Lernen und Gedächtnis: Was wissen unsere Nervenzellen? Ringvorlesung Wissen Kultur Transformation 10.05.2011 Oscar-Langendorff-Institut für Physiologie Universität Rostock Gedächtnisbildung I Zeitliche Hierarchie der Gedächtnisbildung und -konsolidierung 106-107 bit/s 16 bit/s ArbeitsGedächtnis phonologisch, artikulatorisch, visuell Konsolidierung; 7 Bedeutungseinh. 1 bit/s 1014 bit Gedächtnisbildung: Kurzzeitgedächtnis Sensorisches Zeitliche Hierarchie und Kurzzeitgedächtnis der Gedächtnisbildung und -konsolidierung Wiederholen verlängert Verweildauer und Überführung in Langzeitgedächtnis (= Konsolidierung) a. b. c. Vergessen (durch bereits gespeicherte oder nachfolgende Inhalte): Bedeutungsarmer Inhalt weit zurückliegender letzter Zugriff geringe Motivationslage bei Speicherung (limbisches System!!) Zelluläre Mechanismen neuronaler Erregbarkeit: spannungsabhängige Kanäle und Entladungsverhalten Aktionspotentiale sind das Korrelat neuronaler Erregung A MP Aktionspotential 50 mV 1 ms MP B Na+ Burst (Salve von Aktionspotentialen) Ca 2+ K+ MP 50 mV 20 ms Natriumströme und Calciumströme erregen, Kaliumströme hemmen Synaptische Übertragung von Erregung Erregung und Hemmung werden durch Botenstoffe weitergegeben Transmitter Vesikel A Kanal MP1 präsynaptischer Bouton postsynaptischer synaptische Spalt Membran MP1 MP2 MP2 erregende Synapse (Glutamat) Rezeptor B MP1 MP2 50 mV 10 ms 20 mV hemmende Synapse (GABA) 50 mV 10 ms 20 mV Wie wird Aktivität im Kurzzeitgedächtnis aufrecht erhalten? Kreisende Erregung! Kreisende Erregung als einfachste Form des Lernens Hemmung (Inhibition) Sensorisches Arbeitsgedächtnis / Kurzzeitgedächtnis: Kreisende Erregung speichert Eingangsreiz 1. Reiz wird durch Eingang in Neuronenkreis eingespeist 2. Erregung wird im Kreis durch synaptische Übertragung weitergeben und kreisend erhalten 3. Bis Hemmung (I) die Erregung löscht, wird Ausgang aktiviert. Nachteil: Synaptische Übertragung nicht immer überschwellig; Erregung „verblaßt“ Eingang Ausgang Neuronales Ultrakurzzeit“gedächtnis“ Vergrößerung synaptischer Antworten durch residuales Calcium 1. Reiz d e2. g reReiz e of p a ir ed -p u l s e re s pon s e 0.5 mV 25 ms c2<0.0001 Neuronales Ultrakurzzeit“gedächtnis“ Vergrößerung synaptischer Antworten durch residuales Calcium 1. Reiz d e2. g reReiz e of p a ir ed -p u l s e re s pon s e Calcium dient als Botenstoff 2+ Ca 2+ Ca2+ Ca 2+ Ca Ca2+ 2+ Ca2+ Ca Ca2+ In der Präsynapse: Freisetzung von Transmitter 0.5 mV Glutamat c2<0.0001 Nachteil dieses „Lernens“: allein 25 ms abhängig von Calciumdiffusion und Pufferung Kurzfristiger Effekt (10-50 ms) Gedächtnisbildung: Langzeitgedächtnis Langzeitgedächtnis Zeitliche Hierarchie der Gedächtnisbildung und -konsolidierung Wiederholen verlängert Verweildauer und Überführung in Langzeitgedächtnis (= Konsolidierung) a. b. c. Vergessen (durch bereits gespeicherte oder nachfolgende Inhalte): Bedeutungsarmer Inhalt weit zurückliegender letzter Zugriff geringe Motivationslage bei Speicherung (limbisches System!!) Formen des Langzeitgedächtnisses Implizites / Explizites Gedächtnis: Strukturen Sensorischer Cortex Temporo-frontaler Cortex Basalganglien Limbisches System [ Mandelkern Hippocampus Kleinhirn (Zerebellum) Formen des Langzeitgedächtnisses Implizites / Explizites Gedächtnis: Strukturen Formen des Langzeitgedächtnisses Implizites / Explizites Gedächtnis: Strukturen Formen des Langzeitgedächtnisses Implizites / Explizites Gedächtnis: Formen Priming: Wiederekennung von Sinneseindrücken; Komplettierung von Wörtern/Bildern Prozedurales Gedächtnis: Speicherung eines komplexen Bewegungsablaufes (nonverbal) Semantisches Gedächtnis: Speicherung von Bedeutungsinhalten Episodisches Gedächtnis: (emotional) gefärbte Erninnerungen Ab Säuglingsalter Ab Säuglingsalter Ab 1.-2. LJ Ab 1.-2. LJ Gedächtnisbildung: Strukturelle Korrelate I Neocortex, Basalganglien, Kleinhirn Basalganglien Prozedural Putamen Globus pallidus pars externa Nucleus caudatus Thalamus Nucleus subthalamicus pars interna Sub. nigra Neocortex Sensorisch: Priming Temporofrontal: Abruf semantisch/episodisch Kleinhirn Prozedural Gedächtnisbildung: Strukturelle Korrelate II Limbisches System: Hippocampus und Mandelkern (Amygdala) Hippocampus Einlesen semantisch / episodisch Exkurs: Patient H.M.: H.M. wurden 1953 beidseitig die Mandelkerne und weite Anteile der Hippocampi entfernt. Therapeutischer Erfolg: Keine epileptische Anfälle. ABER: Kurze retrograde Amnesie, persistierende anterograde Amnesie, nur Kurzzeitgedächnis bei erhaltener (hoher) Intelligenz. Formen des Lernens I Nicht-assoziatives Lernen Sensitisierung / Habituation: Orientierungsreaktionen bei neuen Reizen K+ Beispiel Kiemenrückziehreflex bei Aplysia: Schmerzhafte Stimulation des Schwanzes resultiert in Rückzug der Kiemen G ATP Serotonin PKA Pi AC Mechanismen der Sensitisierung Ca 2+ cAMP 2+ Ca 2+ Ca Ca 2+ Glutamat Mechanismen der Habituation Formen des Lernens II Assoziatives Lernen Unbedingter Reflex: Nahrung (Stimulus 1) : Speichelfluß und davon unabhängig Stimulus (2) ohne Reflex Unbedingter Reflex: Nahrung (Stimulus 1) : Speichelfluß und nun gekoppelt Stimulus (2) ohne Reflex Formen des Lernens III Assoziatives Lernen Klassische Konditionierung (vegetative Reaktionen): Paarung von unbedingtem Reflex (Unkonditionierter Stimulus gefolgt von vegetativer Reaktion) mit bedingtem Stimulus Operante Konditionierung (motorische und emotionale Reaktionen): Paarung von Ausgangsverhalten mit Belohnung (positive Verstärkung) oder Bestrafung (negative Verstärkung). Wichtig in beiden Fällen: enge zeitliche Paarung! Extinktion: Auslöschung klassischer Konditionierung durch Präsentation des bedingten Stimulus ohne den unkonditionierten Stimulus oder Handlung ohne Konsequenz (Ton ohne Futter…) Wie wird assoziatives Lernen ermöglicht? Gepaarte prä- und postsynaptische Aktivierung! Hebb-Synapse: Gleichzeitige synaptische Aktivierung und Depolarisation Donald Olding Hebb, 1904-1985 Grundprozesse des assoziativen Lernens I Etablierung einer Langzeitpotenzierung (longterm-potentiation – LTP) Die Erstbeschreiber der LTP Tim Bliss, Per Andersen, Terje Lømo 1 Hochfrequenz-, Theta-Burst-, gepaarte Stimulation The Royal Society, Mai 2003 2 Niederfrequenz-Stimulation Molekularer Mechanismus der LTP und LTD I Postsynaptische Plastizität bei LTP mGluR AMPA PLC Mg 2+ G-Protein ATP PKA Ca 2+ P K+ G DAG Pi PKC PKC Kern AC cAMP 2+ Ca 2+ Ca NMDA Ca 2+ Ca 2+ Ca 2+ CaM Glutamat CaM KII CaM KII P IP3 Ca 2+ Ca 2+ Ca 2+ Postsynapse: dedritischer Bouton Molekularer Mechanismus der LTP und LTD II Postsynaptische Plastizität bei LTP mGluR AMPA Mg 2+ AMPA Ca 2+ P P Kern P NMDA PKC CaM KII CREB LTP: CaMK II-abhängige Rezeptorphosphorylierung Rezeptoreinbau (PI3K) Rezeptor/Proteinsynthese (CREB) Proteine Wachstumsfaktoren LTD: PKC-abhängige Rezeptorinternalisierung Molekularer Mechanismus der LTP und LTD III Präsynaptische Plastizität bei LTP Präsynaptische LTP (Moosfaser Hippocampus): cAMP abhängig Steigerung der Vesikelbindung und -freisetzung Postsynaptisch induziert? ATP AC cAMP Rab3A Rim1a Ca Ca Ca 2+ Ca ? 2+ Glutamat 2+ 2+ PKA P Morphologische Veränderungen bei LTP Präsynaptische Plastizität bei LTP Langfristige LTP Etablierung: Strukturelle Veränderungen (CREB-induzierte Produktion von Wachstumsfaktoren wie BDNF) Oben: Sprossung synaptischer Fortsätze (Spines) in Ratten-Gehirn in vivo Rechts: Neubildung (rot) und Retraktion (grün) von Spines in vivo Mechanismus struktureller Veränderungen LTD: •Ungespaltenes ProBDNF wird sezerniert • ProBDNF bindet an p75 Neurotrophin Rezeptor (p75NTR) • Steigerung der (extrasynaptischen) NR2B Expression – langsamere Kinetik, weniger Ca2+ LTP Konsequenz struktureller LTP Störung? • ProBDNF wird durch Plasmin gespalten (tPA Freisetzung, Plasminogen-Plasmin) • BDNF bindet an TrkB Rezeptoren • Steigerung der NMDA-vermittelten LTP Mdodifiziert nach: Lu et al., 2005 LTD Pathophysiolgische Veränderungen bei Störungen der extrazellulären Matrix Verminderte Langzeitpotenzierung (LTP) 3 0.5 mV 25 ms relative Steilheit 2,5 2 1,5 1 EPSP Slope (mV/s) 0,5 Hochfrequenz-Stimulation 0 0 20 40 60 Zeit (Minuten) 80 100 120 …und hat LTP überhaupt etwas mit Lernen zu tun? Verminderte Langzeitpotenzierung (LTP) 3 0.5 mV 25 ms 2,5 50 40 30 20 10 relative Steilheit 60 Lernkurve mit CK2 Block 2 1,5 1 0 1 2 3 4 5 6 7 0,5 Hochfrequenz-Stimulation 0 0 20 40 60 Zeit (Minuten) 80 100 120 Institut für Physiologie Universität Rostock http://physiologie.med.uni-rostock.de/