Neue Menschliche Revolution 1

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Daisaku Ikeda
01
Neue Menschliche Revolution
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S G I• D
Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt.
Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors bzw. des
Rechteinhabers unzulässig.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die
Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.
© Daisaku Ikeda
English Translation © Soka Gakkai
German Translation © Soka Gakkai International-Deutschland e.V.
2. Auflage 2013
Umschlaggestaltung/Satz/Layout: Angelika Plag, Berlin
Druck: Fata Morgana Verlag, 10119 Berlin
ISBN 978–3-937615-01-6
Daisaku Ikeda
Neue Menschliche Revolution
Band 1
S G I• D
Inhaltsverzeichnis
Kapitelübersicht ................................................................................................................... 7
Vorwort ................................................................................................................................. 11
Sonnenaufgang ................................................................................................................. 15
Eine Neue Welt ................................................................................................................. 60
Goldener Herbst .............................................................................................................. 103
Das Licht des Mitgefühls ............................................................................................. 154
Pioniere .............................................................................................................................. 190
Kapitelübersicht
1. Sonnenaufgang
Chronikjahr: 1960
Weitere Jahre in Rückblick/Vorausschau: 1941ff, 1954, 1958,
Bereiste Länder: Hawaii/USA
Themen/Episoden:
• Shin‘ichi Yamamoto bricht zu seiner ersten Auslandsreise auf,
die weltweite Verbreitung des Buddhismus beginnt.
• Erinnerung an Josei Toda, an dessen Auftrag, die Welt zu bereisen.
• Reflektionen über die Universalität des Buddhismus und die Motive
für dessen Verbreitung.
• Herstellung von erster Einführungsliteratur auf Englisch.
• Die Geschichte von Nagayasu Masaki, Student und Pionier des
Buddhismus in den USA.
• Erstes Treffen mit den US-Pionieren auf Hawaii –
Wie man in einer anderen Kultur den Buddhismus ausübt.
• Rückblick auf Pearl Harbour und den Pazifik-Krieg.
• Die Herausforderungen der japanischen Einwanderer –
und Shin‘ichi Yamamotos Ermutigung.
2. Eine neue Welt
Chronikjahr: 1960
Weitere Jahre in Rückblick/Vorausschau: 1860, 1922, 1931, 1940er Jahre, 1955
Bereiste Länder: USA
Themen/Episoden:
• Historischer Abriss der japanisch-amerikanischen Beziehungen,
von der Meiji-Zeit bis zu den 1960ern.
• Der innenpolitische Streit Japans rund um den Sicherheitspakt mit
den USA.
• Ankunft in San Francisco. Begegnungen mit japanischen Frauen und
ihren amerikanischen Ehemännern. Shin’ichi gründet Bezirk in San
Francisco und in Nevada, erste Ernennungen.
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Kapitelübersicht
• Erste Diskussionsversammlung mit Shin’ichi in San Francisco.
Drei Ermutigungen für die japanischen Frauen in den USA:
1. Staatsbürgerschaft beantragen, 2. Englisch lernen, 3. Führerschein
machen.
3. Goldener Herbst
Chronikjahr: 1960
Weitere Jahre in Rückblick/Vorausschau: 1950er – amerikanische
Bürgerrechtsbewegung, 1963
Bereiste Länder: USA, Kanada
Themen/Episoden:
• Ankunft in Seattle. Erste Versammlung im Hotelzimmer, Wünsche und
Probleme der dortigen Mitglieder.
• Geschichte von Taeko Goodman – wie sie durch den Konflikt „Bleiben oder
Zurückkehren“ zu ihrer Lebensaufgabe fand.
• Wie Shin’ichi unterwegs krank wird und damit umgeht.
• Shin’ichi lässt sich auf einer Versammlung vertreten. Seinen Vertretern
gelingt es nicht, eine herzliche Atmosphäre herzustellen. Shin’ichi unterweist sie danach.
• Shin’ichis Ankunft in Chicago und Susuma Aotas vorbildliche Vorbereitung
darauf.
• Sonntagsausflug im Lincoln Park. Shin’ichi begegnet einem schwarzen
Jungen. Reflektionen über den Rassismus in den USA.
• Shin’ichi begegnet amerikanischen Ehemännern und bringt ihnen den
Buddhismus nahe. Die Kraft des Buddhismus, Rassenschranken zu
transzendieren.
• Ausflug aufs Land, herzliche Begegnung mit einheimischen Farmern.
• Ankunft in Toronto. Überraschende Begegnung Frau Izumiya, Tochter eines
japanischen Mitglieds. Shin’ichi ermutigt sie.
• Shin’ichi lehrt ein Mitglied aus Montreal, was Kampfgeist bedeutet.
4. Das Licht des Mitgefühls
Chronikjahr: 1960
Weitere Jahre in Rückblick/Vorausschau: 1940er – Todas publizistische Tätigkeit
für junge Menschen.
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Kapitelübersicht
Themen/Episoden:
• Ankunft in New York, Besuch des UN-Hauptquartiers. Reflektion über die
jüngste internationale politische Entwicklung.
• Versammlung in New Jersey. Herausforderung, buddhistisches Basiswissen
zu vermitteln. Shin’ichi ermutigt leidende Mitglieder.
• Stippvisite in Washington und Versammlung. Wie man sich in interreligiösen Ehen verhält. Wie man mit dem Gohonzon große Resonanz im Gebet
erzeugt. Wie „Shakubuku“ in anderen Kulturen zu verstehen ist.
• Tomino, eine 80Jährige, ermutigt Shin’ichi.
• Ideen zur Gründung einer buddhistischen Zeitung, der späteren Seikyo
Shimbun.
• Shin’ichi fliegt trotz heftiger Krankheit weiter nach Brasilien.
5. Pioniere
Chronikjahr: 1960
Themen/Episoden:
• Ankunft in São Paolo. Die Geschichte der japanischen Einwanderer in
Brasilien.
• Erste Versammlung, Shin’ichi gründet in Brasilien den ersten Bereich
außerhalb Japans.
• Zweite Versammlung – Shin’ichi erklärt den Sinn eines Versprechens, das
Prinzip „Buddhismus ist höchste Vernunft“ und wie man im Lichte des
Buddhismus großes Leid überwindet.
• Shin’ichi begegnet einem regionalen Präsidenten der Japanischen
Gesellschaft, der nach der Versammlung von der Soka Gakkai begeistert ist
und beitreten will. Shin’ichi prüft die Entschlossenheit des Präsidenten, um
ihn vor Verfolgung zu schützen.
• Rückkehr in die USA, letzte Versammlung in Los Angeles. Geschichte von
Kazuko Ellick – schwieriger Beginn einer Ehe in den USA, Überwindung von
Tuberkulose, Verbreitung des „Zauberworts“ im U.S.-Militärhospital.
• Gründung von 6 Bezirken in den USA und Ernennungen. Wie man in den
USA eine großzügige, menschliche Organisation aufbaut.
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Vorwort
Draußen schlich der Nebel ganz still vorbei und umhüllte sanft die grünen
Bäume und Pflanzen. Mitten in diesem weißen Schleier begann ich mit der
Arbeit an dem Manuskript der Neuen Menschlichen Revolution. Erinnerungen
an meinen verehrten Meister Josei Toda stiegen hoch.
So war es am 6. August in diesem Jahr. Ich befand mich gerade im NaganoGemeindezentrum in Karuizawa, Japan. Karuizawa ist der Ort, an dem ich mich
damals, acht Monate vor dem Tod meines Meisters, zum Schreiben der Menschlichen Revolution entschloss. Ich wollte mit diesem Werk den zukünftigen Generationen eine akkurate Aufzeichnung von Präsident Todas Leben und seinem
geistigem Wirken geben. Dieser Ort birgt für mich zahlreiche Erinnerungen an
das gemeinsame Versprechen von Meister und Schüler. Dieser Tag, der 6. August, war auch der 48. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima.
Präsident Toda verkündete seine Erklärung zur Abschaffung von Nuklearwaffen am 8. September 1957 und betraute seine noch jungen Schüler mit der
weltweiten Verbreitung seiner Ideale – das war ein Teil seiner Hinterlassenschaft.
Mein Meister lehnte sich weit hinaus, um die schwachen Hilferufe jener
Menschenmassen auf der Welt zu vernehmen, die endlos unter Krieg und Tyrannei leiden. Oft sagte er: „Ich möchte die Welt vom Elend befreien.“ Dies war
sein Traum und sein Lebensentschluss.
Meister und Schüler sind unzertrennlich. Und weil sie so vereint sind, steckt
das Herz meines Meisters auch in mir, während ich die Welt bereise und das
Bett für den großen Fluss von Frieden und Glück freilege. Die Erhabenheit eines
großen Flusses zeugt von der Großartigkeit seiner Quelle. Was mich zum
Schreiben der Neuen Menschlichen Revolution inspirierte, einen Fortsetzungsroman als Weiterführung der Menschlichen Revolution, war folgender Gedanke:
Das Ausmaß, in dem sich Kosen-rufu seit dem Ableben meines Meisters entwickelt hatte, ist ein echter Beweis für dessen Großartigkeit. Und weiter dachte ich: Um den Geist meines Meisters für alle Zeiten weiterzugeben, muss es
auch eine Aufzeichnung davon geben, welchen Weg jene Schüler einschlugen,
die sein geistiges Vermächtnis angetreten hatten.
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Vo rw o rt
Doch dabei kam ich nicht umhin, über mich selbst zu schreiben, was mich
ins Zaudern brachte. Dann türmte sich auch noch ein Berg von anderen
Herausforderungen auf, die ebenfalls bewältigt werden wollen, bevor ein dauerhafter Frieden auf der Basis von weltweitem Kosen-rufu Realität werden
kann. Angesichts dieser Tatsache sorgte ich mich darum, ob ich überhaupt
genug Zeit zum Schreiben freimachen könnte. Ich streite es nicht ab: Damals
erwog ich ernsthaft, jemand anders mit dem Schreiben dieser neuen Serie zu
beauftragen, falls das irgendwie möglich wäre.
Doch selbst wenn es jemanden gegeben hätte, den ich mit der Dokumentation meiner Reisen und Begegnungen beauftragen hätte können: Diese Person konnte nicht wissen, was sich damals in meinem Herz und Kopf abspielte.
Es gibt einen originären Aspekt in der Geschichte der Soka Gakkai, den nur ich
in meinem Herzen trage. Dann habe ich von der Seikyo Shimbun1 mehrmals die
dringende Bitte erhalten, die Neue Menschliche Revolution in Serie zu veröffentlichen. Also entschloss ich mich, trotz mancherlei Bedenken, noch einmal
zur Feder zu greifen und mit dem Schreiben zu beginnen.
Die Neue Menschliche Revolution beginnt mit dem 2. Oktober 1960. An diesem Tag bricht Shin’ichi Yamamoto als Nachfolger von Josei Toda und dritter
Präsident der Soka Gakkai zu einer historischen Friedensreise auf, die ihn durch
drei Länder führt: die Vereinigten Staaten, Kanada und Brasilien. Des Weiteren
legt das Werk Zeugnis ab von der Renaissance der Soka Gakkai – von jenem
Triumph der ganz gewöhnlichen Bürger, die die Welt mit dem Buddhismus von
Nichiren Daishonin zum Leuchten bringen und in der Menschheitsgeschichte
eine neue Seite aufschlagen.
Mahatma Gandhi verkündete einmal, die „Macht des Geistes“ sei stärker
als jede Atombombe. Um dieses Jahrhundert des Krieges in ein Jahrhundert
des Friedens zu verwandeln, müssen wir diese unbegrenzte Kraft kultivieren,
die dem menschlichen Leben innewohnt. Das ist die „Menschliche Revolution“
– diese Revolution des Selbst wird für die gesamte Romanserie das Leitthema
sein.
Wie bereits in vorhergehenden Werken werde ich den einzelnen Figuren in
der Geschichte fiktive Namen geben. Manchmal werden mehrere lebende
Menschen zu einer einzigen Figur zusammengefasst und dann wieder werden
1 Seikyo Shimbun – Zeitung der Soka Gakkai, 1951 gegründet, erscheint seit 1965 täglich und heute
mit einer Auflage von 5,5 Mio. verbreitet. Enthält neben Berichten von Aktivitäten der Soka Gakkai
auch die klassischen Rubriken Politik, Kultur, Wirtschaft Sport.
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Vo rw o rt
lebende Einzelpersonen in verschiedenen Figuren porträtiert. Aus diesem
Grund entspricht nicht jede fiktive Figur einer echten Person. Und so hoffe ich,
dass die Leser die Figuren in der Erzählung stets als fiktiv betrachten.
Ich gehe davon aus, dass die Neue Menschliche Revolution einmal dreißig
Bände umfassen wird. Für mich bedeutet dies ganz sicher eine absolute
Herausforderung, sie noch in meiner Lebenszeit fertig stellen zu können.
Trotz alledem: Nur wenn wir in diesem unseren Leben unsere Aufgabe erfüllen, leben wir wirklich. Goethe, Hugo und Tolstoi waren in ihren Achtzigern
immer noch energisch am Schaffen und brachten ihre Überzeugungen zu
Papier. Ich bin jetzt 65, also immer noch jung.
Ich betrachte das Schreiben der Neuen Menschlichen Revolution als mein
Lebenswerk. In diesem Werk habe ich vor – bis zu den Grenzen meines Könnens
– jenen diamantgleichen Pfad von Meister und Schüler aufzuzeichnen. Und ich
will ein glanzvolles Porträt von dem abliefern, was die Kinder des Buddha geschaffen haben, als sie sich mit dem Traum von weltweitem Kosen-rufu auf
den Weg machten – genau wie Nichiren Daishonin es sie gelehrt hatte.
Wahrheit und Lüge, Gut und Böse, Gewinner und Verlierer: Ich werde mich
bemühen, all dies klar und wahrhaftig zu dokumentieren. Ich werde den Gedanken nicht los, dass Präsident Toda ständig bei mir ist und über mich wacht.
Ich bitte nur um eines, vom tiefsten Grund meines Herzens: Um die warmherzige Unterstützung von Ihnen allen, den Lesern.
Daisaku Ikeda
November 1993
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Sonnenaufgang
Es gibt keinen größeren Schatz als den Frieden. Es gibt nichts, was größeres
Glück erschafft. Wenn die Menschheit Fortschritte machen will, dann muss sie
den Frieden zum Ausgangspunkt für alle anderen Tätigkeiten machen.
Am 2. Oktober 1960, im Alter von 32 Jahren, brach Shin’ichi zu einer Reise
auf, die ihn letztlich um die ganze Welt führen sollte. In seinem Herzen brannte der leidenschaftliche Entschluss, Frieden auf der Welt zu schaffen. Erst fünf
Monate war es her, seit er das Amt des dritten Präsidenten der Soka Gakkai
angetreten hatte.
An jenem Tag war Tokio mit kristallklarem Himmel und frischer Herbstluft
gesegnet. Seit den frühen Morgenstunden strömten die Mitglieder nach
Haneda, dem Internationalen Flughafen von Tokio, und gegen 9:30 Uhr war die
Besucherterrasse voller Menschen. Sie waren gekommen, um ihren Präsidenten Shin’ichi Yamamoto zu verabschieden, der bald zu seinem ersten Auslandsbesuch abfliegen würde.
Um 10:10 Uhr kam Leben in das Besucherdeck, als die sechs Reisenden,
unter ihnen Shin’ichi, aus dem Terminal ins Freie traten. Neben Shin’ichi bestand die Gruppe aus Vize-Generaldirektor Kiyoshi Jujo, Direktor Yukio Ishikawa, Studienabteilungsleiter Chuhei Yamadaira, Jugendabteilungsleiter
Eisuke Akizuki und der Frauenabteilungsleiterin Katsu Kiyohara. Ehe sie an
Bord des Flugzeugs gingen, stellten sich die Reisenden nebeneinander auf,
zogen ihre Hüte und winkten damit der Menge zu. Jubelrufe und Applaus stiegen in den klaren Himmel hoch.
Das Flugzeug des Japan-Airlines-Fluges Nr. 800 mit dem Namen Fuji hob
um 10:40 Uhr mit Getöse ab und nahm direkten Kurs auf Honolulu, Hawaii. Die
Fuji war Japans erster großer Passagier-Jet und hatte erst am 12. August seinen
Dienst aufgenommen. Unten konnte Shin’ichi den Ozean vor seinem geliebten
Omori sehen: die Stadt, in der er geboren und aufgewachsen war. Zahllose
Silberwellen glitzerten im Sonnenlicht, das von der Oberfläche des Meeres
reflektiert wurde – als wollten sie Shin’ichi gratulieren und ihm eine gute Reise
wünschen.
Shin’ichi legte schweigend die Hand auf seine Brust. In der Innentasche seines Jacketts bewahrte er ein Foto seines Meisters Josei Toda. Er würde niemals
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S o n n e n a u f ga n g
diesen Moment vergessen, als Toda ihm kurz vor seinem Tod erzählte, er habe
geträumt, er sei nach Mexiko gereist. Im Krankenbett am Haupttempel liegend
hatte Toda zu ihm gesagt: „Sie haben gewartet. Alle haben gewartet. Sie haben
alle Nichiren Daishonins Buddhismus gesucht. Ich möchte aufbrechen ... die Welt
für den Frieden bereisen, für Kosen-rufu. Shin’ichi, die Welt ist deine Herausforderung, sie ist deine wahre Bühne. Es ist eine weite Welt.“
An jenem Tag hatte Shin’ichi schweigend Todas Hand ergriffen, die er unter der
Decke seines Futons hervorstreckte. Toda ließ seinen Blick auf Shin’ichis
Gesicht ruhen und brachte dann mit aller verfügbaren Kraft die Worte heraus:
„Shin’ichi, du musst leben. Du musst so lange leben wie möglich und die Welt
bereisen!“ Todas Augen strahlten.
Shin’ichi hatte diese Worte als Todas Vermächtnis in sein Herz eingraviert.
Anstelle seines verstorbenen Meisters machte er nun als dessen Schüler den
ersten Schritt für Kosen-rufu auf weltweiter Ebene. Wenn er daran dachte,
fühlte Shin’ichi eine Welle tiefer Leidenschaft. Shin’ichi hatte den 2. Oktober als
Abfahrtsdatum seiner ersten Reise ins Ausland gewählt, weil an jedem
Monatszweiten Präsident Todas Tod gedacht wurde, der am 2. April 1958 verschieden war. Für Shin’ichi erschloss sich sehr klar, welch tiefe Bedeutung hinter Todas Wunsch steckte, er solle die Welt bereisen. 15 Jahre waren seit dem
Ende des Zweiten Weltkriegs vergangen, doch der Herzenswunsch der
Menschheit nach Frieden blieb noch immer unerfüllt.
Der Kreislauf der Geschichte war in den tiefen Morast des Kalten Krieges
zwischen Ost und West geraten. Nichts deutete auf dessen Ende hin. Gleichzeitig entwickelte sich eine dramatische Eskalation des atomaren Rüstungswettlaufs zwischen den Großmächten des Westens und dem Ostblock. Dieses
Wettrüsten wurde auf der einen Seite von den Vereinigten Staaten, auf der
anderen von der Sowjetunion angeführt.
Konflikte wüteten außerdem in Afrika, wo überall Kämpfe gegen die
Kolonialherrschaft und für die Unabhängigkeit ausbrachen, während in verschiedenen anderen Weltregionen rassisch oder ethnisch begründete Spannungen herrschten. Überall litten die Menschen entweder unter der Bedrohung durch die atomare Vernichtung, lebten in Angst oder im Bürgerkrieg
oder waren Opfer von Diskriminierung, grausamer Misshandlung, Armut oder
Krankheit – und trotzdem hegten sie alle gewiss die Hoffnung, einmal den
Anbruch von Frieden und Glück erleben zu dürfen.
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Todas Worte waren nichts anderes als ein dringender Aufruf zur Rettung
der Menschheit. Er hatte diesen Appell als buddhistischer Führer gegeben, der
den Zustand der Welt sehr klar erkannte.
Glück – das ist das Ziel der Menschen. Frieden – das ist der Wunsch der
Menschen. Der Lauf der Geschichte muss in Richtung Frieden und Glück fortschreiten. Es liegt in der Natur des Menschen, nach einem verbindlichen
Leitprinzip zu suchen, das in diese Richtung weist.
„Wissenschaft, Politik, die Gesellschaft und die Religion müssen ebenfalls
diesen entscheidenden Punkt zum zentralen Anliegen machen“, dachte
Shin’ichi. „Nichiren Daishonin machte sich das Leiden der Menschheit zu eigen
und hielt das Banner von Rissho Ankoku1 hoch, jenen Wunsch, eine friedliche
Gesellschaft auf der Basis des wahren Buddhismus zu errichten. Er offenbarte
klar das Leitprinzip, das die Menschheit zu Frieden und Glück führt.“ Nichiren
Daishonin hatte geschrieben: „Kann es irgendeinen Zweifel daran geben, dass
(...) das Große Reine Gesetz des Lotos-Sutra in ganz Japan und allen anderen
Ländern der Welt verbreitet werden wird?“ (DG 3, 109) Der Daishonin sagte die
weltweite Verbreitung seines Buddhismus voraus und betraute seine Schüler
der zukünftigen Generationen mit der Verwirklichung dieses Ziels.
Im Alter von 32 Jahren hatte Shin’ichi die Verwirklichung von Kosen-rufu auf
globaler Ebene als die Berufung seines Lebens angenommen und war im
Begriff, die Tür zu dieser großen Aufgabe, die vor ihm lag, aufzustoßen. Bei diesem Gedanken machte sein Herz Sprünge vor Aufregung.
Der Buddhismus Nichirens offenbart, dass alle Menschen gleichermaßen mit
der Buddhanatur ausgestattet sind und dass jeder Einzelne eine Wesenheit
von Ichinen Sanzen2 ist. Er stellt auch das Mittel klar, mit dessen Hilfe die
Menschen sich von allen Fesseln, die sie binden, befreien können. Der
Buddhismus des Daishonin, der für die Würde, Gleichheit und Freiheit der
1 Rissho Ankoku – bedeutet: Den Frieden des Landes durch die Verbreitung des wahren Buddhismus
gewährleisten. Dieses Prinzip wird in einer der wichtigsten Schriften von Nichiren Daishonin dargelegt. „Über das Errichten des Wahren Gesetzes für Frieden im Land“. Darin wird erklärt, dass der
Frieden und Wohlstand einer Gesellschaft direkt mit der Lebensanschauung jener Menschen in
Verbindung stehen, aus denen diese Gesellschaft besteht. Die Schrift kommt zu dem Schluss, dass
die Verbreitung des Lotos-Sutra, jener menschlichsten aller Philosophien, der sicherste Weg für das
Errichten einer friedlichen Welt ist.
2 Ichinen Sanzen – ein philosophisches Prinzip, das der chinesische Philosoph Tiantai (538–597) auf
der Basis von Shakyamunis Lehren – insbesondere des Lotos-Sutra – entwickelte. Es verdeutlicht die
Dynamik und die Möglichkeiten, die jedes Leben in jedem gegebenen Augenblick entwickeln kann.
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Menschen eintritt, ist wahrhaftig eine Weltreligion, die sich der Verwirklichung
des Friedens für die gesamte Menschheit widmet. Er leuchtet uns den Weg
zum 21. Jahrhundert aus; er lässt ein großes, universelles Licht des Glücks auf
die gesamte Welt strahlen. Trotzdem hatte dieser Buddhismus Nichiren Daishonins noch das Meer zu überqueren, um zur übrigen Welt zu gelangen.
Tatsächlich hatte sich noch nie irgendeine japanische buddhistische Schule in
Übersee weit verbreitet. Mit der Zunahme der Auswanderung aus Japan, die
während der Meiji-Zeit (1868–1912) begann, bemühten sich einige Schulen des
japanischen Buddhismus wie die Jodo Shinshu (Wahre Schule des Reinen
Landes) um die Verbreitung im Ausland und gewannen beispielsweise auf
Hawaii, an der Westküste der USA und in Brasilien Anhänger. Doch diese
Religionen fanden nur unter Menschen japanischer Herkunft Verbreitung und
verließen niemals den Rahmen einer ethnisch begrenzten Religion, die man
„japanischen Buddhismus“ nannte.
Der buddhistische Denker Daisetsu Suzuki (1870–1966) reiste nach Amerika
und in andere Länder. Er bemühte sich, die buddhistische Denkweise im
Westen bekannt zu machen, doch seine Anstrengungen brachten kaum mehr
als eine Verbreitung des Zen als Modeerscheinung bei einigen Intellektuellen
in Europa und den USA.
Vor diesem Hintergrund reiste Shin’ichi Yamamoto zum ersten Mal ins
Ausland – ein Besuch, der den Weg für die Bewegung der heutigen Soka Gakkai
International (SGI) bereiten würde. Mit dem Ziel, eine Geschichte der Wiederbelebung der Menschheit zu schaffen, bringt die SGI das Licht des Humanismus zu den leidenden Völkern dieser Welt. Shin’ichis Reise markierte in den
Annalen des Buddhismus den Beginn eines beispiellosen neuen Abschnitts.
Merkwürdigerweise war in jenem Jahr 1960 auch der 700. Jahrestag, seit
Nichiren Daishonin seine Abhandlung Rissho Ankoku Ron (Über das Errichten
des Wahren Gesetzes für Frieden im Land) geschrieben und damit die Initialzündung für die Verwirklichung eines dauerhaften Friedens entfacht hatte.
Diese zeitliche Übereinstimmung war wirklich mystisch.
Shin’ichi wollte neun Städte in drei verschiedenen Ländern besuchen: Den
Anfang machte Honolulu auf Hawaii, dann kamen San Francisco, Seattle,
Chicago, Toronto (Kanada), New York, Washington D.C., São Paulo (Brasilien)
und schließlich Los Angeles. Laut Plan sollte er am 25. Oktober nach Japan
zurückkehren. Ein Zweck der Reise war, jene Soka-Gakkai-Mitglieder, die in diesen Regionen langsam erschienen, zu ermutigen und ihnen Rat und Führung
für ihren Glauben anzubieten. Ein weiteres Ziel lag darin, Baumaterial für den
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S o n n e n a u f ga n g
Dai-Kyakuden (Große Empfangshalle) zu kaufen, den die Soka Gakkai als Spende für den Haupttempel errichten lassen wollte. Bei der Hauptversammlung
der Soka Gakkai, bei der Shin’ichi als ihr dritter Präsident sein Amt antrat, hatte
er den Bau der Großen Empfangshalle als eines der Ziele verkündet, die er vor
der siebten Todesgedenkfeier für seinen verstorbenen Meister Josei Toda verwirklichen wollte. Das Gebäude sollte nur mit dem erlesensten Material aus
der ganzen Welt gebaut und ausgestattet werden. Und noch ein Ziel der Reise
war, die Verhältnisse in anderen Ländern aus erster Hand kennenzulernen mit
dem Augenmerk darauf, für die zukünftige Verwirklichung von Kosen-rufu
Pläne zu schmieden.
Shin’ichi Yamamoto holte Josei Todas Bild aus der Innentasche seines Jacketts
hervor und betrachtete es. Er dachte daran, wie glücklich Toda gewesen wäre,
wenn er ihn auf dieser Reise hätte begleiten können. Shin’ichi erinnerte sich an
die Worte, die Toda oft geäußert hatte:
„Japan hat den Krieg verloren. Doch die Abschaffung des ‚Gesetz[es] zur
Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung‘3 unter der alliierten Besatzungspolitik MacArthurs bescherte Japan eine echte Religionsfreiheit. Dies leitete die
Zeit für Kosen-rufu ein. MacArthur fungierte als Schutzkraft, als Shoten Zenjin4
wie Bonten oder Taishaku5. Ich möchte nach Amerika reisen, um diese Dankesschuld zu begleichen.“
3 Gesetz zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung – Dieses Gesetz wurde 1925 von der Regierung in Kraft gesetzt, um die Ausbreitung des Kommunismus und Anarchismus unter Kontrolle zu
bekommen. Mit dem Zuwachs von besonderen Regierungsanordnungen während der Kriegszeit
wurde dieses Gesetz auch auf die Anhänger von Religionen und liberalen Ideen angewandt. Es
wurde exzessiv zum Unterbinden der Gedanken- und Redefreiheit eingesetzt. Dieses Gesetz wurde
auch dafür benutzt, die ersten beiden Präsidenten der Soka Gakkai, Tsunesaburo Makiguchi und
Josei Toda, wegen ihres Glaubens an den Buddhismus Nichiren Daishonins zu inhaftieren.
4 Shoten Zenjin – Kräfte des Universums, die das Leben beschützen, und deren Funktion sich auf
viele Weisen manifestiert: im eigenen Immunsystem, in der Ermahnung eines guten Freundes, in
einer Hilfeleistung usw.
5 Bonten oder Taishaku – entsprechen im Sanskrit Brahma und Indra. Im Buddhismus stellen sie die
beiden großen Schutzgötter dar, die aus der indischen Mythologie übernommen wurden. Diese
Götter hatten geschworen, den Buddhismus und seine Ausübenden zu beschützen. Sie stehen –
zusammen mit den anderen Shoten Zenjin – für die lebenserhaltenden Funktionen, die im eigenen
Buddhazustand hervorgerufen werden.
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Toda war nicht nur in der Geschichte Amerikas überraschend gut bewandert,
sondern ebenso in der amerikanischen Politik, Wirtschaft, Literatur und Philosophie. Er breitete oft seine Ansichten über das Leben großer Amerikaner wie
Lincoln, Washington, Emerson und Franklin aus. Seine Betrachtungen dieser
und anderer großer Menschen besaßen viel Farbe und Lebendigkeit, doch
waren sie zugleich scharfsinnig und tiefgründig. Wenn man Toda zuhörte, entstand von der Person ein klares Bild: so als würde sie oder er direkt vor einem
stehen. Toda war jedoch im Alter von 58 Jahren verstorben, ohne Japan jemals
verlassen zu haben. Shin’ichi presste die Lippen zusammen und schwor sich:
„Ich werde im Namen meines Meisters auf amerikanischem Boden stehen. Ich
werde ganz bestimmt eine neue Geschichte schreiben.“
Sieben Stunden nachdem das Düsenflugzeug Tokios Flughafen Haneda mit
dem Ziel Hawaii verlassen hatte, begann es, seine Flughöhe allmählich zu senken. Shin’ichis Armbanduhr, die er auf die Zeit von Hawaii eingestellt hatte,
zeigte 22:30 Uhr. Es war der 1. Oktober. Die Ortszeit Hawaiis lag gegenüber der
von Japan um 19 Stunden zurück. Schließlich begann das Flugzeug mit dem
Landeanflug. Als Shin’ichi aus dem Fenster sah, erblickte er in der Ferne schimmernde Lichter, die zahllosen unter nächtlichem Himmel ausgestreuten Edelsteinen glichen. Das waren die Lichter von Honolulu. Die Fuji landete kurz nach
23 Uhr mit fast einstündiger Verspätung auf dem Flughafen von Honolulu.
Trotz der späten Stunde war die Luft draußen heiß. Hawaii war in der Tat
eine Inselgruppe des immerwährenden Sommers. Der Schweiß sammelte sich
bald auf Shin’ichis Augenbrauen und denen seiner Gefährten, die sich auf den
Herbst eingestellt hatten und Mäntel und Hüte trugen. Am Einreiseschalter
des Flughafens hatte sich eine lange Schlange gebildet. Während sie auf die
Abfertigung warteten, fragte Shin’ichi Kiyoshi Jujo: „Herr Jujo, ist Ihr Englisch
wirklich einwandfrei?“
Vor der Abreise hatte Jujo versichert, dass er von seinen Englischkenntnissen überzeugt sei. „Ja“, antwortete Jujo stolz. „Ich habe keine Schwierigkeiten damit, solange es sich nur um alltägliche Konversation handelt. Auf der
Marine-Akademie wurde mir Englisch geradezu eingebläut.“
Shin’ichi Yamamoto und seine Mitreisenden mussten etwa eine halbe Stunde
warten, bis sie den Einreiseschalter erreichten. Kurz bevor sie an der Reihe
waren, sagte Kiyoshi Jujo zu Shin’ichi: „Sensei, ich werde vor Ihnen die Einreiseformalitäten erledigen. Danach werde ich für Sie übersetzen.“ Schließlich
kam Jujo an die Reihe. Er zeigte seinen Reisepass dem Schalterbeamten, der
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ihm dann auf Englisch eine Frage stellte. Jujo blickte einen Moment lang verwirrt drein. Dann sprach er: „Wan-su mo-ah pu-ri-su“ [Once more please – noch
einmal, bitte]. Jujo wiederholte den Satz immer wieder. Auch der Beamte wiederholte seine Frage mehrere Male, schien jedoch zu der Schlussfolgerung zu
gelangen, dass diese Unterhaltung zu nichts führte. Er nahm die Hände empor
und schüttelte als Geste der Vergeblichkeit den Kopf. Ein Zuschauer, möglicherweise ein Angestellter eines Reisebüros, konnte das Schauspiel nicht länger mit ansehen und kam herüber, um zu dolmetschen. So wurde die Gruppe
schließlich aus ihrer Notlage befreit.
„Meine Güte, das Hawaii-Englisch ist aber schwer zu verstehen“, sagte Jujo
mit bemühtem Lächeln, wobei er sich den Kopf kratzte. Shin’ichi merkte deutlich, wie wichtig es sein würde, fähige Dolmetscher heranzubilden, sollte sich
Kosen-rufu weltweit richtig entfalten können. Als sie den Zoll passiert und ihr
Gepäck entgegengenommen hatten und auf die Ankunftshalle zusteuerten,
war es bereits nach Mitternacht am 2. Oktober.
Es war abgemacht worden, dass ein Mitglied der Junge-Männer-Abteilung,
Nagayasu Masaki, sie am Flughafen treffen sollte. Masaki, der drei Jahre zuvor
im Mai für sein Studium nach Amerika gekommen war, sollte Shin’ichi und den
anderen als Reiseleiter und Übersetzer zur Verfügung stehen. „Das Flugzeug
hatte Verspätung. Masaki muss es leid gewesen sein, noch länger zu warten“,
sagte Shin’ichi mit einiger Besorgnis zu Jujo. „Nun, er wollte zusammen mit
einer großen Gruppe weiterer Mitglieder für uns einen prächtigen Willkommensgruß arrangieren“, antwortete Jujo. Als sie die Ankunftshalle betraten,
wimmelte es dort von Menschen, doch von Masaki keine Spur. Sie stellten ihr
Gepäck in einer Ecke ab und warteten. Der erste Eindruck von Flughafen in
Honolulu konfrontierte sie mit vielen merkwürdigen und ungewohnten Anblicken.
Sie sahen junge Mädchen, die sich in Muumuus6 gehüllt hatten und leuchtend bunte Leis7 trugen. Ein älterer grauhaariger Mann hatte ein rotes HawaiiHemd an. Es gab auch eine Gruppe japanischer Männer, die mit ihren Krawatten formell und adrett aussahen. Die ankommenden Passagiere fanden zu
ihren Freunden und Angehörigen, die auf sie gewartet hatten. Ein Lächeln
erstrahlte auf vielen Gesichtern, die Menschen umarmten sich, und eine
Gruppe nach der anderen verließ den Flughafen.
6 Muumuu – ein für Hawaii typisches, locker sitzendes Kleid.
7 Lei – der typische hawaiische Blumenkranz.
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„Masaki ist nicht da“, meinte Kiyoshi Jujo beunruhigt zu Eisuke Akizuki. „Er sollte uns doch hier treffen.“
„Ja, das stimmt. Merkwürdig ...“
Die Menge lichtete sich. Die Passagiere, die mit ihnen angekommen waren,
verließen die Ankunftshalle.
„Wie grässlich, an einem solchen Ort zu stranden!“, murmelte die für gewöhnlich gut aufgelegte Katsu Kiyohara hilflos. „Hier kennen wir uns überhaupt nicht aus.“
Genau in diesem Augenblick näherte sich ein schmächtiger, mit einem
Hawaii-Hemd bekleideter junger Mann, der sie von einer Ecke der Ankunftshalle aus beobachtet hatte.
„Präsident Yamamoto von der Soka Gakkai?“ Seine Frage klang ein wenig
zögerlich. Shin’ichi Yamamoto erkannte das Gesicht des jungen Mannes wieder. „Ja! Danke, dass Sie gekommen sind.“ Daraufhin entspannte sich der Junge
und lächelte offen und freundlich. „Ich bin Tony Harada, Mitglied der JungeMänner-Abteilung.“
„Ich kenne Sie“, entgegnete Shin’ichi. „Wir sind uns schon einmal begegnet.“
„Das stimmt. Wir trafen uns einmal in der Zentrale der Soka Gakkai, bevor
ich nach Hawaii ging“, erwiderte Harada.
Er legte einen Lei, den er für diesen Anlass vorbereitet hatte, um Shin’ichis
Hals und schüttelte seine Hand. Man konnte von den Gesichtern der anderen
ablesen, wie erleichtert sie nach Haradas unerwartetem Willkommensgruß
waren. Doch als Harada jedem einen Lei geschenkt hatte, meinte er: „So, nun
muss ich aber los.“
Als Harada im Begriff war zu gehen, sagte Shin’ichi: „Vielen Dank. Müssen
Sie schon weiter?“
„Ja, jetzt, nachdem ich Sie willkommen geheißen habe, gehe ich.“
„Gibt es noch andere hier?“, erkundigte sich Shin’ichi.
„Nun, ich weiß nicht. Ich komme nicht von Oahu. Ich lebe auf der Insel
Hawaii. Ich habe einen Brief aus Japan erhalten, in dem stand, dass Sie nach
Honolulu kommen würden, und deshalb bin ich hergeflogen.“
„Ach so. Können Sie hier irgendwo übernachten?“, fragte Shin’ichi.
„Ja, danke. Ich wohne bei meiner Tante. Machen Sie sich bitte meinetwegen
keine Sorgen. Auf Wiedersehen.“
Harada, der sich der Notlage der Gruppe überhaupt nicht bewusst war,
befürchtete, dass er stören würde, wenn er zu lange bliebe. „Nun, lassen Sie uns
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doch morgen früh wieder zusammenkommen“, schlug Shin’ichi vor. „Ich
wohne im Kaimana-Hotel.“
„Ja, gern!“, antwortete Harada gutgelaunt, als er mit raschen Schritten
davoneilte. Die Reisenden blickten ihm erstaunt nach. Als Harada fort war,
überfiel sie wieder ein Gefühl der Hilflosigkeit.
In der Ankunftshalle gingen nach und nach die Lichter aus. Allmählich wurde
es still, und schließlich wirkte die Halle ganz verlassen.
„Wo um Himmels willen ist Masaki?“, platzte der leicht aufbrausende Yukio
Ishikawa mit zorniger Stimme heraus.
„Sensei, ich gehe raus und suche ihn“, erbot sich Kiyoshi Jujo. „Akizuki, ich
sehe mich draußen nach ihm um. Schau doch bitte hier drinnen nach.“ Damit
verschwand Jujo zusammen mit Akizuki, um nach Masaki zu suchen. Nach kurzer Zeit kehrte Akizuki zurück, ohne Masaki gefunden zu haben. Wenige Augenblicke später kam auch Jujo. „Sensei, ich habe Masaki nicht finden können,
aber draußen wartet ein Auto des Kaimana-Hotels. Es ist schon sehr spät.
Warum also lassen wir uns damit nicht zum Hotel bringen?“ Alle waren mit
Jujos Vorschlag einverstanden und brachen mit dem Auto zum Hotel auf.
Das Kaimana-Hotel war ein einfaches dreistöckiges Gebäude genau am
Ende des Strandes von Waikiki. Als sie dort ankamen, war es fast zwei Uhr
nachts. Nachdem sie ihr Gepäck auf die Zimmer gebracht hatten, trafen sie sich
alle spontan in Shin’ichis Zimmer. Es war schon ziemlich lange her, seit sie im
Flugzeug das Abendessen bekommen hatten. Jeder war hungrig und sah völlig
erschöpft aus.
„Klar habe ich Hunger“, gab Shin’ichi zu und sprach das aus, was jeder dachte. Aber in der Nähe des Hotels gab es keinen einzigen Laden, und das Geschäftszentrum lag ein ganzes Stück entfernt. Es gab auch keinen Zimmerservice mehr, vielleicht wegen der späten Stunde.
Shin’ichi packte etwas Nori (getrockneten Seetang) aus, den er aus Japan
mitgebracht hatte, und verteilte ihn stückchenweise. Alle sahen niedergeschlagen aus: Niemand nahm sie bei ihrer ersten Auslandsreise in Empfang; sie hatten nichts außer getrocknetem Seetang, um ihren Hunger zu stillen. Sie kamen
sich einsam und verlassen vor.
Shin’ichi spürte, was sie alle fühlten, sagte jedoch mit fröhlichem Lachen:
„Wie wir hier so zusammen Nori essen, das wird in der Zukunft zu einer kostbaren Erinnerung werden. Ist der Gedanke nicht aufregend, dass heute Nacht
in unserer Lebensgeschichte ein großartiges Drama eröffnet wird?“
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Shin’ichis Worte lockten keinen so richtig hinter dem Ofen hervor. Doch in
seiner Nähe zu sein und sein zuversichtliches Lächeln zu sehen, schien ihr
Unbehagen zu zerstreuen. Draußen vor dem Fenster hielt sich noch die tiefe
Dunkelheit vor der Morgendämmerung.
Ungefähr zu der Zeit, als Shin’ichi und seine Begleiter das Kaimana-Hotel erreichten, befand sich Nagayasu Masaki in einem Gasthaus, das eine japanischamerikanische Familie bewirtschaftete. Vier Tage zuvor war er von seinem
Wohnort Washington D. C. nach Honolulu geflogen und verbrachte seitdem
seine Zeit damit, mit den wenigen Mitgliedern, die verstreut in der Gegend
wohnten, Kontakt aufzunehmen und sie zu ermutigen. Ursprünglich hatte
Masaki die unmissverständliche Nachricht erhalten, dass Shin’ichi und seine
Mitreisenden am 1. Oktober um 22 Uhr eintreffen sollten. Diese Ankunftszeit
stand auch in der Seikyo Shimbun, die einen Zeitplan der beabsichtigten
Auslandsreise Präsident Yamamotos veröffentlichte.
Ab dem frühen Morgen des 1. Oktober, an jenem Tag, an dem Shin’ichi
ankommen sollte, war Masaki damit beschäftigt, die etwa 20 Mitglieder auf
der Insel zu besuchen, um ihnen die für den Abend vorgesehene Ankunft des
Präsidenten zu bestätigen. Yumiko Nagata, die in Japan Gruppenleiterin der
Junge-Frauen-Abteilung gewesen war und jetzt eine wichtige Rolle dabei spielte, den Kontakt zu den Mitgliedern auf Hawaii herzustellen, sowie ein Mitglied
der Junge-Männer-Abteilung von Hawaii begleiteten ihn.
Am Abend, nachdem sie ihre Runde beendet hatten, brachten die beiden
jungen Männer Yumiko Nagata zurück zu ihrer Wohnung. Ein Luftpost-Brief
aus Japan lag dort für sie. Er kam vom Auslandsbüro der Soka Gakkai. Rasch öffnete sie den Umschlag und fand darin die folgende Nachricht:
„Wir unterrichten Sie hiermit über eine plötzliche Änderung des Reiseplans.
Die ursprünglich für 22 Uhr vorgesehene Ankunft am 1. Oktober ist auf den
2. Oktober, 7:55 Uhr, verschoben worden. Der Flug hat dieselbe Nummer: JAL
800. Bitte informieren Sie alle Betroffenen.“
Diese Nachricht verschlug den dreien die Sprache. Eilig verließen sie die
Wohnung, sprangen ins Auto und machten sich daran, die Mitglieder noch einmal zu Hause zu besuchen. Sie informierten nicht nur jeden über die geänderte Ankunftszeit, sondern baten alle auch darum, am nächsten Morgen um
6 Uhr zum Flughafen zu kommen. Es war schon fast 22 Uhr, als sie ihre zweite
Tour zu den Wohnungen der Mitglieder abgeschlossen hatten. Auf dem Rückweg hielten sie ihr Auto am Tantalus Hill an, von dem man die Stadt Honolulu
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überblicken konnte. Als sie auf der Kuppe des Hügels standen, entfaltete sich
vor ihren Augen ein grandioses Panorama nächtlicher Lichter. Zu ihrer Rechten
lag der Flughafen.
„Morgen werden wir Präsident Yamamoto am Flughafen begrüßen“, sagte
Masaki, und seine Stimme zitterte ein wenig vor Aufregung.
„Sensei kommt nach Hawaii, das ist wie in einem Traum!“, rief Yumiko Nagata. „Morgen wird Hawaii einen Neubeginn erleben.“ Auch aus ihrer Stimme
klang Begeisterung.
Der Gedanke daran, Präsident Shin’ichi Yamamoto bald auf Hawaii willkommen zu heißen, vertrieb die Müdigkeit, die sich im Laufe des Tages eingestellt hatte, als sie von Mitglied zu Mitglied eilten. Die nächtliche Brise auf
ihren verschwitzten Gesichtern tat ihnen gut. Doch fast genau zur selben Zeit
befand sich Shin’ichis Flugzeug kurz vor der Landung auf dem Flughafen von
Honolulu.
Nachdem Masaki zu seinem Gasthaus zurückgekehrt war, begann er sofort,
Daimoku zu chanten.
„Ich kann den Morgen kaum erwarten“, dachte er. „Dann werden wir Präsident Yamamoto in den Vereinigten Staaten begrüßen können. Den ersten
Schritt in Richtung Kosen-rufu auf weltweiter Ebene wird Sensei hier auf Hawaii machen. Ich muss mein Bestes geben, um sicherzustellen, dass seine Ermutigungsreise ins Ausland zu einem Erfolg wird.“
Masaki chantete mit noch größerer Kraft Daimoku. Beim Chanten erinnerte er sich an jeden der bitteren Kämpfe, die er hatte ausfechten müssen, seit er
im Mai vor drei Jahren als ausländischer Student nach Amerika gekommen
war. Fünf Tage nach seiner Ankunft in Los Angeles – in Amerika, dem Land seiner Träume – hatte er die Nachricht vom Tod seines Vaters erhalten. Er versank
in Traurigkeit. Vier Tage später bekam er morgens einen ermutigenden Brief
von Shin’ichi, den er immer wieder las.
Shin’ichi schrieb: „Mein lieber Masaki. Wie traurig, wie untröstlich müssen
Sie sein! Doch ich bete dafür, dass Sie sich selbst treu bleiben, Ihre Lebensaufgabe erfüllen und dabei jede Art von Trauer und jede Schwierigkeit überwinden können – und dass Sie sich zu einem Menschen entwickeln werden, der
mutig Verantwortung übernimmt.“
Als Masaki diesen Brief las, musste er weinen. Das waren jedoch keine
Schmerzenstränen. Sie flossen aus einer tiefen Leidenschaft, und eine ganz
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neue Entschlossenheit stieg in ihm hoch. Masaki erhob sich energisch aus der
Welt des Leidens und begab sich mutig auf den Weg des fleißigen Studiums.
Um Geld für die Studiengebühren zu verdienen, suchte er sich verschiedene Nebenjobs. Dazu gehörte, dass er eine Kegelbahn bediente und Teller
wusch. Gleichzeitig studierte er ernsthaft. Ein Jahr später erfuhr er dann, dass
der zweite Präsident der Soka Gakkai Josei Toda gestorben war. Für Masaki, der
eine einsame Schlacht in einem fremden Land führte, war das, als hätte er
seine geistige Stütze verloren. Damals erhielt er ebenfalls einen ermutigenden
Brief von Shin’ichi, der ihn aus der Tiefe seines Leidens herausholte.
Shin’ichi hatte geschrieben: „Vergessen Sie Ihre wahre Aufgabe nicht.
Versäumen Sie es nicht, sich zu einem Menschen zu entwickeln, der für die
ganze Welt Verantwortung und Führung übernimmt.“ Shin’ichis leidenschaftlicher Appell ließ ihn erkennen, dass die Zeit gekommen war, in der Todas
Schüler aufstehen und damit beginnen mussten, ernsthaft nach Kosen-rufu zu
streben.
Zwei Jahre später, am 3. Mai 1960, wurde Shin’ichi Yamamoto der dritte
Präsident der Soka Gakkai. Masaki und die anderen Mitglieder in den USA freuten sich außerordentlich über diese Nachricht.
Kurz darauf erhielt Masaki von Shin’ichis Frau Mineko einen Luftpostbrief
mit der Information, dass der neue Präsident und ein paar Begleiter in der
nahen Zukunft einen Besuch in Amerika planten. In demselben Brief erkundigte sich Shin’ichi, ob es Masaki möglich sei, für kurze Zeit nach Japan zurückzukehren: Er wollte ihn gern bei der Planung des Besuchs mit dabeihaben. Der
Wortlaut seiner Botschaft ließ klar erkennen, dass Shin’ichi sich über die finanzielle Belastung, die eine Reise nach Japan Masaki auferlegen würde, Sorgen
machte. Masaki freute sich sehr. Gleichzeitig empfand er Dankbarkeit.
Anfang September betrat Nagayasu Masaki überglücklich den Boden Japans –
jenes Landes, das er liebte. Sein Herz platzte vor Erwartung, als er daran dachte, nach so langer Zeit Präsident Yamamoto wiederzusehen, der ihn ständig ermutigt hatte. Während er versuchte, seine Aufregung im Zaum zu halten, fuhr
er direkt vom Flughafen zur Soka-Gakkai-Zentrale.
„Ich bin gerade eben angekommen“, sagte er in bester Laune, als er
Shin’ichi Yamamoto dort erblickte.
„Hallo! Willkommen daheim!“, rief Shin’ichi.
In dem Augenblick, als Masaki Shin’ichis warme, wohlvertraute Stimme
hörte, füllten sich seine Augen mit Tränen.
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Zu Masaki mit den rotgeränderten Augen sprach Shin’ichi: „Als Sie nach
Amerika gingen, dachte ich, Sie würden dort kräftiger werden, aber stattdessen
scheinen Sie abgenommen zu haben.“
Das Sakko, das Masaki trug, war ihm viel zu groß und ließ seinen schmächtigen Körper noch zarter erscheinen. Masaki schaute an seinen Ärmeln hinunter, die nur seine Finger frei ließen, und gab schüchtern zu: „Eigentlich habe ich
dieses Sakko von meinem Schwager in Amerika ausgeliehen. Es ist ein bisschen
zu groß ...“
Da er seinen gesamten Lebensunterhalt mit Teilzeitjobs bestreiten musste,
konnte sich Masaki keinen neuen Anzug leisten. „Ach so“, erwiderte Shin’ichi.
„Es muss schwierig für Sie sein, mit dem Geld über die Runden zu kommen.
Haben Sie ein Geschenk oder ein Souvenir für Ihre Mutter kaufen können?“
„Ja, ich habe ihr ein Kostüm gekauft.“
„Sie haben selbst keinen Anzug für sich, aber Kleider für Ihre Mutter
gekauft? Wie bewundernswert! Nun, dann kaufe ich Ihnen einen Anzug.“
Shin’ichi kaufte Masaki einen neuen Anzug und schenkte ihn ihm. Er saß
perfekt und auch die Farbe stand ihm gut. Masakis Hochgefühl und Dankbarkeit steigerten sich noch.
Die Pläne für die erste Ermutigungsreise ins Ausland begannen in einer
freudvollen Atmosphäre: Masaki berichtete alles, was er über die Lebensumstände in Amerika wusste. Yasushi Muto und das übrige Personal des neu eingerichteten Auslandsbüros waren seine Zuhörer. Er besprach mit ihnen den
Plan in allen Einzelheiten.
Da die Mehrzahl der Soka-Gakkai-Mitglieder in Amerika Frauen waren,
schlug Masaki vor, dass eine Leiterin der Frauenabteilung zur Reisegruppe
gehören sollte.
Masaki blieb ungefähr zehn Tage in Japan. Nach seiner Rückkehr in die
Vereinigten Staaten bereitete er sich emsig darauf vor, den Präsidenten und
seine Begleiter zu empfangen – dann begab er sich nach Honolulu, um auf die
Ankunft Shin’ichis und seiner Begleiter zu warten.
Nachdem Nagayasu Masaki die Mitglieder besucht hatte, um sie über die Änderung der Ankunftszeit zu informieren, kehrte er in sein Gasthaus zurück. Am
nächsten Morgen machte er sich vor 5 Uhr auf den Weg zum Flughafen. Als es
zu dämmern begann, kamen die Mitglieder nach und nach am Flughafen an.
Jeder hatte einen Lei mitgebracht und trug am Revers einen glänzenden, runden Soka-Gakkai-Anstecker in Gestalt eines fliegenden Kranichs.
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Mehr als 20 Mitglieder kamen bis zur vereinbarten Zeit von 6 Uhr zusammen. Die meisten sahen sich zum ersten Mal, und es machte Mut, plötzlich
festzustellen, dass so viele Freunde von Kosen-rufu auf Hawaii lebten. Während
sie sich miteinander bekannt machten, kamen sie ins Gespräch. Einige fotografierten, um eine bleibende Erinnerung an diesen Anlass zu haben. Obwohl es
inzwischen nach 7 Uhr war, blieb die Beleuchtung an den Schaltern der Fluggesellschaften noch aus, und kein einziger Angestellter ließ sich blicken.
Masaki wurde immer besorgter. Schließlich erschien ein Mitarbeiter am
Schalter der Pan American, und Masaki erkundigte sich auf Englisch nach dem
JAL-Flug 800, der planmäßig um 7:55 Uhr landen sollte.
Der Angestellte machte ein verwundertes Gesicht. Um die Zeit sollten gar
keine Flüge ankommen, und was JAL 800 anging, so hatte dieser Flug bereits
am Abend zuvor stattgefunden. Masaki war bestürzt – aus seinem Gesicht
schien alle Farbe zu weichen.
Er bat Yumiko Nagata, ihm noch einmal den Luftpostbrief zu zeigen, den sie
am Tag zuvor aus Japan erhalten hatte. Darin stand klar und deutlich als Ankunftszeit „2. Oktober, 7:55 Uhr“.
„Wie konnte so etwas passieren?“, fragte sich Masaki.
Wenn der Präsident und seine Begleiter bereits angekommen waren, blieb
ihm jetzt nur noch, ihr Hotel anzurufen. Doch ihm fiel ein, dass er nicht wusste, in welchem Hotel sie untergebracht waren.
Masaki fand ein Telefonbuch und begann, alle größeren Hotels in der Gegend anzurufen. Jedes Mal bekam er jedoch zu hören, dass sich unter den
Gästen niemand mit den genannten Namen befand.
Hiroto Hirata, ein Japan-Amerikaner der zweiten Generation, der sich auf
Hawaii einigermaßen auskannte, meldete sich daraufhin zu Wort.
„Es gibt ein kleines Hotel namens Kaimana, in dem oft Besucher aus Japan
absteigen“, begann er. „Ich kann wirklich nicht glauben, dass der Präsident dort
wohnen würde, aber prüfen wir es doch zur Sicherheit nach!“
Hirata suchte die Telefonnummer heraus, rief das Hotel an und erfuhr, dass
der Präsident und seine Begleiter tatsächlich dort wohnten.
Daraufhin drängten sie sich alle in einige Autos und machten sich auf zum
Kaimana-Hotel.
Als Masaki daran dachte, wie Präsident Yamamoto und seine Begleiter sich
bei ihrer Ankunft auf Hawaii gefühlt haben mussten – ohne Begrüßung mutterseelenallein auf dem Flughafen – da hätte er weinen können, schlimmer
noch: Der Schock betäubte ihn.
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