AUS G A B E 4 | 2015 AU G U S T | S E PTE M B E R D E UTSC H LAN D 9,50 E U RO | Ö STE R R E I C H 9,90 E U R O | S C HW E I Z 17,50 S F R | LUX E M B U R G 11 E U R O | ITA LI E N 11,80 E U R O | S PAN I E N 11,80 E U R O Das Magazin für Architektur & Design S E N S I B E L MODE R N I S I E RT: KÖLN E R VI LLA M IT K LAS S E VE RSTECKT I M WE I N B E RG: R E FUG I U M I N SÜDTI ROL S: H AU M E ED IAL, ZU J TER A M N SE PL A DRIS N U S GR TA I L E D UND BÖDEN: Neues aus Holz, Stein & Keramik AU F ALLE N E B E N E N K LUG G E P LANT: B E R L I N E R S TA D T H A U S EINFACH PERFEKT H AU S U N D G A R T E N I N H A R M O N I S C H E R E I N H E I T Leichtigkeit: Vincent Van Duysen (rechts mit seinem Tisch „Oskar“) will Räume gestalten, in denen sich die Menschen entspannen. Ein altes Bauernhaus im bel­ gischen Zwevegem (links) Fo t o l . : J u a n R o d r í g u e z PORTRÄT VAN DUYSEN öffnete er mit großen Fensterflächen zur Natur und schuf so einen perfekten Ort der Kontemplation. SINNLICHE KARG H E IT A l s A r ch i t e k t i s t Vi n c e n t Va n D u y s e n b e k a n n t f ü r k o n ­sequenten Purismus und ein feines Gespür für Materialien. Seine Möbelentwürfe zeigen, wie gut diese Haltung a u ch i m k l e i n e r e n M a ß s t a b f u n k t i o n i e r t . B e g e g n u n g m i t e i n e m G e s t a l t e r, d e r j e n s e i t s ­a l l e r M o d e n a g i e r t T E X T: D OR O T H E A S U N DE R G E L D | P OR T R Ä T: M A D S MO G E N S E N 64 HÄUS E R 2015 N° 4 N° 4 2015 HÄUS E R 65 PORTRÄT VAN DUYSEN G UTE S DE S IG N B EG I N NT M IT DE R MATERIALWAHL Werkstatt: Van Duysens jüngstes Projekt: Der Tisch „Oskar“. Die Platte wird in der Schreinerei von B&B Italia sanft abgerundet. Dialog: Seit 2002 arbeitet Vincent Van Duysen mit B & B Italia zusammen. Hier im Gespräch mit Rolando Gorla (links) und Ambrogio Spotti (rechts) von der ­E ntwicklungsabteilung. Material: Ob Marmor, Glas oder Holz – bei der Wahl des Materials achtet Vincent Van Duysen besonders E auf haptische Qualitäten. Fo t o s : M a d s M o g e n s e n s spielt keine rolle, ob Vincent Van Duysen einen Türgriff, einen Tisch oder ein Haus entwirft – sein Ausgangspunkt ist immer der gleiche: der Mensch. „Für mich gibt es keine Unterscheidung zwischen den Disziplinen Architektur und Design“, erklärt der ­Belgier. „Ich möchte Räume gestalten, in denen sich M ­ enschen wohlfühlen. Ein Tisch kann diese Qualität ebenso ausdrücken wie ein ganzes Gebäude.“ Der Tisch, den Van Duysen im April zur Mailänder Mö­belmesse bei B & B Italia präsentiert hat, spricht erst e­ inmal eine rationelle Sprache. „Oskar“ hat einen architektonischen Ausdruck, seine konstruktiven Elemente – eine Metallstruktur, die Tischbeine und -platte mit­einander verbindet – sind offen sichtbar. Die Form erinnert an Entwürfe von Jean Prouvé oder Le Corbusier, und auch die Materialwahl ist klassisch: „Oskar“ gibt es in zwei Formaten und drei Material­ varianten, mit Holz-, Marmor- oder Glasplatte. Spätestens wenn man mit der Hand über die leicht gerundete Tisch­kante streicht, bemerkt man die Handschrift Van Duysens: eine besondere Haptik. 66 HÄUS E R 2015 N° 4 mit unseren sinnen nehmen wir Räume und Gegenstände wahr, und der Tastsinn ist der direkteste, intuitivste Weg, sie zu erfassen. Ob wir mit nackten Füßen über geölte Eichendielen gehen, uns in einen Ledersessel fallen lassen oder zum Essen an einem Marmortisch Platz nehmen: Der Kontakt zum Material vermittelt uns sofort ein Gefühl von Wertigkeit, Komfort und Verlässlichkeit. N° 4 2015 HÄUS E R Variante: Mit smaragd­ grünem Fuß und einer Tischplatte aus Industrieglas wirkt „Oskar“ sachlich-kühl und hat doch eine poetische Seite: Die Glasstruktur erinnert an Wasseroberflächen. 67 PORTRÄT VAN DUYSEN LICHT IST SAU E RSTOFF FÜR DI E ARCH ITE KTU R Abgetönt: Van Duysen Angepasst: Das Einfami­ vermeidet reinweiße Wände. lienhaus in Waregem baute Sein Antwerpener Stadt- Van Duysen nach allen haus (oben) ist in Offwhite Regeln der Moderne – in verputzt, ein Apartment in flämischem Backstein. Knokke (rechts) in Grauund Brauntönen gehalten. Ornamentfrei: Formell orientiert sich das Landhaus am belgischen Bauernhaus, doch die einheitliche Holz- Gastlich: Hinter der verkleidung lässt das Gebäu- histo­r ischen Fassade des de zeitgemäß wirken. Antwerpener Stadthauses am Graanmarkt 13 gestal­ tete Van Duysen ein Restaurant, Shops und ein Apart- Fo t o s : J u a n R o d r í g u e z ( 3 ) , Ko e n Va n D a m m e ( 3 ) ment, das vermietet wird. 68 HÄUS E R 2015 N° 4 Malerisch: Licht spielt eine bedeutende Rolle in Vincent Van Duysens Gebäuden. Der Architekt arbeitet gern mit Skylights oder Lichthöfen, um Räume mit indirektem Sonnenlicht zum Leben zu erwecken – wie hier den Treppenaufgang seines Antwerpener Privathauses. N° 4 2015 HÄUS E R 69 VA N D U YS E N I M P R O F I L PORTRÄT VAN DUYSEN liebe die traditionellen Baumaterialien der Region: dunklen Backstein oder Holz für die Fassaden, Eichenböden und Leinen in natürlichen Grau- und Brauntönen im Inneren. Durch ornamentfreie Fassaden und eine monolithische, kompakte Form wirken seine Gebäude zur Straßenseite hin oft verschlossen, fast abweisend in ihrer Schlichtheit. Schließt man die Tür hinter sich, sind sie im Inneren überraschend hell und großzügig mit den Außenflächen verbunden, denn zur Gartenseite öffnet Van Duysen seine Häuser gern mit großen Fensterflächen. Ob bei Neubauten wie dem komplett in Holz verkleideten Landhaus „DC II“ in Tielrode oder Umbauprojekten wie seinem eigenen Wohnhaus in Antwerpen – Licht spielt eine zentrale Rolle im Werk des Belgiers. „Licht ist wie Sauerstoff in der Architektur“, erklärt Vincent Van Duysen. „Ich mag es allerdings nicht, wenn Häuser zu offen und lichtdurchflutet sind – man möchte die Bewohner ja auch vor Blicken schützen. Wie ich Licht einsetze, hängt von der Ausrichtung des Gebäudes auf dem Grundstück ab. Das diffuse Licht des Nordens kann übrigens schöner sein als das direkte Licht des Südens – und ich setze es häufig auf ungewohnte Weise ein, indem ich zum Beispiel Skylights oder Innenhöfe plane.“ V Neuheiten: Auf der Mailänder Möbelmesse war Vincent Van Duysen in diesem Jahr sehr präsent. Bei Molteni & C. wurden seine Schrankserie „Gliss Master“ (o.) und das Bett „Ribbon“ (u.) vorgestellt. Der Beistelltisch „Surface“ (o. re.) wird bereits seit 2010 von B & B Italia hergestellt. Weil Haptik ein zentrales Thema für den belgischen Designer ist, verwendet er ausschließlich natürliche Materialien, in seinen Möbelentwürfen ebenso wie in der Architektur: Backstein, Terrakotta, Holz, Stahl, Glas, Naturstein. Oft sehen seine spartanisch eingerichteten Interieurs leichtfüßig aus, auf Fotos wirken sie harmonisch komponiert wie die Gemälde alter flämischer Meister. „Verwechseln Sie das Einfache nicht mit dem Simplen“, sagte Mies van der Rohe, und dessen große Sorgfalt im Umgang mit Details hat auch Vincent Van Duysen verinnerlicht. Bei seinen Projekten investiert er viel Zeit in die Materialrecherche. Ob es die angenehm gerundete, an Wasseroberfläche erinnernde Tischplatte aus Glas ist oder der leicht strukturierte Zementputz eines Innenraums – die Oberflächen vermitteln einen emotionalen Zugang zu seinem Design. D ie wärme und nahbarkeit meiner Architektur hat viel mit meiner Erfahrung mit Innenarchitektur zu tun“, erklärt der Designer. „Wann immer ich ein Projekt beginne, stelle ich mir die Frage: Wie würde ich in diesen Räumen wohnen wollen? Was würde ich sehen wollen, wenn ich die Tür hinter mir schließe?“ Es ist der Projektkontext, der Van Duysen zur Wahl seiner Materialien inspiriert. In Belgien, wo viele seiner Wohnhäuser gebaut sind, verwendet er mit Vor- 70 iele ordnen van duysen als minimalisten ein – was dem Designer ganz und gar nicht gefällt: „Meine Arbeit ist sehr rationalistisch, aber es steckt eine Menge Emotion und Seele darin. Die Räume, die ich plane, baden förmlich in Wärme!“ Die britische Designerin Ilse Crawford schätzt ihn für genau diese Qualität und schreibt: „Vincent Van Duysen ist einer der wenigen Architekten, die eine moderne Formensprache mit einer Intuition für Materialien verbinden.“ Gelernt hat der Belgier das Gefühl fürs Wohltemperierte in seiner Anfangszeit als Architekt, in der er viele Aufträge für InteriorProjekte bekam – und in seinen Mailänder Jahren. Eigentlich ist Vincent Van Duysen nämlich ein Kind der Postmoderne. Als er 1985 das Studium in Gent beendet hatte, ging er nach Mailand und arbeitete im Umfeld der Künstlergruppen Memphis und Alchimia. Zwei Jahre lang war er Assistent von Aldo Cibic, der gemeinsam mit Ettore Sottsass und anderen Memphis gegründet hatte. „Es war der Höhepunkt der Postmoderne“, erinnert Van Duysen sich heute. „Die Formen konnten gar nicht expressiv genug sein und wurden mit Primärfarben und unglaublich schrillen Mustern kombiniert.“ Von Mem- HÄUS E R 2015 N° 4 WEITERE WICHTIGE BAUPROJEKTE 2014 TR Residence, Knokke: Gebäudeensemble mit Wohnhaus und Pferdeställen in schwarz getönter Holzverkleidung. phis lernte Van Duysen den emotionalen Zugang zur Architektur und die Faszination für Archetypen. Doch während ein Ettore Sottsass seine Inspiration im exotischen Indien suchte, setzte sich der junge Van Duysen lieber mit den Archetypen seiner flämischen Heimat auseinander. Als er Ende der achtziger Jahre nach Belgien zurückkehrte, war die Postmoderne schon über ihren Zenit hinaus und er selbst in einer puristischen Denkweise angekommen. 2011 VM Residence, Sint-Martens-Latem, Belgien: Graues Mauerwerk und große Fenster verbinden die Innen- und Außenräume dieser Villa in Ostflandern. 2009 E Fo t o s : H e r s t e l l e r ( 3 ) ; Po r t r ä t : M a d s M o g e n s e n ; Fo t o s Z e i t l e i s t e : Ko e n Va n D a m m e ( 2 ) , A l b e r t o P i o v a n o ( 5 ) , G i o r g i o Po s s e n t i DE R PU R I ST I ST E I N KI N D DE R POSTMODERNE nde der achtziger arbeitete Van Duysen mit Jean de Meulder zusammen, der Andrée Putman von Flandern. Er bewunderte ihre puristische Herangehensweise und den Einsatz von roher Eiche, Beton, Leinen. Auch Axel Vervoordt, der Großmeister des flämischen Interior-Designs, hatte Einfluss auf den Stil, mit dem sich der Architekt ab den neunziger Jahren mit eigenen Projekten einen Namen machte. Bis heute verabscheut er reinweiße Wände – in der Welt des Vincent Van Duysen gibt es kein Schwarz oder Weiß, sondern eine große Bandbreite an Zwischentönen: abgetöntes Weiß, Graphit, Erdtöne. So scheint es eher untypisch, dass bei B & B Italia eine Variante des „Oskar“-Tischs mit smaragdgrünen Tischbeinen zu sehen war. Geht es zurück zu den Anfängen? „Das ist eine Überraschung von mir!“, erklärt er mit einem Lachen. „Es ist ja nicht so, dass ich mich nur mit Off-Tönen beschäftigen würde. Ich liebe Farben. Besonders solche, die eine Geschichte haben. Smaragdgrün haben schon Jean Prouvé und Le Corbusier verwendet, sogar in der Villa Necchi finden Sie diesen Ton – es ist eine kräftige, frische Farbe, die nicht zu übermächtig ist.“ P Penthouse, Antwerpen: Die beiden obersten Stockwerke eines Antwerpener Stadthauses wurden in Büros umgewandelt und ein dreistöckiges Penthouse auf das Gebäude aufgesetzt. 2003 VDD Residence, Dendermonde: Geradlinige Formensprache trifft traditionelle lokale Materialien wie Ziegel und Blaustein. 2000 Concordia Verwaltungsgebäude, Waregem: Für ein belgisches Textilunternehmen entwarf Van Duysen ein monolithisches Gebäude mit einer Betonfassade und gläsernen Lichtboxen. 1998 VH Residence, Lokeren: BIOGR APHIE 1962 im belgischen Lokeren geboren, studierte Vincent Van Duysen Architektur in Gent. Von 1985 bis 1987 war er in Mailand als Assistent von Aldo Cibic tätig. Zurück in Belgien, arbeitete Van Duysen mit Innenarchitekten wie Jean De Meulder zusammen, bevor er 1990 sein eigenes Studio in Antwerpen eröffnete. Mit Häusern, die nach außen monolithisch wirken und sich im Inneren durch eine warme, sinnliche Atmosphäre auszeichnen, wurde er schnell international bekannt. Heute baut der Belgier Büro- und Wohnprojekte, Hotels, Yachten und Boutiquen in aller Welt – und entwirft Möbel für Kunden wie B & B Italia, Poliform, Molteni und Herman Miller. N° 4 2015 HÄUS E R Drei Etagen eines schmalen Stadthauses aus den 1930er Jahren wurden im Inneren komplett umgestaltet. 1997 DB-VD Residence, Sint Amandsberg: Schlichte Backsteinarchitektur mal anders – mit Schmetterlingsdach. 1993 VVD l Residence, Antwerpen: Nach der Rückkehr aus Mailand baute sich Van Duysen eine ehemalige Fabriketage um. 71