Zelluläre Grundlagen von Lern

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Korte, Martin | Zelluläre Grundlagen von Lern- und Gedächtnisvorgängen
Tätigkeitsbericht 2004
Neurobiologie, Struktur- und Zellbiologie
Zelluläre Grundlagen von Lern- und Gedächtnisvorgängen
Korte, Martin
Max-Planck-Institut für Neurobiologie, Martinsried
Abteilung - Zelluläre und Systemneurobiologie (Bonhoeffer)
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Das menschliche, ebenso wie das tierische Gehirn muss eine ungeheuer komplizierte Aufgabe erfüllen:
Es muss einerseits einen kontinuierlichen
Fluss an Sinnesinformationen verarbeiten und andererseits muss es zur gleichen Zeit
Erinnerungen, zum Teil für ein Leben lang, speichern und abrufen. Die Transmission
von chemischen Botenstoffen zwischen Neuronen erfolgt dabei ebenso an den Synapsen
wie das Generieren und Speichern neuer Informationscodes. Welche Mechanismen und
welche biochemischen Prozesse aber ermöglichen die Lern- und Gedächtnisvorgänge?
Abstract
The tasks of the human brain, as well as the animal brain, are fairly complex: On the one hand an
uninterrupted stream of sensory input has to be processed, on the other hand at the same time memories
have to be stored, sometimes
for a lifetime, and retrieved. The generation and storage of new information-codes, as well as the
transmission of chemical messengers between
neurons occurs at the synapses. But what are the cellular and biochemical mechanisms of learning and
memory?
Die Fähigkeit, etwas zu lernen und im Gedächtnis zu behalten, ist über das Tierreich nicht gleich verteilt.
Bei uns Menschen beispielsweise sind Effektivität und Kapazität von Lern- und Gedächtnisvorgängen
besonders stark ausgeprägt. Unsere diesbezüglichen Fähigkeiten sind neben unserer Sprache Grundlage
und Voraussetzung unserer Kultur und unserer individuellen Persönlichkeit. Umgekehrt führt der Verlust
des Gedächtnisses zum Verlust fast aller kognitiven Fähigkeiten. Was sind die zellulären Grundlagen
dieser phänomenalen Lern- und Gedächtnisfähigkeit, die menschliche und tierische Gehirne zeigen?
Wichtig für das Verständnis der Untersuchungen über die zellulären Grundlagen von Lern- und
Gedächtnisvorgängen sind die Kontakstellen zwischen Neuronen, die Synapsen. Diese können in der
Stärke reguliert werden. Dies kann nach einer von dem kanadischen Psychologen D.O. Hebb formulierten
assoziativen Lernregel erfolgen: Dabei kommt es zu einer physiologischen oder morphologischen
Verstärkung der Synapse nach simultaner Erregung der prä- und postsynaptischen Zellen. Dieses
Phänomen wird auch als Langzeitpotenzierung (long-term potentiation, LTP) bezeichnet.
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Biochemische Abläufe bei der Langzeitpotenzierung
Obwohl LTP einer der am besten untersuchten neurobiologischen Prozesse ist, ist dennoch unklar, durch
welche Signalwege die Langzeitpotenzierung aufrechterhalten wird und inwieweit dabei strukturelle
Veränderungen an Neuronen eine Rolle spielen. Dennoch ist zumindest teilweise klar, welche
biochemischen Ereignisse an bestimmten Synapsen im Säugergehirn für die Induktion synaptischer
Verstärkung verantwortlich sind. Am detailliertesten untersucht sind diese biochemischen und
molekularen Ereignisse im Hippokampus von Nagetieren. Hier konnte gezeigt werden, dass der Grund
für die hohe zeitliche Koinzidenz der Reize (Assoziationsregel von Hebb) auf molekularer Ebene an den
Eigenschaften des spannungs- und ligandenabhängigen NMDA-Rezeptors liegt. Offen ist die Frage,
welche weiteren Faktoren bei der Induktion und Aufrechterhaltung einer LTP eine Rolle spielen.
Auf der Suche nach Mediatoren und Modulatoren synaptischer Plastizität
In diesem Kontext haben wir besonders eingehend die Rolle des "Brain-derived-neurotrophic-factor"
(BDNF) untersucht. BDNF gehört zur Genfamilie der Neurotrophine und wurde in Martinsried am MPI
für Psychiatrie (heute MPI für Neurobiologie) entdeckt. Neurotrophine wurden bis vor wenigen Jahren
vor allem unter dem Aspekt der Regulation des Überlebens und der Differenzierung bestimmter
Neuronenpopulationen in der embryonalen Entwicklung und in der Aufrechterhaltung spezieller
Funktionen dieser Nervenzellen im adulten Tier gesehen. Es gibt zwei Rezeptorklassen, an die
Neurotrophine binden: Einerseits die zu den Tyrosin-Kinasen gehörenden Trk-Rezeptoren. Daneben gibt
es noch ein zweites Rezeptorsystem, den Neurotrophin-Rezeptor p75, der alle Neurotrophine binden
kann und keine Kinasedomäne besitzt.
Im Laufe der letzten Jahre ist gezeigt worden, dass Neurotrophine auch an aktivitätsabhängiger
synaptische Plastizität im heranwachsenden und adulten Gehirn von Säugetieren beteiligt sein könnten.
Insbesondere konnte für BDNF gezeigt werden, dass es die synaptische Transmission steigern kann und
dass es die postsynaptische Membran mithilfe von Natriumkanälen, die an TrkB-Rezeptoren gekoppelt
sind, depolarisieren kann.
Um die Fragestellung zu beantworten, ob BDNF an der Induktion von LTP beteiligt ist, haben wir in
Zusammenarbeit mit der Arbeitgruppe von Hans Thonen, BDNF-defiziente Mäuse untersucht, die mit
der Methode des gezielten Genaustausches hergestellt worden waren. Diese Methode beruht darauf, dass
das zu erforschende Gen ausgeschaltet wird, indem man an der entsprechenden Stelle auf dem richtigen
Chromosom einen Teil oder die gesamte Nukleotidsequenz des Gens durch eine geeignete andere
Sequenz mithilfe der homologen Rekombination ersetzt. Sie wird als gene targeting (gezielter
Genaustausch), die daraus resultierenden Mäuse als knock-out (KO)- Mäuse bezeichnet.
An den BDNF-KO-Mäusen haben wir nun speziell untersucht, ob die synaptischen Verknüpfungen
zwischen CA3-CA1-Pyramidenzellen in akuten hippocampalen Schnitten verändert waren (Abb. 1).
Dabei konnten wir zeigen, dass in homo- und heterozygoten BDNF-KO-Mäusen die Häufigkeit der LTPInduktion und auch die Stärke der LTP-Expression vermindert sind. Alle Kontrollexperimente im
Hippokampus dieser BDNF-KO-Tiere ergaben bezüglich der synaptischen Transmission, der
Pharmakologie sowie der Morphologie der Neurone und der Anatomie des Hippokampus keine
Unterschiede zu Mäusen des Wildtyps. Aber zeigen die Tiere ein verändertes Lernverhalten? - Die
homozygoten BDNF KO-Tiere sind nur 20 - 30 Tage nach der Geburt lebensfähig, mit ihnen kann man
keine Verhaltensuntersuchungen machen. An dieser Stelle halfen uns Mäuse, bei denen der Rezeptor für
BDNF (der TrkB-Rezeptor) erst postnatal ausgeschaltet wird, sodass keine Entwicklungsdefekte zu
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beobachten sind und die Tiere eine normale Lebensfähigkeit haben (Kollaboration mit Rüdiger Klein,
damals EMBL, Heidelberg). Das stark eingeschränkte Lernverhalten in TrkB-KO-Tieren deutete auf eine
Rolle von BDNF und dem TrkB-Rezeptor bei aktivitätsabhängiger synaptischer Plastizität hin, bei der
bestimmte Lernvorgänge entscheidend moduliert werden. Interessant ist vor allem die Beobachtung, dass
in den BDNF- und TrkB-KO-Tieren auch die langanhaltende LTP (L-LTP), welche als Voraussetzung
für das Langzeitgedächtnis angesehen wird, stark eingeschränkt ist. In weitergehenden Untersuchungen
konnten wir, wiederum in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Rüdiger Klein, zeigen, dass die
Signalkaskade über die das BDNF/TrkB-System eine LTP-Induktion und -Aufrechterhaltung erleichtert,
über ein Enzym funktioniert, welches durch eines seiner Spaltprodukte (IP3) Calcium aus internen
Speichern freisetzt. Dieses zusätzliche Calcium könnte ein entscheidender Trigger vor allem für L-LTP
sein, was es in weiteren Experimenten zu untersuchen gilt. Mittlerweile konnten wir auch zeigen, dass
BDNF über den TrkB-Rezeptor sowohl prä- wie postsynaptisch die Induktion und Aufrechterhaltung
einer LTP positiv regulieren kann (Abb. 2).
Abb. 1 : Schematische Zeichnung des Hippocampus mit den wichtigsten synaptischen Verbindungen (SC: SchafferKollateralen, MF: Mossfassern).
Bild : Max-Planck-Institut für Neurobiologie
Hippocampale Plastizität im Rückwärtsgang
Aber auch andere transsynaptische Liganden-Rezeptorsysteme beeinflussen die Verstärkung - oder auch
Abschwächung - einer synaptischen Verbindung. Zusammen mit der Abteilung Molekulare
Neurobiologie (Direktor: Rüdiger Klein) haben wir untersucht, welche transsynaptischen Signalwege
hieran beteiligt sein könnten. Bei der Übertragung von einem Neuron auf ein anderes sind Proteine an
der Synapse beteiligt, die sich an der Membran der ersten Zelle (präsynaptisch) mit denen der zweiten
(postsynaptisch) ergänzen und die Signalwege auf beiden Seiten der Synapse verändern können. Ein
solcher Kommunikationsapparat besteht unter anderem aus Eph-Rezeptoren, die Trk-Rezeptoren der
Neurotrophine Tyrosinkinasen sind und aus Ephrin-Liganden. Die Ephrine weisen hierbei zwei
Besonderheiten auf, zum einen sind sie an die Zellmembran gebunden, zum anderen können sie, ebenso
wie die Rezeptoren, Signalkaskaden in der Zelle regulieren. Es handelt sich hierbei um zwei große
Proteinfamilien, die in Unterklassen A und B unterteilt werden. EphrinA-Liganden interagieren nur mit
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EphA-Rezeptoren, während EphrinB-Liganden neben EphB-Rezeptoren auch mit EphA4-Rezeptoren
wechselwirken.
Abb. 2 : Nur eine prä- und postsynaptische Blockade der TrkB-aktivierten Signalkaskade, die synaptisch Plastizität
vermittelt, führt zu einer Verminderung der LTP-Stärke. Mithilfe von Neuronen-spezifischen Sindbis-Viren wurde
eine TrkB-vermittelte Signalkaskade blockiert. Die grünfluoreszierenden Bereiche zeigen die Stellen hoher
Virusinfektion der Neurone an.
Bild : Max-Planck-Institut für Neurobiologie
Bisher war bekannt, dass präsynaptische Ephrine an postsynaptische Eph-Rezeptoren binden und dadurch
weitere intrazelluläre Signale auslösen. Jetzt konnten wir, in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von
Michael Frotscher, Freiburg, durch elektrophysiologische Messungen und elektronenmikroskopische
Methoden nachweisen, dass Ephrine in bestimmten Nervenzellen des Hippokampus viel häufiger
postsynaptisch als präsynaptisch vorkommen. Im nächsten Schritt haben wir untersucht, ob
postsynaptische Ephrine an der Plastizität von Synapsen beteiligt sind und zwar sowohl an der
Verstärkung (LTP), als auch an der Abschwächung oder Hemmung der synaptischen Effektivität, einer
Langzeitdepression (LTD), auftreten. Unsere Ergebnisse mit verschiedenen transgenen Mauslinien ergab
nun, dass zwei EphrinB-Liganden in der postsynaptischen Membran für die Ausbildung von LTP und
LTD notwendig sind, was darauf hindeutet, dass so unterschiedliche Prozesse wie LTP und LTD
konvergierende Signalwege in Neuronen auf unterschiedliche Weise beeinflussen.
Im letzten Schritt unserer Studie wollten wir die Rolle des EphA4-Rezeptors untersuchen, der im
Hippocampus sehr stark exprimiert ist und sowohl Ephrine der Gruppe A wie B binden kann. Wir stellten
dabei fest, dass der EphA4-Rezeptor zwar an der Ausbildung einer LTP und LTD beteiligt ist, die aktive
Signalkaskade jedoch von den Ephrinen ausgehen muss, da auch mit einem seines "Signalisierungsteils"
beraubten EphA4-Rezeptors die Verstärkung möglich war. In diesem speziellen Fall sind die Rollen also
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vertauscht: Der EphA4-Rezeptor verhält sich wie ein Signalgeber, während der EphrinB-Ligand die
Signalübermittlung übernimmt. Etwas Vergleichbares hatten wir bereits in einer vorgehenden Studie für
den EphB2-Rezeptor gefunden. Durch die Entdeckung, dass das EphrinB-Eph-Rezeptor-System in
verschiedenen Hippokampus-Regionen in entgegen gesetzter Weise operiert, ergeben sich neue
Möglichkeiten, wie die synaptische Plastizität im Gehirn zustande kommen könnte. Weitere
Untersuchungen werden zeigen, wie dies im Detail erfolgt. Die Tatsache, dass ein Protein einmal als
Signalgeber und einmal als Signalübermittler fungieren kann, lässt jedenfalls vermuten, dass auch andere
Synapsen-Proteine auf diese Weise die Flexibilität einer Synapse, sich entsprechend der neuronalen
Aktivität zu verändern, erweitern könnten.
Abb. 3 : EphrinB2-KO-Mäuse zeigen eine eingeschränkte Fähigkeit, LTP zu induzieren und aufrechtzuerhalten.
Rechts sieht man eine in situ-Hybridisierung in einem Hippocampus, der die Verteilung der EphrinB2-Liganden
zeigt; prä: präsynaptisch, post: postsynaptisch.
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Abb. 4 : Hippokampale Gebiete, die eine hohe EphrinB-Expression zeigen, sind dunkelblau gefärbt. Situation A:
Ein EphrinB-negatives, präsynaptisches Neuron (weiß) bildet eine Synapse mit einem EphrinB-positiven,
postsynaptischen Neuron (pink). Situation B: Das EphrinB-negative Neuron (weiß) ist gleichzeitig postsynaptisch
tätig für eine anderes Neuron aus einem Areal, in dem sich vorwiegend EphrinB-positive, präsynaptische Neurone
befinden.
Bild : Max-Planck-Institut für Neurobiologie
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