Penetrierende Gluteale Pfählungsverletzung

Werbung
Kasuistik
105
Penetrierende Gluteale Pfählungsverletzung
durch Schlittenunfall
Penetrating Gluteal Injury due to Sledging Accident
Autoren
V. K. Stauffer1, M. M. Luedi2, D. Doll3
Institute
1
3
Klinik für Chirurgie, Kantonsspital Graubünden, Chur, Schweiz
Schweizerische Rettungsflugwacht Rega, Zürich Flughafen, Schweiz
Katholische Kliniken Oldenburger Münsterland gGmbH, St. Marienhospital Vechta, Deutschland
Schlüsselwörter
Zusammenfassung
Abstract
"
!
!
Wir stellen den seltenen Fall einer glutealen Perforation durch einen Schlittenunfall vor. Einem im
Sitzen rodelnden 39-jähriger Mann zerbricht der
Schlitten bei einem Sprung in eine Mulde; dabei
bohrt sich ein Anteil der Sitzlatte in den Gluteus,
und perforiert von der inferioren Glutealfalte bis
in Höhe des lumbosakralen Übergangs. Rektum
und Schließmuskel sind unverletzt, obwohl die
Perforation den Muskel tangential freigelegt hat.
Eine Blutung trat nicht auf. Der Patient wird kontinent und ohne Infektzeichen am 4. postoperativen Tag entlassen. Schlittenverletzungen sind in
der Regel stumpfe Verletzungen, die mit Neurotrauma und/oder Frakturen und Luxationen einhergehen. Vorgehensweisen bei penetrierenden
Glutealverletzungen werden diskutiert.
We present the case of a rare penetrating sledging
injury. A 39-year-old male sitting upright had his
sledge burst when sliding into a pit. A stick fractured from the sledge’s sitting plate and perforated from the infragluteal fold up to the lumbosacral junction. The man arrived in a conscious
and cardiovascular stable condition in the ER,
where no clinical evidence of vascular, retroperitoneal and pelvic injury was obvious. The anal external sphincter was uninjured and competent although the perforation enabled a look onto its
surface. The foreign body was removed without
further bleeding. Sledging injuries typically carry
blunt characteristics, mainly with neurotrauma
or fracture dislocations. As penetrating sledging
injuries are exceptionally rare, strategies are discussed.
Anamnese
Der Patient ist analgosediert, aber entsprechend
orientiert. Bei der Untersuchung zeigt sich eine
Pfählungsverletzung gluteal rechtsseitig durch
" Abb. 2). Der übein ca. 3 cm breites Holzstück (●
rige körperliche Untersuchungsbefund ist unauffällig. Mit Aufschneiden der Skihose wird ersichtlich, dass das Holzstück von distal, im Bereich der
infraglutealen Falte sphinkternah eingedrungen
ist und bis auf Höhe des lumbosakralen Übergangs reicht, jedoch dort die Haut nicht perforiert
" Abb. 3). Es ist keine aktive Blutung sichtbar,
(●
kein pulsierendes Hämatom tastbar, die Sensibilität und die Durchblutung der Beine sind intakt. Es
findet sich kein Dammhämatom und kein Blut am
Meatus urethrae. Das Abdomen ist unauffällig
und klinisch ohne Anzeichen eines Peritonismus.
Der Patient erhält eine Tetanus-Boost-Injektion.
● Schlittenunfall
● gluteale Perforation
● gluteale Pfählungsverletzung
● penetrierende
"
"
"
Glutealverletzung
Key words
● sledging/tobogganing
"
accident
● gluteal perforation
● gluteal impalement
● penetrating gluteal injury
"
"
"
!
Bibliografie
DOI http://dx.doi.org/
10.1055/s-0033-1335163
Online-Publikation: 27.3.2013
Sportverl Sportschad 2013; 27:
105–107 © Georg Thieme
Verlag KG Stuttgart · New York ·
ISSN 0932-0555
Korrespondenzadresse
Dipl. med. Verena K. Stauffer
Chirurgische Klinik,
Kantonsspital Graubünden
Loëstraße 170
7000 Chur, Schweiz
[email protected]
Der 39-jährige Mann ist beim Schlitteln mit anamnestisch beträchtlicher Geschwindigkeit in eine
kleine Mulde gefahren, wobei durch die Kompressi" Abb. 1). Daon der Holzschlitten zerborsten ist (●
bei hat sich ein Holzstück aus der Sitzfläche im
Sinne einer Pfählungsverletzung rechtsseitig mittelliniennah tief in die Glutealregion gebohrt. Nach
unproblematischer Bergung und präklinischer Versorgung ist der Patient durch die Schweizerische
Rettungsflugwacht in Linksseitenlage zugewiesen
worden.
Klinischer Befund
!
In der Notfallaufnahme präsentiert sich ein kreislaufstabiler Patient mit offenen Atemwegen und
suffizienter Atmung. Der Blutdruck liegt bei 130/
70 mmHg bei einer Herzfrequenz von 86/min.
Stauffer VK et al. Penetrierende Gluteale Pfählungsverletzung … Sportverl Sportschad 2013; 27: 105–107
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
2
Kasuistik
Abb. 2 Präsentation auf der Notfallstation. Eine abgebrochene Latte eines
Holzschlittens penetriert die Glutealregion von kaudal. Eine Blutung ist
nicht offensichtlich.
Abb. 1 Unfallgefährt und abgebrochener Sitzlatte, welche gluteal penetrierte.
Abb. 3 Präsentation unmittelbar präoperativ. Proximal ist das Integument
durch die Proximale Fremdkörperspitze zwar unter Druck, jedoch intakt
(Pfeil). Die abgebrochene Latte ist 37 cm lang (Messung vor Entfernung).
Diagnostik
!
Aufgrund der klinisch fehlenden Hinweise auf eine akute Blutung,
ein akutes Abdomen oder eine Verletzung abdominopelviner Organe wird auf weitere Diagnostik verzichtet und der Patient mit
Priorität in den Operationssaal zur Exploration und Fremdkörperentfernung unter Allgemeinanästhesie verbracht. Das Routine-Labor ist mit einem Hämoglobin von 161 g/l, einer diskreten Thrombopenie von 127x103/μl und einem Quick von 101 % unauffällig.
ren Fasern des Sphinkter ani externus, welcher aber unversehrt
geblieben ist.
Am ersten postoperativen Tag liegt das Hämoglobin stabil bei
150 g/l, die Thrombozyten mit 136 × 103/μl im Normbereich.
Die antibiotische Therapie geschieht mit Co-Amoxicillin initial
intravenös, nach 2 Tagen Umstellung auf oral. Laborchemisch
zeigt sich am ersten postoperativen Tag ein diskret erhöhter
CRP-Wert von 5,5 mg/l bei normwertigen Leukozyten. Die
Drainage kann am 3. postoperativen Tag entfernt werden. Am
4. postoperativen Tag wird der Patient nach Hause entlassen.
Therapie und Verlauf
!
Die Crash-Einleitung der Allgemeinanästhesie erfolgt in Linksseitenlage, der Patient wird zur Fremdkörperentfernung in dieser
Lage belassen. Intraoperativ zeigt sich, dass die Pfählung auf einer Länge von ca. 25 cm durch die Glutealmuskulatur rechts erfolgte. An der proximalen Eintrittsstelle ist die perianale Haut
mit der Anocutanlinie eingezogen und zum Teil zerrissen, wobei
der Sphinkter inspektorisch und palpatorisch intakt scheint.
Nach Hautinzision im Bereich der Eintrittsstelle kann die knapp
37 cm messende Latte vorsichtig entfernt werden; dabei tritt keine aktive Blutung auf. Nach Säubern und ausgiebigem Spülen der
Wundhöhle erfolgt die Einlage einer Drainage mit anschließendem primärem Hautverschluss. Die unmittelbar anschließende
starre Rektoskopie in Steinschnittlage zeigt eine intakte Rektumschleimhaut sowie einen unverletzten Analkanal. Die Perforationsöffnung reicht von der unteren Glutealfalte bis zu den äuße-
Diskussion
!
Unfälle mit Schlitten führen in Wintersportgebieten häufig zu Verletzungen. Es wird geschätzt, dass in den USA deswegen im Jahr
2007 mehr als 25 000 Kinder auf eine Notaufnahme eingewiesen
wurden [1]. Die Verletzungsmuster sind mit jenen von FahrradUnfällen vergleichbar [2], da sie meist ein stumpfes Trauma bei
Aufprall oder Fall gegen feste Gegenstände darstellen [3]. Penetrierende gluteale Verletzungen sind bis zu der Veröffentlichung von
Maull et al. 1979 unbeachtet geblieben, und haben erst durch
Arbeiten von Gilroy, Ivatury, Velmahos, und andere mehr Aufmerksamkeit erfahren [4–7], insbesondere die assoziierte Mortalität
von 25 % und mehr [5]. Gluteale Pfählungsverletzungen beim
Schlitteln sind sehr selten. In der Literatur ist unseres Wissens
nach nur ein Fallbericht mit zwei Patienten beschrieben; beide wa-
Stauffer VK et al. Penetrierende Gluteale Pfählungsverletzung … Sportverl Sportschad 2013; 27: 105–107
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
106
Kasuistik
können auch nach vermeintlich erfolgreicher radikaler chirurgischer Sanierung im Gewebe zurückbleiben. Aufgrund ihrer organischen und porösen Natur sind sie ein perfektes Lager für
Mikroorganismen. Mögliche Folgen einer Infektion reichen von
einfachen Abszessen über Fistelbildungen bis zu Synovitiden
und Osteomyelitiden. Die eingehende chirurgische Wundsäuberung ist hier gefragt und eine aufmerksame Nachsorge unter Antibiotika-Therapie angezeigt [16].
Schlussfolgerung
!
Gluteale Pfählungsverletzungen bergen aufgrund der potenziell
mitbetroffenen Organsysteme vielfältige mögliche Verletzungsmuster. Blutungen nach außen, retroperitoneal sowie in das Abdomen gilt es sowohl im akuten Stadium wie auch im Verlauf
auszuschließen. Auch vermeintlich „unproblematische, weil gluteale“ penetrierende Verletzungen wie im beschriebenen Fall
können mit Sphinkter- und intraabdominalen Verletzungen einhergehen, und, wenn unerkannt, zu schwerwiegenden Komplikationen führen.
Interessenkonflikt: Nein
Literatur
01 US Consumer Product Safety Commission. NEISS Data Highlights 2007:
Tobboggans, Sleds, Snow Discs, etc. Ausdruck aus http://www.cpsc.gov/
Neiss/2007highlights.pdf
02 Juang D, Feliz A, Miller KA et al. Sledding injuries: a rationale for helmet
usage. J Trauma 2010; 69 (Suppl 4): S206 – S208
03 Regan LA, Cooper JG. Sledging is still a seasonal source of serious injury
in Scottish children. Scott Med J 2011; 56 (4): 188 – 190
04 Gilroy D, Saadia R, Hide G et al. Penetrating injury to the gluteal region.
J Trauma 1992; 32 (3): 294 – 297
05 Ivatury RR, Rao PM, Nallathambi M et al. Penetrating gluteal injuries.
J Trauma 1982; 22 (8): 706 – 709
06 Velmahos GC, Demetriades D, Cornwell EE et al. Gunshot wounds to the
buttocks: predicting the need for operation. Dis Colon Rectum 1997;
40 (3): 307 – 311
07 Doll D, Lenz S, Exadaktylos AK et al. Penetrating injuries to the pelvis.
Chirurg 2006; 77 (9): 770 – 780
08 O’Brien K, Poenaru D. Penetrating sledding injuries to the lower torso –
2 case reports. CMAJ 1999; 160 (3): 353 – 354
09 Zhang Q, Chen W, Smith WR et al. Superior gluteal artery injury presenting as delayed onset shock. Arch Orthop Trauma Surg 2010; 130 (2):
251 – 256
10 Lunevicius R, Schulte KM. Analytical review of 664 cases of penetrating
buttock trauma. World J Emerg Surg 2011; 6 (1): 33
11 Ceyran H, Akcali Y, Ozcan N et al. Isolated penetrating gluteal injuries.
Perspect Vasc Surg Endovasc Ther 2009; 21 (4): 253 – 256
12 Makrin V, Sorene ED, Soffer D et al. Stab wounds to the gluteal region:
a management strategy. J Trauma 2001; 50 (4): 707 – 710
13 Mamode N, Reid AW. Haemorrhage following penetrating gluteal trauma.
Br J Surg 1994; 81 (2): 203 – 204
14 van Oldenrijk J, Unlu C, van Wagensveld BA. Perforation of the ileum after a stab wound of the gluteal region: a case report. Emerg Med J
2007; 24 (10): 737 – 738
15 Corra S, de Giorgi F. Sledding injuries: is safety in this winter pastime
overlooked? A three-year survey in South-Tyrol. J Trauma Manag Outcomes 2007; 1 (1): 5
16 Nicol AJ, Navsaria P. Penetrating Rectal Injuries. In: Velmahos GC,
Degiannis E, Doll D (eds). Penetrating Trauma. 1. ed. Heidelberg New
York: Springer; 2012, 397 – 400
Stauffer VK et al. Penetrierende Gluteale Pfählungsverletzung … Sportverl Sportschad 2013; 27: 105–107
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
ren mit ihrem Schlitten in einen Ast aufgefahren [8]. In unserem
Fall stammt der perforierende Gegenstand – die Sitzlatte – vom
Schlitten selbst.
Mögliche Verletzungen und Komplikationen eines glutealen Anpralltraumas mit Perforation sind aufgrund der Anatomie und potenziell mitbetroffenen Organsystemen vielfältig; die stumpfe Anprallkomponente kann zu Pseudoaneurysmen der Glutealarterien
führen [9]. Diese können sofort, aber auch erst nach Monaten perforieren und kreislaufwirksam werden. Bei penetrierenden Verletzungen durch Stichwerkzeuge stehen arterielle Verletzungen, vor
allem Verletzungen der oberen Glutealarterie, der Femoral- und
der Iliakalarterie im Vordergrund [10]. Bei penetrierenden Verletzungen durch Schusswaffen finden sich am häufigsten Darm-, Urogenital- und knöcherne Beckenverletzungen im Patientengut [10,
11]. Eine Blutung nach außen, in den retroperitonealen Raum sowie in das Abdomen gilt es sowohl im akuten Stadium wie auch
im Verlauf auszuschließen. Tritt während der lokalen glutealen
operativen Sanierung eine hämodynamische Instabilität auf, muss
sofort umgelagert und über einen abdomino-pelvinen Zugang das
blutende Gefäß – z. B. die A. iliaca interna – versorgt, also ligiert
werden. Angiologische Interventionen bieten sich als Alternative
an, sofern der Patient kreislaufstabil ist [12, 13].
Auch vermeintlich „unproblematische, weil gluteale“ penetrierende Verletzungen können mit Sphinkter- und intraabdominalen Verletzungen einhergehen, und wenn unerkannt, zu schwerwiegenden Komplikationen führen [14]. Makrin et al. schlugen
2001 einen Algorithmus zur Behandlung von gluteal penetrierenden Verletzungen vor. Dabei werden alle Patienten mit einer
Wunde oberhalb der intertrochantären Linie einer diagnostischen Peritoneallavage oder einer abdominalen Ultraschalluntersuchung unterzogen, um freie Flüssigkeit zu detektieren. Jene mit
Flüssigkeitsnachweis werden operativ angegangen, während
instabile Patienten ohne Flüssigkeitsnachweis stabilisiert und
angiografiert werden, wobei Blutungsquellen dann in selbiger
Sitzung angioembolisiert werden. Hämodynamisch stabile Patienten mit Verdacht auf eine intraabdominale Verletzung werden computertomografiert. All jene mit einer Verletzung über
der intertrochantären Linie (Upper Zone Injury) werden routinemäßig rektoskopiert, ebenso jene mit einer Blutung ab Ano und
alle mit einer penetrierenden Verletzung in der Nähe des Anus
oder perianal. In „Upper zone”-Verletzungen ohne Muskelverletzung werden keine weiteren Maßnahmen ergriffen [12]. Dieser
Algorithmus lässt jedoch urogenitale Verletzungen außer Acht.
Velmahos konnte bereits 1997 an 57 Patienten zeigen, dass die
klinische Untersuchung alle wesentlichen Verletzungsregionen
zu identifizieren in der Lage ist. Er beschreibt, dass selbst die Sigmoidoskopien (bei 37 % der Patienten durchgeführt) nur in 2 Patienten die Therapie wesentlich beeinflussten [6]. Weitere 7 apparative Untersuchungen (CT, Angiogramm, i. v. Pyelogramm;
Zystogramm) konnten keine weiteren Verletzungen detektieren.
Die klinische Untersuchung hat in seinem Setting eine Sensibilität und eine Spezifität von 100 %. Einen interessanten Aspekt äußern Corra et al. in ihrer Analyse von 3 Jahren Schlittenunfällen
in Tirol: Sie finden, dass die schwersten Unfälle und alle drei Todesfälle nicht von Kindern, sondern von Erwachsenen verursacht
werden [15].
Wie im beschriebenen Fall kann der Fremdkörper aus Holz per se
zu sekundären Komplikationen führen, denn holzige Restpartikel
107
Herunterladen