Kollektoren von der Baubranche aus neu denken

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Der Wissenschaftler Dr. Michael Hermann und der Fassadenexperte
Paul-Rouven Denz arbeiten gemeinsam an neuartigen thermoaktiven
Bauteilsystemen, die sich als solaraktive Elemente architektonisch und
technisch in Gebäude integrieren lassen.
© Johannes Lang, BINE Informationsdienst
BINE-Interview zu solarthermischen Fassadenkollektoren
09.11.2015
„Kollektoren von der Baubranche aus neu denken“
Neue Ansätze für die Fassadenintegration: Der
teiltransparente Fassadenkollektor
COLOMBRA wurde in dem Forschungsprojekt
„Cost-effective“ entwickelt.
© Fraunhofer ISE
Mit dem Trend zu Null- und Plusenergiegebäuden wird auch die
regenerative Energiegewinnung auf Dächern und in Fassaden
bedeutsamer. In dem Forschungsprojekt TABSOLAR wurden neuartige
thermoaktive Bauteilsysteme entwickelt, die sich für die industrielle
Vorfertigung eignen und vielseitig einsetzbar sind. Mit diesem Konzept
sollen solaraktive Fassaden ermöglicht werden, die sich vollständig in
Fassaden- und Gebäudeenergiesysteme integrieren lassen. BINE
Informationsdienst sprach mit dem Wissenschaftler Dr. Michael Hermann
und dem Architekten Paul-Rouven Denz über die Perspektiven von
thermoaktiven Bauteilsystemen und Fassadenkollektoren.
BINE Informationsdienst: Sind neben Dächern auch Gebäudefassaden
gut geeignet als solaraktive Flächen?
Dr. Michael Hermann: Fassaden sind gut für die Solarnutzung geeignet,
wenn auch mit besonderen Randbedingungen und Herausforderungen.
Wenn wir Dach und Fassade vergleichen, sollte man zwischen theoretisch
möglichem und in der konkreten Anwendung tatsächlich nutzbarem
Thermoaktive Bauteilsysteme in industrieller
Vorfertigung: TABSOLAR-Elemente aus
Solarertrag unterscheiden. Ja, auf dem Dach gibt es die höheren Erträge.
UHPC-Beton im Schnitt.
Doch nicht jede erzeugte Kilowattstunde Wärme oder Strom ist nutzbar –
© G.tecz
beispielweise in Phasen geringen Energiebedarfs, bei fehlender Speichermöglichkeit oder fehlendem Netz.
Thermische Fassadenkollektoren sind vor allem vorteilhaft, wenn hohe solare Deckungsraten erreicht werden
sollen, beispielsweise in Solaraktivhäusern. Denn sie können die niedrig stehende Wintersonne besser nutzen als
Dachkollektoren. Und somit treten im Sommer weniger Wärmeüberschüsse auf, was für die Solaranlage ebenfalls
von Vorteil ist.
Paul-Rouven Denz: Die Betrachtung hängt auch stark vom Projekt ab. So ist bei einem Hochhaus die
Dachfläche im Verhältnis zur Nutzfläche bzw. zur Fassade so gering, dass die Dächer als solaraktive Fläche nicht
ausreichen. Wir sehen daher ein großes Potenzial und auch die Notwendigkeit einer Integration von solaraktiven
Elementen in die Fassade. In unserem Projektgeschäft merken wir außerdem, dass die Unterscheidung zwischen
Dach und Fassade immer mehr an Bedeutung verliert. Wir entwickeln daher Lösungen für die Gebäudehülle, also
ausreichen. Wir sehen daher ein großes Potenzial und auch die Notwendigkeit einer Integration von solaraktiven
Elementen in die Fassade. In unserem Projektgeschäft merken wir außerdem, dass die Unterscheidung zwischen
Dach und Fassade immer mehr an Bedeutung verliert. Wir entwickeln daher Lösungen für die Gebäudehülle, also
für vertikale, schräge und horizontale Flächen.
Aber hat unter diesen Vorzeichen nicht die Photovoltaik bessere Aussichten als solaraktives Element der
Gebäudehülle? Warum sollen sich Architekten und Investoren für Solarkollektoren entscheiden?
Hermann: Gebäude benötigen zumeist Strom und Wärme. Insofern ergeben beide Technologien Sinn. Gerade
bei mehrgeschossigen Gebäuden wird die Kombination interessant: Photovoltaik kann auf dem Dach hohe
Sommererträge liefern, während die Solarthermie an der Fassade im Herbst und Winter noch gute Beiträge zur
Gebäudebeheizung leisten kann. Gleichwohl steht die Solarthermie bei den drastisch gesunkenen Preisen der
Photovoltaik mit dieser tatsächlich im Wettbewerb, beispielsweise bei mit Solarstrom angetriebenen
Wärmepumpen.
Aber technologieübergreifend gilt, dass bauwerkintegrierte, speziell fassadenintegrierte Solarkonzepte eine
wesentlich höhere architektonische Relevanz haben als klassische Kollektoren, die auf dem Dach montiert sind.
Dadurch ergeben sich für die Photovoltaik ebenso wie für die Solarthermie neue technologische
Herausforderungen – und mit innovativen Produkten auch neue Chancen.
Ganzheitliche Lösungen schaffen gestalterischen und wirtschaftlichen Spielraum
Warum gibt es bislang so wenige Solarkollektoren in Gebäudefassaden?
Hermann: Diese Frage wurde in dem Forschungsprojekt Aktifas untersucht. Als wichtige Hemmnisse wurden
deutliche Wissensdefizite aller involvierten Akteure sowie eine vermeintlich fehlende Wirtschaftlichkeit
identifiziert. Wenn der Bau einer guten solarthermischen Fassade nur von wenigen, gut informierten Spezialisten
realisiert werden kann, bleibt die Marktdurchdringung verständlicherweise auf der Strecke. Weiter wurde
festgestellt, dass fassadenintegrierte Solarthermie-Konzepte aufgrund ihrer Multifunktionalität zu deutlichen
Kostenvorteilen führen können. Zudem fordern die Autoren der Studie neue Kollektorkonzepte.
Denz: Beim Thema Wirtschaftlichkeit sehen wir ein grundlegendes Problem: Wie sollen fassadenintegrierte
Kollektoren im Planungs- und Entscheidungsprozess ökonomisch bewertet werden? Fassadenkollektoren
werden oft als zusätzliche Maßnahmen für die Fassade gesehen und konkurrieren vor allem mit anderen
Wärmesystemen anstatt mit alternativen Fassadenlösungen. Weil die Fassade das „Gesicht“ des Gebäudes
darstellt, erfordert jedes Projekt eine individuelle Lösung. Sie muss den Randbedingungen des Bauvorhabens,
dem Gesamtkonzept des Architekten und den Wünschen des Bauherrn entsprechen. Ganzheitliche Lösungen
schaffen den notwendigen gestalterischen Spielraum, wie das auch mit Fassadenkollektoren möglich ist. Die
Kollektoren sollten in der Planung nicht allein vom Heizsystem oder der Kollektortechnik aus gedacht werden. Sie
müssen auch die besonderen Anforderungen der Fassade berücksichtigen.
Das ist bislang offensichtlich nicht der Fall.
Hermann: Es gibt durchaus schon einige architektonisch sehr gelungene, ins Bauwerk integrierte
Solarthermie-Anlagen. Allerdings wird dabei die klassische Kollektor-Bauweise weitgehend übernommen. Sie
wird etwas angepasst, um die von den Architekten gewünschte Flexibilität zumindest teilweise zu erreichen.
Denken Sie nur an dreieckige Kollektoren, welche die Form eines Walmdachs oder eines Giebels übernehmen.
Der Kollektor bleibt dabei primär eine Komponente des Heizsystems, die an das Gebäude adaptiert wird.
Der Solarkollektor als Fassadensystem
Und wie soll sich das ändern?
Hermann: Wir sehen große Chancen darin, den Kollektor von der Baubranche aus neu zu denken. Man muss
dazu zunächst die Wünsche und Sprache der Architekten verstehen, ebenso die Bauabläufe, die
Vertriebskonzepte und vieles mehr. Nur auf diese Weise kann man einen neuartigen Kollektor entwickeln, der von
der Baubranche auch akzeptiert und eingesetzt wird. Dies kann nur in einem interdisziplinären
Produktentwicklungsprozess von Heizungs-, Solarthermie- und Baubranche funktionieren.
Denz: Ein nach diesen Prinzipien entwickelter Fassadenkollektor schafft auch eine neue Diskussionsgrundlage
im Planungsprozess: Er steht jetzt weniger für eine Heiztechnik, sondern für ein Fassadensystem und wird
deshalb mit alternativen Fassadenmaterialien und -systemen verglichen. So kann bereits zu einem früheren
Ein nach diesen Prinzipien entwickelter Fassadenkollektor schafft auch eine neue Diskussionsgrundlage
im Planungsprozess: Er steht jetzt weniger für eine Heiztechnik, sondern für ein Fassadensystem und wird
deshalb mit alternativen Fassadenmaterialien und -systemen verglichen. So kann bereits zu einem früheren
Zeitpunkt, nämlich im Entwurfsprozess, die Entscheidung für Fassadenkollektoren fallen. Das ist eine echte
Chance. Auch für die Kostendiskussion zeigt sich dann eine andere Ausgangssituation: Beispielsweise ist jetzt
die vorgehängte Natursteinfassade sehr kostenintensiv – jedoch ohne den solaren Mehrwert einer
Kollektorfassade!
Erforschen Sie solche integralen Lösungen?
Hermann: Ja, in der Tat haben wir gemeinsam mit Projektpartnern aus der Industrie und Fachplanung schon
verschiedene Forschungsprojekte dazu durchgeführt. Weitere werden in den nächsten Monaten starten. So
wurden in dem EU-Projekt Cost-effective verschiedene bauwerkintegrierte Solarkonzepte für Hochhäuser
entwickelt und an Demonstrationsgebäuden realisiert, darunter ein teiltransparenter Kollektor, neuartige
Vakuumröhren-Luftkollektoren oder ein im Putz integrierter Fassadenkollektor. Bei dem teiltransparenten
Kollektor ist der Absorber durch Ausbiegen von schmalen Lamellen derart gestaltet, dass eine Durchsicht schräg
nach unten möglich ist und gleichzeitig die Sonne von oben in einem günstigen Winkel auf die Lamellen auftrifft.
Somit ergibt sich ein multifunktionales Bauteil, das Sonnenschutz und teilweise Durchsicht bei gleichzeitiger
solarthermischer Nutzung ermöglicht.
Gibt es weitere Ansätze, die sich für die industrielle Serienfertigung eignen?
Hermann: Das ist genau die Herausforderung: Einerseits wünscht man sich geeignete Kollektoren für eine
möglichst individuelle Architektur, andererseits wissen wir, dass wir die Kosten vor allem durch eine
Serienfertigung von Standardprodukten reduzieren können. Allerdings hat es gerade die Baubranche geschafft,
individuelle Lösungen auf Basis von industrieller Serienfertigung zu entwickeln. Denken Sie beispielsweise an
Baukastensysteme für Sanitär- oder Lüftungsinstallationen. Mit der Vorfertigung lassen sich die Kosten trotz
geringer Stückzahlen reduzieren, das gilt auch für Betonfertigteile. Genau hier setzte auch unser
Forschungsprojekt TABSOLAR an. Gemeinsam mit Industriepartnern haben wir fluiddurchströmte Bauteile aus
Ultrahochleistungsbeton (UHPC) als Basistechnologie für neuartige Fassadenkollektoren und thermoaktive
Bauteilsysteme (TABS) entwickelt.
Fassadenkollektoren aus Beton
Beton für Solarkollektoren: Wo liegen da die Herausforderungen?
Hermann: Durch ein von uns entwickeltes Membran-Vakuum-Tiefziehverfahren und vom Projektpartner G.tecz
daran angepasste UHPC-Rezepturen wurde es möglich, ein komplexes, mehrfach verzweigtes Kanalnetzwerk
direkt aus UHPC-Beton zu gestalten. Und trotz der geringen Wärmeleitfähigkeit des Betons konnten wir durch
eine geeignete Struktur eine sehr gute thermische Effizienz der thermoaktiven Elemente erreichen, sodass wir für
die Weiterentwicklung dieser Technik jetzt ein großes Potenzial sehen. So ist es uns mit dem TABSOLAR-Projekt
bereits gelungen, eine spektralselektive Absorberschicht direkt auf die Beton-Elemente aufzubringen. Durch
diese Beschichtung können – wie auch bei marktüblichen Absorbern aus Metall üblich – die thermischen Verluste
reduziert werden. In einem Folgeprojekt TABSOLAR II, das voraussichtlich noch Ende dieses Jahres starten wird,
soll ein Fassadenkollektor aus UHPC-Beton auf Basis der im TABSOLAR-Projekt entwickelten Technologien
realisiert werden.
Gibt es alternativ dazu weitere innovative Ansätze für Fassadenkollektoren?
Hermann: In einem weiteren Projekt möchten wir architektonisch integrierte Fassadenkollektoren mit Heat-Pipes
entwickeln. Dabei sollen zwei Konzepte realisiert und erprobt werden: Erstens ein sogenannter Streifenkollektor
mit geringer Höhe und flexibler Länge und Positionierbarkeit, der in den Kollektorzwischenräumen eine
gestalterische Nutzung mit beliebigen Fassadenmaterialien wie Putz, Holz, Stein oder Metall erlaubt. Und
zweitens eine solarthermische Jalousie, deren dreh- und verschiebbare Lamellen gleichzeitig als
Verschattungselemente und Solarabsorber fungieren. Dadurch lassen sich Tageslichteintrag und Solarertrag
gezielt steuern. Beide Konzepte basieren auf dem Prinzip der trockenen Anbindung über Heat-Pipes.
Mit den neu zu entwickelnden Heat-Pipes und deren neuartigen Anbindung an einen Sammelkanal soll die
seitens der Architekten gewünschte Flexibilität erreicht werden. Und durch die Verwendung geeigneter
Fertigungsverfahren soll eine wirtschaftliche Produktion erreicht werden. Wenn das gelingt, wäre das Ziel erreicht:
Mit den neu zu entwickelnden Heat-Pipes und deren neuartigen Anbindung an einen Sammelkanal soll die
seitens der Architekten gewünschte Flexibilität erreicht werden. Und durch die Verwendung geeigneter
Fertigungsverfahren soll eine wirtschaftliche Produktion erreicht werden. Wenn das gelingt, wäre das Ziel erreicht:
Hohe Individualisierbarkeit auf Basis kostengünstiger Serienprodukte als Baukastensystem.
Wäre ein solches Baukastensystem der Durchbruch für thermische Fassadenkollektoren?
Denz: Individuelle Lösungen auf Basis einiger Standardprodukte oder Prozesse sind in der Fassadenbranche
bereits seit Langem üblich. Und bei entsprechend großen Fassadenflächen rechnen sich sogar
maßgeschneiderte Projektlösungen auch für den Hersteller. Da wir von dem Potenzial der genannten
Entwicklungsansätze überzeugt sind, sind wir als Facade-Lab aktiver Partner dieser interdisziplinären
Forschungsvorhaben.
Und wie geht es mit den thermoaktiven Bauteilsystemen weiter?
Hermann: Das Thema ist in mehrfacher Hinsicht interessant. Denn thermoaktive Bauteile können für Heiz- und
Kühlzwecke eingesetzt werden und sie erlauben Niedrigexergie-Konzepte. Also Konzepte mit geringen
Fluidtemperaturen und großen Wärmeaustauschflächen, die für die Nutzung erneuerbarer Energien attraktiv sind.
Hinzu kommt, dass die TABS-Elemente eine Wärmespeicherfunktion im Gebäude übernehmen können. Das
wiederum ist für die direkte Solarthermie-Nutzung ebenso interessant wie für Kühlkonzepte mit
Latentwärmespeicher-Materialien bei aktiver Nachtkühlung oder für die Speicherung von regenerativem
Überschussstrom in Form von Wärme. Damit können diese Elemente schließlich einen netzdienlichen
Gebäudebetrieb unterstützen.
Die im Projekt TABSOLAR entwickelte Basistechnologie scheint uns dafür gut geeignet zu sein. Daraus kann
man attraktive Komponenten entwickeln. Wir haben uns jedoch mit unseren Projektpartnern entschlossen, im
Folgeprojekt TABSOLAR II den Fokus zunächst auf die Fassadenanwendung zu legen.
Die anstehenden Entwicklungsarbeiten werden jedoch auch den thermoaktiven Bauteilsysteme insgesamt
zugutekommen. Im Projekt soll es darum gehen, die Technologie vom Labormaßstab auf größere Bauteile zu
übertragen und den Herstellprozess mit Blick auf die spätere Serienfertigung zu verbessern. Bis 2018 wollen wir
den Entwicklungsstand in einem Demonstrationsgebäude darstellen.
(jl)
Das Interview ist auf www.enob.info erschienen.
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