© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525563588 — ISBN E-Book: 9783647563589 Forschungen zur systematischen und çkumenischen Theologie Herausgegeben von Christine Axt-Piscalar und Gunther Wenz Band 125 Vandenhoeck & Ruprecht © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525563588 — ISBN E-Book: 9783647563589 Reinhard Leuze Das Christentum Grundriss einer monotheistischen Religion Vandenhoeck & Ruprecht © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525563588 — ISBN E-Book: 9783647563589 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet ber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-56358-8 2010 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile drfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages çffentlich zugnglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung fr Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Druck und Bindung: a Hubert & Co, Gçttingen Gedruckt auf alterungsbestndigem Papier. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525563588 — ISBN E-Book: 9783647563589 Vorwort Diese Darstellung soll keine Glaubenslehre im herkçmmlichen Sinne sein. Die christliche Religion soll zunchst von außen betrachtet werden, indem sie in den Kreis der anderen monotheistischen Religionen, Judentum und Islam, eingeordnet wird und so ihr spezifisches Profil gewinnt. Dabei verfolge ich keine apologetischen Absichten: Es geht mir nicht darum, die Hçchstgeltung des Christentums gegenber diesen Religionen zu erweisen. Der Akzent liegt stattdessen auf der gemeinsamen monotheistischen Problematik, die ich als das Verhltnis von Transzendenz und Offenbarung zur Sprache bringe. Wenn sich die Religionen einer Problemstellung bewußt werden, die sie alle teilen, vermag das Denken ihre verschiedenen Sichtweisen zusammenzufhren – im Gegensatz zu einer unreflektierten Frçmmigkeit, die sich gelegentlich an einem exklusiven Wahrheitsbewusstsein erfreut. Der zweite christologische Teil wird dann in das Innere der christlichen Religion fhren. Hier wird sich zeigen, dass das christliche Gottesverstndnis trotz der monotheistischen Gemeinsamkeit in einer Weise entfaltet werden muß, die sich die jdische Religion und der Islam nicht aneignen kçnnen. Auch der letzte Teil, in dem die Vorstellung der Kirche und die Bedeutung der Sakramente entfaltet werden, verdeutlicht die spezifische Struktur der christlichen Religion, die sich von den anderen monotheistischen Glaubensweisen unterscheidet. Diese Abhandlung erscheint in der vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht betreuten Reihe »Forschungen zur systematischen und çkumenischen Theologie«. Ich danke den Herausgebern, besonders meinem Mnchner Kollegen Gunther Wenz. Frau Dipl.-rel.-pd. Dietlinde Schmidt und stud.theol. Manuel Sauer haben bei der Erstellung des Manuskripts mitgewirkt. Auch bei ihnen mçchte ich mich an dieser Stelle bedanken. Gewidmet sei dieses Buch meiner Frau, die den Weg meines theologischen Denkens immer begleitet hat. Mnchen, im Dezember 2009 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525563588 — ISBN E-Book: 9783647563589 Reinhard Leuze © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525563588 — ISBN E-Book: 9783647563589 Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Offenbarung und Transzendenz – Die monotheistischen Religionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Was ist Offenbarung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Offenbarung und Polytheismus . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Monotheismus und Offenbarung – ein problematisches Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gottes Einheit und Gottes Offenbarsein . . . . . . . . . . . . 4.1 Die islamische Theologie – die Mu‘taziliten . . . . . . . 4.2 Parallelen in der jüdischen Tora-Vorstellung – ein Vergleich von jüdischem und islamischem Denken . . . 4.3 Gott selbst und das Geschaffensein der Offenbarung – christliche Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Offenbarung – ein Moment des göttlichen Wesens . . . . 5.1 Die christliche Trinitätslehre und das Bekenntnis zur göttlichen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Die islamische Antwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Universalität und Erwählung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die Uneinholbarkeit des Transzendenten . . . . . . . . . . . 8. Offenbarung als Selbsterschließung . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Verborgenheit und Offenbarsein Gottes im jüdischen Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Die christliche Perspektive und die Antwort der Kabbala 8.3 Logos – Memrā – Schechina . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Die wechselseitige Beziehung der monotheistischen Religionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Gott in der Geschichte seiner Offenbarungen . . . . . . 9.2 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Jesus von Nazareth . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Botschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Tod und das Bewusstsein Jesu . . . . . . . . 3. Gottes Antwort auf den Tod: Die Auferstehung . 4. Der Tod und das Weitergehen der Offenbarung 5. Der Tod als Heilsereignis . . . . . . . . . . . . . 6. Offenbarung als Theophanie . . . . . . . . . . . 7. Jesus, der Repräsentant der Menschen . . . . . 8. Die Wandlung des Gottesbildes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525563588 — ISBN E-Book: 9783647563589 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 . . . 19 19 20 . . . 21 22 22 . 24 . . 27 28 . . . . . 28 32 39 43 44 . . . 44 46 49 . . . 52 55 58 . . . . . . . . . 61 61 69 75 80 82 89 90 92 8 Inhalt 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. Offenbarung als Visualisierung . . . . . . . . . . Von der Transzendenz zur Offenbarung . . . . . . Jesus Christus und der Zwiespalt in Gott . . . . . Die Konstitution des Geistes . . . . . . . . . . . . Das Wort Gottes und die Leiblichkeit Christi . . . Das Verhältnis der monotheistischen Religionen . Die Trinität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Ursprung des Transzendenten . . . . . . . . . Der Geist als verwandelndes Bewusstsein . . . . . Die Erwartung Jesu und die christliche Hoffnung III. Die Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Bildwerdung . . . . . . . . . . . . . 2. Die Verleiblichung . . . . . . . . . . . . 3. Das eine Amt und die Vielfalt der Ämter 3.1 Das befreiende Wort . . . . . . . . . 3.2 Das belehrende Wort . . . . . . . . . 3.3 Das ermahnende Wort . . . . . . . . 3.4 Amt und Repräsentanz . . . . . . . 3.5 Die christliche Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 94 97 103 107 109 111 113 115 118 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 125 131 141 143 146 147 150 151 IV. Das eine Sakrament und die Vielzahl sakramentaler Handlungen . 155 V. Die sakramentalen Handlungen und das menschliche Werden 1. Die Taufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Krankensalbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Firmung bzw. Konfirmation . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Ordination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 162 168 173 178 182 VI. Das wirkende Wort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 1. Die Buße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 2. Der Segen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Namen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525563588 — ISBN E-Book: 9783647563589 Einleitung Zu einer Darstellung christlicher Glaubensaussagen gibt es verschiedene Zugangsmöglichkeiten. Man kann versuchen, eine Vorverständigung herbeizuführen über Quellen der Gotteserkenntnis, vor allem über die Heilige Schrift und die Probleme, die sich mit ihrer Auslegung verbinden; man kann das für überflüssig halten und mit der „Sache“ selbst, der Entfaltung des christlichen Gottesverständnisses beginnen, oder man kann, wenigstens andeutungsweise, einen allgemeinen Kontext umschreiben, in dem diese Entfaltung erst ihren Sinn gewinnt. Aus Gründen, die hier nicht im Einzelnen dargelegt werden müssen, meine ich, dass dieser Weg in unserer Zeit der einzig gebotene sein kann. Wer das Christentum als Religion versteht und sich nicht mit verschiedenen terminologischen Kunstgriffen über diese im Grunde banale Feststellung hinwegsetzt, wird es in seinem Verhältnis zu den anderen Religionen zu bestimmen und zu würdigen wissen und an der Frage nicht vorübergehen dürfen, was unter dem Begriff „Religion“ eigentlich zu verstehen sei. Freilich droht dieses Vorhaben die Grenzen zu sprengen, die man bei einer Darstellung des christlichen Glaubens tunlichst einhalten sollte. Insofern beschränke ich mich in diesem Zusammenhang1 auf fundamentaltheologische Überlegungen, die das Verhältnis der großen monotheistischen Religionen, also des Judentums, des Christentums und des Islam in den Blick nehmen. Diese Beschränkung empfiehlt sich wegen der grundlegenden gemeinsamen Überzeugung, welche diese Religionen miteinander verbindet, dem Glauben an den einen, einzigen Gott. Es ist erstaunlich, wie wenig diese Gemeinsamkeit wahrgenommen wird: Oft gewinnt man den Eindruck eines Kampfes verschiedener Götter, der von ihren jeweiligen Anhängern mit einer latenten Bereitschaft zur Gewalt ausgefochten wird, einer Gewalt, die jederzeit zu explodieren vermag und für die Tötung des Anderen das Versprechen ewiger Seligkeit bereit hält. Aber es sind keine verschiedenen Götter, es ist immer der Eine, der zwar in unterschiedlicher, oft widersprechender Weise wahrgenommen wird, aber doch der Eine ist und bleibt.2 Der eine Gott, der keine 1 Eine ausführlichere Erörterung der Thematik gibt mein Buch Religion und Religionen, Münster 2004. 2 P. Sloterdijk bleibt zu sehr an der Oberfläche, wenn er meint, „die Gleichsetzung von Abrahams El mit dem JHWH der mosaischen Religion, dem Vater der christlichen Trinität und dem Allah Mohammeds“ sei „nicht mehr als eine fromme Konvention“; in: ders., Gottes Eifer, Frankfurt a.M./Leipzig 2007, 184). Ebenso gehen die Vertreter christlicher Theologie in die Irre, die unentwegt die Identität von © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525563588 — ISBN E-Book: 9783647563589 10 Einleitung anderen Götter neben sich hat, ist derselbe Gott, ob ihn Juden, Christen oder Muslime anbeten. Diese Selbigkeit bleibt unangetastet, auch wenn sich die Anhänger dieser Religionen unterschiedliche Vorstellungen von diesem Gott machen. Natürlich darf man diese Differenzen nicht übersehen oder klein reden – das Ergebnis wäre eine naive und letztlich schädliche Harmonisierung, welche die Fakten außer Acht ließe. Aber die unbestreitbaren Unterschiede berechtigen allenfalls zu der Feststellung, Juden, Christen und Muslime glaubten nicht an den gleichen Gott, die Selbigkeit dieses Gottes können sie nicht aufheben, ja nicht einmal in Frage stellen. Unter diesen Voraussetzungen empfiehlt es sich, zunächst die prinzipielle Einheit der monotheistischen Religionen in den Blick zu nehmen. Indem das Christentum das von ihm so genannte Alte Testament in den eigenen Kanon der heiligen Schriften übernommen hat, hat es den Anfang eines Weges beschritten, der zur Einbeziehung aller relevanten monotheistischen Religionen führen sollte. Die Aussage, der Jahwe Israels sei der Vater Jesu Christi, meint ja nichts anderes als Selbigkeit in Verschiedenheit, denn niemand kann behaupten, beide Gottesvorstellungen seien nur in ihrer Gleichheit und nicht auch in ihrer Differenz zu begreifen. Wenn aber diese Unterschiede die Selbigkeit Gottes unangetastet lassen, dann dürfen sie nicht nur in der Abgrenzung von der eigenen allein richtigen Auffassung wahrgenommen werden, sondern müssen als Möglichkeiten des einen Gottes ihre Anerkennung finden. Daraus folgt, dass die christliche Religion das Alte Testament nicht nur als eine Sammlung von Schriften verstehen darf, die das in Jesus Christus erschienene Heil vorbereiten, sondern auch im Blick auf die eigenständige Entwicklung der jüdischen Religion betrachten muss, einer Religion, die eine Möglichkeit des einen Gottes ist, zu dem auch Christen und Muslime beten. Es geht also nicht an, im Kontext fundamentaltheologischer Überlegungen nur Texte des Alten Testamentes heranzuziehen. Man muss dazu bereit sein, Aussagen der jüdischen Theologie zu rezipieren, und wird so mit der Erkenntnis belohnt, dass es gemeinsame Aufgaben des Denkens gibt, die nur in einem allgemeinen monotheistischen Zusammenhang bearbeitet werden können. Allerdings ist es mit der Einbeziehung des Judentums noch nicht getan. Ohne die Berücksichtigung des Islam als der anderen großen Universalreligion wäre eine monotheistische Grundlegung des christlichen Glaubens Makulatur. Die Selbigkeit des einen Gottes, der keine anderen Götter neben sich hat, gilt auch hier, vertritt der Islam doch am pointiertesten dieses monotheistische Credo. Der Hinweis, Jesus beziehe sich auf den Gott Israels, aber nicht auf Allah, verfängt demgegenüber nicht, weil man an das Vorhergehende anknüpft und nicht an das Künftige. Ebenso wenig vermag das Argument, der Islam habe Jahwe und dem Vater der christlichen Trinität betonen, demgegenüber aber die Verbindung zu Allah als etwas Nebensächliches und rein Formales abwerten. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525563588 — ISBN E-Book: 9783647563589 Einleitung 11 sich ja mit dem Koran seine eigene heilige Schrift zugeeignet, die fundamentale Gemeinsamkeit der monotheistischen Religionen aufzuheben. Muhammad verbindet seine Aussagen über Gott mit dem Gott der Juden und dem Gott der Christen, von daher ist die Gemeinsamkeit nicht nur in der an sich schon genügenden Behauptung der Selbigkeit Gottes gegeben, sondern auch in der Gleichheit verschiedener Aspekte des Gottesverständnisses zementiert. Wie beim Judentum so sollen auch hier die Differenzen nicht verschwiegen werden, sie können uns aber nicht davon abhalten, die Aussagen über Allah als Möglichkeit des einen Gottes zu begreifen, der sich Juden, Christen und Muslimen in jeweils spezifischer Weise zeigt. Aus alledem folgt, dass eine Darlegung des christlichen Glaubens nur sinnvoll sein kann, wenn man die allgemeinen monotheistischen Voraussetzungen bedenkt. Freilich ist damit noch nicht die Frage beantwortet, wie sich diese, die monotheistischen Religionen übergreifende Grundlegung vollziehen soll. Drei Wege scheinen mir möglich zu sein: Zunächst wäre eine Gesamtgeschichte des einen Gottes denkbar, der keine anderen Götter neben sich hat. Hier müsste die Entwicklung des israelitischen Gottes entfaltet werden, der erst zu dem wurde, der er für Juden, Christen und Islam selbstverständlich ist: zu dem einen Gott, dem nichts anderes gleichkommt. Daraufhin wären die Besonderheiten der Offenbarung Gottes in Jesus Christus und der Kundgabe eben dieses Gottes an Muhammad herauszustellen. Schließlich müsste gefragt werden, was der Fortgang der Offenbarungen Gottes in der Geschichte eigentlich besagen soll: Wenn das Spätere nicht als Widerlegung des Früheren verstanden werden darf, sondern als eine eigenständige Enthüllung des einen Gottes, der immer derselbe bleibt, angesehen werden muss, dann muss man darüber nachdenken, was die bis zum Widerspruch gehende Vielfalt der Offenbarungen zu bedeuten vermag – für uns, die sich nur eine dieser Offenbarungen in ihrem Vollsinn zu eigen machen und nun deshalb mit der Frage konfrontiert sind, was die anderen, von uns nicht gewählten, für uns besagen, wenn auch sie Möglichkeiten des einen Gottes sind. Letztlich müsste dieser Weg zu einem spekulativen System führen, das beansprucht, das Werden Gottes nachzuzeichnen, in dem alle Gegensätze und Widersprüche ihre begriffliche Klärung und darin ihre Aufhebung finden. Eben dieser Anspruch scheint mir zu hoch zu sein, als dass er erfüllt werden könnte. Gilt nicht auch hier die Bemerkung Kants, mit der er eine Lösung der Theodizeefrage abwies, die Verfechtung der Sache Gottes sei die „Sache unserer anmaßenden, hierbei aber ihre Schranken verkennenden Vernunft“?3 Dieser Weg wird nicht der unsere sein, auch wenn immer wieder Problemstellungen angesprochen werden müssen, die nur so eine befriedigende Lösung erfahren könnten. 3 I. Kant, Über das Misslingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee, in: Werke in 6 Bänden, Bd. VI, Darmstadt 1983, 105 – 124, hier 105. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525563588 — ISBN E-Book: 9783647563589 12 Einleitung Der zweite Weg verzichtet auf das Unterfangen, das Werden des einen Gottes nachzuzeichnen und so die individuell gültige Offenbarung in einen größeren Zusammenhang einzubeziehen. Hier müsste es um die Erreichung eines bescheideneren Zieles gehen: Die großen monotheistischen Religionen sollen in ihrem Wesen erfasst und als ganze miteinander verglichen werden. Es ist keine Frage, dass auf diesem Weg wichtige Erkenntnisse gewonnen werden können. Er geht von der, wie ich meine, zutreffenden Wahrnehmung aus, dass der Monotheismus polytheistischen Religionsformen überlegen ist, und versucht dann, die religionsspezifischen Erfahrungen des einen Gottes voneinander abzugrenzen. Der zweite Weg ist der Weg des Vergleiches, darin beschlossen ist sowohl seine Notwendigkeit wie seine Begrenzung. Die Notwendigkeit besteht in der Unerlässlichkeit der Aufgabe, die Eigenart der jeweiligen Religion begrifflich zu erfassen, weil nur so eine Reflexion des eigenen Glaubens möglich ist. Die Begrenzung äußert sich in der Gefahr der Sterilität, die diesen Weg wie ein unvermeidlicher Schatten begleitet. Wer vergleicht, bleibt der Gefangene des Status quo; er stellt fest, was ist, und kommt nicht darüber hinaus. Man kann dieser Statik auch nicht dadurch entrinnen, dass man diesen Vergleich mit einer Wertung verbindet, also etwa versucht, die christliche Religion als die höchste der monotheistischen Religionen zu erweisen. Die argumentative Kraft dieser Versuche bleibt gering, da sie unreflektiert von dem ausgehen, was sie beweisen wollen, der Überlegenheit ihrer eigenen Glaubensweise.4 Der spekulative Weg genießt den Vorzug, die Notwendigkeit anderer Religionen verstehbar zu machen. Der Weg des Vergleiches darf sich diesen Vorzug nicht zugute halten. Er erfreut sich an der Höchstgeltung der eigenen Glaubensweise und muss sich im Übrigen mit der Verwunderung begnügen, dass die Anderen das noch nicht gemerkt haben und auch gar nicht den Eindruck erwecken, als würden sie es je merken. Weiterführend scheint mir der dritte Weg zu sein, den ich nun erläutern will: Er geht von derselben Voraussetzung aus wie die beiden anderen Wege, der Einheit und Selbigkeit des einen Gottes, der Gott der Juden, der Christen und der Muslime ist. Die Behauptung der Existenz dieses Gottes stellt das Denken vor große, im Grunde unlösbare Probleme, und es kommt alles darauf an, zu erkennen, dass diese Probleme die monotheistischen Religionen zusammenführen, weil sie eine gemeinsame Aufgabe für diese Glaubensweise darstellen. Nirgendwo wird so deutlich wie hier, dass Theologie der Versuch ist, das 4 Viele Argumentationsweisen christlicher Religionstheologie verfallen diesem Verdikt. So hat z. B. F. Schleiermacher in seinen Lehnsätzen aus der Religionsphilosophie (in: ders., Der christliche Glaube § 7 – 10 Bd. I, Berlin 1960, 47 – 74), wie ich meine, zu Recht die monotheistischen Religionen besonders hervorgehoben. Seine Höherstellung des Christentums gegenüber Judentum und Islam vermag aber nicht zu überzeugen (vgl. besonders 63 f). © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525563588 — ISBN E-Book: 9783647563589 Einleitung 13 Undenkbare zu denken, unlösbar und im Grunde überflüssig für die Kinder der Welt, faszinierend und unaufgebbar für alle, die meinen, die menschliche Vernunft und das Geheimnis Gottes seien eng miteinander verbunden. Es wäre an der Zeit, dass die monotheistischen Religionen versuchten, in ihrer jeweils spezifischen theologischen Orientierung sowohl die Einheit Gottes zu artikulieren wie auch die religionsübergreifenden Probleme zu benennen, die sich aus dieser Einheit ergeben. Gerade wer vor der Wand des Unlösbaren steht, muss sich mit dem Anderen, der dasselbe Schicksal teilt, verbünden. So kann man sagen, dass das Denken vereint, während die unreflektierte Frömmigkeit, sofern sie sich zum Standpunkt des eigenen partikularen Rechthabens verfestigt, spaltet und schlimme Konsequenzen im Gefolge hat. Im ersten Kapitel meiner Abhandlung soll es darum gehen, die theologische Problematik des Monotheismus zu entfalten. Die gemeinsame Aufgabe, die sich der jüdischen, christlichen und islamischen Theologie stellt, besteht darin, das Verhältnis von Transzendenz und Offenbarung genauer zu bestimmen. Beide Momente müssen zur Geltung kommen, wenn der Glaube an den einen Gott, der keine anderen Götter neben sich hat, dargestellt werden soll. Aber als Momente stehen sie in einem unaufhebbaren, nicht zu überbrückenden Kontrast. Während die Transzendenz die Jenseitigkeit Gottes betont, die Aussage, dass er keinem anderen Wesen gleich ist, meint die Offenbarung seine Zuwendung zur Welt, eine Zuwendung, die ohne Begrenzung nicht denkbar ist. Alle monotheistischen Religionen müssen diesen Kontrast ertragen – sie können weder die Transzendenz Gottes verkleinern, weil die Rede von der Einheit Gottes sonst nicht ihren definitiven Ausdruck fände, sie müssen aber gleichermaßen daran festhalten, dass dieser eine Gott sich ihnen kundgetan hat, weil sonst Glaube und religiöses Leben nicht möglich wäre. Die Art und Weise, wie das theologische Denken den Gegensatz von Transzendenz und Offenbarung artikuliert und versucht, Möglichkeiten der Vermittlung aufzuzeigen, wirft ein Licht auf die Individualität der jeweiligen Religion. Aber diese spezifische Ausprägung ist nicht so groß, dass nicht das Verbindende der monotheistischen Problematik dahinter erkennbar wäre, und es kommt alles darauf an, diese Gemeinsamkeit bewusst zu machen. Gerade die Unlösbarkeit der Aufgabe zeigt, dass die monotheistischen Religionen nicht am Ziel sind, sondern sich auf dem Weg befinden – auf dem Weg zu dem einen Gott, den sie behaupten, aber nur fragmentarisch erkennen können (1. Kor 13,9). Das erste Kapitel können wir dem Bereich der Fundamentaltheologie zuweisen, weil hier die christliche Religion in einen größeren Zusammenhang gestellt wird und als spezifische Ausprägung des monotheistischen Glaubens zur Darstellung kommt. Mit Beginn des zweiten Kapitels steht dann die Entfaltung des christlichen Glaubens im Vordergrund. Dabei soll es zunächst um eine knappe Charakteristik der Gestalt Jesu von Nazareth gehen. Weil dieser Mensch als Person Kundgabe des einen Gottes ist, weil er nicht wie ein Prophet eine Offenbarung überbringt, sondern selbst als Erscheinung des einen Gottes verstanden werden muss, deshalb darf man nicht von dieser Gestalt abstra- © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525563588 — ISBN E-Book: 9783647563589 14 Einleitung hieren und sich damit begnügen, das von ihr Mitgeteilte zu bewahren, nein, man muss sie in die Betrachtungen einbeziehen – ansonsten ginge die Explikation des christlichen Glaubens am Entscheidenden vorbei. Wie sollen wir aber zu dieser Gestalt einen anderen Weg finden als den Weg unserer eigenen Projektionen? Wie sollen wir verhindern, dass wir in ihr unser Bild eines vollkommenen Menschen spiegeln, dass wir die Erscheinung Gottes in einem Menschen so sehen, wie wir sie gerne hätten, wie sie unserem Weltbild und den von uns erkannten Notwendigkeiten entspricht? Die einzige Möglichkeit, diesen Weg der Selbsttäuschung zu vermeiden, ist die Anwendung der historisch-kritischen Methode. Damit treten wir ein in ein Reich, das dem Glauben recht fremd zu sein scheint: in das Reich der Wahrscheinlichkeit. Historische Urteile sind Urteile, die unter dem immerwährenden Vorbehalt besserer Erkenntnis, genaueren Wissens und umfassenderer Einsicht stehen. Der Glaube aber will Gewissheit und lebt von Gewissheit. Neben dem monotheistischen Dilemma, das die christliche Religion mit Judentum und Islam teilt, eröffnet sich eine zweite spezifisch christliche Aporie: der unaufhebbare Gegensatz zwischen einer historischen Person, die nur mit den Resultaten der historischen Forschung beschrieben werden kann, die für die ständige Revision ihrer Ergebnisse offen sein muss, und der religiösen Bindung an eben diese Person, die nicht unter Vorbehalt erfolgen kann und deshalb eine letztgültige Entscheidung fordert. Ebenso wie das monotheistische Dilemma muss die christliche Theologie dieses Dilemma, das ausschließlich zu ihr gehört, aushalten; sie darf nicht den damit verbundenen Problemen entfliehen und sich in eine Scheinwelt begeben, die nur von religiösen Wunschvorstellungen belebt wird. Weil sich für den christlichen Glauben die Offenbarung Gottes in einem Menschen zentriert, ist es unumgänglich, sich mit den Mitteln historischer Forschung der Eigenart dieses Menschen zu nähern – alles andere käme einer Verweigerungshaltung gleich, welche die Prägung neuzeitlichen Denkens für unerheblich erklärt. Die Eigenart Jesu zu beschreiben, ohne auf sein schlimmes Schicksal, den Tod am Kreuz, einzugehen, wäre ein nutzloses Unterfangen. Hier bündeln sich alle Fragen, die wir mit dieser Person verbinden, deshalb sollen meine Ausführungen zur Christologie hier ihren Schwerpunkt finden. Dabei stellt die Tatsache des Kreuzestodes Jesu kein ernsthaftes Problem dar ; an der historischen Faktizität dieses Endes sind keine Zweifel möglich. Im Gegensatz dazu ist es aber höchst unsicher, wie Jesus selbst seinen eigenen Tod verstanden hat. Wir werden davon zu reden haben, dass in seiner Verkündigung und seinem Wirken, der Botschaft von der Nähe des Reiches Gottes, die Transzendenz Gottes von der Offenbarung überholt wird, dass die göttliche Gegenwart so machtvoll zur Erscheinung kommt, dass die Verborgenheit Gottes in den Hintergrund rücken muss. Am Kreuz vollzieht sich der umgekehrte Prozess: Der Gott, dessen Wirken nicht verstanden wird, umhüllt das irdische Geschehen mit seinem un- © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525563588 — ISBN E-Book: 9783647563589 Einleitung 15 durchdringlichen Geheimnis, während die befreiende Gegenwart eben dieses Gottes zu verschwinden droht. In der Polarität beider extrem entgegengesetzter Gotteserfahrungen lässt sich das ganze Leben des Menschen Jesus beschreiben. Aber der Mensch Jesus gehört nicht nur zu den Menschen; er gehört auch zu Gott – an dieser Aussage darf der christliche Glaube nicht vorbeigehen. So wird der Konflikt zwischen Jesus und Gott zu einem Konflikt in Gott selbst, und genau dieser Widerspruch bezeichnet den Unterschied der christlichen Gottesvorstellung von der Gottesvorstellung der anderen monotheistischen Religionen. Während diese ihren Schwerpunkt darin finden, Gott als ewiges Sein begreiflich zu machen, kommt die Eigenart der christlichen Perspektive da in den Blick, wo von einem Werden Gottes die Rede ist. Schon die Behauptung der Inkarnation verliert ihren Sinn, wenn sie nicht mit einer Reflexion über dieses Werden verbunden wird. Der am Kreuz zutage tretende Konflikt in Gott selbst ist Kulmination und Peripetie dieses Werdens. Der Gott, der sich in sich selbst entzweit, weil er das Andere, seine Schöpfung, als Moment seines eigenen Bewusstseins wiederfindet, kann seinen Zwiespalt nur dadurch überwinden, dass er ein Anderer wird. Dieses Anders-Werden ist gleichzusetzen mit der Entfaltung des Geistes. Der Geist ist nicht mehr eine von Gott ausgehende, ihm aber quasi unterstellte Kraft wie im Judentum oder im Islam, er ist Gott selbst – ein Moment seines Wesens, das nur als Werden erfasst und beschrieben werden kann. Indem Gott – in der Auferstehung Jesu – sein Geschöpf in sich zurücknimmt und damit den Zwiespalt begründet, die Infragestellung seiner selbst, erhöht er auch den Geist zu einem Moment seines Wesens. Ohne diesen Zwiespalt käme dem Geist keine Gleichrangigkeit zu, ohne ihn bliebe er jene untergeordnete Kraft, die Gott in seinen Dienst nimmt, um auf der Erde zu wirken. So aber, in der Entzweiung des Kreuzes, ist der Geist ebenso Moment des einen Gottes wie Jesus Christus, den er in seine Ewigkeit hineingenommen hat. Seine Erhöhung folgt aus der Erhöhung von Jesus selbst, weil die Diskrepanz von Schöpfer und Geschöpf nur überwunden werden kann, wenn Gott in einem Moment seines Wesens diese Überwindung bewirkt. Im Geschehen von Kreuz und Auferstehung widerspricht sich Gott selbst – nur er selbst kann diesen Widerspruch lösen, indem er als Geist die Kluft zwischen ihm und der von ihm geschaffenen Welt beseitigt. Die Überwindung der von mir bezeichneten Diskrepanz ist kein Heilsereignis, auf das die Christenheit zurückzublicken vermag, sie ist Ausdruck christlicher Hoffnung, die sich erst am Ende der Zeit erfüllen wird. Deshalb mündet der christologische Teil meiner Darlegungen in die Eschatologie ein, die das Werden Gottes als das Wirklichwerden des Geistes beschreibt. Diese Realisation des Geistes ist kein momentanes Ereignis, sondern der Prozess, in dem das Werden Gottes und das Werden der Welt zusammenfinden. Erst wenn Gott alles in allem ist, wird die Diskrepanz von Schöpfer und Geschöpf beseitigt sein. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525563588 — ISBN E-Book: 9783647563589 16 Einleitung Die christliche Rede von einem Werden Gottes nötigt uns nun auch dazu, von der Gemeinschaft der Glaubenden als einer Kirche zu reden. Die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus ist nicht einfach als ein abgeschlossenes Ereignis zu betrachten, auf das der Glaubende zurückblicken kann, sie verlangt eine permanente Vergegenwärtigung und Aktualisierung, und damit sprechen wir nicht nur den Auftrag, sondern zugleich das Wesen der Kirche an. Als Leib Christi demonstriert sie die Unumkehrbarkeit der Aussage, dass Gott die Leiblichkeit für sich gewonnen hat, um sie nie wieder preiszugeben. Ihr Wesen bedarf der Verifikation, wenn es nicht einem nebulösen Mystizismus anheim fallen soll. Diese Verifikation ist die Wahrnehmung ihres Auftrages, das Sakrament der Eucharistie zu vollziehen. Indem Gott seine Leiblichkeit allen Glaubenden zum Geschenk macht, bewirkt er die Mitteilung des Heils an jeden einzelnen Menschen. Er bewirkt sie, indem er Personen beruft, deren primäre Aufgabe darin besteht, das Sakrament des Abendmahls zu feiern. Deshalb erhält dieses Sakrament eine Sonderstellung, die uns dazu veranlasst, es terminologisch von allen anderen sakramentalen Handlungen zu unterscheiden. Und auch die Person, die dazu beauftragt wird, diese sakramentale Feier zu leiten, ist als Träger des einen Amtes unterschieden von allen anderen Ämtern und Diensten, die prinzipiell von ihr wahrgenommen werden können, aber vor allem der aus dem allgemeinen Priestertum resultierenden Vielfalt der Charismen aufgegeben sind. Im einen Sakrament des Abendmahls werden wir uns immer wieder des Geheimnisses des göttlichen Werdens bewusst. In den davon zu unterscheidenden sakramentalen Handlungen steht demgegenüber das Werden des Menschen im Vordergrund. Meine Ausführungen wollen einen Beitrag dazu leisten, den, wie ich meine, unfruchtbaren und aufgrund der Ergebnisse der historisch-kritischen Forschung überholten Streit um die Zahl der Sakramente zu überwinden. Deshalb sollten nicht nur die Taufe, sondern auch die Firmung bzw. die Konfirmation, die Ordination und die Eheschließung als sakramentale Handlungen verstanden werden. Es ist auch für den Protestantismus wichtig, die sakramentale Dimension der Kirche zu beachten, weil ohne sie nicht deutlich werden kann, was die Verwirklichung Gottes eigentlich bedeutet. Die Sakramentalität führt uns sozusagen in den inneren Bezirk, in dem die Gläubigen das Mysterium der Menschwerdung erfahren. Der Verleiblichung Gottes entspricht aber die Vergeistigung der Welt. So wie sich die Kirche auf der einen Seite nach innen zurückzieht, um in der Stille wahrzunehmen, was im Geschehen der Inkarnation den Menschen mitgeteilt wird, muss sie sich auf der anderen Seite der Welt öffnen, wenn sie die Rede vom Geist als Moment des göttlichen Wesens glaubwürdig machen soll. Denn der Geist steht ihr nicht zur Verfügung, er kann wirken, wo er will, und sich © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525563588 — ISBN E-Book: 9783647563589 Einleitung 17 auch in anderen Kulturen, Religionen und Weltanschauungen manifestieren. Die Kirche sollte diese prinzipielle Unbegrenztheit des Geistes nicht als Begrenzung ihres eigenen Soseins empfinden, sondern darauf hoffen, dass die Vergeistigung der Welt in eine Vollkommenheit mündet, wo man ihrer nicht mehr bedarf. Gott als Geist begründet die Konstitution der Kirche, er weist aber zugleich auf ihr Ende hin. So wichtig die sakramentale Dimension für die Kirche ist, so verfehlt wäre es doch, ihr Wirken auf diesen Bereich zu beschränken. Dabei will ich in diesem Zusammenhang von den vielfältigen Aktivitäten absehen, die ihr aufgetragen sind, um den Menschen zu dienen: in der sozialen Arbeit, in der Seelsorge, um hier nur wenige Wege zu nennen. Es geht primär um die Vermittlung des Heils, die nicht ausschließlich als sakramentale Vermittlung verstanden werden darf. Neben dieser Vermittlung steht das Wortgeschehen, dass den Menschen in einen anderen Zustand seiner selbst versetzt. Genauer gesagt handelt es sich um das der Kirche aufgetragene befreiende Wort, das den Christen im Unterschied zur Belehrung und zur Ermahnung von allen Zwängen losspricht und ihm selbst die Bestimmung des persönlich verantworteten Glaubens überträgt. Dieses befreiende Wort verdichtet sich in der Zusage der Vergebung der Sünden, die man sich nicht selbst gewähren kann, sondern von Anderen empfangen muss. Damit gehen wir von den sakramentalen Handlungen über zu den Weisen des wirkenden Wortes, wobei ich in diesem Zusammenhang zwei Vollzüge, die Buße und den Segen, behandeln möchte. Es hat, wie zu zeigen sein wird, keinen Sinn, die Buße mit der sakramentalen Dimension der Kirche in Verbindung zu bringen. Auf der anderen Seite muss dem Segen als einer spezifischen Form des Wortgeschehens eine größere Bedeutung zugewiesen werden, als es in dogmatischen Entwürfen im Allgemeinen der Fall ist. Deshalb sollen Darlegungen über diese Sprachform am Ende dieser Abhandlung stehen. Aus christlicher Sicht erschließt sich die Bedeutung des Segens nur dann, wenn er trinitarisch verstanden wird. In ihm schließen sich Anfang und Ende, Schöpfung und Vollendung zusammen. Die Vollendung ist nicht nur das Ende der Welt, sie ist zugleich Ziel des göttlichen Werdens. Das Ziel ist Gott als Geist, der die Leiblichkeit in sich aufnimmt und bewahrt. Der Geist ist die Zukunft Gottes, auch wenn er schon jetzt Moment seines Wesens ist. Wenn die Kirche von der Hoffnung auf diese Zukunft beseelt ist, erfährt sie das Wirken des Geistes in der Gegenwart. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525563588 — ISBN E-Book: 9783647563589 © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525563588 — ISBN E-Book: 9783647563589 I. Offenbarung und Transzendenz – Die monotheistischen Religionen 1. Was ist Offenbarung? Fasst man den Begriff der Offenbarung weit genug, dann lässt er sich mit jeder Religion verbinden. Denn in jeder Religion ist vom Göttlichen die Rede. Es fragt sich aber, ob sich nicht die Vielfalt der Religionen besser erschließt, wenn wir uns um eine Profilierung des Offenbarungsbegriffes bemühen. Versteht man unter Offenbarung die übernatürliche Mitteilung eines jenseitigen, numinosen Urhebers, der den Menschen etwas kundtun will, was sie unter keinen Umständen von sich aus wissen oder erkennen können, dann wird der Kreis der Religionen, die dieser Bestimmung entsprechen, enger. So gesehen darf zwar der Buddhismus nach wie vor als Religion bezeichnet werden; er lässt sich aber nicht auf eine Offenbarung zurückführen. Die Erleuchtung, die Buddha zuteil wurde und die ihn zur Gründung einer neuen religiösen Gemeinschaft veranlasste, ist nicht die von einem Autor ausgehende Mitteilung einer übernatürlichen Wahrheit, sondern eine in einem einmaligen Vorgang geschenkte Erkenntnis, die, einmal ausgesprochen, nach Meinung der Buddhisten von allen Menschen nachvollzogen werden kann. Wenn wir in unserer Bestimmung des Offenbarungsbegriffes das Moment des Übernatürlichen betonen, sehen wir uns zu einer weiteren Einschränkung veranlasst: All das, was die altprotestantische Orthodoxie oder von ihr beeinflusste theologische Konzeptionen mit Begriffen wie natürliche Offenbarung, allgemeine Offenbarung, Schöpfungsoffenbarung, Uroffenbarung usw. zu erfassen suchte, sollte besser in einer anderen Terminologie zum Ausdruck gebracht werden. Denn auch hier gilt die in ihrer Berechtigung nicht zu diskutierende Auffassung, dass prinzipiell jedem Menschen eine Erkenntnis des jenseitigen Schöpfergottes möglich ist, auch wenn die faktische Disposition, etwa die den Menschen charakterisierende Sündhaftigkeit, einen natürlichen Zugang zu diesem Gott nicht erlaubt. So handelt es sich bei der Offenbarung um die übernatürliche Mitteilung eines transzendenten Numens, das den Menschen etwas sagt, was sie von sich aus niemals wissen können. Wie kann dieses transzendente Numen aber gedacht werden? Ohne Zweifel haben wir hier an ein fest umrissenes Gegenüber zu denken, ein personal bestimmtes Wesen, das sich durch einen formulier- © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525563588 — ISBN E-Book: 9783647563589 20 Die monotheistischen Religionen baren Willen kennzeichnen lässt.1 Damit können wir Phänomene der religiösen Vorstellungswelt aus unseren Betrachtungen ausschließen, die zwar einen übernatürlichen Ursprung behaupten, aber diesen zugunsten der heiligen Schriften völlig zurücktreten lassen, so dass nur noch das in ihnen aufbewahrte, absolute Wissen interessiert, aber nicht mehr die „Gestalten“, die sich hinter ihm verbergen.2 Der Urheber der Offenbarung muss einbezogen sein in das Offenbarungsgeschehen; nur in der Dreiheit, die den Offenbarer, die Offenbarung und den jeweils angesprochenen Menschen umschließt, gewinnen wir die Prägnanz, die diesem Begriff zukommen muss. 2. Offenbarung und Polytheismus Fragt man, welchen Formen der Religiosität diese Bestimmung des Offenbarungsbegriffes entspricht, dann wird man zunächst an Ausprägungen eines polytheistischen Glaubens denken, der sich zu einem Henotheismus, also zur Forderung, nur einen Gott zu verehren, verdichten mag. In beiden Fällen wird die Existenz anderer göttlicher Wesen nicht bestritten, auch wenn die Überlegenheit und ausschließliche Verehrungswürdigkeit des Einen außer Frage steht. In diesem polytheistischen bzw. henotheistischen Rahmen ist die Begrenzung, deren das fest umrissene Gegenüber, von dem wir sprachen, bedarf, selbstverständlich gegeben. Gott ist der eine Gott im Gegensatz zu anderen Göttern, die zwar auch da sind, aber nicht unbedingt für den Gläubigen von Bedeutung sein müssen. Der polytheistische bzw. henotheistische Gott ist ein begrenzter Gott, und gerade in dieser Begrenzung kann er ohne jedes Problem Subjekt einer möglicherweise ergehenden Offenbarung sein. Es geht mir nicht darum, dieses Phänomen mit einer Vielzahl möglicher Beispiele aus der Religionsgeschichte zu belegen. Ich will mich auf ein Dokument beschränken, das im Stand eines naiven Bewusstseins vielleicht als durchgehendes Plädoyer für einen strengen Monotheismus verstanden werden könnte, in Wirklichkeit aber in seinen ältesten Schichten polytheistische bzw. henotheistische Ausprägungen erkennen lässt, die Rede ist vom von uns so genannten Alten Testament. Die Geschichte Israels ist eben nicht die Geschichte eines von Anfang an feststehenden, selbstverständlich geglaubten Monotheismus, sie stößt zu diesem erst im Laufe einer langen, Jahrhunderte währenden Entwicklung vor, die erst in der Prophetie ihren Abschluss und ihre bleibende Erkenntnis findet.3 Weder der „Gott der Väter“ noch der mit 1 Damit soll nicht gesagt sein, dass der Begriff der Person in allen monotheistischen Religionen eine besondere Bedeutung hat. Letztlich gilt das nur für die christliche Religion. 2 Beispielsweise sei auf die Verehrung hingewiesen, welche die Veden in der indischen Religiosität genießen. 3 Vgl. F. Stolz, Einführung in den biblischen Monotheismus, Darmstadt 1996. © 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525563588 — ISBN E-Book: 9783647563589