CVP und BDP ergänzen sich optimal

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Will die CVP erstarken, muss sie mit der BDP eine Union bilden, sagt
Historiker Urs Altermatt in seinem neuen Buch "Das historische
Dilemma der CVP". Die Bundesrätinnen Doris Leuthard (CVP) und Eveline
Widmer-Schlumpf sieht er in einer Schlüsselrolle.
INTERVIEW KARI KÄLIN
[email protected]
Urs Altermatt*, die CVP feiert dieses Jahr ihr 100-jähriges Jubiläum als nationale Partei. Braucht es
heute noch eine „christliche Partei“?
Urs Altermatt: Das Wort christlich musste bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts für alles Mögliche und
Unmögliche herhalten. Wortkombinationen wie „christliche Schule“ oder „christliche Parteien“
waren weit verbreitet. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, also seit der Mitte der 1960er Jahre,
sind diese Begriffe weitgehend aus dem Vokabular der Katholiken verschwunden. Schon 1970 haben
die Parteispitzen der CVP erklärt, die CVP mache keine christliche Politik. In der Tat ist die CVP ja eine
juristische Person, die weder in den Himmel noch in die Hölle kommt, wie schon Generalsekretär Urs
Reinhardt sagte.
Das "C" ist für die CVP also ein Kreuz?
Altermatt: In der Tat diskutieren die Christlichdemokraten seit mehr als hundert Jahren darüber,
welchen Stellenwert das C (=christlich) oder früher das K (=katholisch) in ihrer Identität hat. Um
diese historische Frage dreht sich auch mein neues Buch. Vom Ende des 19. Jahrhunderts bis 1970
ist die CVP in einem Jahrzehnte langen Prozess von ihrem traditionellen Namen „katholischkonservativ“, populär kk, abgerückt. 1970 hat sich die damalige „Konservativ-Christlichsoziale
Volkspartei den Namen „christlichdemokratisch“ gegeben und ihr zweites K(diesmal für konservativ)
im Namen aufgegeben.
Mit Erfolg?
Altermatt: Programmatisch sicher ja, wählermässig mit bescheidenem Erfolg. Aber immerhin sind die
Verluste der beiden Traditionsparteien CVP und FDP gleich. Trotz der Änderungen in Namen und
Programmatik behielt die CVP den Nimbus einer katholischen Partei. Es sieht so aus, dass
Parteiferne das "C" als "catholisch" deuten. Darin besteht das grosse Dilemma der CVP. Die Partei
löste sich nach dem Vatikanischen Konzil ideologisch und institutionell von der Verbindung mit der
katholischen Kirche und dem Katholizismus, blieb aber weitgehend im katholischen Ghetto stecken.
Das heisst?
Altermatt: Gemäss den Selects-Wahlanalysen wählte Mitte der 1990er Jahre ein Drittel aller
Katholiken CVP, heute sind es noch ein Viertel. Bei den Protestanten verharrt der Wähleranteil bei
rund fünf Prozent, gleich ist er ungefähr bei den Konfessionslosen und den Anhängern anderer
Religionen. Von allen CVP-Wählern sind rund 15 Prozent Nicht-Katholiken. Die Partei hat sich
ideologisch entkonfessionalisiert, ja säkularisiert, aber im kollektiven Gedächtnis der Öffentlichkeit ist
sie eine „Katholikenpartei“ geblieben. 1970 strebte sie an, den konfessionellen Graben zu
überspringen und Wähler im Lager der Protestanten und der wachsenden Schicht der
Konfessionslosen zu gewinnen. In der Schweiz verändern sich Mentalitäten langsam.
Das „C“ ist also nur noch ein Etikett, das als integratives, emotionales Bindemittel dient?
Altermatt: Ja und nein. Viele betrachten das „C“ nach wie vor als „Seele“ der CVP. Das ist nicht
falsch, denn für sie ist das C Anspruch und Wertekanon. Ich gewinne aber den Eindruck, dass sich
das "C" zunehmend historisiert und als Erinnerungsstück zur Selbstvergewisserung dient. Meine
These lautet, dass sich die CVP auf einem langen, mühsamen Weg von der katholischen Milieu- zur
Wertepartei befindet – was sie übrigens selber sagt.
Ich beobachte ähnliche Tendenzen bei den andern Traditionsparteien. Die SP lebt zuweilen vom
Mythos der Arbeiterbewegung, obwohl kaum mehr Arbeiter im blauen Kittel sozialdemokratisch
wählen.
Die CVP büsste in den Stammlanden massiv an Wählern ein. Weshalb?
Altermatt: Hier kommt ein Zweites hinzu. 1970 nahm die CVP Abschied vom Wort „konservativ“ im
Namen und Programm, das hat viele Stammwähler auf dem Land enttäuscht. Nach dem Fall des
Eisernen Vorhangs hat die Dynamik der Europapolitik zum Dammbruch geführt. Verärgert über den
europapolitischen Kurs der CVP-Elite, sind die katholisch-konservativen Superpatrioten zur SVP
hinübergelaufen. Die EWR-Abstimmung von 1992 war für die CVP eine Art von Marignano , um
dieses Bild zu gebrauchen.
Die CVP hat in den letzten 40 Jahren stetig an Wähleranteil eingebüsst und 2003 auch den zweiten
Bundesratssitz verloren. Droht die Partei in die Bedeutungslosigkeit abzugleiten?
Altermatt: Sicher nicht, aber es ist nicht zu bestreiten, dass der Verlust des zweiten Sitzes von Ruth
Metzler im Jahr 2003 wirklich eine Zäsur darstellt. Die FDP hat in der gleichen Zeit ungefähr gleich
viel Wähleranteil verloren, konnte aber ihren zweiten Sitz halten. 2003 war insofern eine historische
Niederlage für die CVP, weil sie in der Landesregierung an Gewicht und einen Teil ihrer
Scharnierfunktion zwischen links und rechts verloren hat. Die CVP ist 2003 auf den Zustand von 1891
zurückgefallen, als sie mit dem Luzerner Josef Zemp zum ersten Mal einen christlichdemokratischen
Sitz eroberten. 1919 kam ein zweiter hinzu.
Was bedeutet dies für die CVP?
Altermatt: Als christlichdemokratische Partei ist die CVP für die helvetische Konkordanz ein
Scharnier, ohne das die Politik sich noch mehr polarisiert. Ich komme nochmals auf das Bild von
Marignano zurück. Das war für die Eidgenossenschaft der Anfang einer neuen Strategie, auch die
CVP braucht einen Aufbruch zu neuen Ufern. Der Rückzug in ihre traditionellen Hochburgen der
alten Sonderbundkantone, also der Innerschweiz sowie des Wallis und Freiburgs, wäre falsch, dann
droht sie zu einer Regionalpartei à la CSU mit einigen Aussenposten wie zum Beispiel in St.Gallen,
Solothurn oder Jura herabzusinken. Übrigens hielt sich die Partei mit Ausnahme der Grossstädte
Zürich, Bern und Lausanne gerade in Agglomerationen von St. Gallen bis Solothurn verhältnismässig
gut.
Die Parteienlandschaft befindet sich in einem tiefgreifenden, noch nicht abgeschlossenen Umbruch,
gerade in der Mitte. Was muss die CVP tun, damit sie als Player in der „neuen Mitte“ wieder
erstarkt?
Altermatt: Der CVP als klassischer Mittepartei kommt eine wegweisende Funktion als
Brückenbauerin bei der Regruppierung der Mitte zu. Sie bleibt die typische Koalitionspartnerin, die
einmal mit links und dann wieder mit rechts zusammenspannt. Eine Funktion, die in einer Zeit der
zunehmenden Polarisierung der CVP Profil kostete – was von den Wählern nicht honoriert wurde.
Wie kann die Mitte mehr politisches Gewicht erlangen?
Altermatt: Eine Union der CVP mit der BDP würde die Mitte stärken. Die beiden Parteien ergänzen
sich in der politischen Parteienlandschaft gegenseitig. Sie besitzen fast kompensatorische Stärken
und Schwächen. CVP ist stark in den katholischen Stammlanden, die BDP in den reformierten
Gegenden wie Bern. Beide Parteien haben eine ähnliche Sozialstruktur mit einer starken
Verankerung in den Dörfern und Städten der ländlichen Schweiz. Sie stützen sich auf Hochburgen, in
denen sie einen soliden Rückhalt in Regierung und Beamtenschaft haben.
Die CVP und die BDP sprachen sich letztes Jahr gegen eine Fusion aus – unter anderem aus Furcht vor
Reaktionen aus der Basis. Sie plädieren dennoch für eine Fusion?
Altermatt: Nach den Nationalrats- und Bundesratswahlen 2011 sind die Fusionspläne tatsächlich in
sich zusammengebrochen. In meinem Buch schlage ich deshalb eine Union von CVP und BDP nach
dem Vorbild der CDU/CSU vor. Damit meine ich eine engere Zusammenarbeit, eine Allianz der beiden
Parteien mit einer gemeinsamen Wahlplattform, mitkonsequent durchgeführten Listenverbindungen
und einer gemeinsamen programmatischen Politik. Ich meine ganz sicher nicht, dass die grössere
CVP die kleinere BDP annektieren soll.
Wie soll diese Partei heissen?
Altermatt: Bei einer Union gäbe es in einem ersten Schritt einen Schrägstrich, also CVP/BDP. Wenn
die beiden Parteien den Mut zu einer Fusion aufbringen, müsste man eine Partei mit einem neuen
Parteinamen schaffen. Ich könnte mir Zentrumspartei der Schweiz (ZPS), mit oder ohne Beiwort wie
"bürgerlich", vorstellen.
Was wäre besser?
Altermatt: Realistisch gesehen braucht es den Zwischenschritt einer Union. Eine unverbindliche
Zusammenarbeit, wie sie die CVP und BDP nach den Wahlen 2011 verkündeten, genügt nicht. Schon
in der jetzigen Legislatur müssten die Pläne für eine Union aufs Gleis gebracht werden, damit sie für
die Wahlen 2015 steht.
Kann die CVP damit wieder zwei Bundesratssitze erobern?
Altermatt: Das ist nicht der Zweck der Union. Ihr Zweck muss lauten, genügend Wahlprozente zu
erreichen, um eine Zweiervertretung im Bundesrat zu realisieren. Das setzt aber ein Gentlemen'sAgreement voraus. Die mögliche Zweiervertretung müsste paritätisch auf CVP und BDP verteilt
werden. Als Historiker weiss ich, dass es immer Bundesratswahlen waren, die Veränderungen in der
politischen Landschaft voranbrachten.
Faktisch hat die CVP das bereits vorexerziert, in dem sie im Dezember 2011 BDP-Bundesrätin Eveline
Widmer-Schlumpf wählte.
Altermatt: Das stimmt. Aber diese Vorleistung läuft mit dem Rücktritt von Eveline Widmer- Schlumpf
aus. Ich meine, dass ohne die Union die BDP beim Rücktritt der Bündner Bundesrätin die BDP aus
Gründen des Proporzes den Anspruch auf ihren Bundesratssitz verlieren könnte. Ohne Union wird
die CVP – so höre ich - keinen BDP-Bundesrat mehr wählen.
Könnten Doris Leuthard (CVP) und Eveline Widmer-Schlumpf (BDP) den Unionsprozess
beschleunigen?
Altermatt: Fusionen müssen immer von der Elite geplant und projektiert werden und dann den
Wählern schmackhaft gemacht werden. Das sind keine Sandkastenübungen. Das erfordert visionäre
und strategisch denkende Führungspersönlichkeiten, die in der eigenen Partei Autorität und
Vertrauen besitzen und als Vermittlungspersonen die Sensibilitäten des Partners kennen. Wenn man
die Rolle der Bundesräte im Parteiengetriebe kennt, sind die beiden Bundesrätinnen Eveline
Widmer-Schlumpf und Doris Leuthard als Identifikationsfiguren ihrer Parteien Schlüsselfiguren. Sie
können eine Union vorleben.
Dem Vernehmen nach ist Leuthard nicht glücklich über die Widmer-Schlumpfs Pläne für eine
ökologische Steuerreform.
Altermatt: Eine Union vorleben bedeutet nicht, dass die beiden Bundesrätinnen immer gleicher
Meinung sein müssen. Das waren auch die CVP-Bundesräte nicht immer. Arnold Koller und Flavio
Cotti waren zum Beispiel in der Europafrage nicht gleicher Meinung. Es braucht aber eine gewisse,
sichtbare Solidarität, die eine Union vermitteln könnte.
Nehmen wir an, die Parteistrategen setzen ihre Ideen in die Realität um. Wie sollen Sie die Basis
beruhigen, weil zum Beispiel Innerschweizer Katholiken nichts von Berner Protestanten wissen
wollen.
Altermatt: Gerade die Gründung der CVP, die eine 50-jährige Vorgeschichte hat, zeigt, dass die
Parteielite viel Fingerspitzengefühl zeigen und Aufklärungsarbeit leisten muss. Mentalitäten ändern
sich langsamer als Strukturen. Ich glaube aber, dass sich die Mitte erstens neu formieren muss, wenn
sie ihre bisherig starke Rolle in der eidgenössischen Politik behalten und nicht marginalisiert werden
will. Der CVP und der BDP eröffnet sich in der „neuen Mitte“ die Chance für einen Neuanfang. In
Abwandlung eines bekannten Satzes lässt sich sagen, wer die Zeichen der Zeit nicht erkennt, den
bestraft die Zukunft.
Weshalb soll die CVP mit der BDP und nicht mit der FDP fusionieren?
Altermatt: Auf dem Papier wäre eine Fusion der CVP mit der FDP, wie sie übrigens alt Bundesrat
Pascal Couchepin schon einmal gefordert hat, durchaus denkbar. Bei FDP und CVP handelt es sich
aber um die historischen Traditionsparteien, die seit 1848 tief in ihren Kantonen verankert sind. Eine
Fusion zwischen der FDP und CVP würde die Parteilandschaften in den Kantonen völlig umpflügen,
käme quasi einer Revolution gleich. Der Leidensdruck für eine Fusion von CVP und FDP ist – noch nicht genug gross.
*Urs Altermatt (70) ist emeritierter Professor für Zeitgeschichte an der Universität Freiburg.
Altermatt befasst sich mit Parteienforschung und ist Herausgeber des Bundesratslexikons. Sein
jüngstes Buch, „Das historische Dilemma der CVP“, ist in diesen Tagen im Verlag „Hier + Jetzt“
erschienen.
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