4. Hydrolytisch aktive Enzyme und Gruppentransfer-Reaktionen In der Natur gibt es prinzipiell drei Arten von Hydrolasen (hydrolytisch aktiven Enzymen), die die unterschiedlichen in der Natur vorhandenen Biopolymere effizient abbauen. 1. Proteasen/Peptidasen (Sie hydrolysieren Peptide.) 2. Nukleasen (Sie spalten Nukleinsäuren.) 3. Glykosylasen (Sie spalten Oligosaccharide.) 4.1 Proteasen Es gibt vier Klassen von Proteasen: 1. Serin-Proteasen 2. Cystein-Proteasen 3. Metallo-Proteasen 4. Aspartyl-Proteasen 4.1.1 Serin-Proteasen Diese Peptidasen besitzen ein aktives Zentrum, das manchmal durch eine vorgelagerte tiefe Furche (cleft) gekennzeichnet ist (Abb. 1). Abb. 1 Spaltstelle von Serin-Proteasen in Proteinen und die Bedeutung der vorgelagerten Furche für die Selektivität der Serin-Proteasen. 1 Diese Furche bestimmt die Selektivität der Proteasen. Chymotrypsin z. B. spaltet immer nach einer aromatischen Aminosäure, während Trypsin nach positiv geladenen Aminosäureseitenketten spaltet. Während der Katalyse (Schema 1) greift eine nukleophile OH-Gruppe eines SerinRestes das zu spaltende Amid an. Zunächst bildet sich ein Oxyanion-Intermediat, das durch Wasserstoffbrücken stark stabilisiert wird (Oxyanionen-Tasche). Dies ist die gewohnte Übergangszustandsstabilisierung. Das Ser (pKa = 16) wird mit Hilfe eines Imidazols (pKa = 7) zunächst deprotoniert. Diese Reaktion ist thermodynamisch ungünstig. Sie wird ermöglicht, weil das sich bildende ImidazoliumIon von einem deprotonierten Asparaginsäurerest stabilisiert wird. Die Anordnung Ser-His-Asp nennt man auch katalytisch Triade. Entfernt man z. B. das Asp durch gerichtete Mutagenese, so verliert das Enzym an Aktivität um den Faktor 104. Schema 1 Funktion der katalytischen Triade bei der Amidspaltung durch eine SerinProtease. 2 4.1.2 Cystein-Proteasen Hier wird das aktive Nukleophil, die OH Gruppe des Serins, durch die viel nukleophilere SH-Gruppe des Cysteins ersetzt (Schema 2). Auch für diese Enzyme ist die Stabilisierung des Oxyanion-Intermediates wichtig. Schema 2 Amidspaltung bei Cystein-Proteasen. 4.1.3 Metallo-Proteasen Metallo-Proteasen sind wichtige Zielproteine in der Pharmazeutischen Industrie. Ein gut untersuchtes Beispiel ist die Carboxypeptidase A (Schema 3). Hier wirkt die Carboxylgruppe einer Glu-Aminosäure als Nukleophil. Das Metall, meist ein Zn2+, fungiert als Lewissäure. Es aktiviert das Amid. Thermolysin unterscheidet sich mechanistisch ein wenig von der Carboxypeptidase A, weil hier ein Wassermolekül 3 direkt als Nukleophil fungiert. Das Wasser wird wahrscheinlich durch das Carboxylat zunächst deprotoniert und dadurch für den Angriff aktiviert (Schema 3). Schema 3 Amidspaltung bei Metallo-Proteasen am Beispiel von Thermolysin und Carboxypeptidase A. 4.1.4 Aspartyl-Proteasen Diese Proteasen haben eine traurige Berühmtheit erlangt, weil die HIV-Protease zu diesen Proteinen gehört. Mechanistisch entscheidend ist das Vorhandensein von zwei Asp-Resten (Schema 4). Einer dient als Nukleophil, der zweite fungiert als generelle Säure und protoniert das tetraedrische Zwischenprodukt, um es zu stabilisieren. Schema 4 Mechanismus der Amidspaltung bei einer Aspartyl-Protease. 4 Alle vorgestellten Proteasen lassen sich mit Inhibitoren blockieren, die die tetraedrische Zwischenstufe als eine Art transition-state Inhibitor nachahmen. Die Organophosphor-Verbindungen und Chlormethylketone (Abb. 2) werden z. B. von den Serin-Proteasen als Substrate akzeptiert. Nach dem Angriff des Nukleophils, kann das Zwischenprodukt jedoch nicht mehr zerfallen. Das Enzym wird so kovalent modifiziert und dadurch chemisch irreversibel inaktiviert. Abb. 2 Inhibitoren von Serin-Proteasen. 5 4.2 Esterasen, Phosphatasen und Nukleasen 4.2.1 Esterasen, Lipasen und Acylasen Esterasen spalten Ester von Triglyceriden. Sie bauen also Fette ab und arbeiten dabei an der Fett/Öl-Wasser Grenzschicht. Mechanistisch ähneln diese Enzyme stark den Serin-Proteasen, d. h. sie funktionieren nach dem Chymotrypsin-Mechanismus (Schema 1). Wichtige Vertreter dieser Enzyme haben Einzug in die chemische Synthese gefunden. So werden heute zur kinetischen Razematspaltung die Enzyme Schweineleber-Esterase (PLE) und Schweine-Pankreas-Lipase (PPL) eingesetzt (Schema 5). Diese Enzyme ermöglichen die streng stereoselektive Hydrolyse von Estern. Schema 5 Kinetische Razematspaltung mit PPL. Mechanistisch wird zunächst wieder ein tetraedrischen Zwischenprodukt gebildet, das dann durch Wasser hydrolysiert wird. Man kann die Enzyme nun statt in Wasser auch in Vinylacetat einsetzten (Schema 5). Die Enzyme erkennen dann das Vinylacetat als Substrat und bilden die tetraedrische Zwischenstufe. Diese kann anschließend durch einen in Lösung befindlichen Alkohol hydrolysiert werden. Die Acetylgruppe wird so nicht auf Wasser, sondern auf das Substrat übertragen. Das geschieht enantioselektiv und wird zur Razematspaltung von chiralen Alkoholen eingesetzt. Weitere Acyltransferreaktionen werden in der Natur auf zwei unterschiedliche Arten bewerkstelligt. Am Ribosom wird eine Peptidkette geknüpft. Hierzu muss die 6 Carbonsäure aktiviert werden (Schema 6). Das geschieht meistens durch zuvor erfolgende Adenylierung der Carboxylfunktion mit Hilfe von ATP. Es entsteht ein gemischtes Anhydrid, ein Acyl-Adenylat, welches als aktivierte Säure mit einem Amin eine Amidbindung knüpft. Schema 6 Acyltransferreaktion am Ribosom. Für eine weitere Möglichkeit Acylgruppen zu übertragen, nutzt die Natur AcetylCoenzyms A (Acetyl-CoA, Abb. 3). Dieses Coenzym reagiert mit Alkoholen, da es über eine Thioester Funktion verfügt, die einen aktivierten Ester darstellt. Dieser Thioester ermöglicht es dem Coenzym seine Acylgruppe auf alle möglichen Substrate (Alkohole, Amine) zu übertragen. Abb. 3 Struktur von Acetyl-CoA. 7 4.2.2 Phosphatasen Phosphatasen hydrolysieren Phosphorsäuremonoester und –diester (Schema 7). Phosphatasen verwenden dabei einen Mechanismus der dem der Serin-Proteasen stark ähnelt. Ein Serin greift nach der Aktivierung durch eine generelle Base den Phosphormonoester an. Die Abgangsgruppe wird durch sofortige Protonierung (zunächst der Zwischenstufe) stabilisiert. Schema 7 Mechanismus der Phosphatasen. 4.2.3 Nukleasen Nukleasen, wie die Snake-Venom-3’→5’-Exonuklease, sind Enzyme, die die Phosphordiesterbindung in DNA oder RNA Molekülen spalten. Diese Enzyme sind in der Regel sehr unspezifisch. Viel spezifischer sind die Endonukleasen. Sie sind als Restriktionsenzyme (z. B. EcoR1) heute viel genutzte Werkzeuge in der Molekularbiologie. Nukleasen, die RNA abbauen, verwenden die 2’OH-Gruppe als Nukleophil, welches unter Bildung eine 2’-3’-Cyclophosphates, die Phosphordiester-Gruppe angreift (Schema 8). Schema 8 Mechanismus der Nukleasen. 8 Die Übertragung von Phosphaten erfolgt in der Regel ausgehend von ATP (Abb. 4). ATP ist die Phosphatquelle in der Natur. Enzyme, die die Phosphatgruppe auf z.B. auf Serin-, Threonin-, oder Aspartyl-Reste übertragen heißen Kinasen. Sie sind ebenfalls wichtige Zielproteine in der modernen Pharmazeutischen Forschung. Beispiele für Kinase-Reaktionen sind in Abb. 5 gezeigt. Abb. 4 Struktur von ATP und Spaltmöglichkeiten am Triphosphat. Abb. 5 Beispiele für Kinase-Reaktionen. 4.3 Glykosylasen Glykosylasen hydrolysieren die glykosidischen Bindungen von Oligosacchariden, die z. B. auf der Oberfläche von Bakterienzellen zu finden sind. Lysozym ist ein Beispiel für ein solches Enzym. Man findet es in Eiweiß und in der Tränenflüssigkeit. Das Enzym ist schwach anti-mikrobiell. Die Hydrolyse der glykosidischen Bindung erfolgt entweder unter Retention oder Inversion der Konfiguration. Bei der Retention wird vermutlich zunächst ein kovalentes Enzym-Zucker Intermediat gebildet, welches anschließend durch Wasser hydrolysiert wird (Schema 9). 9 Schema 9 Spaltung einer glykosidischen Bindung durch Glykosylasen unter Retention. Enzyme die unter Inversion spalten, aktivieren wahrscheinlich direkt Wasser, welches dann in einer Art SN2-Reaktion angreift (Schema 10). Schema 10 Spaltung einer glykosidischen Bindung durch Glykosylasen unter Inversion. Die Biosynthese von Zuckern, und damit deren Verknüpfung, muss umgekehrt über eine Aktivierung der Zucker erfolgen. Hierzu wird erneut entweder die glykosidische OH-Gruppe in ein Glykosylphosphat oder in ein Diphosphouridin umgewandelt und dadurch in eine gute Abgangsgruppe überführt (Abb. 6). 10 OH HO HO O O NH O O NH O P O P O O O O O HO N O OH Abb. 6 Aktivierung von Zuckern zur Glykosidierung. 4.4 Methylgruppentransfer in der Natur Das Methyliodid der Natur ist das Coenzym SAM (S-Adenosylmethionin). SAM alkyliert eine große Zahl biologischer Substrate. Der Mechanismus entspricht dabei im Wesentlichen einer SN2-Reaktion. Die Methylgruppe wird unter Inversion der Konfiguration übertragen, wie aus dem Studium mit chiralen Methylgruppen bekannt. Schema 11 Methylgruppentransfer durch SAM. Ein weiteres Coenzym das Methylgruppe übertragen kann ist das Folat, genauer das N5-Methyl-FH4. Zunächst wird vermutlich das N5-Atom protoniert, um das Pteringerüst in eine gute Abgangsgruppe zu überführen. Dann greift das Nukleophil die Methylgruppe an. Dieses Folat-Coenzym kann neben dem Methyltransfer auch Methylen- und sogar Methin-Gruppen (also Formaldehyd) übertragen. Für die Übertragung von MethylenGruppen verwendet die Natur das Coenzym N5,N10-Methylen-FH4 (Schema 12). 11 Schema 12 Übertragung einer Methylen-Gruppe durch N5,N10-Methylen-FH4. Für den Transfer von Formaldehyd wird das Coenzym N5,N10-Methinyl-FH4 gebraucht (Schema 13). Schema 13 Formaldehyd-Übertragung durch N5,N10-Methinyl-FH4. Die vom Folat abgeleiteten Coenzyme sind in der Natur als C1-Gruppenüberträger von großer Bedeutung. Die Folat-abhängige Methylierung von Uridin zu Thymidin ist ein Schlüsselschritt in der Biosynthese von DNA. Werden Enzyme, die an diesen Prozessen beteiligt sind, gehemmt, kann man das Zellwachstum stoppen. Tatsächlich sind viele der an der DNA-Biosynthese beteiligten Enzyme wichtige Zielproteine in der Pharmaforschung auf der Suche nach neuen anti-proliferativ wirkenden Substanzen für die Behandlung von Krebs. 12