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© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen
ISBN Print: 9783525563588 — ISBN E-Book: 9783647563589
Forschungen zur systematischen
und çkumenischen Theologie
Herausgegeben von
Christine Axt-Piscalar und Gunther Wenz
Band 125
Vandenhoeck & Ruprecht
© 2011, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen
ISBN Print: 9783525563588 — ISBN E-Book: 9783647563589
Reinhard Leuze
Das Christentum
Grundriss einer monotheistischen Religion
Vandenhoeck & Ruprecht
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind
im Internet ber http://dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-525-56358-8
2010 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Gçttingen / www.v-r.de
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschtzt.
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Werk noch seine Teile drfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages
çffentlich zugnglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden
Nutzung fr Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany.
Druck und Bindung: a Hubert & Co, Gçttingen
Gedruckt auf alterungsbestndigem Papier.
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Vorwort
Diese Darstellung soll keine Glaubenslehre im herkçmmlichen Sinne sein. Die
christliche Religion soll zunchst von außen betrachtet werden, indem sie in
den Kreis der anderen monotheistischen Religionen, Judentum und Islam,
eingeordnet wird und so ihr spezifisches Profil gewinnt. Dabei verfolge ich
keine apologetischen Absichten: Es geht mir nicht darum, die Hçchstgeltung
des Christentums gegenber diesen Religionen zu erweisen. Der Akzent liegt
stattdessen auf der gemeinsamen monotheistischen Problematik, die ich als
das Verhltnis von Transzendenz und Offenbarung zur Sprache bringe. Wenn
sich die Religionen einer Problemstellung bewußt werden, die sie alle teilen,
vermag das Denken ihre verschiedenen Sichtweisen zusammenzufhren – im
Gegensatz zu einer unreflektierten Frçmmigkeit, die sich gelegentlich an
einem exklusiven Wahrheitsbewusstsein erfreut.
Der zweite christologische Teil wird dann in das Innere der christlichen
Religion fhren. Hier wird sich zeigen, dass das christliche Gottesverstndnis
trotz der monotheistischen Gemeinsamkeit in einer Weise entfaltet werden
muß, die sich die jdische Religion und der Islam nicht aneignen kçnnen.
Auch der letzte Teil, in dem die Vorstellung der Kirche und die Bedeutung
der Sakramente entfaltet werden, verdeutlicht die spezifische Struktur der
christlichen Religion, die sich von den anderen monotheistischen Glaubensweisen unterscheidet.
Diese Abhandlung erscheint in der vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht
betreuten Reihe »Forschungen zur systematischen und çkumenischen
Theologie«. Ich danke den Herausgebern, besonders meinem Mnchner
Kollegen Gunther Wenz. Frau Dipl.-rel.-pd. Dietlinde Schmidt und stud.theol. Manuel Sauer haben bei der Erstellung des Manuskripts mitgewirkt.
Auch bei ihnen mçchte ich mich an dieser Stelle bedanken. Gewidmet sei
dieses Buch meiner Frau, die den Weg meines theologischen Denkens immer
begleitet hat.
Mnchen, im Dezember 2009
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Reinhard Leuze
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Inhalt
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
I.
Offenbarung und Transzendenz – Die monotheistischen
Religionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Was ist Offenbarung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Offenbarung und Polytheismus . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Monotheismus und Offenbarung – ein problematisches
Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4. Gottes Einheit und Gottes Offenbarsein . . . . . . . . . . . .
4.1 Die islamische Theologie – die Mu‘taziliten . . . . . . .
4.2 Parallelen in der jüdischen Tora-Vorstellung – ein
Vergleich von jüdischem und islamischem Denken . . .
4.3 Gott selbst und das Geschaffensein der Offenbarung –
christliche Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Die Offenbarung – ein Moment des göttlichen Wesens . . . .
5.1 Die christliche Trinitätslehre und das Bekenntnis zur
göttlichen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5.2 Die islamische Antwort . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6. Universalität und Erwählung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7. Die Uneinholbarkeit des Transzendenten . . . . . . . . . . .
8. Offenbarung als Selbsterschließung . . . . . . . . . . . . . .
8.1 Verborgenheit und Offenbarsein Gottes im jüdischen
Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8.2 Die christliche Perspektive und die Antwort der Kabbala
8.3 Logos – Memrā – Schechina . . . . . . . . . . . . . . . .
9. Die wechselseitige Beziehung der monotheistischen
Religionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9.1 Gott in der Geschichte seiner Offenbarungen . . . . . .
9.2 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
II. Jesus von Nazareth . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Die Botschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Der Tod und das Bewusstsein Jesu . . . . . . . .
3. Gottes Antwort auf den Tod: Die Auferstehung .
4. Der Tod und das Weitergehen der Offenbarung
5. Der Tod als Heilsereignis . . . . . . . . . . . . .
6. Offenbarung als Theophanie . . . . . . . . . . .
7. Jesus, der Repräsentant der Menschen . . . . .
8. Die Wandlung des Gottesbildes . . . . . . . . .
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8
Inhalt
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
Offenbarung als Visualisierung . . . . . . . . . .
Von der Transzendenz zur Offenbarung . . . . . .
Jesus Christus und der Zwiespalt in Gott . . . . .
Die Konstitution des Geistes . . . . . . . . . . . .
Das Wort Gottes und die Leiblichkeit Christi . . .
Das Verhältnis der monotheistischen Religionen .
Die Trinität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Der Ursprung des Transzendenten . . . . . . . . .
Der Geist als verwandelndes Bewusstsein . . . . .
Die Erwartung Jesu und die christliche Hoffnung
III. Die Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. Die Bildwerdung . . . . . . . . . . . . .
2. Die Verleiblichung . . . . . . . . . . . .
3. Das eine Amt und die Vielfalt der Ämter
3.1 Das befreiende Wort . . . . . . . . .
3.2 Das belehrende Wort . . . . . . . . .
3.3 Das ermahnende Wort . . . . . . . .
3.4 Amt und Repräsentanz . . . . . . .
3.5 Die christliche Freiheit . . . . . . . .
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IV. Das eine Sakrament und die Vielzahl sakramentaler Handlungen . 155
V.
Die sakramentalen Handlungen und das menschliche Werden
1. Die Taufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2. Die Krankensalbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3. Die Firmung bzw. Konfirmation . . . . . . . . . . . . . .
4. Die Ordination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5. Die Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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VI. Das wirkende Wort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
1. Die Buße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
2. Der Segen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197
Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
Namen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201
Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202
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Einleitung
Zu einer Darstellung christlicher Glaubensaussagen gibt es verschiedene
Zugangsmöglichkeiten. Man kann versuchen, eine Vorverständigung herbeizuführen über Quellen der Gotteserkenntnis, vor allem über die Heilige
Schrift und die Probleme, die sich mit ihrer Auslegung verbinden; man kann
das für überflüssig halten und mit der „Sache“ selbst, der Entfaltung des
christlichen Gottesverständnisses beginnen, oder man kann, wenigstens andeutungsweise, einen allgemeinen Kontext umschreiben, in dem diese Entfaltung erst ihren Sinn gewinnt. Aus Gründen, die hier nicht im Einzelnen
dargelegt werden müssen, meine ich, dass dieser Weg in unserer Zeit der
einzig gebotene sein kann. Wer das Christentum als Religion versteht und sich
nicht mit verschiedenen terminologischen Kunstgriffen über diese im Grunde
banale Feststellung hinwegsetzt, wird es in seinem Verhältnis zu den anderen
Religionen zu bestimmen und zu würdigen wissen und an der Frage nicht
vorübergehen dürfen, was unter dem Begriff „Religion“ eigentlich zu verstehen sei.
Freilich droht dieses Vorhaben die Grenzen zu sprengen, die man bei einer
Darstellung des christlichen Glaubens tunlichst einhalten sollte. Insofern
beschränke ich mich in diesem Zusammenhang1 auf fundamentaltheologische
Überlegungen, die das Verhältnis der großen monotheistischen Religionen,
also des Judentums, des Christentums und des Islam in den Blick nehmen.
Diese Beschränkung empfiehlt sich wegen der grundlegenden gemeinsamen
Überzeugung, welche diese Religionen miteinander verbindet, dem Glauben
an den einen, einzigen Gott. Es ist erstaunlich, wie wenig diese Gemeinsamkeit
wahrgenommen wird: Oft gewinnt man den Eindruck eines Kampfes verschiedener Götter, der von ihren jeweiligen Anhängern mit einer latenten
Bereitschaft zur Gewalt ausgefochten wird, einer Gewalt, die jederzeit zu explodieren vermag und für die Tötung des Anderen das Versprechen ewiger
Seligkeit bereit hält. Aber es sind keine verschiedenen Götter, es ist immer der
Eine, der zwar in unterschiedlicher, oft widersprechender Weise wahrgenommen wird, aber doch der Eine ist und bleibt.2 Der eine Gott, der keine
1 Eine ausführlichere Erörterung der Thematik gibt mein Buch Religion und Religionen, Münster
2004.
2 P. Sloterdijk bleibt zu sehr an der Oberfläche, wenn er meint, „die Gleichsetzung von Abrahams El
mit dem JHWH der mosaischen Religion, dem Vater der christlichen Trinität und dem Allah
Mohammeds“ sei „nicht mehr als eine fromme Konvention“; in: ders., Gottes Eifer, Frankfurt
a.M./Leipzig 2007, 184).
Ebenso gehen die Vertreter christlicher Theologie in die Irre, die unentwegt die Identität von
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10
Einleitung
anderen Götter neben sich hat, ist derselbe Gott, ob ihn Juden, Christen oder
Muslime anbeten. Diese Selbigkeit bleibt unangetastet, auch wenn sich die
Anhänger dieser Religionen unterschiedliche Vorstellungen von diesem Gott
machen. Natürlich darf man diese Differenzen nicht übersehen oder klein
reden – das Ergebnis wäre eine naive und letztlich schädliche Harmonisierung, welche die Fakten außer Acht ließe. Aber die unbestreitbaren Unterschiede berechtigen allenfalls zu der Feststellung, Juden, Christen und Muslime glaubten nicht an den gleichen Gott, die Selbigkeit dieses Gottes können
sie nicht aufheben, ja nicht einmal in Frage stellen.
Unter diesen Voraussetzungen empfiehlt es sich, zunächst die prinzipielle
Einheit der monotheistischen Religionen in den Blick zu nehmen. Indem das
Christentum das von ihm so genannte Alte Testament in den eigenen Kanon
der heiligen Schriften übernommen hat, hat es den Anfang eines Weges beschritten, der zur Einbeziehung aller relevanten monotheistischen Religionen
führen sollte. Die Aussage, der Jahwe Israels sei der Vater Jesu Christi, meint ja
nichts anderes als Selbigkeit in Verschiedenheit, denn niemand kann behaupten, beide Gottesvorstellungen seien nur in ihrer Gleichheit und nicht
auch in ihrer Differenz zu begreifen.
Wenn aber diese Unterschiede die Selbigkeit Gottes unangetastet lassen,
dann dürfen sie nicht nur in der Abgrenzung von der eigenen allein richtigen
Auffassung wahrgenommen werden, sondern müssen als Möglichkeiten des
einen Gottes ihre Anerkennung finden. Daraus folgt, dass die christliche Religion das Alte Testament nicht nur als eine Sammlung von Schriften verstehen
darf, die das in Jesus Christus erschienene Heil vorbereiten, sondern auch im
Blick auf die eigenständige Entwicklung der jüdischen Religion betrachten
muss, einer Religion, die eine Möglichkeit des einen Gottes ist, zu dem auch
Christen und Muslime beten. Es geht also nicht an, im Kontext fundamentaltheologischer Überlegungen nur Texte des Alten Testamentes heranzuziehen. Man muss dazu bereit sein, Aussagen der jüdischen Theologie zu rezipieren, und wird so mit der Erkenntnis belohnt, dass es gemeinsame Aufgaben
des Denkens gibt, die nur in einem allgemeinen monotheistischen Zusammenhang bearbeitet werden können.
Allerdings ist es mit der Einbeziehung des Judentums noch nicht getan.
Ohne die Berücksichtigung des Islam als der anderen großen Universalreligion wäre eine monotheistische Grundlegung des christlichen Glaubens Makulatur. Die Selbigkeit des einen Gottes, der keine anderen Götter neben sich
hat, gilt auch hier, vertritt der Islam doch am pointiertesten dieses monotheistische Credo.
Der Hinweis, Jesus beziehe sich auf den Gott Israels, aber nicht auf Allah,
verfängt demgegenüber nicht, weil man an das Vorhergehende anknüpft und
nicht an das Künftige. Ebenso wenig vermag das Argument, der Islam habe
Jahwe und dem Vater der christlichen Trinität betonen, demgegenüber aber die Verbindung zu
Allah als etwas Nebensächliches und rein Formales abwerten.
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Einleitung
11
sich ja mit dem Koran seine eigene heilige Schrift zugeeignet, die fundamentale Gemeinsamkeit der monotheistischen Religionen aufzuheben. Muhammad verbindet seine Aussagen über Gott mit dem Gott der Juden und dem
Gott der Christen, von daher ist die Gemeinsamkeit nicht nur in der an sich
schon genügenden Behauptung der Selbigkeit Gottes gegeben, sondern auch
in der Gleichheit verschiedener Aspekte des Gottesverständnisses zementiert.
Wie beim Judentum so sollen auch hier die Differenzen nicht verschwiegen
werden, sie können uns aber nicht davon abhalten, die Aussagen über Allah als
Möglichkeit des einen Gottes zu begreifen, der sich Juden, Christen und
Muslimen in jeweils spezifischer Weise zeigt.
Aus alledem folgt, dass eine Darlegung des christlichen Glaubens nur
sinnvoll sein kann, wenn man die allgemeinen monotheistischen Voraussetzungen bedenkt. Freilich ist damit noch nicht die Frage beantwortet, wie sich
diese, die monotheistischen Religionen übergreifende Grundlegung vollziehen soll.
Drei Wege scheinen mir möglich zu sein: Zunächst wäre eine Gesamtgeschichte des einen Gottes denkbar, der keine anderen Götter neben sich hat.
Hier müsste die Entwicklung des israelitischen Gottes entfaltet werden, der
erst zu dem wurde, der er für Juden, Christen und Islam selbstverständlich ist:
zu dem einen Gott, dem nichts anderes gleichkommt. Daraufhin wären die
Besonderheiten der Offenbarung Gottes in Jesus Christus und der Kundgabe
eben dieses Gottes an Muhammad herauszustellen. Schließlich müsste gefragt
werden, was der Fortgang der Offenbarungen Gottes in der Geschichte eigentlich besagen soll: Wenn das Spätere nicht als Widerlegung des Früheren
verstanden werden darf, sondern als eine eigenständige Enthüllung des einen
Gottes, der immer derselbe bleibt, angesehen werden muss, dann muss man
darüber nachdenken, was die bis zum Widerspruch gehende Vielfalt der Offenbarungen zu bedeuten vermag – für uns, die sich nur eine dieser Offenbarungen in ihrem Vollsinn zu eigen machen und nun deshalb mit der Frage
konfrontiert sind, was die anderen, von uns nicht gewählten, für uns besagen,
wenn auch sie Möglichkeiten des einen Gottes sind. Letztlich müsste dieser
Weg zu einem spekulativen System führen, das beansprucht, das Werden
Gottes nachzuzeichnen, in dem alle Gegensätze und Widersprüche ihre begriffliche Klärung und darin ihre Aufhebung finden.
Eben dieser Anspruch scheint mir zu hoch zu sein, als dass er erfüllt werden
könnte. Gilt nicht auch hier die Bemerkung Kants, mit der er eine Lösung der
Theodizeefrage abwies, die Verfechtung der Sache Gottes sei die „Sache unserer anmaßenden, hierbei aber ihre Schranken verkennenden Vernunft“?3
Dieser Weg wird nicht der unsere sein, auch wenn immer wieder Problemstellungen angesprochen werden müssen, die nur so eine befriedigende
Lösung erfahren könnten.
3 I. Kant, Über das Misslingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee, in: Werke in 6
Bänden, Bd. VI, Darmstadt 1983, 105 – 124, hier 105.
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12
Einleitung
Der zweite Weg verzichtet auf das Unterfangen, das Werden des einen
Gottes nachzuzeichnen und so die individuell gültige Offenbarung in einen
größeren Zusammenhang einzubeziehen. Hier müsste es um die Erreichung
eines bescheideneren Zieles gehen: Die großen monotheistischen Religionen
sollen in ihrem Wesen erfasst und als ganze miteinander verglichen werden. Es
ist keine Frage, dass auf diesem Weg wichtige Erkenntnisse gewonnen werden
können. Er geht von der, wie ich meine, zutreffenden Wahrnehmung aus, dass
der Monotheismus polytheistischen Religionsformen überlegen ist, und versucht dann, die religionsspezifischen Erfahrungen des einen Gottes voneinander abzugrenzen.
Der zweite Weg ist der Weg des Vergleiches, darin beschlossen ist sowohl
seine Notwendigkeit wie seine Begrenzung. Die Notwendigkeit besteht in der
Unerlässlichkeit der Aufgabe, die Eigenart der jeweiligen Religion begrifflich
zu erfassen, weil nur so eine Reflexion des eigenen Glaubens möglich ist. Die
Begrenzung äußert sich in der Gefahr der Sterilität, die diesen Weg wie ein
unvermeidlicher Schatten begleitet. Wer vergleicht, bleibt der Gefangene des
Status quo; er stellt fest, was ist, und kommt nicht darüber hinaus.
Man kann dieser Statik auch nicht dadurch entrinnen, dass man diesen
Vergleich mit einer Wertung verbindet, also etwa versucht, die christliche
Religion als die höchste der monotheistischen Religionen zu erweisen. Die
argumentative Kraft dieser Versuche bleibt gering, da sie unreflektiert von
dem ausgehen, was sie beweisen wollen, der Überlegenheit ihrer eigenen
Glaubensweise.4
Der spekulative Weg genießt den Vorzug, die Notwendigkeit anderer Religionen verstehbar zu machen. Der Weg des Vergleiches darf sich diesen
Vorzug nicht zugute halten. Er erfreut sich an der Höchstgeltung der eigenen
Glaubensweise und muss sich im Übrigen mit der Verwunderung begnügen,
dass die Anderen das noch nicht gemerkt haben und auch gar nicht den
Eindruck erwecken, als würden sie es je merken.
Weiterführend scheint mir der dritte Weg zu sein, den ich nun erläutern
will: Er geht von derselben Voraussetzung aus wie die beiden anderen Wege,
der Einheit und Selbigkeit des einen Gottes, der Gott der Juden, der Christen
und der Muslime ist. Die Behauptung der Existenz dieses Gottes stellt das
Denken vor große, im Grunde unlösbare Probleme, und es kommt alles darauf
an, zu erkennen, dass diese Probleme die monotheistischen Religionen zusammenführen, weil sie eine gemeinsame Aufgabe für diese Glaubensweise
darstellen.
Nirgendwo wird so deutlich wie hier, dass Theologie der Versuch ist, das
4 Viele Argumentationsweisen christlicher Religionstheologie verfallen diesem Verdikt. So hat z. B.
F. Schleiermacher in seinen Lehnsätzen aus der Religionsphilosophie (in: ders., Der christliche
Glaube § 7 – 10 Bd. I, Berlin 1960, 47 – 74), wie ich meine, zu Recht die monotheistischen Religionen besonders hervorgehoben. Seine Höherstellung des Christentums gegenüber Judentum
und Islam vermag aber nicht zu überzeugen (vgl. besonders 63 f).
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Einleitung
13
Undenkbare zu denken, unlösbar und im Grunde überflüssig für die Kinder
der Welt, faszinierend und unaufgebbar für alle, die meinen, die menschliche
Vernunft und das Geheimnis Gottes seien eng miteinander verbunden. Es
wäre an der Zeit, dass die monotheistischen Religionen versuchten, in ihrer
jeweils spezifischen theologischen Orientierung sowohl die Einheit Gottes zu
artikulieren wie auch die religionsübergreifenden Probleme zu benennen, die
sich aus dieser Einheit ergeben. Gerade wer vor der Wand des Unlösbaren
steht, muss sich mit dem Anderen, der dasselbe Schicksal teilt, verbünden. So
kann man sagen, dass das Denken vereint, während die unreflektierte Frömmigkeit, sofern sie sich zum Standpunkt des eigenen partikularen Rechthabens verfestigt, spaltet und schlimme Konsequenzen im Gefolge hat.
Im ersten Kapitel meiner Abhandlung soll es darum gehen, die theologische
Problematik des Monotheismus zu entfalten. Die gemeinsame Aufgabe, die
sich der jüdischen, christlichen und islamischen Theologie stellt, besteht
darin, das Verhältnis von Transzendenz und Offenbarung genauer zu bestimmen. Beide Momente müssen zur Geltung kommen, wenn der Glaube an
den einen Gott, der keine anderen Götter neben sich hat, dargestellt werden
soll. Aber als Momente stehen sie in einem unaufhebbaren, nicht zu überbrückenden Kontrast. Während die Transzendenz die Jenseitigkeit Gottes
betont, die Aussage, dass er keinem anderen Wesen gleich ist, meint die Offenbarung seine Zuwendung zur Welt, eine Zuwendung, die ohne Begrenzung
nicht denkbar ist. Alle monotheistischen Religionen müssen diesen Kontrast
ertragen – sie können weder die Transzendenz Gottes verkleinern, weil die
Rede von der Einheit Gottes sonst nicht ihren definitiven Ausdruck fände, sie
müssen aber gleichermaßen daran festhalten, dass dieser eine Gott sich ihnen
kundgetan hat, weil sonst Glaube und religiöses Leben nicht möglich wäre. Die
Art und Weise, wie das theologische Denken den Gegensatz von Transzendenz
und Offenbarung artikuliert und versucht, Möglichkeiten der Vermittlung
aufzuzeigen, wirft ein Licht auf die Individualität der jeweiligen Religion. Aber
diese spezifische Ausprägung ist nicht so groß, dass nicht das Verbindende der
monotheistischen Problematik dahinter erkennbar wäre, und es kommt alles
darauf an, diese Gemeinsamkeit bewusst zu machen. Gerade die Unlösbarkeit
der Aufgabe zeigt, dass die monotheistischen Religionen nicht am Ziel sind,
sondern sich auf dem Weg befinden – auf dem Weg zu dem einen Gott, den sie
behaupten, aber nur fragmentarisch erkennen können (1. Kor 13,9).
Das erste Kapitel können wir dem Bereich der Fundamentaltheologie zuweisen, weil hier die christliche Religion in einen größeren Zusammenhang
gestellt wird und als spezifische Ausprägung des monotheistischen Glaubens
zur Darstellung kommt. Mit Beginn des zweiten Kapitels steht dann die Entfaltung des christlichen Glaubens im Vordergrund. Dabei soll es zunächst um
eine knappe Charakteristik der Gestalt Jesu von Nazareth gehen. Weil dieser
Mensch als Person Kundgabe des einen Gottes ist, weil er nicht wie ein Prophet
eine Offenbarung überbringt, sondern selbst als Erscheinung des einen Gottes
verstanden werden muss, deshalb darf man nicht von dieser Gestalt abstra-
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14
Einleitung
hieren und sich damit begnügen, das von ihr Mitgeteilte zu bewahren, nein,
man muss sie in die Betrachtungen einbeziehen – ansonsten ginge die Explikation des christlichen Glaubens am Entscheidenden vorbei.
Wie sollen wir aber zu dieser Gestalt einen anderen Weg finden als den Weg
unserer eigenen Projektionen? Wie sollen wir verhindern, dass wir in ihr
unser Bild eines vollkommenen Menschen spiegeln, dass wir die Erscheinung
Gottes in einem Menschen so sehen, wie wir sie gerne hätten, wie sie unserem
Weltbild und den von uns erkannten Notwendigkeiten entspricht?
Die einzige Möglichkeit, diesen Weg der Selbsttäuschung zu vermeiden, ist
die Anwendung der historisch-kritischen Methode. Damit treten wir ein in ein
Reich, das dem Glauben recht fremd zu sein scheint: in das Reich der Wahrscheinlichkeit. Historische Urteile sind Urteile, die unter dem immerwährenden Vorbehalt besserer Erkenntnis, genaueren Wissens und umfassenderer
Einsicht stehen. Der Glaube aber will Gewissheit und lebt von Gewissheit.
Neben dem monotheistischen Dilemma, das die christliche Religion mit Judentum und Islam teilt, eröffnet sich eine zweite spezifisch christliche Aporie:
der unaufhebbare Gegensatz zwischen einer historischen Person, die nur mit
den Resultaten der historischen Forschung beschrieben werden kann, die für
die ständige Revision ihrer Ergebnisse offen sein muss, und der religiösen
Bindung an eben diese Person, die nicht unter Vorbehalt erfolgen kann und
deshalb eine letztgültige Entscheidung fordert.
Ebenso wie das monotheistische Dilemma muss die christliche Theologie
dieses Dilemma, das ausschließlich zu ihr gehört, aushalten; sie darf nicht den
damit verbundenen Problemen entfliehen und sich in eine Scheinwelt begeben, die nur von religiösen Wunschvorstellungen belebt wird. Weil sich für
den christlichen Glauben die Offenbarung Gottes in einem Menschen zentriert, ist es unumgänglich, sich mit den Mitteln historischer Forschung der
Eigenart dieses Menschen zu nähern – alles andere käme einer Verweigerungshaltung gleich, welche die Prägung neuzeitlichen Denkens für unerheblich erklärt.
Die Eigenart Jesu zu beschreiben, ohne auf sein schlimmes Schicksal, den
Tod am Kreuz, einzugehen, wäre ein nutzloses Unterfangen. Hier bündeln sich
alle Fragen, die wir mit dieser Person verbinden, deshalb sollen meine Ausführungen zur Christologie hier ihren Schwerpunkt finden. Dabei stellt die
Tatsache des Kreuzestodes Jesu kein ernsthaftes Problem dar ; an der historischen Faktizität dieses Endes sind keine Zweifel möglich. Im Gegensatz dazu
ist es aber höchst unsicher, wie Jesus selbst seinen eigenen Tod verstanden hat.
Wir werden davon zu reden haben, dass in seiner Verkündigung und seinem Wirken, der Botschaft von der Nähe des Reiches Gottes, die Transzendenz
Gottes von der Offenbarung überholt wird, dass die göttliche Gegenwart so
machtvoll zur Erscheinung kommt, dass die Verborgenheit Gottes in den
Hintergrund rücken muss.
Am Kreuz vollzieht sich der umgekehrte Prozess: Der Gott, dessen Wirken
nicht verstanden wird, umhüllt das irdische Geschehen mit seinem un-
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durchdringlichen Geheimnis, während die befreiende Gegenwart eben dieses
Gottes zu verschwinden droht. In der Polarität beider extrem entgegengesetzter Gotteserfahrungen lässt sich das ganze Leben des Menschen Jesus
beschreiben.
Aber der Mensch Jesus gehört nicht nur zu den Menschen; er gehört auch
zu Gott – an dieser Aussage darf der christliche Glaube nicht vorbeigehen. So
wird der Konflikt zwischen Jesus und Gott zu einem Konflikt in Gott selbst,
und genau dieser Widerspruch bezeichnet den Unterschied der christlichen
Gottesvorstellung von der Gottesvorstellung der anderen monotheistischen
Religionen. Während diese ihren Schwerpunkt darin finden, Gott als ewiges
Sein begreiflich zu machen, kommt die Eigenart der christlichen Perspektive
da in den Blick, wo von einem Werden Gottes die Rede ist. Schon die Behauptung der Inkarnation verliert ihren Sinn, wenn sie nicht mit einer Reflexion über dieses Werden verbunden wird. Der am Kreuz zutage tretende
Konflikt in Gott selbst ist Kulmination und Peripetie dieses Werdens. Der Gott,
der sich in sich selbst entzweit, weil er das Andere, seine Schöpfung, als
Moment seines eigenen Bewusstseins wiederfindet, kann seinen Zwiespalt nur
dadurch überwinden, dass er ein Anderer wird.
Dieses Anders-Werden ist gleichzusetzen mit der Entfaltung des Geistes.
Der Geist ist nicht mehr eine von Gott ausgehende, ihm aber quasi unterstellte
Kraft wie im Judentum oder im Islam, er ist Gott selbst – ein Moment seines
Wesens, das nur als Werden erfasst und beschrieben werden kann. Indem Gott
– in der Auferstehung Jesu – sein Geschöpf in sich zurücknimmt und damit
den Zwiespalt begründet, die Infragestellung seiner selbst, erhöht er auch den
Geist zu einem Moment seines Wesens. Ohne diesen Zwiespalt käme dem Geist
keine Gleichrangigkeit zu, ohne ihn bliebe er jene untergeordnete Kraft, die
Gott in seinen Dienst nimmt, um auf der Erde zu wirken. So aber, in der
Entzweiung des Kreuzes, ist der Geist ebenso Moment des einen Gottes wie
Jesus Christus, den er in seine Ewigkeit hineingenommen hat. Seine Erhöhung
folgt aus der Erhöhung von Jesus selbst, weil die Diskrepanz von Schöpfer und
Geschöpf nur überwunden werden kann, wenn Gott in einem Moment seines
Wesens diese Überwindung bewirkt.
Im Geschehen von Kreuz und Auferstehung widerspricht sich Gott selbst –
nur er selbst kann diesen Widerspruch lösen, indem er als Geist die Kluft
zwischen ihm und der von ihm geschaffenen Welt beseitigt. Die Überwindung
der von mir bezeichneten Diskrepanz ist kein Heilsereignis, auf das die
Christenheit zurückzublicken vermag, sie ist Ausdruck christlicher Hoffnung,
die sich erst am Ende der Zeit erfüllen wird. Deshalb mündet der christologische Teil meiner Darlegungen in die Eschatologie ein, die das Werden Gottes
als das Wirklichwerden des Geistes beschreibt. Diese Realisation des Geistes
ist kein momentanes Ereignis, sondern der Prozess, in dem das Werden Gottes
und das Werden der Welt zusammenfinden. Erst wenn Gott alles in allem ist,
wird die Diskrepanz von Schöpfer und Geschöpf beseitigt sein.
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Einleitung
Die christliche Rede von einem Werden Gottes nötigt uns nun auch dazu,
von der Gemeinschaft der Glaubenden als einer Kirche zu reden.
Die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus ist nicht einfach als ein abgeschlossenes Ereignis zu betrachten, auf das der Glaubende zurückblicken
kann, sie verlangt eine permanente Vergegenwärtigung und Aktualisierung,
und damit sprechen wir nicht nur den Auftrag, sondern zugleich das Wesen
der Kirche an.
Als Leib Christi demonstriert sie die Unumkehrbarkeit der Aussage, dass
Gott die Leiblichkeit für sich gewonnen hat, um sie nie wieder preiszugeben.
Ihr Wesen bedarf der Verifikation, wenn es nicht einem nebulösen Mystizismus anheim fallen soll. Diese Verifikation ist die Wahrnehmung ihres Auftrages, das Sakrament der Eucharistie zu vollziehen. Indem Gott seine Leiblichkeit allen Glaubenden zum Geschenk macht, bewirkt er die Mitteilung des
Heils an jeden einzelnen Menschen. Er bewirkt sie, indem er Personen beruft,
deren primäre Aufgabe darin besteht, das Sakrament des Abendmahls zu
feiern.
Deshalb erhält dieses Sakrament eine Sonderstellung, die uns dazu veranlasst, es terminologisch von allen anderen sakramentalen Handlungen zu
unterscheiden. Und auch die Person, die dazu beauftragt wird, diese sakramentale Feier zu leiten, ist als Träger des einen Amtes unterschieden von allen
anderen Ämtern und Diensten, die prinzipiell von ihr wahrgenommen werden
können, aber vor allem der aus dem allgemeinen Priestertum resultierenden
Vielfalt der Charismen aufgegeben sind.
Im einen Sakrament des Abendmahls werden wir uns immer wieder des
Geheimnisses des göttlichen Werdens bewusst. In den davon zu unterscheidenden sakramentalen Handlungen steht demgegenüber das Werden des
Menschen im Vordergrund.
Meine Ausführungen wollen einen Beitrag dazu leisten, den, wie ich meine,
unfruchtbaren und aufgrund der Ergebnisse der historisch-kritischen Forschung überholten Streit um die Zahl der Sakramente zu überwinden. Deshalb
sollten nicht nur die Taufe, sondern auch die Firmung bzw. die Konfirmation,
die Ordination und die Eheschließung als sakramentale Handlungen verstanden werden.
Es ist auch für den Protestantismus wichtig, die sakramentale Dimension
der Kirche zu beachten, weil ohne sie nicht deutlich werden kann, was die
Verwirklichung Gottes eigentlich bedeutet. Die Sakramentalität führt uns
sozusagen in den inneren Bezirk, in dem die Gläubigen das Mysterium der
Menschwerdung erfahren.
Der Verleiblichung Gottes entspricht aber die Vergeistigung der Welt. So
wie sich die Kirche auf der einen Seite nach innen zurückzieht, um in der Stille
wahrzunehmen, was im Geschehen der Inkarnation den Menschen mitgeteilt
wird, muss sie sich auf der anderen Seite der Welt öffnen, wenn sie die Rede
vom Geist als Moment des göttlichen Wesens glaubwürdig machen soll. Denn
der Geist steht ihr nicht zur Verfügung, er kann wirken, wo er will, und sich
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auch in anderen Kulturen, Religionen und Weltanschauungen manifestieren.
Die Kirche sollte diese prinzipielle Unbegrenztheit des Geistes nicht als Begrenzung ihres eigenen Soseins empfinden, sondern darauf hoffen, dass die
Vergeistigung der Welt in eine Vollkommenheit mündet, wo man ihrer nicht
mehr bedarf. Gott als Geist begründet die Konstitution der Kirche, er weist
aber zugleich auf ihr Ende hin.
So wichtig die sakramentale Dimension für die Kirche ist, so verfehlt wäre
es doch, ihr Wirken auf diesen Bereich zu beschränken. Dabei will ich in
diesem Zusammenhang von den vielfältigen Aktivitäten absehen, die ihr
aufgetragen sind, um den Menschen zu dienen: in der sozialen Arbeit, in der
Seelsorge, um hier nur wenige Wege zu nennen. Es geht primär um die Vermittlung des Heils, die nicht ausschließlich als sakramentale Vermittlung
verstanden werden darf. Neben dieser Vermittlung steht das Wortgeschehen,
dass den Menschen in einen anderen Zustand seiner selbst versetzt. Genauer
gesagt handelt es sich um das der Kirche aufgetragene befreiende Wort, das
den Christen im Unterschied zur Belehrung und zur Ermahnung von allen
Zwängen losspricht und ihm selbst die Bestimmung des persönlich verantworteten Glaubens überträgt.
Dieses befreiende Wort verdichtet sich in der Zusage der Vergebung der
Sünden, die man sich nicht selbst gewähren kann, sondern von Anderen
empfangen muss. Damit gehen wir von den sakramentalen Handlungen über
zu den Weisen des wirkenden Wortes, wobei ich in diesem Zusammenhang
zwei Vollzüge, die Buße und den Segen, behandeln möchte.
Es hat, wie zu zeigen sein wird, keinen Sinn, die Buße mit der sakramentalen
Dimension der Kirche in Verbindung zu bringen. Auf der anderen Seite muss
dem Segen als einer spezifischen Form des Wortgeschehens eine größere
Bedeutung zugewiesen werden, als es in dogmatischen Entwürfen im Allgemeinen der Fall ist. Deshalb sollen Darlegungen über diese Sprachform am
Ende dieser Abhandlung stehen.
Aus christlicher Sicht erschließt sich die Bedeutung des Segens nur dann,
wenn er trinitarisch verstanden wird. In ihm schließen sich Anfang und Ende,
Schöpfung und Vollendung zusammen. Die Vollendung ist nicht nur das Ende
der Welt, sie ist zugleich Ziel des göttlichen Werdens. Das Ziel ist Gott als Geist,
der die Leiblichkeit in sich aufnimmt und bewahrt. Der Geist ist die Zukunft
Gottes, auch wenn er schon jetzt Moment seines Wesens ist. Wenn die Kirche
von der Hoffnung auf diese Zukunft beseelt ist, erfährt sie das Wirken des
Geistes in der Gegenwart.
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I. Offenbarung und Transzendenz –
Die monotheistischen Religionen
1. Was ist Offenbarung?
Fasst man den Begriff der Offenbarung weit genug, dann lässt er sich mit jeder
Religion verbinden. Denn in jeder Religion ist vom Göttlichen die Rede. Es
fragt sich aber, ob sich nicht die Vielfalt der Religionen besser erschließt, wenn
wir uns um eine Profilierung des Offenbarungsbegriffes bemühen. Versteht
man unter Offenbarung die übernatürliche Mitteilung eines jenseitigen, numinosen Urhebers, der den Menschen etwas kundtun will, was sie unter keinen Umständen von sich aus wissen oder erkennen können, dann wird der
Kreis der Religionen, die dieser Bestimmung entsprechen, enger. So gesehen
darf zwar der Buddhismus nach wie vor als Religion bezeichnet werden; er
lässt sich aber nicht auf eine Offenbarung zurückführen. Die Erleuchtung, die
Buddha zuteil wurde und die ihn zur Gründung einer neuen religiösen Gemeinschaft veranlasste, ist nicht die von einem Autor ausgehende Mitteilung
einer übernatürlichen Wahrheit, sondern eine in einem einmaligen Vorgang
geschenkte Erkenntnis, die, einmal ausgesprochen, nach Meinung der Buddhisten von allen Menschen nachvollzogen werden kann.
Wenn wir in unserer Bestimmung des Offenbarungsbegriffes das Moment
des Übernatürlichen betonen, sehen wir uns zu einer weiteren Einschränkung
veranlasst: All das, was die altprotestantische Orthodoxie oder von ihr beeinflusste theologische Konzeptionen mit Begriffen wie natürliche Offenbarung, allgemeine Offenbarung, Schöpfungsoffenbarung, Uroffenbarung usw.
zu erfassen suchte, sollte besser in einer anderen Terminologie zum Ausdruck
gebracht werden. Denn auch hier gilt die in ihrer Berechtigung nicht zu diskutierende Auffassung, dass prinzipiell jedem Menschen eine Erkenntnis des
jenseitigen Schöpfergottes möglich ist, auch wenn die faktische Disposition,
etwa die den Menschen charakterisierende Sündhaftigkeit, einen natürlichen
Zugang zu diesem Gott nicht erlaubt.
So handelt es sich bei der Offenbarung um die übernatürliche Mitteilung
eines transzendenten Numens, das den Menschen etwas sagt, was sie von sich
aus niemals wissen können. Wie kann dieses transzendente Numen aber gedacht werden? Ohne Zweifel haben wir hier an ein fest umrissenes Gegenüber
zu denken, ein personal bestimmtes Wesen, das sich durch einen formulier-
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Die monotheistischen Religionen
baren Willen kennzeichnen lässt.1 Damit können wir Phänomene der religiösen Vorstellungswelt aus unseren Betrachtungen ausschließen, die zwar
einen übernatürlichen Ursprung behaupten, aber diesen zugunsten der heiligen Schriften völlig zurücktreten lassen, so dass nur noch das in ihnen
aufbewahrte, absolute Wissen interessiert, aber nicht mehr die „Gestalten“,
die sich hinter ihm verbergen.2 Der Urheber der Offenbarung muss einbezogen sein in das Offenbarungsgeschehen; nur in der Dreiheit, die den Offenbarer, die Offenbarung und den jeweils angesprochenen Menschen umschließt, gewinnen wir die Prägnanz, die diesem Begriff zukommen muss.
2. Offenbarung und Polytheismus
Fragt man, welchen Formen der Religiosität diese Bestimmung des Offenbarungsbegriffes entspricht, dann wird man zunächst an Ausprägungen eines
polytheistischen Glaubens denken, der sich zu einem Henotheismus, also zur
Forderung, nur einen Gott zu verehren, verdichten mag. In beiden Fällen wird
die Existenz anderer göttlicher Wesen nicht bestritten, auch wenn die Überlegenheit und ausschließliche Verehrungswürdigkeit des Einen außer Frage
steht. In diesem polytheistischen bzw. henotheistischen Rahmen ist die Begrenzung, deren das fest umrissene Gegenüber, von dem wir sprachen, bedarf,
selbstverständlich gegeben. Gott ist der eine Gott im Gegensatz zu anderen
Göttern, die zwar auch da sind, aber nicht unbedingt für den Gläubigen von
Bedeutung sein müssen. Der polytheistische bzw. henotheistische Gott ist ein
begrenzter Gott, und gerade in dieser Begrenzung kann er ohne jedes Problem
Subjekt einer möglicherweise ergehenden Offenbarung sein.
Es geht mir nicht darum, dieses Phänomen mit einer Vielzahl möglicher
Beispiele aus der Religionsgeschichte zu belegen. Ich will mich auf ein Dokument beschränken, das im Stand eines naiven Bewusstseins vielleicht als
durchgehendes Plädoyer für einen strengen Monotheismus verstanden werden könnte, in Wirklichkeit aber in seinen ältesten Schichten polytheistische
bzw. henotheistische Ausprägungen erkennen lässt, die Rede ist vom von uns
so genannten Alten Testament. Die Geschichte Israels ist eben nicht die Geschichte eines von Anfang an feststehenden, selbstverständlich geglaubten
Monotheismus, sie stößt zu diesem erst im Laufe einer langen, Jahrhunderte
währenden Entwicklung vor, die erst in der Prophetie ihren Abschluss und
ihre bleibende Erkenntnis findet.3 Weder der „Gott der Väter“ noch der mit
1 Damit soll nicht gesagt sein, dass der Begriff der Person in allen monotheistischen Religionen
eine besondere Bedeutung hat. Letztlich gilt das nur für die christliche Religion.
2 Beispielsweise sei auf die Verehrung hingewiesen, welche die Veden in der indischen Religiosität
genießen.
3 Vgl. F. Stolz, Einführung in den biblischen Monotheismus, Darmstadt 1996.
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