Optophysiologische Methoden in der Neurobiologie

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MET H ODE N & AN WE N DU NGEN
Optophysiologie
Optophysiologische Methoden
in der Neurobiologie
ANDRÉ FIALA
THEODOR-BOVERI-INSTITUT, LEHRSTUHL FÜR GENETIK UND NEUROBIOLOGIE,
JULIUS-MAXIMILIANS-UNIVERSITÄT WÜRZBURG
In den letzten Jahren wurde eine Reihe von Proteinen beschrieben, die es
ermöglichen, neuronale Aktivität und molekulare Veränderungen in genetisch definierten Populationen von Nervenzellen optisch darzustellen.
Mehr noch: Kürzlich wurden lichtsensitive Proteine entdeckt, die es erlauben, Nervenzellen durch Beleuchtung zu aktivieren oder zu inhibieren. In
Anlehnung an den Begriff Elektrophysiologie umschreibt der Begriff Optophysiologie die Möglichkeit, durch diese neuartigen optischen Werkzeuge
der Funktionsweise neuronaler Verschaltungen nachzugehen. Anhand
transgener Modellorganismen wie der Taufliege Drosophila melanogaster
wird mit diesen Methoden versucht, das komplexe Zusammenspiel von
Nervenzellen in einem Gehirn zu entschlüsseln.
ó Wie arbeiten komplexe Verbände von Nervenzellen in Gehirnen zusammen, um ein
sinnvolles Verhalten des Tiers zu erzeugen?
Um dieser Frage nachzugehen, verfolgen Neurophysiologen in der Regel zwei komplementäre Ansätze. Zum einen wird die Aktivität
von Nervenzellen während eines Verhaltens
oder auf einen verhaltensauslösenden Reiz
hin beobachtet. Zum anderen wird Aktivität
in Nervenzellen induziert, um deren Funktion aufzuklären. Das klassische Werkzeug,
die Aktivität von Neuronen und Neuronenverbänden zu untersuchen, ist seit Jahrzehnten die Elektrode. Mithilfe von Ableitelektroden können Veränderungen von Membranpotenzialen mit optimaler zeitlicher Auflösung und hoher räumlicher Präzision in ein-
¯ Abb. 1: Visualisierung neuronaler Aktivität
im Gehirn der Taufliege Drosophila. A, Der Calciumsensor Cameleon[2]. Ein enhanced cyan
fluorescent protein (ECFP) und ein enhanced
yellow fluorescent protein (EYFP) wurden mit
einer Calmodulin-Sequenz und dem Calmodulin-Zielpeptid M13 so fusioniert, dass CalciumBindung zu einer Konformationsänderung des
Proteins führt. Bei Anregung des ECFP (∼ 436
nm Wellenlänge) ergeben sich für den Calciumfreien und den Calcium-bindenden Zustand des
Proteins unterschiedlich starke Emissionen der
Fluorochrome, sodass der intrazelluläre Calciumspiegel beobachtet werden kann. B, Die
Taufliege wird so unter dem Mikroskop befestigt werden, dass durch ein kleines, in den
Kopf geschnittenes Fenster die den Fluoreszenzsensor exprimierenden Nervenzellen
beobachtet werden können. C, Der Sensor
kann im Drosophila-Gehirn in den Nervenzellen
zur Expression gebracht werden, die einer
genaueren Untersuchung zugrunde liegen sollen. In dieser dreidimensionalen Rekonstruktion des Drosophila-Gehirns sind Nervenzellen
rot markiert, die bei der Duftprozessierung
eine Rolle spielen. D, Die Verzweigungen dieser
Zellen lassen sich unter dem Mikroskop durch
die Fluoreszenz gut sichtbar machen. E, Die
durch einen Duftstoff evozierte neuronale Aktivität wird durch die Fluoreszenzänderung des
Calciumsensors sichtbar. Hier werden Bereiche hoher Aktivität rot, Bereiche niedriger Aktivität dunkelblau dargestellt.
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zelnen Nervenzellen oder Verbänden von
Nervenzellen gemessen werden. Umgekehrt dienen Stimulationselektroden zur
Induzierung von Nervenzellaktivität.
Diese Methoden bringen allerdings eine
Einschränkung mit sich. In der Regel sind
viele Nervenzellen unterschiedlicher
Typen und Funktionen – aktivierende,
inhibierende und modulatorische Neurone
– in dichten Netzen und Schaltkreisen miteinander verbunden. Damit ist die Anwendung von elektrophysiologischen Methoden durch die Präzision und die Anzahl
an Ableitorten limitiert. Dies ist insofern
problematisch, als Information in Nervenzellverbänden häufig als Aktivitätsmuster von bestimmten Neuronenpopulationen kodiert wird, die in ein dichtes neuronales Netz eingebettet sind. Lange Zeit
war es ein Traum der Neurowissenschaftler, die Aktivität von vielen Neuronen zu
detektieren und zu manipulieren, die
durch eine gemeinsame Funktion gekennzeichnet sind. Eine Lösung dieses Problems zeichnete sich durch die Verbindung von neurophysiologischen Fragen
mit genetischen Methoden ab. Nervenzellen eines bestimmten Typs sind oft durch
ein gemeinsames Muster an Genexpression gekennzeichnet. Unter diesem
Gesichtspunkt erstaunt es nicht, dass die
Entwicklung genetisch kodierter Sonden
zur Visualisierung neuronaler Aktivität
mit großer Begeisterung aufgenommen
wurde[1]. Der entscheidende Aspekt dieser Sonden beruht darauf, dass sie als Proteine DNA-kodiert sind und vom Organismus selbst exprimiert werden können,
unter Umständen in ganz klar definierten
Nervenzelltypen.
Visualisierung neuronaler Aktivität
mithilfe DNA-kodierter Sonden
Die ersten beschriebenen DNA-kodierten
Sonden waren Calciumsensoren und
Fluoreszenzproteine, die eine Visualisierung synaptischer Transmission erlauben[1]. Ein mittlerweile klassischer Fluoreszenzsensor ist in Abbildung 1A dargestellt, der Calciumindikator Cameleon[2].
Dieser besteht aus Varianten des grün fluoreszierenden Proteins (GFP), einer gelb
fluoreszierenden Variante (EYFP) und
einer cyan fluoreszierender Variante
(ECFP). Durch die Fusion dieser beiden
Fluorochrome mit einer Calcium-bindenden Calmodulin-Sequenz und einem Calmodulin-bindenden Peptid entsteht ein
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Molekül, das seine Konformation und
damit seine Fluoreszenzeigenschaften in
einer Calcium-abhängigen Weise verändert. Da neuronale Aktivität mit einem
Anstieg der intrazellulären Calciumkonzentration einhergeht, spiegeln die relativen Emissionsintensitäten der zwei Fluorochrome neuronale Aktivität wider, wenn
der Sensor im Zytoplasma exprimiert wird.
Mittlerweile wurde eine ganze Reihe solcher genetisch kodierter Calciumsensoren
beschrieben, die meist auf ähnlichen Prinzipien beruhen.
Wir verwenden Drosophila melanogaster als Modellorganismus, um die Aktivität
spezifischer Nervenzellen in einem lebenden Organismus zu visualisieren[3, 4]. Die
Vorteile der Taufliege gegenüber anderen
neurobiologischen Modellorganismen sind
vielfältig. Erstens besteht das DrosophilaGehirn aus nur etwa 100.000 Nervenzellen
– eine sehr überschaubare Größenordnung
im Vergleich zu den Milliarden an Nervenzellen des Mäuse- oder Rattengehirns.
Zweitens lassen sich Transgene, wie z. B.
Fluoreszenzsensoren, sehr einfach in fast
jedem beliebigen Neuronentyp zur Expression bringen, was beispielsweise bei Mäusen mit erheblich größerem Aufwand verbunden ist. Und drittens befähigt das winzige Drosophila-Gehirn das Tier zu
erstaunlich komplexen Verhaltensleistungen, die z. B. auf Lernvorgängen und
Gedächtnisbildung beruhen – Prozesse,
die bislang nur rudimentär verstanden
sind. Abbildung 1B zeigt eine Taufliege,
die unter einem Mikroskop fixiert wurde.
Indem man ein kleines Fenster in die Kopfkapsel der Fliege schneidet, bekommt man
einen optischen Zugang zu der Population
von Nervenzellen, die im Fokus des Interesses steht. Wie Abbildung 1C verdeutlicht, sind weite Bereiche des DrosophilaGehirns anatomisch schon gut beschrieben. Als Beispiel sieht man in Abbildung
1D die Verzweigungen einer Gruppe von
Nervenzellen, die an der Verarbeitung von
Duftinformation beteiligt sind. Präsentiert
man nun der Taufliege einen Duftstoff,
kann man die Aktivität dieser Nervenzellen durch die Fluoreszenzänderung des
Calciumsensors in sehr hoher räumlicher
Auflösung verfolgen, wie es in Abbildung
1E anhand eines Falschfarben-kodierten
Aktivitätsmusters dargestellt ist.
Der Einsatz genetisch kodierter Fluoreszenzsensoren erlaubt es also, die Aktivität
von Neuronen direkt im lebenden Tier zu
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˚ Abb. 2: Optische Manipulation neuronaler Aktivität durch lichtabhängige Proteine. A, Channelrhodopsin-2 bildet einen Kanal aus sieben Transmembran-Domänen, der sich in die Zellmembran integriert. Bei Anwesenheit des Kofaktors all-trans- Retinal wird dieser Kanal lichtsensitiv, d. h. er öffnet bei
Beleuchtung mit blauem Licht. Da der Kanal durchlässig für Kationen ist, kann damit die Zellmembran depolarisiert und die Nervenzelle aktiviert werden[5]. B, Umgekehrt wirkt die lichtsensitive Chloridpumpe Halorhodopsin. Der lichtabhängige Anstieg der Chloridkonzentration im Zellinneren führt zu
einer Hyperpolarisation der Zellmembran, wodurch die Nervenzelle inhibiert wird[9]. C, Während man mit elektrophysiologischen Techniken mittels
einer Stimulationselektrode mehr oder minder weite Bereiche innerhalb eines Nervengewebes aktivieren kann, erlauben es einem diese neuen optophysiologischen Zugänge, ganz gezielt nur die Nervenzellen zu stimulieren, die das lichtabhängige Protein exprimieren.
beobachten. Damit ist aber nur eine Seite der
Medaille beschrieben. Welche Funktion hat
diese neuronale Aktivität für das Verhalten
des Tiers? Diese Frage kann dadurch geklärt
werden, dass man die Neuronen direkt aktiviert und die Auswirkung auf das Verhalten
des Tiers beobachtet.
Manipulation neuronaler Aktivität:
lichtinduzierte Aktivierung und
Inhibition
Neben Sonden zur Beobachtung neuronaler
Aktivität wurden Proteine beschrieben, die
eine lichtabhängige Manipulation neuronaler
Aktivität erlauben. Konzeptionell wurde diese Idee schon früh formuliert. Es blieb aber
lange ein Traum der Neurobiologen, durch
einen Reiz, wie z. B. Licht, ganz gezielt
bestimmte Nervenzellgruppen zu aktivieren
oder stillzulegen. Der Durchbruch des Konzepts wurde mit der Beschreibung des lichtsensitiven Proteins Channelrhodopsin-2
erreicht[5]. Dieses Protein, das aus der einzelligen Grünalge Chlamydomonas reinhardtii isoliert wurde[5], besteht aus sieben Transmembran-Domänen, die einen selektiven
Kanal für Kationen bilden (Abb. 2A). Eine
Bindungsdomäne für all-trans-Retinal vermittelt die lichtabhängige Öffnung des
Kanals. Exprimiert man dieses Protein in kultivierten Neuronen, lässt sich das Membranpotenzial durch Lichtblitze manipulieren: Es kommt zu einer sehr schnellen Depolarisation und damit zur Generierung von
Aktionspotenzialen[6]. Man kann also Neuronen fast wie mit einer Fernbedienung anund ausschalten. Die Funktionalität dieser
Methode wurde kürzlich anhand von larvalen
und adulten Taufliegen nachgewiesen[7, 8]. So
konnte die Rolle bestimmter Neuronen bei
dem Prozess des assoziativen Duftlernens
aufgeklärt werden[7]. Zudem wurde kürzlich
ein weiteres lichtsensitives Protein beschrieben, das antagonistisch wirkt[9]. Dabei handelt es sich um die Chloridpumpe Halorhodopsin, das aus dem Halobakterium Natronomonas pharaonis isoliert wurde. In diesem
Fall führt die Beleuchtung des Proteins zu
einer Erhöhung der Chloridkonzentration im
Zellinneren (Abb. 2B). Die Folge ist ein Abfall
des Membranpotenzials, eine Hyperpolarisation, und damit eine Inhibition der Nervenzellaktivität[9]. Diese Proteine bieten die
interessante Aussicht, Nervenzellaktivität
bidirektional durch Licht zu manipulieren,
und zwar in definierten Populationen innerhalb eines neuronalen Verbunds[9]. Während
konventionelle elektrophysiologische Techniken eine Stimulation von Nervenzellen
über ein mehr oder minder ausgedehntes
Areal des Gewebes erlauben (Abb. 2C), könnte es in Zukunft möglich sein, durch gezielte Expression lichtsensitiver Proteine Aktivität in solchen Nervenzellen zu stimulieren
oder zu inhibieren, welche durch eine
gemeinsame genetische Identität und damit
möglicherweise eine gemeinsame Funktion
gekennzeichnet sind.
Zukunftsaussichten
Die beschriebenen Techniken der optophysiologischen Registrierung und Manipulation
neuronaler Aktivität lassen sich natürlich gut
an einfachen Testsystemen, wie dem Gehirn
von Drosophila oder dem Nervensystem des
Fadenwurms C. elegans, testen. In Zukunft
wird es spannend sein zu sehen, inwieweit
transgene Mäuse für derartige Techniken
zugänglich sind. Neurobiologische Modellorganismen, die „näher am Menschen“ sind,
lassen es in Zukunft möglich erscheinen, die
derzeit entwickelten optphysiologischen
Methoden zur Klärung neuronaler Erkrankungen zu nutzen[10].
Danksagung
Ich danke Herrn Prof. Dr. Erich Buchner und
Herrn Prof. Dr. Martin Heisenberg für die
Unterstützung meiner Forschung.
ó
Literatur
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577–581.
Korrespondenzadresse:
Dr. André Fiala
Theodor-Boveri-Institut
Lehrstuhl für Genetik und
Neurobiologie
Biozentrum der Julius-Maximilians-Universität Würzburg
Am Hubland
D-97074 Würzburg
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Fax: 0931-888 4452
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