aktivierung ist Talin und Kindlin-abhängig - zu der zytoplasmischen Integrin-Domäne werden eine Vielzahl von Proteinen rekrutiert; diese bilden eine fokale Adhäsion Die biophysikalische Fragestellung 2. Wie verwandelt eine Zelle physikalische Information in biologische Prozesse ? Wie testen Integrine / fokale Adhäsionen die mechanischen Eigenschaften EZM ? Fokale Adhäsionen sind mit dem Zytoskelett verbunden Fokale Adhäsion F-Aktin Kabel Das Zytoskelett Filament (f)- Aktin Microtubuli Intermediäre Filamente Durchmesser 7 nm 25 nm 10 nm PersistenzLänge 13 μm 5000 μm 0.5 μm Fokale Adhäsionen sind an das Zytoskelett gebunden FAs ziehen an der EZM ! Diese intrazellulären Kräfte werden durch das Zytoskelett generiert Problem: Integrine binden gar kein Aktin ! α β - Integrine interagieren nicht direkt mit dem Zytoskelett - es bedarf Aktin-Interaktoren, die in FAs rekrutiert werden, wie z.B: - Aktin-Interaktoren Talin Filamin Tensin … Talin bindet Integrine und F-Aktin FERM Domäne (Integrin-Bindung) VinkulinBindungsdomänen F-AktinBindungsdomäne Dimerisierungs- Domäne (Talin-Bindung) VinkulinBindungsdomänen Bildung einer Fokalen Adhäsion F-Aktin-Talin Bindung Bildung einer Fokalen Adhäsion Kraft durch F-AktinMyosin-Kontraktion Bildung einer Fokalen Adhäsion VinkulinRekrutierung Kraft durch AktinMyosin-Kontraktion Bildung einer Fokalen Adhäsion VinkulinBindung Bildung einer Fokalen Adhäsion FA Verstärkung Bildung einer Fokalen Adhäsion FA Clustering Kraftabhängige Talin-Vinkulin Bindung - Bindungsseiten im Talin sind Vinkulin nicht zugänglich Kraft - Mechanische Kräfte entfalten Helices im Talin - Vinkulin kann Talin effizient binden Experimenteller Test inhibiert normal Inhibition der F-Aktin-Myosin Kontraktilität Experimenteller Test normal hart inhibiert hart 1 kPa Vergleich von steifer und weicher EZM weich Zusammenfassung –Integrin-Aktin Bindung - Talin vermittelt die Bindung von Integrinen an das FAktin Zytoskelett - Die Reifung Fokaler Adhäsionen sind Talin-abhängig - Fokale Adhäsionen sind mechanosensitiv - Fokale Adhäsionen erkennen intrazelluläre Kontraktion sowie extrazelluläre Matrix-Rigidität